Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Veit sind zwei Grundthesen erkennbar gewesen, die von der sozialdemokratischen Opposition in den außenpolitischen Fragen bereits seit längerem vorgebracht werden. Die erste dieser Thesen lautet, man dürfe diese Hoheitsrechte nicht an die Vertretungen der Regierungen übertragen, der nationalen Regierungen, die in ihrem Verhalten nach dem Siege über Deutschland eine den Lebensinteressen Deutschlands abträgliche Haltung bewiesen hätten; nach dem Konzept der Sozialdemokratischen Partei sei es nur möglich, ein Europa zu bauen, in dem solche Rechte an eine demokratisch kontrollierte und demokratisch zustande gekommene Regierung abgegeben würden. Das war die eine der Grundthesen.
Die zweite These lautet, das, was man an Verbesserungen des Status unseres Landes erkennen könne, sei eine Folge und Frucht der Weltlage; wir sollten damit rechnen und Zurückhaltung üben, damit sich die Dynamik dieser Weltlage auf uns auswirken könne, damit uns Früchte als Geschenke in den Schoß fielen, die wir so nur durch Aufgabe von Positionen mühsam erwerben würden.
Ich kann beide Grundthesen, die von Herrn Kollegen Veit namens der Opposition vorgetragen worden sind, nicht anerkennen. Die erste, daß man nur an eine demokratisch zustande gekommene Organisation Rechte übertragen dürfe, setzt einen Perfektionismus voraus, setzt nämlich voraus, daß die gesamteuropäische Verfassung in allen ihr zugrunde liegenden politisch überaus schwierigen Fragen, daß die Verfassungswirklichkeit Gesamteuropas bereits vollendet ist. Diese These bedeutet also, wenn man den Unterschied zwischen Verfassungswirklichkeit und den juristischen Formen einer Verfassung zu verstehen und anzuerkennen vermag, daß man nicht bereit ist, den Weg des konkreten praktischen Herausbildens einer solchen neuen politischen Form mitzugehen, daß man etwas vorwegnehmen will, das überhaupt erst noch geschaffen werden muß. Das bedeutet also eigentlich die Verneinung eines praktischen Weges, auf dem eine Einigung Europas überhaupt nur zustande kommen kann. Denn dieses, das Bilden einer demokratischen Regierung auf der Grundlage einer demokratischen Kontrolle und eines demokratisch gewählten Parlaments, durch Urwahlen in ganz Europa zustande gekommen, wäre ,die Krönung, der Schlußstein der europäischen Einigung. Aber jeder, der die Dinge — wie Herr Kollege Veit es ausgedrückt hat — nüchtern und realistisch in ) ihrer unerhörten Schwierigkeit, unter der sie im Völkerleben zustande kommen, zu beurteilen weiß, wird zugeben müssen, daß man nicht mit dieser Krönung des Baues anfangen kann.
Die zweite These ist die der Dynamik der Weltlage. Natürlich, das, was an Besserung bei uns zu verzeichnen ist — ich nenne es: große Erfolge unserer Bundesregierung —, hat in der allgemeinen Dynamik der Weltlage seine Begründung, seine Voraussetzung. Aber es ist doch von jeher die staatsmännische, die diplomatische Aufgabe, die Aufgabe einer Außenpolitik, sich den Gegebenheiten der Weltlage in günstiger, befördernder Form anzupassen. Also hinter diesem Argument, daß die gebratenen Tauben uns sozusagen in den Mund fliegen könnten, versteckt sich meiner Ansicht nach ein ganz anderes, nämlich das von der Außenpolitik der Passivität, des Sich-Versagens. Verzeihen Sie, meine Herren von der Opposition, ich habe hier doch die Befürchtung, ich möchte nicht sagen: den Verdacht — das wäre nicht ganz fair —, aber die Befürchtung, daß sich dahinter ein Konzept verbergen könnte, das haargenau und sehr scharf beim Konzept der Neutralisierung landen könnte.
