Rede von
Willy
Brandt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicher von seiten meiner politischen Freunde nichts dagegen einzuwenden, daß die rechtlichen Gesichtspunkte, die hier angedeutet wurden, nach jeder Seite hin in den zuständigen Ausschüssen überprüft werden. Aber wenn hier die Wahl steht, Herr Kollege Ewers, zwischen Zwirnsfaden und Schiffstau, dann entscheide ich mich für das Gummiband, sofern es nämlich um die besatzungsrechtliche Stellung in dem besonderen Falle des Landes Berlin im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland geht. Es geht darum, daß der deutsche Gesetzgeber nicht frei die Voraussetzungen dafür hat bestimmen können, wie dieses Land Berlin in der Bundesrepublik stehen sollte. Schritt für Schritt haben wir uns zwei Jahre lang bemüht, dieses Land Berlin immer enger mit der Bundesrepublik zu verpflechten.
Es kommt noch einiges hinzu. Es ist ja ein Unterschied, Herr Kollege Ewers, ob wir beantragen, daß jetzt Wahlen in Berlin veranstaltet werden, oder ob wir — wie wir es getan haben — beantragen, daß weiter für diesen ersten Bundestag auf dem Wege der indirekten Entsendung eine — leider noch nicht stimmberechtigte — Mitwirkung geschaffen wird, aber durch mehr Abgeordnete. Wie gesagt, diese Fragen mögen im Ausschuß weiter erörtert und geklärt werden.
Erlauben Sie mir nur noch ein Wort an die Adresse des Kollegen Gundelach! Es ist nicht richtig, wenn hier gesagt wird, daß es sich um eine verstärkte Westberliner Vertretung im Bundestag handeln solle. Im Abgeordnetenhaus von Berlin sitzen Vertreter, die in West-Berlin gewählt wurden, weil auf Grund des Druckes einer Besatzungsmacht nur dort gewählt werden konnte. Aber unter diesen in den Westsektoren gewählten Abgeordneten sind auch solche, die aus dem Ostsektor kommen, und es sind im Abgeordnetenhaus auch solche dabei, die bei den letzten freien Wahlen im Ostsektor von der Bevölkerung des Ostsektors gewählt worden sind. Wenn Sie, Herr Kollege Gundelach, Ihren politischen Freunden einen Rat geben wollen — es ist ihnen auf andere Weise auch schon nahegelegt worden —: Auch denen werden die 11 Plätze, die ihnen auf Grund der Wahlen von 1946 zukämen, weiter freigehalten.
— Es hat doch nicht den geringsten Sinn, Herr Kollege Gundelach, hier von einer Politik der Spaltung Berlins zu sprechen, wenn jedes Kind in Berlin und in Deutschland weiß, daß Sie den Vorschlag, freie Wahlen in ganz Berlin durchzuführen, abgelehnt haben.
Wenn Sie Ihre Meinung dazu geändert haben, dann erklären Sie es bei einem späteren Punkt der heutigen Tagesordnung. Sonst nimmt Ihnen niemand diese Redensarten über die Spaltung Berlins ab!