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ID0112303100

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    Deutscher Bundestag — 123. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. März 1951 4685 123. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 7. März 1951. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 4686C, 4687A, 4718A, 4732C Änderung der Tagesordnung 4686D Anfrage Nr. 159 der Fraktion der SPD betr. Überschwemmungsschäden in Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Nrn 1861 und 1979 der Drucksachen) 4687A Zwischenbericht des Bundesministers der Finanzen über die Frage der Freigabe historischer Gold- und Silbermünzen (Nr 1981 der Drucksachen) 4687A Bericht des Bundeskanzlers über Kredite und steuerliche Begünstigungen für Flüchtlingsbetriebe (Nrn. 1286 und 1986 der Drucksachen) 4687B Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP betr. Uraltkonten in West-Berlin, deren Berechtigte im Gebiete der Bundesrepublik wohnen (Nr. 1786 der Drucksachen) 4687B Dr. Dr. Nöll von der Nahmer (FDP), Interpellant 4687B Schäffer, Bundesminister der Finanzen 4688A Frau Schroeder (Berlin) 4689A Dr. Reif (FDP) 4689D Frau Kalinke (DP) 4690A Dr. Krone (CDU) 4690B Ausschußüberweisung 4690C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes (ESt- und KSt-Änderungsgesetz 1951) (Nr. 1982 der Drucksachen) in Verbindung mit der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes und des Beförderungsteuergesetzes (Nr. 1983 der Drucksachen) . . . 4690C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 4690D, 4710D Dr. Koch (SPD) 4695D Dr. Bertram (Z) 4701B Neuburger (CDU) 4703D Dr. Dr. Höpker-Aschoff (FDP) . . 4707A Ewers (DP) 4713A Loritz (WAV) 4714C Müller (Frankfurt) (KPD) 4716A Ausschußüberweisung 4718A Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Sozialversicherung nebst Schlußprotokoll (Nr 1977 der Drucksachen) 4718A Sauerborn, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit , . . 4718A Ausschußüberweisung 4719A Erste, zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verlängerung der Geltungsdauer des Preisgesetzes (Nr. 1993 der Drucksachen; Anträge Umdruck Nrn. 93 und 94) 4687A, 4719A Dr. Schröder (Düsseldorf), Antragsteller 4719A, 4724D Frau Strobel (SPD) 4719D Dr. Dr. Müller (Bonn) (CDU) . . . 4721D Dr. Niklas, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 4723A Kriedemann (SPD) 4723C Dr. Preusker (FDP) 4724C Abstimmungen 4725A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Wertpapierbereinigungsgesetzes (Nr. 1654 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geld und Kredit (12. Ausschuß) (Nr. 1984 der Drucksachen) 4725C Neuburger (CDU), Berichterstatter 4725C Abstimmungen 4726A Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und 4 Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft (Nr. 1845 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen (14. Ausschuß) (Nr. 1972 der Drucksachen) 4726C Degener (CDU), Berichterstatter . 4726C Beschlußfassung 4726D Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Verlängerung der Prioritätsfristen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes (Nr. 1731 der Drucksachen); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz (16. Ausschuß) (Nr 1980 der Drucksachen) 4727A Dr. Schatz (CSU), Berichterstatter . . 4727B Beschlußfassung 4728A Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge (33. Ausschuß) über den Antrag der Abg. Dr. Mende u. Gen. betr. Programm für die Betreuung der deutschen Jugend (Nrn. 1030, 1968 der Drucksachen) . . . 4728A Kemmer (CSU), Berichterstatter . . 