Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister ist ja sonst bei allen Dingen, die ihn angehen, im Hause anwesend. Vielleicht wird es ausnahmsweise heute morgen noch zu früh für ihn sein. Immerhin
wollen wir diesen Ausnahmefall nicht zum Anlaß nehmen, ihn deswegen zu tadeln.
— Im Gegenteil, ich wollte meine Ausführungen damit beginnen, daß ich dem Herrn Bundesfinanzminister mein Anerkenntnis dafür ausspreche, daß er den personlichen Mut hat, sich regelmäßig dem Parlament zu stellen und ebenso regelmäßig seine Vorlagen im Plenum und in den Ausschüssen zu vertreten. Wir sind auch zufrieden damit, daß der Bundesfinanzminister in seinem eigenen Hause Ordnung hält, daß er tatsächlich Chef im Bundesfinanzministerium ist und daß von dem Bundesfinanzministerium in organisatorischer Hinsicht nicht wie von manchen anderen Ministerien irgendwelche Anstände zu berichten sind.
Wir begrüßen auch, daß der Bundesfinanzminister einen Weg gefunden hat, gerade mit den Länderfinanzministern und mit dem Bundesrat sehr gut zusammenzuarbeiten. Es war vielleicht eine außerordentlich geschickte Maßnahme des Bundeskanzlers, zum Bundesfinanzminister einen extremen Föderalisten zu machen, wie es der Herr Bundesfinanzminister zum mindesten nach den Berichten gewesen sein muß, die wir über seine früheren Äußerungen aus Bayern erhalten haben.
— Ich sage, es war vielleicht sehr geschickt, das zu tun; denn auf diese Art und Weise ist, soweit ich das beurteilen kann, aus einem Saulus ein Paulus geworden. Das ist viel besser, als wenn man von vornherein mit dem Odium belastet als Finanzminister angetreten wäre, man sei ein Zentralist.
Aber diese erfreulichen Seiten in der Geschäftsführung und der Amtsführung des Bundesfinanzministers können doch nichts daran ändern, daß wir anderen Dingen mit ernsten Bedenken gegenüberstehen und daß wir über andere Dinge unser ernstestes Bedauern zum Ausdruck bringen müssen. Einen Punkt, der schon wiederholt angeschnitten worden ist, möchte ich hier noch einmal berühren. Das ist die Tatsache, daß der Bundesfinanzminister es in keiner seiner Veröffentlichungen in der letzen Zeit unterläßt — sei es in dem bekannten Brief im Organ des Bundes der Steuerzahler, sei es in seinen Radioansprachen —, das Parlament anzugreifen und anzuklagen, indem er behautet, daß wir uns bei der Geschäftsführung hier nicht ordnungsmäßig an den § 48 a der Geschäftsordnung hielten, daß wir allzu bewilligungsfreudig seien und ihm dadurch seine Arbeit leichtfertigerweise erschwerten. Meine Damen und Herren! Wenn die Dinge so wären, dann wäre es wahrscheinlich sehr einfach, zwischen dem Bundestag und dem Bundesfinanzminister eine Übereinstimmung herbeizuführen. In Wirklichkeit liegen die Dinge viel schwieriger. In Wirklichkeit ist die Notwendigkeit der Ausgaben, die wir hier beschlossen haben, vom Bundesfinanzministerium anerkannt worden. Der Bundesfinanzminister hat im Rahmen der Regierungskoalition eine so starke Stellung, daß er sicher, wenn er nicht selbst von der Notwendigkeit der von uns beschlossenen Ausgaben überzeugt gewesen wäre, die Ausgaben als solche schon hätte unterbinden können. Die Notwendigkeit der Ausgaben ist aber wohl unstreitig und einmütig von der Bundesregierung und dem Bundesfinanzminister anerkannt worden. Es ist deshalb ein etwas billiges Argument, zu sagen, wir seien, weil wir die Ausgaben beschließen, bewilligungsfreudig und wir seien diejenigen, die den Bundessteuerzahler unnötig belasteten. Diese Art der Polemik, die sich hier beim Bundesfinanzminister sogar in der Äußerung verdichtet hat, das Parlament sei eine Bewilligungsmaschine, ist meiner Ansicht nach außerordentlich bedauerlich und schädigt das Ansehen unseres Staates. Es sollte nicht möglich sein, daß oberste Staatsorgane, wie Bundesregierung und Bundesparlament, sich in dieser Weise gegenseitig Schwierigkeiten machen, indem der Bundesfinanzminister hier Angriffe startet, deren innere Berechtigung ich nicht anerkennen kann.
