Rede von
Dr.
Carlo
Schmid
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wahl.
Dr. Wahl: : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich will mich möglichst kurz fassen.
Zunächst etwas zur Geschichte der Idee, daß Wirtschaftsunionen eine Garantie für den Frieden sinIm August 1918 hat Walther Rathenau die Schrift
„An Deutschlands Jugend" verfaßt. in der es heißt
— ich bitte um Ihre Erlaubnis zur Zitierung —: Ein Völkerbund ist recht und gut, Abrüstung und Schiedsgerichte sind möglich und verständig; doch alles bleibt wirkungslos, sofern nicht als erstes ein Wirtschaftsbund, eine Gemeinwirtschaft der Erde geschaffen wird. Darunter verstehe ich weder die Abschaffung der nationalen Wirtschaft noch Freihandel, noch Zollbünde, sondern die Aufteilung und gemeinsame Verwaltung der internationalen Rohstoffe, die Aufteilung des internationalen Absatzes und der internationalen Finanzierung. Ahne diese Verständigungen führen Völker, bund und Schiedsgerichte zur gesetzmäßigen Abschlachtung der Schwächeren auf dem korrekten Wege der Konkurrenz; ohne die Verständigungen führt die bestehende Anarchie zum Gewaltkampf aller gegen alle.
Der Wirtschaftsbund aber ist so zu verstehen: Über die Rohstoffe des internationalen Handels verfügt ein zwischenstaatliches Syndikat. Sie werden allen Nationen zu gleichen Ursprungsbedingungen zur Verfügung gestellt, und zwar für den Anfang nach Maßgabe des bisherigen Verbrauchsverhältnisses. Später wird das wirtschaftliche Wachstum der einzelnen in Rechnung gezogen.
Nach weiteren Ausführungen fährt er fort:
Jahrzehnte werden vergehen, bis dieses System der internationalen Gemeinwirtschaft voll ausgebaut ist; weiterer Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, bedarf es, um die zwischen,
staatliche Anarchie, durch eine freiwillig anerkannte oberste Behörde zu ersetzen, die nicht ein Schiedsgericht, sondern eine Wohlfahrtsbehörde sein muß, der als mächtigster aller Exekutiven die Handhabung der Wirtschaftsordnung zur Verfügung steht.
Es gehörte zu den Lieblingsgedanken Walther Rathenaus, der als Präsident der AEG den Kampf um die Auslandsmärkte aus nächster Nähe kennengelernt hatte, daß der Krieg nichts anderes sei als die Fortsetzung des Konkurrenzkampfes der nationalen Wirtschaften mit anderen Mitteln. In der Tat haben wir erlebt, eine wie wichtige Komponente in den Kriegen der Gegenwart der Wirtschaftskampf der Völker gewesen ist. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen um die französischen Erzbecken von Brie und Longwy im ersten Weltkrieg, an die oberschlesische Fraie, an die französische Saarpolitik, die britischen Demontagen, überhaupt weite Gebiete der alliierten Besatzungspolitik nach dem zweiten Weltkrieg, an die Nürnberger Prozesse gegen Industrielle und Kaufleute. Ich brauche nicht ' zu sagen, daß ich die Verdächtigungen, die diesen Verfahren zugrunde lagen, weitgehend für übertrieben und im Kern für unberechtigt halte. Aber nach den geschichtlichen Ereignissen der letzten 40 Jahre gehört zum Selbstverständnis der Gegenwart die Überzeugung, daß die Kriege der letzten Zeit zu einem wesentlichen Teil Wirtschaftskriege gewesen sind. Dieser Gedanke führt zwangsläufig zu dem Versuch, Mittel und Wege zu finden, um den Konkurrenzkampf der Volkswirtschaften zu beseitigen. Schon bei Rathenau findet sich der Lösungsvorschlag, eine gemeinsame Verwaltung der internationalen Rohstoffe herbeizuführen, wenn auch in manchen Einzelheiten seine Vorschläge zeitbedingt vom Inhalt des zur Debatte stehenden Staatsvertrages abweichen.
In der Tat hat sich auch der Völkerbund schon mit diesem Problem beschäftigt, insbesondere der Kolonialausschuß,
der aber den von Polen und Deutschland gestellten Antrag auf Beteiligung an den Kolonialprodukten unter englischer Führung mit dem Hinweis erledigt hat, daß ja jeder diese Produkte kaufen könne.
