Rede von
Johannes
Albers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Als der Bundestag am 12. Juli vorigen Jahres über den Schumanplan debattierte, konnte man mit Recht eine Reihe von Vorbehalten machen. Als Voraussetzung für die Beteiligung der Bundesrepublik an der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl mußte insbesondere die Aufhebung der Bestimmungen des Besatzungsstatuts gefordert werden, die eine Belastung für die deutsche Wirtschaft bedeuteten. Diese würden die Bundesrepublik zu einem Partner minderen Rechts gemacht haben. Bindende Zusicherungen der Besatzungsmächte über die Aufhebung dieser Bestimmungen lagen damals noch nicht vor. Die Zustimmung zum Schumanplan mußte deshalb davon abhängig gemacht werden, daß die Bundesrepublik als gleichberechtigtes Glied der neuen Gemeinschaft anerkannt wurde.
Inzwischen sind die notwendigen Folgerungen gezogen worden. Die bindenden Zusagen über die Aufhebung des Ruhrstatuts und der Produktions-
beschränkungen bei Eisen und Stahl liegen vor. Die Ruhrbehörde wird im Zuge der Durchführung des Schumanplans ihre Funktionen einstellen. Das Ruhrstatut wird mit der Errichtung des gemeinsamen Marktes für Kohle enden. Die Produktionsbeschränkung bei Eisen und Stahl fällt mit dem Inkrafttreten des Schumanplans fort. Nun bleibt uns, nachdem diese entscheidenden Voraussetzungen erfüllt sind, nichts anderes zu tun, als dem Schumanplan die Zustimmung zu geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haltung Frankreichs zum Schumanplan mag von verschiedenen Motiven bestimmt sein. Man darf aber doch wohl die Entscheidung der französischen Nationalversammlung als eine eindrucksvolle Willenskundgebung des französischen Volkes werten. Es gilt, nicht nur mit Worten, sondern durch die Schaffung ganz konkreter dauernder Gemeinschaftsbeziehungen zwischen beiden Völkern eine jahrhundertelange Zeit nationaler Gegensätze beenden zu helfen.
Ich meine, daß die dargebotene Hand nun unsererseits ergriffen werden sollte. G e m e i n s am sollten ,Deutschland und Frankreich den Weg in eine bessere europäische Zukunft gehen.
Große Teile, insbesondere die breiten Schichten unseres Volkes sind sicherlich der Auffassung, daß man das Wagnis, das mit einem solchen Schritt verbunden ist, auf sich nehmen sollte. Die Bedenken gegen manches, was in dem Vertragswerk enthalten ist, oder auch was in ihm nicht enthalten ist, müssen wir zurückstellen gegenüber dem großen wirtschaftlichen und politischen Ziel, dem der Schumanplan dienen soll. Gerade die Arbeiterschaft — und ich möchte hier insbesondere von der christlichen Arbeiterschaft des Bundes und der in der Christlichen Gewerkschaftsinternationale zusammengeschlossenen Arbeiterschaft Westeuropas sprechen — ist aufgeschlossen für eine europäische Lösung wirtschaftlicher und politischer Probleme. Die Arbeiterschaft war eine der ersten Schichten unseres Volkes, die über die nationalen Grenzen hinausgesehen hat. Sie hat durch ihre jahrzehntelange Zusammenarbeit mit ihren Kameraden in den internationalen Gewerkschaftsverbänden der Erkenntnis Ausdruck gegeben, daß das Schicksal der arbeitenden Volksschichten nur in einer großen übernationalen Gemeinschaft auf die Dauer gesichert werden kann. In ihr ist das Bewußtsein lebendig, daß es einem Volke nicht gut gehen kann, wenn es dem anderen schlecht geht. Darum wurde durch die internationale Gewerkschaftsbewegung, sei es die Freie oder die Christliche Gewerkschaftsinternationale, stets der Gedanke der Solidarität und der Zusammenarbeit der Völker als Voraussetzung für eine bessere gesellschaftliche Ordnung vertreten.
