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ID0115400700

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    Vokabeln: 7
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    Deutscher Bundestag 154. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. Juni 1951 6105 154. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 20. Juni 1951. Geschäftliche Mitteilungen 6106B, 6129B, 6132C, 6139C Eintritt des Abg. Dr. Hoffman (Lübeck) in den Bundestag 6106C Beschlußfassung des Bundesrats zum Gesetz über eine Bundesbürgschaft für Kredite zur Finanzierung über Lebensmittelbevorratung 6106C Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes 6106C Gesetz über eine Bundesbürgschaft zur Abwicklung von Saatenkrediten für die Ernten bis zum Jahre 1949 6106C Ergänzung der Tagesordnung 6106C Beratung der Interpellation der Fraktion der CDU/CSU betr. Fall Kemritz (Nr. 2345 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Verfahren gegen Rechtsanwalt Dr. Kemritz in Bad Homburg (Nr. 2337 der Drucksachen), ferner mit der Ersten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit (Nr. 2344 der Drucksachen) sowie mit der Beratung des Antrags der FDP betr. Verfahren gegen Rechtsanwalt Dr. Kemritz, Bad Homburg (Nr. 2359 der Drucksachen) 6106D Dr. Arndt (SPD), Antragsteller . . . 6106D Dr. Weber (Koblenz) (CDU), Interpellant und Antragsteller 6110A Euler (FDP), Antragsteller: zur Sache 6111B zur Abstimmung 6122A Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 6113A Dr. von Merkatz (DP) 6115C Renner (KPD): zur Sache 6116C zur Geschäftsordnung 6121C Dr. Reismann (Z) 6118A Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 6118D Brandt (SPD) 6119B Dr. Richter (Niedersachsen) (SRP) . 6120D Ausschußüberweisung 6122B. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz der neuen deutschen Filmproduktion (Spielquotengesetz) (Nr. 2336 der Drucksachen) 6122C Dr. Vogel (CDU), Antragsteller 6122C, 6128D Brunner (SPD) 6124C Dr. Mende (FDP) 6127A Ewers (DP) 6128A Ausschußüberweisung 6129A Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Überleitung von Lasten und Deckungsmitteln auf den Bund (Zweites Überleitungsgesetz) (Nr. 2326 der Drucksachen) 6129B Ausschußüberweisung 6129B Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes (Nr. 2268 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Auwschusses für Finanz- und Steuerfragen (11. Ausschuß) (Nr. 2341 der Drucksachen) 6129C Lausen (SPD), Berichterstatter . . . 6129C Dr. Besold (BP) 6130C, D, 6131D Abstimmungen 6131C, 6132B Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP betr. Wahl von Beisitzern für den Spruchsenat beim Hauptamt für Soforthilfe (Nr. 2339 der Drucksachen) 6132C Beschlußfassung 6132D Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geld und Kredit (12. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der KPD betr. Gebührnisansprüche ehemaliger deutscher Kriegsgefangener in Norwegen (Nrn. 2313, 828 der Drucksachen) 6132D Merten (SPD): als Berichterstatter 6133A als Abgeordneter 6134C Kohl (Stuttgart) (KPD) 6134A Ausschußüberweisung 6135A Beratung des Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Mehs, Kemper u. Gen: betr. Wiederaufbau des Pleiner Viaduktes (Nrn. 2324, 2067 der Drucksachen) . . 6135A Beschlußfassung 6135B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen (27. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der DP betr. Fahrpreisermäßigung für Freiwillige des Internationalen Zivildienstes (Nrn. 1929, 1891 der Drucksachen) . . . 6135B Cramer (SPD), Berichterstatter . . . 6135C Beschlußfassung 6136B Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Berlin (9. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der WAV betr. Sitzungen des Deutschen Bundestages in Berlin (Nrn. 2322, 1963 der Drucksachen) 6136C Brandt (SPD), Berichterstatter . . . . 6136C Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 6137D Loritz (WAV) 6138D Beschlußfassung 6139A Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Verkauf eines Teilgeländes der ehemaligen Munitionsanstalt in Moelln an die Moellner Textilwerke GmbH (Nr. 2343 der Drucksachen) . . 6139A Ausschußüberweisung 6139 C Nächste Sitzung 6139C Die Sitzung wird um 14 Uhr 1 Minute durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von August-Martin Euler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu meinem sehr großen Bedauern bin ich genötigt, an die Spitze meiner Ausführungen eine Verwahrung, und zwar eine sehr entschiedene Verwahrung gegen einen polemischen Angriff des Herrn Kollegen Arndt zu stellen. Dieser Angriff versuchte, die Freie Demokratische Partei der Mitwirkung bei den Protestaktionen aus Anlaß der Kranzniederlegung an den Gräbern von Ohlendorf und einem anderen der Landsberger Verurteilten zu bezichtigen. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir uns aus genau denselben Erwägungen wie Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, gegen die Vollstreckung der Urteile gewandt haben. Die wesentlichste Erwägung dabei war, daß wir ein Bundesgesetz haben, das die Todesstrafe abgeschafft hat, und daß der Widerspruch gegen dieses Grundgesetz in diesem Augenblick nicht von den Besatzungsmächten hätte exekutiert werden sollen. Wir haben aber nichts getan, was Anlaß dazu hätte bieten können, die Verurteilten in der Glorie von Märtyrern erscheinen zu lassen, da wir sehr wohl wissen, daß sie Schwerverbrecher sind. Ich muß also Herrn Kollegen Arndt bitten, wenn er meint, daß Angehörige der FDP an diesen Kranzniederlegungen teilgenommen hätten, uns entweder das Material zugängig zu machen oder aber fairerweise hier an dieser Stelle die Behauptung, die er ausgesprochen hat, wieder zurückzunehmen.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Thema Kemritz! Seitdem die Freie Demokratische Partei, Landesverband Hessen, in der vorvorigen Woche verschiedene Publikationen in deutschen Zeitschriften zum Anlaß nahm, um sowohl an den Herrn Bundesjustizminister als auch an den hessischen Ministerpräsidenten zu appellieren, sind eine Reihe von Maßnahmen der amerikanischen Besatzungsmacht zum Schutze von Kemritz getroffen worden, die in keiner Weise gerechtfertigt werden können und die unser Volk auf das tiefste erregt haben.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Der Fall Kemritz ist ein Ausschnitt aus dem ernsten Kapitel des kalten Krieges und der Geheimdienste, die diesen kalten Krieg auf deutschem Boden führen.

