Rede von
Dr.
Bernhard
Reismann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FU)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, daß sich die Diskussion im Eifer für oder gegen den Richterstand von dem eigentlichen Thema der Erörterung, nämlich von der Debatte um den Etat, reichlich weit entfernt hat. Es sind die Vergangenheit und große Ideen von Leuten beschworen worden, die reformierend auf dem Gebiete des öffentlichen und privaten Rechts tätig gewesen sind. Wir sollten uns nach meiner Meinung mehr Gedanken darüber machen, wie wir für die Zukunft den Richterstand so ausgestalten und so einrichten und so erziehen und geistig führen können, daß er in größerer Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der gegenwärtigen Zeit und in größerer Übereinstimmung mit der Stimmung der Bevölkerung ist, als das gegenwärtig der Fall ist. Dabei spreche ich nicht bloß von dem Richterstand. Alle, die sich bisher mit der Justiz befaßt haben, scheinen zu vergessen, daß es darüber hinaus noch andere juristische Berufe gibt, mit denen wir uns hier auch intensiv zu befassen haben, nämlich vorzüglich mit den Staatsanwälten.
Wenn man sich die Tätigkeit dieser weisungsgebundenen 'Staatsanwälte zur Zeit einmal etwas näher ansieht, von denen ungefähr alle im Amt geblieben sind, die es während der Nazizeit auch waren, dann ist es gar nicht verwunderlich, daß der Stein, der von ihnen ins Rollen gebracht wird, in einem Sinne läuft, wie er keineswegs dem Chef dieser Verwaltung und der öffentlichen Meinung heute entspricht. Es ist eine auffällige Erscheinung, daß seit 1945 eine reichlich große Zahl von Strafverfahren gegen solche Leute in Gang gebracht wird, von denen man glaubt, daß sie sich in irgendeinem Sinne vergangen haben. Aber gerade mit besonderem Eifer werden diese Vorwürfe herausgesucht, wenn es sich um solche handelt, die irgendwie gegen den Nationalsozialismus aufgetreten sind. Ich habe es selbst wiederholt erlebt, daß man gerade mit f r ü h e r en Nazis mit großer Nachsicht verfährt. Wenn der gleiche, wenn ein schwerwiegender Verdacht ihnen gegenüber auftaucht, so neigen die Staatsanwaltschaften viel eher dazu, das Verfahren als belanglos und nebensächlich einzustellen, als wenn ein Nazi schwört und sich das Verfahren gegen einen Antinazi richtet. Woher kommt z. B. die in ganz Deutschland notorisch bekannte Welle von Einschüchterungen gegenüber der Entnazifizierung und gegenüber Belastungszeugen, die gegen die Nazis aussagen sollen. Es kommt doch lediglich daher, daß sich die Staatsanwaltschaften bereit gefunden haben, Anklagen
zu erheben und zum mindesten die Untersuchungen, soweit es nur möglich ist, in den Fällen
voranzutreiben, wo sich Belastungszeugen — es
war wirklich schwer genug, überhaupt welche
aufzutreiben - bereit fanden, über Vergehen,
Verbrechen und politische Schand- und Übeltaten von früheren Nazis überhaupt auszusagen.
Es gehört inzwischen Mut dazu, noch etwas gegen Nazis auszusagen. Denn wenn Sie sich heute etwa unterstehen sollten, gegenüber einem früheren sogenannten Ortsgruppen- oder Kreisleiter noch zu bekunden, er habe in der Kristallnacht dies oder das getan oder er habe diesen oder jenen angezeigt, dann müssen Sie damit rechnen, daß dieser Mann aus der „Verschworenen Gemeinschaft", wie Adolf Hitler seinen Klub nannte, einen, einen zweiten oder dritten aufbringt, der sich bereit erklärt, als Zeuge auszusagen, das wäre alles nicht wahr, was die Belastungszeugen gesagt haben. Dann gibt es mit tödlicher Sicherheit gegen sie ein Meineidsverfahren, noch bevor die anderen geschworen haben. Ich habe sowohl als früherer Vorsitzender des Justizausschusses im Lande Nordrhein-Westfalen wie auch als Anwalt gerade auf diesem Gebiet reichlich Erfahrungen gemacht. Kritik in dieser Hinsicht ist durchaus angebracht. Gerade vor diesem Forum muß es einmal gesagt werden, daß nicht bloß heute von richterlicher Unabhängigkeit die Rede sein darf, sondern daß auch in der Nazizeit die Rede davon gewesen sein sollte. Dieselben Richter, die sich heute auf ihre Unabhängigkeit berufen, haben damals allzu oft vergessen, daß sie die Unabhängigkeit auch in Anspruch nehmen konnten. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Richter, vor dem NaziReferendare ihre Verachtung zum Ausdruck brachten, weil er am Tase nach dem 30. Juni sich mit ihnen über die Mörderei des Adolf Hitler unterhalten hatte, im nächsten Augenblick aber einen Haftbefehl unterschrieb, als ihm ein Mann vorgeführt wurde, der dasselbe gesagt hatte.
