Meine Damen und Herren! Der heutige Bestand der Bundesrepublik Deutschland verdankt seine Beschaffenheit nicht organischem Wachstum; er verdankt sie auch keineswegs einer planmäßigen und zielhaften Gestaltung. Er verdankt vielmehr den jetzigen Zustand seiner inneren Gliederung dem Ausgang des Krieges auf der einen Seite, der Ziehung der Zonengrenzen auf der anderen Seite und Anordnungen der Militärregierungen. Den Urhebern des Grundgesetzes war es daher klar, daß der jetzige Zustand, der das Gegenteil einer organischen Gliederung darstellt, einer Berichtigung bedarf. Sie haben daher in dem Artikel 29 des Grundgesetzes den allgemeinen Weg und im Artikel 118 den speziellen Weg für den südwestdeutschen Raum eröffnet, um die Gliederung der Bundesrepublik Deutschland in eine organische Gliederung umzugestalten. Man hat dabei mit vollem Recht das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungskreise der beteiligten Landesteile zugrunde gelegt und hat diesen Bevölkerungskreisen die Möglichkeit gegeben, ihren Neugestaltungswillen durch Volksbegehren und Volksentscheid zum Ausdruck zu bringen.
Man ist nur in einer einzigen Bestimmung nicht im Einklang mit diesem Prinzip der Selbstbestimmung geblieben, und zwar in Abs. 4 des Art. 29, in dem es heißt, daß, wenn das Gesetz in einem Gebietsteil abgelehnt wird, es nach erneuter Verabschiedung im Bundestag der Annahme durch Volksentscheid im gesamten Bundesgebiet bedarf. Ich kann nicht verhehlen, daß wir in der Südwestecke Deutschlands ein gewisses Unbehagen verspüren würden, wenn wir uns vor die Notwendigkeit gestellt sehen würden, Neugliederungsfragen aus dem äußersten Norden Deutschlands, die Frage der Wiederherstellung Oldenburgs, die Frage des Gebietsaustausches zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz von uns aus zu entscheiden. Wir würden glauben, daß uns für diese Fragen die notwendige Sachkenntnis und die notwendige Informationsmöglichkeit abgehen, und finden es daher bedauerlich, daß diese letzte und endgültige Entscheidung nicht in erster Linie ausschließlich den betroffenen Gebietsteilen und ihrer Bevölkerung überlassen bleibt. Wir müssen aber das Grundgesetz so in Anwendung bringen, wie es geschaffen ist.
Nun haben die Erklärung des Herrn Bundesministers und die Mitteilung des Telefongesprächs mit der Hohen Kommission eine erfreuliche Klarheit über eine Frage geschaffen, über die Frage der Fristen. Nach Art. 29 muß ja der Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens innerhalb einer einjährigen Frist nach Inkrafttreten des Grundgesetzes gestellt werden. Das Neugliederungsgesetz, das uns vorliegt, bemüht sich, dieser Frist gerecht zu werden. Die Durchführung des Volksbegehrens soll bis zum 15. April 1950 beantragt werden, und die Eintragungsfrist für alle zugelassenen Volksbegehren soll am 14. Mai 1950 beginnen und am 23. Mai 1950 ablaufen. Diese enge zeitliche Begrenzung wäre nach unserer Auffassung mit großen technischen Schwierigkeiten verbunden. Es ist nun aber Klarheit darüber geschaffen worden, daß diese einjährige Frist bis heute nicht zu laufen begonnen hat. Ihre Laufzeit hat nicht begonnen, weil nach dem Vorbehalt der Hohen Kommission, der in dem Begleitschreiben zur Genehmigung des Grundgesetzes enthalten war, die Neugliederung Deutschlands mit Ausnahme des Südwestraumes bis zum Friedensvertrag zurückgestellt werden soll. Wir wissen daher nunmehr aus der authentischen Mitteilung der Hohen Kommission, die uns durch den Herrn Bundesinnenminister vermittelt wurde, daß eine Notwendigkeit zu einer besonderen Eile und vor allem zur Einhaltung dieser zu knapp bemessenen und technisch nicht einzuhaltenden Fristen nicht gegeben ist.
Ich glaube, daß wir diese Feststellung eigentlich in gewisser Hinsicht begrüßen sollten. Denn die Neugliederung Deutschlands, die ja kommen muß, muß mit Einsicht und Umsicht, mit sorgfältigen Erwägungen und nach genauen Vorbereitungen getroffen werden. Sie kann in dem kurzen Ablauf weniger gehasteter Tage nicht getroffen werden.
