Rede von
Dr.
Helmut
Bertram
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte vor einiger Zeit Gelegenheit, zu sagen, daß der Herr Bundesfinanzminister damit beschäftigt sei, neue Steuern zu erfinden. Diese Behauptung hat sich nun als richtig erwiesen. Wir haben hier schon die Erhöhung des Notopfers Berlin und die Erhebung der Mineralölsteuer beschlossen. Die Coca-Cola-Steuer ist uns vorgelegt worden. Jetzt ist eine Abänderung der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer angekündigt, und in unseren Fächern liegt bereits der Entwurf eines Gesetzes über die SüBwarensteuer mit einer Generalermächtigung für die Bundesregierung, bei allen Gütern, die die Regierung in einem besonderen Katalog bestimmt, 50 % zu erheben. Das ist also eine ganze Fülle von neuen Steuern.
Wenn solche Steuern erwogen werden, ist es zunächst notwendig, zu prüfen, ob neue Steuern überhaupt notwendig sind. Wir sind von der Notwendigkeit, die Steuern in dem vorgesehenen Umfange zu erheben, bisher nicht überzeugt. Der Bericht der Bundesregierung geht davon aus, daß ein Mehrbedarf von 2,25 Milliarden DM im Etatjahr 1951 ungedeckt sei. Zunächst einmal ist in der Ausgabeposition die Gesamtanforderung der Besatzungsmächte für zusätzliche Besatzungskosten enthalten, obwohl es bekannt ist, daß sich die Besatzungsmächte selber zur Zeit bemühen, eine entsprechende Ermäßigung ihres Besatzungskostenhaushalts durchzuführen. Eine definitive Erklärung, welches Ergebnis die Verhandlungen der Bundesregierung mit den Hohen Kommissaren über den Besatzungshaushalt für 1951 haben werden, liegt uns nicht vor, wird aber ebensowenig dem Bundesfinanzminister vorliegen, so daß er bezüglich dieses Postens ganz auf Schätzungen und Vermutungen angewiesen sein dürfte.
— Er schätzt und vermutet diese Mindestgrenze. Wenn man an die Vorschläge des amerikanischen Hohen Kommissars denkt, so ist zu vermuten, daß diese Mindestgrenze unterschritten werden wird. Aber immerhin, es ist zur Zeit noch eine bloße Schätzung, und trotzdem werden uns heute schon Steuervorlagen unterbreitet.
Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch folgender. Wir wissen gar nicht, ob die Schätzung des Bundesfinanzministeriums über das Steueraufkommen auch nur annähernd zutrifft. Der Bundesfinanzminister geht davon aus, daß im letzten Jahr ein Brutto-Sozialprodukt von 90 Milliarden erreicht worden sei und daß es im kommenden Jahr 95 Milliarden betragen werde. Dabei ist zu beachten, daß sich das Brutto-Sozialprodukt in den letzten Jahren ja nicht gleichmäßig entwickelt hat. Im ersten Halbjahr 1950 waren es 42 Milliarden, im zweiten Halbjahr 1950 48 Milliarden, und der Produktionsindex , ist von 95 auf 105 im ersten Halbjahr und von 105 auf 125 im zweiten Halbjahr gestiegen. Das bedeutet doch, daß der Steigerungsgrad der Zunahme des Brutto-Sozialprodukts im Laufe des zweiten Halbjahres erheblich größer geworden ist. Wenn wir also einen Vergleich des bisherigen Brutto-Sozialprodukts mit dem Brutto-Sozialprodukt im kommenden Jahre anstellen wollen, dann müssen wir von dem Stand ausgehen, der beispielsweise im letzten Vierteljahr 1950 erreicht worden ist. Gehen wir aber davon aus, so kommen wir zu einer wesentlich höheren Ziffer, einer Ziffer, die ja auch der Bundeswirtschaftsminister mit 100 Milliarden offiziell angegeben hat. Ich weiß nicht, warum das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesfinanzministerium in dieser wichtigen Frage um 5 Milliarden differieren. Jedenfalls würde sich bei einer Schätzung des Volkseinkommens in Höhe von 100 Milliarden auch eine entsprechend höhere Steuerschätzung ergeben.
Hinzu kommt ein zweiter Punkt. Wir alle kennen die Preissteigerung, die sich vor allem im Laufe der letzten Monate ergeben hat. Im Zuge der Preis-
steigerung ist zwangsläufig auch ein höheres Steueraufkommen zu erwarten. Unter diesen Umständen sind schon auf Grund dieser beiden Ziffern — ein Sozialprodukt von 90 Milliarden, dessen Anstieg auf über 95 Milliarden erwartet -wird — die Schätzungen unzutreffend, so daß wir auf der Einnahmenseite mit einem um 5 % höheren Steueraufkommen zu rechnen hätten.