— Nein, das ist meine Überzeugung; denn ich bringe hier keine Argumente vor, die sozusagen nur hergesucht wären, um der Opposition etwas am Zeuge zu flicken.
-- Nun, ich kann Sie nicht überzeugen, Herr Kollege Schoettle.
— Jedenfalls kommt es mir besonders bei diesem Gegenstand darauf an, in wirklicher Überzeugung zu sprechen; denn das, was hier geschaffen werden soll, trifft Sie genau so wie uns. Die Verantwortlichkeiten, die zu tragen sind, sind unter allen Umständen von Deutschland gemeinsam zu tragen. Deshalb wäre es sehr wenig angebracht, Argumente vorzutragen, die nicht ganz stichhaltig sind. Sie müssen mir aber schon, wenn zwei so wichtige Grundthesen von Herrn Kollegen Veit vorgetragen werden, das Recht zugestehen, daß ich dagegen auch unsere Argumente ins Feld führe. Ich halte diese Thesen, wie gesagt, nicht für stichhaltig.
Ich habe auch nicht behauptet, daß jene These von der automatischen Wirkung der Dynamik der Weltlage, die uns mühelos Erfolge in den Schoß werfen könnte, identisch sei mit einer These der Neutralität. Aber sie setzt immerhin Passivität voraus, und aus einer außenpolitischen Haltung der Passivität
und des Sichversagens, des Nein-Sagens — einer Haltung, die die Äußerlichkeit sehr charaktervoller Festigkeit für sich hat — können, wenn Sie die Dynamik der Weltlage betrachten, Konsequenzen entstehen, die auf ein Neutralisierungskonzept hinauslaufen.
Gegen dieses verderbliche, wahrhaft gefährliche Konzept machen wir allerdings — und ich glaube, ich darf sagen — von seiten der Regierungskoalition und auch noch von seiten anderer Elemente dieses Hauses mit aller Energie Front.
Wir sind der Auffassung, daß man auf dem Gebiete der Außenpolitik nicht jenen bekannten Spruch anwenden darf:
Und was Natur und Zeit getan,
das sieht man dann als Besserung an.
Es kommt wohl darauf an, das, was Natur und Zeit tut, in seinen Zeichen richtig zu erkennen, also die geschichtlichen Ströme in die geeigneten Kanäle oder ihr Wasser auf unsere Mühlen zu leiten, damit etwas Konstruktives geschaffen wird. Durch reines Zusehen und durch eine Haltung des verderblichen Trotzes -- möchte ich beinahe sagen — werden wir wohl bei der heiklen Situation, in der sich Europa und namentlich unser Land befinden, nicht Wesentliches in der Außenpolitik befördern können.
Deshalb ist es falsch — wir haben das Beispiel in der deutschen Politik bereits einmal gehabt —, das, was man an Anpassung an die Weltlage tut, um ihre Dynamik für uns wirksam zu machen, vor der öffentlichen Meinung als eine Art — wie soll ich mich ausdrücken — Erfüllungspolitik zu bezeichnen. Wir haben diese Tragödie in Deutschland einmal gehabt. Das ist sehr gefährlich; denn wer sich nicht mit den Einzelheiten befaßt, wird schwer das Urteil fällen können, was nun eine Nachgiebigkeit ist, Nachgiebigkeit im Sinne einer Unterwerfungspolitik, oder was als konstruktiver Beitrag zu werten ist, um die Zukunftsentwicklung der Welt zu erleichtern.
