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ID0108408000

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    Vokabeln: 6
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    4. Herr: 1
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    6. Mende.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag - 84. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 13. September 1950 3135 84. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 13. September 1950. Geschäftliche Mitteilungen 3135C Mitteilung betr. Zugehörigkeit des Abg Dr. Richter (Niedersachsen) zu keiner Fraktion 3135D Änderung der Tagesordnung 3135D Beratung der Interpellation der Fraktion der SPD betr. Ausführungen des Wirtschaftsministers des Landes Baden (Nr. 1204 der Drucksachen) . . . . . . . . . 3136A Dr. Schmid (Tübingen) (SPD), Interpellant 3136A Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern 3139B Dr. Seelos (BP) 3140B Dr. von Brentano (CDU) 3141A Mayer (Stuttgart) (FDP) 3141C Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (Nr. 1306 der Drucksachen) in Verbindung mit der Beratung der Interpellation der Fraktion der BP betr. Art. 131 des Grundgesetzes (Nr. 1151 der Drucksachen) . . . 3136A, 3142A Dr. Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern 3142B Dr. Richter (Niedersachsen) (parteilos) 3146C Dr. Menzel (SPD) 3147C Farke (DP) 3150C Pannenbecker (Z) 3151A Dr. Kleindinst (CSU) 3152B Wackerzapp (CDU) 3153C Dr. Falkner (BP) 3154D Gundelach (KPD) 3155B Fröhlich (WAV) 3156B Dr. Nowack (Rheinland-Pfalz) (FDP) 3157B von Thadden (DRP) 3159B Dr. Wuermeling (CDU) 3160C Arndgen (CDU) 3161A Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Bestimmungen der Zweiten Verordnung über die Vereinfachung des Lohnabzugs (Nr. 1249, zu Nr. 1249 der Drucksachen) . . . 3161B Erste Beratung des Entwurfs eines Zolltarifgesetzes (Nr. 1294 der Drucksachen) 3161C Schäffer, Bundesminister der Finanzen 3161C, 3165A(( Kalbitzer (SPD) 3163A Dr. Bertram (Z) 3163C Dr. Horlacher (CSU) 3164B Degener (CDU) 3164C Dr. Oellers (FDP) 3164D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz) (Nr. 1333 der Drucksachen) 3161C Storch, Bundesminister für Arbeit 3165A, 3172D Frau Dr. Probst (CSU) 3167C Leddin (SPD) 3170A Frau Kalinke (DP) 3173B Frau Arnold (Z) 3173C Kohl (Stuttgart) (KPD) 3174C Volkholz (BP) 3176A Mende (FDP) 3177B Löfflad (WAV) 3179C Arndgen (CDU) 3180A Dr. Leuchtgens (DRP) 3180C Schoettle (SPD) 3181A Nächste Sitzung 3181D Die Sitzung wird um 14 Uhr 35 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schäfer eröffnet.
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    Rede von Dr. Hermann Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Das Wort hat Herr Abgeordneter Volkholz.
    Volkholz (BP); Meine Damen und Herren! Das sehnsüchtig erwartete Kriegsopferversorgungsgesetz wurde uns heute vorgelegt. Leider entspricht es nicht in allen Punkten den Erwartungen der Kriegsbeschädigten. Ob das Gesetz wirklich gut ist, hat letzten Endes nicht der Gesetzgeber, sondern der Personenkreis festzustellen, den es betrifft.

    (Sehr richtig! bei der BP.)

    Es ist erfreulich festzustellen, daß sich fast alle Parteien bemühen, die einzelnen Mängel zu beheben und durch Zusatzanträge aufzuheben. Wir möchten aber bemerken, daß derartige Anträge von seiten der KPD abgelehnt werden müssen, weil diese Herren die Renten der Ostzone vorher studieren sollten.

    (Sehr gut! bei der SPD. — Zuruf von der KPD. — Abg. Spies: Aber wahr ist es!)