Ein weiterer Gesichtspunkt: Seit April 1949 hat sich die Aufkommenkurve für die veranlagte Einkommensteuer scharf abwärts bewegt, während die Aufkommenkurve für die Umsatzsteuer und die Kurve für Verbrauchsteuern und Zölle sich scharf aufwärts bewegt hat. Seit diesem Zeitpunkt haben wir eine Schere: das Aufkommen an veranlagten Steuern einerseits und an Umsatzsteuern und Verbrauchsteuern andererseits. Diese Schere hat sich doch offenbar dadurch aufgetan, daß in dieser Zeit die Bestimmungen der §§ 7 a ff. über die Abzugsfähigkeit eingeführt wurden. Dabei ergab sich für die Wirtschaft — und auf diese Möglichkeit hat der Bundesfinanzminister im vorigen Sommer selbst hingewiesen — die Möglichkeit der Selbstveranlagung. Kein Finanzbeamter — auch die gesamte Finanzverwaltung nicht — ist in der Lage, zu prüfen, ob diese Vergünstigungsvorschriften auch nur annähernd richtig angewendet worden sind und ob nicht in den Steuererklärungen in viel zu großem Umfange von Vergünstigungen Gebrauch gemacht worden ist, die in Wirklichkeit gar nicht berechtigt sind. Diese Überinanspruchnahme, diese ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen hat zu dem katastrophalen Rückgang des Aufkommens an veranlagter Einkommensteuer und an Körperschaftsteuer wahrscheinlich entscheidend beigetragen. Wir können damit rechnen, daß — in dem Umfang, in dem diese Vergünstigungen abgebaut werden — bei richtiger Inanspruchnahme der Vergünstigungen nicht nur der geschätzte Betrag mehr aufkommen würde, sondern daß bei Fortfall der Vergünstigungen dem Bund bzw. den Ländern auch das Mehraufkommen zufließen würde, das bisher wegen der ungerechtfertigten und nicht kontrollierbaren Inanspruchnahme derartiger Steuervergünstigungen nicht verfügbar gewesen ist.
Die Kurve der veranlagten Einkommensteuer ist immer parallel verlaufen der Kurve der Umsatzsteuer, wenn auch mit einer gewissen Zeitdifferenz. Dieses plötzliche Absinken nach unten von 800 Millionen DM auf 450 Millionen DM ist zweifellos darauf zurückzuführen, daß in der Wirtschaft tatsächlich die Steuervorteile nach den Bestimmungen der §§ 7 a ff., 10 a, 32 a ff. usw. übermäßig ausgenutzt worden sind und eine Kontrolle einfach nicht möglich war.
Wir können also damit rechnen, daß sich an Mehreinnahmen nicht nur die vom Bundesfinanzministerium vorgesehenen 970 Millionen ergeben, sondern daß sich darüber hinaus noch weitere Beträge ergeben werden, weil eben eine falsche Auslegung der Bestimmungen nach ihrer Beseitigung überhaupt nicht mehr möglich sein wird. und wir können damit rechnen. d iß die künftige Wirtschaftsentwicklung vom Bundesfinanzministerium zu vorsichtig geschätzt worden ist. Das würde insgesamt einen erheblichen Mehrbetrag ausmachen. Wenn man davon ausgeht, daß das Sozialprodukt um 5 % zu niedrig geschätzt ist, würden wir hier eine Steuermehreinnahme von 5 % erwarten können. Das würde allein bei den veranlagten Steuern einen Betrag von 200 Millionen DM ausmachen. Wenn wir nochmals denselben Betrag — und das ist bestimmt nicht zu hoch geschätzt — aus dem Wegfall der zu Unrecht in Anspruch genommenen Vergünstigungen hinzusetzen, dann würden wir schon eine Mehreinnahme von 400 Millionen DM haben
Die Länder erhalten von den Gemeinden aus der Gewerbesteuer eine erhebliche finanzielle Stärkung. Diese finanzielle Stärkung kommt dadurch zustande, daß die Gewerbesteuer und damit auch das Gewerbesteueraufkommen von dem Betriebsgewinn abhängig sind. Lassen wir die Vergünstigungen jetzt fortfallen, dann wird sich automatisch das Gewerbeertragsteueraufkommen erheblich steigern. Vom Finanzministerium ist dieser Betrag auf eine halbe Milliarde DM geschätzt worden. Wenn wir also diesen Betrag, der den Gemeinden zunächst zufließt, aber über die internen Länderfinanzzuweisungen praktisch auch den Ländern zur Verfügung steht, hinzurechnen, kommen wir bereits auf eine Mehreinnahme von 900 Millionen DM gegenüber dem Voranschlag, der in dem Memorandum aufgestellt worden ist. Schon dieser Betrag ist aber so hoch, daß er die gesamten Berechnungen der Bundesregierung umwerfen würde.
