Rede von
Dr.
Hermann
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Volkholz.
Volkholz ; Meine Damen und Herren! Das sehnsüchtig erwartete Kriegsopferversorgungsgesetz wurde uns heute vorgelegt. Leider entspricht es nicht in allen Punkten den Erwartungen der Kriegsbeschädigten. Ob das Gesetz wirklich gut ist, hat letzten Endes nicht der Gesetzgeber, sondern der Personenkreis festzustellen, den es betrifft.
Es ist erfreulich festzustellen, daß sich fast alle Parteien bemühen, die einzelnen Mängel zu beheben und durch Zusatzanträge aufzuheben. Wir möchten aber bemerken, daß derartige Anträge von seiten der KPD abgelehnt werden müssen, weil diese Herren die Renten der Ostzone vorher studieren sollten.
Es wäre auch sehr gut, die formalistischen Angelegenheiten der Ostzone zu studieren,
bei denen nicht einmal ein Rentenbescheid angefochten werden kann, sondern bereits bei Bekanntgabe als endgültig angesehen werden muß.
Es ist aber trotzdem ein gutes Zeichen, und man kann annehmen, daß die Erkenntnis gesiegt hat, wenn sämtliche Parteien darüber übereinstimmen, daß für die besten und anständigsten Söhne unseres Vaterlandes auch am meisten gesorgt werden muß. Wenn ein Staat, ganz gleich welcher politischen Konzeption, seine Männer zwingt, mit der Waffe für seine Interessen einzutreten, dann ist der Staat, wenn er auch politisch anders eingestellt ist, verpflichtet, für die Opfer hinreichend zu sorgen. Die größte Schande eines Volkes wäre, seine tapferen, vorher vielgerühmten Soldaten mit einer Drehorgel betteln gehen zu lassen. Der Soldat darf nicht zum Sündenbock der Politik gemacht werden.
Aus diesem Grunde ist der Kampf um ein gerechtes Versorgungsgesetz der Kampf einer Generation, die die politischen Fehler der Nazizeit und der Leute von 1933 mit Blut und Gesundheit bezahlen mußte. Unsere Soldaten mußten in den Krieg; sie mußten Soldat werden, und dies kann sich vielleicht in der Geschichte noch wiederholen.
Deshalb muß der Beschädigte auch versorgt werden.
Das vorliegende Bundesgesetz hat einen Schönheitsfehler und macht den Eindruck, als wenn es sich nicht um Recht, sondern um ein Ermessungsgesetz handeln würde.
Die Wörter „kann", „können" und „sollen" sind deshalb aus dem Versorgungsgesetz grundsätzlich zu streichen und durch das Wort „muß" zu ersetzen.
Der Kriegsbeschädigte darf auf keinen Fall einer unberechenbaren Bürokratie ausgeliefert werden. Wenn dies nicht beachtet wird, so machen wir hier kein Gesetz, sondern nur eine Anleitung. Wir werden unsere Abänderungsanträge im Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen unterbreiten, und wir werden sie in den weiterer Lesungen vorbringen.
Einige grundlegende Punkte möchte ich aber heute schon zur Beachtung ankündigen. Die §§ 28 und 33 müssen unbedingt dahingehend geändert werden, daß Frauen- und Kinderzuschläge zur Grundrente gewährt werden. Wenn wir diese Zuschläge nur zur Ausgleichsrente gewähren, so wird sich mancher Kriegsbeschädigte, der über 50 % eingestuft ist, überlegen, ob er sich noch um eine Arbeit bemühen soll oder nicht. Dazu muß aber dafür gesorgt werden, daß Kriegsbeschädigtenbetriebe aufgebaut und weitere Maßnahmen getroffen werden, damit die Kriegsbeschädigten auch in eine Arbeit kommen, die sie leisten können und die ihnen das Bewußtsein zurückgibt, daß sie keine unnützen Steuerfresser sind. § 77 muß erweitert werden auf Kapitalisierung von Renten auch zur Gründung von gewerblichen und wirtschaftlichen Existenzen. Der § 8 muß vollständig gestrichen werden. Man kann einen Kriegsbeschädigten, der sowieso schon seine Gesundheit geopfert hat, nicht noch wegen kleiner politischer Mängel zurücksetzen oder um seine Rente bringen.
