Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es ist klar — das wissen wir schon aus den letzten Worten des Kollegen Grundmann — und nur zu 'selbstverständlich, daß die Arbeitnehmer und hier vor allem wieder die aus dem Ruhrgebiet, die Berg- und Stahlarbeiter, regsten und lebhaftesten Anteil an der Ratifizierung des Schumanplans nehmen. Als Abgeordneter des Ruhrgebiets und einer Stadt, die nicht nur von Zechentürmen, Hoch- und Martinsöfen beherrscht, sondern auch zu 80 % von Arbeitnehmern bewohnt wird, weiß ich zu gut, wie sehr diese Arbeitnehmerschaft an der 'Diskussion um den Schumanplan teilnimmt.
In vielen Versammlungen und Ausspracheabenden, noch am vergangenen Montagabend mit einigen hundert Betriebsräten, habe 'ich mit der Arbeitnehmerschaft gesprochen und das Für und Wider zum Plan diskutiert. Weil wir wissen, wie sehr es auch
von der Arbeitnehmerschaft abhängt, welcher Geist bei der Durchführung dieses Plans vorherrscht, darum sprechen und diskutieren wir mil dieser Arbeiterschaft. Wir haben auch den Plan daraufhin studiert, ob er die Voraussetzungen dafür schafft, daß ein fortschrittlicher und sozialer Geist für die Zukunft — und darum geht es uns ja — hier wirksam werden kann.
Man spricht hier so viel von den Argumenten, die während der Diskussion in der französischen Kammer vorgebracht wurden. Was werden die anderen in den Parlamenten sagen, und was werden insbesondere die sagen, die nach uns über die Ratifizierung des Vertrags zu beraten haben, wenn sie die Argumente heranziehen werden, die in der Aussprache im Deutschen Bundestag vorgetragen worden sind?! Mir ist aber auch die Diskussion bekannt — und wir haben sie gelesen und studiert —, die in den Wirtschafts- und Gewerkschaftsverbänden im Ausland, besonders in Frankreich, geführt worden sind. Dort wurde weniger nationalistisch und leidenschaftlich und, das muß ich sagen, auch weniger pessimistisch geredet und argumentiert. Wir sollten es auch bei uns im Deutschen Bundestag so halten. Die Arbeitnehmerschaft und ihre Vertretung, die Gewerkschaften, sind durch ihre Entwicklung und durch ihren jahrzehntelangen Kampf sicherlich gewitzigt und fähig geworden, festzustellen, was sozial rückschrittlich und was sozial fortschrittlich ist. Diese Arbeiterschaft — und nicht nur ihre Funktionäre — weiß genau, was sie zu tun und' zu lassen hat. Sie weiß auch genau, daß nicht alles auf einmal und hundertprozentig zu verwirklichen ist; ganz sicher nicht eine Union auf einem so wichtigen Gebiet für das, so zerrissene Europa. Sie hat ja in dem vergangenen Jahrhundert aus allerkleinsten Anfängen begonnen und es zu stolzen Erfolgen gebracht. Wirklich, die internationale Arbeiterschaft kann stolz auf das sein, was sie geschaffen hat.
Diese Erfolge sind heute unbestritten, und sie werden von Tag zu Tag, ja man kann sagen, von Stunde zu Stunde weiter ausgebaut.
Die internationalen Gewerkschaften und auch die internationalen sozialen Einrichtungen, wie das Internationale Arbeitsamt in Genf, sind dafür ein lebendiger Beweis.
Es ist also falsch, zu sagen, wir schafften nur ein kleines Europa, und all die Bedenken für eine so wichtige Entscheidung heranzuziehen, die immer herangezogen werden können, wenn ein solcher Schritt getan werden muß. Die Arbeiterschaft und besonders die Arbeiterjugend — und ich darf hier auch eine Gruppe aus der Arbeiterschaft erwähnen, die aus dem Geiste des Fortschritts und, wie ich persönlich besonders betonen möchte, aus dem Geiste der Freiheit, gegen die Tyrannei Widerstand geleistet und größte Opfer und schwerste Leiden auf sich genommen hat; ich gehöre selbst dazu — wir bejahen diesen Plan, begrüßen und fördern ihn; und wir werden uns bei seiner Durchführung besonders einschalten, weil wir unter allen Umstänständen den Frieden wünschen und wollen.
Mit diesen Freunden und Kameraden haben wir in den letzten Tagen und Wochen auch auf internationaler Ebene gesprochen. Auch sie haben uns gesagt, sie würden es begrüßen, wenn wir Deutschen
— auch wir deutschen Widerstandskämpfer — einen solchen Beitrag international leisten würden.