4728B Strauß (CSU) 4728D Dr. Dr. h. c. Lehr, Bundesminister des Innern 4730A Beschlußfassung 4731C Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen (18. Ausschuß) über den Antrag der Fraktion der FDP betr. Gebührenbefreiung beim Kleinwohnungsbau (Nrn. 1467, 1978 der Drucksachen) . . 4731C Erler (SPD), Berichterstatter . . . . 4731C Beschlußfassung 4732A Beratung der Übersicht Nr. 21 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen (Umdruck Nr. 87) 4732A Beschlußfassung 4732C Beratung des interfraktionellen Antrags betr. Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse (Umdruck Nr. 91) 4732C Beschlußfassung 4732C Nächste Sitzung 4732C Die Sitzung wird um 13 Uhr 31 Minuten durch den Präsidenten Dr. Ehlers eröffnet.
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    Rede von Alfred Loritz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (WAV)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (WAV)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der WAV mochte ich die Erklärung abgeben, daß wir uns von dem vorliegenden Steuerprojekt aufs schärfste distanzieren und diese Steuererhöhungen unter allen Umständen ablehnen müssen.
    Ganz besonders verhängnisvoll wird sich die Erhöhung der Umsatzsteuer auswirken. Sehr verehrter Herr Vorredner von der DP, es ist sehr bemühend, wenn man hier hören muß, daß Sie genau so wie wir diese verhängnisvolle Auswirkung der Umsatzsteuererhöhung auf die Volkswirtschaft, auf die Verbraucherschaft, auf den Mittelstand usw. erkennen, aber dann trotzdem hergehen und namens Ihrer Parteifreunde diese Erhöhung der Umsatzsteuer empfehlen. So geht das natürlich nicht, daß man auf der einen Seite sagt, und zwar mit Recht sagt, daß volkswirtschaftlich gesehen eine Umsatzsteuer von 4 °/o. ein Wahnsinn ist, andererseits aber nichts tut, um die Regierung zu Fall zu bringen, die jetzt wieder eine solche Steuererhöhung vorschlägt und die uns demnächst noch weitere Steuererhöhungen vorschlagen will; denn Sie haben ja heute schon aus dem Munde des Herrn Finanzministers gehört, daß er sagte, daß der Verteidigungsbeitrag, der von uns gewünscht wird, so hoch ist, daß dieser das ganze Budget aus dem Gleichgewicht zu bringen droht. Und der Herr Finanzminister sagte wörtlich, daß man im Ausland schon ungehalten darüber ist, daß wir angeblich zu wenig Verteidigungsbeitrag leisten wollen bzw. nicht gleich in 0,5 Sekunden mit den dazu nötigen Steuererhöhungen bereitstehen.
    Sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, es wird wohl die Zeit kommen müssen — sie wäre schon lange gekommen —, daß wir dem Ausland gegenüber endlich erklären, daß Deutschland doch nicht immer wieder auf Kommando wie ein Pudel durch jeden Reifen, den man ihm vorhält, hin-durchspringen muß und daß die Belastungen, die Deutschland trägt — denken Sie nur an die Auswirkungen des Yalta- und des Potsdamer Abkommens —, so sind, daß wir weitere Verteidigungsbeiträge angesichts dieser ungeheueren Mehrbelastung durch die Heimatvertriebenen und so fort heute schon kaum mehr aufzubringen in der Lage sind. Das muß dem Ausland gegenüber sehr deutlich gesagt werden. Es muß ohne Rücksicht auf Parteischattierungen von jedem in diesem Hause gesagt werden, und es muß von der Regierung mit aller Deutlichkeit unterstrichen werden!
    Diese Umsatzsteuererhöhung wird selbstverständlich voll und ganz auf den letzten Verbraucher abgewälzt werden. Darüber sind sich alle Volkswirtschaftler im klaren. Diese Umsatzsteuererhöhung kann man nicht dadurch minimisieren, daß man von seiten der Regierungsbank wiederum hergeht und sagt: Pro Ei bringt das nur eine Belastung von Null Komma soundsoviel Pfennig, pro Pfund Butter von Null Komma soundsoviel Pfennig. Diese Milchmädchenrechnerei machen wir von der WAV-Fraktion nicht mit! Das


