Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Krone hat von den gemeinsamen Auffassungen gesprochen, die sicherlich für einen sehr großen Teil des Hauses mit Recht festgestellt werden können, wenn es sich um das Bemühen um die Durchsetzung der gesamtdeutschen Aufgabe der Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit handelt. Was die Stellungnahme meiner politischen Freunde angeht, so ist sie niemals, auch nicht bei der Haltung gegenüber dem jetzt zur Debatte stehenden Sonderministerium. dadurch gekennzeichnet gewesen, daß wir uns über zu große gesamtdeutsche Aktivität der gegenwärtigen Bundesregierung beschwert hätten. Davon kann keine Rede sein. Es gibt sehr viele, sicherlich nicht nur im Hause, sondern auch draußen im Volk und nicht zuletzt in Berlin, woher ich komme, die der Meinung sind, daß die konkreten Vorschläge, die die Bundesregierung zur Frage der Wahl zu einer Nationalversammlung unterbreitet hat, schon viel früher hätten unterbreitet werden sollen.
In diesem Zusammenhang erlauben Sie mir aber auch ein Wort an die Adresse des Herrn Fisch. Er hat die Dinge etwas leicht abtun wollen mit der Bemerkung, diese Nationalversammlung, die die Bundesregierung vorgeschlagen habe — zweifellos in Übereinstimmung mit dem Wunsche des überwiegenden Teiles unseres Volkes —, solle nur eine einzige Aufgabe haben, die nämlich, sich mit der Ausarbeitung einer gesamtdeutschen Verfassung zu befassen. Herr Fisch, noch vor wenigen Tagen hat die „Tägliche Rundschau" — ich sage das darum und machte Sie schon vorhin durch einen Zwischenruf darauf aufmerksam, weil ich Sie nicht der Gefahr aussetzen möchte, daß Sie sich einer neuen Abweichung schuldig machen, ohne daß Sie es wissen —
darauf hingewiesen, daß gesamtdeutsche Wahlen deswegen nicht möglich seien, weil man erst eine Verfassung haben müßte; erst wenn man die habe, könne man wählen. Jetzt wird Ihnen vorgeschlagen, daß man erst durch die Nationalversammlung die Verfassung schaffen wolle, auf Grund deren dann die Abgeordneten in ganz Deutschland zum ersten deutschen Parlament zusammentreten sollen.
Nun, eines ist, glaube ich, klar, und das kann auch nicht verwirrt werden durch die Ausführungen eines Vertreters der Kommunistischen Partei: Man mag zu diesen Wahlen heute von seiten der temporären Machthaber der Ostzone nein sagen, auf die Dauer wird sich die elementare und außerdem durch internationale Abkommen verbriefte Forderung durchsetzen!
— Warten Sie mal einen Augenblick, wir werden uns gleich noch weiter unterhalten!
Die gesamtdeutschen Aufgaben, mit denen sich nach Auffassung der Vertreter der Mehrheitsparteien ein besonderes Ministerium befassen sollte, sind unserer Meinung nach Aufgaben der Regierung als Gesamtheit. Sie sollten auch — auch das möchte ich im Zusammenhang mit dem Vorschlag für gesamtdeutsche Wahlen gesagt haben — von seiten der Regierung in noch stärkerem Maße zu einer Angelegenheit gemacht werden, bei deren Lösung das Parlament als Vertretung des Volkes dauernd beteiligt ist. Bei den Einwänden, die meine politischen Freunde erhoben haben, handelt es sich nicht um solche in bezug auf die Notwendigkeit dieser hier auch vom Kollegen Dr. Krone herausgestellten Aufgaben. Es handelt sich hier um eine Organisationsfrage, wie zu einem früheren Zeitpunkt schon vom Vorsitzenden unserer Fraktion zum Ausdruck gebracht worden ist. Ich glaube, man kann diesen Standpunkt, es solle eine eindeutige gesamtdeutsche Politik betrieben werden, sehr wohl von der Frage des Aufbaues einer Regierung und der Schaffung eines Sonderministeriums trennen. Ich glaube, daß diese Auffassung in Berlin durchaus verstanden wird.
Ich habe mich zum Wort gemeldet nicht zuletzt deswegen, meine Damen und Herren, weil während dieser Debatte und nachdem mein Freund Mellies über die Frage der Bundesbehörden und über ihre Verlegung nach Berlin gesprochen hatte, bekannt wurde, daß auf einer Pressekonferenz Mitteilungen über gewisse Beschlüsse gemacht worden sind, die das Kabinett heute vormittag in dieser Angelegenheit gefaßt haben soll. Ich möchte daher die Gelegenheit benutzen, die Frage hier anzuschneiden, in der Hoffnung, daß der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen selbst noch Gelegenheit nimmt, dem Hause darüber Aufklärung zu geben.
