Rede von
Dr.
Hermann
Ehlers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Es wünscht niemand dazu das Wort zu nehmen. Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik erfolgt ist. — Das ist der Fall.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betreffend Verkündung der vom Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Gesetze .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 20 Minuten, eine Aussprachezeit von höchstens 90 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Jacobi.
Jacobi , Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem kürzlich dem Bundestag von der Registerabteilung zugeleiteten Sonderdruck über den Stand der Beratung von Gesetzentwürfen findet sich am Schluß eine ziffernmäßige Zusammenstellung der dem Bundestag in der Zeit vom 7. September 1949 bis zum 30. September 1951 insgesamt vorgelegten Gesetzentwürfe nach dem Stande vom 12. Oktober 1951. Es handelt sich um insgesamt 378 Gesetze, die hier aufgeführt werden. Von diesen 378 Entwürfen sind im Bundesgesetzblatt 217 verkündet, 30 auf andere Weise erledigt, 10 noch nicht behandelt, 98 zwar schon behandelt, aber noch nicht beschlossen und 23 Gesetzentwürfe beschlossen, aber noch nicht im Bundesgesetzblatt verkündet. Diesen letzten Komplex meint die Interpellation, die ich für die sozialdemokratische Fraktion zu begründen habe.
Der flüchtige Betrachter der soeben vorgetragenen Zahlen mag vielleicht meinen, daß die Tatsache der Nichtverkündung von wenig mehr als 10 % verabschiedeter Gesetze — da die Verkündung ja sicherlich nicht unterbleiben würde — kein Grund für ein Frage- und Antwortspiel zwischen Parlament und Regierung zu sein brauche und daß es wichtigere Dinge gebe. Nun, wer ein wenig nachdenklicher ist, muß anderer Meinung sein. Er wird sehr schnell erkennen, daß mit der sozialdemokratischen Interpellation eine Frage angesprochen wird, die mehr als eine Erörterung von Fragen der Gesetzestechnik auslöst. Es geht bei dem Punkt, der hier berührt wird, um die Geltung des Parlaments, um den Respekt der Regierung gegenüber der Volksvertretung, ja, um mehr, es geht um die Verfassung. Das Grundgesetz erklärt in seinem Art. 82:
Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatte verkündet.
Es verzichtet auf eine Fristsetzung, wie sie etwa der Art. 70 der Weimarer Verfassung enthielt. Dort war bestimmt, daß der Reichspräsident die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze binnen Monatsfrist im Reichsgesetzblatt zu verkünden hat. Aus der Fortlassung einer solchen Fristklausel im Grundgesetz ist jedoch nicht etwa der Schluß zulässig, daß es dem Gutdünken der Bundesregierung überlassen bleibe, innerhalb welcher Zeit der vom Bundestag beschlossene Gesetzentwurf dem Bundespräsidenten vorgelegt werden, also die Vorbereitung der Ausfertigung erfolgen solle. Auch ist es nicht in das Ermessen des Bundespräsidenten gestellt, sich beliebig Zeit für die Verkündungsverfügung zu nehmen. Aus den Materialien des Grundgesetzes ergibt sich vielmehr, daß der Verfassunggeber auf die Aufnahme einer Verkündungsfrist allein deshalb verzichtet hat, weil allgemeines Einverständnis darüber bestand, daß ein verfassungsmäßig zustande gekommenes und vom damals noch geltenden Einspruchsrecht der Besatzungsmächte nicht betroffenes Gesetz unverzüglich zur Ausfertigung und Verkündung zu bringen ist.
Diese Auffassung war und ist auch um so logischer, als es im Grundgesetz im Gegensatz zur Weimarer Verfassung eine Reihe von Hemmungen nicht mehr gibt, die damals zu beachten waren. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Bestimmung des Art. 72 der Weimarer Verfassung, nach der die Verkündung eines Reichsgesetzes auf Antrag einer Reichstagsminderheit in Verbindung mit dem Referendum des Art. 73 um zwei Monate auszusetzen war, oder an das Recht des Reichspräsidenten, ein vom Reichstag beschlossenes Gesetz binnen eines Monats zum Volksentscheid zu bringen. Diese Möglichkeiten gibt es heute nicht mehr. Damit entfiel für den Parlamentarischen Rat die Notwendigkeit, eine Anhaltefrist zu statuieren. Er hat es als selbstverständlich betrachtet, daß ein ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz ohne Verzug ausgefertigt und verkündet werden würde.
