Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach demokratischen Prinzipien soll die Staatszugehörigkeit von Volksteilen und Gebieten nicht ohne Befragung der Bevölkerung geändert werden. Nach 1945 sind in Deutschland eine Reihe von Gebieten ohne solche Befragung in ihrer Staats- oder Landeszugehörigkeit verändert worden. Infolgedessen sieht das Grundgesetz in Art. 29 vor, daß Gelegenheit gegeben werden soll, nachträglich eine Befragung des Volkes stattfinden zu lassen, sofern aus der betroffenen Bevölkerung heraus ein hinreichend legitimierter Wunsch vorgebracht wird. Außerdem ist bezüglich des Südwestraums in Art. 118 eine Sonderregelung vorgeschrieben des Inhaltes, daß die dortigen derzeitigen Ländergrenzen durch Vereinbarung unter den beteiligten Landesregierungen geändert werden können oder gegebenenfalls auch durch ein Bundesgesetz, welches eine Volksbefragung vorsehen muß.
Das im September 1949 neu etablierte Bundesministerium des Innern hat diese aus den beiden Artikeln gegebene Aufgabe alsbald angefaßt. Wir befanden uns dabei aber in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite bestimmt Art. 29 des Grundgesetzes für die Durchführung dieser Volksbefragungen eine Frist bis zum 23. Mai 1950. Auf der anderen Seite steht dem ein Vorbehalt der Hohen Kommissare entgegen, der in Ziff. 5 des Genehmigungsschreibens vom 12. Mai vergangenen Jahres zum Grundgesetz enthalten ist. Dieser Vorbehalt der Alliierten lautet:
Ein vierter Vorbehalt bezieht sich auf Art. 29 und 118 und das allgemeine Problem der Neufestlegung der Ländergrenzen. Mit Ausnahme des Falles von Württemberg-Baden und Hohenzollern hat sich unser Standpunkt in dieser Frage, seitdem wir die Angelegenheit mit Ihnen am 2. März besprachen, nicht geändert. Wenn die Hohen Kommissare sich nicht einstimmig entschließen, diesen Standpunkt zu
revidieren, sollen die in den zwei genannten Artikeln dargelegten Befugnisse nicht ausgeübt werden, und die Grenzen aller Länder mit Ausnahme von Württemberg-Baden und Hohenzollern sollen bis zur Zeit des Friedensvertrages so bleiben, wie sie jetzt festgelegt sind.
Was bedeutet das alles? Eine Fülle von Fragen bricht hier auf, nämlich: Beharren die Hohen Kommissare heute auf diesem Vorbehalt oder kommen sie einstimmig dazu, den Weg der Rückgliederung oder von Neugliederungen freizugeben? Wenn sie auf dem Vorbehalt beharren, gilt er dann auch für bloße Volksbegehren, die ja sachlich noch nichts ändern? Wenn auch Volksbegehren unter den Vorbehalt fallen, was wird dann vollends aus der Frist des Art. 29, nämlich aus dem Termin vom 23. Mai 1950? Sodann: wenn der Vorbehalt auch den Südwestraum erfaßt, in welchem Sinne tut er es dann gegebenenfalls?
Alle diese Fragen standen von Anfang an bei der Bearbeitung vor uns. Infolgedessen mußte die Bearbeitung der Aufgabe in einem Doppelten bestehen, nämlich auf der einen Seite eine Gesetzesvorlage so zu fertigen, wie Sie sie jetzt in Händen haben, auf der anderen Seite aber in ständiger Fühlungnahme mit den Hohen Kommissaren klarzustellen, welche Bewandtnis es mit dem Vorbehalt hat. Die Vorlage war in meinem Hause recht früh fertiggestellt, jedenfalls früh genug, um bis zum 23. Mai 1950 alles termingemäß abwickeln zu können für den Fall, daß der Weg freigegeben sei. Aber die andere Seite der Sache, die Klärung der Bedeutung des Vorbehalts mit den Hohen Kommissaren, ist nicht recht vom Fleck gekommen. Vor etwa zwei Monaten war vorgesehen, daß eine gemischte Kommission von alliierten und deutschen Vertretern sich dieser Aufgabe widmen sollte. Diese gemischte Kommission ist aber nicht einberufen worden, sie ist nicht zustande gekommen. Infolgedessen haben wir uns vom Bundesinnenministerium aus mit Hilfe der Verbindungsstelle bemüht, an die Hohen Kommissare einige spezielle Fragen heranzubringen, und um deren Beantwortung mündlich und schriftlich wiederholt gebeten. Diese Fragen waren: Wird der Vorbehalt aufrechterhalten? Wenn ja, fällt unter den Vorbehalt auch schon ein bloßes Volksbegehren? Und endlich: wenn der Vorbehalt wirksam bleibt, wie kommen wir dann mit der Frist vom 23. Mai 1950 zurecht? Die Hohen Kommissare haben gestern erstmalig auf diese Fragen geantwortet, und zwar zunächst nur in einer telefonischen Mitteilung; die schriftliche Bestätigung soll in einigen Tagen in unseren Händen sein. Die telefonische Antwort lautet:
Die Frist des Art. 29 Abs. 2 läuft nicht, da das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure vom 12. Mai 1949 ihren Lauf nicht hat beginnen lassen. Diese Frist läuft erst, wenn er weggefallen ist.
Der andere Teil der Antwort, der sich auf Art. 118 bezieht, ist in folgender Weise durchgegeben worden:
Im Rahmen des Art. 118 ist eine Volksbefragung an sich zulässig. Entsprechende Anträge können an die Hohe Kommission gestellt werden.
Das ist das, was ich Ihnen als Meinung oder Standpunkt der Hohen Kommissare zu dieser Frage in diesem Augenblick sagen kann. Nach dieser zunächst nur telefonisch durchgegebenen Antwort können die einschlägigen Fragen noch nicht abschließend gewürdigt werden, es bleiben immer noch einige Unklarheiten. Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen, dennoch heute die erste Lesung dieser Gesetzesvorlage zu vollziehen und mit der Überweisung an den zuständigen Ausschuß abschließen zu lassen in der Erwartung, daß ich diesem Ausschuß dann alsbald die formulierte Antwort der Hohen Kommissare werde vorlegen können. Im Ausschuß kann dann geprüft werden, welche Folgerungen wir für die Vorlage als solche oder für ihren Inhalt zu ziehen haben werden.
Unter diesen Umständen möchte ich davon absehen, die Vorlage nun in ihren Einzelheiten zu erläutern. Die Vorlage ist Ihnen ja mit einer ausführlichen Begründung übermittelt worden. Darauf möchte ich mich im Augenblick beziehen und, wie gesagt, alles weitere der Ausschußberatung vorbehalten.