Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf die wesentlichen der gestellten Fragen sogleich antworten. Der erste Punkt, den der Abgeordnete Professor Nölting in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt hat, war der, daß es sich bei dem Schumanplan darum handle, die Verfügungsgewalt über das schwerindustrielle Potential aus dem staatlichen souveränen Bereich abzutrennen und auf eine übernationale Instanz zu übertragen. Er sieht, wenn ich ihn richtig verstehe, das Bedenkliche eines solchen Vorganges darin, daß es sich dabei um eine bloße Teilintegration handele. Er befürchtet — und er hat das des näheren dargelegt —, daß am Rande, zwischen der Sphäre, die europäisch vergemeinschaftet ist, und derjenigen, die in nationaler, partikularer Souveränität verbleibt, Reibungen und Schwierigkeiten entstehen werden.
Die erste Frage ist: was heißt es denn: die Verfügungsgewalt über diese beiden Grundstoffindustrien wird uns genommen und auf eine supranationale Instanz übertragen? Es könnte nach den Ausführungen, die wir soeben gehört haben, so erscheinen, als habe dieses Wort „Verfügungsgewalt", die uns hier genommen wird, einen sehr gewichtigen Inhalt, als ob darin in der Tat die absolute und vollständige Disposition über die Produktion liege, d. h. über die Bedingungen der Produktion und über die Produkte selbst. Das wäre, wenn es so gemeint war, ein Irrtum, und zwar ein fundamentaler Irrtum, ein Irrtum in bezug auf eines der ganz wesentlichen Stücke in der Struktur der europäischen Montangemeinschaft.
— Ich komme darauf. — Diese Montangemeinschaft ist nämlich nicht ein Gebilde, das im Stile eines, sagen wir einmal grob: Staatssozialismus einem Überstaat, eben dieser europäischen Gemeinschaft, im Sinne zentralverwaltungswirtschaftlicher oder planwirtschaftlicher Vorstellungen die volle Verfügung über die Produktion zuweist. Die wirtschaftspolitische Grundanschauung des Plans — das muß einmal gesagt werden — ist nicht die einer Planwirtschaft. Das Produzieren selbst bleibt Angelegenheit der Unternehmungen, in deren Händen es liegt. Es ist dieser supranationalen Hohen Behörde auch nicht gestattet, durch Befehle und Verbote in den Produktionsvorgang oder auch den Absatzvorgang unmittelbar einzuwirken.
Diese Feststellung ist schon einmal in die Formel zusammengefaßt worden — deren Autor ich übrigens nicht bin —, daß es sich bei der Grundanschauung des Schumanplanes um die Vorstellung von einer „organisierten Konkurrenz" handele. Das ist der entscheidende Gesichtspunkt. Das heißt, die Träger wirtschaftlichen Geschehens und wirtschaftlichen Handelns bleiben die Unternehmungen. Diese Unternehmungen treten miteinander in Wettbewerb. Die Hohe Behörde hat nur die Aufgabe, wenn dieser Wettbewerbsvorgang in Störungen gerät, regulierend, koordinierend, reagierend einzuwirken. Diese Wirtschaftsverwaltung 'ist nicht eine solche totalitären Stils, die das Wirtschaften aus den Händen der wirtschaftlichen Unternehmungen in irgendeine staatliche oder überstaatliche Instanz überträgt. Das ist der eine Punkt.
Nun wird gesagt, selbst in dieser Begrenzung sei die Herausnahme eines Teils der Volkswirtschaft gefährlich. Ich gebe zu und habe es immer zugegeben, daß hier in der Tat eines der schwierigsten Sachprobleme, vielleicht das schwierigste Sachproblem des Schumanplans überhaupt, vor uns liegt. Ob diese Schwierigkeiten Anlaß genug sind, zu dem Gesamtwerk Nein zu sagen, ist eine andere Frage.
Was ich jetzt sage, begrenzt weiter die Aussage, gegen die ich mich vorhin .gewandt habe. Der Hohen Behörde wird nur die vorhin beschriebene wirtschaftspolitische Zuständigkeit zugemessen. Es ist nicht so, wie es nach einer Bemerkung des Herrn Abgeordneten Professor Nölting scheinen könnte, daß die Übertragung von Zuständigkeiten der Hohen Behörde das Recht gäbe, in alles — ich habe das Wort Beschäftigungsverhältnis in Erinnerung behalten — einzugreifen, was zu den Produktionsbedingungen innerhalb der Grundindustrien gehört. Wenn das der Sinn jener Bemerkung gewesen ist, so ist sie unrichtig, und zwar zweifellos unrichtig. Wir haben in dem Plan eine deutliche Trennung zwischen wirtschaftspolitischen Funktionen und anderen vollzogen. Man kann das so formulieren, daß alle anderen Funktionen, die für das gute Wirtschaften in den Grundstoffindustrien gleichfalls bedeutsam sind, wie die Steuerpolitik, Sozialpolitik und alles andere, zu der allgemeinen „Geographie" gehören, in die die einzelnen nationalen Volkswirtschaften und ihre Grundindustrien eingebettet sind. So wenig wir die Vorteile, die die natürliche, physikalische Geographie dem einen oder anderen Partner in diesem Werke zuschanzt, beseitigen wollen — wir Deutsche haben ja am allerwenigsten Anlaß, so etwas zu wollen —, so wenig haben wir in die sozialpolitische, in die finanzpolitische, handelsrechtliche und sonstige Geographie eingreifen wollen.
