Rede von
Walter
Fisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Wenn wir mit der Fraktion der Bayernpartei auch nicht sympathisieren, so sympathisieren wir doch in diesem Falle mit dem von ihr vorgelegten Antrag und werden ihm unsere Zustimmung geben, obwohl dieser Antrag nach unserer Meinung eine Reihe von Unzulänglichkeiten und Halbheiten enthält. Es handelt sich hier um ein Problem, das mit aller Dringlichkeit behandelt werden sollte. Es ist gewissermaßen für das Verhältnis symbolisch, in dem die Besatzungsmächte zum deutschen Volk stehen. Es wäre auch zu empfehlen, daß alle diejenigen, die so viel von der Gemeinschaft der westlichen Kultur sprechen, sich die Tatbestände, die hier vorliegen, einmal näher ansehen. Ich glaube, sie würden ihre Konzepte für das nächste Mal dann etwas revidieren.
Gestatten Sie, daß ich für die ganze Lage auf diesem Gebiet ein Beispiel aus der Gemeinde, in der ich wohne und deren Bevölkerung ich hier zu vertreten die Ehre habe, anführe. aus Neu-Isenburg bei Frankfurt.
— Warum Sie lachen, weiß ich nicht. Sie lachen, weil Sie es nicht besser verstehen. — Die Gemeinde hat 17 000 Einwohner.
In diesem Städtchen sind heute noch 219 Häuser mit insgesamt 520 Wohnungen von den Amerikanern beschlagnahmt.
50 Häuser mit insgesamt 120 Wohnungen stehen seit Monaten — davon einige seit vier Monaten — leer. In anderen Häusern sind die oberen Stockwerke vollkommen leer und werden von niemandem benutzt. In dieser Gemeinde gibt es gleichzeitig 1100 Wohnungsuchende. 200 Familien mit 3, 4 oder 5 Personen sind gezwungen, in einem Zimmer zu hausen. Es haben Verhandlungen mit der Militärverwaltung des Rhein-Main-Flughafens stattgefunden. Die Stadtverwaltung hat die Zusage erhalten, daß „demnächst" 30 Häuser und einige Wohnblocks mit zirka 110 Wohnungen geräumt werden. Das war vor mehreren Wochen. Die Freigabescheine werden von der Flughafenverwaltung aber bis heute noch verweigert. Es werden neue Bedingungen gestellt, so daß bisher insgesamt nur 3 Häuser freigegeben worden sind. Die Besatzungsoffiziere stellen neuerdings die Bedingung, daß in die freizugebenden Häuser deutsche Angestellte bei amerikanischen Behörden eingewiesen werden. Sie behalten sich das Recht vor, die Mieter, die Parteien, die in die Häuser, die sie angeblich freigeben wollen, eingewiesen werden. selbst herauszusuchen.
Man muß auch auf einige andere Begleitumstände hinweisen. Die ersten Häuser, die geräumt worden sind, geben den Einblick in eine erschreckende Mentalität der früheren Bewohner. Hier muß man von mutwilliger, von beabsichtigter Demolierung sprechen. Nicht nur, daß' die Böden, die Möbel zerstört, Wasserschäden angerichtet, die Öfen herausgerissen, die Türen eingeschlagen sind, sondern man sieht mutwillig und systematisch angerichtete Zerstörungen in fast all den Häusern, die freigegeben werden.
Odernehmen Sie einen anderen Tatbestand. Man hat allein in 80 Häusern der Gemeinde, von der ich spreche, die dort bestehenden Ofenheizungen herausgerissen und statt dessen Zentralheizungen eingebaut, oder man hat Etagenheizungen herausgerissen und statt dessen Kellerheizungen eingebaut. Nunmehr, nachdem die Häuser freigegeben werden, erklären deutsche Behörden, Besatzungskostenämter — vermutlich auf amerikanische Empfehlung hin —, daß die Wohnungen durch diese Änderungen eine Wertsteigerung erfahren hätten. So werden arme Leute, Kleinhäusler und Mieter gezwungen, für diese „Wertsteigerung", die die amerikanischen Besatzer vorgenommen haben, Beträge in Höhe von 3- bis 4000 Mark zu zahlen. Oder man zwingt sie, anzuerkennen, daß eine Verrechnung gegen die entstandenen Schäden vorgenommen werden soll. In anderen Fällen verfügt man, daß, wie das in Buchschlag im Kreise Offenbach geschehen ist, die Häuser in dem Zustand verbleiben, in dem sie die Besatzer verlassen haben. Wenn sie z. B. sämtliche Zwischenwände, die
Brandmauern eingerissen haben, um die Häuser für ihre Zwecke einzurichten, so sollen die Häuser in diesem Zustand bleiben, obwohl sie als freigegeben gelten und obwohl die bisherigen Insassen keine Miete mehr bezahlen.
Meine Damen und Herren! Wir sind der Meinung, daß ,die im Antrag der Bayernpartei formulierten Forderungen nicht ausreichend sind. Man muß die sofortige Freigabe allen ungenutzten oder nur teilweise genutzten Wohnraums verlangen. die Freigabe allen Wohnraums, der bis jetzt durch übermäßigen oder nicht zu verantwortenden Luxus in Anspruch genommen wird. Man muß weiter die vollkommene Ersatzleistung für alle Zerstörungen und Änderungen am Inventar oder an Einrichtungen verlangen, die ohne Zustimmung der Eigentümer oder der Mieter von den Besatzern in der vergangenen Zeit vorgenommen worden sind. Man muß ferner verlangen, daß bei der Freigabe keinerlei Bedingungen hinsichtlich der Auswahl der neuen Bewohner gestellt werden, sondern daß die alten Eigentümer, die alten Mieter wieder vollkommen in ihre alten Rechte eingesetzt werden. Darüber hinaus aber muß, glaube ich, jeder vernünftige Mensch verlangen, daß die Besatzer, die sich durch derartig provokatorisches Benehmen auszeichnen, in Kürze gänzlich verschwinden. Ich glaube, daß außer einigen pflichtvergessenen oder kurzsichtigen deutschen Politikern niemand wünscht, daß diese Leute auch nur einen Tag länger uns mit ihrer Anwesenheit beglücken.