    (Loritz)

    möchte ich mit aller Entschiedenheit sagen. Denn immer wieder kommen neue Steuererhöhungen, und immer wieder bemüht man sich, uns die NullKomma-Soundsoviel-Pfennig-Rechnung zu produzieren, um damit weitere Steuererhöhungen schmackhaft zu machen. In Wirklichkeit aber sieht es ganz anders aus. Eine Umsatzsteuererhöhung von 3 auf 4 % wird sich in dem betreffenden Warenpreis mehrfach auswirken, weil ja bei soundsoviel Artikeln des täglichen Bedarfs vielerlei Umsätze in Frage kommen. Ich brauche Ihnen das wohl nicht im einzelnen noch zu schildern.

    (Zuruf von der FDP: Um Gottes willen nicht!)

    — Um Gottes willen nicht? Herr Kollege, es wäre vielleicht für Sie manchmal sehr gut, wenn Sie auf die Stimmen der Opposition etwas mehr achten würden, als Sie das tun.

    (Abg. Stücklen: Gehören Sie auch dazu? Die Opposition will Sie ja gar nicht haben!)

    Meine Damen und Herren, diese neue Umsatzsteuererhöhung wird mit Sicherheit ein weiteres Steigen des ohnehin schon überhöhten Preisniveaus bedeuten. Wir haben heute schon aus dem Munde von Rednern hier im Hause gehört, daß das deutsche Preisniveau teilweise bereits höher ist als das umliegender Länder. Das wird sich noch in der übelsten Art und Weise auf unsere ganze Volkswirtschaft auswirken.
    Was die Einkommensteuererhöhungen betrifft: diese Streichungen, die hier jetzt zum Teil wieder rückgängig gemacht worden sind, waren ja seinerzeit das „Verdienst" des Herrn Bundesfinanzministers. Freut uns, wenn er sie jetzt wenigstens teilweise wieder rückgängig machen will. Er soll aber nicht mit seiner Erzählung von dem Sommer-und dem Wintermantel daherkommen. Zu dem Zeitpunkt, als diese Einkommensteuerermäßigung den Großeinkommen in den Schoß geworfen wurde, wußte bereits jeder, wie sich die Lage entwickeln wird.

    (Lachen und Widerspruch in der Mitte und rechts.)

    Ja, meine Herren, wenn heute von dem sehr verehrten Herrn Kollegen Neuburger gesagt wird, im August sei die Kohle auf dem Inlandsmarkt nicht abzusetzen gewesen und deswegen habe man damals die 600 000 t exportiert, die uns jetzt fehlen, so sage ich Ihnen: Im August war bereits der Koreakrieg da. Jeder mußte sich sagen, daß dieser Krieg nur mit einem völligen Prestigezusammenbruch entweder der einen, der roten, oder der anderen Seite enden kann und daß aus diesen Gründen dieser Konflikt sehr lange dauern wird.

    (Zurufe und Lachen in der Mitte und rechts.) Hier wäre es Sache der Regierung gewesen, Vorrite anzulegen. Das sind die Vorratslager, von denen ich das letzte Mal gesprochen habe. Damals hat der Kollege Horlacher, meine Ausführungen völlig mißverstehend, gea twortet, das würde den großen Geldbeutel begünstigt haben. In der Schweiz hat man große Kohlenlager rechtzeitig von Regierungsseite her angelegt. Selbstverständlich, der Mittelstand kann das nicht machen. Bei uns hat man im August, zwei Monate nach Ausbruch des Koreakrieges, noch nichts dergleichen oder fast nichts gemacht. Das möchte ich den Herren Vorrednern doch zu bedenken geben, bevor sie hergehen und dem Hause gegenüber mit allgemeinen Redewendungen die vollkommen falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung zu rechtfertigen versuchen.


    (Abg. Stücklen: Was haben Sie denn überhaupt für eine Wirtschaftspolitik?)

    — Unsere Wirtschaftspolitik? (Abg. Stücklen: Ja!)

    — Wenn Sie sich die Mühe gegeben hätten, Herr Kollege, zu verfolgen, was wir damals schon gesagt haben und wobei ich hier von Ihnen verlacht worden bin, — —

    (Oho-Rufe und Lachen in der Mitte und rechts.)

    Wir haben damals bereits erklärt, daß die Regierung Vorräte anlegen soll. Das hatten wir Ihnen damals bereits erklärt. Hätten Sie das getan, dann brauchten Sie heute statt der einen Milliarde DM, die Sie jetzt für wichtigste Lebensmittel und sonstige Grundrohstoffe auszugeben gezwungen sind, höchstens 600 Millionen DM auszugeben. Wenn Sie diese Lebensmittel und Grundrohstoffe heute überhaupt noch auf dem Weltmarkt bekommen — ich fürchte, Sie werden sie zum großen Teil nicht mehr bekommen —, dann werden Sie dadurch die Preise auf den Weltmärkten nur noch mehr hinauftreiben.