    (Abg. Renner: Aha!)

    Deutschland ist einer der Hauptkriegsschauplätze dieses kalten Krieges der Großmächte. Der große Umfang, in dem dieser Krieg der Geheimdienste auf deutschem Boden vor sich geht, macht es um so wesentlicher, daß wir als Deutsche alles tun, um dafür zu sorgen, daß das Gebiet der Bundesrepublik keine freie Wildbahn und kein Schutzgebiet für Agenten wird, die mit Wissen der Besatzungsmächte kriminelle Untaten begehen. Das Problem ist für uns um so ernster, wenn es sich um deutsche Staatsangehörige handelt. Sie sind Bürger dieses Landes und unterliegen seinen Gesetzen und den zu ihrer Wahrung und Vollstreckung vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen der deutschen Justiz und der deutschen Administration.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind bemüht, die demokratischen Kräfte aller Parteigruppierungen und eine rechtsstaatliche Demokratie in Deutschland zu entwickeln. Die rechtsstaatliche Demokratie kann nicht ohne unabhängige Justiz gedeihen. Die Verankerung dieses Rechtsstaates und das rechte Wissen um die Unentbehrlichkeit einer unabhängigen Justiz für diesen Rechtsstaat im Bewußtsein des deutschen Volkes sind aber nicht möglich, wenn die Besatzungsmächte aus Scheingründen, aus Gründen, die sie ja nicht ernsthaft erwogen haben können, der deutschen Justiz in den Arm fallen.
    Was Dr. Kemritz getan hat, ist nur dadurch zu kennzeichnen, daß man sagt, er hat sich als Menschenfalle betätigt. Und da er dies in nicht weniger