Die Praxis der Bundesregierung entspricht der geschilderten Auffassung des Verfassunggebers, wie ich eingangs bereits darlegte, nicht immer. Wir erheischen mit unserer Interpellation hierzu nunmehr eine eindeutige Rechtfertigung der Regierung vor dem Parlament. Unsere beiden ersten Fragen lauten:
1. Welche vom Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Gesetze sind bisher nicht verkündet worden?
2. Aus welchen Gründen ist die Verkündung unterblieben?
im Hinblick auf die Antwort der Bundesregierung möchten wir mit Nachdruck darum ersuchen, uns nicht etwa mit dem Hinweis auf technische Schwierigkeiten zu kommen, die sich z. B. bei der Revidierung für die Drucklegung im Einzelfall ergeben. Was wir verlangen, ist die Unverzüglichkeit der durch den Gesetzesbeschluß ausgelösten und zu treffenden Maßnahmen, d. h. also eine Bearbeitung des Vorganges ohne schuldhaftes Zögern. Hierbei aber kann und darf es sich lediglich um eine Behandlung der Sache handeln, die sich auf die Vorbereitung der Ausfertigung beschränkt. Was aber bedeutet die Ausfertigung? Nichts anderes als die Unterzeichnung der Urschrift des Gesetzes, nach der das Gesetz zu datieren ist. Die Ausfertigung ist nicht mehr und nicht weniger als die Beurkundung, daß die Urschrift den Wortlaut des Gesetzes darstellt, wie es sich aus den Beschlüssen des Bundestages und Bundesrates ergeben hat. Die Prüfung der Vereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz gehört nicht zu den Obliegenheiten der Bundesregierung. Hüter des Grundgesetzes ist der Bundespräsident. Im übrigen gibt es das richterliche Prüfungsrecht, so die Möglichkeit der Anrufung des Bundesverfassungsgerichts. Aber das alles steht buchstäblich auf einem anderen Blatt und bedarf im Zusammenhang mit dieser Interpellation keiner eingehenden Erörterung.
Ich habe bereits den Art. 82 des Grundgesetzes zitiert. Gestatten Sie mir einen weiteren Hinweis. In der Geschäftsordnung der Bundesregierung — abgedruckt im Gemeinsamen Ministerialblatt vom 5. Juni 1951 — findet sich lediglich eine — ebenfalls sehr kurze und klare — Bestimmung über die Behandlung von Gesetzesbeschlüssen. Es heißt dort in § 29, soweit er hier interessiert:
Gesetze sind dem Bundespräsidenten erst nach der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler und den zuständigen Bundesminister zur Vollziehung vorzulegen.
Auch die Bestimmung, die ich eben zitiert habe, schafft, von ihrer Rangigkeit als interne Regel einmal abgesehen, keinen Ermessensspielraum für die Bundesregierung. Wir haben Grund zu der Besorgnis, daß dies von der Bundesregierung gelegentlich nicht genügend beachtet wird. Sie nimmt sich in nicht seltenen Fällen sehr viel Zeit, bis sie die Urkunde des beschlossenen Gesetzes an den Bundespräsidenten weitergibt, auch in Fällen, in denen in keiner Weise andere als Momente der politischen Unlust erkennbar sind. Ob Gesetze der Volksvertretung einer Regierung genehm sind oder nicht, ist aber eine Frage, die sich nicht in der Behandlung der Ausfertigung und Verkündung eines Gesetzes niederschlagen darf. Im übrigen kann sich eine Regierung gelegentlich durch einen Gesetzesbeschluß zwar für überspielt halten, ihr kann ein Gesetz als eine durchaus ungute Sache erscheinen, dennoch entbindet sie eine solche Auffassung nicht von der unabdingbaren Pflicht, alles zu tun, was
notwendig ist, um die Entscheidung des Parlaments zu respektieren, dies um so weniger, als ein Gesetzentwurf ja nicht von heute auf morgen verabschiedet wird. Er hat immer drei Entwicklungsstadien zu passieren: Einbringung, Beratung und Beschluß. Für den mit unserer Interpellation aufgeworfenen Fragenkomplex ist das Mittelstück dieser Skala, die Beratung, von besonderer Bedeutung.
Gemäß Art. 43 des Grundgesetzes haben die Mitglieder der Bundesregierung sowie ihre Beauftragten zu allen Sitzungen des Bundestags und seiner Ausschüsse Zutritt. Hieraus hat sich de facto ein System der Mitberatung entwickelt. Es dient der gegenseitigen Information und gibt der Bundesregierung von der Einbringung eines Gesetzentwurfes an die Möglichkeit, eventuelle Bedenken gegen Wortlaut und Inhalt des Entwurfs anzumelden. Es ist wichtig, das hier festzuhalten, weil die Regierung offenbar glaubt, auch nach der Verabschiedung eines Gesetzentwurfes noch widerstehen, ja manipulieren zu dürfen.
Lassen Sie mich ein illustres Beispiel dafür anführen. Unter den 23 eingangs erwähnten beschlossenen, aber nicht verkündeten Gesetzentwürfen befindet sich einer, der in den Schubladen des betroffenen Fachministeriums bereits Schimmel angesetzt hat. Ich meine das Gesetz über die vermögensrechtlichen Verhältnisse der Deutschen Bundespost. Dieses Gesetz ist in diesem Hohen, in diesem Falle aber von der Bundesregierung äußerst niedrig bewerteten, Hause am 6. Dezember 1950 verabschiedet worden.
Der Herr Bundestagspräsident hat dem Plenum am 10. Januar 1951 davon Kenntnis gegeben, daß das Gesetz auch den Bundesrat passiert hat. Bis zur Stunde — wir schreiben heute den 14. November ' 1951 — ist die Ausfertigung und Verkündung nicht erfolgt.