Rede von
Otto
Niebergall
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Saargebiet fällt im Schumanplan eine besondere Bedeutung zu, und aus dem Schumanplan ergeben sich für die Bevölkerung an der Saar und für das deutsche Volk besondere Folgen. Der Berichterstatter Herr Abgeordneter Preusker und der Herr Bundeskanzler haben gestern versucht, mittels eines Briefes des Herrn Außenministers Schuman vom 18. April 1951 die Lage hinsichtlich des Saargebietes so darzustellen, als würde durch die Annahme des Schumanplanes am staatsrechtlichen Zustand des Saargebietes nichts geändert. Diese Feststellung des Herrn Bundeskanzlers und des Berichterstatters trifft nicht zu. Die Argumentation ist eine Irreführung unseres Volkes.
Wie ist denn die Lage in Wirklichkeit? Das Saargebiet wurde auf Betreiben der amerikanischen Imperialisten im Einvernehmen mit den Engländern gegen den ausdrücklichen Willen der Sowjetunion 1945 von Deutschland widerrechtlich abgetrennt. In einer Note der westlichen Alliierten vom 3. August 1951 an die Bundesregierung wurde dieses erneut unterstrichen und bestätigt. Seit 1945 wurde im Saargebiet gegen den Willen der Bevölkerung eine Maßnahme nach der anderen durchge-
führt, um den Zustand, der 1945 an der Saar widerrechtlich geschaffen wurde, zu verewigen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur an die sogenannte Saarkonvention erinnern, durch die unsere Zechen und unsere Kohlen auf 50 Jahre im Interesse einer Handvoll Kriegstreiber ausgeliefert, unserer Wirtschaft entzogen wurden. Die Bevölkerung des Saargebietes hat in dieser Saarkonvention bereits einen Vorgeschmack vom Schumanplan bekommen. Die Arbeiter und der Mittelstand des Saargebietes haben durch die Preis- und Lohngestaltung und durch die Beschränkung des Mitbestimmungsrechts im Saargebiet bereits einen ersten Eindruck, was aus dem Schumanplan zu erwarten ist. Nun soll durch die Unterzeichnung des Schumanplans das ganze Saargebiet abgeschrieben werden. Das ist der Sinn des Schumanplans auf das Saargebiet angewandt.
In Art. 21 des Schumanplan-Vertrages heißt es: „Die Vertreter der Saarbevölkerung sind in die Zahl der Frankreich zugewiesenen Abgeordneten eingerechnet." Das sagt doch in wenigen Worten alles, und zwar, daß den französisch-monopolistischen Vertretern-vorbehalten ist, das Saargebiet zu vertreten und im Saargebiet zu bestimmen.
— Hören Sie genau zu, Herr Preusker, damit Sie vielleicht etwas lernen und damit Sie,
wenn Sie später die Verantwortung gegenüber Ihren Wählern zu übernehmen haben, nicht sagen müssen: Ich habe Zwischenrufe gemacht und nicht zugehört!
Hier wird in Kürze und Eindeutigkeit gesagt, welche Rolle das Saargebiet in der amerikanischfranzösischen monopolistischen Planung spielen soll. Für unser deutsches Volk sind deshalb nicht die nichtssagenden Briefe des Herrn Schuman, über die der Herr Bundeskanzler gegenwärtig verfügt, maßgebend, sondern die Realitäten im Saargebiet.
Und was ist im Saargebiet? Es ist doch eine Fabel, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, im Saargebiet gehe es den Franzosen nur um wirtschaftliche Interessen. Ganz abgesehen davon, daß jedes Kind weiß, daß die Wirtschaft- von der Politik nicht zu trennen ist, frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Wer bestimmt denn die Politik im Saargebiet? Wer bestimmt die Politik im Parlament des Saargebietes? Wer beherrscht im Saargebiet die Presse, das Radio? Wer nimmt Einfluß auf die Schule? Wer nimmt Einfluß überhaupt auf die ganze Lebensgestaltung im Saargebiet? Das sind doch die Vertreter der amerikanisch-französischen Monopolisten im Saargebiet!
Ist Ihnen, Herr Bundeskanzler, das nicht bekannt? Sie haben doch Herrn Dr. Lehr, der Sie so gut über uns informiert, allerdings mit Falschmeldungen. Er soll Ihnen doch einmal durch seine Vertreter an der Saar berichten lassen, was diese über den politischen Zustand im Saargebiet wissen. Die Vorgänge im Saargebiet besagen etwas anderes, als daß es den französischen Monopolisten nur um wirtschaftliche Interessen gehe.
