Rede von
Dr.
Richard
Hammer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Meine Damen und Herren! Wer die leidenschaftlichen Auseinandersetzungen über das Thema Mitbestimmungsrecht in den letzten Monaten in Deutschland verfolgt hat und wer auch die Klänge richtig zu deuten weiß, die heute durch diesen Saal schallten, der kommt vielleicht auf die ketzerische Idee, daß dieses ganze Thema den Aufwand wert ist, der hier gemacht wird.
Meine Damen und Herren! Ich bin der Ansicht, daß die Frage des Mitbestimmungsrechts diesen Aufwand wert ist,
obwohl man, wenn man die konkreten Forderungen — zugespitzt in dem Entwurf der Sozialdemokratie — betrachtet, vielleicht doch auf die Idee kommen könnte, daß die Liebe eine Bejahung, abgesehen vom Wert, ist.
Meine Damen und Herren! Man sollte den Versuch machen, bei der Verhandlung dieser Dinge hier im Hause so zu tun, als könne man völlig vernünftig sein. Heinrich von Kleist hat seinem Odysseus einmal ein Wort in den Mund gelegt, als das Volk der Achäer von dem rasend verliebten Achilles bedroht wurde. Dieses Wort hieß: „Laßt uns vereint, ihr Griechenkönige, noch einmal Vernunft keilförmig mit Gelassenheit auf seine rasende Entschließung setzen!"
Meine Damen und Herren! Ich bin der Ansicht, daß die Entschließung der SPD eine rasende Entschließung ist. Ich respektiere ihre Leidenschaft, ich halte sie aber für absolut unzweckmäßig und für gefährlich für die Zukunft der Arbeiterschaft und der ganzen deutschen Nation.
Meine Damen und Herren, versuchen wir doch, nach dem Motto der Vernunft zu verfahren. Wenn Sie etwa damit beginnen würden, daß Sie die Erkenntnisse, die Resultate unserer arbeitspsychologischen Institute zu Rate zögen, dann könnten Sie zu Ausgangspunkten für unsere Diskussion kommen, die gar nicht uninteressant sind. Dort hat man aus Millionen von Fragebogen immer zwei merkwürdige Antworten bekommen. Wenn man den Arbeiter frug: „Was behagt dir denn am allerwenigstens in deiner Arbeitsstelle oder in deinem Betrieb?", dann bekam man in der Regel die beiden Antworten: Der Meister und die Stoppuhr! — Es lohnt sich, diese Dinge einmal zu verfolgen.
Beginnen Sie mit der Stoppuhr. Einem Teil von uns ist das schwer zu vergegenwärtigen. Mit dem Wecker hat sie nichts zu tun; denn den kann man abstellen. Vielleicht kann man sich, was Stoppuhr ist, am ehesten vergegenwärtigen, wenn man an das Wecken beim Kommiß denkt. Mit der Stoppuhr geht man nicht an eine Arbeit, die einen ruft und zu der man eine innere Beziehung hat, sondern mit der Stoppuhr wird man zur Arbeit befohlen.
Meine Damen und Herren! Warum ist denn die Bindung des modernen Industriearbeiters — auf dessen Verhältnisse wollen wir uns im Augenblick beschränken — eine derartige Bindung in den meisten Fällen geworden? Die moderne Rationalisierung der Arbeit in den letzten hundert Jahren, die uns zur Hochindustrialisierung geführt hat, hat das Werk, mit dem sich der alte Geselle beschäftigt hat, seiner Hand entzogen und sinnlos gemacht. Mit der Produktion über das laufende Band, mit der Herstellung des Massenartikels hat diese Beziehung des Menschen zu seinem Werk aufgehört — denken Sie an das, was die Psychologen über die Verwandtschaft von Arbeitstrieb und von Spieltrieb sagen —, hat die Arbeit weitgehend ihren Sinn verloren oder ist jedenfalls doch dieser Sinn sehr schwer zu finden.
