Rede von
August-Martin
Euler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu meinem sehr großen Bedauern bin ich genötigt, an die Spitze meiner Ausführungen eine Verwahrung, und zwar eine sehr entschiedene Verwahrung gegen einen polemischen Angriff des Herrn Kollegen Arndt zu stellen. Dieser Angriff versuchte, die Freie Demokratische Partei der Mitwirkung bei den Protestaktionen aus Anlaß der Kranzniederlegung an den Gräbern von Ohlendorf und einem anderen der Landsberger Verurteilten zu bezichtigen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir uns aus genau denselben Erwägungen wie Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, gegen die Vollstreckung der Urteile gewandt haben. Die wesentlichste Erwägung dabei war, daß wir ein Bundesgesetz haben, das die Todesstrafe abgeschafft hat, und daß der Widerspruch gegen dieses Grundgesetz in diesem Augenblick nicht von den Besatzungsmächten hätte exekutiert werden sollen. Wir haben aber nichts getan, was Anlaß dazu hätte bieten können, die Verurteilten in der Glorie von Märtyrern erscheinen zu lassen, da wir sehr wohl wissen, daß sie Schwerverbrecher sind. Ich muß also Herrn Kollegen Arndt bitten, wenn er meint, daß Angehörige der FDP an diesen Kranzniederlegungen teilgenommen hätten, uns entweder das Material zugängig zu machen oder aber fairerweise hier an dieser Stelle die Behauptung, die er ausgesprochen hat, wieder zurückzunehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Thema Kemritz! Seitdem die Freie Demokratische Partei, Landesverband Hessen, in der vorvorigen Woche verschiedene Publikationen in deutschen Zeitschriften zum Anlaß nahm, um sowohl an den Herrn Bundesjustizminister als auch an den hessischen Ministerpräsidenten zu appellieren, sind eine Reihe von Maßnahmen der amerikanischen Besatzungsmacht zum Schutze von Kemritz getroffen worden, die in keiner Weise gerechtfertigt werden können und die unser Volk auf das tiefste erregt haben.
Der Fall Kemritz ist ein Ausschnitt aus dem ernsten Kapitel des kalten Krieges und der Geheimdienste, die diesen kalten Krieg auf deutschem Boden führen.
Deutschland ist einer der Hauptkriegsschauplätze dieses kalten Krieges der Großmächte. Der große Umfang, in dem dieser Krieg der Geheimdienste auf deutschem Boden vor sich geht, macht es um so wesentlicher, daß wir als Deutsche alles tun, um dafür zu sorgen, daß das Gebiet der Bundesrepublik keine freie Wildbahn und kein Schutzgebiet für Agenten wird, die mit Wissen der Besatzungsmächte kriminelle Untaten begehen. Das Problem ist für uns um so ernster, wenn es sich um deutsche Staatsangehörige handelt. Sie sind Bürger dieses Landes und unterliegen seinen Gesetzen und den zu ihrer Wahrung und Vollstreckung vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen der deutschen Justiz und der deutschen Administration.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind bemüht, die demokratischen Kräfte aller Parteigruppierungen und eine rechtsstaatliche Demokratie in Deutschland zu entwickeln. Die rechtsstaatliche Demokratie kann nicht ohne unabhängige Justiz gedeihen. Die Verankerung dieses Rechtsstaates und das rechte Wissen um die Unentbehrlichkeit einer unabhängigen Justiz für diesen Rechtsstaat im Bewußtsein des deutschen Volkes sind aber nicht möglich, wenn die Besatzungsmächte aus Scheingründen, aus Gründen, die sie ja nicht ernsthaft erwogen haben können, der deutschen Justiz in den Arm fallen.