    Es wäre auch sehr gut, die formalistischen Angelegenheiten der Ostzone zu studieren,

    (Zuruf von der KPD: Du hast ja keine Ahnung!)

    bei denen nicht einmal ein Rentenbescheid angefochten werden kann, sondern bereits bei Bekanntgabe als endgültig angesehen werden muß.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Es ist aber trotzdem ein gutes Zeichen, und man kann annehmen, daß die Erkenntnis gesiegt hat, wenn sämtliche Parteien darüber übereinstimmen, daß für die besten und anständigsten Söhne unseres Vaterlandes auch am meisten gesorgt werden muß. Wenn ein Staat, ganz gleich welcher politischen Konzeption, seine Männer zwingt, mit der Waffe für seine Interessen einzutreten, dann ist der Staat, wenn er auch politisch anders eingestellt ist, verpflichtet, für die Opfer hinreichend zu sorgen. Die größte Schande eines Volkes wäre, seine tapferen, vorher vielgerühmten Soldaten mit einer Drehorgel betteln gehen zu lassen. Der Soldat darf nicht zum Sündenbock der Politik gemacht werden.
    Aus diesem Grunde ist der Kampf um ein gerechtes Versorgungsgesetz der Kampf einer Generation, die die politischen Fehler der Nazizeit und der Leute von 1933 mit Blut und Gesundheit bezahlen mußte. Unsere Soldaten mußten in den Krieg; sie mußten Soldat werden, und dies kann sich vielleicht in der Geschichte noch wiederholen.

    (Zuruf von der KPD: Aha!)

    Deshalb muß der Beschädigte auch versorgt werden.
    Das vorliegende Bundesgesetz hat einen Schönheitsfehler und macht den Eindruck, als wenn es sich nicht um Recht, sondern um ein Ermessungsgesetz handeln würde.

    (Zuruf links.)

    Die Wörter „kann", „können" und „sollen" sind deshalb aus dem Versorgungsgesetz grundsätzlich zu streichen und durch das Wort „muß" zu ersetzen.

    (Zuruf links: O wei, o wei!)

    Der Kriegsbeschädigte darf auf keinen Fall einer unberechenbaren Bürokratie ausgeliefert werden. Wenn dies nicht beachtet wird, so machen wir hier kein Gesetz, sondern nur eine Anleitung. Wir werden unsere Abänderungsanträge im Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen unterbreiten, und wir werden sie in den weiterer Lesungen vorbringen.
    Einige grundlegende Punkte möchte ich aber heute schon zur Beachtung ankündigen. Die §§ 28 und 33 müssen unbedingt dahingehend geändert werden, daß Frauen- und Kinderzuschläge zur Grundrente gewährt werden. Wenn wir diese Zuschläge nur zur Ausgleichsrente gewähren, so wird sich mancher Kriegsbeschädigte, der über 50 % eingestuft ist, überlegen, ob er sich noch um eine Arbeit bemühen soll oder nicht. Dazu muß aber dafür gesorgt werden, daß Kriegsbeschädigtenbetriebe aufgebaut und weitere Maßnahmen getroffen werden, damit die Kriegsbeschädigten auch in eine Arbeit kommen, die sie leisten können und die ihnen das Bewußtsein zurückgibt, daß sie keine unnützen Steuerfresser sind. § 77 muß erweitert werden auf Kapitalisierung von Renten auch zur Gründung von gewerblichen und wirtschaftlichen Existenzen. Der § 8 muß vollständig gestrichen werden. Man kann einen Kriegsbeschädigten, der sowieso schon seine Gesundheit geopfert hat, nicht noch wegen kleiner politischer Mängel zurücksetzen oder um seine Rente bringen.
    Es darf auch nicht vorkommen, daß vielleicht die Angehörigen der Waffen-SS vom Bundesversorgungsgesetz ausgeschlossen werden. Es wurde zwar heute bereits durch den Herrn Minister erklärt, daß das nicht den Tatsachen entspreche. Es wurde aber heute morgen bekanntgegeben, daß ein derartiger Beschluß gefaßt worden wäre. Der § 50 darf keine Verschlechterung der Rente bringen. Gesetzliche Irreführungen müssen verhindert werden. Es darf nicht vorkommen, daß ein Gesetz den Witwen eine Rente von 20 bis 40 DM zugesteht, dann aber keine Mittel vorhanden sind. Die Mittelbereitstellung muß die Voraussetzung des Gesetzes sein, und hier müssen alle anderen Staatsausgaben zurückstehen. Wir bitten, in diesem Sinne auch die Ausführungsbestimmungen abzuändern.
    Es herrscht die Tendenz und Meinung, daß 30 bis 40% Beschädigte überhaupt keine Rente erhalten sollen. Wir beantragen: Die Rente soll so hoch sein, daß für je ein Prozent Beschädigung 1 DM gegeben werden soll. Die meisten, die gegensätzlich denken, wissen nicht, welche Beschädigung notwendig ist, um beispielsweise auf 30% eingestuft zu werden. Ich lese einige Beispiele aus den Anhaltspunkten für die ärztliche Beurteilung vor; es steht u. a. darin z. B. Verlust eines Fußes ohne nennenswerte Verkürzung des Beins, aber immerhin Verlust eines Fußes 30 bis 50%, Lähmung des Ellbogennervs 20 bis 40%, Verlust eines Auges 30 bis 40 %. Sie sehen, daß erhebliche Beschädigungen vorhanden sein müssen, um überhaupt 30 % zu bekommen. Deshalb ist es abzulehnen, wenn beabsichtigt werden sollte, die Renten über 50% auf Kosten derjenigen unter 50% zu erhöhen oder sie auf diese Weise sicherzustellen.