Es sind hier Europapolitiker anwesend, die sich schon im gleichen Sinne geäußert haben. Carlo Schmid hat im Januar 1949 als Sprecher der SPD-Fraktion im Parlamentarischen Rat anläßlich der Verkündung des Ruhrstatuts die Forderung erhoben, aus allen schwerindustriellen Zentren einen großen internationalen Pool zusammenzuschweißen,
der die europäische Wirtschaft Schwerindustrie zusammenfassen sollte.
Ferner hat der Herr Bundeskanzler im März 1950 den Vorschlag einer deutsch-französischen Wirtschaftsunion gemacht. Im übrigen hat sich auch in Frankreich der Schumanplan in der Grundkonzeption an das sogenannte Briand-Memorandum an den Völkerbund angelehnt. In dem Vorschlag Briands, Paneuropa zu schaffen, war schon eine engere wirtschaftliche Zusammenfassung des europäischen Potentials angeregt. Damals, im September 1929, soll in der Völkerbundssitzung der damalige britische Premier Macdonald ausgerufen haben: „Die
Zeit ist noch nicht reif, warten wir zehn Jahre ab!" Genau zehn Jahre später begann der zweite Weltkrieg.
Wenn ich die Einwände der Gegenseite gegen die Organisation der europäischen Montan-Union richtig verstanden habe, so richten sie sich vor allem gegen die darin vorgesehene Ausgliederung der Kohle- und Stahlverwaltung aus der allgemeinen Staatsverwaltung. Aber gerade das hat schon Rathenau in dem vorhin gebrachten Zitat als den Ausweg bezeichnet, indem er die internationale Rohstoffverteilung neben dem Fortbestand der nationalen Volkswirtschaften als Ziel verkündete.' Die Funktionalisten in Straßburg vertreten ebenfalls die Möglichkeit, einzelne staatliche Funktionen den neuen europäischen Instanzen zu übertra gen. Und in der Tat, wenn es nicht möglich ist, sofort den europäischen Bundesstaat zu schaffen. bleibt, wenn überhaupt etwas geschehen soll, gar kein anderer Weg, als auf Teilgebieten die Zusammenfassung Europas zu verwirklichen und damit den europäischen Gedanken voranzutreiben.
Der Standpunkt der Gegner des Schumanplans ist der Alles-oder-Nichts-Standpunkt, der in der Geschichte oft genug eine Katastrophenpolitik eingeleitet hat, weil er den Kompromiß, den vielgescholtenen und unentbehrlichen, ausscheidet.
Es kommt noch etwas hinzu. Die Zielsetzungen, die die Europäische Gemeinschaft für Kohle . und Stahl zu verwirklichen hat, sind weitgehend die Staatszwecke überhaupt: Steigerung der Wohlfahrt, Steigerung der Produktionen, genau das, was die Staaten selbst in der Gegenwart für ihre erste Aufgabe halten. Wenn diese Ziele nicht verwirklicht würden, wenn also die Nationalwirtschaften bloß in Unordnung gebracht würden. dann hätte auch die Schumanplan-Organisation die ihr in dem Vertragswerk gesteckten Ziele nicht erreicht. Aus diesem Grunde halte ich das von der Opposition an die Wand gemalte Bild eines funktionierenden Schumanplans auf dem Hintergrund sterbender Volkswirtschaften für phantastisch und der Realität entbehrend.
Allerdings muß man zugeben — da brauche ich nur an das zu erinnern, was der Herr Staatssekretär Hallstein heute morgen gesagt hat —, daß Spannungen zwischen der europäischen Gesamtwirtschaft für Kohle und Stahl und den Nationalwirtschaften entstehen können. Aber diese Gefahr besteht für alle in gleicher Weise,
für andere Unionspartner vielleicht noch mehr als für uns Deutsche. Gerade das wird die dynamische Gewalt der Montanunion in der Richtung einer Ausdehnung der Wirtschaftsunion auf andere Gebiete mobilisieren.
Man wird aber noch etwas Weiteres zugeben müssen. Vom Standpunkt des sozialistischen Wirtschaftsideals aus fällt die Abtretung der Hoheitsrechte über Kohle und Stahl an eine supranationale Stelle besonders schwer. Wenn ich mich recht erinnere, hat schon Meinecke darauf hingewiesen, daß die alte Gleichung Sozialist gleich Internationalist schon lange nicht mehr stimmt.