Meine verehrten Damen und Herren, die Arbeiterschaft ist nicht durch die Vorurteile gehemmt, die bisher eine europäische Völkergemeinschaft verhindert haben. In ihr lebt der Wille zu einer besseren gesellschaftlichen Ordnung, die nicht nur günstigere Lebensbedingungen bringen, sondern vor allen Dingen auch den Frieden zwischen den Völkern sichern soll. So war die Arbeiterbewegung Vorkämpferin für eine Ordnung, der wir nun Schritt für Schritt näherzukommen uns bemühen. Wenn es nach dem Willen der internationalen freien Gewerkschaften und der Christlichen Gewerkschaftsinternationale gegangen wäre, dann hätten Völkerverständigung und Frieden schon vor Jahrzehnten in Europa eine Heimstatt gehabt. Und nach diesem zweiten schrecklichen Kriege haben die freien und christlichen Gewerkschaften Europas nicht gezögert, uns die Hand zur Versöhnung zu reichen. Das geschah lange bevor andere Kreise sich zu einem Gespräch bereit fanden.
In diesem Geiste der Versöhnung und der Bereitschaft zu einem neuen Europa haben die internationalen Gewerkschaften ihr Ja zum Schuman-plan gesprochen. Ich darf erinnern an die Erklärung des Generalsekretärs des Internationalen Bundes der Freien Gewerkschaften Oldenbroek, an die Entschließung des zweiten Weltkongresses des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften, an die Stellungnahme der Christlichen Gewerkschaftsinternationale und schließlich auch an die Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die berechtigten Vorbehalte, die der Deutsche Gewerkschaftsbund machte, dürften meines Ermessens im wesentlichen als behoben gelten. Es sind in den letzten Stunden von den einzelnen Rednern die verschiedensten Zitate vorgebracht worden, und ich komme auch in die Versuchung, in diesen Zitatensack hineinzugreifen; aber ich erliege ihr nicht. Ich nehme an, daß diese Entschließungen und Meinungsäußerungen der internationalen Gewerkschaftsverbände und ihrer maßgeblichsten Führer den Mitgliedern des Hohen Hauses genügend bekannt sind.
Meine verehrten Damen und Herren, jetzt gilt es, hier die notwendige Entscheidung zu fällen, damit die Grundlagen dafür gelegt werden können, daß Europa wirtschaftlich, sozial, politisch und geistig neu geordnet wird. Es muß ein Anfang gemacht werden in Richtung auf die europäische Einheit. Freiheit und Frieden und das Wohlergehen der Völker sind nur um diesen Preis zu haben. Europa muß jetzt geschaffen werden, damit es ein Schutzwall für Freiheit und Menschenrechte sein kann. Wir müssen mehr Glauben haben an die Kräfte der Entwicklung und unseres guten Willens. Ich glaube jedenfalls, daß die Verwirklichung des Schumanplans das Zusammengehörigkeitsbewußtsein und die Gemeinschaftsverantwortung in Europa stärken wird. Ich möchte nicht mit dem Pessimismus des Kollegen Henßler an die Entscheidung über den Schumanplan herangehen. In NordrheinWestfalen hat er mit seinen Kollegen der SPD des Landtags von Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit den anderen Parteien, auch mit den Männern und Frauen der CDU, um eine gerechtere Behandlung der Wirtschaft an Rhein und Ruhr seit 1946 gekämpft.
Ich erinnere mich immer wieder der leidenschaftlichen Hingabe, mit der der Kollege Henßler im Kampf um die Behebung der Demontagegefahren seinen Mann gestanden hat. Aber ich glaube im Gegensatz zu ihm, daß durch den Schumanplan alle die Gefahren, die auch jetzt noch der deutschen Wirtschaft drohen, behoben werden. Ich glaube, daß durch die mit dem Schumanplan geschaffenen Freiheiten für unsere Wirtschaft auch die wirtschaftlichen Rückstände aufgeholt werden können. Bei einer Fortdauer der Ruhrbehörde und des Ruhrstatuts sind in jedem Fall Gefahren gegeben, und gerade vom sozialen Standpunkt aus muß es begrüßt werden, daß diese Gefahren für unsere Wirtschaft beseitigt werden.
Meine Damen und Herren, wie alles Menschenwerk, so ist auch der Schumanplan sicherlich nicht vollkommen. Das Ideal wird in unserer Welt nie Wirklichkeit werden. Aber einem Ideal sollte man zustreben. Wir sollten uns immer wieder bemühen, aus dem Guten das Bessere zu machen.