Ich glaube deshalb nicht, daß man die bisherigen Schätzungen als ausreichend untermauert ansehen kann, so daß sie uns Abgeordnete veranlassen könnten, einen Betrag zu bewilligen, dessen Bewilligung doch zweifellos tief in die gesamte Wirtschaftsstruktur unseres Volkes eingreifen würde. Insbesondere die Bewilligung der Umsatzsteuererhöhung — und das ist bis vor ganz kurzer Zeit noch auch die Meinung der Bundesregierung gewesen — müßte außerordentliche Nachteile für die gesamte Preisentwicklung nach sich ziehen. Wir stehen jetzt in einer wirtschaftspolitisch außerordentlich schwierigen Zeit. Die Preise in Deutschland laufen weg; manche Preise liegen schon über dem Weltmarktpreisniveau. Durch die knappen Devisenkontingente haben sich auf den Warenmärkten in Deutschland zusätzliche Knappheitserscheinungen entwickelt. Diese Verknappungen treiben die Preise zusätzlich empor und bringen für unsere Exportindustrie erhebliche Erschwerungen mit sich. Wenn wir nun diesen allgemeinen Trend der Preise nach oben durch die Umsatzsteuererhöhung noch verstärken, besteht eine große Gefahr für unsere gesamte Wirtschaftspolitik. Ist es deshalb — und das ist die Frage, die wir an die Regierung stellen — genügend sicher, daß tatsächlich das Aufkommen an Steuern richtig veranschlagt ist, und ist nicht hier eine ganz große Reserve vorhanden?
Wenn wir hören, daß allein im Monat Januar dieses Jahres das Steueraufkommen — wenn ich recht unterrichtet bin — 1,8 Milliarden gegenüber einem durchschnittlichen monatlichen Steueraufkommen von 1,1 Milliarden beträgt, hier also sich ein ganz starker Zug nach oben ergeben hat, dann ist meiner Ansicht nach damit bereits bewiesen, daß die Vorausschätzungen der Bundesregierung über die Steuereinnahmen zu niedrig sind und daß hier deshalb eine ganz starke Reserve vorhanden ist. Daß wir deshalb die Umsatzsteuererhöhung ablehnen, gerade die Umsatzsteuer als eine der Steuern. die den breiten Massenkonsum belasten, liegt auf der Hand.
Der Bundesfinanzminister hat uns Zahlen über das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern genannt. Diese Zahlen mag man als richtig ansehen, wenn man nicht weiß, wie die Begriffe „direkte Steuern" und „indirekte Steuern" zuvor abgegrenzt worden sind. Wenn wir sagen, es sind nur die indirekten Steuern im klassischen Sinn,
nämlich die Verbrauchsteuern und Zölle, zu den indirekten Steuern gerechnet worden, dann mag der Bundesfinanzminister recht haben. Damit kommen wir aber nicht weiter. Wir müssen zu den indirekten Steuern — wenn wir die Frage der Massenbesteuerung gegenüber der progressiven Besteuerung aus Einkommen- und Körperschaftsteuer erörtern -- doch sicherlich noch diejenigen Steuern hinzusetzen, die bei uns Massensteuern, im Ausland aber nicht Massensteuern sind, beispielsweise die Lohnsteuer. Es ist ja bekannt, daß die Anzahl derjenigen Personen, die in Deutschland zur Lohnsteuer herangezogen werden die Zahl der entsprechenden Personen in Amerika oder England um ein Vielfaches übertrifft. Wegen der Höhe der Freibeträge in Amerika und England sind die Zahlen der Steuerpflichtigen dort erheblich niedriger. In Amerika sind es, glaube ich, nur ein Zehntel derjenigen, die wir in Deutschland haben. Wir müssen also, um einen international richtigen Vergleich zu haben, sicherlich das Notopfer Berlin — soweit es von den Lohnsteuerpflichtigen bezahlt wird — und die Lohnsteuer zu den indirekten Steuern ebenso hinzurechnen wie die Umsatzsteuer, um auf diese Art und Weise ein Bild zu bekommen auf der einen Seite der Massenbelastung und auf der anderen Seite der Belastung mit progressiv wirkenden Steuern.