    (Volkholz)

    Wenn wir den Beschädigten von 30 bis 400/o keine Renten geben wollen, dann müssen die Dienstanweisungen und Anhaltspunkte der Vertrauensärzte geändert werden.
    Im übrigen kann behauptet werden, daß das beste Versorgungsgesetz nichts nützt, wenn die Vertrauensärzte bei Nachuntersuchungen die Beschädigten wieder zurückstufen. Die Nachuntersuchungen, die sich meistens aus den Gesetzen ergeben und wahrscheinlich auch wieder eintreten werden, sind ein besonderes Kapitel und müssen bei den Beratungen des Bundesversorgungsgesetzes in Erwägung gezogen werden. Es muß verhindert werden, daß unsere Kriegsbeschädigten, bevor sie eine Rente erhalten, fast unmenschlichen Quälereien von manchen Ärzten, die ihre Praxis der Militärzeit jetzt als Vertrauensärzte weiterverfolgen, ausgesetzt werden.

    (Zuruf von der KPD: Hier im Westen!)

    Wir werden bei den nächsten Beratungen Beispiele bringen, daß sich den Mitgliedern dieses Hohen Hauses wahrscheinlich die Haare sträuben werden. Der Vertrauensarzt in der heutigen Form muß deshalb verschwinden. Der Kriegsbeschädigte soll freie Arztwahl erhalten. Er soll nicht zu einem beamteten Arzt gezwungen werden, der ihn im letzten Krieg bereits vielleicht kv geschrieben hat; auch solche Fälle sind bekanntgeworden.
    In diesem Sinne setzen wir uns mit unseren Anträgen für die menschlichen Rechte unserer Kriegsbeschädigten ein. Wir bitten das Hohe Haus, uns dabei zu unterstützen. Wenn in den nächsten Tagen die Gespräche über die Europa-Politik und eventuell über eine aktive Beteiligung der Bundesrepublik an der Verteidigung des Westens beginnen, dann sollte beachtet werden, daß es keinem jungen Manne zugemutet werden kann, seine gesunden Knochen für die Freiheit des Westens zu riskieren, wenn er dann in dieser Freiheit einem kümmerlichen Dasein preisgegeben wird. Sollte der Bundestag unseren Anträgen, d. h. den Forderungen der Kriegsbeschädigten zu diesem Gesetz nicht zustimmen, so werden wir beantragen, das Gesetz überhaupt abzulehnen und dafür das alte Reichsversorgungsgesetz wieder in Kraft zu setzen. Die Kriegsbeschädigten, die Witwen und Waisen wissen, daß sie keine ungerechten Forderungen erheben dürfen. Aber sie wollen auch kein Almosen, sondern eine gerechte Versorgung. Ein ehrenvoller Staat wird diesen Anspruch auch erfüllen.

