Rede von
Alfred
Onnen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ist in der vorigen Sitzung des Bundestages ohne Aussprache dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht federführend und gleichzeitig dem Ausschuß für den Lastenausgleich überwiesen worden. Bevor ich zu den Einzelheiten der beantragten Änderung des Grundgesetzes Stellung nehme, möchte ich wegen der Bedeutung der Angelegenheit einige Bemerkungen vorausschicken.
Der vorliegende Gesetzentwurf bezweckt nicht, Grundsätze des Aufbaus der Verfassung zu ändern, sondern er ist aus der Notwendigkeit geboren, für die Durchführung der Gesetze zum Lastenausgleich in das Grundgesetz eine bisher fehlende Bestimmung aufzunehmen. Wie die Durchführung des Soforthilfegesetzes bisher gezeigt hat, ist die Durchführung einer so schwerwiegenden Gesetzgebung, wie es die kommende Lastenausgleichsgesetzgebung sein wird, nur möglich, wenn die Einheitlichkeit der Durchführung in jeder Beziehung gewährleistet ist.
Man hat bisher versucht, durch eine Vereinbarung zwischen den Ländern den Mängeln abzuhelfen. Dieses Gesetz will praktisch eigentlich nur einen Zustand mit der Verfassung in Einklang bringen, der seit zwei Jahren schon besteht. Es sind Erörterungen darüber geführt worden, ob nicht auch fürderhin eine Vereinbarung der Länder ausreicht, um die Zwecke sicherzustellen, die der Gesetzentwurf erreichen will. Es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß der Zweck einer Gesetzgebung, die für Jahrzehnte die Ansprüche großer Teile unseres Volkes regelt und Belastungen für große Teile unseres Volkes mit sich bringt, nicht durch eine Vereinbarung zwischen den Ländern erreicht werden kann. Abgesehen davon bestehen starke verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, durch eine Verwaltungsvereinbarung zwischen den Ländern eine Regelung zu schaffen, die mit den Bestimmungen des Grundgesetzes nicht vereinbar ist.
Durch das vorliegende Gesetz soll Verschiedenes erreicht werden. Zunächst ist festzustellen, daß das Grundgesetz selbst über die Durchführung der Lastenausgleichsgesetzgebung nichts enthält, was dienlich sein könnte. Der Verfassungsgesetzgeber hat, an diesen Komplex und an die Durchführung nicht gedacht. Die Verfassung enthält lediglich in Art. 74 Ziffern 6 und 9 die Bestimmung, daß der Bund die konkurrierende Gesetzgebung in den Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen und auf den Gebieten der Kriegsschäden und der Wiedergutmachung hat. Nicht aber ist im Grundgesetz geregelt, wie die Durchführung einer derartigen Gesetzgebung aussehen soll. Der Weg, dieses Problem durch eine bundeseigene Verwaltung in den mittleren und unteren Behörden zu regeln, ist von allen Seiten als nicht zweckmäßig anerkannt worden. Daher ist es notwendig, hier den Weg der Bundesauftragsverwaltung zu gehen. Nun besagt aber das Grundgesetz, daß eine Auftragsverwaltung des Bundes nur möglich ist, wenn das Grundgesetz selber dies anordnet oder zuläßt. Derartige Möglichkeiten sind im Grundgesetz nicht enthalten.
Es ist also notwendig, nach einem Ausweg zu suchen. Hier wird lediglich angestrebt, eine Lücke des Grundgesetzes auszufüllen und das Grundgesetz zweckmäßig zu ändern. Die Überlegungen hierfür sind rein praktischer Natur. Grundsätzliche Erwägungen — ich möchte das nochmals betonen, falls hier oder dort Bedenken im Hause aufkommen sollten — spielen hierbei keine Rolle.