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich noch mit anderen Argumenten des Herrn Kollegen Veit
juristisch auseinandersetzen. Er hat als undemokratisches Beispiel darauf hingewiesen, daß die Hohe Behörde nur einmal im Jahre durch ein Mißtrauensvotum der Versammlung gestürzt werden könne und daß dann die Regierungen die Mitglieder dieser Hohen Behörde noch einmal ernennen könnten, so daß die Krise, die da entstanden sei, sich weiterhin ein ganzes Jahr hinschleppen müsse. Diese Regelung hat Herr Kollege Veit als nicht parlamentarisch bezeichnet. Natürlich, sie ist auch nicht parlamentarisch, weil nämlich weder die Hohe Behörde mit einer Regierung 'und einem Ministerium gleichgesetzt werden kann, noch die kontrollierende Versammlung den Charakter eines ausgewachsenen Parlaments hat und weil auch weder die Funktionen der Hohen Behörde noch die der übrigen Organe mit dem echten vollen Begriff des Regierens und der Regierung erfaßt werden können. Es ist nämlich nur eine besondere Form übernationaler Administration, eine Form allerdings, die in sich die Möglichkeit enthält, sich weiter zu vollen politischen Formen auszuwachsen. Damit wären wir bei dem Grundgedanken des ganzen Vertragswerkes angelangt.
Immerhin sind im Falle des Mißtrauensvotums auch diejenigen Vertreter des Landes mitbeteiligt, deren Regierung dann entgegen dem Willen der Delegierten dieselben Mitglieder der Hohen Behörde wieder bestellt. Das sind dann Fragen, die in den nationalen Parlamenten ausgetragen werden 'müssen. Aber das ist gar nichts Besonderes. Das gibt es bei anderen Ernennungen in internationale Gremien auch, wenn die nationalen Parlamente mit Entscheidungen ihrer Regierungen nicht einverstanden sind. Hieraus ein nennenswertes Argument gewinnen zu wollen, erscheint mir reichlich übertrieben.
Über den Charakter der Versammlung habe ich mich bereits ausgelassen. Diese Versammlung ist nicht gleichzusetzen mit einem Parlament, sondern sie hat nur parlamentsähnliche Funktionen. Auf der anderen Seite geht ihre Kontrolle im Hinblick auf die Administration, auf die Exekutive wesentlich weiter, als es nach dem normalen parlamentarischen Staatsrecht der Fall ist. Die Bildung eines Organs auf supranationaler Ebene, und das ist etwas völlig Neues, darf- man nicht den überkommenen dogmatischen Begriffen des Staatsrechts unterstellen, um daraus eine Kritik zu schöpfen, die an die Wurzel der Dinge zu gehen abzielt. Deshalb ist das Schlagwort von der sogenannten scheindemokratischen Attrappe, das hier gewählt worden ist, eine Verkennung des Wesens dieses übernationalen Gebildes überhaupt. Ich habe auch den Eindruck, daß die Opposition das Arsenal ihrer Argumente aus sehr vergangenen Tagen nimmt. ich möchte feststellen, daß sich der konservative Geist dieser wohl heute in Deutschland ältesten Partei — neben der unsrigen — sehr stark geltend macht. Es ist ein Begriffsschema, von dem sich zu lösen die Sozialdemokratische Partei sehr schwer fertigbringt. Sie denkt im Programm; sie denkt in einem logisch gegliederten System.
Ich möchte aber mir doch erlauben zu sagen, daß gerade beim Werden internationaler Neuschöpfungen jener konservative Geist in Gefahr gerät, rückschrittlich, nämlich reaktionär zu werden, d. h. Zustände zu verhärten und mit Erbitterung festzuhalten mit dogmatischer — verzeihen Sie mir —
Sturheit. Daraus entstehen erhebliche Hemmungen
für die Entwicklung.
Deshalb können wir die sorgfältige Analyse der Opposition, auch die Einwände im Zusammenhang mit den Problemen, die bei dieser schicksalhaften Frage von ihr aufgeworfen worden sind, nur begrüßen. Allerdings müssen es auch echte Einwendungen sein und nicht solche, die aus Selbstzweck erhoben werden, die dann den Verdacht aufkommen lassen, daß man in Wahrheit etwas ganz anderes will, und sich nur hinter einem Schleier von Argumenten versteckt, von deren Nichtstichhaltigkeit man selber überzeugt ist.
