Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einigen Tagen habe ich in der „Welt" vom 21. April 1951 einen Aufsatz gelesen mit dem Titel „Deutschland zwischen Föderalismus und Zentralismus". Es hätte besser geheißen: Föderalismus und Unitarismus. In unvoreingenommener und im allgemeinen objektiver Weise werden hier die zur Zeit marktgängigen Argumente für und noch mehr gegen den föderalistischen Staatsaufbau zusammengestellt. Hauptargument gegen den Föderalismus ist, daß wir es bei unseren heutigen Ländern größtenteils mit künstlichen Gebilden zu tun haben, denen es auch noch anhängt, daß sie von den Besatzungsmächten ohne Rücksicht auf historisch-landsmannschaftliche Zusammenhänge geschaffen wurden, während früher insbesondere die süddeutschen Länder wie etwa Bayern, Baden und Württemberg ein sehr eigenes Profil hatten, dessen Wirkung wir noch heute in der besonderen Art von bäuerlich -handwerklichem Bürgerstolz vor allem im Südwesten verspüren. Dieses Argument ist nicht leicht zu nehmen. Ich glaube tatsächlich, daß weiteste Bevölkerungsschichten in ihrem Bewußtsein mit einigen unserer neuen Ländergebilde noch nicht recht etwas anzufangen wissen.
Man kann natürlich überhaupt verschiedener Ansicht über die Zweckmäßigkeit eines bundesstaatlichen Aufbaues sein. Meine Damen und Herren, ich persönlich bejahe das bündische Zusammenwirken der Glieder, ich bejahe eine Aufgabenteilung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, da sie die beste Erziehung zum demokratischen Mitverantwortungsbewußtsein ist. Ich weiß aber auch, daß andere die Regierungstätigkeit lieber im Sinne einer allgemeinen Planung von einer Zentrale aus aufgefaßt wissen möchten. Wie dem auch sei: Anhänger und Gegner des bundesstaatlichen Prinzips müssen von den gegebenen Tatsachen ausgehen. Eine solche gegebene Tatsache ist für uns das Grundgesetz, in welchem ein gemäßigtes bundesstaatliches Prinzip verkörpert ist. Ob wir diese Struktur des Grundgesetzes begrüßen oder nicht, es ist unsere gemeinsame Aufgabe, daraus das Beste zu machen.
Wenn nun bei Anhängern und Gegnern dieses Prinzips Einigkeit darüber besteht, daß das Funktionieren dieses Prinzips dadurch belastet wird, daß wir zuwenig Länder haben, die im geschichtlichen Bewußtsein ihrer Bevölkerung verwurzelt sind, so sollten wir doch dort, wo ein solches geschichtliches Bewußtsein trotz fünfjähriger Unterbrechung noch lebendig ist, die Realisierung dieses Bewußtseins nicht künstlich unmöglich machen.
Daß das geschichtliche Eigenbewußtsein in den Ländern Baden und Württemberg noch eine Realität ist, erweist sich schon aus der Art und Weise der Debatte für und wider diese alten Länder in diesem Hause. Unserem Disput, wieweit diese alten Länder nun in der Form, in der sie in das Bewußtsein der Bevölkerung eingegangen sind, auf einen Beschluß des Regensburger Reichstages, den
Reichsdeputationshauptschluß, wieweit sie auf Napoleon oder auf die hier rühmend erwähnte Stephanie Beauharnais zurückgehen, wieweit sie auf den Wiener Kongreß zurückzuführen sind, möchte ich nur ein Interesse für berufsmäßige Historiker beimessen. Die Tatsache des in eineinhalb Jahrhunderten gewachsenen Gefühls für die Länder Baden und Württemberg bleibt unabhängig von ihrem Ursprung bestehen. Gerade das sogenannte „Musterländle" Baden hat in diesen anderthalb Jahrhunderten eine mustergültige deutsche und zu seiner Zeit reichstreue Haltung gezeigt,
es hat als erstes süddeutsches Land auf einen Zusammenschluß im Reiche geradezu gedrängt. In Baden hat es niemals, auch nicht in den Jahren nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, auch nur den geringsten Ansatz etwaiger seperatistischer Neigungen gegeben,
so daß die Unterstellung in dieser Richtung, die auch hier in den Debatten angeklungen ist, als böswillig bezeichnet werden muß, auch vor der Geschichte dieses Landes.
Die gegen die Wiederherstellung der Länder Baden und Württemberg vorgebrachten wirtschaftlichen Gesichtspunkte scheinen mir ebenfalls weitgehend Zweckargumente zu sein. Wir leben nicht mehr in der Zeit vor der Gründung des Deutschen Zollvereins oder gar des Merkantilismus. Wir wünschen nicht, daß die Länder der Bundesrepublik autarke Wirtschaftseinheiten sind, die unabhängig vom Bund ihr Leben fristen können, sondern wir sehen gerade in der gegenseitigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit der Länder einen Wesenszug des modernen bündischen Zusammenwirkens. Ländergrenzen sind keine Wirtschaftsgrenzen mehr.