Um Ihnen die Bedeutung dieser Änderung des Grundgesetzes nunmehr im einzelnen verständlich zu machen, muß ich darauf hinweisen, daß die Änderung Verschiedenes bezweckt. Zunächst besagt das beantragte Gesetz, daß die Gesetze, die zur Durchführung des Lastenausgleichs dienen, mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen können, daß sie teils durch den Bund und teils im Auftrag des Bundes durch die Länder ausgeführt werden. Das bedeutet also, daß nunmehr die Möglichkeit, die das Grundgesetz nicht kannte, geschaffen werden soll, dort, wo es notwendig ist, eine eigene Bundesverwaltung oder in den übrigen Teilen
eine Auftragsverwaltung des Bundes zu begründen. Das Gesetz besagt weiter, daß nicht nur die Bundesregierung, sondern auch eine obere Bundesbehörde in der Lage sein soll, Weisungen zu erteilen. Art. 85 des Grundgesetzes besagt u. a., daß die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen kann. Die Änderung sieht vor, daß in Zukunft auch eine obere Bundesbehörde derartige Verwaltungsanordnungen erlassen darf. Außerdem ist vorgesehen, daß sie bei Erlaß dieser Verwaltungsvorschriften nicht an die Zustimmung des Bundesrats gebunden sein soll. Dies dürfte aber keine großen Bedenken bei den Ländern auslösen, da die vorgesehene obere Bundesbehörde — das bisherige Hauptamt für Soforthilfe — mit einem Kuratorium versehen werden soll, in dem die Länder vertreten sind. so daß auch die Länder in Zukunft bei dieser Änderung in der Lage sind. über das Kuratorium auf den Erlaß der Verwaltungsvorschriften hinzuwirken. Außerdem ist die Möglichkeit vorgesehen, daß Weisungen erteilt werden können, wie es das Grundgesetz für die Bundesauftragsverwaltung auch bisher vorsieht. In Abweichung von den Bestimmungen des Grundgesetzes ist aber auch hier der praktischen Notwendigkeit insofern Rechnung getragen, als die Weisungen nicht nur von der Bundesregierung selbst, sondern auch von einer oberen Bundesbehörde erteilt werden können.
Ferner ist insofern eine abweichende Änderung von den bisher geltenden Bestimmungen für die Auftragsverwaltung vorgesehen, als diese Weisungen nicht nur an die oberste Behörde der Länder gegeben werden können, sondern unmittelbar auch an die Mittelbehörden und an die unteren Behörden der Länder. Auch das ist eine Anordnung, die nicht ernstlich die berechtigten Interessen der Länder berührt, sondern praktisch geboten ist, weil sonst eine Sicherung der gleichmäßigen Durchführung dieser Gesetze und eine schnelle Weitergabe der Richtlinien und Weisungen nicht gesichert ist.
Das Gesetz sieht weiterhin vor, daß auch die Vorlage der Akten und Berichte unmittelbar von der oberen Bundesbehörde angefordert werden kann. Als weitere Änderung der bisher geltenden Bestimmungen ist dort vorgesehen, daß auch eine Mittelbehörde, und zwar sowohl eine Mittelbehörde des Bundes wie auch gegebenenfalls — wenn es notwendig sein sollte — eine Mittelbehörde des Landes derartige Weisungen an die unteren Dienststellen geben kann. Das ist der Inhalt der Ergänzungen zum Grundgesetz, wie sie diese Vorlage vorsieht.
Damit den berechtigten Interessen der Länder nicht irgendwie Abbruch getan wird, ist im zweiten Absatz noch der Hinweis enthalten, daß Art. 87 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes unberührt bleibt. Das bedeutet: Wenn die dem Bund erwachsenden Aufgaben auf dem Gebiet der Lastenausgleichsgesetzgebung etwa die Einrichtung von bundeseigenen Mittel- und Unterbehörden doch notwendig erscheinen lassen sollten, könnte das nicht auf Grund der jetzt beantragten Änderung des Grundgesetzes mit einfacher Mehrheit des Bundestags und ohne Zustimmung des Bundesrats geschehen, sondern dann greifen nach wie vor die Sicherungen des Grundgesetzes Platz.
Ich möchte zum Schluß nochmals darauf hinweisen, daß man diese Änderung des Grundgesetzes, die die Praxis dringend erfordert, nicht
ohne Not durch sonst durchaus berechtigte Bedenken gegen eine unnötige Änderung des Grundgesetzes gefährden sollte. Das ist auch im Ausschuß für den Lastenausgleich und in den Beratungen des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht eingehend erörtert und berücksichtigt worden. Hier handelt es sich darum — und das ist die Auffassung der Mitglieder des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, die dieser Auffassung zugestimmt haben —, der kommenden Lastenausgleichsgesetzgebung wegen der zur Zeit fehlenden Bestimmungen des Grundgesetzes die Möglichkeit zu geben, die notwendig ist, um die Durchführung dieser Gesetze so sicherzustellen, wie es das Interesse der Betroffenen erfordert.
Ich habe Sie im Auftrag des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu bitten, dem Gesetzentwurf mit der Änderung zuzustimmen, daß in der siebten Zeile das Wort „Mittelbehörden" ersetzt wird durch das Wort „Bundes- oder Landesbehörden", und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen hier vorgetragen habe. Der Ausschuß für den Lastenausgleich hat sich dieser Stellungnahme einstimmig angeschlossen.