Rede von
Dr.
Hermann
Veit
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! In der Kritik, die hier gegen das Mitbestimmungsrecht laut geworden ist, hat man vor allem gehört, daß unsere Volkswirtschaft Schaden leiden könne, wenn der Arbeiterschaft ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt werden sollte. Es gibt ja Menschen, die ihre Argumentation verwenden, um ihre wirklichen Gründe zu verbergen; und diejenigen, die vorgeben, die Volkswirtschaft sei in Gefahr, wenn das Mitbestimmungsrecht durchgeführt werden würde, denken im wesentlichen an ihre eigene Person und an ihr eigenes Schicksal sehr viel mehr als an die Volkswirtschaft. Sie vertreten Machtpositionen und verheimlichen ihre wahren Gründe.
Mit ihnen sich auseinanderzusetzen, hat so wenig Zweck, wie wenn ich Zeit verschwenden würde, mich mit der Argumentation von ganz links auseinanderzusetzen. Wenn die Herren die Reden, die sie über das Mitbestimmungsrecht hier gehalten haben, in der Ostzone gehalten hätten, hätten sie vermutlich die letzte Rede ihres Lebens gehalten.
Aber, meine Damen und Herren, mit denen, denen es ernst ist um das Problem der Mitbestimmung — und ich habe mit Freude festgestellt, daß sehr viele Redner dieses Hohen Hauses diese Frage durchaus ernst nehmen und ernsthaft die Frage aufwerfen, ob die Durchführung des Mitbestimmungsrechts eine Gefahr für unsere wirtschaftliche Entwicklung bedeutet —, möchte ich mich auseinandersetzen und ihnen zunächst die Frage vorlegen: Ist denn unsere derzeitige Wirtschaftsstruktur und unsere Wirtschaftspolitik ideal zu nennen? Ist das System der sogenannten Unternehmerfreiheit, das mit allen Mitteln erhalten werden soll, wirklich ein System, das privatwirtschaftlich und volkswirtschaftlich gesehen fehlerfrei funktioniert und frei von Mängeln ist? Denken Sie doch an all die Fehlinvestitionen, die auf Grund der freien Initiative der Unternehmer vorgenommen worden sind, und bedenken Sie, daß diese dabei nicht etwa nur ihr eigenes Kapital fehlinvestiert haben, sondern sehr häufig eben auch noch das Kapital, das ihnen von Fremden zur Verfügung gestellt worden ist.
Oder denken Sie doch bitte daran, in welcher Weise Unternehmer gelegentlich ihre Freiheit, den Betrieb zu leiten, dahin ausgenutzt haben, in ihren Betrieben Investitionen, die volkswirtschaftlich notwendig gewesen wären, zu unterlassen und auf diese Weise aus den Betrieben Gewinne herausgeholt haben, Raubbau mit den Betrieben getrieben haben, ohne damit irgendwelche volkswirtschaftlichen Erfolge zu erzielen. Denken Sie gerade an die Entwicklung der vergangenen Jahre, als man auf dem Weg über die Preiserhöhungen Selbstfinanzierungen vorgenommen hat, die vom wirtschaftlichen Standpunkt aus und im Hinblick auf die Priorität einer ganzen Reihe von dringlichsten Aufgaben einfach zu bedauern waren, so daß wir heute in die Lage gekommen sind, eine ganze Menge von wichtigen Aufgaben wegen Kapitalmangels nicht lösen zu können, während andere Aufgaben, die man vielleicht einmal in anderer Zeit hätte durchführen können, die aber heute nicht dringlich sind, ihre Lösung gefunden haben.