Die Arbeiterschaft will den Frieden, sie kämpft für den Frieden. Dafür haben sich die Gewerkschaften seit ihrem Bestehen eingesetzt. Aus diesem tiefen Gedanken des Friedens, des Völkerfriedens ist doch der Weltfeiertag, der 1. Mai, entstanden.
Was vor 60 Jahren galt, das gilt noch verstärkt besonders heute. Denn noch nie war die Kriegsfurcht — das muß man aussprechen — schlimmer und. beeindruckender. Die Arbeiterschaft ist immer der größte Leidtragende in einem Krieg, ob gewonnen oder verloren. Ein Blick in die Welt von heute zeigt dies nur zu deutlich bei Siegern und Besiegten.
Der Schumanplan verwirklicht die Aussichten für den Frieden, nicht nur nach unserer deutschen Meinung, sondern auch nach Überzeugung aller Freunde und Kameraden, die in den sechs Nationen daran arbeiten, die Grundlage dafür auf europäischer Ebene zu schaffen.
Die jetzt zu schaffende europäische Wirtschaftseinheit sichert und schafft den sozialen Fortschritt. Das eine Land kann noch auf so manchem Gebiet der Sozialpolitik und der Gewerkschaftsarbeit das andere Land anregen, ja vorantreiben. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, daß in fünf Ländern der Vertragsmächte die so notwendigen und begehrenswerten Familienausgleichskassen bereits bestehen und sich sehr sozial auswirken. Wir wollen uns aber als Deutsche hier anschließen, und hoffentlich bald. Das Hohe Haus wird hierzu hoffentlich schon in den nächsten Wochen die Gelegenheit haben: Ich bin 'sicher, so wird es auch auf vielen anderen Gebieten sein. Nicht nur die Staaten, nein, auch die Arbeiterschaft, in Europa zusammengerückt, hat längst die Grenzen beiseite geschoben, so daß wir mit Hoffnung in die Zukunft schauen können. Wie wir uns leidenschaftlich darum bemühen, in der Bundesrepublik den sozialen Fortschritt zu sichern und zu fördern, so gibt uns der Schumanplan auch die. Möglichkeit, ihn auf europäischer Ebene voranzutreiben. Nur der soziale Fortschritt begründet die Wohlfahrt. Alles dies aber setzt immer die wirtschaftliche Einheit voraus, die wir im europäischen Raum jetzt schaffen, die hoffentlich nur ein Beginn ist und die wir auf 'so vielen anderen Gebieten fortgeführt sehen möchten. Im Beratenden Ausschuß sind Erzeuger, Arbeitnehmer und Verbraucher vertreten. Wir reden über derartiges schon Tage und Wochen in den Ausschüssen für Wirtschaftspolitik und Arbeit, wo wir das Betriebsverfassungsgesetz beraten. Die Regierung entsendet die Mitglieder in die beratenden Gremien. Wir, die Volksvertretung, sind und bleiben hier mit eingeschaltet und mitbeteiligt. Die Eigentumsfrage wird vom Vertrag nicht berührt; sie bleibt Aufgabe der einzelnen Länder. Selbstverständlich müssen alle Diskriminierungen fallen. Wir haben die Zuversicht und sind sicher, daß sie fallen werden. Die großen Erfolge in der Arbeit der Bundesregierung bestärken uns nach dieser Richtung hin, und wir haben die feste Überzeugung, daß diese Erfolge sich auch in Zukunft fortsetzen werden.
Wie wir vor allem der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers entnehmen, entfallen die alliierten Institutionen, vor allem das Sicherheitsamt, deren Wegfall,. mit der Einstellung der Demontage, ge- rade die deutsche Arbeiterschaft seit Jahren und seit Monaten verlangt hat. Welch eine Freude darüber vor allem bei den Arbeitern in DuisburgHamborn und in Watenstedt-Salzgitter herrscht, darf ich hier gerade als Arbeitnehmervertreter des Ruhrgebiets sagen. Man muß in diesen so hart getroffenen Städten unter den Arbeitern wohnen und leben und mit ihnen kämpfen, muß ihre Erwartungen kennen, um zu glauben und zu wissen, daß diese Hoffnungen und Erwartungen in Erfüllung gehen.
