Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich nehme an, daß Herr Kollege Menzel das Schlußwort nehmen möchte. — Ich erteile ihm das Wort.
Dr. Menzel , Interpellant und Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weder der Herr Bundesinnenminister noch ein Teil der übrigen Diskussionsredner haben mich überzeugt, daß der Weg, den die Bundesregierung unter Umgehung einer Verfassungsänderung mit Hilfe von Länderverträgen zu gehen beabsichtigt, richtig ist. Wenn Herr Kollege Laforet gesagt hat, eine Änderung des Art. 74 wäre für jeden Föderalisten unerträglich, dann möchte ich ihn — und hier schließe ich an die Ausführungen des verehrten Herrn Kollegen Dresbach an — fragen: Wie soll der Art. 91 funktionieren können, wenn die Länder nicht schon jetzt ihre Polizei nach gleichen Gesichtspunkten und nach gleichen Grundlagen aufbauen? Ich darf die Frage von vorhin wiederholen: Wie soll der Bundesinnenminister mit einer Truppe von mehreren zehntausend Beamten arbeiten können, deren Laufbahn, deren Besoldung und deren Ausrüstung, bis auf die Achselstücke gesehen, elffach verschieden sind? Wer also — und das haben alle Herren im Parlamentarischen Rat getan — den Art. 91 bejaht, muß auch dafür sein, eine wirksame Ausführungsmöglichkeit für den Art. 91 zu schaffen.
Ich möchte Herrn Kollegen Laforet auf eine Gefahr hinweisen. Der Herr Bundesinnenminister hat erklärt, man könne auch erwägen, das, was der SPD-Antrag hinsichtlich des Art. 74 durch eine Änderung der Verfassung bezwecke, im Wege der Verordnung zu regeln. Das aber wollen w i r nicht; denn eine Verordnung auf diesem Gebiet wäre verfassungswidrig, weil sie sich auf keine für den Bund im Grundgesetz vorgesehene Zuständigkeit stützen könnte. Denn der Art. 75, an den der Herr Bundesinnenminister vielleicht gedacht hat, gibt dem Bund lediglich das Recht, auf dem Gebiete des Beamtenwesens Rahmenvorschriften, niemals aber das Recht, jene einzelnen Bestimmungen zu erlassen, wie wir sie für die Durchführung des Art. 91 Abs. 2 und für einen einheitlichen Aufbau der Polizei in den Ländern für erforderlich halten.
Die gleichen Bedenken habe ich gegen die Erklärung des Herrn Kollegen Etzel, es sei den Ländern überlassen, im Wege der Vereinbarung eine gemeinsame Polizei zu bilden. Meine Damen und Herren, ich kann nicht stark genug vor einem solchen Weg warnen. Was Sie heute auf dem Gebiete der Polizei glauben an Souveränitäts-, an Zuständigkeitsverschiebungen vornehmen zu können, das könnte vielleicht morgen, wenn Sie einmal verfassungsuntreu geworden sind, von einer anderen Seite auf anderen Sachgebieten Ihnen oktroyiert werden. Wir können die Zuständigkeitskataloge des Grundgesetzes nicht durch Ländervereinbarungen abändern; das ist verfassungsrechtlich unmöglich und verfassungspolitisch bedenklich.
Und, Herr Kollege Etzel, wenn Sie sich doch innerlich damit abfinden, daß die Länder eine gemeinsame Polizei aufbauen, warum in Gottes Namen entschließen Sie sich dann nicht, das durch eine Verfassungsbestimmung so einwandfrei zu machen, daß das wirklich funktionieren kann und nicht von dem guten Willen Ihres Vertragspartners abhängt?
