Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Vorredner ist nicht davor zurückgeschreckt, das Pathos herabzusetzen, das nicht nur hier bei uns, sondern auch in der französischen Kammer hervorgetreten ist. Jawohl, auch wenn es Ihnen noch so unverständlich erscheinen mag, es ist richtig, die Toten als Mahnung anzurufen, wenn es sich darum handelt, über Annahme oder Nichtannahme dieses Schumanplan-Vertrags zu entscheiden. In der französischen Kammer war es nach allen Schilderungen, die von dem Verlauf der Kammersitzung gegeben wurden, einer der ergreifendsten Augenblicke, als Außenminister Schuman die Toten des Weltkrieges anrief, indem er sagte, es dürfe zwischen Deutschland und Frankreich und es dürfe im Westen Europas zwischen den Völkern, die gemeinsam für Recht und Freiheit eintreten wollen, nie wieder einen Krieg geben. Der Schumanplan ist ein, und zwar das erste Mittel, um zu verhindern,
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daß zwischen den europäischen Völkern wieder Krieg sein kann.
Herr Kollege Veit hat sich dagegen gewehrt, daß die Gegner des Schumanplans auch als Gegner Europas angesprochen werden, und er hat erneut in einem Sinne, der auf Verächtlichmachung angelegt war, von den „Neu-Europäern" gesprochen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie! Die Parteien, d e heute als Regierungsparteien für die Annahme des Schuman-plans eintreten und die ganze Außenpolitik bis zu dem Augenblick getragen haben, in dem diese Politik möglich war, sind in ihrer großen Mehrheit diejenigen, die damals
die Regierung Stresemann und Brüning getragen haben,
also eine Politik, die leider damals nicht durchgesetzt wurde, sondern einer nationalen Rückwendung eigentlich in allen westeuropäischen Völkern zum Opfer gefallen ist.
Damals haben Sie allerdings die Tendenzen einer Verständigungspolitik, einer Politik, 'die darauf angelegt war, einen Krieg in Europa nicht wiederkehren zu lassen und zu diesem Zweck den Versaller Vertrag durch eine — auch damals ging es darum — auf Gleichberechtigung beruhende Wohlordnung Europas zu ersetzen, mit getragen.
Es wäre besser, Sie würden das auch heute tun, statt daß Sie die Stellung der Opposition benutzen, nicht um nationale Gefühle unseres Volkes anzusprechen, sondern nationalistische Affekte zu entfachen.
Und deshalb wird Ihre Politik
trotz der Spekulationen, die ihr zugrunde liegen, nicht zum Erfolg führen. Dem gesunden Nationalgefühl ist längst offenbar, wie nötig es ist, die europäischen Völker diesseits des sowjetischen Machtbereichs zusammenzuführen, gerade um mit den Mitteln des Friedens die Trennung Deutschlands und die Trennung Europas auf die Dauer zu überwinden.
Die Vereinigten Staaten von Europa sind unser Ziel. Aber Sie sollten wissen — und im Grunde genommen wissen Sie es j a sehr genau —, daß dieses Ziel nicht mit einem Ansprung zu erreichen ist. Es ist auch nicht dadurch zu erreichen, daß man zu vermittelnden Lösungen, zu Stufen auf dem Wege zu den Vereinigten Staaten von Europa ständig nein sagt und entsprechend handelt.
Es bedarf vielmehr auf dem Wege zu der europäischen Föderation, die wir herbeisehnen, jener Mittel, jener gemeinschaftlichen Veranstaltungen auf den verschiedenen Gebieten, die den europäischen Völkern zunächst einmal Gelegenheit zu einer Zusammenarbeit geben, um das vom Weltkrieg her verbliebene Mißtrauen noch weiter zu überwinden. Es war in den vergangenen Jahren die schwierige Aufgabe, das Mißtrauen, die Gefühle der Abneigung und des Hasses zu überwinden und durch Vertrauen zu ersetzen. Dieses Vertrauen muß erworben sein, dieses Vertrauen muß verdient sein. Es wird nicht geschenkt. Glauben Sie nicht, daß uns die Erfolge, die Sie als solche der Zeit bezeichnen, geschenkt worden sind! Nein, sie sind sehr wohl hervorgegangen aus einer bestimmten Art von Außenpolitik.
