Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung stimmt mit den Antragstellern und mit den Interpellanten in der Bewertung des Falles Kemritz und des Verhaltens der amerikanischen Stellen im Zusammenhange mit dem Fall Kemritz durchaus überein.
Die Interpellanten fragen, was die Bundesregierung unternommen hat, um Kemritz vor deutsche Gerichte zu ziehen. Von dem verbrecherischen Tun dieses Mannes habe ich Ende September vorigen Jahres erfahren. Eines seiner Opfer war durch einen glücklichen Zufall dem drohenden Schicksal entgangen und hat mir den Sachverhalt in Form einer eidesstattlichen Versicherung mitgeteilt. Ich habe diese Unterlagen sofort dem zuständigen hessischen Justizministerium mit der Bitte um Einleitung eines Strafverfahrens und Unterrichtung über den Fortgang des Verfahrens zugeleitet. Schon am 1. November hat die Staatsanwaltschaft in Frankfurt einen Haftbefehl beim Amtsgericht Frankfurt erwirkt. Aber sofort kam die Gegenwirkung der amerikanischen Stellen. Am 2. November hat das Amt des amerikanischen Landeskommissars für Hessen die Vorlage der Ermittlungsvorgänge gefordert. 'Trotz schriftlicher und mündlicher Vorstellungen der zuständigen Beamten des hessischen Justizministeriums wurde die Herausgabe der Unterlagen gefordert, und dies trotz des ausdrücklichen Hinweises, daß dieser Fall zweifellos und begründetermaßen der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt. Die Unterlagen sind dann am 18. November dem amerikanischen Landeskommissar übergeben worden. Am 21. November wurde vom US-Landeskommissar dem hessischen Justizministerium fernmündlich mitgeteilt, daß die Angelegenheit an ein amerikanisches Besatzungsgericht abgegeben worden sei. Dieses amerikanische Besatzungsgericht hat dann den Kemritz, wie wir hören, gegen eine Kaution von nur 5000 DM aus der Haft entlassen.
Als ich den Sachverhalt erfuhr, habe ich das hessische Justizministerium gebeten, die Gründe für diese Anordnung des Landeskommissars zu ermitteln. Es kam aber nur die Mitteilung, daß das Amt des Landeskommissars für Hessen für die Übernahme von Strafsachen in die Besatzungsgerichtsbarkeit keine Gründe angebe.
Ich habe mich dann unter Einschaltung anderer Dienststellen des Bundes im Zusammenwirken mit dem hessischen Justizministerium bemüht, den wirklichen Umfang der Handlungen, der Verbrechen des Kemritz und den eigentlichen Grund der Haltung des amerikanischen hessischen Landeskommissars festzustellen. Das hessische Justizministerium hat erneut bei dem Landeskommissar Vorstellungen erhoben, aber wieder keine Auskunft erhalten. Meine Nachforschungen ergaben, daß Kemritz in weit größerem Umfange, als ursprünglich angenommen wurde, dringend verdächtig war, sich einer Fülle der Verbrechen der schweren Freiheitsberaubung, wie sie Herr Abgeordneter Dr. Arndt hier in jedem Punkt zutreffend gewürdigt hat, schuldig gemacht zu haben.
Nach meinen Ermittlungen sind in der Zeit vom Herbst 1945 bis März oder Juli 1946 mit großer Sicherheit 14 Männer — deren „Verbrechen" also nur darin bestanden haben kann, daß sie zusammen mit Kemritz in der Abwehrabteilung des stellvertretenden Generalkommandos III tätig gewesen waren — und 3 Frauen den Sowjetbehörden in der vorher geschilderten Form 'ausgeliefert worden.