Wir machen mit dem Schumanplan einen Anfang, die Aufgabe derer, die nach uns kommen, wird es sein, ihn zu verbessern und weiter zu entwickeln. Wir aber haben den Grundstein zu legen, auf dem weitergebaut werden kann. Die Kräfte der wirtschaftlichen und politischen Vernunft werden da, wo es nötig ist, schon bessere und weiterentwickelte Formen des Zusammenlebens und des Zusammenwirkens der Völker schaffen, wenn erst einmal ein Anfang gemacht wird.
Gewiß ist der Fragenkomplex, der in dem alliierten Gesetz Nr. 27 zusammengefaßt ist, noch in einer Weise zu regeln, die unseren Bedürfnissen entspricht. Mit dem Antrag der Regierungskoalition wird die Regierung ja beauftragt, darauf hinzuwirken, daß die Durchführung des alliierten Entflechtungsgesetzes in keiner Weise die Gleichheit der Produktions- und Absatzbedingungen zuungunsten Deutschlands beeinträchtigt. Weiter ist in diesem Antrag gefordert, daß Investitionen zur Wiederherstellung der durch die Demontagen herbeigeführten Kapazitätsminderungen, z. B. bei der August-Thyssen-Hütte und in Watenstedt-Salzgitter, gesichert werden.
Meine verehrten Damen und Herren, unsere Ausgangsposition in den Auseinandersetzungen, die über diese Punkte noch zu führen sind, kann aber nach meinem Ermessen nur besser werden, wenn wir unseren Willen zur Zusammenarbeit im Rahmen der neuen Gemeinschaft für Kohl& und Stahl unter Beweis gestellt haben.
Es besteht daher meines Erachtens kein Grund, die Zustimmung zum Schumanplan hinauszuschieben. Im Gegenteil, wir haben ein vitales Interesse daran, daß der Kohlenbergbau und die Eisenindustrie baldigst auf den höchsten Leistungsstand gebracht werden. Die eisenschaffende Industrie ist in ihrer technischen Ausrüstung überaltert. Der Kohlenbergbau bedarf einer großzügigen technischen Ausrüstung. Mit dem Gesetz über die Investitionshilfe haben wir einen Anfang gemacht; weitere Anstrengungen werden gemacht werden müssen. Der Schumanplan gibt sicherlich aber auch der deutschen Kohlen- und Eisenindustrie eine neue Chance, in der technischen Vervollkommnung mehr als bisher zu tun.
Meine verehrten Damen und Herren, der Schumanplan begründet einen großen Wirtschaftsraum und damit die Stetigkeit der Nachfrage, die eine der Voraussetzungen für die Kreditwürdigkeit und damit für größere Investitionen ist. Die Zeit kleiner und kleinster Wirtschaftsräume muß vorbei sein.
Die nach 1919 von bekannten Volkswirtschaftlern geforderte Großraumwirtschaft wird, wenn auch 30 Jahre später, durch den Schumanplan angebahnt. Damit wird den deutschen Unternehmen und der deutschen Arbeiterschaft die Möglichkeit gegeben, im Rahmen des Leistungswettbewerbs in diesem großen Wirtschaftsraum ihre Kräfte voll zu entfalten und ihre Tüchtigkeit zu beweisen.
Ich habe bei der ersten Beratung des Gesetzes zur Ratifizierung des Schumanplans bereits die Feststellung treffen können, daß weder nach der Struktur noch nach den Zielsetzungen und den Einzelbestimmungen des Vertrags die Behauptung gerechtfertigt sei, als sei der Schumanplan ein großes internationales kapitalistisches Unternehmen. Die Vertreter in den Organen des Schumanplans sind nicht die Männer des Kapitals, sondern die Beauftragten der beteiligten Staaten und Völker. Die Arbeiterschaft wird in der Hohen Behörde nach den Erklärungen der Bundesregierung vertreten sein.