    (Beifall rechts.)



Rede von Dr. Hermann Schäfer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mende.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Erich Mende


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der bisherige Verlauf der Debatte hat doch gezeigt, daß der Ältestenrat sehr schlecht beraten war, als er dieses eminent wichtige und von der Öffentlichkeit so sehr beachtete Gesetz an das Ende der heutigen Tagesordnung setzte

    (Beifall rechts und bei der WAV)

    und diese dreistündige Debatte somit nicht in der Würde erwächst, die dieses Gesetz an sich erfordert.

    (Abg. Loritz: Sehr gut!)

    Aber, meine Damen und Herren, darüber haben
    schon einige meiner Herren Vorredner gesprochen.
    Ich möchte noch auf einen zweiten Mangel aufmerksam machen. Ein bekannter Staatsrechtler hat
    einmal gesagt: Das Wesen des Parlaments und die geistige Grundlage des Parlamentarismus ist jener diskursive Vorgang von Rede und Gegenrede, aus denen sich dann schließlich die richtige Meinung als Resultat ergibt.

    (Abg. Loritz: So sollte es sein!)

    Darum das Institut der parlamentarischen Redefreiheit, das Institut der Immunität und auch das Institut des § 86 unserer Geschäftsordnung — und fast aller Geschäftsordnungen der demokratischen Länder —, in dem es heißt, daß die Abgeordneten in freiem Vortrag zu den Dingen Stellung nehmen.

    (Lebhafter Beifall.)

    Ich muß sagen, daß jene Art der Vorlesungen, wie sie zum Teil hier gehalten worden sind, wider die geistige Grundlage des Parlamentarismus ist.

    (Erneuter Beifall und lebhafte Zurufe: Sehr gut!)

    Denn es ist kein diskursiver Vorgang in dieser Debatte zu erkennen. Ich habe leider keinen Redner gehört, der auf seine Vorredner und deren Argumente einging, woraus sich eben die richtige Meinung bei diesem Prozeß der Auseinandersetzung ergeben sollte. Auch hier scheint mir, daß in Zukunft eine straffere Anwendung des § 86 der Geschäftsordnung im Geschäftsordnungsausschuß und im Ältestenrat doch einmal ventiliert werden müßte.
    Meine Damen und Herren, es soll heute dieses wichtige Gesetz in der ersten Lesung generell besprochen werden. Über die Vorgeschichte ist schon berichtet worden. Aber ich glaube, man darf nicht vergessen, daß im Jahre 1946 bei der Zerschlagung der Kriegsopferversorgung auch deutsche politische Kräfte mit Pate gestanden oder Mithilfe geleistet haben, und, meine Damen und Herren, es sind eigenartigerweise zum Teil die gleichen Kräfte, die heute das Monopol und die alleinige Anwartschaft auf die Hilfe für die Kriegsopfer für sich in Anspruch nehmen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Ich glaube, das ist im Lande gut genug bekannt, und die Kriegsopfer wissen am allerbesten, welche Politiker 1945 und 1946 Reden gehalten und Veröffentlichungen herausgegeben haben, von denen sie selber heute nichts mehr wissen möchten.

    (Zuruf von der KPD.)

    — Auch Ihnen, Herr Kollege Kohl, möchte ich nahelegen, einmal darüber nachzudenken, wie ihre Fraktion — Verzeihung, Sie sind es ja nicht mehr —,

    (Heiterkeit)

    wie Ihre Pseudo-Fraktion sich vor einigen Jahren zu dem Problem der Hilfe für die Kriegsopfer verhalten hat.
    Die Verfassungsgrundlage dieses Bundesversorgungsgesetzes ist der Art. 74 Ziffer 10 unseres Grundgesetzes. Es ist ohne Zweifel beklagenswert, daß dieses Gesetz uns erst so spät vorgelegt wird, nachdem das Grundgesetz vorsah, daß der Bund ab 1. April 1950 alleiniger Träger der Kriegsopferversorgung werden würde. Aber ich muß hier doch bekennen, daß aus allen Fraktionen und insbesondere — da muß ich Herrn Kollegen Leddin beipflichten — aus dem Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen die etwas schwerfällige Maschinerie der Bürokratie immer wieder neu geölt wurde, damit sie heute endlich ans Ziel gelangte. Es haben also praktisch alle politischen Kräfte teil an dem Verdienst, daß wir dieses


