Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe namens meiner Fraktion die Anträge Drucksachen Nrn. 2971 und 2972 einzubringen und zu begründen. Der Zweck dieser Anträge ist, die Bundesregierung zu verpflichten, dem Hause die Ergebnisse gewisser internationaler Verhandlungen vorzulegen, die zusammen mit dem Schumanplan das politische System darstellen werden, das den Status Deutschlands bestimmen wird und bestimmen soll, und wir beantragen weiter, daß bis zur Ausführung dieses Auftrags die dritte Beratung ausgesetzt wird.
Wir halten die Aussetzung aus einer Reihe von Gründen für notwendig. Erstens: Bei den Verhandlungen über den Schumanplan ist versäumt worden, das rechtliche Verhältnis Berlins zur Montan-Union zu regeln. Im Auswärtigen Ausschuß ist von den Vertretern der Regierung zugegeben worden, daß Berlin Unionsausland ist. Man hat eine Reihe von Begründungen angeführt, um dies plausibel zu machen. Das sind, wie ich fürchte, Verlegenheitsbegründungen, die niemanden zu überzeugen vermögen. Berlin ist offenbar schlicht vergessen worden. Der Vertragstext ist klar. Darüber ist schon gesprochen worden, und ich will die Ausführungen darüber nicht ausdehnen.
Im Ausschuß für Auswärtiges hat der Herr Staatssekretär schlicht erklärt, daß auch seiner Auffassung nach die Einfügung Berlins in die Mon-
*) Vergleiche das endgültige Ergebnis Seite 7790 tan-Union durch eine zusätzliche Vereinbarung mit den Vertragspartnern bewerkstelligt werden müsse. Wir sind der Meinung, daß man sich durch eine sorgfältigere Verhandlungsführung diese nachträgliche Mühe hätte ersparen können. Da aber der Fehler begangen ist, muß er korrigiert werden; denn er hat rechtliche und politische Auswirkungen. Man muß ihn korrigieren, weil nichts geschehen darf, das den Grad der Abtrennung Berlins von dem Lebenskreis der Bundesrepubik erhöhen könnte. Auch dort, wo es sich um den bitteren Tropfen handelt, sind wir der Meinung, daß hüben und drüben aus einem Becher getrunken werden muß. Das ist ja auch der Grund dafür, weswegen wir auch dort, wo wir der Meinung sind, daß Berlin bessere Gesetze hat als die Bundesrepublik, dafür eintreten, daß die vom Bundestag beschlossenen Ordnungen in Berlin mit zu gelten haben.
Hinsichtlich von Kohle und Stahl erfüllt sich das Schicksal der Bundesrepublik im Wirkungsbereich des durch die Montan-Union geschaffenen gemeinsamen Marktes. Berlin steht außerhalb dieses Marktes. Darum muß die Bundesregierung die Eingliederung Berlins in den Wirtschaftsraum erreichen, dem die Bundesrepublik nun eingefügt werden soll. Für uns alle — auf allen Seiten dieses Hauses — wird das Verhalten unserer Vertragspartner in dieser Frage ein Prüfstein dafür sein, wieviel Gewicht ihrer Versicherung zukommt, daß die Herstellung der deutschen Einheit auch ihnen am Herzen liege.
Denn auch hier beweisen nur Taten und nicht Worte die Ernsthaftigkeit der Absicht. Schon manche Zusage ist auf dem Papier stehen geblieben.
Unserer Meinung nach hängt aber die politische Bewertung der Montan-Union in erheblichem Maße davon ab, ob uns die Westmächte durch ihr konkretes Verhalten davon zu überzeugen vermögen, daß auch in ihren Augen der Schumanplan ein Mittel ist, die deutsche Einheit überall dort zu verwirklichen, wo dies faktisch möglich ist, oder ob sie uns wieder einmal zeigen wollen, daß auf Worte nicht unbedingt die adäquaten Taten folgen müssen. Wir sind darum der Meinung, daß man vor der Ratifikation des Schumanplans die Probe auf dieses Exempel machen müsse. Deswegen stellen wir den Antrag, den Sie auf der angeführten Drucksache unter Ziffer 1 finden.