Diese Außenpolitik war ständig darauf angelegt, das Interesse des deutschen Volkes dadurch zu wahren, daß man das gemeinsame Interesse aller europäischen Völker herausarbeitet und deshalb in einer Richtung geht, die zu dem Ziele führen soll, immer mehr die Gleichgeordnetheit der nationalen Interessen eines jeden Volkes und des gemeinsamen Interesses der europäischen Gesamtheit zu verwirklichen.
Sie erwarten eine europäische Regierung, die demokratisch kontrolliert wird. Niemand erwartet sie sehnlicher als wir. Aber S_e wissen ganz genau, daß in dieser Zeit die umfassende wirtschaftliche und politische Föderation Europas noch nicht zu erreichen ist. Sie wissen sehr genau, wie groß gerade in den westlichen Ländern ursprünglich die Widerstände sogar gegen eine Teilregelung wie den Schumanplan gewesen sind und daß es einer allzu langen, anderthalbjährigen Diskussion in den verschiedenen Ländern bedurfte, um die öffentliche Meinung allmählich für den Gedanken eines sehr begrenzten Teilzusammenschlusses auf wirtschaftlichem Gebiet zu gewinnen.
Es ist mir völlig unverständlich, wie Herr Kollege Veit von einer „Selbstentmannung der deutschen Wirtschaft" sprechen kann, die der Schuman-plan herbeiführe, während doch gerade all die Fesseln, die auf Produktion und Kapazität von Kohle, Eisen und Stahl lagen, all jene Fesseln, die uns im Zeichen der Morgenthau-Politik während der Jahre nach 1945 angelegt waren, durch den Schumanplan jetzt abgenommen werden. Es muß doch gesehen werden, daß die Beendigung des Ruhrstatuts, der Wegfall der Ruhrbehörde, die Beendigung der Funktionen des Militärischen Sicherheitsamtes, was Kohle, Eisen und Stahl anbelangt, der Wegfall der Kontrollgruppen, der Wegfall der Bindung an den Zustand, der aus der Entflechtung hervorgeht, sobald diese abgeschlossen ist, ganz entscheidende Fortschritte für uns bedeuten, Fortschritte allerdings, die ebensowohl im deutschen wie im gesamteuropäischen Interesse liegen.
Wir sind gewiß, daß die Sozialdemokratie, wenn eine sozialistische Regierung in Deutschland derartige internationale Erfolge errungen hätte, in Deutschland unermüdlich den Ruhm der Regierung, die solche Erfolge erzielte, verkünden würde. So empfinden Sie ein außerordentliches Mißvergnügen, weil Sie sich als Opposition berufen glauben, die Außenpolitik zu bekämpfen, nur weil die Regierung, die sie trägt, und die Parteien, die sie tragen, von Ihnen mit Betonung als feindlich empfunden werden. So leicht kann man es sich nicht machen,
daß man in der Bevölkerung eine Außenpolitik propagiert, von der man weiß, man könnte sie, wenn man Regierungspartei wäre, gar nicht durchtragen, weil, wenn Sie wirklich als Regierungspartei die Außenpolitik des ständigen Nein-Sagens und der Verneinung im Tun gegenüber allen Bemühungen, eine europäische Einheit zustande zu bringen, betrieben, Deutschland in eine neue Isolation hineinführen würden, viel gefährlicher und hoffnungsloser als die Isolation, in die Hitler das deutsche Volk hineingeführt hat.
Ihr Mißvergnügen am Schumanplan hat allerdings noch einen anderen Grund, der ebenfalls sehr einleuchtend ist: Der Schumanplan ist kein sozialistischer Plan, sondern ein Plan freiheitlicher Wirtschaftsführung, der' in erster Linie darauf angelegt ist, einen Zustand der Marktgemeinsamkeit herzustellen, in dem Schranken, Hemmnisse beseitigt werden, die der Gleichmäßigkeit der Wettbewerbsbedingungen für alle Wettbewerbsteilnehmer entgegenstanden.