Es sind eine ganze Reihe sehr stichhaltiger Argumente da, deren Prüfung bereits in der Delegation
im Ausschuß für Wirtschaftspolitik vorgenommen
worden ist. Ich möchte dazu sagen, daß der vortreffliche Bericht, der von unserem Kollegen
Preusker gemacht worden ist, deutlich erkennen
läßt, wie man den etwa vorhandenen juristischen,
sozialpolitischen oder wirtschaftspolitischen Schwierigkeiten keineswegs aus dem Wege gegangen ist.
Für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ist die Frage des Art. 24 von Bedeutung. Niemand kann mehr Rechte übertragen, als er selber hat. Herr Kollege Veit hat dieses Argument vorgebracht. Falls die Verfassung eine solche Übertragung nicht zuließe, enthält dieses Argument den Vorwurf einer Verfassungsverletzung. Meine Damen und Herren, es kann sein, daß dieses Argument im Bereich des Südweststaats und bei den Dingen, die da kommen — unter Umständen auch, um Sympathien bei den Föderalisten zu erwerben —, noch mehrfach vorgebracht wird. Ich möchte daher alle, die sich damit auseinandersetzen wollen, auf die Äußerungen von Professor Erich Kaufmann hinweisen, die er im Bundesrat gemacht hat. Hier nur zum Verständnis kurz, worum es sich handelt, warum dieses von Herrn Kollegen Veit vorgebrachte Argument nicht stimmen kann.
Es gibt eine ganze Reihe internationaler Institutionen, wie z. B. die Donauschiffahrtskommission, die Rheinschiffahrtskominission, an die auch früher bereits Hoheitsrechte abgetreten worden sind. Dieses Abtreten von Hoheitsrechten ist überhaupt
nicht so etwas Neues und Umstürzendes. Das hat es praktisch bei jedem größeren politischen internationalen Vertrag, mit dem irgendeine Institution eingerichtet wurde, schon gegeben. Diese Schifffahrtskommissionen können, wenn mich mein Gedächtnis jetzt nicht im Stich läßt, auch als Appellationsgerichtshöfe Recht sprechen, und zwar auf dem Territorium eines anderen Staates. Es ist doch ganz zweifelsfrei, daß die Gerichtshoheit eine Sache der Länder ist. Niemand wird aber vernünftigerweise bestreiten können, daß ein solcher Vertrag von der Bundesrepublik im Rahmen ihrer außenpolitischen Kompetenz abgeschlossen werden könnte, durch die also Hoheitsrechte, die zweifellos Rechte der Länder sind, wie die Gerichtshoheit auf einem Teilgebiet, an ein internationales Organ abgetreten werden können.
Außerdem ist es auch möglich — und das wird niemand bestreiten —, daß z. B. internationale Umsiedlungskommissionen geschaffen werden, die dann auch auf dem Territorium eines Landes zweifellos den Ländern zustehende Hoheitsrechte auszuüben in der Lage sind;, sonst könnten diese Kommissionen überhaupt nicht arbeiten.
Das ist alles anerkannter Brauch. Selbst in einem solchen Bundesstaat, wie es Deutschland noch zu Anfang der Bismarckschen Verfassung war, ja auch zur Zeit des Norddeutschen Bundes hat man solche Kompetenzen nicht bestritten. Ich gehe sogar noch weiter. Sogar beim Deutschen Bund, der nur ein Staatenbund und noch nicht einmal ein Bundesstaat war, gab es Fälle solcher Bundeskompetenzen. Das Argument, Art. 24 trage bundesverfassungsrechtliche Beschränkungen in sich, ist nicht zutreffend. Wenn gewisse, die bundesstaatliche Struktur der Bundesrepublik weitgehend beeinträchtigende Rechte übertragen werden sollten, dann kann ein besonderes Mitwirkungsrecht der Länder in Frage kommen; eine Frage, die juristisch bei dem Kohle-und Stahlpakt aber noch nicht zu entscheiden ist. Immerhin, die Bundesrepublik beruht nicht wie dereinst die Bismarcksche Verfassung zugleich auf einem völkerrechtlichen Vertrag, so daß man bei der Bismarckschen Verfassung noch viel eher jene Rechtsfigur, die Herr Kollege Veit erwähnt hat, in Frage ziehen könnte; aber selbst in der Bismarckschen Verfassung 'ist niemand auf den Gedanken gekommen, in der außenpolitischen Handlungsfähigkeit des damaligen alten Reiches irgendwelche binnenstaatlichen Beschränkungen zu behaupten. Im übrigen kennen Sie ja den Initiativantrag der Koalition, der dem administrativen Bedürfnis der Länder Rechnung tragen wird, eine gewisse Mitwirkung bei der Instruktion unseres Vertreters im Ministerrat zu erhalten.