Die Werkstatt ist nicht mehr die alte Werkstatt, wie sie einmal war. Was sie war, das sehen Sie an dem deutschen Sprachgebrauch, nach dem man für das Atelier des Künstlers noch den ehrenvollen Ausdruck „Werkstatt" verwendet. Das ist in einer großen Anzahl unserer Betriebe in dem hochindustrialisierten Mitteleuropa und in Amerika völlig vorbei. Da wird also zu einer Arbeit, die an sich nicht ruft, befohlen, und zwar in der Form unserer technischen Alarmsignale. Es gibt nicht mehr den Gesellen, der in der Meisterfamilie frühstückt, und er geht nicht mehr an die Arbeit, die ihn lockt.
Wenn hier das Wort Geselle gefallen ist, so bin ich nahe bei der anderen Antwort, die uns die arbeitspsychologischen Institute geliefert haben, bei der Antwort: Meister. Warum ist denn dieser Meister der Mann, bei dem dauernd die Konfliktsituationen entstehen? Offenbar liegt das kaum an unseren Verhältnissen in Deutschland. Der Unternehmer, der an einem vorzüglichen Produktionsvorgang orientiert ist, gibt sich die größte Mühe, einen Meister zu bekommen, der nicht nur ein Könner in bezug auf seine technischen Aufgaben ist, sondern der auch kontaktfähig ist, der es fertigbringt, seine Arbeiterschaft an den Betriebszweck heranzuführen. Wenn Sie die Beschäftigung der amerikanischen Gewerkschaften und der amerikanischen Unternehmer betrachten, so sehen Sie, daß dort außerordentlich viel Zeit und Arbeit darauf verwandt wird, diesen kontaktfähigen und leistungsfähigen Meister zu schaffen. Das wird auch bei uns versucht. Aber es hat nicht dazu geführt, daß in diese Fragebögen eine andere Antwort hineinkäme als die: der Meister.
Meine Damen und Herren! Nun bitte ich Sie, sich doch einmal folgendes zu überlegen. Die Stellung des Meisters war in der alten Ordnung der vorkapitalistischen Zeit eine soziale Stufe, die dem normalen Handarbeiten durchaus erreichbar, ja, in der Regel zugänglich gewesen ist. Die Fabrikation am laufenden Bande, die rationalisierte Massenproduktion hat uns Arbeitsverhältnisse gebracht, in denen dieser Meister eine verhältnismäßig seltene Figur geworden ist. Es gibt eine Reihe von hochindustrialisierten Betrieben, in denen vielleicht auf 100 Arbeitnehmer ein Meister kommt. Dieser Meister ist der Beförderungsgrad, der den Arbeitern nicht mehr zugänglich ist. Der soziale Aufstieg innerhalb des Betriebes ist in diesem System des Hochkapitalismus weitgehend durch die technische Rationalisierung unmöglich gemacht worden.
Ich bitte Sie, sich einmal zu überlegen, was das Abstoppen des sozialen Aufstiegs bedeutet. Ein ganz einfaches Beispiel! Wenn Sie an die Revolution von 1918 denken, so wird Ihnen einfallen, daß diese Revolution in Deutschland nicht von den
Landsern gemacht worden ist, sondern von den Deckoffizieren und von den Korporälen, also gerade von jener Schicht in diesem militärbürokratischen Apparat, der nach den Gesetzen des kaiserlichen Deutschlands der soziale Aufstieg verwehrt gewesen ist. Überall da, wo die Chance zum Aufstieg aufgehört hat, besteht die Gefahr von Konflikten. Ich bezweifle, daß die Erhebungen unserer arbeitspsychologischen Untersuchungsinstitute uns in vollem Umfange den Weg zum Verständnis des Verlangens nach Mitbestimmung ebnen können. Man könnte sagen: das, was hier zweifellos an Arbeitsleid verlangt wird, müßte ja nach alten Theorien durch eine volle Lohntüte ausgeglichen werden. Man könnte sich darüber unterhalten, ob die moderne Wirtschaftsform das Arbeitsleid verringert hat. Zweifellos ist das zum Teil der Fall. Wenn in den letzten 100 Jahren oder von 1820 bis 1920 in Großbritannien die Arbeitszeit von 72 Stunden auf 48 Stunden heruntergegangen ist, so ist das eine Verringerung des Arbeitsleides. Wenn statt der schwieligen, schwierigen Handarbeit des Schmiedes oder des Schuhmachers die Maschinenarbeit gekommen ist, so bedeutet das zweifellos eine Verminderung des Arbeitsleides, eine Verminderung von Muskelkater. Aber, meine Damen und Herren, Sie haben gesehen, daß alle diese technischen Verschiebungen im Vorgang — —