    (Mende)

    Bundesversorgungsgesetz nun endlich in erster Lesung behandeln können.
    Die Frage der Rechtsgrundlage ist auch in der Öffentlichkeit bestritten. Man glaubt, man müsse die Kriegsopferversorgung aus fürsorgerischen, moralischen und ethischen Gründen durchführen. Meine Damen und Herren, die Rechtsgrundlage der Kriegsopferversorgung ist der Schadensersatzanspruch, den die Schwerbeschädigten, die Hinterbliebenen, die Witwen und Waisen, an den Staat zu richten haben, und erst in zweiter Linie kommen dann die allgemeinen sozialfürsorgerischen, moralischen und ethischen Gesichtspunkte.
    Ich muß Ihnen hier die erschütternden Zahlen bekanntgeben, weil ja Vergleiche mit der Regelung zum Beispiel in anderen Ländern gezogen werden. Ich erinnere an den eben genannten Streitpunkt, ob nun Kollege Bazille recht hat oder nicht. Ich will noch darauf zu sprechen kommen. Nach den Ausführungen des Bundesarbeitsministers ist ein Personenkreis von über vier Millionen Menschen zu versorgen. Darin sind 1 399 810 Schwerbeschädigte enthalten, von denen über dreiviertel Millionen — über 50 %! — beschädigt sind, also Amputationen und schwere körperliche Schäden zu beklagen haben; 626 000 Witwen, 1 200 000 Waisen, 59 000 Vollwaisen, 83 000 Elternteile und 36 000 Elternpaare. Hinzu kommen noch eine Dreiviertelmillion unerledigter Anträge, so daß die gewaltige Zahl von vier Millionen Anspruchsberechtigter schließlich zusammenkommt.
    Wenn Sie einmal das Kriegsopferrecht der anderen Staaten — Englands, Amerikas, Belgiens, Frankreichs — vergleichen, dann muß man dem Kollegen Bazille objektiv recht geben. Denn es ist eine Regelung, die durchaus als vorbildlich angesehen werden kann, mit Ausnahme besonderer Bestimmungen des französischen Kriegsopferrechtes. Aber auch das französische Kriegsopferrecht könnte sich bei einer Viermillionenzahl diese Vergünstigungen nicht leisten, die es der jetzigen Zahl um 100 000 zugute kommen läßt.
    Die materiellen Aufwendungen betragen dementsprechend nach diesem Gesetz 3 Milliarden 34 Millionen. Es ist hier die Zusage gehalten worden, die sowohl der Finanzminister als auch der Bundesarbeitsminister im Februar und März bei den Beratungen des Überbrückungsgesetzes gemacht haben, daß der gesamte Betrag nämlich die DreiMilliarden-Grenze überschreiten würde.
    Nun lassen Sie mich einige grundsätzliche Einzelheiten zum Gesetz selbst sagen. Das Gesetz ist in seiner Systematik und in seinem Aufbau außerordentlich gut geworden. Die ersten Entwürfe waren nicht so, und ich muß hier bekennen, daß die Mitarbeit der Fraktionen dieses Hauses und auch die Mitarbeit der Organisationen der Kriegsopferbewegung mit dazu beigetragen hat, Ihnen nun diesen Entwurf hier in dieser Form vorlegen zu können.
    Der Personenkreis ist sehr weit gefaßt. Es ist vorher gerade der Streit gewesen, ob die Angehörigen der Waffen-SS mit zu den Versorgungsberechtigten gehörten oder nicht. Dieser Streit beruht auf einem Mißverständnis. Der Bundesrat hat den Passus „Waffen-SS" gestrichen, weil er der richtigen Auffassung ist, daß die Waffen-SS als ein Teil der Gesamtwehrmacht ohnehin schon in die Rubrik der Versorgungsberechtigten fällt; und es ist bedauerlich, daß ein Pressechef dieses Gesetz scheinbar nicht so eingehend gelesen hat und dann diese falsche Orientierung der Öffentlichkeit erfolgt ist. Eine solche Behandlung eines Teiles der Wehrmacht wäre ja auch verfassungsrechtlich ein Verstoß gegen die Gleichheit aller vor dem Gesetz, rechtlich ein Verstoß gegen die Frage des individuellen Schuldnachweises. Denn die Kollektivschuldbegriffe Nürnberger Art sind noch nicht oder Gott sei Dank nicht in das deutsche Recht rezipiert worden; sondern es ist ein fundamentaler Grundsatz, daß die individuelle Schuld dem einzelnen nachgewiesen werden muß. Es wäre schließlich auch moralisch und ethisch untragbar und politisch gefährlich, hier eine Kampfgruppe gegen die Demokratie zu schaffen, indem man eine Gruppe der Verbitterten zurückläßt, die ja letzten Endes als Amputierte und Schwerbeschädigte nicht minder Anspruch auf Hilfe seitens der Gemeinschaft ihrer Mitbürger hatten als die andern auch.
    Die Frage des § 8 muß in den Beratungen des Ausschusses geklärt werden; und ich muß heute schon sagen, in dieser Form, wie hier der § 8 gefaßt ist, werden wir ihm nicht zustimmen können. Es heißt darin, daß, soweit ein Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen wegen politischer Belastung nicht besteht, auch der Anspruch auf Geldleistungen nach diesem Gesetz entfällt. Meine Damen und Herren! Das würde eine Prolongierung der Entnazisierung mit schweren vermögensrechtlichen Folgen für die Angehörigen bedeuten.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Ich empfehle Ihnen, einmal in der heutigen Ausgabe der „Welt" den Aufsatz über die „Innere Kapitulation" zu lesen. Es ist unbestritten, daß das einzige Verdienst oder vielmehr der einzige Erfolg der Entnazisierung der ist, daß man sich in unserem Volk zur Demokratie nicht in dem Maße bekennt, wie man es an sich müßte, weil man nicht weiß, ob nicht auf die Entnazisierung des Jahres 1945 eines Tages die Entdemokratisierung kommen könnte.