    (Euler)

    als acht Fällen getan hat, so gibt es für die Besatzungsmächte — wie Kollege Arndt zutreffender-weise dargetan hat — weder eine Möglichkeit, die Schadenersatzansprüche der deutschen Verletzten aufzuhalten, noch die Möglichkeit, Vollstreckungsmaßnahmen des deutschen Finanzfiskus wegen Steuerschulden zu verhindern; es besteht für die Besatzungsmächte ebensowenig die Möglichkeit, Maßnahmen der deutschen Standes-Ehrengerichtsbarkeit gegen Kemritz zu verhindern. Es gibt aber auch keine Rechtfertigung der Verhinderung von Maßnahmen, die die deutsche Strafjustiz durchführen müßte, um für Delikte des Menschenraubs und der Menschenvernichtung, deren sich Dr. Kernritz schuldig gemacht hat, die notwendige Sühne herbeizuführen. Der amerikanische Landeskommissar für Hessen hat sich zwar auf Gesetz Nr. 14 Art. 3 berufen, obwohl es sich in diesem Falle nicht um eine Zusammenarbeit mit den Alliierten handelt, die dem Schutze dieses Gesetzes unterliegen könnte. Er hat aber vergessen, ein ganz anderes wesentliches Gesetz heranzuziehen, nämlich das Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats vom 12. April 1946, das in Art. 2 Ziffer 1 d und in Ziffer 2 ausdrücklich die indirekte Beihilfe zu Menschenraub unter den Delikten aufzählt, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bezeichnen sind.
    Wir müssen uns mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß die amerikanische Besatzungsmacht Schutzmaßnahmen zugunsten eines Deutschen trifft, der gegen andere Deutsche als Menschenfalle gewirkt und Menschenraub begangen hat. Wir haben ins Auge zu fassen, daß bisher nicht nur Vollstreckungsmaßnahmen verhindert wurden, sondern daß jetzt Dr. Kernritz selbst, nachdem vor seinem Grundstück in Bad Homburg von der amerikanischen Besatzungsmacht ein Schild: „Off Limits — Zutritt Deutschen verboten" angebracht wurde,

    (Hört! Hört! rechts)

    in ein US-Camp in der Nähe von Heidelberg in Sicherheit verbracht worden ist, wo er einstweilen unter US-Bewachung lebt.

    (Erneute Zurufe rechts: Hört! Hört!)

    Es erhellt daraus die Absicht der amerikanischen Besatzungsmacht, die Schutzmaßnahmen für Dr. Kemritz weiterhin aufrechtzuerhalten.
    Wir haben nun um so mehr Anlaß, mit äußerster Entschiedenheit auf die Abstellung solcher ungerechtfertigter Schutzmaßnahmen hinzuwirken, als in den letzten Tagen einige Fälle bekanntgeworden sind, in denen Angehörige der Besatzungsmacht von gewissen Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch gemacht haben und auf ebenfalls sehr verhängnisvolle Weise deutschen Behörden in den Arm gefallen sind. Ich will hier nur einen Fall erwähnen, der in den letzten Tagen bekannt wurde, nämlich den des Chemikers Wendt von der Frankfurter Firma Schleußner, einer Film- und Photofabrik. Dieser Dr. Wendt wurde des Diebstahls an Forschungsergebnissen in der Firma Schleußner überführt. Die Koffer, die bei ihm in der Wohnung beschlagnahmt wurden, wurden nach der Sicherstellung durch die deutsche Polizei von amerikanischer MP wieder in amerikanischen Besitz gebracht.

    (Hört! Hört!)

    Weitere Koffer mußten dann an die amerikanische Militärpolizei in deren Gebäude abgeliefert werden, die dort versiegelt wurden. Jedenfalls ist kurz darauf Frau Wendt unter dem Schutz amerikanischer
    Polizei mit einem dieser Koffer in ein Flugzeug mit dem Ziel USA verbracht worden.

    (Erneute Zurufe: Hört! Hört!)

    Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir diese Fortdauer einer völlig verfehlten Einstellung amerikanischer Behörden und amerikanischer Exekutivbeamten auf deutschem Boden erleben, dann wird das auf das äußerste gefährdet, was wir als großes politisches Ziel anstreben. Das ist nicht nur innerpolitisch die Gesundung der Demokratie im Sinne eines freiheitlichen Rechtsstaates, sondern es ist vor allem außenpolitisch ein immer engeres Zusammenwirken nicht nur in der Wirtschaft, sondern vor allem auch auf der breitesten Basis der Politik zwischen allen freiheitlichen Völkern der Welt, zwischen allen Völkern, denen es darum geht, nicht nur zu verhüten, daß weitere Völker in Sklaverei versinken, sondern die sich dafür einsetzen, daß die Sache der Freiheit und des Rechtes auf friedliche Weise gegenüber den Ansprüchen der Tyrannei zum Siege gelangt.
    Wir lasen in den heutigen Tageszeitungen, daß der amerikanische Hochkommissar McCloy am Dienstag, dem 19. Juni, in Washington verkündet hat, es sei demnächst mit einer Erklärung der führenden Demokratien über die neuen Absichten ihrer Deutschlandpolitik zu rechnen. Die Ankündigung einer solchen fundamentalen Erklärung, die dahin lauten soll, daß dem deutschen Gleichberechtigungsverlangen schneller stattgegeben wird, wird durch Beamte der Besatzungsmacht desavouiert, die offensichtlich noch stark von dem Geiste des Morgenthau-Plans infiziert sind

    (Sehr richtig! rechts)

    und sich nicht genügend schnell auf die neuen Realitäten, auf die neuen Notwendigkeiten zur Bewahrung und Durchsetzung der Demokratie in der Welt haben umstellen können. Wir möchten diese Gelegenheit benutzen, um an die amerikanische Besatzungsmacht dahin zu appellieren, daß sie von oben her auf die breite Masse ihrer Exekutivbeamten und -angestellten nicht nur in der Besatzungsverwaltung, sondern auch auf die Truppe, die auf deutschem Boden steht, einwirkt, sich des Geistes bei allen Maßnahmen zu befleißigen, der zum Ausdruck bringt, daß Deutschland nicht mehr der Besiegte von gestern, sondern der faire Partner von heute und morgen für alle Völker der freien Welt ist.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Aus diesen Erwägungen heraus haben wir uns entschlossen, einen umfassenden Antrag einzubringen, der über den Inhalt der Anträge der CDU und SPD hinausgeht. Er lautet:
    In der Überzeugung, daß der Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates mit der ihm unentbehrlichen unabhängigen Rechtspflege im Bewußtsein des deutschen Volkes auf das schwerste gefährdet wird, wenn die Besatzungsmächte Eingriffe vornehmen, um ordentliche Justizverfahren gegen deutsche Staatsangehörige zu verhindern oder zu beeinflussen,
    ersucht der Bundestag die Bundesregierung, bei dem Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten zu erwirken, daß die Maßnahmen aufgehoben werden, die amerikanische Dienststellen eingeleitet haben, um Strafverfahren und berufsständische Ehrengerichtsverfahren gegen den Rechtsanwalt Dr. Kemritz zu ver-


    (Euler)

    hindern und um die Durchsetzung zivil- und
    öffentlich-rechtlicher Ansprüche zu verhüten.
    Die Bundesregierung wird ferner ersucht,
    bei dem Hohen Kommissar der Vereinigten Staaten sicherzustellen, daß weitere Eingriffe der amerikanischen Besatzungsmacht unterbleiben, die darauf abzielen, dem schwerer Verbrechen Beschuldigten gegenüber der deutschen Justiz einen nach deutschem Recht nicht begründeten Schutz zuteil werden zu lassen, und daß Dr. Kemritz den zuständigen
    deutschen Behörden ausgeliefert wird.
    Auf diesen Nachsatz möchte ich besonders hinweisen, nachdem festzustehen scheint, daß sich Dr. Kemritz noch auf deutschem Boden befindet, allerdings unter Obhut der Besatzungsmacht in einem US-Camp in der Nähe Heidelbergs.

    (Beifall bei der FDP.)