— Nein! Sie kommen nachher daran und können mich korrigieren. —
Meine Damen und Herren! Sie werden doch die Feststellung machen können, daß diese scheinbare Verringerung des Arbeitsleides offenbar nicht so bewertet worden ist. Die Rebellion, die in der Mitte unseres Jahrhunderts gegen die moderne wirtschaftliche Entwicklung entstanden ist und die um die Jahrhundertwende ihren Höhepunkt erreichte, hat jedenfalls darauf keine Rücksicht genommen und ist trotz dieser Verminderung der Arbeitszeit, trotz besserer Arbeitsbedingungen, trotz reichlicherer Füllung der Lohntüte zustande gekommen. Hier enden die Resultate, die man auf den Hochschulen zusammengetragen hat. Hier ist in dieses Verhältnis des sogenannten arbeitenden Menschen, wie man heute zu sagen pflegt, genau genommen in das Verhältnis der Lohnarbeiterschaft ein merkwürdiger Einbruch erfolgt. Hier hat auf einmal das Verständnis für den Sinn dieser Wirtschaftsordnung aufgehört, und hier hat in der gleichen Stunde, in der das alte Gehäuse der gottgewollten Ordnung aufhörte, den Arbeiter zu bergen, eine verhängnisvolle Irrlehre begonnen, die Dinge zu verzerrt zu beleuchten. Wer so in der Welt steht wie der, der ohne soziale Aufstiegsmöglichkeit ist, der ohne das Gefühl ist, daß seine Arbeit einen Sinn in dieser Welt habe, der ist nun einmal sehr leicht zu verführen, wenn man ihm sagt: diese ganze Weltordnung ist des Teufels, und ich weiß eine bessere! — Das sind die menschlichen Situationen, in denen man seinem notleidenden Mitbürger sagen kann: wir prophezeien dir eine bessere Zeit, wir prophezeien dir die Zeit, die Schiller einmal mit den Worten bezeichnete:
Vorbei nach langem, verderblichem Streit
Ist die kaiserlose, die schreckliche Zeit. Ein Richter ist wieder auf Erden.
Das ist die Situation, die 1933 Adolf Hitler ausnützte. Wer unser Wirtschaftssystem als eines der an Galeeren geschmiedeten Sklaven schildert und dazu versichert, daß er allein den Schlüssel besitze, um diese Ketten aufzuschließen, der steht ganz
nahe bei jenem Verhalten, das 1933 Adolf Hitler an den Tag gelegt hat.
— Ich weiß nicht, wer Sie sind; aber gescheit sind Sie nicht!
Als dieser Einbruch einer neuen Erlösungslehre in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland und in der Welt erfolgte, erlebten wir die Entwicklung einer Klasse der deutschen Arbeiterschaft, der wir heute noch den allergrößten Respekt entgegenbringen. Ich erinnere mich aus den jungen Jahren meiner ärztlichen Tätigkeit noch an den engsten Verkehr, den ich mit jenen ersten organisierten Gewerkschaftlern und alten Bebelleuten gehabt habe, mit jenen Männern mit dem Knebelbart, mit jenen Männern, die einen eigenen Stil hatten, und mit jenen Männern, auf deren Bücherbord das „Kapital" und Haeckels „Welträtsel" gestanden haben. Ich habe auch damals ihren Lehren äußerst kritisch gegenübergestanden. Ich habe ihnen menschlich mit außerordentlicher Sympathie gegenübergestanden, weil das Maß ihres Idealismus in Deutschland nicht zu überbieten war. Sie wußten aus ihrer eigenen Lehre, an die sie glaubten, ganz genau, daß sie selber das schöne, gelobte Land nicht mehr betreten würden. Sie wußten, daß die „Expropriation der Expropriateure" wesentlich länger dauern würde als ihr eigenes Erdendasein. Sie haben mit einem Glauben, der bewunderungswürdig ist — ausgerechnet sie, Helden des Glaubens —, eine materialistische Lehre vertreten.