Der Antrag, den die FDP eingebracht hat, ist uns — ich gebe das zu — sehr sympathisch. Er entspricht nämlich in sehr starkem Maße den Anträgen, die die sozialdemokratische Fraktion bereits im Parlamentarischen Rat eingereicht hat. Und wenn Sie vielleicht heute fragen, warum wir diesen Antrag nicht von uns selber aus gestellt haben, so muß ich Ihnen antworten: ich habe natürlich nicht ohne weiteres damit gerechnet, daß eine so wichtige Regierungspartei uns unterstützen und noch über unsere Anträge hinausgehen würde
und daß sogar der Herr Kollege Dresbach von der größten Regierungspartei — wenn ich seine Ausführungen richtig interpretiere — gar nicht abgeneigt ist, den Weg, den wir vorschlagen, ebenfalls zu gehen. Es schien mir auch, daß auch der Herr Bundesinnenminister gar nicht gewillt ist, sich erst prügeln zu lassen, um den Weg der Verfassungsänderung zu gehen. Aber, Herr Kollege Becker, seien Sie etwas vorsichtig! Sehen Sie, der Herr Justizminister, über dessen Reden im Lande wir uns hier schon manchmal unterhalten haben, hat vor einigen Tagen wieder erklärt, die Opposition im Bundestag, die Opposition der SPD sei lediglich destruktiv. Wenn Sie also nun sogar noch Anträge stellen, die von der bundesamtlichen Ansicht noch weiter entfernt sind als die unsrigen, dann können Sie sich einer erheblichen Kritik Ihres Justizministers Herrn Dehler aussetzen.
Dann ein Satz zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Müller. Wenn der Herr Kollege Müller
— doch, mit zwei Sätzen sollte man darauf eingehen — davor warnt, in einem Staat die Polizeikräfte zu sehr zu konzentrieren, dann sollte er diese Rede einmal in Karlshorst halten. Denn was sich in der Deutschen Verwaltung für das Innere in Wilhelmsruh abspielt, das ist ein Waisenknabe gegenüber dem, was hier geschehen soll;
und wenn er sagt, die Art der polizeilichen Bewaffnung lasse darauf schließen, daß die Polizei nicht nur für den innerpolitischen Einsatz gedacht sei, dann wäre man in der Ostzone bereits mitten in der Remilitarisierung drin.
Nun noch ein Wort zu der Beantwortung der Interpellation durch den Herrn Bundesinnenminister. Wir sind von ihr nicht völlig befriedigt. Der Herr Bundesinnenminister hat an mehreren Stellen seiner Rede sehr sorgfältig erklärt, für den Bereich des Bundesinnenministeriums könne er dies und jenes feststellen, z. B. daß noch keine Einstellungen erfolgt seien, daß keine Probleme der Remilitarisierung damit verknüft seien usw. Aber, meine Damen und Herren, unsere Anfrage richtete sich an die Bundesregierung insgesamt. Das heißt, wir möchten nicht nur aus dem Bereich des Bundesinnenministeriums, sondern aus dem Gesamtbereich der Bundesregierung, also auch aus dem Bereich des Herrn Bundeskanzlers, hören, wie der Herr Bundesinnenminister die von uns gestellten Fragen zu beantworten gedenkt. In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß der Herr Bundesinnenminister zugibt, es seien gewisse Einstellungen für sogenanntes Begleitpersonal erfolgt und es seien weitere Einstellungen beabsichtigt. Hier würden uns genaue Zahlen sehr interessieren. Denn wenn es sich um zwei oder drei Leute handelt, die zur persönlichen Begleitung dieses oder jenes Ressortchefs bestimmt sind, dann sieht die Frage völlig anders aus, als wenn die Zahl etwa an diejenige Summe herankommt, die in der Offentlichkeit und in der Presse genannt worden ist: eine zwei- oder gar dreistellige Zahl.
Dabei entsteht die Frage, woher der Herr Bundesinnenminister für dieses Personal die Planstellen genommen hat. Es genügt ja nicht der Hinweis, daß die Zahlungen aus den vorhandenen Etatsposten für Beamten- und Angestelltengehälter erfolgten; denn die Planstellen sind seinerzeit vom Plenum des Bundestags für ganz andere Zwecke bewilligt worden, nicht für Begleitmannschaften der Bundesressortminister.