Ich möchte mich über die Argumente rein polemischer Art, die sonst vorgebracht worden sind, nicht näher verbreiten; aber eines sollte man — mir fällt gewissermaßen die Aufgabe zu, die völkerrechtliche Bedeutung des Paktes etwas darzulegen — sich vielleicht doch einmal klarmachen: Worin besteht der fundamentale Unterschied dieses Vertrags zu allen bisher auf dem Gebiet des Völkerrechts zum Zwecke der Zusammenarbeit gemachten Erfindungen? Zunächst haben wir den Völkerbund gehabt, eine Institution, die auf dem Prinzip aufgebaut war, das im späteren Vernunftnaturrecht entwickelt ist, auf der Gleichheit der Staaten, der klassischen Souveränität der Staaten. Sie wissen, der Völkerbund ist an diesem Prinzip gescheitert. Der nächste Versuch war die UNO, die bereits de facto eine Ungleichheit der Rechte, zwar nicht der Theorie nach, aber doch dem politischen Faktum nach, schuf. Es gibt in der UNO, und zwar im Sicherheitsrat, privilegierte Staaten, Großstaaten, nämlich diejenigen, die praktisch allein noch imstande sind, den rechtlichen Begriff der Souveränität tatsächlich, machtpolitisch auszufüllen. Darin ist nun einmal das Völkerrecht in einer tiefen Wandlung begriffen. Aber auch noch unter einem anderen Gesichtpunkt sind die Organisation der Vereinten Nationen -und ihre völkerrechtliche Verfassung interessant. Sie beruhen auf der Erwartung, daß die Kriegskoalition der Sieger auch als eine Friedenskoalition übernommen werden könnte. Diese Erwartung ist nicht erfüllt worden.
Betrachten wir nun noch einen weiteren Vertrag. Ich meine das Brüsseler Abkommen. Auch dieses Abkommen, das schon einen Schritt näher an die heutigen modernen europäischen Verträge und ihre Zielsetzung heranreicht, beruht noch auf dem Prinzip der Siegerkoalition und der Diskriminierung der ehemaligen Feindstaaten. Dort sind die wirtschaftlichen Fragen den politischen und militärischen Fragen untergeordnet.
Gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir haben die OEEC. Es steht mir nicht an, gegenüber dieser für Europa und auch für uns überaus segensreichen Institution eine Kritik anzubringen. Aber immerhin, eines hat die OEEC nicht verhindern können: daß zum Teil die wirtschaftlichen Mittel in Industrien investiert worden sind, bei denen sie ökonomisch nicht richtig angewendet waren, so daß mit diesen Hilfeleistungsbeträgen nicht der höchste ökonomische Nutzen erzielt werden konnte. Woran liegt das? Es liegt daran, daß meist ein Kongreß von Gesandten das dirigierende Organ ist. Es ist meist in der klassischen Form internationaler Zusammenarbeit zusammengesetzt. So kommt der volle nationale Egoismus, oder wollen wir besser sagen: das uneingeschränkte Bedürfnis eines einzelnen Staates zur Geltung und ist dann bestrebt, sich machtpolitisch durchzusetzen.