Wir gehen sehr bewußt diesen Weg Europas, der über den Schumanplan führt, weil wir überzeugt sind, daß gerade der Schumanplan die Energien vervielfältigen wird, die in Europa auf umfassendere Regelungen föderalistischer Art gerichtet sind.
Wie groß das Unverständnis in Ihren Reihen gegenüber dem Schumanplan ist, hat das gezeigt, was Herr Kollege Veit im einzelnen über die Organe des Schumanplans gesagt hat. Wenn eine europäische Föderation zustande kommt, dann wird sich zwar erweisen, daß ihre Verfassung ganz anders strukturiert sein muß als die des Schuman-plans. Das ist selbstverständlich, denn der Schumanplan ist nicht eine umfassende Föderation, er ist lediglich eine Vereinigung für einen sehr beschränkten wirtschaftlichen Zweck. Deshalb kann man die Organe des Schumanplans und ihre Funktionen nicht an den Organen eines Bundesstaates oder eines Staatenbundes messen. Der wesentliche Unterschied zu einer europäischen Verfassung, die die Verfassung eines europäischen Staatenbundes oder Bundesstaates wäre, liegt nämlich darin, daß das Gesetzesrecht der Montangemeinschaft nicht fortlaufend durch ein Gesetzgebungsorgan erzeugt wird, sondern durch einen einmaligen Akt im Vertrag umfassend geschaffen ist. Der Vertrag selbst umfaßt prinzipiell das gesamte Gesetzesrecht, und nur durch Ausführungsbestimmungen, die Verwaltungsanordnungen sind, ist dieses prinzipiell beschlossene Recht, wie es im Vertrag niedergelegt ist, ergänzbar oder aber durch gemeinschaftsinterne Revisionsakte abänderbar. Im Wesen dieser Montan-Union liegt also von vornherein, daß eine Legislativfunktion im Sinne der Notwendigkeit einer dauernden Erzeugung neuen Rechtes, die in jedem Staat durch das Legislativorgan stattfindet, nur in einem sehr geminderten Maß vorhanden sein kann.
Umgekehrt ist — was wesentlich damit zusammenhängt — die Justizfunktion in dieser Montangemeinschaft 'außerordentlich gesteigert. Denn für das Gedeihen dieser Montan-Union ist offenbar schlechthin entscheidend, daß die Exekutivorgane — die Hohe Behörde, in abgeschwächtem Maße der Ministerrat und der Beratende Ausschuß — nicht willkürlich handeln, sondern daß sie sich bei ihren Entscheidungen auf das strikteste durch Geist und Wortlaut des Vertrags, d. h. des Gesetzes dieser Gemeinschaft, leiten lassen. Um dies sicherzustellen, waren die Akte der Exekutivorgane in höchstmöglichem Umfang der richterlichen Kontrolle zu unterwerfen. Das ist erfreulicherweise geschehen. Denn nicht nur 'die allgemeinen Anordnungen, sondern auch die individuellen Verwaltungsakte unterliegen in weitestem Maße der richterlichen Nachprüfung. Dies zu gewährleisten war schlechthin ausschlaggebend, weil nur die richterliche Nachprüfung ein Höchstmaß erreichbarer Objektivität verheißt.
Die politische Kontrolle durch ein parlamentarisches Kontrollorgan darf zwar auch im Rahmen der Montan-Union nicht unterschätzt werden. Sie wäre jedoch allein ein schlechtes Mittel, um rechtswidriges Verhalten der Exekutivorgane aus politischen Gründen auszuschließen. Gerade der politische Mißbrauch der Exekutivaufgaben muß ausgeschlossen werden, wenn nicht die Gefahr drohen soll, daß durch die Exekutive der Montan-Union überall Rückschläge gegen den Europa-Gedanken ausgelöst werden, die eine weitere europäische Entwicklung außerordentlich stören könnten.