Nun wird gesagt, das sei es ja gerade, was die Sache so schwierig macht. Wie kann man denn annehmen, daß ein System funktionieren wird, bei dem — ich gebrauche ein Wort des Herrn Redners — eine Amputation vorgenommen, also die Grundindustrie aus der „Verfügungsgewalt" des Staates herausgelöst wird? Es ist gesagt worden, das fordere doch mit Notwendigkeit, mit einer naturgesetzlichen Notwendigkeit eine Integration auch des
Restes. Allerdings! Wir glauben das auch. Wir glauben auch, daß die Schwierigkeiten, die hier entstehen und die ich gar nicht leugne und die noch niemals geleugnet worden sind, nur. eine Lösung zulassen, nämlich eine Lösung nach vorne. "
Es gibt in dieser Situation angesichts des europäischen Gefälles, das durch dieses Werk hergestellt
wird, nach unserer festen Überzeugung keinen anderen Ausweg als den einer weiteren Integration.
Wenn Sie mich fragen, wie wird man sich inzwischen . behelfen, bis diese Restintegration vollzogen ist, so ist meine Antwort eine doppelte.
Einmal ist eben aus diesem Grunde ein Organ geschaffen worden, dessen Existenzberechtigung sonst etwas schwieriger zu begründen wäre, obwohl sie auch begründbar ist, nämlich der Ministerrat. Die vornehmste Funktion des Ministerrats ist es gerade, die Friktionen zu bewältigen, die aus der Tatsache entstehen, daß nur die wirtschaftspolitische Zuständigkeit, also das, was nach der traditionellen Ressortverteilung in den europäischen Ländern in den Händen eines Wirtschaftsministers liegt, auf die Hohe Behörde übertragen worden ist, nicht aber die Funktionen, die für diese Grundindustrien gleichfalls wichtig sind: die Funktionen der Finanzminister, der Arbeitsminister, der Justizminister, der Verkehrsminister usw. Wir sind sicher — und in dieser Auffassung werden wir durch die Erfahrungen in den wirtschaftspolitischen europäischen Gremien, die heute bereits bestehen, gestützt —, daß die Gewöhnung der Wirtschaftsminister dieser Montan-Unionsländer daran, sich über ihre Sorgen auszusprechen und den Versuch zu machen, diese Friktionen zu beseitigen, das Gewicht der Tendenzen nach europäischen Lösungen — nach „europa-wirtschaftlichen Lösungen", haben Sie gesagt — noch verstärken wird. Das ist nicht ein nachträglich theoretisch festgestelltes, zufälliges Ergebnis dieser Entwicklung, sondern ein Teil des Plans. Insofern sind diese Schwierigkeiten selbst und die Fragen, die hier entstehen, ein positives und fortschrittliches Element des Werks und nicht sein Mangel.
Dazu kommt ein Zweites. Sie selbst, Herr Abgeordneter, haben die Interdependenz der wirtschaftlichen Gegebenheiten angerufen. Freilich haben Sie daraus gewisse Schwierigkeiten gefolgert, die sich ergeben würden. Ich bin auch in diesem Punkte, nämlich im Glauben an die Interdependenz der wirtschaftlichen Gegebenheiten, ein Optimist. Ich bin sicher, das zweite Element — und dazu braucht man gar nichts Organisatorisches zu tun —, das uns helfen wird, aus jenen Schwierigkeiten herauszukommen, ist eben die Interdependenz der wirtschaftlichen Vorgänge.
Sie wird dahin führen, daß auch in den Bereichen, die unmittelbar durch die Anwendung dieses Plans nicht gedeckt werden, die Ausgleichung und damit Europäisierung der Wirtschaften entstehen wird, deren wir bedürfen, um im wirtschaftlichen Bereich zu dem zu kommen, was Sie mit einem treffenden Ausdruck eine Europawirtschaft nennen.
