Rede von
Walter
Freitag
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Mitbestimmungsrechts ist die Frage, die heute in aller Munde ist und die wohl am wenigsten verstanden wird. Mir scheint's, daß man für einen guten Zweck ein schlechtes Wort gewählt hat. Wir hätten als Deutsche nicht von einem Mitbestimmungsrecht reden sollen, sondern wir hätten von einer Demokratisierung der Wirtschaft reden sollen. Wir wären dann wahrscheinlich zu anderen Schlußfolgerungen gekommen. Demokratie ist doch der Grundsatz, den wir seit dem Jahre 1945 gelehrt bekamen und den wir auch befolgen wollen. Ich glaube, alle politischen Parteien führen doch den Begriff Demokratie nicht nur in ihrem Namen, sondern sie sind auch gewillt, nach den demokratischen Grundsätzen zu handeln und zu leben.
Wenn ich das zugrunde lege, dann glaube ich, daß man auch über die Frage, welche Stellung der arbeitende Mensch für die Zukunft einnehmen soll, zu anderen Schlußfolgerungen kommen muß.
Meine Damen und Herren! Es wird von Mitbestimmungsrecht geredet. Derjenige, der mitbestimmen muß und mitbestimmen soll, muß zunächst einmal die Möglichkeit haben, daß er über sich selbst entscheidet. Da werfe ich einmal die Frage auf, ob dieses Recht, über sich selbst zu entscheiden, dem deutschen Arbeiter heute gegeben ist. Sie werden mir wahrscheinlich sagen, ich übertreibe; und trotzdem sage ich, daß der Arbeiter in seinem Willen heute noch sehr stark eingeschränkt ist. Wir haben seit dem Jahre 1918 Bestimmungen, daß sich der Arbeiter gewerkschaftlich organisieren kann und daß diese gewerkschaftlichen Organisationen als die berufenen Vertreter der Arbeiterschaft anerkannt werden. So ist's niedergelegt. Ob's so gehandhabt wird, das ist eine andere Frage.
Wenn ich zu dem Ergebnis komme, daß der arbeitende Mensch nicht einmal über seine eigenen Einnahmen und die Verwendung der Einnahmen selbst verfügen kann, daß ihm darüber hinaus noch Vorschriften gemacht werden, dann will ich damit nur zeigen, wie wenig Verständnis man für das Wohl und das Tun der Arbeiterschaft hat. Wir haben etwas Ähnliches in der Sozialversicherung; in der Krankenversicherung werden die Beiträge zu zwei Dritteln von den Arbeitern aufgebracht und nur zu einem Teil von den Unternehmern. Trotzdem ist man der Auffassung, daß der Arbeiter noch nicht reif dafür ist, die eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten, sondern daß man dort auch den Unternehmer einschalten muß, daß der sich des Arbeiters annimmt, um die Dinge zu verwalten. — Es mag nicht hierhin gehören, und es mag einmal bei anderer Gelegenheit der Zeitpunkt gekommen sein, in dem über diese Frage zu sprechen ist. Ich führe es nur an, um damit zu beweisen, wie der Arbeiter auch heute noch eingeschätzt wird und wie man auch heute noch glaubt den Arbeiter behandeln zu müssen.
Die Frage des Mitbestimmungsrechts, um bei dem Wort zu bleiben, ist in der letzten Zeit bei uns in Deutschland sehr stark in den Vordergrund gerückt worden, auch dank der Tätigkeit der beiden Kirchen. Ich weiß nicht, ob die Gläubigen, die im vergangenen Sommer in Bochum versammelt waren, sich das Mitbestimmungsrecht so vorgestellt haben, wie es von Herrn Dr. Schröder hier vorgetragen wurde. Ich kann mir vorstellen, daß mancher einen anderen Begriff und ein anderes Wollen in sich trug. Meine Damen und Herren, worum dreht es sich denn? Es handelt sich um die eine Frage, ob der Arbeiter für die Zukunft als gleichberechtigter Mensch unter uns leben kann.
Wir haben politische Gleichheit, wir haben keine wirtschaftliche Gleichheit. Im wirtschaftlichen Leben hat man es bisher verstanden, dem Arbeiter zu sagen: Wirtschaft ist ein Gebiet, das so heilig ist, daß daran nicht gerührt werden darf; über Wirtschaftsfragen könnt ihr als Arbeiter nicht mitreden.