Die richterliche Stellung und das richterliche Ethos der im Gericht der Montan-Union tätigen Persönlichkeiten gewährleisten ein Höchstmaß von Bindung an das Gesetz, unter der einen Voraussetzung, die ebenfalls vorliegt, daß nämlich die Normen hinreichend exakt sind, 'daß sie präzise Anweisungen an die Exekutivorgane enthalten. Erfreulicherweise ist der Montanpakt so gestaltet worden, daß die einzelnen Bestimmungen über das, was den Exekutivorganen zur Richtschnur dienen soll, hinreichend genau abgefaßt sind. Sie gehen weit über den Rahmen unverbindlicher oder konkret schwer faßbarer allgemeiner Anweisungen hinaus.
Diese entscheidende Sach- und Rechtslage hat Kollege Dr. Schmid in der ersten Lesung nicht gebührend gewürdigt. Denn sonst hätte er in der 161. Sitzung vom 12. Juli nicht folgendes ausführen können:
Dann ist noch der Gerichtshof da. Aber dieses Gericht kann nach seiner Zuständigkeit über wirtschaftliche Tatbestände nicht entscheiden. Es ist ihm untersagt,
— so fuhr Kollege Schmid fort —
die wirtschaftlichen Tatsachen und Umstände zu prüfen, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht. Insoweit als Faktisches zweifelhaft ist, wird der Gerichtshof keine Hilfe sein können. Diese Beschränkung seiner Kompetenz ist natürlich und normal. Ein Gericht kann solche Entscheidungen nicht treffen. Man sollte sich dann aber nicht von diesem Gericht wesentliche Hilfe versprechen.
Diese Ausführungen, die damals Kollege Schmid gemacht hat und die einen wesentlichen Punkt des Schuman-Vertrags wenigstens ansprechen, sind falsch; sie sind rechtsirrig. Sie sind nach dem Vertrag unhaltbar. Um dies darzutun, muß ich in eine genaue Darlegung eintreten, inwieweit die richterliche Nachprüfung des wirtschaftlichen Ermessens der Hohen Behörde beschränkt ist.
Die Beschränkung der Hohen Behörde ist im letzten Satz des Abs. 1 von Art. 33 des Schuman-plans ausgesprochen. Er beschränkt in gewissem Umfang die richterliche Nachprüfung. Aber diese Beschränkung ist sehr eng gefaßt. Die Beschränkung schließt nämlich die richterliche Nachprüfung insoweit nicht aus, als sich die richterliche Nachprüfung auf Tatsachenfeststellungen richtet, mag es sich bei diesen Feststellungen auch nur um solche schätzender Art handeln. Die Beschränkung des Gerichts bezieht sich nur auf wertende Würdigungen, nicht aber auf Tatsachenfeststellungen. Selbst bei den wertenden Würdigungen sind diejenigen ausgeschlossen, die die einzelnen Elemente für eine Subsumtion geben. Lediglich die Gesamtwürdigung einer Lage ist ausgeschlossen, nicht aber eine Einzelwürdigung, die sich unmittelbar auf wirtschaftliche Tatsachen gründet. Die Hohe Behörde ist nur insoweit beschränkt, als sie, aus den Elementen des Urteils ihre Würdigung zusammenfassend, ein Bild der Gesamtlage abgibt. Das zusammenfassende Subsumtionsurteil unterliegt der Beschränkung nach Art. 33 Abs. 1 letzter Satz, nicht aber ein Einzelurteil und nicht die Tatsachenfeststellung, auch wenn sie nur geschätzter Art ist.
Auch soweit die Beschränkung Platz greift, bleibt aber ein sehr weiter Raum der Nachprüfung. Wenn beispielsweise der Vorwurf erhoben wird, daß sich die Hohe Behörde von -unsachlichen, insbesondere politischen Motiven habe
leiten lassen, kann unter diesem Gesichtspunkt schlechthin unbeschränkt in die Nachprüfung ein-. getreten werden.
Gleiches gilt, wenn 'der Vorwurf eines Rechtsverstoßes erhoben wird. Auf den Vorwurf des Rechtsverstoßes hin ist das Gericht nicht nur nicht gehindert, sondern im Gegenteil genötigt, in die Nachprüfung einzutreten. Weiter ist hervorzuheben, daß in wichtigen Fällen die Beschränkung nach Art. 33 Abs. 1 überhaupt nicht Platz greift.