Nach dem, was hier aus der Pressekonferenz bekannt wird, soll sich das Kabinett darauf geeinigt haben, daß zunächst das Bundesverwaltungsgericht nach Berlin verlegt werden soll und, wenn ich es recht verstanden habe, auch ein Senat des Obergerichts. So wichtig der prinzipielle Ansatz gerade in der Frage des Bundesverwaltungsgerichts ist, so sehr muß ich doch betonen, meine Damen und Herren: wenn Sie das mit den Vorstellungen ver-
gleichen, von denen aus diese Verlegung von Bundesbehörden bei verschiedenen Gelegenheiten hier im Hause besprochen worden ist, dann werden Sie zugeben, daß diese Mitteilung vom Hause nicht anders als ein Zwischenbescheid und ein noch nicht einmal sehr befriedigender Zwischenbescheid betrachtet werden kann. Es kann sich nur um einen Ansatz handeln, dann nämlich, wenn man in Berlin mehr sieht als nur ein Symbol. Ich glaube, man sollte auch mehr darin sehen als nur einen Vorposten. Man sollte in ihm einen Angelpunkt des gesamtdeutschen Geschehens sehen.
Da komme ich noch einmal auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Fisch zurück.
Herr Kollege Fisch hat sich hier lang und breit darüber ereifert, daß eine gesamtdeutsche Einstellung und Politik auf Spionagetätigkeit in dem Gebiet hinauslaufen könnte, das er die Deutsche Demokratische Republik nennt.
— Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Herr Kollege Renner. Ist derjenige ein Spion, der versucht, sich über das, was in seinem eigenen Lande vorgeht, Aufklärung zu verschaffen, oder ist derjenige ein nichtswürdiger Agent, der entgegen dem Willen der Bevölkerung seines Landes die Interessen einer fremden Unterdrückermacht wahrnimmt?
sondern ich habe davon gesprochen, Herr Kollege Fisch — wenn ich das noch hinzufügen darf —, daß es, wenn man es ernst meint mit der deutschen Zukunft und mit einer deutschen Zukunft in Freiheit, eine nationale und demokratische Pflicht zum Widerstand gibt.
Diese nationale und demokratische Pflicht zum Widerstand bejaht meine Partei.
Die Aufgabe, die Berlin im Zusammenhang mit der Bundesrepublik zu erfüllen hat, jenes Berlin, in das wir in stärkerem Maße Bundesbehörden verlegt sehen möchten, diese Aufgabe Berlins — ja, schreiben Sie es sich auf! — besteht unter anderem darin, die Stabilisierung einer sowjetischen Ordnung in der Sowjetzone so sehr wie möglich zu erschweren und damit Wege für eine Wiedervereinigung des deutschen Westens und Ostens offenzuhalten.
Zum Schluß, meine Damen und Herren, darf ich eines sagen: Zu den gesamtdeutschen Aufgaben, die Sache des Kabinetts, die Sache vor allen Dingen aber auch dieses Hauses sein müssen und die nicht gebunden sein können an eine unserer Meinung nach wenig geglückte Konstruktion eines
Sonderministeriums, würde auch gehören, daß von berufener Seite der Bundesregierung langsam etwas deutlichere Worte gefunden werden gegenüber manchen oberbürgermeisterlichen, parteipolitischen und manchmal vielleicht auch kirchenpolitischen Naivlingen und auch gegenüber jenen gewissenlosen Geschäftemachern, mit denen sich Herr Fisch heute morgen von der Tribüne dieses Hauses aus verbündet hat,
jenen Geschäftemachern oder besser jener Gruppe von Geschäftemachern, die sich in Leipzig vor 14 Tagen nicht servil genug benehmen konnten und die in der Leipziger Straße in Berlin Schlange stehen, während das Volk in der Ostzone geknechtet und geschunden wird.
Meine Damen und Herren, ich habe es, glaube ich, nicht nötig, noch im einzelnen Ausführungen über diese geradezu phantastische Behauptung zu machen, daß wir es bei der Ostzone mit einem souveränen Staat zu tun hätten. Die Bevölkerung in Berlin und überall weiß, daß das nicht so ist. Aber wenn Sie die Probe aufs Exempel machen wollen,
mit Hilfe von Methoden, die nur mit denen des Naziregimes verglichen werden können, jenes, worauf unser Volk in ganz Deutschland und in Berlin einen Anspruch hat, jenes primitive Recht nämlich, über sein eigenes Schicksal zu bestimmen und auch das, was widernatürlich zerrissen worden ist, durch eigene Bestimmung freiheitlich wieder zusammenzufügen.