    (Zurufe von der SPD: O je! O je!)

    Und da eine gewisse Gruppe der politischen Richtung von da drüben (zur KPD) noch versucht, immer wieder diese Angst, diesen Seelenterror noch jetzt mit ihren Organisationen in die Öffentlichkeit zu tragen, darum diese innere Kapitulation, von der die heutige Ausgabe der „Welt" schreibt. Ich glaube, wenn wir diesen Paragraphen so lassen, tun wir der Nationalen Front des Herrn Kohl einen guten Dienst und schaffen eine neue Gruppe, die letzten Endes nicht mit dem Staat geht, sondern gegen unsern demokratischen Staat angeht. Insofern muß dieser § 8 verschwinden; denn wie gesagt, selbst Herr Oberbürgermeister Henßler hat eines Tages in richtiger Erkenntnis im Düsseldorfer Landtag die Entnazisierung als das „liederlichste Werk der deutschen Nachkriegsgeschichte" bezeichnet.

    (Sehr wahr! rechts.)

    Meine Damen und Herren! Es ist dann noch die Frage der Einbeziehung Berlins hier angeklungen. Ich hoffe, daß wir staatsrechtlich und auch außenpolitisch in der Lage sind, Berlin einzubeziehen.

    (Sehr richtig! bei der FDP.)

    Denn Berlin kann keinen Sonderstatus in diesem Bundesversorgungsgesetz einnehmen. Also auch wir werden, soweit keine staatsrechtlichen oder außenpolitischen Bedenken dagegen stehen, der Einbeziehung Berlins in den Kreis der Versorgungsberechtigung zustimmen.