Ich darf weiter auf den Beratenden Ausschuß hinweisen, der der Hohen Behörde zur Seite steht und in vielen Fragen gehört werden muß. Mindestens ein Drittel seiner Mitglieder sind Arbeitnehmervertreter. Es ist auch bekannt, daß die 15 Arbeitnehmervertreter über die Gewerkschaftsinternationalen verteilt werden sollen, und zwar 11 für den freien Gewerkschaftsbund und 4 für die christliche gewerkschaftliche Internationale. Von Bedeutung ist weiterhin, daß Verbände von Unternehmen der Kohlen- und Eisenindustrie nur dann bei der Hohen Behörde intervenieren können, wenn sie Vertreter der Arbeiterschaft und der Verbraucher an ihren leitenden Organen ,oder an den bei diesen gebildeten Beratenden Ausschüssen' beteiligen. Die Arbeiterschaft ist also bei der Struktur des Schumanplans wohl in der Lage, ihren Einfluß geltend zu machen. Sie wird es tun in der Hohen Behörde, in der j a Vertreter der Gewerkschaften sind. Ich weiß davon, daß entsprechende Möglichkeiten gesichert sind, auch in den Gerichtshof Männer zu berufen, die dem Denken der Gewerkschaftsbewegung und der Arbeiterbewegung nahestehen und deren Vertrauen besitzen. Der Gerichtshof soll ja nicht eine Kulmination von weltfremden Juristen sein, sondern aus Männern bestehen, die das wirkliche Leben kennen und auch die Gemeinsamkeitsinteressen der europäischen Arbeiterschaft sehen.
Meine verehrten Damen und Herren, man wird deren Wünsche und Forderungen nicht überhören können. Es ist doch heute wohl allgemein anerkannt, daß ohne die Arbeiterschaft, ohne ihren Leistungswillen und ohne ihre Arbeitsfreude weder die Wirtschaft noch die Gesellschaft in Ordnung gebracht werden können. Gegen den Willen der Arbeiterschaft und erst recht gegen den Willen der Gewerkschaften wird der Schumanplan in seinem Ziel und in seinen Aufgaben nicht verfälscht werden können.
Herr Kollege Henßler hat bei der ersten Beratung des Schumanplans geglaubt, mich im Hinblick auf die Stellung der Arbeiter in dem Beratenden Ausschuß über den Unterschied von Mitberatung und Mitbestimmung belehren zu müssen. Sicherlich, mir wäre es auch lieber, wenn dem Beratenden Auschuß größere Kompetenzen und damit seinen Mitgliedern ein größerer Einfluß eingeräumt worden wäre. Aber man sollte doch nicht verkennen, daß es sich hier um einen Anfang, um etwas völlig Neues handelt, das sich in der Praxis erst erproben muß. Jedes Werk hat einen Anfang, und aus einem solchen Anfang muß sich nach und nach das Vollkommenere entwickeln.
Wie positiv die Eingliederung der Arbeiterschaft in die Schumanplan-Organisation von der Arbeiterschaft der Nachbarländer gewertet wird, mögen Ihnen die Ausführungen des stellvertretenden Generalsekretärs der christlichen Gewerkschaften
Frankreichs, Gustave Levard, Paris, zeigen. Er bezeichnete die Bestimmungen des Schumanplans als einen erheblichen Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation und meinte, ihre Anwendung werde es der Arbeiterbewegung erlauben, ihre Erfahrungen bedeutend zu erweitern, um ihren Marsch nach vorwärts fortsetzen zu können. Er sagte:
Es ist sicher das erstemal, daß ein Text zustande gekommen ist, der den Arbeitnehmern derartige Rechte gibt, und seine Bedeutung ist um so größer, als er sich schon jetzt an sechs Staaten wendet. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein Präzedenzfall geschaffen ist, falls andere Verbände der gleichen Art zustande kommen. Es wird wahrscheinlich unmöglich sein, davon -zurückzugehen. In jedem Falle werden die Arbeitnehmer alles in ihrer Macht Stehende tun, damit, wenn Änderungen eintreten, dies im Sinne einer Erweiterung ihrer Rechte geschieht.