Rede von Dr. Hermann Ehlers
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Thomas Dehler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung stimmt mit den Antragstellern und mit den Interpellanten in der Bewertung des Falles Kemritz und des Verhaltens der amerikanischen Stellen im Zusammenhange mit dem Fall Kemritz durchaus überein.
    Die Interpellanten fragen, was die Bundesregierung unternommen hat, um Kemritz vor deutsche Gerichte zu ziehen. Von dem verbrecherischen Tun dieses Mannes habe ich Ende September vorigen Jahres erfahren. Eines seiner Opfer war durch einen glücklichen Zufall dem drohenden Schicksal entgangen und hat mir den Sachverhalt in Form einer eidesstattlichen Versicherung mitgeteilt. Ich habe diese Unterlagen sofort dem zuständigen hessischen Justizministerium mit der Bitte um Einleitung eines Strafverfahrens und Unterrichtung über den Fortgang des Verfahrens zugeleitet. Schon am 1. November hat die Staatsanwaltschaft in Frankfurt einen Haftbefehl beim Amtsgericht Frankfurt erwirkt. Aber sofort kam die Gegenwirkung der amerikanischen Stellen. Am 2. November hat das Amt des amerikanischen Landeskommissars für Hessen die Vorlage der Ermittlungsvorgänge gefordert. 'Trotz schriftlicher und mündlicher Vorstellungen der zuständigen Beamten des hessischen Justizministeriums wurde die Herausgabe der Unterlagen gefordert, und dies trotz des ausdrücklichen Hinweises, daß dieser Fall zweifellos und begründetermaßen der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt. Die Unterlagen sind dann am 18. November dem amerikanischen Landeskommissar übergeben worden. Am 21. November wurde vom US-Landeskommissar dem hessischen Justizministerium fernmündlich mitgeteilt, daß die Angelegenheit an ein amerikanisches Besatzungsgericht abgegeben worden sei. Dieses amerikanische Besatzungsgericht hat dann den Kemritz, wie wir hören, gegen eine Kaution von nur 5000 DM aus der Haft entlassen.
    Als ich den Sachverhalt erfuhr, habe ich das hessische Justizministerium gebeten, die Gründe für diese Anordnung des Landeskommissars zu ermitteln. Es kam aber nur die Mitteilung, daß das Amt des Landeskommissars für Hessen für die Übernahme von Strafsachen in die Besatzungsgerichtsbarkeit keine Gründe angebe.
    Ich habe mich dann unter Einschaltung anderer Dienststellen des Bundes im Zusammenwirken mit dem hessischen Justizministerium bemüht, den wirklichen Umfang der Handlungen, der Verbrechen des Kemritz und den eigentlichen Grund der Haltung des amerikanischen hessischen Landeskommissars festzustellen. Das hessische Justizministerium hat erneut bei dem Landeskommissar Vorstellungen erhoben, aber wieder keine Auskunft erhalten. Meine Nachforschungen ergaben, daß Kemritz in weit größerem Umfange, als ursprünglich angenommen wurde, dringend verdächtig war, sich einer Fülle der Verbrechen der schweren Freiheitsberaubung, wie sie Herr Abgeordneter Dr. Arndt hier in jedem Punkt zutreffend gewürdigt hat, schuldig gemacht zu haben.

    (Hört! Hört! bei der FDP.)

    Nach meinen Ermittlungen sind in der Zeit vom Herbst 1945 bis März oder Juli 1946 mit großer Sicherheit 14 Männer — deren „Verbrechen" also nur darin bestanden haben kann, daß sie zusammen mit Kemritz in der Abwehrabteilung des stellvertretenden Generalkommandos III tätig gewesen waren — und 3 Frauen den Sowjetbehörden in der vorher geschilderten Form 'ausgeliefert worden.

    (Zuruf von der FDP: Unerhört!)