Wer sich jemals in Deutschland ernsthaft mit den Sorgen und dem Lebensschicksal des deutschen Arbeiters befaßt hat, der möge doch auf einen ganz schlechten Brauch verzichten. Der möge darauf verzichten, daß man in Deutschland die Worte „Prolet" und „Bourgeois" als Schimpfworte benutzt. Der möge sich doch mindestens daran erinnern, daß zwei sozial verschiedene Gruppen in Deutschland die nächsten leiblichen Verwandten sind. Es sind kaum drei Generationen her, seit unsere Urgroßväter dieselben gewesen sind. Man möge sich doch, wenn man von Klassenkampf, von Proletariat und von Besitzbourgeoisie redet, immer daran erinnern, daß das eigentlich zu ganz unmöglichen Differenzen innerhalb einer eigenen Nation führen kann.
- Das habe ich schon gewußt, als ich ein so großer Bub war; Sie haben es vielleicht jetzt erst von mir zum ersten Mal gehört.
Jene Lehren, die das große Wunder einer besseren Weltordnung prophezeit haben, sind doch nur möglich gewesen, weil man den Sinn der ganzen modernen Marktwirtschaft und wirtschaftlichen Entwicklung verkannt hat. Jeder, der heute noch vor die Bevölkerung tritt und ihr erzählt, daß der Unternehmer ein Mann sei, der produzieren könne, was er wolle, und der das nur nach seinen Gewinnchancen bestimme, redet etwas Falsches. Das Charakteristikum der Marktwirtschaft ist nicht ein Unternehmer, der auf Gewinn produzieren kann, und das Charakteristikum einer geplanten Wirtschaft ist nicht eine Unternehmung, die nach dem Bedarf produziert, sondern das Charakteristikum der modernen Marktwirtschaft ist, daß sie die Voraussetzungen für die Arbeitsteilung, das Geheimnis unseres technischen Fortschritts, bis zum letzten erfüllt hat. Die Arbeitsteilung verlangt einen
Preisvergleich, die Arbeitsteilung verlangt die Respektierung des Standortes und einen Austausch
auf dem Markt. Die Arbeitsteilung ermöglicht es
dem Konsumenten, die Aufträge an die Wirtschaft
zu geben. Es ist nach unseren Auffassungen eine
völlig törichte Vorstellung, daß etwa der Unternehmer oder seine Belegschaft in Deutschland die
Möglichkeit haben, die Produktion zu bestimmen.
Wir können deshalb auch diesem Mitbestimmungsrecht von vornherein entgegenhalten: Derjenige, der
nach unserer Ansicht zu planen und Auftrag zu
geben hat, ist der Konsument; seine Vertreter sind
wir, dieses Parlament; aber seine Vertreter sind
nicht die gewählten und konstituierten Verbandsführer von irgendwelchen Interessenorganisationen.
Es ist kennzeichnend, daß über dem Entwurf der SPD das Wort „Neuordnung der deutschen Wirtschaft" steht. Dort wird im wesentlichen nicht das Problem der Mitwirkung, das Schicksal des deutschen Arbeiters, erfaßt, sondern es wird versucht, einen völlig neuen Plan der Produktion und der Gesellschaft zu verwirklichen.
Man hat die Entwicklung der letzten hundert Jahre schlechtgemacht. Immerhin ist zu ihrem Vorteil doch zu sagen — ich habe das vorhin über die Entwicklung der Arbeitszeit gesagt —, daß die Reallöhne sich in diesen hundert Jahren in England vervierfacht haben. Immerhin ist für die letzten hundert Jahre zu sagen, daß die durch den Wettbewerb ermöglichte Produktion die Bevölkerung Europas von 90 auf 230 Millionen hat ansteigen lassen und sie leidlich ernährt hat.
— Ich drücke mich absichtlich sehr vorsichtig aus. Denn ich weiß, daß hier noch eine Reihe von Wünschen zu erfüllen sind. Aber, meine Damen und Herren, das Wesentliche oder vielleicht das Allerbedeutendste dieser Wirtschaftsordnung ist doch folgendes. Sie ist nur möglich mit freien Staatsbürgern, mit Freizügigkeit, mit frei abschließbaren und mit frei zu beendenden Arbeitsverträgen. Ich weiß — und ich werde darauf zurückkommen —, daß dieses Geheimnis, diese Garantie der Freiheit, die darin liegt, eine Hypothek auf das Lebensschicksal des deutschen Arbeiters bedeutet. Aber sie garantiert unter allen Umständen das, was wir die Freiheitsrechte des Bürgers nennen.