Zweitens: Im Mai vorigen Jahres hat der Herr Bundeskanzler diesem Hause erklärt, daß er im Ministerausschuß des Europarates die durch das Verhalten der Regierung des Saargebietes geschaffenen Rechtswidrigkeiten und dabei auch das Verhältnis des Saargebietes zu Deutschland und der Bundesrepublik zur Diskussion stellen werde. Es wird uns immer wieder versichert, daß die durch die Montan-Union geschaffenen Veränderungen der ökonomischen Herrschaftsverhältnisse die machtpolitischen Vorhaben Frankreichs an der Saar gegenstandslos machten, mit anderen Worten, daß Frankreich nach Inkrafttreten des Schumanplans kein Interesse mehr daran haben werde, das Saargebiet von Deutschland getrennt zu halten, und daß Frankreich und die anderen Staaten Europas dann keinen zureichenden Grund — ja nicht einmal mehr einen Vorwand — haben würden, sich gegen die Verwirklichung des Rechts an der Saar zu stemmen.
Das Verhalten der europäischen Mächte, insbesondere der Signatarmächte des Montanpaktes, in dieser Sache scheint uns ein Prüfstein für den Grad ihrer Fähigkeit, europäisch zu denken, und ihrer Bereitwilligkeit, europäisch zu handeln, zu sein. Dieses Verhalten wird also ein Prüfstein sein für das Vorhandensein oder das Nichtvorhandensein des Geistes, ohne den auch nach Auffassung der Bundesregierung der Schumanplan nicht die Wirkungen haben könnte, um derentwillen sie glaubt, dem deutschen Volk die Verzichte zumuten zu können, die dieser Vertrag von ihm fordert. Darum hängt nach unserer Meinung die politische Bewertung des Montanpaktes in ganz besonderem Maße davon ab, ob die Außenminister der Signatarstaaten uns durch ihr konkretes Verhalten hinsichtlich des Saarproblems davon zu überzeugen vermögen, daß der Abschluß des Montanpaktes, d. h. der Verzicht der Deutschen auf die Verfügung über ihre Kohle, es ihnen ermöglicht und sie verpflichtet, auch die Angelegenheiten des deutschen Volkes unter gesamteuropäischen Gesichtspunkten zu behandeln.
Den ersten Beweis für ihre Bereitschaft hierzu könnten sie in der Sitzung des Ministerausschusses liefern, in der der Herr Bundeskanzler mit ihnen unsere Anliegen hinsichtlich der Saar besprechen wird. Fällt die Probe negativ aus, dann fällt eine entscheidende Prämisse der politischen Beweisführung der Bundesregierung,
pler Schumanplan sei der Anfang europäischen Denkens und Handelns auch hinsichtlich der Saar. Erst nach Vorlage dieses angeforderten Berichts wird sich das Haus eine Meinung über diesen für das Schicksal Deutschlands so bedeutenden Aspekt der politischen Tragweite des Schumanplans bilden können.
Drittens: Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, daß eine Organisation für den einheitlichen Kohlenverkauf eine Lebensnotwendigkeit für das Ruhrgebiet ist. Der DKV soll aufgelöst werden, an seine Stelle soll eine Ersatzorganisation treten. Wir wissen, daß man sich bisher auf eine vorläufige Regelung geeinigt hat. Wir wissen aber auch, daß diese Regelung von allen Beteiligtèn und auch von der Bundesregierung als ungenügend angesehen wird. Sie ist zu schwerfällig, sie ist zu teuer, sie vermag nicht zu leisten, was im Interesse des Ausgleichs der Verschiedenheiten in den Produktionsbedingungen an der Ruhr und im Interesse der Stabilität der Preise geleistet werden muß. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß ein funktionsfähiger Ersatz für den DKV noch nicht geschaffen werden konnte. Wir können diesen funktionsfähigen Ersatz nur erhalten, wenn unsere Vertragspartner sich mit uns in vernünftiger Weise einigen. Eine Wahrscheinlichkeit, daß sie das tun werden, ist aber nur gegeben, wenn sie im Falle ihrer Weigerung Nachteile für sich befürchten müssen. Diese Nachteile brauchen sie aber von dem Augenblick an, da der Schumanplan von uns ratifiziert sein wird, nicht mehr zu befürchten. Wir sind darum der Meinung, daß man es darauf nicht ankommen lassen und daß man die Verhandlungen eher in der günstigen als in der ungünstigen Verhandlungsposition führen sollte.
