Rede von
Dr.
Carl
von
Campe
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte hier nur zu einem Punkt, nämlich zu unserem Zusatzantrag Drucksache Nr. 765 sprechen. Ich darf die Damen und Herren zunächst bitten, einen kleinen Fehler zu berichtigen, nämlich unter Ziffer 1 unserer Drucksache heißt es bei dem Tit. 7, der neu eingefügt werden soll: „Beihilfen an verdrängte Beamte etc.". Ich bitte, das Wort „verdrängte" durch „vertriebene" zu ersetzen, da der Herr Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen in seinen Etat nur Mittel für die vertriebenen Beamten aufnehmen kann. — Ich bitte, diesen Fehler zu entschuldigen.
1834 Deutscher Bundestag i. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. März 1950
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesminister für die Angelegenheiten der Vertriebenen hat zugesagt, daß er sich der in wirtschaftliche Not geratenen vertriebenen Beamten, Pensionäre, Angestellten und Arbeiter des Reiches, der Länder und der anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften sowie der Beamten der aufgelösten Behörden im Bundesgebiet jetzt mit besonderer Fürsorge annehmen wird. Wir begrüßen diesen Entschluß des Herrn Bundesministers, und, um ihn in den Stand zu setzen, diesen Entschluß jetzt sofort in die Tat umzusetzen zu können, haben wir unseren Antrag gestellt.
Wir freuen uns insbesondere, daß der Herr Bundesminister der Finanzen unserer Bitte, jetzt sofort 1 Million DM für diesen Etat zur Verfügung zu stellen, ohne Zaudern entsprochen hat. Wir möchten dem Herrn Bundesminister der Finanzen für diesen schnellen Entschluß unseren ganz besonderen Dank aussprechen und zugleich der Hoffnung Ausdruck geben, daß es mit Hilfe der weiteren Mittel, die der Herr Bundesfinanzminister für den kommenden Etat zugesagt hat, auf Grund 'der in der letzten Woche gepflogenen Verhandlungen mit Kollegen aus dem Hause recht bald gelingen wird, die Not der vertriebenen Beamten und Pensionäre erheblich zu lindern.
Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat allerhöchste Zeit, daß das Problem der vertriebenen Beamten und Pensionäre nunmehr energisch angepackt wird; denn seit Kriegsende sind hier Verhältnisse eingerissen, die im Laufe der letzten fünf Jahre zu einem wahren Chaos geführt haben und die das Vertrauen in die Rechtssicherheit dieses jungen Staates auf das schwerste l erschüttern können. — Da Sie alle mit den Verhältnissen im, einzelnen vertraut sind, möchte ich hier weiter keine Ausführungen über die Einzelheiten machen. Ich darf aber in Ihre Erinnerung zurückrufen, daß in den vergangenen Jahren von den verschiedensten Seiten wiederholt vergebliche Versuche gemacht worden sind, diesem Problem zu Leibe zu gehen. Ich erinnere nur an die geradezu verzweifelten Bemühungen des Wirtschaftsrats, sich bei den Hohen Kommissaren die Zuständigkeit für dieses Gebiet zu erkämpfen, Bemühungen, die leider trotz der Anstrengungen aller Parteien erfolglos geblieben sind. Es haben sich dann die Länder der Angelegenheit angenommen und in etwa Abhilfe geschaffen. Aber die landesrechtlichen Regelungen sind sowohl hinsichtlich der Höhe der Zuwendungen als auch hinsichtlich der Voraussetzungen, von denen diese abhängen, so unterschiedlich, 'daß von einer einigermaßen gleichen und gerechten Behandlung der vertriebenen und der verdrängten Beamten und Pensionäre in keiner Weise gesprochen werden kann. Während die reichen und steuerkräftigen Länder Pensionen und Unterstützungen zahlen, die vielfach bis an die Höhe der eigentlichen gesetzlichen Pensionen herangehen, müssen sich die Betroffenen in den steuerarmen Ländern damit begnügen, um elende, kleine Beihilfen zu betteln, die vielfach an den Nachweis der Bedürftigkeit gebunden sind und oft kaum über die Beträge der öffentlichen Fürsorge hinausgehen. Ja, es gibt heute viele Beamte und Pensionäre, die überhaupt noch keinen Pfennig beziehen. Diese Ihnen allen bekannten Verhältnisse sind nachgerade wirklich unerträglich geworden. Sie haben zu einer totalen Rechtsunsicherheit und, wie ich schon sagte, zu einer Gefahr für die Demokratie geführt. Es erscheint uns daher an der Zeit, die ganze Angelegenheit aus der Sphäre — verzeihen Sie — der Phantasie und des egoistischen Streites herauszuheben und den Versuch zu einer realpolitischen Lösung zu machen, die für alle Beteiligten annehmbar ist. Der Augenblick für diesen Versuch scheint mir deshalb gegeben, weil am 1. April die Zuständigkeit in diesen Dingen von den Ländern auf den Bund übergeht. Bis es aber zu einem Bundesgesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes kommen kann, werden ohne Zweifel noch Wochen, vielleicht zwei Monate vergehen.