Hören Sie damit auf und befehlen Sie einen Arbeitseinsatz, planen Sie, dann haben diese Freiheitsrechte aufgehört zu existieren.
Aber es ist das Wesentliche dieser Arbeitsteilung, dieser Marktwirtschaft, daß sie den jederzeit kündbaren Arbeiter braucht. Die Anpassung an den Marktauftrag, an den Wunsch des Konsumenten zwingt zur augenblicklichen Produktionsumstellung und zwingt damit dem Arbeiter jenes Schicksal auf, das in dem Wort Prolet am besten umschrieben ist. Nicht der, der ohne Besitz ist, ist heute der Prolet. — Sie wissen, das es bei mir kein Schimpfwort ist. — Der ist Prolet, der ohne jede Sicherung seiner Existenz ist, der unter dem arbeitsrechtlich kürzesten Kündigungstermin steht. Wir bezweifeln nicht, daß der Lohnarbeiter zusammen mit dem Unternehmer, der nur durch seinen Geldsack etwas weicher gepolstert ist, auf das Rad dieser Marktordnung geflochten ist. Wir behaupten aber, daß nicht der Unternehmer das Rad dreht, sondern daß der Konsument es dreht.
Das enthebt uns nicht der Verantwortung für das Lebensschicksal des deutschen Arbeiters. Es gibt dazu eine Reihe von Wegen, und es sind eine Reihe von Wegen bereits beschritten worden. Krisenfest sollte man die Wirtschaft nicht machen. Man kann es nicht. Ich werde darüber heute nicht reden. Aber man kann durch Versicherung, durch Kündigungsschutz, durch arbeitsrechtliche Regelungen, etwa auch durch die Überführung der Stammangestellten ins Angestelltenverhältnis durchaus einen großen Teil der Arbeiterschaft krisenfest machen. Man kann die Produktionssteigerung der Wirtschaft hoffnungsvoll beurteilen und kann darüber hinaus noch einiges tun, um die Reallöhne zu steigern. Ja, meine Damen und Herren, wir sind gar nicht abgeneigt, bei der Beratung eines Mitbestimmungsrechtes uns zu überlegen, wieweit man aus der Rendite eines Unternehmens weitere Beträge durch irgendwelche Leistungslohnverträge herausnehmen und sie zu Löhnen machen kann. Wir denken nicht daran, derartige Dinge ohne weiteres außer Acht zu lassen. Nach unserer Ansicht sind ja die großen Gefahren, die dieser Entwicklung der modernen Marktwirtschaft drohen, auf politischem Gebiet zu bekämpfen. Nicht die kleine Krise im Wettbewerb einer blühenden Volkswirtschaft bedroht die Arbeiterschaft. Bedroht wird die Arbeiterschaft in ausgedehntem Maße durch die großen sogenannten Investitionskrisen, die dem Gefälle zwischen hockindustrialisierten und frühkapitalistischen Ländern dieser Welt entsprechen. Es wird die Entwicklung, die mit Paneuropa angedeutet ist, auch die Entwicklung sein, die zur Krisenverminderung und zur Krisenfestigung der Weltwirtschaft führen wird.
Das alte Betriebsrätegesetz ist ja doch mit unseren politischen und geistigen Ahnen, zusammen mit Ihnen, meine Herren von der SPD, und mit Ihrem Vizekanzler Bauer gemacht worden. Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der man sich verstanden hat. Friedrich Naumann ist ja der Mann gewesen, von dem das Wort stammt, daß unser Bekenntnis zur Nation und unser Bekenntnis zur Menschwerdung der Masse zwei Seiten einer und derselben Sache seien. Auf dem Wege aber, den Sie jetzt beschritten haben, den Sie im historischen Augenblick der letzten Jahre betreten haben, können wir Sie nicht weiter begleiten. Hattenheim war der Anfang der Verhandlungen zwischen den Unternehmern und den Gewerkschaften. Nun mögen Sie ja sagen: Du bist weder das eine noch das andere, Du hast es leicht, zu einem objektiven Urteil zu kommen. Mir graut es schon, wenn ich die beiden Verbände an einem Tisch sitzen sehe. Denn ich denke ja doch immer an meinen Lehrer Max Weber, der vor vielen Jahren gesagt hat: Gott soll das deutsche Volk davor schützen, daß es eine Solidarität zwischen Unternehmern und Gewerkschaften gäbe. Der Mann ist zweifellos ein alter Demokrat gewesen. Er wußte, daß das, was man später Korporationenstaat nannte, in der Luft liegt. Und er wußte etwas ganz genau. Er wußte, daß aus all derartigen Versuchen die Herrschaft einer Bürokratie herauskommt, die sich heute kein Arbeiter und kein Unternehmer in Deutschland vorstellen kann.