Wahrscheinlich sind aber noch 3 weitere Männer, die im Sommer 1945 in Berlin verschwunden sind, ebenfalls durch die ungeheuerlichen Maßnahmen dieses Kemritz den Russen ausgeliefert worden. Von den genannten Personen sind nur 3 Männer und die 3 Frauen, die teilweise bis zum Frühjahr 1950 in den Konzentrationslagern zurückgehalten worden waren, zurückgekehrt. Wir wissen bestimmt, daß Otto Wernicke, der ehemalige Direktor eines großen Berliner Krankenhauses, im Januar 1946 im GPU-Gefängnis Weißensee zum Tode verurteilt worden ist. Erich Klose ist am 10. Februar 1946 im Lager Hohenschönhausen. Dr. Rieckenberg 1947 und Hans-Jürgen von Hake im Juli 1950 im Zuchthaus Luckau gestorben. Ein weiteres Opfer wird nach unseren Feststellungen in einem Lager der Sowjetzone krank zurückgehalten. Von anderen auf diese fürchterliche Weise verschleppten Personen haben wir keine Nachricht erhalten.
Ich habe erwogen, ob ich schon auf Grund dieses Sachverhaltes Vorstellungen beim amerikanischen Hohen Kommissar erheben soll. Die Tatsache aber, daß die amerikanischen Stellen erklärt haben, sie hätten von sich aus ein Verfahren gegen Kemritz beim amerikanischen Besatzungsgericht in Berlin anhängig gemacht — ich habe dieses Verfahren für ernsthaft angesehen —, hat mich veranlaßt, zunächst abzuwarten. Ich habe meine Sachbearbeiter persönlich nach Berlin geschickt. Sie haben zusammen mit dem Senator für Justiz in Berlin die Dinge behandelt, und dabei wurde dann festgestellt, daß in Berlin ebenfalls bei der deutscheu Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingeleitet war. Wir haben alles unternommen, um dieses Verfahren zu beschleunigen. Wir haben insbesondere aber davon abgesehen, die in Berlin vorliegenden Vorgänge dem amerikanischen Besatzungsgericht zu übergeben. Dieses Verfahren in Berlin ist noch anhängig und wird vom Generalstaatsanwalt in Berlin betrieben. Es ist Anklage gegen Kemritz erhoben und Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung gestellt worden. Die Voruntersuchung ist, wie ich heute telefonisch festgestellt habe, von der Strafkammer des Landgerichts Berlin eröffnet worden. Die Pressenach-
richt von heute, daß dieses Verfahren ebenfalls durch einen Einspruch der amerikanischen Behörde kupiert worden sei, trifft nicht zu. Das Verfahren schwebt. Richtig ist nur, daß, Wie schon erwähnt wurde, ein Zivilprozeß, und zwar der Schadensersatzprozeß der Witwe von Hake gegen Kemritz, zunächst verboten wurde und daß man gestern von dem Herrn Senator der Justiz in Berlin, Herrn Dr. Kielinger, die Herausgabe der darauf bezüglichen Akten gefordert hat. Herr Dr. Kielinger hat die Herausgabe dieser Akten abgelehnt.
Dazu kommt die bereits erwähnte Tatsache, daß das in Frankfurt gegen Kemritz eingeleitete ehrengerichtliche Verfahren, in dem es darum ging, diesen für eine deutsche Rechtsanwaltschaft unerträglichen Mann so rasch wie möglich auszustoßen, kurz bevor die auf den 14. April angesetzte Hauptverhandlung stattfinden sollte, von dem amerikanischen Landeskommissar unterbrochen wurde. Am 2. April hat er dem hessischen Ministerpräsidenten eine Anordnung auf Einstellung des Verfahrens mit der Begründung übersandt:
Wie sich aus der Anklage ergibt, werden Interessen berührt, die in den Bereich des § 2 e des Besatzungsstatuts fallen. Daher wird gemäß Art. 7 des Gesetzes Nr. 13 der vorgenannte Fall der Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen, und es wird angeordnet, daß das Verfahren eingestellt wird.
In der Folge mußten die Akten des Ehrengerichtsverfahrens — auch auf einen Befehl des Landeskommissars — der amerikanischen Besatzungsbehörde ausgehändigt werden.