Denken Sie bitte auch an den Mißbrauch der Unternehmerstellung. Oder wollen Sie es billigen — Herr Freudenberg sprach von den guten und tüchtigen Unternehmern und sagte, nur für diese wolle er sprechen —, wenn beispielsweise ein Unternehmer, der mit Recht bestraft worden ist, weil er Preisvorschriften gröblichst verletzt hat, in einem Gnadengesuch schreibt, wenn man ihm die Strafe nicht nachlasse, dann sehe er sich gezwungen, seinen Betrieb zu verkleinern und eine ganze Reihe von Leuten auf die Straße zu setzen?
Oder sehen Sie es für richtig an, wenn beispielsweise Unternehmer, die den Staat um erhebliche Kapitalbeträge angehen, schreiben: Wir sind natürlich nach den Gepflogenheiten unseres Hauses nicht in der Lage, dafür eine dingliche Sicherheit zur Verfügung zu stellen; wir haben zwar die Grundstücke, lehnen es aber aus Prinzip ab, dingliche Sicherungen zu geben, und für den Fall, daß der Staat nicht bereit ist, trotzdem mit finanziellen Mitteln zu helfen, sehen wir uns gezwungen, den Betrieb stillzulegen oder die Produktion in einen unserer anderen Betriebe in Länder zu verlegen, in denen unsere Wünsche mit mehr Entgegenkommen erfüllt werden? Sehen Sie, das sind die Mißbräuche, auf die wir sehr häufig stoßen . Das sind die Fälle, in denen mit der Unternehmerfreiheit auf der einen Seite und der Tatsache, daß der Arbeiter dem Unternehmer rettungslos ausgeliefert ist, ein sehr bedauerlicher Mißbrauch getrieben wird.
Von dem politischen Mißbrauch brauche ich gar nicht zu reden. Sie werden sich ja daran erinnern, welcher politische Mißbrauch mit der Unternehmerstellung, mit der Machtstellung des Unternehmers in der Vergangenheit getrieben worden ist. Wenn wir das Mitbestimmungsrecht im Jahre 1932 schon gehabt hätten, dann wäre der Nationalsozialismus wahrscheinlich überhaupt nicht zur Macht gekommen,
und Hitler hätte den Offenbarungseid leisten müssen.
Meine Damen und Herren, wie weit geht es denn überhaupt noch mit der Unternehmerfreiheit, die immer dann verteidigt wird, wenn die Arbeiterschaft ihr Recht anmeldet, in den Betrieben etwas sagen zu dürfen? Die Unternehmerfreiheit ist doch heute schon auf vielen Gebieten stark eingeschränkt. Die Unternehmer haben sie zum Teil selbst eingeschränkt und finden gar nichts dabei. Sie haben sich diese Beschränkungen auferlegt, um im Schatten solcher Abmachungen um so sicherer existieren und verdienen zu können. Wo ist denn die Unternehmerfreiheit beispielsweise bei den Kartellabreden, von den Syndikaten ganz zu schweigen? Hier hat man sich doch im Interesse des Verdienstes geopfert und will uns heute weismachen, die Unternehmerfreiheit sei etwas, ohne das die Wirtschaft überhaupt nicht existieren könnte.
Ich will gar nicht über die Bindungen reden, die von den Unternehmungen gelegentlich gegenüber dem Finanzkapital eingegangen werden, wo von einer Freiheit überhaupt nicht mehr gesprochen
werden kann, ohne daß man sagen kann, daß die Wirtschaft deswegen nachdrücklichen Schaden erlitten hat.
Meine Damen und Herren, soll denn die Freiheit durch die Mitbestimmung verloren gehen? Ist es denn so, daß der Unternehmer seine Rechte verliert, wenn wir das Mitbestimmungsrecht durchführen? Es ist doch nicht geplant, daß dadurch die Rechte des Unternehmers irgendwie geschmälert werden, wenn wir für den Aufsichtsrat eine andere Zusammensetzung vorschlagen, als sie bisher war. Die Initiative des Unternehmens liegt ja nach wie vor bei der Leitung. Es dreht sich lediglich darum, daß in dem Aufsichts- und Kontrollorgan nunmehr entgegen der bisherigen Übung und den bisherigen Vorschriften auch die Arbeitnehmerschaft vertreten sein soll.