    (Mende)

    Eine sehr wichtige und in den Kriegsopferverbänden hart umstrittene Bestimmung ist die Frage der Freigrenze. Hier ist eine unglückliche Lösung gewählt. Wenn man 60 und mehr DM verdient, wird dieser Verdienst auf den Kriegsopferrentenbezug angerechnet. Das bedeutet volkswirtschaftlich, daß der Beschädigte entweder durch einen Abzug seiner Rente für seine Arbeit bestraft wird oder gezwungen ist, durch irgendwelche formellen Manipulationen zu versuchen, doch keine Abzüge auferlegt zu bekommen. Es kommt doch darauf an, aus diesem großen Kreis von vier Millionen Berechtigten so viel wie möglich für unsere Volkswirtschaft zu mobilisieren. Das kann man nicht, indem man eine solche engherzige Bestimmung schafft und indem man für Arbeit bestraft; sondern man kann es dadurch, daß man die Freigrenze so hoch wie nur irgend möglich ansetzt. Uns schwebt für den Ledigen ein Betrag von 200 DM und für den Verheirateten ein Betrag von 300 DM vor. Wir hoffen, daß das im Ausschuß und hier im Plenum durchzusetzen sein wird.
    Ich darf zur Kapitalabfindung meine Kollegin Dr. Probst ergänzen. Diese Kapitalabfindung ist von den Verbänden sehr gewünscht und sehr begrüßt worden. Es wird sich vielleicht empfehlen, sie zu erweitern, indem man die jüngeren Witwen einbezieht, die durch eine Teil-Kapitalabfindung in die Lage versetzt werden können, eine Berufsausbildung nachzuholen.
    Ich darf zum Schluß noch einige allgemeine Bemerkungen an Sie richten. Es ist eben hier von dem Herrn Kollegen Kohl mit dem Marsch der Kriegsopfer auf Bonn gedroht worden. Ich glaube, Herr Kollege Kohl, die Kriegsopfer legen am wenigsten Wert darauf, daß Sie sie zu diesem Marsch auffordern, sondern sie werden wissen, was sie zu tun und wie sie sich zu diesen Beratungen zu verhalten haben.
    Wir haben leider jetzt in der Öffentlichkeit beobachten müssen, daß nach einer anfänglichen Zufriedenheit mit diesem Entwurf nunmehr in einem Rivalitätskampf der verschiedenen Kriegsopferverbände versucht wird, den Entwurf eben als nicht zufriedenstellend zu bezeichnen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Die einzelnen Verbände überbieten sich nunmehr in Erhöhungsanträgen. Ich glaube, das führt am Ende nicht dazu, daß die Kriegsopfer davon einen Vorteil haben. Es ist daher zu wünschen, daß die Vertreter des VDK, des Reichsbundes, des Bundes der Kriegsbeschädigten, Hirnverletzten und Kriegsblinden Gelegenheit haben, im Ausschuß ihre Wünsche vorzubringen, und daß es dann zu dem endgültigen Gesetz in der dritten Lesung kommt, das für beide Teile vertretbar und zufriedenstellend ist.
    Es wird sich auch noch empfehlen, das, was der Kriegsopferausschuß in Tübingen, in Bad Pyrmont und in München an erschütternden Bildern von Hirnverletzten, von Schwerstamputierten, von den Methoden, sie wieder in das Leben hineinzuführen, gesehen hat, möglichst einem großen Kreis, möglichst dem ganzen Parlament vorzuführen. Da wir im Zeitalter der Technik leben und wir auch die Technik in den Dienst unserer demokratischen Sache stellen sollten, empfehle ich dem Präsidium, doch zu überlegen, ob es möglich ist, einen vor Jahresfrist in den Landeskrankenanstalten Pyrmont gedrehten Film über die Frage der Kriegsopferversorgung der Schwerstamputierten, der Hirnverletzten vorzuführen, und zwar möglichst vor der zweiten oder dritten Lesung, damit der Ernst und die Bedeutung des Kriegsopferproblems allen unseren Kollegen wesentlich nachdrücklicher zum Bewußtsein gebracht werden kann, als das leider heute kurz vor 21 Uhr möglich war.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP und CDU.)