Rede von
Ernst
Kuntscher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weite Kreise der Heimatvertriebenen werden den Gesetzentwurf zur Umstellung von Reichsmarksparguthaben heimatvertriebener Sparer mit Freude begrüßen. Der Entwurf weist endlich einen gangbaren Weg, wie dieses Problem gelöst werden kann; denn es ist ein Problem, das mit dem Jahre 1945 begann und das seine Fortsetzung am Tage der Währungsreform fand. Damals war es eine ganz bittere Enttäuschung, daß der Besitz von Sparguthaben, auch der rechtliche Nachweis von Sparguthaben der Heimatvertriebenen so behandelt wurde, als wären diese Sparguthaben überhaupt nicht vorhanden. Eine Realisierung dieser Werte war nicht möglich. Die zuständigen Bankinstitute, Sparkassen oder anderen Geldinstitute waren verloren gegangen, und niemand fand sich, der irgendwelche Deckung übernahm, um auch den Heimatvertriebenen eine Umwertung ihrer Sparguthaben gewährleisten zu können. Alle Bemühungen und alle Versuche, neue Träger zu finden oder neue Träger zu schaffen, waren ergebnislos. So sind Tausende von heimatvertriebenen Sparern bis heute so gestellt, daß ihre Sparguthaben ein wertloser Besitz sind.
Kollege Wackerzapp hat in seiner Begründung den materiellen Inhalt der Gesetzesvorlage bereits eingehend erörtert. Der wesentliche Kernsatz in diesem Gesetzentwurf ist, daß die urkundlich nachgewiesenen Sparguthaben im Verhältnis 100 zu 6,5 in fünf gleichen Jahresraten, beginnend mit dem 1. Januar 1952, aus Lastenausgleichsmitteln honoriert werden sollen, d. h. die Realisierung soll erfolgen, ohne daß der Bundeshaushalt oder andere öffentliche Haushalte irgendwie belastet werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang bemerken, daß ja auch bereits im Gesetzentwurf zum „Allgemeinen Lastenausgleich" für diese Sparguthaben der Ostvertriebenen in § 259 eine Regelung vorgesehen ist. Es heißt in dieser Textfassung, daß eine möglichst gleichmäßige Behandlung früherer Guthaben von Vertriebenen bei Geldinstituten in den Gebieten ihrer Herkunftsprovinzen sichergestellt werden soll. Um die Durchführung dieser Bestimmung zu ermöglichen, werden aus dem Lastenausgleichsfonds auf die Dauer von fünf Jahren jährlich 50 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Abs. 2 dieses § 259 besagt, daß Art, Umfang und Durchführung dieser Maßnahmen durch ein besonderes Gesetz geregelt werden sollen. Nach Meinung der Fachleute werden diese 250 Millionen DM ausreichen, um die urkundlich nachgewiesenen Ansprüche heimatvertriebener Sparer im Verhältnis 100 zu 6,5 erfüllen zu können.
Zweifellos sind berechtigte Bedenken vorhanden, die gegen eine Vorausbehandlung des Gesetzes bestehen. Sie sind wahrhaftig ernster Natur, und es ist auch eine verantwortungsbewußte Prüfung dieser Bedenken gerechtfertigt. Ich denke hier zunächst an jene Heimatvertriebenen, die nicht zeitgerecht flüchteten, die der alten Heimat bis zum letzten die Treue hielten, die die Okkupation durch die Russen, Polen und Tschechen über sich ergehen ließen und dann ausgewiesen wurden. Als Beispiel dieses Dramas führe ich hier die sudetendeutschen Verhältnisse an. Ich kann wohl sagen, meine sudetendeutschen Landsleute werden nur zu einem ganz verschwindend kleinen Prozentsatz einen urkundlichen Nachweis über gehabte Spareinlagen erbringen können; denn die Situation im Sudetenland war so, daß die Tschechen sofort eine Währungsumstellung von Reichsmark auf Tschechen-kronen vornahmen, daß im Zuge dieser Umstellung alle Sparbücher abgegeben werden mußten und daß übrigens durch das Schanddekret der Benesch-Regierung von Kaschau jedweder Besitz der Sudetendeutschen zugunsten des tschechoslowakischen Staates konfisziert wurde. Auf Grund dieses Kaschauer Dekretes waren diese sudetendeutschen Sparer nicht mehr Herr ihrer Spareinlagen. Dann kam die Anordnung, daß bei der Aussiedlung kein Sudetendeutscher irgendeinen urkundlichen Nachweis über seinen enteigneten Besitz mitnehmen durfte. Die Kontrollen in den Durchgangslägern waren äußerst scharf. Und wurde doch der eine oder andere mit einem derartigen urkundlichen Nachweis über irgendeinen Besitz betroffen, so erhielt er zunächst eine ganz maßlose Prügelstrafe, und dann galt als Mindeststrafe eine sechsmonatige Einweisung in irgendein Arbeitslager. Aus diesem Grunde werden gerade die Anehörigen dieser Volksgruppe den urkundlichen Nachweis sehr schwer erbringen können.