Was Dr. Kemritz getan hat, ist nur dadurch zu kennzeichnen, daß man sagt, er hat sich als Menschenfalle betätigt. Und da er dies in nicht weniger
als acht Fällen getan hat, so gibt es für die Besatzungsmächte — wie Kollege Arndt zutreffender-weise dargetan hat — weder eine Möglichkeit, die Schadenersatzansprüche der deutschen Verletzten aufzuhalten, noch die Möglichkeit, Vollstreckungsmaßnahmen des deutschen Finanzfiskus wegen Steuerschulden zu verhindern; es besteht für die Besatzungsmächte ebensowenig die Möglichkeit, Maßnahmen der deutschen Standes-Ehrengerichtsbarkeit gegen Kemritz zu verhindern. Es gibt aber auch keine Rechtfertigung der Verhinderung von Maßnahmen, die die deutsche Strafjustiz durchführen müßte, um für Delikte des Menschenraubs und der Menschenvernichtung, deren sich Dr. Kernritz schuldig gemacht hat, die notwendige Sühne herbeizuführen. Der amerikanische Landeskommissar für Hessen hat sich zwar auf Gesetz Nr. 14 Art. 3 berufen, obwohl es sich in diesem Falle nicht um eine Zusammenarbeit mit den Alliierten handelt, die dem Schutze dieses Gesetzes unterliegen könnte. Er hat aber vergessen, ein ganz anderes wesentliches Gesetz heranzuziehen, nämlich das Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats vom 12. April 1946, das in Art. 2 Ziffer 1 d und in Ziffer 2 ausdrücklich die indirekte Beihilfe zu Menschenraub unter den Delikten aufzählt, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bezeichnen sind.
Wir müssen uns mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß die amerikanische Besatzungsmacht Schutzmaßnahmen zugunsten eines Deutschen trifft, der gegen andere Deutsche als Menschenfalle gewirkt und Menschenraub begangen hat. Wir haben ins Auge zu fassen, daß bisher nicht nur Vollstreckungsmaßnahmen verhindert wurden, sondern daß jetzt Dr. Kernritz selbst, nachdem vor seinem Grundstück in Bad Homburg von der amerikanischen Besatzungsmacht ein Schild: „Off Limits — Zutritt Deutschen verboten" angebracht wurde,
in ein US-Camp in der Nähe von Heidelberg in Sicherheit verbracht worden ist, wo er einstweilen unter US-Bewachung lebt.
Es erhellt daraus die Absicht der amerikanischen Besatzungsmacht, die Schutzmaßnahmen für Dr. Kemritz weiterhin aufrechtzuerhalten.
Wir haben nun um so mehr Anlaß, mit äußerster Entschiedenheit auf die Abstellung solcher ungerechtfertigter Schutzmaßnahmen hinzuwirken, als in den letzten Tagen einige Fälle bekanntgeworden sind, in denen Angehörige der Besatzungsmacht von gewissen Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch gemacht haben und auf ebenfalls sehr verhängnisvolle Weise deutschen Behörden in den Arm gefallen sind. Ich will hier nur einen Fall erwähnen, der in den letzten Tagen bekannt wurde, nämlich den des Chemikers Wendt von der Frankfurter Firma Schleußner, einer Film- und Photofabrik. Dieser Dr. Wendt wurde des Diebstahls an Forschungsergebnissen in der Firma Schleußner überführt. Die Koffer, die bei ihm in der Wohnung beschlagnahmt wurden, wurden nach der Sicherstellung durch die deutsche Polizei von amerikanischer MP wieder in amerikanischen Besitz gebracht.