Schließlich bleibt darauf hinzuweisen, daß die Möglichkeit, das Verfahren der Rechtskontrolle wirksam zu machen, insofern außerordentlich erleichtelt wurde, als sowohl der Ministerrat wie auch jeder einzelne Mitgliedstaat, die Unternehmen und die Verbände den Gerichtshof anrufen können, die Unternehmen zusätzlich auch im Verfahren der Inzidenzkontrolle, wenn gegen sie Strafen festgesetzt werden sollen.
Der Zusammenhang all dieser Bestimmungen, die reichen Zuständigkeiten, die der Behörde gegeben sind, dazu der umfassende Charakter der Normen haben 'Kritiker des Schumanplans zu dem Vorwurf geführt, daß im Schumanplan geradezu ein „justizstaatlicher Fanatismus" wahrnehmbar sei.
Nun wird diese ganz intensive, von allen Beteiligten jederzeit leicht geltend zu machende richterliche Kontrolle durch die politische Kontrolle der Versammlung ergänzt. Ich hatte schon darauf hingewiesen, daß der Natur dieses Vertrages gemäß von einer gesetzgebenden Funktion dieser Versammlung eigentlich keine Rede sein kann, weil das Gesetzesrecht prinzipiell abschließend im Vertrag selbst festgesetzt ist und es sich lediglich darum handeln kann, daß zu diesem Gesetzesrecht, I wie bei allen Gesetzen, Verwaltungsanordnungen erforderlich sein können. Im übrigen kommt nur der -Akt der gemeinschaftsinternen sogenannten „kleinen Revision" in Frage. In diesem Falle ist aber die Versammlung als gesetzgeberisches Organ bei dem Vorgang der Revision beteiligt.
Wesentlicher als die gesetzgebende Aufgabe der Versammlung ist, wie gesagt, die direkte Kontrolle der Hohen Behörde. Wir bedauern mit der Sozialdemokratie, daß es nicht möglich war, der Versammlung ausgedehntere Kontrollrechte gegen-. über der Hohen Behörde zu geben. Immerhin darf nicht verkannt werden, daß die Versammlung nicht nur während der vorgesehenen ordentlichen Tagung der Versammlung in jedem Jahr im Zusammenhang mit der Erstattung des Jahresberichts die Hohe Behörde stürzen kann, sondern es muß doch gesehen werden, daß die Versammlung ein Selbstversammlungsrecht und auch wenigstens das Recht parlamentarischer Interpellation an die Hohe Behörde erhalten hat.
Die Stärke der demokratischen Garantie, die im Montanpakt liegt, kann also nur erfaßt werden, wenn man außer der demokratischen Kontrolle der Versammlung gegenüber 'der Hohen Behörde auch die außerordentlich intensive richterliche Kontrolle gegenüber dem Exekutivorgan sieht. Das Schwer-' gewicht liegt dabei natürlich in der richterlichen Kontrolle; und sie ist ganz außerordentlich wesentlich in einem Anfangsstadium neuer europäischer Geschichte, damit das europäische Gemeininteresse gerade durch Instanzen von richterlicher Objektivität sauber entwickelt wird.
Wir sind uns darüber im klaren, daß es von schlechthin entscheidender Bedeutung ist, für die Hohe Behörde Persönlichkeiten zu gewinnen, die ein ganz starkes, ausgeprägtes Empfinden für die Notwendigkeit der Entwicklung des europäischen Gemeininteresses haben. Auch hier ist es so, daß der Geist der Institutionen in nicht geringem Maße durch den guten oder bösen Willen der Persönlichkeiten bestimmt wird, die in diesen Institutionen tätig sind.