Noch einmal: Was geschieht durch diesen Plan, um eine europawirtschaftliche Realität, einen wirtschaftlichen Großraum, eine einheitliche europäische Wirtschaftspolitik auf begrenztem Bereich herzustellen? Es ist doch vornehmlich das, daß die Einschränkungen, die Dämme niedergelegt werden, die bisher die einzelnen Teile dieses gesamten europäischen Raums voneinander trennen. Das ist ja doch die eigentliche Leistung des Plans, nicht die Übertragung irgendwelcher planerischen Befugnisse, Wirtschaftsführungsbefugnisse, an die Hohe Behörde, sondern die Wegräumung jener Schrebergärten-zäune, von denen ich heute früh gesprochen habe, und die Verantwortung dafür, daß sie weggeräumt bleiben. Das nämlich ist die vornehmste Aufgabe. Und das ist wiederum der Sinn des Ausdrucks „organisierte Konkurrenz", daß die Daten, die eine wirkliche europäische Wirtschaft auf dem Gebiet der Grundindustrien ermöglichen, nicht nachträglich wieder beseitigt werden oder, um denselben Gedanken anders und mehr individualrechtlich auszudrücken: die Fürsorge dafür, daß innerhalb dieses Raumes keine Diskriminierungen stattfinden.
Damit bin ich bei dem zweiten Hauptargument, das Sie, Herr Abgeordneter, soeben vorgebracht haben; das ist wieder das Argument der Gleichbehandlung der Konsumenten innerhalb des gemeinsamen Raumes. Hier besteht ein enger-Zusammenhang mit dem, was ich über die Zuständigkeit und Aufgaben der Hohen Behörde gesagt habe. Ich habe vorhin ausgeführt, man darf sich die Hohe Behörde nicht als eine Konzernleitung vorstellen,
d. h. als eine Instanz, die selber wirtschaftet, die wirtschaftliche Entschlüsse faßt. Das ist sie nicht. Das ist sie nicht nur aus den Gründen nicht, die ich soeben dargelegt habe, sondern aus einem weiteren Grunde, weil, wenn wir uns fragen, auf welcher Parteiseite: Produzenten- oder Konsumentenseite, die Hohe Behörde steht, die Antwort lautet: auch und eher auf der Seite der Konsumenten.
Das ist es j a, was dem ganzen Plan seine letzte Rechtfertigung verleiht, daß er den europäischen Konsumenten von all den Einzelwirkungen des Unsinns befreien soll, den wir gegenwärtig in der Möglichkeit vor uns sehen, Europäer gegenüber anderen Europäern deshalb zu diskriminieren, weil sie nicht demselben Nationalstaat angehören.
Das ist die Grundidee des Planes. Und hier hilft, kann ich nur noch einmal sagen, kein Mundspitzen, hier muß gepfiffen werden. Wenn wir Europa wollen, müssen wir auch die Gleichbehandlung der Europäer in Europa und vor europäischen Instanzen wollen.
Wenn ich in diesem Zusammenhang ein Argument nicht verstanden habe, dann war es auf dem Gebiet der Sozialpolitik der Hinweis darauf, durch diesen Plan könnten Wanderungsbewegungen zum Vorteil einer anderen europäischen Provinz als der deutschen ausgelöst werden.
Ja, wenn wir die europäische Wirklichkeit nicht
auch dadurch realisieren wollen, daß wir die Freizügigkeit in diesem europäischen Raum herstellen,
dann muß ich noch einmal fragen: Wie sieht das Europabild derer aus, die zwar sagen, daß sie Europa wollen, aber überall dort, wo nun aus dieser Aussage konkrete Konsequenzen gezogen werden sollen, uns entgegenhalten: Es darf uns aber nicht
I die Alleinverfügung über diese oder jene Möglichkeit kosten?!
So kann man Europa nicht bauen.
Der nächste Punkt betraf die Frage der Anwendung des Besatzungsrechts, und zwar seiner fortgesetzten Anwendung auf Gebiete, die nicht dem Schumanplan unterliegen. Hier liegt es so: Wir haben die Befreiung von diesen Fesselungen erreicht, weil ihr Fortbestand — ich sage nicht: mit dem Geist; da dieses Wort nicht beliebt ist, will ich versuchen, 'es zu vermeiden — mit dem Vertrag selbst in Widerspruch steht, weil ein Fortbestand jener Beschränkungen, insbesondere der Zuständigkeit des Sicherheitsamtes, eine diskriminierende Behandlung im Sinne des Vertrags wäre und weil das Verbot der Diskriminierung eine Regel dieses Schumanplan-Rechtes ist, die alle anderen Bestimmungen des Vertrags an Wirkung schlägt. Es ist, wenn sie den Ausdruck erlauben, eine Art Verfassungsgrundsatz der Montangemeinschaft, an dem nicht vorbeigegangen werden kann.