Der Hinweis des Herrn Bundesinnenministers auf das Land Niedersachsen hat mich sehr stutzig gemacht. Ich weiß nicht, ob der Hinweis, daß vielleicht gerade dort eines Tages der Art. 91 am schnellsten angewendet werden müsse, darauf beruht, daß sich Niedersachsen zu weigern scheint, einen Ländervertrag abzuschließen, weil es bundestreu, d. h. verfassungstreu, bleiben will. Oder meint der Herr Bundesinnenminister, daß der auch in Niedersachsen sich bemerkbar machende Rechtsradikalismus — ich brauche nur einen Namen wie Remer zu nennen — vielleicht schon so weit vorgeschritten sei, daß der Bund Angst haben müsse, der Rechtsradikalismus nehme in Niedersachsen überhand? Wir wären insoweit für eine nähere Erläuterung des Herrn Bundesinnenministers sehr dankbar, damit weder hier noch in Niedersachsen irgendwelche falschen Vorstellungen entstehen können.
Nun hat der Herr Bundesinnenminister — und das scheint mir sehr wesentlich zu sein — gesagt, die Aufhebung der seinerzeit erfolgten Suspension des Art. 91 sei beantragt, aber noch nicht erfolgt. Dann ist gerade das eingetreten, was ich vorhin gesagt habe. Der Bund und die Länder kämpfen seit Wochen um ein Abkommen über den Art. 91, und heute hören wir, daß er überhaupt noch nicht in Kraft ist. Wenn aber Art. 91 noch nicht in Kraft ist, dann können wir doch weder Verordnungen darauf stützen, noch Verträge für dieses Gebiet abschließen. Dann bauen wir doch auf Sand.
3560 Deutscher Bundestag — 97, Sitzung. Bonn, Dienstag, den 7. November 1950
Der Herr Bundesinnenminister sagte ferner nach den Informationen der Bundesregierung scheine es mehr als fraglich, ob die drei Hohen Kommissare bereit seien, einer Verfassungsänderung zuzustimmen. Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß wir als deutsches Parlament zunächst einmal zu entscheiden haben, was wir Deutsche wollen und wie wir uns die Dinge denken.
Wenn die Sache dann schief geht, möge klargestellt sein, wer dafür die Verantwortung trägt und wer daran Schuld hat.
Falls hier wirklich eine Lösung mit allem Ernst erstrebt wird, können wir nicht von Anfang an mit dem Argument arbeiten: Ja, wir werden wahrscheinlich bei den Alliierten nicht durchkommen. Bei einer so wichtigen Stellungnahme der Alliierten wäre es übrigens für uns wesentlich zu hören, wo, wann und durch wen seitens der Alliierten Hohen Kommissare derartiges angedeutet worden ist; denn nach unseren Informationen sind die Hohen Kommissare mit dieser Frage überhaupt noch nicht beschäftigt worden, so daß die Herren gar keine Möglichkeit gehabt haben anzudeuten, sie hätten gegen eine solche Verfassungsänderung Bedenken.
Nun sagte — das sei zum Schluß erwähnt — der Herr Bundesinnenminister, die Dinge seien so eilig, daß wir uns nicht mit dem langen Gang einer Verfassungsänderung aufhalten könnten. Meine Damen und Herren, auch bei einer noch so vordringlichen Angelegenheit ist man an die Verfassung gebunden. Wenn wir uns auf den Standpunkt stellen, daß nur eine Verfassungsänderung dem Bund die nötigen polizeilichen Möglichkeiten einräumt, dann hat man eben die Verpflichtung, sich mit einer solchen Verfassungsänderung zu beeilen, aber man hat nicht das Recht, unter Verletzung der Verfassung einen falschen Weg zu gehen. Es liegt an Ihnen, vor allem an Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, dem Herrn Bundesinnenminister das zu geben, was er selber hier als notwendig hingestellt hat, d. h. S i e könnten heute die Verfassungsänderung beschließen; dann hätte der Herr Bundesinnenminister das, was er braucht.