Es ist mir immer wieder unangenehm aufgefallen, daß in Erwiderung auf ungerechtfertigte Angriffe gegen den Stand der Juristen eine noch ungerechtfertigtere Verteidigung gekommen ist. Dagegen wehre ich mich. Ich will keineswegs verkennen, daß sich die große Zahl der Juristen wie auch der Verwaltungsbeamten — sagen wir einmal — so durchgeschlängelt hat, um schlecht und recht in der Nazizeit ihre Pflicht zu tun. Aber man soll die Dinge nun nicht so hinstellen,
a) als hätte es in der Nazizeit nur gute Richter und nicht auch böse Staatsanwälte gegeben, und
b) als wäre alles, was damals geschehen ist, in Ordnung. Denn wovon sind schließlich die regulären Gefängnisse mit politischen „Verbrechern und Vergehern" gefüllt worden? Das waren doch Resultate der ordentlichen Justiz.
Aber gestatten Sie mir auch, auf die Gegenwart jetzt noch in anderer Hinsicht, als es bisher geschehen ist _einen Blick zu werfen. Es fällt doch schließlich dem ganzen Haus auf, daß nach und nach alle prominenten Vertreter der bayerischen Nicht-Regierungsparteien in Immunitätssachen vor das Forum dieses Hohen Hauses kommen. Das kann doch nicht nur daran liegen, daß sich die Kriminellen bloß bei der Opposition in Bayern befinden. Ich kann mich des Gedankens
nicht erwehren, daß es der richterlichen Unabhängigkeit nicht ganz entspricht, wenn hier bloß Immunitätsanträge a) aus Bayern und b) gegen Abgeordnete der Nicht-Regierungsparteien vorgetragen werden.
Es scheint mir aber auch noch einer weiteren Erwähnung wert, daß man den richterlichen Stand hier übermäßig betont. Wir müssen dabei folgendes unterscheiden: den Richterstand, wie er ist, und den Richterstand, wie er sein sollte. Wir haben zur Zeit einen Richterstand, der der Zahl nach viel zu groß ist, als daß er von der Qualität sein könnte, wie er in der Idealvorstellung der deutschen Menschen lebt. Die Folge davon ist, daß die große Mehrzahl der Mitglieder dieses Standes durchaus mittelmäßig ist und sogar mit subalternen Arbeiten beschäftigt wird, so daß diese Richter im Drange der täglichen kleinlichen Geschäfte den Blick für das Große verlieren. Von ,dem überlasteten Richter, von dem Richter, der mit Kleinkram zugepackt wird, können Sie nicht erwarten, daß er sich in den großen und entscheidenden Fragen so einstellt, wie Sie es von einem souveränen Richterkönig erwarten sollten, und wenn Sie dieses souveräne Richterkönigtum gerade auf solche Leute übertragen, dann kann das nichts als eine große Verstimmung, eine große Enttäuschung zur Folge haben. Wir bedürften deswegen - und das ist mein Appell an den Herrn Justizminister — einer Justizreform, die den Spruchrichter von dem verwaltenden Richter unterscheidet, die die freiwillige Gerichtsbarkeit deutlich von der Spruchtätigkeit der Gerichte absetzt, die aber auch die Sachverteilung so vornimmt, daß eine Überlastung
der einzelnen Richter nicht mehr stattfindet. Es ist außerdem erforderlich, daß namentlich bei den Strafgerichten die Beteiligung des Laienelementes in einer ganz anderen und viel intensiveren Art und Weise wieder eingeführt wird, als das zur Zeit der Fall ist. Jetzt kommen die Bagatellen an das Schöffengericht. Die mittleren Sachen, und zwar solche von erheblicher Bedeutung, werden fernab von jeder Beteiligung des Volkes vor den Strafkammern erledigt, und zwar in einer trockenen, behördenmäßigen Art und Weise, die aber auch alles zu wünschen übrig läßt.