Weiter sollte man so den Vertragspartnern Gelegenheit geben, durch ein konkretes Verhalten zu zeigen, wie nah oder wie fern ihnen das Wohlergehen der deutschen Montanindustrie in der Praxis steht. Je nach dem, was sie tun werden, werden wir uns ein Bild von ihren wahren Absichten machen können. Darum meinen wir, daß vor der Ratifikation des Montanpaktes die endgültige Neuregelung des einheitlichen Kohlenverkaufs ausgeh andelt werden sollte, und darum stellen wir den Antrag unter Ziffer 3 der Drucksache.
Viertens: Es wird für die Auswirkung des Paktes auf die deutsche Wirtschaft entseheidend sein, ob hüben und drüben die gleichen Startbedingungen bestehen, insbesondere ob die deutsche Wirtschaft sich technisch und organisatorisch so frei für den Wettbewerb rüsten kann, wie die Wirtschaften anderer Länder dies tun können. Darüber ist heute schon ausgiebig gesprochen worden. Es ist auch ausgiebig dargetan worden, inwieweit durch das Gesetz 27 diese Gleichheit der Startbedingungen aufgehoben ist. Dieses Gesetz 27 will ja nicht nur die deutsche Schwerindustrie so atomisieren, daß sie nur sehr schwer wird rationell produzieren können — sie zerschlägt die Verbundwirtschaft in einer Weise, die sie bei Vorliegen von Mangellagen praktisch völlig aufhebt. Die Hohe Behörde wird an das Gesetz 27 gebunden sein; denn dieses Gesetz 27 gilt ja bei den Besatzungsmächten als internationale Vereinbarung, und die Hohe Behörde soll an bestehende internationale Vereinbarungen gebunden sein. Selbst bei gutem Willen der Mitglieder der Hohen Behörde könnte es einmal deren Auffassung sein, daß es nicht in ihrer Zuständigkeit liege, das Gesetz 27 und seine gewollten Auswirkungen zu beseitigen. Die Spekulationen gewisser Kronjuristen über die automatischen Auswirkungen des Gleichheitssatzes und des Axioms der größten Wirtschaftlichkeit auf die Bedingungen, unter denen wir produzieren werden, sind nicht ernst zu nehmen. Sophismen können Realitäten vernebeln, aber nicht beseitigen. Soll die deutsche Wirtschaft unter der Herrschaft gleicher Chancen innerhalb der Montan-Union zum Wettbewerb antreten können, so muß die Geltung und so muß die Weiterwirkung des Gesetzes 27 beseitigt werden. Es müssen insbesondere die Beschränkungen fallen, die den deutschen Gesetzgeber bisher daran hindern, die deutsche Schwerindustrie in der jeweils zweckmäßigsten Weise zu organisieren und technisch auszustatten.
Wer den Schumanplan vor der Verwirklichung dieser Voraussetzungen in Kraft treten lassen will, nimmt es auf sich, daß die deutsche Wirtschaft in Fesseln zum Wettbewerb mit den fremden Industrien antreten muß, mit Industrien, die auf das dichteste konzentriert worden sind — und zwar gerade im Hinblick auf den Schumanplan — und deren Ausrüstung auf den modernsten Stand gebracht wurde. Das kann nicht die Absicht des Deutschen Bundestages sein, und es ist auch nicht die Absicht von irgend jemand in diesem Hause. Das wissen wir. Aber eine Chance des Erfolgs der Bemühungen um den Abbau dieser Fesseln, den auch Sie wollen, ist nur gegeben, wenn zu einem Zeitpunkt verhandelt wird, an dem die Würfel noch nicht gefallen sind! Am Tage der Ratifikation werden die Würfel gefallen sein, und darum stellen wir den Antrag, den Sie unter Ziffer 4 der Drucksache finden.