Ein zweiter Punkt, der ebenso wichtig ist, ist die Tatsache, daß wir zwar eine Bundesfinanzverwaltung haben, die in formeller Hinsicht, in der Beherrschung der Steuertechnik usw. in Ordnung ist, daß wir aber die Kompliziertheit des Steuersystems inzwischen so weit getrieben haben, daß weiteste Kreise unserer Steuerzahler nach einer grundsätzlichen Systemänderung rufen und daß es dem Bundesfinanzminister deshalb auch nicht gelungen ist, die Steuermoral auch nur im geringsten zu heben; man kann sich sogar fragen, ob sie nicht in der Amtszeit des -Bundesfinanzministers noch weiter hinabgesunken ist. Diese Tatsache führe ich zum ganz großen Teil auf die immer größer werdende Kompliziertheit unseres Steuersystems zurück. Außerdem hat sich die Schere zwischen der Begünstigung des Kapitaleinkommens und der Begünstigung des Arbeitseinkommens, des Einkommens aus selbständiger und unselbständiger Arbeit ohne Kapitaleinsatz, für Arbeiter, Freiberufler und Handwerker dauernd weiter geöffnet. Das Arbeitseinkommen ist ständig schärfer herangezogen worden.
— Entschuldigen Sie bitte! Sie werden mir gleich, wenn ich die These aufstelle, Gelegenheit geben, sie zu beweisen. — Das Arbeitseinkommen ist dauernd stärker herangezogen worden, und zwar im Zusammenhang damit, daß die Freibeträge wegen der Preissteigerung eine ständig geringere Bedeutung erhalten, d. h. daß die Steuer ständig tiefer in das Existenzminimum hineingreift. Auf der anderen Seite hat aber durch die Tatsache der Unterbrechung der Bilanzkontinuität im Rahmen des D-Mark-Bilanzgesetzes das Kapital die Möglichkeit gehabt, die abgeschriebenen Maschinen, die ältesten Ladenhüter aufzuwerten und mit neuen Werten in die Bilanz einzusetzen,
von diesen Dingen völlig neu abzuschreiben und auf die Art und Weise den steuerlichen Gewinn im Verhältnis zu dem Rohgewinn außerordentlich stark zu beschneiden, während die gleiche Möglichkeit der Beschneidung des steuerlichen Gewinns im Verhältnis zum wirklichen Gewinn den Arbeitseinkommen nicht geblieben ist. Außerdem War durch die Möglichkeiten der §§ 7 a ff. noch die zusätzliche Chance gegeben, daß man diese abgeschriebenen Ladenhüter, die man voll oder übervoll neu bewerten, sogar höher bewerten durfte, als seinerzeit die Anschaffungskosten gewesen sind, dann aber Ersatzbeschaffungen noch einmal .abschreiben konnte.
— Die Abführung in den Lastenausgleich können Sie nicht mit 50 % berechnen, weil der Gegenwartswert der Lastenausgleichsbelastung nur zum Vergleich herangezogen werden darf. Der Gegenwarts-
wert der Lastenausgleichsbelastung beträgt höchstens 40 % der gesamten Lastenausgleichsbelastung.
Aber im übrigen, wenn man daran denkt, was die Geldwertbesitzer und die Wertpapierbesitzer verloren haben, kann man doch sagen, daß die Sachwertbesitzer trotz dieser Belastung mit dem Lastenausgleich tatsächlich noch sehr günstig wegkommen. Ich glaube, daß man das Thema Lastenausgleich besser aus der Behandlung der Frage der steuerlichen Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit herauslassen sollte.