Seitdem die Staaten mangels einer funktionierenden internationalen Zusammenarbeit dazu über. gehen mußten, wenigstens in ihrem Bereich unter Einsatz ihrer nationalen Hilfsquellen mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen fertig zu werden, hat sich die planwirtschaftliche Praxis ergeben, durch staatliche Interventionen die nationalen Reichtümer den Landeskindern zuzuteilen, vorzubehalten oder sie wenigstens allein zu ihrem Nutzen zu verwalten. Aber zu dieser Entwicklung ist es nur gekommen, wenn und soweit die internationale Zusammenarbeit versagt hat. Und man sollte den gewaltigen Versuch, diese internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiet zu organisieren und sicherzustellen, nicht deswegen bekämpfen, weil damit die einzelstaatliche Bewegungsfreiheit, Ordnung im eigenen Hause zu schaffen, eingeschränkt wird; denn diese Ordnungsaufgabe ist den Völkern gerade aus dem Versagen der internationalen Zusammenarbeit zugewachsen. Gerade wir Deutsche haben keinen Anlaß, solchen Gedankengängen zu breiten Raum zu lassen. Unsere eigene Vergangenheit hat die Gefahren dieser Denkweise allzu deutlich werden lassen. Unsere gegenwärtige Situation — man denke nur an die Lebensmittellage — drängt uns auf die Zusammenarbeit der Völker als eine Lebensnotwendigkeit.
Was nun die Einzelheiten der Organisation der internationalen Gemeinschaft betrifft, so schied für die neu zu schaffenden Gremien natürlich von Anfang an das Einstimmigkeitsprinzip des alten polnischen Reichstags oder des Sicherheitsrats der UNO aus. Die Mehrheitsentscheidung mußte als Regel zugelassen werden. Damit ergibt sich das Problem der Stimmenverteilung, zu dem ich hier nur einige Gedanken herausstellen möchte.
Daß es sich um einen Staatenzusamenschluß handelt, hat für die Verteilung der Stimmen entscheidende Bedeutung. Es gibt keine Staatenzusammenschlüsse, die nicht nach dem genossenschaftlichen Prinzip organisiert wären.
Daß heißt, wenn sich Staaten zusammenschließen, ist die Ausgangssituation immer die, daß jeder Staat gieichviele Stimmen hat, gleichgültig ob er groß oder klein ist. Das deutlichste Beispiel sind die Vereinigten Staaten von Amerika, wo jeder Staat im Senat mit zwei Stimmen vertreten ist, einerlei ob es sich um den Riesenstaat New York oder um irgendeinen kleinen Staat handelt, der nicht einmal 1 Million Einwohner hat. Man hat in der Staatenpraxis wohl gewisse Versuche gemacht, diese für Großmächte kaum erträglichen Ergebnisse abzumildern. Ich erinnere daran, daß Bismarck, um für gewisse Entscheidungen die Sperrminorität von 17 preußischen Stimmen im Bundesrat zu haben, die Stimmen der 1866 von ihm unterworfenen Staaten mitberechnet hat. Ich erinnere weiter daran, daß die Sowjetunion ihre Einzelstaaten verselbständigt und zu völkerrechtlichen Subjekten gemacht hat, um sie in der UNO und in anderen internationalen Organisationen mit einer entsprechenden Stimmenzahl auftreten zu lassen. England hatsich schon im Völkerbund ähnlich verhalten. Auch wir haben hier in unserem Bundesrat eine
gewisse Abstufung. Aber es ist überall so: die Kleinen fahren, was die Stimmenzahl angeht, immer am besten. Das gehört zu dem Aufbauprinzip eines genossenschaftlichen Zusammenschlusses. Wenn die Stimmen nur nach dem, was die Staaten einbringen, verteilt würden, wäre das ein anderes Aufbauprinzip. Das wäre das Aufbauprinzip der Aktiengesellschaft, auch des Kartells, bei dem die Quote verschieden festgesetzt wird. Das aktienrechtliche Strukturprinzip hat es in dieser scharfen Form bei staatlichen Zusammenschlüssen nie gegeben.