Und was für Richter sitzen dort? Es ist eben mit Recht gesagt worden, daß 90 % der Richter dieselben sind, die sich in der Nazizeit nicht auf ihre richterliche Unabhängigkeit berufen haben. Aber mit welcher Befangenheit stehen sie heute diesen Fragen der gegenwärtigen Zeit gegenüber? Ich kann Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung ein Beispiel zeigen. Es klagte eine Persönlichkeit, die im öffentlichen Leben steht, privat. Darauf war sie angewiesen, weil sich kein Staatsanwalt für ausreichend interessiert hielt, um eine öffentliche Klage zu erheben —, weil man die verleumderische Behauptung verbreitet hatte, in der Nazizeit als prominentes Parteimitglied verdient zu haben. Da sagte der Richter, als ich mit ihm über den Fall sprach, zu mir: Das ist doch keine Beleidigung, wenn er Parteimitglied gewesen sein soll; das ist ein ganz neutraler Tatbestand; ich bin ja auch Parteimitglied gewesen. Ich habe weiter gesagt, es sei doch wohl zweckmäßig, daß er sich unter diesen Umständen für befangen erkläre, und das hat er dann getan.
Da sehen Sie, meine Damen und Herren, daß man keineswegs mit der nötigen Unvoreingenommenheit an diese Fragen herantritt. Denken Sie sich selber einmal in diese Lage hinein. Glauben Sie nicht, daß das eine Beleidigung ist, wenn Sie etwa in einem KZ oder einem Gefängnis gesessen haben, wenn Sie die ganze Zeit gegen den Nationalsozialismus gestanden haben, wenn Ihnen einer sagt, Sie seien Pg gewesen? Halten Sie das nicht für eine Beleidigung? Der Richter sagt: Nee, ich war selber einer; das war keine Beleidigung für mich.
Wenn man also jetzt die Justiz neu aufbauen will, so halten wir es für erforderlich, daß man bei dieser Gelegenheit die Laienbeteiligung in ganz anderer, intensiver Art und Weise einschaltet, als es bisher der Fall ist.
Wir vermissen in der jetzigen Vorlage des Herrn Bundesjustizministers neue, schöpferische Ideen für die Neugestaltung des Prozeßrechts. Es ist eben gesagt worden, daß das nicht beabsichtigt gewesen sei. Wir rügen aber, daß es nicht beabsichtigt gewesen ist. Wir wünschen für diese Gelegenheit von dem Herrn Justizminister zumindest in den Grundzügen, wenn auch noch nicht in allen Details, daß er das Prozeßrecht in gewissem Sinne reformatorisch ausgestaltet. Wir haben insbesondere zu den Grundzügen einige Forderungen anzumelden, die von der bisherigen Praxis der deutschen Gerichte abweichen. Es ist hier nicht die Zeit, im einzelnen darauf einzugehen; wir möchten aber hier zum Ausdruck bringen, daß wir es unter Anerkennung der Schnelligkeit der Arbeit doch bedauern, daß schöpferische Gedanken in dem jetzt vorgelegten Entwurf nicht enthalten sind. Vor allem bedauern wir es auch, daß sich der Bundesjustizminister ebensowenig wie die Länderjustizminister um die geistige Heranführung des Richterstandes an die Demokratie und an die gegenwärtigen Verhältnisse bemüht hat. Er hat sich, wie uns scheint, in einer Verteidigung des Richterstandes, so wie er ihn vorgefunden hat, erschöpft und verausgabt. Er hat bislang in seinem Amt noch nicht die Initiative gefunden, auf eine Entwicklung des Richterstandes und überhaupt der Justizbeamtenschaft und der Justizeinrichtungen zum Neuen hinzusteuern.
Lassen Sie mich nun mit dem Bedauern darüber abschließen, daß gerade der Justizminister es gewesen ist, der im Anschluß an die Debatte Hedler die Veranlassung zu einer Erörterung gerade jenes Falles gab, und zwar dadurch, daß er selber von dem bewährten Grundsatz abgewichen ist, daß man nichtrechtskräftige Entscheidungen nicht zur Debatte stellt. Indem er seinerzeit dazu überging, das Gericht zu verteidigen, hat er. die Angriffe gegen dieses Gericht gerade heraufbeschworen, und zwar in einer Situation zu verteidigen, in der die Verteidigung hoffnungslos war. Was inzwischen über den mündlich verkündeten Inhalt der Entscheidung des ersten Gerichts bekannt geworden ist, ist ein ganz böses Zeichen für den Geist jener Richter, die zu verteidigen der Herr Justizminister für nötig befunden hat. Wir möchten ihm deswegen bei dieser Generaldebatte, die sich nun in der Etatberatung unbeabsichtigt und gegen die getroffenen Abreden entwickelt hat, zurufen, daß er in Zukunft seine Aufmerksamkeit darauf lenken möge, wie er die Justiz an das
Volk heranführe, und nicht darauf, wie er die bestehenden Zustände verteidige, die uns keineswegs konservierenswert erscheinen.