Und er wußte noch etwas. Er wußte, daß, wenn die Herrschaft der Korporationen in Deutschland angefangen hat, die Herrschaft des Parlaments aufgehört hat.
Ich habe ganz bewußt „gleich" betont und von gleichgewichtigen Gewerkschaften und Unternehmern gesprochen. Vor dem Urteil des Staatsbürgers sind sie gleich gefährlich und in ihren Funktionen gleich bedeutend. Wenn uns aber unterstellt wird, wir gedächten grundsätzlich etwas gegen die Entwicklung der Verbände und der Gewerkschaften als notwendiger Tarifpartner zu sagen, so möchte ich wissen, wo Sie, meine Damen und Herren, aus meinen Ausführungen in dieser Beziehung das Geringste herauslesen können.
Meine Damen und Herren, es dreht sich hier um den Versuch einer Wirtschaftsplanung. Wer die Beteiligung der Gewerkschaften in dem Umfange verlangt, in dem Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, sie fordern, der hat die Absicht, zu planen, und damit steht er vor der Notwendigkeit, einen Machtapparat aufzubauen. Düsseldorf soll die Stadt der Gewerkschaften werden, und wenn diese Entwicklung weiterläuft, dann wird sie die Hauptstadt Deutschlands werden. Gott soll das verhüten!
Die Stadt der Gewerkschaften kann sie ruhig bleiben; aber wir verbitten uns als deutsche Staatsbürger, daß irgend jemand anders als dieses Parlament in Deutschland entscheidet.
Es gibt einprägsame Erlebnisse, die der Mensch gehabt hat. Der eine nimmt sie mit den Augen, der andere mit den Ohren auf.
— Das auch. — Mich hat eigentlich nichts mehr beeindruckt als die Betrachtung Sowjetrußlands. Sehen Sie, als ich nach zwanzig Jahren zum ersten Male dort wieder hinkam, waren die vergoldeten Kuppeln der orthodoxen Kirchen verschwunden, die Kulturlandschaft sah völlig anders aus, und staunend stellte ich fest, daß in dieser sozialistischen Kulturlandschaft ein neues Bauwerk entstanden war. Die Landser wußten erst nicht, was das war. Sie dachten, das wäre ein trigonometrischer Punkt in den Kolchosen, bis sie dann feststellten, daß dieser Balkenturm ein Kommandoturm war. Wenn Sie heute durch Rußland gehen, dann sehen Sie überall am Horizont diese Kommandotürme.
— Haben Sie nichts gesehen?
— Dann haben Sie wohl von einem Truppenarzt eine schlechte Brille verpaßt bekommen.
Meine Damen und Herren, nichts ist für die Entwicklung von 20 Jahren Planwirtschaft kennzeichnender, als daß dort ein Kommandoturm notwendig ist, um die Arbeit jener Einrichtung in Gang zu halten,
die einmal mit der Idee der Betriebsgemeinschaft und des gemeinsamen Rates, des Rätesystems begonnen hat.
Wer anfängt, gegen unser Wirtschaftssystem grundsätzlich zu rebellieren,
der muß sich der Gefahr bewußt sein, daß am Ende die Sklaverei steht.
Man braucht ja nicht dagegen zu rebellieren. Man hat ja die verantwortliche Tätigkeit des Politikers, man hat die Möglichkeit einer ausgezeichneten und weitreichenden Sozialversicherung, und man hat tausend andere Möglichkeiten, die nicht in den Rahmen eines solchen Gesetzes hineingehören. Alle diese soll man mit voller Verantwortung ausschöpfen, aber nicht vergessen, daß man die Existenz der abendländischen Gesellschaft mit Experimenten bedroht.