Ich kann dem, was der Herr Abgeordnete Dr. Arndt über die Unmöglichkeit und über die rechtliche Unhaltbarkeit dieses Verfahrens gesagt hat, kaum etwas beifügen. Die Evokation der Verfahren durch die amerikanische Besatzungsbehörde stützt sich auf den Art. 7 des Gesetzes Nr. 13 und auf die Gründe, die schon erwähnt worden sind. Inwieweit durch diese Verfahren, besonders durch ein ehrengerichtliches Verfahren oder gar durch einen Zivilprozeß, amerikanische Interessen berührt werden sollen, das ist das Geheimnis der amerikanischen Behörden geblieben. Es wurde nicht einmal der Versuch einer Begründung gemacht.
Insbesondere wurde nicht dargelegt, inwieweit
durch ein Verfahren gegen Kemritz wegen der
ihm zur Last gelegten Straftaten — darauf kommt
es doch an: Straftaten, die zu den schwersten
Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören —
Interessen der amerikanischen Besatzungsmacht
berührt werden. Immerhin konnte man noch bis
vor wenigen Tagen die Hoffnung haben, daß das
amerikanische Gericht in Berlin unserem Verlangen nach Sühne schwerster Verbrechen Rechnung tragen würde. Aber seit der Bekanntmachung des Rechtsamtes des amerikanischen
Hohen Kommissars vom 13. Juni 1951, daß das bei
der amerikanischen Justizbehörde in Berlin anhängige Verfahren gegen Kemritz eingestellt worden sei, ist auch diese Hoffnung verdorben.
Ich teile in jedem Worte die Kritik des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt an dieser Bekanntmachung und an seiner Begründung. Man wird schamrot, wenn man diese doch immerhin in der Diktion eines Juristen gefaßte Begründung liest.
Sie überzeugt mit keinem Worte.
Vielleicht darf ich in Ergänzung dessen, was die Vorredner gesagt haben, in diesem Zusammenhang noch auf eines hinweisen. In der Bekanntmachung wird davon gesprochen, daß die Opfer des Herrn Kemritz auf Grund der alliierten Verfügungen zwangsläufig der Verhaftung unterlegen seien und daß Herr Kemritz gewissermaßen nur ein gutes Werk getan habe, wenn er diese Leute dem barbarischen Schicksal in der Hand der Russen ausgeliefert habe. Ich habe vergeblich versucht, solche Verfügungen, die ja eine Rechtsgrundlage sein sollen, festzustellen. Es gibt nur eine Direktive Nr. 38 des Kontrollrats über die Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und die Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen. Sie ist erst am 12. Oktober 1946 ausgefertigt worden, also lange nachdem die Verbrechen des Kemritz geschehen waren. Aber selbst wenn eine solche Verfügung bestanden hätte, dann hätte es nur den normalen, den korrekten Weg eines Ersuchens der zuständigen russischen Stellen an die amerikanische, britische oder französische Militärbehörde um Auslieferung gegeben. Töricht, uns glauben machen zu wollen, es sei notwendig oder auch nur Rechtens gewesen, Menschen in der Form, in der es Kernritz getan hat, tückisch in eine Falle zu locken und dann in die tödlichen Arme der Sowjetbehörden zu treiben.
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß auf jeden Fall ein Widerspruch insofern besteht, als die beiden Opfer des Kemritz Danneberg und Klose schon vorher von den Amerikanern gecleart und dann bedingungslos entlassen worden waren. Soweit jedenfalls die Feststellungen, die uns möglich waren. Aber ganz abgesehen davon, wie will man mit einer solchen Begründung rechtfertigen, daß Kemritz drei Frauen auf diese Weise verschleppt hat,
drei Frauen, von denen nur zwei Angestellte in der Abwehrabteilung waren, während der dritten bestenfalls der Vorwurf gemacht werden kann, daß sie mit einem Abwehroffizier verheiratet war!