Wir haben ja nicht nur Arbeiterinteressen zu vertreten. Wir haben hinter uns eine ganze Reihe von Betrieben, gerade Betriebe der Konsumgenossenschaften, Betriebe der Gemeinden, gemeinwirtschaftliche Betriebe, so daß wir durchaus auch für die Unternehmerposition Verständnis haben. Wir denken gar nicht daran, hier einseitig die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Wie können Sie uns unterstellen, die deutsche Wirtschaft etwa schädigen zu wollen? Wir wollen sie beleben, wir wollen sie fördern, wir wollen die Produktion steigern. Jeder Fehltritt auf diesem Wege wäre ja gerade für unsere Bewegung und die Bewegung der Arbeiterschaft selbst der größte Schaden. Deswegen können Sie davon überzeugt sein: wir wollen keine Experimente machen, wir wollen nicht, daß unsere Volkswirtschaft nicht mehr oder schlechter funktioniert, sondern wir wollen einen Zustand erreichen, der das gesetzlich fundiert, was die Entwicklung schon längst vorweggenommen hat.
Meine Damen und Herren, in die Aufsichtsorgane sind bisher die Vertreter nach dem Eigentum delegiert worden. Aber auch das ist schon längst durchlöchert und durchbohrt; denn die Banken, die Depothalter waren, haben ja meistens die größte Anzahl der Stimmen in die Generalversammlungen delegiert und haben somit ein anonymes Kapital häufig in ganz anderem Sinne vertreten, als es die Eigentümer hätten verlangen können. Ist es da nun nicht richtiger und entspricht es der Situation, in der wir stehen, und entspricht es der Tatsache, daß unsere Betriebe nicht mehr Stätten des Gewinns für einzelne Unternehmer, sondern Organe der Volkswirtschaft sind, nicht besser, wenn in diesen Kontroll- und Aufsichtsorganen, die die Aufsichtsräte darstellen, nicht nur die Vertreter des Besitzes und der Banken, sondern auch die Menschen sitzen, die in dem Betrieb die Arbeit leisten und mit ihrer ganzen persönlichen Existenz und der ihrer Familie an das Schicksal des Betriebes gebunden sind?
Es wird uns nun entgegengehalten: wir können aber unter keinen Umständen dulden, daß in diesen Kontrollorganen betriebsfremde Elemente erscheinen, wir können also nicht dulden, daß aus den Gewerkschaften Vertreter, die nicht dem Betrieb angehören, in die Aufsichtsorgane gewählt werden. Nun, meine Damen und Herren, diesen Gesichtspunkt hat man ja doch bisher bei der Zusammensetzung der Aufsichtsräte nicht gelten lassen,
und der Aufsichtsrat bestand bisher eigentlich ausschließlich aus betriebsfremden Personen. Es ist
sogar schon vorgekommen, daß der Aufsichtsrat aus betriebsfeindlichen Personen bestanden hat;
wenn man nämlich einmal ein Aktienpaket mit der Absicht aufgekauft hat, nicht den Betrieb am Leben zu erhalten, sondern aus Konkurrenz- und aus sonstigen Gründen den Betrieb zur Stillegung zu bringen. Ich habe nie gehört, daß in der Privatwirtschaft sich jemand dagegen erhoben hat, daß auf diese Weise betriebsfremde und manchmal sogar betriebsfeindliche Personen auf den Betrieb Einfluß nehmen. Man hat das hingenommen und will nun, wenn die Gewerkschaften den Anspruch anmelden, in den Aufsichtsorganen zu sitzen, das Postulat aufstellen, daß das eben einfach mit unserer Wirtschaft nicht zu vereinbaren sei.