Wirtschaft war das ausgesuchte Gebiet für eine Reihe von Bevorzugten. Aus dem Grunde glaubte man, so Wirtschaft führen und treiben zu können und den Arbeiter von der Wirtschaft ausschließen zu können. Es werden ja heute eine ganze Reihe von Formulierungen gewählt, die sich gegen das Mitbestimmungsrecht wenden. In welche Darlegungen man da kommt, zeigt folgender Vorfall.
Es wird in einer Schrift, die den Arbeitern in den
einzelnen Betrieben in die Hände gedrückt wird,
auseinandergesetzt, daß dieses Verhältnis, wie
es bisher war — daß der Unternehmer in der
Wirtschaft bestimmt —, für die Zukunft bestehen
bleiben muß. Es wird auseinandergesetzt: Der
Unternehmer trägt ja auch das Risiko. — Man
will nicht verstehen, daß es im Wirtschaftsleben
zwei Gleichberechtigte gibt, auf der einen Seite
das Kapital und auf der anderen Seite die Arbeit.
Wenn beide gleichberechtigt die Wirtschaft leiten und führen könnten, dann, glaube ich, würde man zu vernünftigen Ergebnissen kommen. — Aber nein, jetzt setzt man 'dazwischen das Risiko. Das hat der Unternehmer zu tragen, und aus dem Grunde muß er der Beherrscher der Wirtschaft sein!
Bei dieser Frage kommen den Arbeitern eine ganze Reihe von Gedanken über das Tragen des Risikos, und zwar vor allen Dingen in einer Zeit, da wir in der Bundesrepublik so rund 2 Millionen, im Augenblick etwas mehr als 112 Millionen Arbeitslose haben. Da steigt die Frage auf, wer das Risiko trägt:
der Arbeiter, der Angestellte, der seine Arbeitsstelle verlassen muß in dem Augenblick, da die nötige Nachfrage nach Arbeit nicht mehr vorhanden ist! Aus idem Grunde zieht der Grund von dem Risikotragen nicht mehr.
Und dann, meine Herren, von den großen Wirtschaftskenntnissen — — - Was war das?
— Meine Damen und Herren, von Unsinn habe ich in der Wirtschaft manches erlebt. Ich will Ihnen etwas sagen: man sagt den Arbeitern: Von Wirtschaft versteht ihr nichts! — Soviel verstehen die Arbeiter von der Wirtschaft, daß sie sich nicht zu sogenannten Wirtschaftsführern gebrauchen lassen, auch nicht zu Wehrwirtschaftsführern, um derartige Dinge heraufzubeschwören, wie sie leider im nationalsozialistischen Deutschland heraufbeschworen worden sind.
Die Herren, die da bestreiten wollen, daß auch im Arbeiterlager wirtschaftliches Denken vorhanden ist, die sollten sich einmal an die Brust schlagen und überlegen, wie damals bei ihnen das wirtschaftliche Denken war. Der Arbeiter erhebt heute Anspruch darauf, daß er auch in der Wirtschaft mitentscheiden, daß er in der Wirtschaft mitreden kann, und zwar aus dem Grunde, weil er weiß, daß durch die Wirtschaft und ihre Führung sein Schicksal und das Schicksal seiner Familie bestimmt wird. Seine Existenz hängt davon ab, ob die Wirtschaft gut oder ob sie minder gut geleitet wird.
Er ist der Leidtragende dabei. Seine Frau und seine Kinder bezahlen für alle Fehler, die in der Wirtschaft gemacht werden. Man kann eine Wirtschaft als freie Wirtschaft bezeichnen, man kann sie mit allen möglichen Namen nennen: der Arbeiter steht heute den Dingen kritisch gegenüber. Wenn man ihn in wirtschaftlichen Fragen
nicht mitreden lassen will, dann ergibt sich daraus, daß er zunächst mißtrauisch wird, — und Mißtrauen ist eines der schlechtesten Kapitel, die wir im Staat und im Leben gebrauchen können.
Was man dagegen machen soll? Wir sind der Auffassung, daß man den Leuten sagt, was auf wirtschaftlichem Gebiet vor sich geht, daß man sich nicht abschließt, sondern daß man gemeinsam mit der Arbeiterschaft all die Fragen beredet und behandelt,
die mit wirtschaftlichen Dingen etwas zu tun haben.