Daher ist eine Zwischenlösung notwendig. Wir haben diese Lösung mit in unsere Entschließung aufgenommen und auch hier konkrete Vorschläge gemacht. Wir halten es aber für erforderlich, daß der Bundestag, der bereits im Dezember grundsätzlich seinen Willen zu einer endgültigen gesetzlichen Regelung bekundet hat, heute schon zu dem materiellen Inhalt einer solchen Regelung in etwa Stellung nimmt. Wir schagen Ihnen daher vor, dieser Willensäußerung des Bundestags die Form einer Entschließung zu geben, in der die Grundzüge, die Leitgedanken für das kommende endgültige Gesetz bereits aufgezeigt sind.
Zu den Einzelheiten unseres Antrags darf ich folgendes bemerken. Sie sehen unter Ziffer 2 I die von uns vorgeschlagenen vorläufigen Maßnahmen. Sie bestehen einmal darin, daß die Bundesregierung bis zum Inkrafttreten des vorgesehenen Bundesgesetzes die Länder veranlaßt, die Zahlungen an den genannten Personenkreis in der bisherigen Höhe auf Rechnung des Bundes weiter zu leisten. Als weitere vorläufige Maßnahme schlagen wir vor:
Die Bundesregierung wolle die Regierungen der Länder ermächtigen, in besonders dringlich gelagerten Fällen — Härtefällen — kurzfristige Zuwendungen an vertriebene oder verdrängte Pensionäre oder an noch nicht wieder verwendete Beamte zu Lasten des Bundes vorzunehmen.
Mit dieser Maßnahme hat sich, soweit uns bekannt ist, das Bundeskabinett bereits einverstanden erklärt, und der Herr Bundesminister der Finanzen hat uns, wie ich oben schon kurz ausgeführt habe, zugesagt, insgesamt einen Betrag von etwa 20 Millionen DM für den nächstjährigen Haushalt zur Verfügung zu stellen. Aus dieser Summe soll die in dem ersten Teil unseres Antrags unter Kap. E 11 Tit. 7 ausgeworfene 1 Million DM genommen werden.
Unter Ziffer II unseres Antrags finden Sie dann die Leitgedanken für die uns vorschwebende endgültige Regelung. Sie finden hier im einzelnen unter Buchstabe a die Anerkennung des Rechts auf Versorgungsbezüge. Wir haben das wie folgt formuliert:
Den vertriebenen und verdrängten Pensionären und den noch nicht wieder verwendeten Beamten, Angestellten und Arbeitern des
ehemaligen Reiches usw. sind im Rahmen der
finanziellen Möglichkeiten des Bundes und
nach einheitlichen Grundsätzen Versorgungsbezüge zu gewähren. Diese haben in gerechtem Verhältnis zu den Bezügen der einheimischen Beamten, Angestellten und Arbeiter des ehemaligen Reiches usw. zu stehen.