    Wahrscheinlich sind aber noch 3 weitere Männer, die im Sommer 1945 in Berlin verschwunden sind, ebenfalls durch die ungeheuerlichen Maßnahmen dieses Kemritz den Russen ausgeliefert worden. Von den genannten Personen sind nur 3 Männer und die 3 Frauen, die teilweise bis zum Frühjahr 1950 in den Konzentrationslagern zurückgehalten worden waren, zurückgekehrt. Wir wissen bestimmt, daß Otto Wernicke, der ehemalige Direktor eines großen Berliner Krankenhauses, im Januar 1946 im GPU-Gefängnis Weißensee zum Tode verurteilt worden ist. Erich Klose ist am 10. Februar 1946 im Lager Hohenschönhausen. Dr. Rieckenberg 1947 und Hans-Jürgen von Hake im Juli 1950 im Zuchthaus Luckau gestorben. Ein weiteres Opfer wird nach unseren Feststellungen in einem Lager der Sowjetzone krank zurückgehalten. Von anderen auf diese fürchterliche Weise verschleppten Personen haben wir keine Nachricht erhalten.
    Ich habe erwogen, ob ich schon auf Grund dieses Sachverhaltes Vorstellungen beim amerikanischen Hohen Kommissar erheben soll. Die Tatsache aber, daß die amerikanischen Stellen erklärt haben, sie hätten von sich aus ein Verfahren gegen Kemritz beim amerikanischen Besatzungsgericht in Berlin anhängig gemacht — ich habe dieses Verfahren für ernsthaft angesehen —, hat mich veranlaßt, zunächst abzuwarten. Ich habe meine Sachbearbeiter persönlich nach Berlin geschickt. Sie haben zusammen mit dem Senator für Justiz in Berlin die Dinge behandelt, und dabei wurde dann festgestellt, daß in Berlin ebenfalls bei der deutscheu Staatsanwaltschaft ein Verfahren eingeleitet war. Wir haben alles unternommen, um dieses Verfahren zu beschleunigen. Wir haben insbesondere aber davon abgesehen, die in Berlin vorliegenden Vorgänge dem amerikanischen Besatzungsgericht zu übergeben. Dieses Verfahren in Berlin ist noch anhängig und wird vom Generalstaatsanwalt in Berlin betrieben. Es ist Anklage gegen Kemritz erhoben und Antrag auf Eröffnung der Voruntersuchung gestellt worden. Die Voruntersuchung ist, wie ich heute telefonisch festgestellt habe, von der Strafkammer des Landgerichts Berlin eröffnet worden. Die Pressenach-


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    richt von heute, daß dieses Verfahren ebenfalls durch einen Einspruch der amerikanischen Behörde kupiert worden sei, trifft nicht zu. Das Verfahren schwebt. Richtig ist nur, daß, Wie schon erwähnt wurde, ein Zivilprozeß, und zwar der Schadensersatzprozeß der Witwe von Hake gegen Kemritz, zunächst verboten wurde und daß man gestern von dem Herrn Senator der Justiz in Berlin, Herrn Dr. Kielinger, die Herausgabe der darauf bezüglichen Akten gefordert hat. Herr Dr. Kielinger hat die Herausgabe dieser Akten abgelehnt.

    (Bravo! in der Mitte.)

    Dazu kommt die bereits erwähnte Tatsache, daß das in Frankfurt gegen Kemritz eingeleitete ehrengerichtliche Verfahren, in dem es darum ging, diesen für eine deutsche Rechtsanwaltschaft unerträglichen Mann so rasch wie möglich auszustoßen, kurz bevor die auf den 14. April angesetzte Hauptverhandlung stattfinden sollte, von dem amerikanischen Landeskommissar unterbrochen wurde. Am 2. April hat er dem hessischen Ministerpräsidenten eine Anordnung auf Einstellung des Verfahrens mit der Begründung übersandt:
    Wie sich aus der Anklage ergibt, werden Interessen berührt, die in den Bereich des § 2 e des Besatzungsstatuts fallen. Daher wird gemäß Art. 7 des Gesetzes Nr. 13 der vorgenannte Fall der Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen, und es wird angeordnet, daß das Verfahren eingestellt wird.
    In der Folge mußten die Akten des Ehrengerichtsverfahrens — auch auf einen Befehl des Landeskommissars — der amerikanischen Besatzungsbehörde ausgehändigt werden.
    Ich kann dem, was der Herr Abgeordnete Dr. Arndt über die Unmöglichkeit und über die rechtliche Unhaltbarkeit dieses Verfahrens gesagt hat, kaum etwas beifügen. Die Evokation der Verfahren durch die amerikanische Besatzungsbehörde stützt sich auf den Art. 7 des Gesetzes Nr. 13 und auf die Gründe, die schon erwähnt worden sind. Inwieweit durch diese Verfahren, besonders durch ein ehrengerichtliches Verfahren oder gar durch einen Zivilprozeß, amerikanische Interessen berührt werden sollen, das ist das Geheimnis der amerikanischen Behörden geblieben. Es wurde nicht einmal der Versuch einer Begründung gemacht.

    (Hört! Hört! in der Mitte.)