Das Wesen der Wirtschaft liegt nicht in ihrer Verwaltung! Das ist das sozialdemokratische Konzept, das Sie hiermit zum Ausdruck bringen.
Darin liegt der Kern des Unterschiedes unserer Auffassung, Herr Professor Schmid. Es war mir sehr interessant, daß Sie diesen Zwischenruf gemacht haben.
Im übrigen ist sogar dem Restlande Südbaden anläßlich des Finanzausgleichs ausdrücklich bestätigt worden, daß es lebensfähig ist, lebensfähiger als manches andere Land.
Außerdem darf ich an die vom Herrn Bundesfinanzminister geäußerten Vorschläge eines internen Finanzausgleichs zwischen den benachbarten Ländern erinnern. Hier könnte sich die so oft betonte gegenseitige Liebe der Badener und der Württemberger auch ohne einen Südweststaat mühelos bewähren.
Das Schlagwort von der „Kleinstaaterei", das aus einer Zeit stammt, die kein bündisches Zusammenwirken kleiner Staaten kannte, wirkt hier noch stärker als die klugen Worte, die etwa Augustinus oder auch Jacob Burckhardt über die Vorzüge der kleinen Staaten gefunden haben. Denn der Mensch lebt ja bekanntlich nicht vom Brot allein. Das Wesen, das in diesen Staaten liegt, ist auch der kulturelle Zusammenhang, sozusagen das Lebensklima,
das sich politisch hier bildet. Glaubt man wirklich, es sei dem Bund zuträglicher, wenn er nur aus etwa fünf größeren Ländern besteht? Die Erfahrung zeigt, daß es zum mindesten sehr fraglich ist, ob nicht größere Länder schwerer zu der Einsicht zu bewegen sind, daß es Aufgaben gibt, die sich nicht auf Landesebene erfüllen lassen, ob nicht kleine Länder geneigter sind, dem Bunde zu geben, was des Bundes ist.
Eine „Fronde" von drei von fünf großen Ländern könnte allerdings die Politik einer Bundesregierung eher mattsetzen als ein Zusammenspiel kleinerer Gebilde.
Die Gegensätze zwischen den Begriffen „konservativ" und „liberal" — wenn ich das noch aussprechen darf — gehören in vielem den vergangenen Zeiten an. Es wird nicht mehr nur von sogenannten Konservativen anerkannt, daß unsere Geschichte nicht erst mit einem Datum der Gegenwart beginnt, wie man uns dies etwa vom 30. Januar 1933 an glauben machen wollte, sondern daß wir Erben auch der vergangenen Geschichte sind und daß wir die beste Pionierarbeit für die Zukunft dann leisten, wenn wir auf dem festen Boden der Vergangenheit aufbauen, wenn wir das geschichtlich Gewachsene der Zukunft nutzbar zu machen suchen. Ich meine dies nicht im Sinne irgendeiner antiquierten Romantik, die rückwärtsschauend Längstvergangenes erstrebt, wie etwa der hier zitierte schwäbische Kreis der Maximilianischen Reichseinteilung, sondern ich meine hiermit eine Auswirkung des tatsächlich noch Gegebenen.
Trotz alledem wäre es vollkommen verfehlt, hier im Bundestag etwa über die Wiederherstellung der alten Länder zu entscheiden. Das steht uns nicht zu. Wir sollten genügend Selbstbescheidung aufbringen, um das deutsche Volk in diesen Ländern Baden und Württemberg selbst bestimmen zu lassen, ob es in den erst vor fünf Jahren durch die Besatzungsmacht zerschlagenen Ländern Baden und Wirttemberg in unserem Bund leben will oder in einem Südweststaat, wobei schon die Tatsache einer Sonderregelung im Grundgesetz darauf hinweist, daß diese Zerschlagung im Südwesten auf Grund militärischer Zweckmäßigkeiten von uns nicht als endgültig hingenommen wird. Wir sollten, wie gesagt, dem deutschen Volk in diesen alten Ländern die Entscheidung darüber überlassen. Der Gesetzentwurf, wie er uns heute vorliegt, nimmt diese Entscheidung nicht nur vorweg, sondern nimmt sie überhaupt dem beteiligten Volke ab. Seine Wahlkreisgeometrie, die künstlich neu geschaffene Verwaltungsbezirke zu Stimmbezirken macht und die unter Zugrundelegung des Ergebnisses der informatorischen Volksbefragung den Südweststaat herbeiführen will, auch wenn sowohl die Mehrheit der Bevölkerung des alten Landes Baden wie die Mehrheit der Bevölkerung des jetzigen Bundeslandes Baden sich gegen den Südweststaat aussprechen, setzt eine willkürliche Entscheidung des Bundestages an die Stelle einer freien Entscheidung der Bevölkerung.
Um dieses Prinzip auf dem Wege der Vermittlung in dem Gesetz zum Tragen zu bringen, darf ich hiermit einen Antrag zur Güte vorlegen, der darauf abgestellt ist, daß die beiden Stimmbezirke des badischen Landes und die beiden Stimmbezirke des württembergischen Landes sich nicht gegenseitig majorisieren können.