Die Abgrenzung von direkten und indirekten Steuern ist überhaupt sehr schwierig. Nimmt man aber die erwähnten Steuern, um einen international brauchbaren Vergleich zu haben, dann erkennt man zweifellos, daß wir in Deutschland die Massenkaufkraft in wesentlich höherem Maße durch Steuern als das Ausland belastet haben. Dort ist man in der Lage, mit dem Ertrag der Progressivsteuern den bei weitem größten Anteil der Staatsausgaben zu decken.
Das Bundesfinanzministerium schlägt jetzt vor, § 7 a des Einkommensteuergesetzes zu ändern. Auch dieser Vorschlag ist im Zusammenhang mit der damaligen Steuerdebatte schon von uns gemacht worden. Nach dem Vorschlag des Bundesfinanzministeriums zu § 7 a können Steuerpflichtige, die wegen Verfolgung aus Gründen der Rasse usw. ihre frühere Erwerbsgrundlage verloren haben, die nach diesen Bestimmungen möglichen Vergünstigungen bis zu einem Höchstsatz von 100 000 DM noch weiter in Anspruch nehmen. In dieser Aufzählung fehlen die total Bombengeschädigten. Es ist nicht richtig, daß nur Flüchtlinge und Vertriebene ihre Erwerbsgrundlage verloren haben können, sondern das gleiche gilt ja auch für total Bombengeschädigte. Der Katalog muß deshalb um der Gerechtigkeit willen erweitert werden. Sie werden sich daran erinnern, daß vor einiger Zeit im Bundestag auch eine entsprechende Erklärung über die Gleichstellung von Bombengeschädigten, Flüchtlingen und Vertriebenen abgegeben worden ist.
Die Bundesregierung hat uns leider noch nicht gesagt, in welcher Weise sie die höheren Steuereingänge, die sie bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer erwartet, den Ausgaben des Bundes zuführen will. Solange wir nicht wissen, wie sich der Bund mit den Ländern über diese Dinge geeinigt hat und ob überhaupt eine Einigung im Rahmen des Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes, im Rahmen eines Zustimmungsgesetzes, möglich ist, können wir mit einer solchen Beschlußfassung dem Bund praktisch ja überhaupt nichts zuführen. Der Bund hat von einer solchen Einkommensteuerregelung gar nichts, solange nicht ein Gesetz nach
Art. 106 Abs. 3 vorgelegt ist und die Zustimmung
des Bundestags und des Bundesrats gefunden hat.
— Ich glaube Ihnen, daß das kommt. Der Bundesfinanzminister hat es ja schon angekündigt. Mir ist nur die Reihenfolge unverständlich. Mir wäre es verständlich, wenn zunächst ein Gesetz nach Art. 106 und danach eine Steuererhöhungsvorlage eingebracht worden wären. Die Verhandlungsgrundlage für den Bund wird ja bei der jetzt gewählten Art des Vorgehens außerordentlich geschwächt. Wenn nämlich die Länder schon wissen, daß das Gesetz über die Einkommensteueränderung perfekt ist, dann haben sie es gar nicht mehr nötig, noch große Konzessionen zu machen. Bei dem umgekehrten Verfahren wäre die Stellung des Bundesfinanzministers wesentlich stärker. Schon aus diesem Grunde müssen wir das jetzige Verfahren als verfehlt bezeichnen.
— Ich weiß ganz genau, daß man noch nichts verteilen kann, was man noch nicht hat; aber wir können nach Art. 106 grundsätzlich einen Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer in Anspruch nehmen. Vom Bundesfinanzministerium sind 30 % vorgesehen. Findet ein solches Gesetz über eine 30 %ige Inanspruchnahme die Zustimmung des Bundesrats, dann ist damit eine Änderung des Einkommensteuergesetzes möglich und zweckmäßig.
Ich kann auf die Einzelheiten des Gesetzentwurfs wegen des Ablaufes meiner Redezeit leider nicht eingehen. Ich möchte nur zusammenfassend sagen: Wir sind wegen des mangelnden Nachweises des tatsächlichen Finanzbedarfs und der ungenügenden Vorausschätzung nicht in der Lage, dem Umsatzsteuergesetz, dem wir auch aus anderen Gründen nicht zustimmen würden, zuzustimmen, und schlagen vor, die Beratung über das Einkommensteueränderungsgesetz so lange zu verschieben, bis uns ein Gesetz nach Art. 106 vorgelegt sein wird, das dann eine geordnete Finanzwirtschaft im Verhältnis zwischen Bund und Ländern ermöglicht.