Noch einen Schritt weiter ist man mit dem Europarat — in seiner Zielsetzung, nicht so sehr in seiner Praxis — gegangen. Dort hat man zwar das Einstimmigkeitsprinzip verlassen, das den Ideen des klassischen Völkerrechts von der Gleichheit der Staaten und der Vorstellung entspricht, daß sich über der Souveränität kein Rechtsraum mehr wölben könne. Immerhin, dieser Ministerrat kann nur Empfehlungen erteilen, und nach dem ursprünglichen Statut des Europarats kann die Versammlung wiederum nur dem Ministerrat Empfehlungen erteilen, so daß wir also eine Kette von Empfehlungen haben. Wenn man diese Entwicklung betrachtet, so findet sich immerhin, daß das politische Gewicht des Europarats wesentlich über seine verfassungsrechtliche, statutarische Kompetenz hinausgewachsen ist. Es liegen dort — aber das ist nicht das Thema dieses Tages — die Vorschläge vor, zu einer politischen Organisation mit echten Befugnissen zu kommen. Sie wissen, daß sich das System durchgesetzt hat, zunächst einmal auf Einzelgebieten Behörden zu schaffen, denen echte Befugnisse, aber begrenzte Funktionen zuerteilt werden. Ich glaube, daß wir es uns jetzt im Rahmen der gesamteuropäischen Entwicklung nicht mehr erlauben dürfen und leisten können, einen Rückschritt zu machen und von dieser funktionalistischen Methode kopfüber in eine ultra-etatistische Methode zurück-
zufallen, wie sie letzthin aus dem Konzept der Sozialdemokratie hervorgeht.
Das Neue, das hier geschaffen wurde, ist, daß man den Mut gehabt hat, über das alte System diplomatischer Koordination hinauszukommen, nicht nur zu einem System der Kooperation, sondern der Kogestion. Ich vermeide es, in diesem Stadium von einer supranationalen Wirklichkeit zu sprechen, und da gestatten Sie mir, von einer Grundvorstellung auszugehen, die ich vorhin schon anklingen ließ: im Rechtsleben muß man die Erkenntnis haben, daß ein Staat nicht allein durch einen juristischen Akt zu schaffen ist,
sondern daß die politische Wirklichkeit, die politischen Tatsachen vorher vorhanden sein müssen, ehe man die entsprechende Rechtsform findet. Das Ziel dieses Vertragswerks ist es, diese politischen Wirklichkeiten zu schaffen. Dann ist und wird .dieser Stahlpakt gewissermaßen der Vorreiter für die Bildung einer echten europäischen Gemeinschaft sein.
Ich habe es hier mehrfach schon ausgedrückt: ich glaube, wir sollten uns nicht dem alten begrifflichen Dogmatismus beugen, sondern wir sollten zusehen, was nachher aus diesen einzelnen Organen und ihrer politischen Zusammenfassung wird. Es wird dann der Rechtswissenschaft nicht mehr schwer sein, nachträglich den richtigen neuen Begriff, ob Staatenbund oder Bundesstaat oder Commonwealth oder Gemeinschaft oder wie man es nennen mag, zu finden. In unserem 20. Jahrhundert entstehen eben genau wie im vorigen Jahrhundert, als Bismarck an die Ausarbeitung seiner Verfassung heranging, neuartige Gebilde. Ich möchte bei der gesamten Argumentation, die sowohl aus dem Wirtschaftlichen wie aus dem Juristischen von seiten der Opposition vorgebracht worden ist, davor warnen, durch diese Argumente das Entstehen des Neuen zu verhindern. Denn der größte Teil auch ihrer wirtschaftlichen, auch ihrer sozialen und ihrer juristischen Einwendungen drücken im Grunde genommen Erwartungen, sehr pessimistische Erwartungen aus. Es sind Prognosen, aber es sind nicht Tatsachen; denn die Tatsachen,. die Sie gegen diesen Vertrag kritisch vorgebracht haben, müssen erst noch gestaltet werden, so daß für mich juristisch lediglich die Frage der Prüfung wert ist, ob in dem Vertrag Möglichkeiten vorhanden sind, die eine Zerstörung lebenswichtiger Interessen Deutschlands mit sich bringen.
