Rede von
Dr.
Bernhard
Reismann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage des Wiederaufbaus ist ein Anliegen allererster Ordnung offensichtlich für alle
Parteien dieses Hauses. Wenn man aber die vorliegenden Gesetzentwürfe sieht, so scheint mir die Blickrichtung dabei nicht ganz in Ordnung zu sein. Diese Gesetzesentwürfe tun so und unterstellen, daß der private Eigentümer von Grundbesitz von vornherein zunächst nicht bereit sei, seinen Grund und Boden für den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Ich gebe gern zu, daß eine Bestimmung erforderlich ist, durch die man ihn im Ernstfalle, wenn es notwendig ist, und zwar ziemlich rasch, zwingen kann. Aber sehen wir uns einmal die Verhältnisse an, wie sie liegen. Da hat der Herr Kollege Wirths eben manches treffende Wort ausgeführt, das ich nicht wiederholen will. Aber vor allen Dingen muß man sich einmal überlegen: Ist es zweckmäßig, daß man so viel, wie es bisher geschehen ist, neue Siedlungen außerhalb der Ortskerne baut und so viel neues Land, das bisher Acker- oder Weideland gewesen ist, für diese Zwecke zur Verfügung stellt? — In ' erster Linie sollten wir darangehen, die Kerne der Städte und der Dörfer wieder aufzubauen, die während des Krieges zerstört worden sind.
Am meisten wird Widerstand geleistet, wenn Land zur Verfügung gestellt werden soll, bei dem es sich um bisher noch nicht als Baugelände benutzte Grundstücke handelt. Es ist aber unzweckmäßig, 'solche Grundstücke in größerem Maße heranzuziehen. Wenn man durch die zerstörten Ortschaften fährt, sieht man überall, daß die Ortskerne noch zerstört daliegen und daß draußen neue Siedlungen mit einem riesigen, überflüssigen Aufwand für die Kanalisation, für die Anlage der Straßen, für die In-Benutzungnahme der Grundstücke entstehen, die dann den landwirtschaftlichen Zwecken nicht mehr zur Verfügung stehen, weiter für die Aufschließungskosten, für die Versorgungsleitungen aller Art. Wenn dann hinterher die Leute, die angesiedelt werden, dort wohnen, dann müssen sie für den Verkehr innerhalb der Ortschaft, für Straßenbahn, Vorortbahn usw. noch ungefähr ebensoviel Geld ausgeben wie für ihre Wohnung, wenigstens immer dann, wenn es normal große Familien sind. Viel besser wäre es doch, dieses Land nicht in Anspruch zu nehmen und die Städte nicht so über Gebühr auszuweiten, wie es bisher vielfach, gerade nach dem Kriege, der Fall gewesen ist. Es wäre besser, erst die Ortskerne wieder aufzubauen.
Warum geschieht das nicht? Wenn das bisher nicht geschehen ist, so liegt das nicht daran, daß das Land nicht zur Verfügung steht, sondern daran, daß man nicht den richtigen Leuten die richtigen Zuschüsse gegeben hat. Die Leute, die ihren Besitz dort verloren haben, wären im allgemeinen — von einzelnen Fällen abgesehen — gern bereit, selber wiederaufzubauen. Aber sie bekommen bisher in weit geringerem Maße von der öffentlichen Hand gegebene Zuschüsse als die Gesellschaften, Gemeinschaften aller Art, die Genossenschaften, die jetzt neu gebaut haben, obwohl sie nichts verloren haben. Und gerade diese melden ihren Bedarf an.
Ich bin der Ansicht, daß zunächst das Geld, das die öffentliche Hand für den Wiederaufbau zur Verfügung stellt, denen zu den gleichen Bedingungen zur Verfügung gestellt werden muß, die den Besitz verloren haben.