Ich muß auch auf ein weiteres Argument hinweisen. Wenn jetzt erreicht würde, daß das Stimmenverhältnis nach dem Eingebrachten festgelegt wird, so könnten eines Tages auch noch einmal andere Zweckverbände beschlossen werden, bei denen wir keine so günstige Position haben wie bei Kohle und Eisen. Das würde sich zu unserem Nachteil auswirken, weil wir dann zu denen gehören würden, die zu schwach wären. Wenn England eines Tages mit der gesamten englischen Produktion und der englischen Abnehmerschaft eintreten würde, hätte niemand sonst mehr. ein Gewicht.
Es ist auch gesagt worden, in der Versammlung sei keine richtige demokratische Kontrolle gegeben, weil die Befugnisse der Assemblée zu gering seien. In der Tat ist ihr Hauptrecht, das echte Mißtrauensvotum, an eine Zweidrittelmajorität gebunden. Aber man hat zu wählen: entweder will man das Bild einer sich in Regierungskrisen verzehrenden europäischen Organisation vermeiden, also eine arbeitsfähige Exekutive schaffen, oder man stärkt die Rechte der Assemblée so, daß der europäische Gedanke das Risiko läuft, durch dauernde Regierungskrisen kompromittiert zu werden. Hier von Managertum zu sprechen, trifft nicht den Kern der Erscheinung. Ich glaube nicht, daß Burnham unter den Managern die Wirtschaftsminister verstanden hat. Ich glaube auch nicht, daß die 'Opposition in Wahrheit behaupten will, die staatliche Wirtschaftsverwaltung würde durch dieses Etikett richtig qualifiziert.
Ich will nun nicht auf die Einzelheiten der in diesen Tagen so oft und so viel diskutierten Frage der Diskriminierung und' Nicht - Diskriminierung Deutschlands eingehen. Ich möchte nur noch einmal sagen, daß der Gleichheitsgrundsatz geradezu das entscheidende Grundrecht dieser neuen überstaatlichen Organisation ist. Durch das ganze Gesetzeswerk geht der Gedanke der Nicht-Diskriminierung hindurch, und das Schumanplan-Gericht ist dazu da, 'diesem Grundsatz Geltung zu verschaffen. Immer wenn wir uns zu schlecht behandelt glauben, haben wir die Möglichkeit der Anrufung dieses Gerichts. Das ist der Riesenvorteil gegenüber der Ruhrbehörde. Dort war ein nicht nachprüfbares Ermessen, das aus einer anderen Staatsraison geschöpft wurde, einfach für uns verbindlich. Jetzt sind wir Mitglieder einer internationalen Organisation, die den Gleichheitsgrundsatz auf ihre Fahne geschrieben hat. Daraus ergibt sich der entscheidende Unterschied.
Ich möchte noch auf zwei letzte politische Argumente eingehen. Wenn die 'deutsche Kohle zum gesamt-europäischen Besitz wird, hat dies auch psy-
chologische Rückwirkungen für die Festlegung der Verteidigungslinie nach dem Osten;
denn dann ist die Verteidigung des Ruhrgebiets
eine gesamteuropäische Aufgabe, an der jeder
europäische Staat ein eigenes Lebensinteresse hat,
während die nur den Deutschen zustehende Kohle von den anderen leichteren Sinnes preisgegeben werden kann, weil sie dann nicht unbedingt das Bewußtsein haben müssen, sich damit in das eigene Fleisch zu schneiden.
Noch ein Weiteres. Was in der Weimarer Zeit geschehen ist, daß die Vereinigten Staaten hohe Kredite nach Deutschland gaben, um die deutsche Industrie wieder auf einen hohen Stand der Wettbewerbsfähigkeit zu bringen, ohne daß politische Garantien verlangt wurden, wird nicht mehr wiederkehren. Denn Hitler brauchte sich nur in das mit amerikanischem Geld gemachte Bett hineinzulegen, um die deutsche industrielle Kapazität in einem zweiten Weltkrieg zum Einsatz zu bringen. Vestigia terrent, die Fußspuren schrecken ab! Umgekehrt wird der Schumanplan zu einem Zeitpunkt in Kraft treten, in dem es im gesamt-europäischen Interesse liegt, die deutsche Produktionskraft zu steigern. Schmieden wir das Eisen, solange es heiß ist!
Meine Freunde bitten Sie, dem Ratifikationsgesetz Ihre Zustimmung zu geben.