Diese Möglichkeit kann durch ein frauduloses Auslegen der im Vertrag gegebenen Kompetenzen eintreten. Aber ich sehe, daß in diesen Vertrag auch ganz wesentliche Sicherungen eingebaut sind, insbesondere in der Gerichtsbarkeit und in der Art des Abstimmungsverfahrens, die die Herausbildung einer politischen und wirtschaftlichen Wirklichkeit, wie Sie sie als Prognose skizziert haben, nicht eintreten lassen. Ich befürchte, wenn man diesen Weg des real Möglichen, diese neue Konstruktion, politische Tatsachen und Voraussetzungen zu schaffen, damit eine europäische Einigung zustande kommt, nicht geht, dann hat man die einzig reale, die einzig wirkliche Chance verspielt, die überhaupt noch für eine europäische Einigung gegeben ist. Denn das, was Sie — ich meine damit die sozialdemokratische Opposition — als Ziel und als alleinige Voraussetzung einer europäischen Einigung vor die Öffentlichkeit stellen, dieses Ziel ist nach den Gegebenheiten Europas einfach nicht zu erreichen.
Ich habe noch etwas zu der Gerichtsbarkeit zu sagen, die ja nach den Stimmenverhältnissen im Rahmen des Paktes für uns die — auch im Bericht erwähnte — entscheidende Sicherung bietet. Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob dieses Gericht auch wirtschaftliche Tatsachen nachprüfen kann und dabei auf den Zusammenhang der Art. 33 und 37 hingewiesen worden. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß dieses Gericht insbesondere eine Klage prüfen kann, die auf détournement de pouvoir, d. h. amtlichen Mißbrauch behördlicher Befugnisse zu gesetzwidrigen Zwecken gestützt werden kann. Ich möchte ferner auf die außerordentlich wichtige Bestimmung des Art, 9 Abs. 2, wenn ich mich recht erinnere, hinweisen. Dort ist den einzelnen Mitgliedstaaten zur Pflicht gemacht worden, vergleichsweise ein bundesfreundliches Verhalten an den Tag zu legen. Auf diesen Tatbestand und auf den vorhin erwähnten, aus dem französischen Verwaltungsrecht entwickelten Klagegrund läßt sich praktisch jede Klage stützen.
Meine Herren von der Opposition, ich gebe Ihnen zu, daß eine absolute Sicherung in diesem Vertrag nicht enthalten ist. Es gibt juristisch überhaupt niemals absolute Sicherungen, und ein Wagnis bleibt ein Schritt in die Zukunft, immer. Es werden — ich bin davon überzeugt und stehe nicht an, das zu sagen — nicht alle Blütenträume reifen. Es ist zu begrüßen, daß man an diesen Vertrag mit einem sehr realistischen Sinn — ich darf das insbesondere für unsere Delegation in Anspruch nehmen, die diesen Vertrag ausgehandelt hat — herangetreten ist. Mit größter Umsicht sind fast alle Probleme bei Mitwirkung auch der Opposition, die viele echte und unechte Probleme aufgeworfen hat, geprüft und berücksichtigt worden. In der Geschichte des Völkerrechts hat es bisher wenige Verträge, wenige Gesetzgebungswerke gegeben, die so vollständig so viele Tatbestände berücksichtigt haben. Die inhaltliche Ausfüllung aber, und darauf kommt es an und dann erst käme dieses oder jenes Ihrer Argumente zum Zuge, steht noch dahin. Man verkennt das Wesen des Vertrages, wenn man von einem Teilbundesstaat spricht. Der Vertrag ist aber etwas vollkommen Neues, etwas, was der administrativen Ebene vergleichbar ist. Ich möchte das Wort des Herrn Staatssekretärs nochmals unterstreichen: Dieser Vertrag ist in seinem Funktionszusammenhang so angelegt, daß man im Falle von Schwierigkeiten letzthin immer nur den Durchbruch nach vorne vollziehen kann.