Und da möchte ich das eine hervorheben: Es ist nicht richtig, was Kollege Schmid schon in der ersten Lesung des Schumanplans gesagt hat und was heute auch von den verschiedensten sozialdemokratischen Rednern wiederholt wurde — daß nur zu wählen sei zwischen der Verleugnung des nationalen Interesses und der Wahrnehmung des europäischen Interesses. Als ob nationales Interesse und europäisches Interesse kaum in Einklang zu bringen wären! Es ist vielmehr im Gegenteil so, daß heute das wohlverstandene Nationalinteresse in der Wahrung des europäischen Gesamtinteresses liegt. Das wird sehr schnell hervortreten, wenn gerade durch die Beseitigung der Handelsschranken, der Zollschranken, der politischen Grenzen in ihrer wirtschaftlich trennenden Bedeutung ein gemeinsamer Markt geschaffen wird, der im Europa dieses Jahrhunderts genau dasselbe zur Folge haben wird, was im 19. Jahrhundert die deutsche Zollunion auf deutschem Boden zur Folge hatte,
nämlich eine Potenzierung, eine Vervielfältigung der Leistungsfähigkeit des Marktes und damit eine Vervielfältigung der Produktionsmöglichkeiten und der Beschäftigungsmöglichkeiten.
Der Schutz gegen den Mißbrauch der Möglichkeiten, die im Schumanplan liegen, ist natürlich auch nicht mit völliger Sicherheit durch die Art der Zusammensetzung der Hohen Behörde und der anderen Organe zu erreichen. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, auf eines darf man vertrauen: der Druck, der auf Europa lastet, wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch mehr als bisher dahin wirken, daß die europäischen Völker stärker, als es die Vergangenheit zuließ, ihr Gemeininteresse erkennen. Und je größer der zeitliche Abstand vom zweiten Weltkrieg mit seinen seelischen und geistigen Verwüstungen wird, um so mehr müssen die europäischen Völker zur Klarheit geweckt werden, damit ihnen bewußt wird, daß sie zusarrhmenstehen müssen, um gemeinsam der Gefahr aus, dem Osten begegnen zu können. Entweder: sie gehen einzeln unter oder — diese Wahl haben sie — sie bestehen gemeinsam. Und wir sind gemeinsam mit` den anderen Völkern des Westens entschlossen, die vom Osten drohende Gefahr zu bannen.
Aus diesen Gründen darf man auch nicht glauben, eben weil die 'Entwicklung eines europäischen Gemeininteresses in den nächsten Jahren schnelle Fortschritte machen wird, daß wir in der MontanUnion — sei es nun in der Hohen Behörde oder im Beratenden Ausschuß oder in der Versammlung bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Fragen — immer einer geschlossenen Einheit der anderen Länder gegenüberstünden. Das wird nicht der Fall sein. '
Wie richtig unsere Annahme ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, dürfte sich am überzeugendsten daraus ergeben, daß 'dieselbe Befürchtung, die hier von deutscher Seite geäußert wird,
drüben in Frankreich bei der Kammerdebatte sehr überzeugend von französischer Seite dargelegt wurde:
Es besteht die Gefahr, daß die Stimme Frankreichs in den Organen der Gemeinschaft des Schumanplans und insbesondere in der Hohen Behörde und im Ministerrat nicht zur Geltung kommt. Denn es steht nichts im Vertrag, was die Bildung einer Konvention gegen die französischen Interessen verhindert.
Das sagte in der französischen Kammerdebatte der Abgeordnete Adolphe Aumeran, ein Unabhängiger, und darauf erwiderte der Außenminister Schuman unter Hinweis auf dieselben entscheidenden 'Gesichtspunkte der Entwicklung eines europäischen Gemeininteresses:
Die Mitglieder der Hohen Behörde werden stets und in jeder Beziehung im Dienste einer Gemeinschaft stehen, in der sich die nationalen Interessen verschmelzen. Jedes Land wird von dem Reichtum der Gesamtheit profitieren, und dieses Gefühl wird uns von einem Protektionismus befreien, ,der uns nur illusorische Garantien gebracht hat. Er weicht einer engen und tatsächlichen Solidarität der Interessen, die uns in wirksamer und dauerhafter Weise schützen wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesen Ausführungen des Außenministers Schuman ist sehr richtig der entscheidende Kern enthüllt, daß wir in Europa einer Entwicklung entgegengehen, daß wir eine Entwicklung verwirklichen müssen, die zur Folge hat, daß das europäische Gemeininteresse als ein Mittel erscheint, um am besten den Interessen der einzelnen Völker der europäisehen Staaten zu dienen.