Unter Buchstabe b folgt dann das Recht der Beamten auf Wiederbeschäftigung, dem die Ver-
pflichtung des Bundes, der Länder und Gemeinden usw. auf die Wiedereinstellung eines bestimmten Prozentsatzes der vertriebenen und verdrängten Beamten gegenübersteht. Ich brauche Buchstaben b vielleicht nicht mehr zu verlesen. In Buchstabe c ist dann für die Gewährung angemessener Übergangsbezüge gesorgt, um die Zeit bis zur endgültigen Unterbringung dienstfähiger Beamter bzw. bis zur endgültigen Pensionierung zu überbrücken.
Um der Finanzlage des Bundes Rechnung zu tragen, haben wir unter Buchstabe d vorgeschlagen, daß in Zukunft Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit auf die Übergangsbezüge bzw. die Pensionen anzurechnen sind. Auch über diesen Punkt dürften kaum Meinungsverschiedenheiten bestehen; denn wir kehren damit lediglich zu dem Rechtszustand zurück, wie er im alten deutschen Beamtenrecht festgelegt war.
Unter Buchstabe e haben wir einen weiteren Vorschlag zu Einsparungen gemacht, indem wir grundsätzlich festlegen, daß Beförderungen nach 1933, insbesondere in den Kriegsjahren, nur unter Zugrundelegung eines strengen Maßstabs, und wenn sie sachlich berechtigt erscheinen, anzuerkennen sind. Auch eine solche Überprüfung der in den Kriegsjahren vorgenommenen Beförderungen erscheint uns durchaus gerechtfertigt. Die Notlage des Krieges hat es mit sich gebracht, daß zahlreiche Beamte ganz kurzfristig mehrere Beförderungen hintereinander erfahren haben. Auf Grund einer Knappheit an guten Beamten entstand diese zum Teil sehr schnelle und ungerechtfertigte Steigerung der Bezüge. Es erscheint mir auch gegenüber denjenigen Beamten, die in der Zeit des Naziregimes zurückgestellt wurden, nicht mehr als recht und billig, daß diese überschnellen Beförderungen bei der Berechnung der Pensionen und Bezüge ihre Korrektur erfahren.
Im letzten Punkt unseres Antrags schlagen wir Ihnen schließlich vor, die berufsmäßigen Angehörigen der ehemaligen Wehrmacht und deren Hinterbliebene gleichzustehen. Auch über diesen Punkt und seine Berechtigung dürfte bei ruhiger und sachlicher Überlegung kaum ein Zweifel bestehen.
Zusammenfassend und abschließend möchte ich folgendes sagen: Wir sind bei unseren Vorschlägen von dem Ziel ausgegangen, das ich schon oben kurz andeutete, das ganze Problem der Rechtsstellung und der Versorgung der vertriebenen Beamten und Pensionäre aus der Sphäre der Erörterung und der übertriebenen Forderung und Hoffnung herauszureißen und es einmal auf den Boden der sachlichen Realitäten zu stellen, um endlich vorwärtszukommen. Denn wir wollen endlich mit praktischer Arbeit anfangen. Dabei müssen wir von allen Seiten Konzessionen machen. Denn wir haben den Krieg verloren, und wir befinden uns vergleichsweise etwa in der Stellung eines Kaufmanns, der vor dem Konkurs steht. Da hilft nichts anderes, da muß man sich zunächst einen Überblick über die noch vorhandenen Aktiven und dann über die Forderungen beschaffen und dann die beiden Positionen einander gegenüberstellen, um eine gerechte Quote für alle Konkursgläubiger festsetzen zu können. Diesen Überlegungen entspricht die vorgeschlagene Entschließung. Ich glaube, daß von keiner Seite des Hauses gegen ihre Hauptgedanken grundsätzliche Einwendungen erhoben werden können. Kleine Bedenken, die etwa gegen die eine oder andere Formulierung hie und da auftauchen könnten, bitte ich aufrichtigst zurückzustellen. Denn ich halte es für unbedingt erforderlich, daß dieses Hohe Haus schon heute aus Anlaß der ersten etatsmäßigen Mittel, die für diesen Zweck bewilligt werden, seinen Willen auch über die materielle Regelung kundtut. Ich bitte daher aufrichtigst alle Kollegen — nicht nur der Koalitionsparteien, sondern aller Parteien —, unsern beiden Anträgen zuzustimmen.