Meine Damen und Herren, der Bundestag hat im vorigen Jahre das Gesetz über die Mitbestimmung bei Kohle und Eisen beschlossen. Dieses Gesetz geht über die Regelung im Schumanplan hinaus. Es hat daher bei den Arbeitnehmern und den gewerkschaftlichen Organisationen Westeuropas weitestes Interesse gefunden. Ich darf daher wohl sagen: Was in der Bundesrepublik in den nächsten Jahren bei Kohle und Eisen praktiziert wird, ist sicherlich auch als ein Beispiel für andere Länder und andere Völker gesetzt. Es wird sich erweisen müssen, inwieweit die Vertreter der Arbeiterschaft mit den Vertretern des Kapitals menschlich und sachlich verantwortlich zusammenzuwirken vermögen. Trotz aller pessimistischen Äußerungen, die ich hier und da in einer gewissen Tendenzpresse lesen konnte, glaube ich daran, daß das Mitbestimmungsrecht sich im guten Sinne entwickeln wird. Ich bin davon überzeugt, daß das Mitbestimmungsrecht in der Wirtschaft auch leistungssteigernd wirkt. Wenn das geschieht, wird das Mitbestimmungsrecht auch in den übrigen Ländern in irgendeiner Form Anwendung finden. Diese Tatsache wird dann jedenfalls auch in dem Beratenden Ausschuß der Schumanplan-Organisation mit Folgewirkungen verbunden sein. Sowohl die Befugnisse des Beratenden Ausschusses als mich die Aufgaben und Rechte der Versammlung der Schumanplan-Organisation werden im Laufe der Zeit sicherlich erweitert werden.
Aber auch in bezug auf die Arbeitsbedingungen und die Sozialpolitik im allgemeinen hat Deutschland die Pflicht, in der neuen europäischen Gemeinschaft anregend und führend zu wirken. Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten gerade auf dem Gebiet der Sozialpolitik bahnbrechend gewirkt. Heute haben manche unserer Nachbarländer aufgeholt, und wir können nun in manchem von ihnen lernen. Jetzt kommt es wesentlich darauf an, daß in vertrauensvoller Zusammenarbeit sozialpolitischer Fortschritt auf europäischer Basis erstrebt wird. Die steigende Zusammenarbeit der freien Völker Europas auf wirtschaftlichem Gebiet wird auch der Sozialpolitik neue Impulse geben.
Ein Land wird das andere anregen mit dem Erfolg, daß die zurückgebliebenen Länder mehr und mehr an die fortgeschrittenen angeglichen werden und schließlich das gesamte Niveau der Sozialpolitik eine Steigerung erfährt.
Der Schumanplan gibt manche Möglichkeit dazu. Er enthält eine ganze Reihe von sozialpolitischen Vorschriften zugunsten der beteiligten Arbeiterschaft. Ich darf auf das Wesentliche verweisen. Nach dem Vertragswerk werden die Fragen der Arbeitsbedingungen und der sozialen Leistungen der einzelnen Länder durch den Schumanplan nicht unmittelbar berührt. Die Hohe Behörde kann also nicht zum Schaden des sozialpolitischen Fortschritts und des sozialpolitischen Niveaus eingreifen. Dagegen hat die Hohe Behörde zum Zweck der Hebung der Löhne zu intervenieren, wenn das Lohnniveau zurückgeblieben ist. Die Hohe Behörde ist daher in der Lage und verpflichtet, einen ungezügelten Wettbewerb auf dem Rücken der Arbeiterschaft zu verhindern. Die Bestimmungen des Art. 68 des Vertrags geben der Hohen Behörde die Möglichkeit des Eingreifens zur Verhütung einer Lohndrückerei und zur Verhütung von Versuchen, Wirtschaftspolitik auf Kosten der Arbeiterschaft zu betreiben.
Ich darf weiter daran erinnern, daß für die Übergangszeit mit ihren erschwerten Bedingungen besondere Schutzmaßnahmen zugunsten der beteiligten Arbeiterschaft vorgesehen sind. So müssen durch die Hohe Behörde alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um etwa freiwerdende Arbeitskräfte wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern. Kennzeichnend für die sozialpolitische Zielsetzung des Schumanplans ist auch die Bestimmung, daß bei Arbeitslosigkeit infolge des technischen Fortschritts die entsprechenden Maßnahmen zu ihrer Beseitigung schnellstens ergriffen werden müssen.