Fünftens: Die Bundesregierung hat uns schon zu wiederholten Malen gesagt, daß der Schumanplan nicht nur eine Sache von Kohle und Stahl sei, sondern daß durch ihn das politische und rechtliche Statut Deutschlands in hohem Maße mitbestimmt
werde. Man hat uns gesagt, daß der Schumanplan ein Stück „europäischer Verfassung" sei. Ich glaube, daß diese Auffassung richtig ist — aber damit wird der Schumanplan, wenn er in Kraft treten sollte, auch ein Stück deutsche Verfassung! Ich bezweifle, daß es möglich ist, diese Eigenschaft des Schuman-plans und damit seinen politischen Wert oder Unwert isoliert zu betrachten. Der Status Deutschlands wird nicht nur durch den Schumanplan und das heute bestehende Besatzungsrecht bestimmt; vielmehr wird der Grad, in dem der Schumanplan dies tut, bestimmt durch eine Reihe anderer Verträge und Institutionen, mit denen er sich verzahnt oder die ihn überlagern, wie etwa heute das Besatzungsstatut. Morgen wird es der sogenannte Generalvertrag und, vielleicht noch mehr, das europäische Verteidigungsabkommen sein, über die gegenwärtig verhandelt wird.
Was der Schumanplan politisch bedeutet, wird man ganz und zuverlässig erst wissen können, wenn man weiß, was Generalvertrag und europäisches Verteidigungsabkommen bestimmen sollen. Erst wenn wir wissen, was diese Verträge an Einschränkungen unserer Selbstbestimmung beibehalten, erst wenn wir wissen werden, welche Erweiterungen unserer Freiheiten sie uns wirklich oder vielleicht nur fiktiv bescheren, erst dann werden wir beurteilen können, ob dieses Parlament vor unserem Volk verantworten kann, was der Pakt über die Montan-Union ihm an Verzichten auf die Möglichkeit zumutet, sich um die Wiederherstellung seiner freien Verfügungsrechte über den letzten wirtschaftlichen Aktivposten, der ihm verblieben ist, zu bemühen.
Der Schumanplan bildet mit dem Generalvertrag, mit dem Verteidigungsabkommen und mit einer ganzen Reihe einseitiger und vertraglicher Bestimmungen ein politisches Ganzes. Er ist ein Element eines geschlossenen Systems, dessen Urhebern nicht nur die selbstlose Schaffung Europas durch Übernahme gleicher Opfer und Gewährung gleicher Chancen am Herzen lag. Sie wollten zumindest nebenbei einen politisch-technischen Mechanismus schaffen, der den Deutschen die eigenständige Verfügung über ihre Kohle und über andere Potentiale nehmen sollte. Ich will nicht diskutieren, ob solche Absichten gut oder schlecht sind, aber ehe man sich für einen Teil dieses Problems so oder anders entscheidet, muß man doch das ganze System kennen!
Solange wir den Generalvertrag nicht kennen, sind wir außerstande, die politische Tragweite des Montanpakts im ganzen zu überschauen; und ehe wir genau wissen, was Generalvertrag und Verteidigungsabkommen uns an Beschränkungen unserer Handlungsfreiheit, an Beschränkungen der Freiheit einer möglichen deutschen Wirtschaftspolitik bringen, werden wir nicht beurteilen können, welches die wirkliche Tragweite ist. Darum können wir die letzte Entscheidung solange nicht treffen, als wir die in der Verhandlung begriffenen Verträge nicht kennen. Aus diesem Grunde besonders beantragen wir, die dritte Beratung auszusetzen, bis uns die zur Ablösung des bisherigen Besatzungsstatuts geschlossenen und abzuschließenden Verträge dieser Phase unserer Geschichte vorgelegt worden sind.
Man wird nun sagen, wir brauchten den Abschluß dieser Verträge nicht abzuwarten, die Regierung wisse schon heute, daß die Sicherheitsbehörde fallen werde. Sie wisse auch, welches die
Kompetenzen der Verteidigungsbehörde sein würden, und sie wisse heute schon genau, was uns der Generalvertrag alles bringe. Nun, die Regierung mag in diesen Dingen einen festen Glauben haben; dem Parlament aber ziemt es, die Grundlagen dieses Glaubens zu prüfen.
Einiges, was sich in den letzen Wochen ereignet hat, und vieles, was sich in den einzelnen Phasen der Verhandlungen des letzten Jahres ereignet hat, läßt es angezeigt erscheinen, diesem Hause zu raten, sich seine Meinungen auf Grund abgeschlossener Verträge zu bilden und nicht auf Grund von Wünschen, Erwartungen und Ausdeutungen.