    (Zuruf von der Mitte: Wo waren die Devisen? Wo waren die Geldsummen?)

    — Meine Damen und Herren, wo die Geldsummen waren? Sie waren da, wo sie jetzt auch sind. Jetzt müssen Sie sie ja auch aufbringen und haben sie auch aufgebracht.

    (Abg. Leonhard: So könnte die Bundesregierung nicht wursteln, wie Sie es vorschlagen! — Abg. Stücklen: Und wie ist Ihre Finanzpolitik?)

    Was die Einkommensteuer betrifft: es ist unser Ziel, die kleinen Einkommen möglichst pfleglich zu behandeln und die größten und großen Einkommen entsprechend stark heranzuziehen. Das ist — um auf Ihren Zwischenruf einzugehen — unsere Einkommensteuerpolitik. Bei dem Verhältnis zwischen direkter und indirekter Besteuerung muß man sich darüber klar werden, daß gerade ein verarmtes Volk das Verhältnis zwischen direkter und indirekter Steuer anders festlegen muß als ein reiches Volk, aber nicht so, wie ,der Herr Bundesfinanzminister argumentiert, sondern gerade umgekehrt. Ein verarmtes Volk kann sich nur ganz geringe Umsatzsteuern leisten.

    (Zuruf von der Mitte.)

    — Ja, Herr Kollege, wenn Sie sich die Mühe nehmen würden, in ersten ausländischen Finanzzeitschriften — siehe z. B. die Handelsbeilage der „Neuen Zürcher Zeitung" oder andere — einmal nachzulesen, wie hoch die Summen sind, die von großen Exportindustrien heute verdient und teilweise ins Ausland verschoben werden, dann würden Sie wohl anders reden. Die Summe wurde von dem Finanzreferenten der „Neuen Zürcher Zeitung" auf 3 Milliarden DM für das Jahr 1950 beziffert. Wenn Sie das Exemplar dieser Zeitung einsehen wollen, dann kann ich es aus unserem Archiv sofort bringen und Ihnen zur Verfügung stellen.

    (Abg. Stücklen: Sie haben immer gute Beziehungen zu der Schweiz!)



    (Loritz)

    — Nein, wir haben keine solche guten Beziehungen wie Ihre Leute, die alle Augenblicke dort sind, teilweise sogar zum Sommeraufenthalt, wie der Herr Bundeskanzler, statt in einem deutschen Kurort Aufenthalt zu nehmen. Das, mein Lieber, auf Ihren Zwischenruf!
    Wir von der WAV sehen mit größter Bestürzung eines: Die Preis-Lohn-Spirale ist in Bewegung gekommen und wird sich, wenn es so weitergeht, nicht mehr aufhalten lassen, sondern wird alles zerdrücken und zermalmen. Das ist bedauerlich genug. Eine Schutzwand gegen die Gefahr aus dem Osten, mit der der Herr Bundesfinanzminister diese Steuererhöhungen uns heute schmackhaft zu machen versucht, können Sie nur dann aufrichten, wenn Sie unsere deutsche Volkswirtschaft nicht zertrümmern und kaputtschlagen.

    (Abg. Stücklen: Das würden Sie machen!)

    Zu diesem Zweck müssen Sie ein Steuersystem und ein Wirtschaftssystem haben, .das dem heute von der Regierung praktizierten diametral entgegengesetzt ist. Dieses fehlerhafte Wirtschaftssystem, das so sehr gegen das Wort Talleyrands verstößt: „Gouverner c'est prévoir", weil diese Regierung eben nichts vorausgesehen hat, werden wir von der WAV bei solchen Steuererhöhungen nicht mitmachen. Deswegen lehnen wir die heutige Regierungsvorlage mit aller Entschiedenheit ab!


Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Müller.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Oskar Müller


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (KPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)

    Meine Damen und Herren! Den wiederholt von Vertretern der kommunistischen Fraktion gemachten Feststellungen, ) daß die Massensteuern und die Preiserhöhungen in erster Linie durch die Remilitarisierung und die Aufrüstung bedingt sind und der Finanzierung dieser dienen, wurde aus den Parteien der Regierungskoalition und der rechten Gruppe widersprochen. Aber ich glaube, daß die heutige Erklärung des Herrn Finanzministers diese Einwendungen seitens der Regierungskoalition mit Eindeutigkeit und Offenheit klar widerlegt und damit unsere Feststellungen bestätigt hat.
    Der erste Punkt, den der Herr Finanzminister zur Begründung dieser neuen Massensteuern aufstellte, bezog sich auf die Besatzungskosten. Er nannte sie zwar Verteidigungskosten. Ich glaube aber, diese Formulierung, die von amerikanischer Seite dem deutschen Volk einsuggeriert wird, verschleiert nur die Tatsache, daß ein Krieg, ein Angriffskrieg, auf deutschem Boden vorbereitet werden soll. In dem Memorandum der Bundesregierung wird zur Begründung dieser neuen Massensteuern gesagt, daß zusätzliche finanzielle Anforderungen insbesondere für Zwecke der äußeren Und inneren Sicherheit des Bundesgebietes zu erwarten seien, und festgestellt, daß die mit der Verstärkung der alliierten Streitkräfte im Zusammenhang stehenden Mehrausgaben nach den vorliegenden Informationen auf zunächst 1 700 000 000 DM zu veranschlagen sind. Das Memorandum erklärt aber, daß sich die Bundesregierung noch nicht ganz im klaren darüber sei, ob die Summe von 1 700 000 000 DM den aus Anlaß der Truppenverstärkungen im Rechnungsjahr 1951 zu erwartenden Bedarf in voller Höhe erfaßt. Es könne damit gerechnet werden — stellt wiederum diese Regierung fest —, daß die Besatzungsmächte ihre Anforderungen im Laufe des Rechnungsjahres 1951 noch erhöhen würden. Ich glaube, Herr Bundesfinanzminister, Ihnen wird nicht ganz unbekannt sein: in der letzten Zeit sind vom Petersberg Zahlen veröffentlicht und nicht widersprochen worden, nach denen man mit einer Anforderung an sogenannten Besatzungskosten,
    h. Kosten der Kriegsvorbereitung in Höhe von 10,7 Milliarden DM rechnet.

    (Zuruf von der Mitte: Woher weißt Du?!)

    — Ich weiß nicht, ob Sie so ignorant sind, daß Sie das nicht gelesen haben. — Das würde bedeuten, daß gegenüber der bisherigen Zahl von 4,5 Milliarden DM mehr als doppelte Kosten das Volk in Westdeutschland belasten würden. Das würde bedeuten, daß der Würgegriff gegen die arbeitenden Menschen, gegen die breiten Massen des Volkes noch enger gedrückt würde. Das würde bedeuten, daß das Volk die Vorbereitung des Krieges jetzt finanziell und materiell und, sollte es zum Kriege kommen, diesen Krieg nachher mit seinem Blut bezahlen sollte. Das ist die eine Begründung für diese Vorlage.
    Die zweite Begründung bezieht sich auf die sogenannte innere Sicherheit und den Grenzschutz, wofür zirka 270 Millionen DM in Rechnung gestellt werden. Der Herr Bundesinnenminister weiß sehr wohl und hat es unmißverständlich wiederholt zum Ausdruck gebracht, wofür er diese Polizei braucht. Die Regierung ist sich darüber im klaren, daß angesichts der immer weiter um sich greifenden Massenbelastungen und damit der Senkung des Lebensstandards die werktätigen Massen sich gegen diese Politik mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen werden und zur Wehr setzen. müssen. Dafür die Mittel für die Polizei, dafür die Mittel zur sogenannten Sicherung im Innern, die hier angefordert werden.

    (Zuruf von der Mitte: Ahnungsvoller Engel!)

