Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die einzige Bestimmung, die das Grundgesetz über die Möglichkeit der Regierung enthält, ein vom Bundestag ordnungsmäßig verabschiedetes Gesetz durch ein Veto irgendwie aufzuhalten, ist der Art. 113. Dieser Art. 113 ist im Parlamentarischen Rat auf Anregung des damaligen Kollegen Herrn Dr. Höpker-Aschoff beschlossen worden, des Parteifreundes des Herrn Justizministers Dehler. Es ist im Parlamentarischen Rat auch nicht entfernt bestritten worden, daß die Regierung die Verpflichtung hat, vom Bundestag beschlossene Gesetze unverzüglich an den Bundespräsidenten zur Ausfertigung weiterzuleiten. Nur um zu verhindern, daß der Bundestag Beschlüsse faßt, die Verpflichtungen finanzieller Natur beinhalten, die über die eingesetzten Etatmittel hinausgehen und also den Haushalt nach Auffassung der Regierung ungebührlich belasten, hat man der Regierung ein Vetorecht eingeräumt. Das ist das einzige Vetorecht, das das Grundgesetz enthält.
Wenn der Herr Bundesjustizminister jetzt erklärt, er sei der Auffassung, daß er auch nach ordnungsmäßiger Verabschiedung eines Gesetzes durch den Bundestag verpflichtet sei oder die Verpflichtung fühle, dieses Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu untersuchen, und wenn er dann sagt, daß er seine Unterschriftleistung davon abhängig mache, daß er die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bejaht, dann maßt sich der Herr Justizminister damit ein Recht an, das in der Verfassung keine Grundlage hat. Wenn die Bundesregierung gegen ein Gesetz Bedenken hat, das im Bundestag behandelt wird, das ja vorher den Bundesrat durchlaufen muß, dann hat sie die Verpflichtung, diese Bedenken vor der endgültigen Verabschiedung hier im Bundestag vorzutragen und zu begründen. Ist aber ein Gesetz einmal beschlossen, dann ist die Regierung gehalten, anzuerkennen, daß das ein ordnungsmäßiges, verfassungsmäßig zustande gekommenes Gesetz ist. Ich erkenne der Regierung höchstens die Möglichkeit zu, im Prozeß der Weiterleitung dieses ordnungsmäßig beschlossenen Gesetzes an den Bundespräsidenten den Bundespräsidenten auf gewisse Mängel formaler Natur aufmerksam zu machen. Aber die Entscheidung darüber, ob das Gesetz vom Bundespräsidenten durch ein Veto vorübergehend angehalten werden
soll, liegt nur beim Bundespräsidenten und nicht bei der Regierung.
Daß es bei dem Art. 113 nur auf die aufgezeigte Einschränkung angekommen ist, ist ganz eindeutig. Der Entwurf von Herrenchiemsee wollte j a seinerzeit der Regierung ein gewisses Vetorecht genereller Natur zugestehen. Dieses Vetorecht hat der Parlamentarische Rat abgelehnt. Er hat nur dieses Vetorecht auf der Basis des Art. 113 anerkannt. Wenn die Bundesregierung mit derartigen Begründungen, wie sie der Herr Bundesjustizminister heute hier gegeben hat, dem Bundestag verfassungswidrige Auffassungen oktroyieren will
— ja, sicher wird das versucht —, dann ist das eine Sache, die der Herr Justizminister mit dem Bundestag abzumachen hat. Was ist das für eine komische Erklärung, es träten dann in dem Falle die üblichen Konflikte ein? Was sind das für Konflikte? Ein Minister, der die Verfassung bricht, hat abzutreten. Einen anderen Konflikt gibt es doch gar nicht. Ein Minister, der sich erlaubt, die Verfassung brechen zu wollen, wird unter das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gestellt. Das ist doch Ihre Verfassung, meine Damen und Herren, die Sie gemacht haben!
Die Sache an sich hat also durch diese sehr fragwürdige Erklärung des Herrn Bundesjustizministers eine Verschärfung erhalten, die wirklich vom gesamten Bundestag beachtet werden muß. Diese Art der Auslegung, Herr Justizminister, der Sie sich neuerlich neben Herrn Dr. Lehr berufen fühlen, scheinbar die Verfassung zu schützen, ist so gefährlich, daß man mit Fingern darauf zeigen muß, um Ihnen rechtzeitig, wenn ich so sagen darf, den Star zu stechen und Ihnen beizubringen, daß Sie endlich auch einmal auf anderen Gebieten die bewiesenen Verfassungsbrüche abstellen sollten.