Wenn uns gesagt wird, dieser und jener im Vertragstext verwandte Begriff erlaubte uns, auf die Absicht und den festen Willen unserer Vertragspartner zu schließen, sich künftig in einer bestimmten Weise zu verhalten, so ist dazu zu sagen, daß man mit der Methode der Rückschlüsse in dieser Welt der harten Tatsachen leider fast immer hereinfällt. Verbrieftes erlaubt ein sicheres politisches Urteil darüber, wie weit sich ein Verhandlungspartner gebunden wissen will.
Man wird weiter sagen, das möge vielleicht alles richtig sein — aber wir müßten doch der Welt durch eine rasche Ratifikation zeigen, daß wir Vertrauen verdienten und daß wir gute Europäer seien. Nun, das Vertrauen der Welt ist eine gute und eine notwendige Sache, und man muß es sich verdienen. Aber für die Zukunft der Demokratie in Deutschland ist das Vertrauen des deutschen Volkes durch das Vertrauen der „Welt" nicht zu ersetzen,
— das Vertrauen des deutschen Volkes, das von uns erwartet, daß wir seine Angelegenheiten wahrnehmen, und zwar die Angelegenheiten des ganzen deutschen Volkes, auch der Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs,
auch der Deutschen, die wissen, daß Schumanplan und alles, was damit zusammenhängt, auch ihr Schicksal so oder so bestimmen, zum mindesten aber es präjudizieren werden. Und das deutsche Volk möchte haben, daß wir unser Ja oder Nein zum Schumanplan in genauer Kenntnis des ganzen politischen Systems aussprechen, das die äußere Verfassung unseres Volkes sein wird.
Im übrigen, was den Eindruck auf das Ausland anbetrifft: Es ist ja soeben abgestimmt worden! Das Ausland weiß, daß die Mehrheit dieses Hauses den Schumanplan bestätigen will. Auf dieses Ja können sie heute schon Wechsel ziehen, und sie können diese Wechsel sogar schon politisch diskontieren.
Auf der anderen Seite aber steht doch fest, daß zumindest Belgien den Schumanplan nicht vor dem Frühjahr ratifizieren wird. Nach Art. 99 kann er aber erst in Kraft treten, wenn a 11e Vertragspartner ihn ratifiziert haben.
So werden doch auch jene, die den Vertrag möglichst bald in Kraft sehen möchten, durch die Annahme unseres Aussetzungsantrags nichts versäumen, und es wird auch im Sinne Ihrer Wünsche und dessen, was Sie für notwendig und richtig halten, kein Schade entstehen.
Die Debatte hat gezeigt, daß auch jene Parteien, die für die Annahme des Schumanplans sind, Sorgen haben und daß sie dringend wünschen, daß gewisse Unzuträglichkeiten, auf die auch sie hingewiesen haben, beseitigt werden, Unzuträglichkeiten, die auch Sie sehr ernst und wichtig nehmen.
Ratifizieren wir aber vor Erledigung der Aufgabe, diese Dinge ins Reine zu bringen, dann haben wir doch praktisch keine Chance mehr, daß diese Aufgabe noch in befriedigender Weise wird gelöst werden können! Setzen wir aber die dritte Lesung in der von uns beantragten Weise aus, dann schaffen wir eine echte Chance, diese Dinge in Ordnung zu bringen. Denken Sie doch daran, daß manche Fessel, die in der Zwischenzeit_gefallen ist, nicht gefallen wäre, wenn wir den Schumanplan, wie die Regierung es wollte, noch im Sommer ratifiziert hätten!
Sie sagen, man solle hier auf die Entwicklung vertrauen. Gewiß muß man das tun! Aber die Entwicklung läuft bei diesen Dingen doch in bestimmten festen Geleisen! Sie kann nur in bestimmten Richtungen laufen, weil diese Richtungen in dem Vertrag und durch vollendete Tatsachen festgelegt sind. Solche Festlegung ist doch der Sinn eines solchen Vertrages. Da kann man mit Worten — hie Statiker, dort Dynamiker — nichts beweisen.
Man hat uns doch Fesseln angelegt! Sie haben das selber angesprochen. Mit diesen Fesseln gehen wir in den Wettbewerb hinein, und da helfen uns auch die mutigsten und optimistischsten Dynamiker nichts!