Ein zweites Bedenken, das gewisse Hemmungen auferlegt, besteht darin, daß die Weiterberatung im Lastenausgleichsausschuß vielleicht eine Verzögerung erfahren könnte. Auch begegnet man dem Einwand, daß die anderen anspruchsberechtigten Gruppen, d. h. die Kriegssachgeschädigten, vielleicht in einer Vorausbehandlung dieses Gesetzes die Bevorzugung einer Gruppe von Geschädigten sehen könnten. Ich glaube, alle diese Bedenken sind einer Beachtung wert. Trotz dieser Bedenken
glaube ich, daß eine Vorausbehandlung dieses Gesetzentwurfs sehr notwendig wäre. Denn so bitter und so schmerzlich ist es, daß Tausende keinen urkundlichen Nachweis über ihre früheren Spareinlagen besitzen, so wird sich mit einer späteren Regelung daran doch nichts ändern; denn der Nachweis, der heute nicht zu erbringen ist, kann auch morgen nicht beschafft werden.
Es wird sehr ernster Beratungen und Erwägungen im Ausschuß bedürfen, um allzugroße Härten zu mildern und um neues Unrecht zu vermeiden. Der Einwand, daß eine Gruppe bevorzugt behandelt wird, ist damit zu widerlegen, daß die Kriegssachgeschädigten ihre Sparguthaben, die sie bei Geldinstituten im Bundesgebiet besaßen, am Währungsstichtag in der Relation 100 zu 6,5 umgewertet erhielten.
Das letzte Bedenken, das dahin ausklingt, daß die Mittel für eine Realisierung des Vorausgesetzes erst nach dem Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes zur Verfügung stehen, möchte ich dahingehend beantworten, daß die Zeit bis zu einer möglichen Realisierung dazu verwandt werden soll, alle technischen Vorbereitungen zu treffen, damit bei inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes die in diesem Vorausgesetz vorgesehene Realisierung der Sparguthaben heimatvertriebener Sparer sofort erfolgen kann.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, welche große wirtschaftliche Hilfe vielen unserer Vertriebenen bei einer schnellen Durchführung gewährt wird. Mit dem Vertriebenensparbuch wird Tausenden von Vertriebenen ein wirklicher beleihungsfähiger Wert in die Hand gegeben, der ein sicheres Pfand bei der Kreditbeschaffung bedeutet. Wir wollen eines bedenken: Wieviele Existenzgründungen sind daran gescheitert, weil die notwendigen Kredite nicht zu beschaffen waren! Wieviele Kredite konnten nicht gegeben werden, weil wiederum keine entsprechende Bürgschaft gestellt werden konnte! Und schließlich: Wieviele neugegründete Existenzen kamen trotz günstigem Start nicht vorwärts, weil es eben an den notwendigen Betriebsmitteln fehlte!
In diesem Zusammenhang möchte ich nicht verabsäumen, auch noch darauf aufmerksam zu machen, daß viele zu 90 % von der öffentlichen liand verbürgte oder bewilligte Kredite nicht flüssig gemacht werden konnten, weil die zuständige Hausbank die restlichen 10 % als Bürgschaft nicht übernahm und damit der Kreditsuchende, der nach monatelangem Leidensweg diese 90 %ige Landes-oder Bundesbürgschaft oder die Kreditbewilligung durch Bundesmittel erkämpft und errungen hatte, trotzdem den Kredit nicht erhielt, da er die restlichen 10 % nicht verbürgen konnte. Wäre es deshalb nicht schon ein bedeutender Vorteil, wenn so mancher durch ein Vertriebenensparbuch in die Möglichkeit versetzt würde, diese restlichen 10 % aus eigenem Guthaben zu sichern?
Zum Schluß soll auch noch jener alten und arbeitsunfähigen Heimatvertriebenen gedacht werden, die in besonderen Notfällen und bei kleineren Gläubigerrechten den ganzen Betrag ihres bescheidenen Spartguthabens realisieren können, um sich damit vielleicht wieder ein Stück Hausrat, Wäsche oder Kleidung anzuschaffen.
Diese Umstände bestimmen meine politischen Freunde und mich, das Hohe Haus zu bitten, diesen Gesetzentwurf dem Lastenausgleichsausschuß mit dem dringenden Ersuchen zu überweisen, ihn als Vorausmaßnahme so schnell wie möglich zu behandeln, damit er in seiner endgültigen Fassung
sehr bald im Plenum verabschiedet werden kann.