Meine Damen und Herren! Ich habe im Laufe der letzten Monate die Fragen und Probleme, die mit dem Schumanplan zusammenhängen, ernstlich überprüft. Auch ich bin mit einer gewissen Skepsis an die Dinge herangetreten. Ich mußte mich aber davon überzeugen, daß die Schumanplan-Organisation eindeutig einer sozialen Verpflichtung unterstellt ist. Nach Art. 2 des Vertrags ist das Ziel des Schumanplans, die Wirtschaft auszuweiten, die Beschäftigung zu steigern, die Lebenshaltung zu heben, die Erzeugnisse rationeller zu verteilen, die Unternehmen auf einen höchsten Leistungsstand zu bringen und Wirtschaftsstörungen und Arbeitslosigkeit zu verhüten. Die Schumanplan-Organisation hat die Verpflichtung, zugunsten der Arbeiterschaft zu intervenieren, wenn sich der Schumanplan irgendwie ungünstig auf Beschäftigungslage und Lebensstandard der Arbeiterschaft auswirken sollte.
Meine Damen und Herren! Ich meine, uns ist es ja schon mehr als einmal aus beredtem Munde hier vorgetragen worden, daß wir nicht allzu sehr beim Gestrigen und Heutigen stehenbleiben sollten; wir sollten an das Morgen und an das denken, was übermorgen ist.
Das, was sich zeigt, ist der Wille der Völker zur Zusammenarbeit. Es ist der Wille zur Sicherung des Friedens. Es ist die Tatsache, daß die fleißigen Menschen in den Gruben, in den Fabriken und an der Werkbank größere soziale Sicherheit und einen ruhigeren Lebensabend haben möchten.
Es ist die Sehnsucht aller Menschen, in Freiheit zu leben und sich frei entfalten zu können.
So ist der Schumanplan keine Angelegenheit, die nur vom Wirtschaftlichen aus gesehen werden kann.
Er ist auch das Fundament zu neuen politischen Möglichkeiten in einer freieren, sozial gestalteten Lebensordnung.
Jahrzehntelang haben wir in der internationalen christlichen Arbeiterbewegung darum gerungen, und so soll unser Ja zum Schumanplan auch ein Ausdruck des Willens zu einem noch engeren Zusammenstehen in der Zukunft sein. Ich möchte mit dazu beitragen, daß der deutschen und der europäischen Arbeiterschaft die Möglichkeiten gegeben werden, die ich vor 1914 ausnutzen konnte. Ich bin damals, im Jahre 1912, durch Europa gewandert. Mein Weg führte mich über Holland, Belgien, Frankreich, das Elsaß nach Österreich. Keine Anmeldeformulare, keine Paßvorschriften, keine Polizeischikanen haben meinen Weg gehindert.
Ich idenke gern an diese Zeit zurück. Diese Freizügigkeit müßte heute der Gesamtheit der europäischen Menschen gesichert werden.
Meine verehrten Damen und Herren! Der Schumanplan gibt diese Freizügigkeit vorerst freilich nur den Stahl- und Bergarbeitern. Das kann aber nur ein Anfang sein. Sie auf alle auszudehnen, müßte das Ziel weiterer Abmachungen und Vereinbarungen werden. Ich meine, nicht. dadurch, daß man von einer europäischen Gemeinschaft redet, wird sie Wirklichkeit; auch nicht dadurch, daß man Bedingungen stellt, die aus irgendwelchem Mißtrauen geboren sind. Man schafft eine neue Gemeinschaft nur, wenn man eine Vertrauensbasis geistiger, persönlicher und sachlicher Art schafft.
Abg. Bausch: Sehr richtig!)
Dazu soll ja der Schumanplan besonders beitragen.
Wenn ich in der Beratung vom 12. Juli für meine Fraktion, für die christliche Arbeiterschaft Deutschlands sowie für meine Freunde in der Christlichen Gewerkschaftsinternationale ein positives Ja zur Vorlage fand, so möchte ich heute dieses Ja mit noch stärkerem Nachdruck aussprechen.
Ich glaube, durch unser positives Ja haben wir unserem Volke, den arbeitenden, fleißigen Menschen, haben wir auch Europa und der Menschheit einen Dienst erwiesen.