Meine Damen und Herren, nach dem, was ich eben gesagt habe, werden Sie wissen, wo meine Kritik am Gesetzentwurf der CDU einsetzt. Erfreulich ist, daß das Wort Mitwirkung darin steht, daß also das Problem klar ist, daß eine sinnvolle Werktätigkeit, eine Beziehung des Arbeiters zur Arbeit wieder geschaffen werden muß. Völlig indiskutabel ist für uns die Vorstellung einer Schiedsstelle. Nach meinen Ausführungen von vorhin werden Sie wissen, daß nach unserer Ansicht über die Produktion nicht Unternehmer und Betriebsrat gemeinsam zu entscheiden haben, sondern die Befehle des Marktes auszuführen sind. Ich bitte Sie, sich doch einmal die Funktion einer Schiedsstelle vorzustellen. Da sitzt einer, der Richter oder Volkswirtschaftler oder ein irgendwie leidlich allgemein gebildeter Mann guten Willens ist. Dem legen Sie nun die Frage vor, ob das Unternehmen Fahrräder oder Schreibmaschinen produzieren soll.
Wer entscheidet denn derartige Dinge? Derartige Dinge entscheidet immer eine letzte Instanz, eine Instanz, die über Ihren Instanzen steht, nämlich der Mann, der bereit ist, den Plunder zu kaufen.
— Meine Damen und Herren, es ist gar keine schlechte Bemerkung gewesen, als jemand folgendes gesagt hat: Wenn dieses Mitbestimmungsrecht, bezogen auf grundlegende Änderungen des Betriebszweckes, in England vor 150 Jahren bestanden hätte, dann wäre wohl die Spinnmaschine in England heute noch nicht eingeführt.
Meine Damen und Herren, Sie wissen ja doch ganz genau, daß hinter dieser Mitbestimmung der Gewerkschaften die letzte politische Leidenschaft und keinerlei Respekt vor den Aufgaben des Augenblicks steht.
Verstehen Sie denn nicht, meine Damen und Herren: Wer heute noch von Klassenkampf redet, wer mit Streiks gegen den Staat, gegen die Gesetzgebung droht, ist der ein Mann der Vernunft oder ist er ein Mann, der angreift,
Macht haben will und um Macht kämpft?
Das wußte Herr Vizekanzler Bauer im Jahre 1919;
aber Sie haben die Wahrheiten vergessen.
Meine Damen und Herren, nun ein letztes Wort zum Entwurf der CDU. Da, wo die Schiedsstelle außerhalb arbeitsrechtlicher Beziehungen erwähnt
wird, kann sie von uns nicht respektiert werden. Ich muß aber zu dem Entwurf noch eines sagen. Da, wo es sich um soziale Mitbestimmung dreht, wären wir durchaus bereit anzuerkennen, daß nicht eine Mitbestimmung des Unternehmers mit den Arbeitnehmern Platz greifen oder die Funktionen gegenseitig geregelt werden sollten, sondern daß man ruhig an eine völlige Selbstverwaltung der Sozialfonds durch die Arbeiterschaft denken könnte.
Unsere Stellungnahme zum Entwurf der CDU wird sich nachher ergeben. Wir werden ja heute noch lange darüber reden, und es wird ja noch mancher sein Scherflein dazu beitragen. Mir ist bei der Beurteilung des Entwurfs der CDU eine kleine Geschichte von Hasek eingefallen, der den „Braven Soldaten Svejk" geschrieben hat. Von diesem gibt es eine Kurznovelle von einer böhmischen Magnatin. Diese erhielt den Besuch ihres Beichtvaters, und der schilderte ihr die große Not, in die ihr Schweinehirt geraten war; der war krank und nagte mit seinen sieben Kindern an dem obligaten Hungertuch. Da stürzte, zu Tränen gerührt, diese Dame an die Anrichte ihres Speisezimmers und drückte dem geistlichen Herrn eine Ananas in seine Soutane. Meine Herren, eine ergreifende Handlung, aber völlig unzweckmäßig!