Denn es wäre ungerecht, dem einen das Land zu nehmen, um es dem anderen zu geben, damit er aufbauen kann. Ich vermag kein öffentliches Interesse anzuerkennen, das durch Enteignungsbestimmungen unterstützt werden muß, Bauland Kriegsgeschädigten zu nehmen, um es Wohlhabenderen billig zu geben.
— Nein, wir haben das auch zu berücksichtigen. Ich komme gleich noch darauf zu sprechen, inwiefern es in diesem Gesetz Berücksichtigung finden kann. Ich kann das auch sofort machen. Es muß bei der Herauskristallisierung des Begriffes „öffentliches Interesse" berücksichtigt werden, daß, wenn die Eigentümer mit öffentlicher Hilfe in der Lage sind, ihren Besitz wieder aufzubauen, sie den Vorzug verdienen, und nicht andere Leute.
— In Ihrem Entwurf steht es drin, Herr Kollege Lücke. Ich hätte es, wenn Sie jetzt nicht den Zwischenruf gemacht hätten, an späterer Stelle gesagt, daß aus diesem Grunde Ihrem Entwurf bei weitem der Vorzug gegenüber dem Regierungsentwurf zu geben ist, der der KPD alle Freude machen sollte.
— Ja, ich bin enttäuscht, daß diese Regierung uns einen solchen Entwurf vorlegt, der den privaten und .berechtigten Interessen der Eigentümer so wenig Rechnung trägt.
Man muß im übrigen dabei bedenken, daß der Wiederaufbau viel mehr durch die Tätigkeit der Baubehörden als durch die Renitenz der Eigentümer behindert worden ist. Wenn Sie sich einmal aus der Ortsnähe die Verhältnisse der zerstörten Städte und der Praxis ansehen, wie sie etwa ein Anwalt hat oder jeder Abgeordnete haben sollte, dann wissen Sie ganz genau, daß in den allermeisten Fällen die Planung allein vier oder fünf Jahre die Eigentümer daran gehindert hat, wieder etwas aus ihrem Grund und Boden zu machen, daß man sie zum Teil mit Hilfe der Besteuerung unfähig dazu gemacht hat, ihren Grund und Boden wieder zu bebauen.
Das Baugesetz sollte aber auch Ausschlußfristen für Bausperren setzen, damit endlich der Eigentümer über sein Land wieder verfügen kann. Bisher kann die eine Bausperre an die andere gereiht werden. Gerade in dieser Richtung ist, da es Landesgesetze sind, die die Grundlage dafür geben, eine Vereinheitlichung der Gesetze absolut erforderlich.
Nun zu der Art der Entschädigung: Nach der Regierungsvorlage ist auf Antrag des Interessenten Landentschädigung erforderlich. Genau umgekehrt müßte es sein: Auf Antrag des Enteigneten müßte eine Entschädigung durch die Hergabe anderen Landes möglich sein. Denn man sollte sich darüber klar sein, daß es nicht gleichgültig ist, ob einer Geld an Stelle von Grund und Boden bekommt. Es liegt auch im Sinne der Bewirtschaftung, daß es dem zu Enteignenden nicht gleichgültig sein kann, ob er ein anderes Stück Land oder ob er Geld an Stelle seines Landes bekommt. Es müßte also genau umgekehrt sein, als es der Regierungsentwurf vorsieht.
Völlig unverständlich ist mir außerdem, wie der Regierungsentwurf hinsichtlich der Entschädigungeinen Unterschied machen kann je nach der Person des Empfängers. Es sollte klar sein, daß jemand,, der etwas gegen Entschädigung hergeben muß, auch sofort Entschädigung verlangen kann. Daß aber nun die Entschädigung auf zehn Jahre ver-
teilt werden kann, wenn der Empfänger des zu enteignenden Grundstücks eine Gemeinde ist, beweist, welche fiskalische und bürokratische Gesichtspunkte bei der Vorlage dieses Entwurfs Pate gestanden haben.