Der Vertrag soll gerade die Mehrung des Sozialprodukts zum Hauptinhalt haben. Alle Überlegungen gehen ja dahin, diese Steigerung zu sichern. Nur eine Erhöhung des Sozialprodukts sichert auch die sozialen Leistungen. Alles andere ist nicht wahr und falsch. Was sich seit 1948 in der Bundesrepublik zeigt, wird sich verstärkt auf der europäischen Ebene bemerkbar machen. Darum soll ja der gemeinsame Markt geschaffen werden. Damit können keine schlechteren Arbeitsbedingungen verbunden sein. Nur das Gegenteil kann der Fall sein. So heben wir die Sozialpolitik auf die europäische Ebene. 'Hier bin ich sicher, daß die internationalen Gewerkschaftsbewegungen höchste Aktivität entwickeln werden. Nicht nur die Gewerkschaftsbewegungen, auch die anderen internationalen Arbeiterbewegungen, eingeschlossen unsere katholische Arbeiter-Bewegung, werden sich hier betätigen und dafür sorgen, daß es vorwärtsgeht und die Dinge vorangetrieben werden.
Zu den Aufgaben des Internationalen Arbeitsamts kommt diese konkrete Aufgabe der Wirtschaft. Nur eine Wirtschaft mit Höchstleistungen kann die Voraussetzungen schaffen, die wir Arbeitnehmer für höchste Leistungen in der Sozialpolitik brauchen. Eine Hebung des Lohnniveaus wird ganz bestimmt auch die gewünschte Hebung des Lebensstandards der Arbeiter im Gefolge haben. Darum haben wir mit großer Freude gehört und festgestellt, daß die internationalen Gewerkschaften diesem Vertrag zustimmen. Es hat uns auch nachdenklich gestimmt, daß gerade die französische Schwerindustrie hier nicht gern mitmachte, jedenfalls nicht begeistert zugestimmt hat. Das wird sicher seinen Grund haben. Wir möchten darum die deutsche Arbeitnehmerschaft nicht an der Seite dieser Schwerindustrie Frankreichs sehen. Wir haben auch darüber nachgedacht, warum diese Unternehmerseite nicht gern zustimmte. Was sich die europäische und die deutsche Jugend allgemein und auch die Arbeiterschaft immer ersehnte, die Freizügigkeit des Arbeits- und damit des Wohnplatzes in Europa, sichert nun der Vertrag, der Schuman-plan. Die Kohlen- und Stahlarbeiter sind frei in der Wahl des Arbeitsplatzes.
So erfüllt der Vertrag nicht nur die Wünsche der Völker, die er wirtschaftlich vereint, sondern die alten Sehnsüchte der internationalen Gewerkschaftsbewegung und der Arbeitnehmerschaft auf Völkerfrieden und Völkerverständigung beginnen sich durch diesen Vertrag zu erfüllen. Das sagen uns die Arbeitnehmer in den Großstädten des Ruhrgebiets, das sagen uns auch die Vertreter der Arbeitnehmerschaft in den Betrieben. Wir haben als die älteren und als die verantwortlichen Politiker die sittliche Verpflichtung, der gesamten Jugend und der Arbeiterschaft eine friedliche Zukunft zu sichern. Jahrzehnte haben wir auf die Befriedung des Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland gehofft. Wir erlebten nur Kriege und Enttäuschungen. Jetzt soll der große Schritt folgen und diese Schwierigkeiten aus dem Wege räumen. Gerade als Vertreter der Stadt, die hier von dem Herrn Kollegen Harig vorhin angesprochen worden ist, muß ich sagen, daß er das Problem der gleitenden Arbeitswoche nicht verstanden hat. Wir kennen dieses System, und gerade die bewährten Mitglieder und die Vertreter der Arbeiterschaft in den Betrieben haben darauf gesehen, daß nicht 2000 bis 3000 Arbeiter entlassen wurden, sondern ihre Beschäftigung behielten. Wir wollen nämlich nicht zum zweitenmal, daß die Entwicklung vor 1933, die damals mit ihrer Hilfe gegangen wurde, sich wiederholt: die Leute arbeitslos zu machen und auf die Straße zu werfen, damit die Arbeiterschaft Objekt Ihrer Ideen und Ihrer Ideologien wird, damit Sie dann in der Lage sind, mit den anderen Nationalisten, Terroristen und der verführten Arbeiterschaft wieder einen Weltbrand zu entfesseln und zu entzünden.
Darum sagen auch wir, die christliche Arbeitnehmerschaft in Deutschland, wie auch die internationale Arbeitnehmerschaft, ein Ja zu diesem Schumanplan.