Meine Damen und Herren! Wenn sich eine Organisation nach dem Krieg bewährt hat, dann waren es die Gewerkschaften;
und ich glaube, sie verdienen heute noch den Dank des ganzen Volkes für ihre nationale Haltung, die sie seit 1945 an den Tag gelegt haben.
Und es waren ja häufig gerade die Unternehmer, die den Gewerkschaften den Dank dafür ausgesprochen haben, daß sie so viel volkswirtschaftliches Verständnis aufgebracht haben.
Woher kommt nun auf einmal die Feindschaft gegenüber den Gewerkschaften, und woher kommt der Wille, die Betriebsräte in den Vordergrund zu spielen? Meine Damen und Herren! Erinnern Sie sich nicht an die Erfahrungen, die mancher Betrieb mit den Betriebsräten gemacht hat? Erinnern Sie sich nicht, welche politische Richtung kraft ihrer größeren Aktivität in diesen Betriebsräten häufig den Ausschlag gegeben hat? Ich glaube, wenn wir dieses Gesetz verabschieden, dann werden Sie noch einmal dankbar dafür sein, wenn die Gewerkschaften ihren Einfluß auf die Auswahl der Menschen ausüben, die in den Aufsichtsräten sitzen.
Meine Damen und Herren! Es wird davon gesprochen, daß die Gewerkschaften einen machtpolitischen Anspruch geltend machen, und das ist der Grund, so geben Sie an, weswegen Sie diese Forderung der Gewerkschaften ablehnen. Nun, meine Damen und Herren, die machtpolitische Situation ist ja bereits geschaffen! Es ist doch heute so - aus der Denkschrift der Gewerkschaften haben Sie die Zahl wohl selbst entnommen —, daß 896 Aktiengesellschaften fünf Sechstel des Kapitals von 30 Milliarden in Deutschland haben und beherrschen. Das ist eine Machtposition, wie sie in Deutschland überhaupt sonst niemand innehat. Und wenn die Gewerkschaften nun von der Arbeitnehmerseite eine Gegenposition entgegensetzen wollen, so bedeutet das lediglich den Ausgleich der Interessen. Aber es bedeutet nicht, daß die Gewerkschaften sich selbst eine Machtposition in der Wirtschaft erringen wollen.
Der Vorschlag der CDU, meine Damen und Herren, bleibt auf halbem Wege stehen. Der Vorschlag der CDU in der Besetzung des Aufsichtsrats gibt der Arbeiterschaft immer die Minderheit und damit eine Stellung, die ohne Bedeutung sein wird. Man kann bei diesen Dingen nicht mit Halbheiten operieren. Halbheiten sind gefährlicher, als wenn man überhaupt keinen Schritt tut, sondern entweder muß man ein Mitbestimmungsrecht gewähren, das der Arbeitnehmerschaft auch den Eindruck und die
2980 Deutscher- Bundestag — 80. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 27. Juli 1950
Gewißheit gibt, daß ihre Stimme im Betrieb ein Gewicht hat, oder man soll die Finger ganz davon lassen.
Wenn ich zum Abschluß ein Beispiel anführen darf, dann möchte ich auf die Parallele, die zwischen dem europäischen Gedanken und dem Mitbestimmungsrecht besteht, hinweisen. Auch in Europa können sich die Staaten nicht entschließen, etwas von ihrer Souveränität im Interesse der Schaffung eines Gesamteuropas abzugeben und laufen die Gefahr, ihre Souveränität überhaupt einzubüßen. Und so sollten die Unternehmer erkennen, daß es nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer, sondern in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse liegt, wenn sie einen Teil ihrer Souveränität an ihre Mitarbeiter abtreten. Denn sonst, meine Damen und Herren, laufen sie Gefahr, daß sie ihre Souveränität im Betrieb überhaupt verlieren;
und es dreht sich eben nicht nur um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, es dreht sich überhaupt darum, ob sie selbst, die Herren Unternehmer, in Zukunft noch ein Bestimmungsrecht in ihren Betrieben haben.