Weitere Koffer mußten dann an die amerikanische Militärpolizei in deren Gebäude abgeliefert werden, die dort versiegelt wurden. Jedenfalls ist kurz darauf Frau Wendt unter dem Schutz amerikanischer
Polizei mit einem dieser Koffer in ein Flugzeug mit dem Ziel USA verbracht worden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir diese Fortdauer einer völlig verfehlten Einstellung amerikanischer Behörden und amerikanischer Exekutivbeamten auf deutschem Boden erleben, dann wird das auf das äußerste gefährdet, was wir als großes politisches Ziel anstreben. Das ist nicht nur innerpolitisch die Gesundung der Demokratie im Sinne eines freiheitlichen Rechtsstaates, sondern es ist vor allem außenpolitisch ein immer engeres Zusammenwirken nicht nur in der Wirtschaft, sondern vor allem auch auf der breitesten Basis der Politik zwischen allen freiheitlichen Völkern der Welt, zwischen allen Völkern, denen es darum geht, nicht nur zu verhüten, daß weitere Völker in Sklaverei versinken, sondern die sich dafür einsetzen, daß die Sache der Freiheit und des Rechtes auf friedliche Weise gegenüber den Ansprüchen der Tyrannei zum Siege gelangt.
Wir lasen in den heutigen Tageszeitungen, daß der amerikanische Hochkommissar McCloy am Dienstag, dem 19. Juni, in Washington verkündet hat, es sei demnächst mit einer Erklärung der führenden Demokratien über die neuen Absichten ihrer Deutschlandpolitik zu rechnen. Die Ankündigung einer solchen fundamentalen Erklärung, die dahin lauten soll, daß dem deutschen Gleichberechtigungsverlangen schneller stattgegeben wird, wird durch Beamte der Besatzungsmacht desavouiert, die offensichtlich noch stark von dem Geiste des Morgenthau-Plans infiziert sind
und sich nicht genügend schnell auf die neuen Realitäten, auf die neuen Notwendigkeiten zur Bewahrung und Durchsetzung der Demokratie in der Welt haben umstellen können. Wir möchten diese Gelegenheit benutzen, um an die amerikanische Besatzungsmacht dahin zu appellieren, daß sie von oben her auf die breite Masse ihrer Exekutivbeamten und -angestellten nicht nur in der Besatzungsverwaltung, sondern auch auf die Truppe, die auf deutschem Boden steht, einwirkt, sich des Geistes bei allen Maßnahmen zu befleißigen, der zum Ausdruck bringt, daß Deutschland nicht mehr der Besiegte von gestern, sondern der faire Partner von heute und morgen für alle Völker der freien Welt ist.
Aus diesen Erwägungen heraus haben wir uns entschlossen, einen umfassenden Antrag einzubringen, der über den Inhalt der Anträge der CDU und SPD hinausgeht. Er lautet:
In der Überzeugung, daß der Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates mit der ihm unentbehrlichen unabhängigen Rechtspflege im Bewußtsein des deutschen Volkes auf das schwerste gefährdet wird, wenn die Besatzungsmächte Eingriffe vornehmen, um ordentliche Justizverfahren gegen deutsche Staatsangehörige zu verhindern oder zu beeinflussen,
ersucht der Bundestag die Bundesregierung, bei dem Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten zu erwirken, daß die Maßnahmen aufgehoben werden, die amerikanische Dienststellen eingeleitet haben, um Strafverfahren und berufsständische Ehrengerichtsverfahren gegen den Rechtsanwalt Dr. Kemritz zu ver-
hindern und um die Durchsetzung zivil- und
öffentlich-rechtlicher Ansprüche zu verhüten.
Die Bundesregierung wird ferner ersucht,
bei dem Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten sicherzustellen, daß weitere Eingriffe der amerikanischen Besatzungsmacht unterbleiben, die darauf abzielen, dem schwerer Verbrechen Beschuldigten gegenüber der deutschen Justiz einen nach deutschem Recht nicht begründeten Schutz zuteil werden zu lassen, und daß Dr. Kemritz den zuständigen
deutschen Behörden ausgeliefert wird.
Auf diesen Nachsatz möchte ich besonders hinweisen, nachdem festzustehen scheint, daß sich Dr. Kemritz noch auf deutschem Boden befindet, allerdings unter Obhut der Besatzungsmacht in einem US-Camp in der Nähe Heidelbergs.