Im übrigen mag man über das Stockwerkseigentum denken, wie man will. Ich halte es nicht gerade für eine glückliche Erfindung. Nachdem es aber einmal da ist, vermag ich nicht einzusehen, warum der zu Enteignende auf Antrag nicht das Recht bekommen soll, Stockwerkseigentum zu erhalten.
— Steht bei Ihnen drin, Herr Kollege Lücke; ich begrüße es, daß Sie es hineingesetzt haben. Ich würde es — freuen Sie sich schon im voraus! —jetzt auch sagen. Ich bin überhaupt der Ansicht, daß nur Ihr Entwurf und nicht der Entwurf der Regierung eine Plattform für die weitere Diskussion sein sollte.
Wenn man aber das Stockwerkseigentum nicht verlangt, sondern nur ein Wohnrecht auf beschränkte Zeit, warum sieht man das nicht als Entschädigung für die Enteignung vor? Man muß doch aus der alltäglichen Praxis wissen, daß gerade die Trümmergrundstückseigentümer sehr gern auf solche Vorschläge eingehen und daß sie sehr gern bereit sind, auf ihr Eigentum zu verzichten, wenn sie für die Zeit ihres Lebens für sich selbst oder auch zur Vermietung eine Wohnung bekommen. Das alles übersieht die Regierung. Deshalb kann man sich dem Eindruck, der nahezu zwingend ist, nicht entziehen, daß es ein Gesetz ist, das nicht im öffentlichen Interesse liegt, sondern der Bequemlichkeit der Behörden dient.
— So scharf muß man es formulieren! Sie sind nicht der Anwalt, der alle Tage die Beschwerden von Leuten hört, die sich gerade über die Gebarung von Baubehörden beklagen, die dem Wiederaufbau unserer Städte bedeutend mehr im Wege gestanden haben als der Hausbesitz und der Grundbesitz, gegen den man sich jetzt wendet. Das ist nämlich die verkehrte Blickrichtung, von der ich eingangs gesprochen habe. Nicht die Besitzer von Grund und Boden wehren sich gegen den Wiederaufbau, sondern ' die Schwierigkeiten kommen von ganz anderer Seite her. Es gibt einige, die im Wege stehen mögen, und gegen diese mögen die Enteignungsbestimmungen Anwendung finden. Man muß aber auch in das Gesetz so viel Hemmungen für die Enteignung einbauen, daß die Enteignung nicht leichtfertig und überflüsig angewandt werden kann. Die Enteignung muß bloß dazu dienen, den Mißbrauch des Eigentums zu verhindern, sie darf aber nicht :die Idee des Eigentums aushöhlen und untergraben, die letzten Endes bald bloß noch darin besteht, sich obrigkeitlich verwalten zu lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, den Regierungsentwurf lehnt die Zentrumsfraktion ab. Mit dem Entwurf der Herren Lücke und Genossen sind wir insoweit einverstanden, als wir glauben, daß im Laufe der weiteren Beratung ein durchaus brauchbares Gesetz daraus entstehen kann. Es trägt im wesentlichen schon Züge, mit denen man völlig einverstanden sein kann; und in 'Einzelheiten kann es korrigiert werden.
Zu diesen notwendigen Korrekturen gehört es auch, glaube ich, daß man den Rechtszug etwas anders gestalten muß, als Sie, Herr Lücke, ihn vorsehen. Das Notwendige ist nicht eine Revisionsinstanz, sondern eine zweite Tatsacheninstanz, eine Berufungsinstanz. Wenn nur zwei Instanzen, dann sind wir der Ansicht, daß es zwei Tatsacheninstanzen — also eine Berufungsinstanz — sein müßten. Dann kann man auf die Revision verzichten. Wenn Sie aber auf die Revision wegen der Rechtseinheitlichkeit Wert legen, dann mag es angehen, daß man entweder eine Sprungrevision oder zusätzlich als dritte Instanz eine Revision zuläßt; Sprungrevision dann, wenn eine der Prozeßparteien mehr Wert auf die Revision als auf die Berufung legt.