    Insbesondere wurde nicht dargelegt, inwieweit
    durch ein Verfahren gegen Kemritz wegen der
    ihm zur Last gelegten Straftaten — darauf kommt
    es doch an: Straftaten, die zu den schwersten
    Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören —
    Interessen der amerikanischen Besatzungsmacht
    berührt werden. Immerhin konnte man noch bis
    vor wenigen Tagen die Hoffnung haben, daß das
    amerikanische Gericht in Berlin unserem Verlangen nach Sühne schwerster Verbrechen Rechnung tragen würde. Aber seit der Bekanntmachung des Rechtsamtes des amerikanischen
    Hohen Kommissars vom 13. Juni 1951, daß das bei
    der amerikanischen Justizbehörde in Berlin anhängige Verfahren gegen Kemritz eingestellt worden sei, ist auch diese Hoffnung verdorben.
    Ich teile in jedem Worte die Kritik des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt an dieser Bekanntmachung und an seiner Begründung. Man wird schamrot, wenn man diese doch immerhin in der Diktion eines Juristen gefaßte Begründung liest.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Sie überzeugt mit keinem Worte.
    Vielleicht darf ich in Ergänzung dessen, was die Vorredner gesagt haben, in diesem Zusammenhang noch auf eines hinweisen. In der Bekanntmachung wird davon gesprochen, daß die Opfer des Herrn Kemritz auf Grund der alliierten Verfügungen zwangsläufig der Verhaftung unterlegen seien und daß Herr Kemritz gewissermaßen nur ein gutes Werk getan habe, wenn er diese Leute dem barbarischen Schicksal in der Hand der Russen ausgeliefert habe. Ich habe vergeblich versucht, solche Verfügungen, die ja eine Rechtsgrundlage sein sollen, festzustellen. Es gibt nur eine Direktive Nr. 38 des Kontrollrats über die Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und die Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen. Sie ist erst am 12. Oktober 1946 ausgefertigt worden, also lange nachdem die Verbrechen des Kemritz geschehen waren. Aber selbst wenn eine solche Verfügung bestanden hätte, dann hätte es nur den normalen, den korrekten Weg eines Ersuchens der zuständigen russischen Stellen an die amerikanische, britische oder französische Militärbehörde um Auslieferung gegeben. Töricht, uns glauben machen zu wollen, es sei notwendig oder auch nur Rechtens gewesen, Menschen in der Form, in der es Kernritz getan hat, tückisch in eine Falle zu locken und dann in die tödlichen Arme der Sowjetbehörden zu treiben.
    Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß auf jeden Fall ein Widerspruch insofern besteht, als die beiden Opfer des Kemritz Danneberg und Klose schon vorher von den Amerikanern gecleart und dann bedingungslos entlassen worden waren. Soweit jedenfalls die Feststellungen, die uns möglich waren. Aber ganz abgesehen davon, wie will man mit einer solchen Begründung rechtfertigen, daß Kemritz drei Frauen auf diese Weise verschleppt hat,

    (lebhafte Rufe: Hört! Hört! Pfui!)

    drei Frauen, von denen nur zwei Angestellte in der Abwehrabteilung waren, während der dritten bestenfalls der Vorwurf gemacht werden kann, daß sie mit einem Abwehroffizier verheiratet war!
    Die Angabe des Rechtsamtes der amerikanischen Hochkommission, die von Kemritz bei den Verhaftungen geleistete Unterstützung sei legal gewesen, erscheint unhaltbar. Damit entbehrt auch der Hinweis auf das Gesetz Nr. 14 jeder stichhaltigen Begründung. Über die Bewertung des Tuns des Kemritz ist, glaube ich, kein Wort zu verlieren. Es kommt einem einfach grotesk vor, wenn behauptet wird, daß ein Mann wie Kemritz einen wertvollen Beitrag zur Sicherheit des Westens geleistet habe. Die Bundesregierung hat kein Verständnis für die Haltung der amerikanischen Behörden in diesem Falle. Was Kemritz getan hat, ist nach den Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuches schwerstes Verbrechen, wenn nicht Beihilfe zum Mord, dann auf jeden Fall schwere Freiheitsberaubung mit Todesfolge im Sinne des § 239 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches, aber auch ein schwerster Verstoß gegen die Gesetze der Menschlichkeit, die doch gerade nach den von den Besatzungsmächten feierlich verkündeten Grundsätzen Gegenstand besonderen Rechtsschutzes sein soll.
    Die amerikanischen Stellen haben in Presseveröffentlichungen der letzten Tage ihr Erstaunen


    (Bundesjustizminister Dr. Dehler)

    geäußert, daß die Deutschen sich über den Fall Kemritz erregen.