- Wenn Sie sagen: „Aber nicht mit den Gewerkschaften", dann gehört das zu der interessantesten Auseinandersetzung, zu der wir heute wahrscheinlich noch kommen.
Meine Damen und Herren! Nicht die Gewerkschaften! - Ich habe Ihnen vorhin einleitend gesagt, daß der Mann, der ein Mitbestimmungsrecht haben soll, zunächst einmal über sich selbst entscheiden darf, was er tut, was er will und wie er seine Gedanken ausführen will. Der deutsche Arbeiter ist nuneinmal der Auffassung, daß es in seinem Interesse liegt und daß es für ihn notwendig ist, sich mit seinen Arbeitskameraden in einer gewerkschaftlichen Organisation zusammenzuschließen und daß diese gewerkschaftliche Organisation für ihn entscheiden soll.
Deshalb sind das sehr oberflächliche Darlegungen, wenn Sie sagen: der Arbeiter wohl, — aber nicht die Gewerkschaften! Meine Herren, der Strich, den Sie da zwischen Arbeiterschaft und Gewerkschaft ziehen wollen, ist nicht vorhanden.
Ich will Ihnen folgendes sagen.
— Sie wissen ja gar nicht, was ein Bruchteil der Arbeiter ist. Das Gros der Arbeiter steht hinter der deutschen Gewerkschaftsbewegung.
Noch etwas anderes dazu. Die Herren, die so in diesen Tönen über die Gewerkschaftsbewegung reden, mögen einmal fünf Jahre zurückdenken.
Es gab eine Zeit, da waren sie froh, daß es eine deutsche Gewerkschaftsbewegung gab;
wahrscheinlich waren es gerade die Herren, die diese abfälligen Bemerkungen über die Gewerkschaftsbewegung heute machen. Meine Damen und Herren! Es wird Ihnen nicht gelingen, eine Trennung zwischen den deutschen Arbeitern, der Angestelltenschaft und der Gewerkschaftsbewegung herbeizuführen.
Die deutschen Arbeiter haben erkannt, daß es eine Einheit gibt, daß diese Einheit aufrechterhalten wird und daß darum gekämpft wird, weil sie in schwerer Stunde geboren wurde. Aus dem Grunde gibt es keine Zersplitterung mehr, weder nach konfessionellen noch nach politischen Gesichtspunkten. Es gilt das einheitliche Bestreben, gemeinsam zu handeln und gemeinsam zu Entschließungen zu kommen. In dem Sinne wird die Arbeiterschaft tätig sein, und, meine Herren, damit müssen Sie sich abfinden, daß für die Zukunft bei allen Forderungen, wenn es um die Interessenvertretung ider Arbeiter und Angestellten geht, der Name Gewerkschaft genannt wird und nichts anderes!
Aus dem Grunde brauchen Sie sich nicht zur Wehr zu setzen und zu sagen: der Arbeiter wohl — nicht die Gewerkschaften. Ich will Ihnen etwas sagen: das ist der Standpunkt, der im Jahre 1914, im damaligen kaiserlichen Deutschland galt. Ich weiß, wie es damals war. Wenn in irgendeinem Betrieb Differenzen 'bestanden, dann war der Unternehmer so freundlich, auch den Gewerkschaftsangestellten zu holen und ihn zu ersuchen, doch zu vermitteln und Sorge zu tragen, daß diese Differenzen beigelegt wurden. Kam es zu einer Verständigung, und der Gewerkschaftsangestellte wollte das schwarz auf weiß zusammenfassen und ein Vertragsverhältnis abschließen, dann wurde ihm gesagt: Nein, mit meinen Arbeitern vereinbare ich alles, aber mit der Gewerkschaft vereinbare ich gar nichts.
Dieser Standpunkt wird heute noch vertreten.
Meine Damen und Herren, wenn nun gefragt wird und wenn Herr Dr. Schröder vorhin orakelte, wieso die Verhandlungen in Hattenheim später hier und zuletzt in Maria Laach gescheitert sind, dann will ich Ihnen den Grund dafür ganz offen sagen. Sie sind nicht gescheitert, weil uns in der einen oder anderen Frage nicht genug Entgegenkommen gezeigt wurde, sondern sie sind gescheitert an der einen Frage, daß man die deutschen Gewerkschaften als die berufenen Vertreter von Arbeitern und Angestellten nicht anerkennen will.
— Das stimmt nicht? Ich will Ihnen etwas sagen:
Ich habe an den Verhandlungen teilgenommen.