Es darf auch nicht vorkommen, daß vielleicht die Angehörigen der Waffen-SS vom Bundesversorgungsgesetz ausgeschlossen werden. Es wurde zwar heute bereits durch den Herrn Minister erklärt, daß das nicht den Tatsachen entspreche. Es wurde aber heute morgen bekanntgegeben, daß ein derartiger Beschluß gefaßt worden wäre. Der § 50 darf keine Verschlechterung der Rente bringen. Gesetzliche Irreführungen müssen verhindert werden. Es darf nicht vorkommen, daß ein Gesetz den Witwen eine Rente von 20 bis 40 DM zugesteht, dann aber keine Mittel vorhanden sind. Die Mittelbereitstellung muß die Voraussetzung des Gesetzes sein, und hier müssen alle anderen Staatsausgaben zurückstehen. Wir bitten, in diesem Sinne auch die Ausführungsbestimmungen abzuändern.
Es herrscht die Tendenz und Meinung, daß 30 bis 40% Beschädigte überhaupt keine Rente erhalten sollen. Wir beantragen: Die Rente soll so hoch sein, daß für je ein Prozent Beschädigung 1 DM gegeben werden soll. Die meisten, die gegensätzlich denken, wissen nicht, welche Beschädigung notwendig ist, um beispielsweise auf 30% eingestuft zu werden. Ich lese einige Beispiele aus den Anhaltspunkten für die ärztliche Beurteilung vor; es steht u. a. darin z. B. Verlust eines Fußes ohne nennenswerte Verkürzung des Beins, aber immerhin Verlust eines Fußes 30 bis 50%, Lähmung des Ellbogennervs 20 bis 40%, Verlust eines Auges 30 bis 40 %. Sie sehen, daß erhebliche Beschädigungen vorhanden sein müssen, um überhaupt 30 % zu bekommen. Deshalb ist es abzulehnen, wenn beabsichtigt werden sollte, die Renten über 50% auf Kosten derjenigen unter 50% zu erhöhen oder sie auf diese Weise sicherzustellen.
Wenn wir den Beschädigten von 30 bis 400/o keine Renten geben wollen, dann müssen die Dienstanweisungen und Anhaltspunkte der Vertrauensärzte geändert werden.
Im übrigen kann behauptet werden, daß das beste Versorgungsgesetz nichts nützt, wenn die Vertrauensärzte bei Nachuntersuchungen die Beschädigten wieder zurückstufen. Die Nachuntersuchungen, die sich meistens aus den Gesetzen ergeben und wahrscheinlich auch wieder eintreten werden, sind ein besonderes Kapitel und müssen bei den Beratungen des Bundesversorgungsgesetzes in Erwägung gezogen werden. Es muß verhindert werden, daß unsere Kriegsbeschädigten, bevor sie eine Rente erhalten, fast unmenschlichen Quälereien von manchen Ärzten, die ihre Praxis der Militärzeit jetzt als Vertrauensärzte weiterverfolgen, ausgesetzt werden.
Wir werden bei den nächsten Beratungen Beispiele bringen, daß sich den Mitgliedern dieses Hohen Hauses wahrscheinlich die Haare sträuben werden. Der Vertrauensarzt in der heutigen Form muß deshalb verschwinden. Der Kriegsbeschädigte soll freie Arztwahl erhalten. Er soll nicht zu einem beamteten Arzt gezwungen werden, der ihn im letzten Krieg bereits vielleicht kv geschrieben hat; auch solche Fälle sind bekanntgeworden.
In diesem Sinne setzen wir uns mit unseren Anträgen für die menschlichen Rechte unserer Kriegsbeschädigten ein. Wir bitten das Hohe Haus, uns dabei zu unterstützen. Wenn in den nächsten Tagen die Gespräche über die Europa-Politik und eventuell über eine aktive Beteiligung der Bundesrepublik an der Verteidigung des Westens beginnen, dann sollte beachtet werden, daß es keinem jungen Manne zugemutet werden kann, seine gesunden Knochen für die Freiheit des Westens zu riskieren, wenn er dann in dieser Freiheit einem kümmerlichen Dasein preisgegeben wird. Sollte der Bundestag unseren Anträgen, d. h. den Forderungen der Kriegsbeschädigten zu diesem Gesetz nicht zustimmen, so werden wir beantragen, das Gesetz überhaupt abzulehnen und dafür das alte Reichsversorgungsgesetz wieder in Kraft zu setzen. Die Kriegsbeschädigten, die Witwen und Waisen wissen, daß sie keine ungerechten Forderungen erheben dürfen. Aber sie wollen auch kein Almosen, sondern eine gerechte Versorgung. Ein ehrenvoller Staat wird diesen Anspruch auch erfüllen.