Eine böswillige Auslegung dieses Vertrags! Gewiß, wir Deutschen haben allen Anlaß, uns jede Möglichkeit vorher klarzumachen. Man sichert sich in Verträgen. Dazu sind Verträge da, daß man sie genau durchdenkt, wenn man sie zur Ratifizierung bringt. Aber die Dynamik nach vorn, die im Funktionszusammenhang des Vertrags angelegt ist, wird verhindern, daß die von der Opposition befürchteten böswilligen Entwicklungen eintreten können. Im Rahmen der Sicherungen enthält dieser Vertrag mehr, als bisher in völkerrechtlichen Verträgen üblich gewesen ist.
Zum Abschluß nur noch einen Punkt. Dieser Vertrag hat zwei Elemente. Einmal die zwischenstaatliche völkerrechtliche Seite, auf der das Gesetzgebungswerk und zum andern eine staatsrechtliche Seite, auf der der Funktionszusammenhang beruht. Deshalb ist es, wie Kollege Euler bereits erschöpfend ausgeführt hat, nicht mehr notwendig und auch nicht mehr zulässig, der Versammlung besondere legislative Befugnisse zu geben. Ich kann das Monitum des Ausschusses auf diesem Gebiet
nicht teilen. Auf der anderen Seite sind die Formulierungen aber elastisch genug gewählt, so elastisch gewählt, daß eine Fortentwicklung - denn der Kernpunkt des Vertrags sind Exekutivkompetenzen — dieses Vertrags ermöglicht wird. Dabei wird auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Rolle spielen. Der Plan ist elastisch für die Praxis und stabil in der Zielsetzung geschaffen worden. Ich glaube, später wird man diesen Vertrag, der Ausgangspunkt noch von vielen anderen Verträgen dieser Art sein wird, einmal als eine geniale Schöpfung auf dem Gebiete des Völkerrechts bezeichnen.
Noch ein anderer Punkt, die Frage Gesamtdeutschlands. Auch hier bewährt sich die elastische Technik des Vertrags. Wenn Sie den § 22 der Übergangsbestimmungen lesen, der sich mit dieser Frage befaßt, so können Sie aus ihm auch die wichtige Möglichkeit entwickeln, daß die Bundesrepublik und die Bundesregierung im Namen Gesamtdeutschlands zu handeln befugt ist. Sie hat damit auch im Rahmen der Montan-Union eine Stellung, die ihr im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung immer mehr zuwachsen möge. Gesamtdeutschland, d. h. das Gebiet der sowjetisch besetzten Zone, ist aus diesem Vertrag nicht ausgeklammert. Es ist nicht Ausland. Gerade dieser Punkt der Kritik der Opposition bedeutet eine Verkennung des Wesens des Vertragswerkes. Es ist nicht eine starre, zwischenstaatlich abgeschlossene Bindung, sondern eine Bindung, die erst in der Dynamik in der Zukunft verwirklicht wird.
Gewiß, das sind blasse Worte, Erwartungen. Aber gestatten Sie es mir, meine Damen und Herren von der Opposition, daß ich sie zum Ausdruck bringe. Sie haben die dunklen Erwartungen zum Ausdruck gebracht. Es sind auch nur Erwartungen. Beweisen können Sie von all dem nichts.
Wir bringen die zukunftsträchtigen Erwartungen zum Ausdruck.
Wir bekennen uns zu der für uns Deutsche wahrhaft lebenswichtigen Notwendigkeit, dieser Zukunft Bahn zu brechen.
Wir gehen dabei keine von einem gewissenhaften Juristen abzulehnende Bindung ein, die nicht vertraglich in vernünftiger Weise gesichert wird.
Meine Herren, wenn wir diesen ersten Versuch, Europa zu einigen und so etwas herzustellen, was einem echten Frieden näherkommt, scheitern lassen, dann überlegen Sie, wohin wir geraten. Wenn Sie alle Gespenster und Ängste der Vergangenheit dagegen mobilisieren, begeben wir uns in eine Gefahr, die noch weit mehr die Lebensinteressen Deutschlands bedroht als das Risiko, das uns gewiß auch in diesem Vertrag auferlegt ist. Ohne Risiko hat es noch niemals Politik gegeben!