Im übrigen aber konzentriere ich meinen Vortrag auf das Prinzip, daß durch unser gegenwärtiges Steuersystem das Kapitaleinkommen ungebührlich begünstigt wird, weil es die Möglichkeit hat, den steuerlichen Gewinn durch alle möglichen fiktiven Absetzungen ganz erheblich zu kürzen und dadurch einen steuerlichen Gewinn auszuweisen, der von dem wirklichen Reingewinn meilenweit entfernt ist. Da diese Möglichkeit für das Arbeitseinkommen des Mittelstandes nicht besteht, bedeutet es, daß die Schere zwischen dem Arbeitseinkommen und dem Kapitaleinkommen ständig größer geworden ist. Das ist einer der entscheidenden Fehler unseres Steuersystems. Hier ist der Punkt, wo ich mit meinen konstruktiven Vorschlägen ansetzen möchte. Wir haben immer wieder gesagt, wir brauchen eine Steuer, die tatsächlich den privatwirtschaftlichen Vorteil und den öffentlichen Vorteil konform macht und nicht den Unternehmer geradezu verleitet, möglichst aufwändig, möglichst unrationell zu wirtschaften, sondern die ihn dazu zwingt, möglichst rationell im volkswirtschaftlichen Interesse zu wirtschaften.
Eine solche Steuer haben wir in einer Umsatzsteuer von der Nettoproduktion statt von der Bruttoproduktion. Würden wir die Umsatzsteuer von der Nettoproduktion haben statt unserer Verbrauchsteuern und unserer jetzigen Umsatzsteuer, dann würde jeder Unternehmer gezwungen sein, möglichst rationell zu wirtschaften. Je weniger Ausgaben er macht, je weniger Aufwendungen er macht, je besser er wirtschaftet, desto mehr bleibt ihm dann nämlich von seinem Nettoumsatz, d. h. von der Spanne zwischen Wareneinkauf plus Lohnaufwand einerseits und dem Gesamtumsatz andererseits übrig. Wir brauchen eine volkswirtschaftlich richtig angesetzte Steuer, und diese volkswirtschaftlich richtig angesetzte Steuer ist in der Finanzwissenschaft seit Jahren immer wieder gefordert worden.
Unser Bundesfinanzminister hat zwar außerordentlich fleißig gearbeitet, hat gute steuertechnische Arbeit geliefert. Er hat aber nicht — das ist der Vorwurf, den wir ihm machen — die große Linie, er hat nicht den Mut zu einer neuen konstruktiven Finanzpolitik. Wir haben gefordert, daß ein Sparkommissar zur Durchführung der Rationalisierung in der öffentlichen Verwaltung, zur Beseitigung der Überschneidung der Verwaltung zwischen Bund und Ländern eingesetzt wird. Alle diese Dinge sind bisher versandet.
Der dritte Punkt, den ich in diesem Zusammenhang noch aufzeigen möchte, ist die Notwendigkeit der Begünstigung der Sparkapitalbildung. Die Lage auf dem Kapitalmarkt ist Ihnen doch allen bekannt. Wir haben jetzt zwar eine ganze Reihe von Begünstigungen zu Recht gestrichen, aber wir haben keinen Ersatz dafür geboten. Man hat keine
Möglichkeit geboten, daß der Sparer selbst wieder durch steuerliche Begünstigung — —
— Das hat mit Kapitalismus nichts zu tun. Die Sparer sind nicht Kapitalisten. Die Großbetriebe haben Sparmöglichkeiten genug. Die Sparer sind immer die Kreise des Mittelstandes gewesen, die für ihre Existenz, für ihre Alterssicherung, für die Ausstattung ihrer Kinder etwas zurücklegen wollten und das jetzt einfach nicht können, weil es für diese Schichten keinerlei Möglichkeiten gibt, steuerlich begünstigte Sparansammlungen zu schaffen. Die Begünstigungen, die die steuerlich begünstigten Ansammlungsverträge bilden, sind so gering, daß sie keinerlei Möglichkeit bieten oder jedenfalls in zwei Jahren nur 270 Millionen DM insgesamt erbracht haben. Es handelt sich darum, daß wir eine Finanzpolitik bekommen, die aus dem hergebrachten Gleis endlich heraustritt, die den Mut hat, neue Wege zu gehen, und die die Bedenken aller Fachleute, die sagen: Wenn wir neue Wege gehen, haben wir auch das Risiko auf uns zu nehmen, endlich beiseite schiebt und mit mutigen Schritten eine Gerechtigkeit in unser Steuersystem hineinbringt.