Herr Kollege Schmid hat in der ersten Lesung gemeint, es werde die Objektivität der Personen in der Hohen Behörde und auch der Persönlichkeiten im Gericht der Montan-Union um so weniger gewährleistet sein, als das Damoklesschwert einer kurzfristigen Vertragsauflösung nicht über der Montan-Union schwebe. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es schwebt ein ganz anderes Damoklesschwert als Gefahr über der Europagemeinschaft. Diese Gefahr ist die einer unheilbaren Entwertung des Europagedankens. Jeder Mißbrauch im Rahmen der Hohen Behörde, jeder Mißbrauch im Rahmen des Gerichts, der von den europäischen Völkern empfunden wird, bringt die Gefahr mit sich, daß das, was wir brauchen: den Schritt nach vorn zur Verwirklichung Europas, verhindert wird, daß eine Entwicklung eintritt, die die europäischen Völker wieder in die Isolation 'voneinander treibt. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, in dem Maße, wie die nationalstaatlichen Barrikaden zwischen den europäischen Völkern wieder in die Höhe wachsen, in dem Maße, wie sich diese Völker mißverstehen, in dem Maße, wie sich diese Völker wieder entfremden, wie sie dann ein Opfer des Mißtrauens werden, ein Opfer der Eifersucht, ein Opfer schließlich des Hasses — in dem Maße wachsen die Chancen für den Träger der Gefahr aus dem Osten.
Wir können uns aber nicht denken, daß die Regierungen und die Persönlichkeiten, die von ihnen mit entscheidenden Aufgaben in der Hohen Behörde und in den anderen Organen betraut werden, keinen Sinn haben für das, was heute in Europa auf dem Spiele steht: der Verlust oder aber die Sicherstellung der Existenz der einzelnen europäischen Völker im Rahmen einer Gemeinschaft dieser europäischen Völker nicht nur, sondern darüber hinausreichend aller freien Völker der Welt.
Wenn der Schumanplan seinen Zweck, Schrittmacher der europäischen Einheit zu werden, erfüllen soll, dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, dann nur über eine sehr lang dauernde Bindung, eine fünfzigjährige Bindung, die besagt, es soll dieser Schritt nicht wieder rückgängig gemacht werden; eine fünfzigjährige Bindung, die besagt, es soll kein Zurück mehr in die nationalstaatliche Zerrissenheit geben, es soll nur ein Vorwärts geben zur wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas. Die fünfzig Jahre bieten uns die Gewähr dafür, daß binnen fünf Jahren der Schumanplan durch eine europäische Föderation überholt ist.
Darin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liegt kein Vorbehalt gegenüber dem Schumanplan, sondern damit ist nur die 'Überzeugung ausgesprochen, daß wir eine stärkere und umfassendere Einheit in Europa brauchen, als sie der Schumanplan als Ausgangsstadium herstellen konnte. Der Schumanplan ist nur ein Anfang auf einem Wege, der gerade durch 'den Willen zu einer langen Bindung beschleunigt zurückgelegt werden kann. Der Schumanplan wird nicht entmutigend wirken in Europa, er wird nicht entmutigend wirken sonst in der Welt, er wird nicht entmutigend wirken in den USA, sondern er wird überall als das Zeichen für einen hoffnungsvollen Start empfunden werden. Er wird überall die Hoffnung in die Zuversicht verwandeln, daß dieser SchumanplanGemeinschaft bald andere begrenzte Gemeinschaften folgen werden und daß diese verschiedenen begrenzten Gemeinschaften, wie beispielsweise die Verteidigungsgemeinschaf t, auch dazu beitragen werden, den hündischen Gedanken als solchen so schnell zu entwickeln, daß die Völker in zwei, drei oder fünf Jahren zu einer totalen Vereinigung, einer Vereinigung in einem bündischen Staat, in einem Bundesstaat bereit sein werden, für die sie heute noch nicht reif sind. Der Schumanplan ist ein Anfang.