Herr Kollege Henle, Sie lächeln mich so freundlich an. Ich sehe Sie schon als dynamischen Entfesselungskünstler, der sich wird sehr abstrampeln müssen, um seine dynamischen Erwartungen wahr-zumachen,
wenn einmal der Schumanplan Wirklichkeit geworden sein wird! Sie werden sehen, Herr Kollege, daß dies keine so leichte Sache sein wird, wie darüber zu reden.
Wenn wir die geforderte Pause eintreten lassen, dann erst geben wir der Regierung doch die starke Verhandlungsposition, die sie braucht, um an das Ziel zu kommen, das sie sich selber gesetzt hat.
Sie haben eine Reihe von Anträgen gestellt. Aber diese Anträge genügen nicht, um den Zweck zu erreichen, den Sie damit erreichen wollen. Was wollen Sie denn tun, meine Damen und Herren, wenn die Vertragspartner der Bundesregierung, wenn sie mit Ihren Beschlüssen vor sie treten sollte, die kalte Schulter zeigen? Welches Interesse sollten denn diese Vertragspartner nachher, nach Annahme des Schumanplans, daran haben, in die Aufhebung und Änderung von Verhältnissen einzuwilligen, die dem Schumanplan erst den rechten Wert für sie geben? Man muß sich über die Umstände, unter denen ein Vertrag ausgeführt werden soll, v o r dem Abschluß des Vertrages verständigen, also zu einem Zeitpunkt, wo es noch möglich ist, nein zu sagen und die Dinge zu gestalten.
Ihre Anträge, meine Damen und Herren, sind ein Messer ohne Heft und Klinge! Auch wenn Ihre Anträge zum Beschluß erhoben werden sollten, werden sie an den Verhältnissen, die Sie beseitigen wollen, nichts ändern. Diese Beschlüsse werden ein bloßer Augentrost sein, und für einen bloßen Augentrost ist die Lage zu ernst und die Verantwortung, die auf uns lastet, zu groß.
Wenn Sie sich von Ihren Anträgen überhaupt etwas versprechen wollen, dann müssen Sie zusätzlich wollen, daß der Beschluß, den Sie erstreben, zusammen mit der Ratifikation den Vertragspartnern notifiziert wird.
Meine Damen und Herren! Schumanplan, Generalvertrag, europäisches Verteidigungsabkommen und einige Dinge mehr werden die Verfassungswirklichkeit in Deutschland so sehr bestimmen, wie das bisher durch das Besatzungsstatut geschieht — auf andere Weise, aber mit derselben Intensität. Jedes dieser Abkommen ist für diese Phase unserer Geschichte ein Kapitel einer Art von internationaler Oberverfassung, die die Möglichkeiten unserer inneren Verfassungswirklichkeit bestimmen. wird.
Diese Oberverfassung wird insbesondere mitbestimmen, was für die Wiedervereinigung Deutschlands noch wird getan und was vielleicht nicht mehr wird getan werden können. Sie wird auch möglicherweise eine Ursachenreihe in Bewegung setzen, die die Gefahr in sich trägt, aus der Bundesrepublik, die aus guten Gründen als Provisorium gewollt wurde, ein Definitivum zu machen, indem sie ihr den Charakter einer Organisation gesamtdeutscher Staatsgewalt auf einem Teil des gesamtdeutschen Staatsgebiets nimmt und sie zu einem partikulär integrierten Staat macht — gegen Ihren Willen, aber aus der Logik der Dinge heraus —, zu einem Staat, dem gegenüber alles andere Deutschland zu rechtlichem und politischem Ausland werden könnte. Mag das so sein oder nicht — über eine Verfassung kann man nicht kapitelweise abstimmen; man kann über sie endgültig nur im ganzen abstimmen.
Darum müssen wir vor der endgültigen Abstimmung über dieses Kapitel unserer künftigen Oberverfassung, die j a Ihrer Meinung nach eine Art vorläufige europäische Gesamtverfassung werden soll, über dieses Kapitel, das Schumanplan heißt, die anderen Kapitel kennen; und weil wir sie nicht kennen, kann dieses Haus die endgültige Beschlußfassung über den Schumanplan nicht verantworten. Weil wir aber möchten, daß es seine Entscheidung
— so oder anders — in voller Kenntnis aller bestimmenden Faktoren trifft, deswegen bitten wir Sie, unserem Antrag auf Aussetzung der dritten Lesung zuzustimmen.