Wenn ich mir nun einige wenige Bemerkungen zu dem Inhalt des Neugliederungsgesetzes erlauben darf, so bezieht sich das zunächst einmal auf die Gestaltung des § 16. Es ist von verschiedenen Seiten bereits im Bundesrat der Wunsch geäußert worden, daß abstimmungsberechtigt nicht nur diejenigen Personen sein sollen, die am Tage der Abstimmung im Abstimmungsgebiet wahlberechtigt sind. Es ist vielmehr die Forderung erhoben worden, zur Abstimmung auch diejenigen Personen zuzulassen, die im Abstimmungsgebiet geboren sind oder die längere Jahre ihren Wohnsitz im Abstimmungsgebiet gehabt haben.
Diese Forderung entspricht einem Grundsatz, der auch bereits in den Bestimmungen des Versailler Vertrages für die dort vorgesehenen Abstimmungen, und zwar in Schleswig, in Ostpreußen, in Oberschlesien und im Saargebiet, niedergelegt worden war. Ich glaube, daß dieser Grundsatz ganz allgemein auch unserem Neugliederungsgesetz einverleibt werden sollte. Ich möchte Herrn Geheimrat Laforet nicht vorgreifen, der den speziellen Anwendungsfall dieses Grundsatzes uns nachher noch zu entwickeln beabsichtigt.
Es ist ein zweiter Wunsch geäußert worden, und zwar von seiten der Vertreter Hessens. Er geht dahin, eine Bestimmung einzufügen, nach der, soweit preußische Gebiete verschiedenen Ländern zugeteilt worden sind, diejenigen Teile einer preußischen Provinz einen besonderen Gebietsteil bilden, die dem gleichen Land eingegliedert oder mit einem gleichen neu gebildeten Land zusammengeschlossen worden sind. Dies bezieht sich speziell auf Kreise, die früher der Provinz Hessen-Nassau angehört haben. Der Bundesrat hat die Aufnahme dieser Bestimmung abgelehnt. Die Ausschüsse werden aber erneut zu prüfen haben, ob und inwieweit sich die Aufnahme dieser Bestimmung empfiehlt.
Schließlich ist noch eine letzte Bestimmung zu erwägen. Die Regierungsvorlage hat im § 26 vorgesehen, daß dieses Gesetz im Geltungsbereich des Art. 118 des Grundgesetzes keine Anwendung findet. Sie hat diesen Grundsatz damit begründet, daß für das Südwestgebiet Art. 118 des Grundgesetzes eine Sonderregelung getroffen hat, die die Anwendung des Gesetzes für dieses Gebiet ausschließt. Der Bundesrat hat diese Bestimmung gestrichen. Er hat zwar auch ausgesprochen, daß für die Länder des Südwestraums die Regelung des Art. 118 derjenigen des Art. 29 vorgeht. Er hat aber dann darauf Bezug genommen, daß möglicherweise dem Verfahren des Art. 118 seitens der Hohen Kommissare Bedenken entgegengestellt würden. Es soll daher diesen Ländern nicht die Möglichkeit verschlossen sein, auf dem Wege des Art. 29 nach dem Verfahren dieses Gesetzes auch im Südwestraum Volksbegehren und Volksentscheid herbeizuführen.
Die Meinungen über die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Aufrechterhaltung dieser Bestimmung sind auch in unserer Fraktion geteilt. Es wird vor allem von seiten der württembergischen Freunde die Streichung dieser Bestimmung gewünscht. Auf der anderen Seite aber besteht bei anderen Vertretern unserer Fraktion der Wunsch, daß gerade durch diese Bestimmung zum Ausdruck gebracht wird, daß die spezielle Regelung des Art. 118 für den Südwestraum der generellen Regelung des Art. 29 vorgeht. Es wird geltend gemacht, es sei nicht einzusehen, warum auf diese allgemeine Regelung zurückgegriffen werden soll, da Art. 118 die Möglichkeit gibt, auch im Falle des Scheiterns von Verhandlungen durch ein Bundesgesetz eine endgültige Regelung im südwestdeutschen Raum herbeizuführen. Es wird also Sache des Ausschusses sein, auch die Frage der Wiederherstellung des § 26 des Neugliederungsgesetzes zu prüfen und hierzu geeignete Vorschläge zu machen.
Wir beantragen, die Regierungsvorlage dem Neugliederungsausschuß zu überweisen, zugleich aber auch dem Rechtsausschuß. Die Vorlage enthält schwierige rechtliche Probleme, wie der Herr Minister auch eben betont hat. Die Mitarbeit des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht wird gerade bei dieser Vorlage nicht zu entbehren sein. Wir hoffen dabei aber zugleich, daß, wie immer auch die endgültige Formulierung dieses Gesetzes ausfallen mag, das festzulegende Verfahren ausgeübt wird im Geist einer echten Loyalität und in einer Form, die es ermöglicht, den wahren Willen der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Dann wird diese Neugliederung auch zu einer inneren Befriedung der Bundesrepublik beitragen.