    (Lachen. — Abg. Mayer [Stuttgart] : Heilige Einfalt!)

    Ich meine, auch die Siegermächte sollten sich freuen, daß die Kraft der Entrüstung über das Unrecht - ich will hoffen, über jedes Unrecht — im deutschen Volke wieder lebendig ist.

    (Sehr gut!)

    Wenn behauptet wird, die amerikanischen Behorden hätten sich bei uns vergeblich um Material bemüht — auch das ist in den Pressemitteilungen erschienen —, so trifft das nicht zu. Weder an mich noch an die hessischen Stellen sind solche Anforderungen ergangen. Im übrigen ergibt sich aus der zitierten Begründung der Entscheidung des Rechtsamtes, daß dort das Material, auf das sich die Entscheidung des Rechtsamtes stützt, vorhanden sein muß.
    Ich bin der Ansicht: Die im Fall Kernritz von der amerikanischen Behörde vertretene Auffassung ist für uns und für jedes Rechtsempfinden unerträglich. Ich habe heute mittag gegen 12 Uhr mit einem Beamten des Amtes des amerikanischen Hohen Kommissars eine Rücksprache gehabt. Dieser Beamte hat mir erklärt — ich gebe seine Worte wieder —: Kemritz befindet sich nicht mehr in deutscher Jurisdiktion.

    (Hört! Hört!)

    Er hat den deutschen Boden schon verlassen

    (erneute Rufe: Hört! Hört!)

    oder ist wenigstens im Begriff, das zu tun.

    (Anhaltende lebhafte Rufe: Hört! Hört! — Abg. Mayer [Stuttgart]: Unerhört!)

    Der Standpunkt der Bundesregierung dazu: Das deutsche Verlangen nach Sühne der schweren Verbrechen dieses Mannes wird durch eine solche Tatsache nicht berührt.

    (Allgemeiner lebhafter Beifall.)

    Die Bundesregierung stimmt den gestellten Anträgen durchaus zu. Sie wird auf Grund der heutigen Entscheidungen des Bundestages in aller Form gegen die Mitteilung des Rechtsamtes des amerikanischen Hohen Kommissars vom 13. Juni 1951 Verwahrung einlegen und beim amerikanischen Hohen Kommissar vorstellig werden mit dem Ziel, daß die Verfügung des amerikanischen Landeskommissars für Hessen vom November 1950, durch die das Strafverfahren gegen Kemritz der deutschen Gerichtsbarkeit entzogen wurde, und die Verfügung des Landeskommissars vom 2. April 1951, wonach das ehrengerichtliche Verfahren gegen Kemritz eingestellt werden mußte, rückgängig gemacht werden. Die Bundesregierung erwartet auch, daß das in Berlin anhängige Verfahren ungestört weitergeführt wird. Die Bundesregierung wird sich darüber schlüssig machen, ob sie Antrag auf eine Art von Auslieferung des Kemritz stellen wird.

    (Abg. Dr. Schmid [Tübingen] : Das ist doch selbstverständlich!)

    — Ich bin im Augenblick nicht legitimiert, mich dazu zu äußern, aber für meine Person halte ich es auch für selbstverständlich.
    Der hessische Ministerpräsident hat in seiner Eigenschaft als Justizminister Kemritz das Betreten der Gerichtsgebäude verboten und das Verfahren auf Ausschluß aus der Anwaltschaft eingeleitet.

    (Beifall bei der SPD.)

    Die Bundesregierung billigt dieses Vorgehen.

    (Erneuter Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.)

    Der Fall Kemritz gibt der Bundesregierung auch erneut Anlaß, darauf zu dringen, daß das Gesetz Nr. 13 sobald als möglich aufgehoben wird.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Ein Zustand, wie ihn der Fall Kemritz enthüllt hat, darf nicht andauern, wenn nicht der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland schwersten Schaden nehmen soll.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien und bei der SPD.)