Nun gibt es doch nur folgende Alternative: Entweder man hätte in den Schumanplan Weitere Gebiete einbeziehen sollen. Wenn ich die Ausführungen, die wir vorhin gehört haben, so verstehen soll, daß sie eine Anregung dazu sind, den Anwendungsbereich des Schumanplans zu erweitern, so nehme ich das für meine Person freudig zur Kenntnis. Wir haben j a auch schon feststellen können, daß beispielsweise in unserer weiterverarbeitenden Industrie eine große Neigung dazu besteht.
Ich habe es absichtlich vermieden, etwas an Zitaten vorzubringen —, wenn ich nun doch auf das Zitieren eingehen muß, so möchte ich in Parenthese sagen: Es- wäre wirklich leicht, namentlich gegenüber dem, was hier über die Vorteile gesagt worden ist, die der Plan im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Industrie bringt, all das anzuführen, was die Leute, denen dieser „Vorteil" zugedacht ist, nämlich die Leute von der französischen Schwerindustrie, selber darüber 'denken.
Wollen wir nicht diese Zitate aus der Betrachtung ausschalten! Wir haben doch unsere Entscheidung auf unser eigenes Urteil zu gründen.
Ich sage: ich bin ja damit einverstanden, daß wir den Anwendungsbereich des Schumanplans erweitern; und dann kommen weitere Beschränkungen ebenso in Hinfall, wie das bisher schon auf dem Anwendungsbereich des Schumanplans wegen des Widerspruchs mit dem Besatzungsrecht der Fall gewesen ist.
Dann ein Wort über die Ausgleichszahlungen. Ist nicht die Tatsache der Ausgleichszahlungen doch ein kleines Fragezeichen hinter die oft so generell vorgebrachte These, daß unsere Startbedingungen so ungünstig sind? Warum sind denn diese Ausgleichszahlungen eingeführt worden? Deshalb, weil namentlich für die belgische Kohleproduktion — das ist der symptomatische, der illutrativste Fall — in der Tat die Produktionsbedingungen in einem Maße ungünstiger sind als der Durchschnitt der Produktionsbedingungen im übrigen MontanUnion-Raum, daß man, wenn man von Belgien die
Einbeziehung dieser Grundindustrien fordern wollte, etwas tun mußte, um die Schockwirkung der plötzlichen Einführung zu mildern, um also an Stelle — wenn Sie mir die Fortsetzung dieses Bildes gestatten — des Dammbruchs, der durch den Schumanplan herbeigeführt wird, ein System von Schleusen zu setzen, von Schleusen, die eine Zeitlang, nämlich für den Übergangszeitraum, manipuliert werden und es so möglich machen, eine Angleichung des Pegelstandes diesseits und jenseits dieses Dammes in einer vernünftigen, für die nationale Volkswirtschaft nicht störenden Form herbeizuführen.
Eine Bemerkung, die der Herr Abgeordnete zu den Zuständigkeiten des Gerichtshofs gemacht hat, muß ich schon jetzt beantworten. Es wird sich vielleicht im weiteren Gang der Debatte eine Gelegenheit ergeben, dazu noch etwas zu sagen. Ich will mich jetzt darauf beschränken zu sagen, daß es unrichtig ist, zu behaupten, der Gerichtshof könne nur Formalitäten nachprüfen. Ich bin gern bereit, das, was ich hier sage, später, wenn von diesen rechtlichen Dingen die Rede ist, ausführlicher zu begründen.
Und schließlich die letzte Frage, die ausdrücklich an die Bundesregierung gerichtet worden ist: Ob wir die Zusicherung geben können, daß, wenn wir eine Breitbandstraße aus Amerika kaufen können, keine Hindernisse dagegen bestehen, daß wir sie auch einbauen können. Ja, wir können diese Zusicherung geben! Es ist der zweifellose Inhalt des Vertrags, daß das geschehen kann.
Dann war noch der Verdacht ausgesprochen worden — und damit will ich schließen —, daß der Bau des Moselkanals eine Maßnahme sei, die nicht nur nicht europawirtschaftlich sei, sondern die zudem wahrscheinlich das erste Projekt sein werde, das aus den Mitteln der Montangemeinschaft finanziert werde. Darüber kann ich eine beruhigende Erklärung abgeben, nämlich die, daß es sich um eine Finanzierung handelt, die nicht in dem unmittelbaren Anwendungsbereich des Planes liegt. Da der Bau eines Moselkanals nicht ein Vorgang der Grundindustrien ist, bedarf es für eine solche Entscheidung der einstimmigen Zustimmung des Ministerrats. Wir haben also alle Garantien, dabei auch unser Interesse gewahrt zu sehen.