Die Angabe des Rechtsamtes der amerikanischen Hochkommission, die von Kemritz bei den Verhaftungen geleistete Unterstützung sei legal gewesen, erscheint unhaltbar. Damit entbehrt auch der Hinweis auf das Gesetz Nr. 14 jeder stichhaltigen Begründung. Über die Bewertung des Tuns des Kemritz ist, glaube ich, kein Wort zu verlieren. Es kommt einem einfach grotesk vor, wenn behauptet wird, daß ein Mann wie Kemritz einen wertvollen Beitrag zur Sicherheit des Westens geleistet habe. Die Bundesregierung hat kein Verständnis für die Haltung der amerikanischen Behörden in diesem Falle. Was Kemritz getan hat, ist nach den Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuches schwerstes Verbrechen, wenn nicht Beihilfe zum Mord, dann auf jeden Fall schwere Freiheitsberaubung mit Todesfolge im Sinne des § 239 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches, aber auch ein schwerster Verstoß gegen die Gesetze der Menschlichkeit, die doch gerade nach den von den Besatzungsmächten feierlich verkündeten Grundsätzen Gegenstand besonderen Rechtsschutzes sein soll.
Die amerikanischen Stellen haben in Presseveröffentlichungen der letzten Tage ihr Erstaunen
geäußert, daß die Deutschen sich über den Fall Kemritz erregen.
Ich meine, auch die Siegermächte sollten sich freuen, daß die Kraft der Entrüstung über das Unrecht - ich will hoffen, über jedes Unrecht — im deutschen Volke wieder lebendig ist.
Wenn behauptet wird, die amerikanischen Behorden hätten sich bei uns vergeblich um Material bemüht — auch das ist in den Pressemitteilungen erschienen —, so trifft das nicht zu. Weder an mich noch an die hessischen Stellen sind solche Anforderungen ergangen. Im übrigen ergibt sich aus der zitierten Begründung der Entscheidung des Rechtsamtes, daß dort das Material, auf das sich die Entscheidung des Rechtsamtes stützt, vorhanden sein muß.
Ich bin der Ansicht: Die im Fall Kernritz von der amerikanischen Behörde vertretene Auffassung ist für uns und für jedes Rechtsempfinden unerträglich. Ich habe heute mittag gegen 12 Uhr mit einem Beamten des Amtes des amerikanischen Hohen Kommissars eine Rücksprache gehabt. Dieser Beamte hat mir erklärt — ich gebe seine Worte wieder —: Kemritz befindet sich nicht mehr in deutscher Jurisdiktion.
Er hat den deutschen Boden schon verlassen
oder ist wenigstens im Begriff, das zu tun.
Der Standpunkt der Bundesregierung dazu: Das deutsche Verlangen nach Sühne der schweren Verbrechen dieses Mannes wird durch eine solche Tatsache nicht berührt.
Die Bundesregierung stimmt den gestellten Anträgen durchaus zu. Sie wird auf Grund der heutigen Entscheidungen des Bundestages in aller Form gegen die Mitteilung des Rechtsamtes des amerikanischen Hohen Kommissars vom 13. Juni 1951 Verwahrung einlegen und beim amerikanischen Hohen Kommissar vorstellig werden mit dem Ziel, daß die Verfügung des amerikanischen Landeskommissars für Hessen vom November 1950, durch die das Strafverfahren gegen Kemritz der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen wurde, und die Verfügung des Landeskommissars vom 2. April 1951, wonach das ehrengerichtliche Verfahren gegen Kemritz eingestellt werden mußte, rückgängig gemacht werden. Die Bundesregierung erwartet auch, daß das in Berlin anhängige Verfahren ungestört weitergeführt wird. Die Bundesregierung wird sich darüber schlüssig machen, ob sie Antrag auf eine Art von Auslieferung des Kemritz stellen wird.
— Ich bin im Augenblick nicht legitimiert, mich dazu zu äußern, aber für meine Person halte ich es auch für selbstverständlich.
Der hessische Ministerpräsident hat in seiner Eigenschaft als Justizminister Kemritz das Betreten der Gerichtsgebäude verboten und das Verfahren auf Ausschluß aus der Anwaltschaft eingeleitet.
Die Bundesregierung billigt dieses Vorgehen.
Der Fall Kemritz gibt der Bundesregierung auch erneut Anlaß, darauf zu dringen, daß das Gesetz Nr. 13 sobald als möglich aufgehoben wird.
Ein Zustand, wie ihn der Fall Kemritz enthüllt hat, darf nicht andauern, wenn nicht der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland schwersten Schaden nehmen soll.