Rede von
Dr.
Wilhelm
Hamacher
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DZP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DZP)
Meine Damen und Herren, wenn ich noch Bedenken gehabt hätte gegen die Selbständigkeit des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen, dann sind diese Bedenken durch die Rede des Herrn Fisch aber auch restlos beseitigt worden.
Gestatten Sie mir eine humorvolle Bemerkung: dieser Herr Fisch kam mir vor wie ein Hecht im Karpfenteich,
der nicht eher ruhig ist, bis er alles aufgefressen und verschlungen hat.
Von den Gedankengängen, die er nun hier vor uns entwickelt- hat - und es ist nicht zu leugnen: mit großer Meisterschaft und Propagandatechnik! —, möchte ich hoffen und wünschen, daß die Vertreter der Auslandspresse sie auch nach Amerika, nach England und nach Frankreich hinüberbringen und daß die öffentliche Meinung in Amerika, England und Frankreich sich etwas intensiver mit der Bedeutung Deutschlands für den Frieden in Europa, den Wiederaufbau der Wirtschaft in Europa und für den Frieden in der Welt interessiert.
Diese öffentliche Meinung zu beeinflussen, ist unsere Aufgabe. Das sind für uns die Waffen, die wir jetzt gebrauchen können und gebrauchen-
sen, nicht die Waffen des Krieges, sie sind schartig, sie sind vergiftet, und sie sind befleckt, sie sind
überholt. Aber wir Deutsche spüren doch, daß wir mit der Waffe des Rechts, der Wahrheit, der Propaganda, der Bearbeitung der öffentlichen Meinung und mit der richtigen Wertung und Ausnutzung
dieser Tribüne, die ja nicht nur eine deutsche Tribüne ist, sondern eine Tribüne für die Weltöffentlichkeit, die Möglichkeit haben, auf die öffentliche Meinung der Welt derart einzuwirken, daß man die Bedeutung Deutschlands für den Frieden der Welt und für den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft etwas stärker erkennt und uns stärker fördert, als das bisher der Fall gewesen ist. Es verstärkt sich doch in unserem Volk immer mehr die Überzeugung, und ausländische maßgebende Stimmen fördern gerade diese Überzeugung, daß es ohne Deutschland einen Wiederaufbau Europas nicht gibt. Freilich wissen wir auch, daß es ohne Europa einen Wiederaufbau Deutschlands nicht gibt.
Wenn ich noch einmal an die Rede des Herrn Fisch anknüpfen darf, dann mit dem Wort, daß, wer Berlin hat, Deutschland hat. Lenin hat den Satz geprägt: Wer Deutschland hat, hat Europa!
Wir haben erfahren, daß derjenige, der Berlin hat, Deutschland hat, und wer Berlin hat, der wird Europa haben. Darum ist gerade bei der Beratung des Haushalts des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen - und damit komme ich zum ersten Punkt meiner Ausführungen — idas Thema Berlin von entscheidender Bedeutung. Ich habe früher einmal darauf hinweisen dürfen, daß Berlin für uns zur Zeit eine dreifache Bedeutung hat:
1. Berlin als eigenständiger Organismus, der in den letzten vier Jahren soviel Heldentum des Leidens, des Duldens, des Hungern
und Standhaltens an den Tag gelegt hat, daß wir wirklich Respekt vor dieser Berliner Bevölkerung haben dürfen und ihr jede Hilfe zuteil werden lassen müssen, die wir gewähren können.
2. habe ich darauf hingewiesen, daß Berlin ein Vorort für den deutschen Osten ist und daß wir nicht daran denken können, den Osten wieder für uns zu gewinnen, wenn wir nicht Berlin so gesund und so stark machen, wie einst Magdeburg als Ausgangsposten für die Kolonisation ides deutschen Ostens gewesen ist.
3. habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß Berlin ein neuralgischer, wenn nicht der neuralgischste Punkt zwischen Ost und West ist. Das sagen uns ja die Stimmen des Auslands. das sagt uns das, was wir soeben auch von Herrn Fisch gehört haben. — Das mag zum Thema Berlin genügen.
Aber dieses Ministerium für gesamtdeutsche Fragen hat auch noch eine andere, nicht minder große Bedeutung. Es soll ein Ministerium für die Pflege der Grenzlandfragen sein. Hier darf ich Sie daran erinnern, daß das deutsche Volk in den vergangenen Jahrhunderten die bittere Erfahrung hat machen müssen, und wir durchleben sie jetzt, daß das Deutsche Reich und das deutsche Volk keine Grenzlandpflege betrieben haben. In dem Mangel an Grenzlandpflege und in der Verständnislosigkeit für die Bedeutung der Grenzen liegt die letzte Erklärung dafür, daß wir an allen deutschen Grenzen, vor allen Dingen aber im Westen, in den vergangenen Jahrhunderten ein Stück Land nach dem anderen, ein Stück Volkstum nach dem anderen
preisgeben mußten und verloren haben, obschon — und der Beweis hierfür ist von der Geschichte eindeutig zu erbringen — dieses Volkstum an den Grenzen treu zu Kaiser und Reich und zum deutschen Volkstum gestanden hat.
Aber es fehlte eben die starke Zentralgewalt, und es fehlte der Sinn für die Bedeutung der Grenzlandpflege. Wenn Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dann lassen Sie sich von der Gegenseite, nämlich unserem Nachbarn beeindrucken, von dem wir wissen, daß er seit vielen Jahrhunderten eine systematische, zielbewußte, offensive Grenzpolitik getrieben hat, mit dem Erfolg, den wir jetzt leider Gottes bei der Erörterung der Saarfrage wieder haben zur Kenntnis nehmen müssen.
Wenn nun die Geschichte der Grenzlandverluste in den vergangenen Jahrhunderten so bitter Zeugnis abgelegt hat, dann wollen wir uns jetzt, da wir arm und wehrlos sind — wehrlos in der Sprache des bisherigen Krieges, nicht wehrlos, indem wir an die öffentliche Meinung denken und an die Mittel, die ich kurz als Waffen eines armen Volkes bezeichnet habe —, darauf besinnen, daß wir Grenzlandpflege treiben müssen. Deshalb halte ich das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen für unbedingt notwendig und möchte Sie bitten, Ihre Stimme für die Beibehaltung und Förderung dieses Ministeriums zu geben.