    Die Vorlage betreffend die Finanzierung der Besatzungskosten und der Kosten für die Polizei enthält noch weitere, die arbeitenden Schichten draußen zweifellos außerordentlich interessierende Begründungen. Die Bundesregierung bringt es fertig, zu erklären, daß es angesichts dieser Lage notwendig sei, auch auf dem Wege über diese neuen Massenbelastungen eine planmäßige Einschränkung des entbehrlichen privaten Konsums zu erreichen. Das bedeutet, daß der Leibriemen noch enger geschnallt werden soll. Man will — so sagt wiederum das Memorandum — durch eine höhere Belastung des Verbrauchs die Mittel für die Kriegsfinanzierung aufbringen. Wenn, um es noch einmal wörtlich zu zitieren, in diesem Memorandum ausgesprochen wird, daß eine gewisse Einengung des Lebensstandards als unvermeidliche Gegenleistung für die angestrebte höhere politische Sicherheit des deutschen Volkes hingenommen werden müsse, dann deckt der nächste Satz, glaube ich, die Ziele der Regierung sichtbar auf. Es heißt dort:
    Sollte die höhere Besteuerung des Konsums eine entsprechende Steigerung der Löhne und Sozialleistungen zur Folge haben, so würde die mit der Steuererhöhung angestrebte haushaltswirtschaftliche und sozialökonomische Wirkung nicht erreicht werden.
    Das heißt auf deutsch nichts anderes, als daß die Regierung hier bereits die Anweisung an die Unternehmer gibt, trotz der gestiegenen Mehrbelastungen unter keinen Umständen Lohnerhöhungen zu bewilligen. Das bedeutet nichts anderes. -als daß


    (Müller [Frankfurt])

    die Regierung auch nicht bereit ist, den Sozialrentenempfängern, den Kriegsbeschädigten usw. höhere Rentenbezüge zu bewilligen, die den gestiegenen Preisen angemessen sind. Man geht also — das habe ich vorhin schon einmal gesagt — den Weg der Massenbelastung, während man es auf der andern Seite ganz offen ausspricht, daß eine zusätzliche Belastung des Vermögens nicht als tragbar angesehen werden kann, genau so wenig, wie man eine Wiedererhöhung des Einkommensteuertarifs durchführen will. Es wurde heute schon davon gesprochen: das Milliardengeschenk, das man im Frühjahr des vergangenen Jahres den Reichen gemacht hat, wird aufrechterhalten. Die Reichen werden noch reicher werden, das Volk soll die Kosten bezahlen.
    Das liegt. in der Linie der Politik, die von dem obersten Dirigenten der Bundespolitik

    (Zuruf von der Mitte: Aha!)

    bereits im Januar dieses Jahres verkündet worden ist. Als der Präsident der Vereinigten Staaten, Truman,

    (Zuruf von der Mitte: Da haben wir ihn wieder!)