Sie sagen, Herr Bundeskanzler, seit der Diskussion über den Schumanplan habe es keine offizielle Erklärung seitens französischer regierender Kreise gegeben, wonach der derzeitige Zustand an der Saar aufrechterhalten werden solle. Ganz abgesehen davon, daß diese Feststellung nicht zutrifft, kommt es auf die Taten der im Saargebiet Bestimmenden an. Es vergeht kein Tag im Saargebiet, an dem Herr Grandval und sein Gefolge nicht versuchen, den bestehenden Zustand, d. h. die Abtrennung des Saargebietes von Deutschland, zu, verewigen. Herr Bundeskanzler, Sie hätten bésser daran getan, dafür zu sorgen, daß jedem Deutschen die Rede des Herrn Außenministers Schuman in der Schumanplan-Debatte der französischen Kammer vom 6. und 7. Dezember des vergangenen Jahres bekanntgeworden wäre.
Wohlgemerkt: es handelt sich um eine Rede, die lange nach dem Brief, den Sie hier so breitgewalzt haben, gehalten wurde. Was sagt Herr Außenminister Schuman bei dieser Debatte in der französischen Kammer? Er sagt:
Die Politik der französischen Regierung hat sich seit dreieinhalb Jahren, die ich die Ehre habe die Verantwortung für die Außenpolitik zu tragen, nicht geändert. Welches ist diese Politik in bezug auf die Saar? Sie ist durch zwei Tatsachen gekennzeichnet, die sich nicht verändert haben und die durch die Errichtung der Europäischen Gemeinschaft ,für Kohle und Stahl nicht geändert werden.
Die erste ist die Existenz einer französisch-saarländischen Wirtschaftsunion. Diese Wirtschaftsunion ist im Bereich der Europäischen Gemeinschaft als eine Einheit betrachtet worden, die 18 Delegierte zu beanspruchen hat, solange sie existiert.
Die andere Tatsache besteht darin, daß die französische Regierung die auswärtigen Beziehungen des Saargebiets sicherstellt.
Das bleibt so, selbst wenn wir eine diplomatische Vertretung im Saargebiet errichten.
Diese zwei Tatsachen beherrschen den Vertrag, der Ihnen heute zur Ratifikation vorgelegt wird. Wenn er auch nur die Unterschrift Frankreichs trägt, so hat diese Unterschriftt gleichwohl einen doppelten Charakter. Die deutsche Regierung weiß das, Herr Dr. Adenauer!
Die Rede des Herrn Schuman vom 6. Dezember 1951 widerlegt den Briefschreiber Herrn Schuman vom 18. April 1951
und widerlegt Ihre gestrige Rede, Herr Dr. Adenauer. Herr Schuman hat in dieser Rede klar gesagt, daß an dem derzeitigen Zustand im Saargebiet auch in der Zukunft seitens der regierenden Kreise in Frankreich nichts geändert wird.
Herr Bundeskanzler, das ist also die von Ihnen am 6. Juli 1951 angekündigte Lösung der Saarfrage in Bälde. Aber diese Lösung ist nicht die Lösung des deutschen Volkes und damit auch nicht die Lösung für das Volk an der Saar. In Hunderten und Tausenden von Entschließungen und sonstigen Willensäußerungen hat die Bevölkerung an der Saar genau wie im übrigen Deutschland, wie in Frankreich, Belgien, Holland ihren Willen gegen diesen Kriegsplan kundgetan; und immer mehr setzt sich die Erkenntnis im Saargebiet durch, daß
das, was sich an der Saar seit 1945 abgespielt hat, nur durch das yolks- und nationalverräterische Treiben der Führer der Sozialdemokratischen Partei an der Saar und der Christlichen Volkspartei möglich war. Aber immer mehr setzt sich auch die Erkenntnis durch, daß die volle Verantwortung die Bundesregierung und die Vertreter der Regierungskoalition trifft, die nach 1945 geschwiegen haben, als es galt, dem Saarvolke Hilfe zu leisten, und die durch ihr Schweigen die Maßnahmen des französischen Imperialismus an der Saar unterstützt haben.
Die Lösung für das deutsche Volk und die Bevölkerung an der Saar ist nicht der Schumanplan und nicht der Generalvertrag, ist auch nicht die Remilitarisierung, sondern die gesamtdeutsche Beratung und die gesamtdeutschen Wahlen, die Herstellung eines freien, demokratischen, friedliebenden, unabhängigen Deutschland mit Einschluß des Saargebiets!
Das ist eine deutsche Frage, das ist ein deutsches Wollen und damit auch das Wollen des Saarvolkes. Diese Politik dient nicht nur dem deutschen Volke, sondern dient allen Völkern und besonders auch dem französischen Volke. Denn diese Politik hilft, den Frieden zu erhalten und damit Europa eine bessere Zukunft zu geben. Der Schumanplan ist ein Plan des Krieges, der Schumanplan ist der Plan der doppelten Ausbeutung, der Schumanplan ist der Verzicht der Bundesregierung auf das Saargebiet.
Das deutsche Volk aber hat eine andere Planung, und diese Planung heißt: Adenauer soll gehen, die deutsche Einheit muß erstellt werden!