    vor dem Kongreß sein Programm der restlosen Mobilmachung auf wirtschaftlichem, industriellem und finanziellem Gebiet sowie auf dem Rüstungsgebiet verkündete, als mit diesem Programm aas Rüstungsfieber eine ungeahnte Kurvenhöhe erreichte, da wurde zugleich verkündet, daß mit der Einstellung der amerikanischen Wirtschaft auf die Rüstung und die Kriegsproduktion zugleich eine einschneidende und entscheidende Einengung der Produktion für die Konsumgüter der Massen erreicht werden wird. Zugleich wurde verkündet, daß an eine Lohnerhöhung für die amerikanische Arbeiterschaft nicht zu denken sei. Dieses Programm Trumans wurde von der Bundesregierung gemäß den Direktiven übernommen und liegt zu einem Teil in dieser Vorlage und in der Begründung des Memorandums vor. Diese Linie soll durchgeführt werden.
    Um sichtbar werden zu lassen, in welchem Umfange das breite Volk zur Massenbelastung gepreßt wird, führe ich nur folgende Tatsache an. Vor wenigen Tagen wurden die Zahlen betreffend die Einnahmen im Bundesgebiet im Jahre 1950 veröffentlicht. Wenn wir aus dieser Veröffentlichung all die Steuern, die die Massen belasten, und zwar die direkten und indirekten Steuern, die Lohnsteuer, die Umsatzsteuer, die Tabaksteuer, die Zölle und die Verbrauchsabgaben zusammenfassen, dann ergibt sich ein Betrag von 12,7 Milliarden DM. Die Gesamteinnahmen im Jahre 1950 betrugen 15,5 Milliarden. Das bedeutet also, daß 80 % der gesamten Einnahmen im Jahre 1950 durch Massensteuern aufgebracht worden sind.
    Wenn Sie eine Zusammenstellung der Belastung machen, die auf Grund dieser neuen Vorlage nun durchgeführt werden soll, dann ergibt sich das gleiche Bild. Die Umsatz- und die Beförderungsteuer zuzüglich der 50 Millionen, die sich durch den Wegfall der Steuerbegünstigungen bei Mehrarbeitslöhnen ergeben, zusammen 1,7 Milliarden, bedeuten auch hier, daß die neue Vorlage zu 800/0 eine Massenbelastung, eine Belastung der arbeitenden Menschen ist.
    Die Schlußfolgerungen aus dieser Politik sind eindeutig. Sie wurden heute bereits genannt. Ich glaube, ,daß die statistischen Berechnungen über die Entwicklung des Reallohnes, die von den Gewerkschaften aufgestellt worden sind, eindeutig ein stetiges Absinken des Reallohnes der Arbeiter zeigen. Der Sozialrentner und der Fürsorgeempfänger, dessen Bezüge bei weitem nicht ausreichen, um nur einigermaßen leben zu können, die Kriegsbeschädigten, die Umsiedler usw. werden die Leidtragenden dieser neuen Massensteuern sein. Ihr Realeinkommen und ihre Realbezüge sinken immer mehr ab. Es ist ganz klar, daß sich die Arbeiterschaft gegen diese Politik mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen wird und zur Wehr setzen muß, wenn sie leben will.
    Der Herr Finanzminister brachte es heute aber auch fertig zu sagen, daß jeder Pfennig, der nur irgendwie aufgebracht werden könnte, zu dem offen eingestandenen Zweck und Ziel herangeholt werden müsse, die Mittel für diese Remilitarisierung, Aufrüstung zur Verfügung zu stellen. Er brachte es sogar fertig zu sagen, daß die Mutter bereit sein wird, den Pfennig zu zahlen, um zu verhindern, daß ihr Sohn durch einen Krieg vielleicht getötet werde. Herr Finanzminister, fragen Sie die deutschen Mütter, und die deutschen Mütter werden Ihnen erklären, daß sie den Frieden wollen,

    (Zurufe)

    daß sie wollen, daß ihre Söhne am Leben bleiben, daß sie wollen, daß ihre Kinder eine friedliche und glückliche Zukunft haben.

    (Zuruf rechts: Wem sagen Sie das?)

    Diese Wünsche und diese Sehnsucht der Mütter werden nicht durch eine Politik verwirklicht, die die Mittel, die die Massen aufgebracht haben, für die Finanzierung des Krieges verwendet. Sie werden nicht 'dadurch verwirklicht, daß die Politik Westdeutschlands entsprechend den Plänen der amerikanischen Kriegsmillionäre und Kriegsverdiener durchgeführt wird, sondern dadurch, daß das deutsche Volk entlastet wird

    (Zuruf rechts: Von Ihnen!)

    von den Besatzungskosten,

    (Zuruf rechts: Von den Kommunisten!)

    daß der Weg beschritten wird, dem deutschen Volke den Frieden zu erhalten.
    Meine Damen und Herren! Der entscheidende Posten in unserer gesamten Finanzierung sind die sogenannten Besatzungskosten.

    (Zurufe: Schluß! Schluß!)

    Würden diese beseitigt, dann wären die Mittel frei für den Wohnungsbau, für die Erhöhung der Renten, für ,die Umsiedler, für die Erleichterung der Steuern usw.

    (Zuruf: Das wissen wir auch!)

    Sorgen wir dafür — das müßten alle einsichtigen Deutschen tun —, daß diese Besatzungskosten beseitigt werden.

    (Zuruf von der Mitte: Das Rezept!)

    Meine Damen und Herren, übermorgen werden Sie Gelegenheit haben, diese Frage zu beantworten, nämlich die Frage, die an den Bundestag gerichtet wird, ob der Weg beschritten wird, um dem deutschen Volk durch die Herstellung seiner Einheit den Frieden, damit den Abzug der Besatzungstruppen, die Beseitigung der Besatzungskosten zu bringen

    (Zuruf: Die alte Platte!)

    und den Weg für eine bessere Zukunft zu beschreiten. Das ist die Entscheidung, vor die Sie


    (Müller [Frankfurt])

    gestellt werden, vor die die deutschen Mütter auch den Bundestag stellen.

    (Beifall bei der KPD.)