Rede von
Heinz
Renner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kartei ist da. Daran ändert auch die heute hier vorgetragene Erklärung des Herrn Innenministers nichts. Die Methode der Verlustmeldungen in normalen Zeiten, also in Zeiten, als solche Meldungen nach der Heimat noch möglich waren, ist von uns nicht bestritten worden. In der heutigen Erklärung ides Herrn Ministers ist zugegeben worden, daß beim Zusammenbruch des Faschismus bei dieser WASt noch über 1 Million unerledigter standesamtlicher Beurkundungen vorgelegen haben. Das und nichts anderes habe ich gestern behauptet.
Nun die verschiedenen Versionen über den Verbleib dieser Kartei! Heute haben wir eine vierte, hoffentlich die letzte und auf jeden Fall eine als offiziell zu bewertende Version gehört. Die erste Version war die, daß diese Unterlagen nach wie vor in der Hand der amerikanischen Militärregierung sind. Die zweite Version, die von mir gestern vertretene, ist die, daß diese Unterlagen, nachdem sie sich ursprünglich in der Hand der Amerikaner befanden, nach Berlin zurückgegeben worden sind und dort heute von der französischen Militärregierung verwaltet werden. Die dritte, ganz neue Version, die wir gestern aus dem Munde des Sprechers der CDU/CSU gehört haben, ist die, daß das gesamte Material der SMA, also der Sowjetbesatzungsmacht, übergeben worden ist. Die vierte, heute vom Herrn Innenminister vorgetragene Version ist die, daß ein Teil dieses Materials, und zwar der Teil, der von der amerikanischen Besatzungsmacht in Meiningen zurückgelassen worden ist, in russische Hände, der Hauptanteil in amerikanische Hände gefallen ist. Von der sowjetischen Regierung liegt eine amtliche Verlautbarung vor,
die durch TASS wiedergegeben worden ist, daß der russischen Besatzungsmacht nicht auch nur ein Teil dieser Kartei in die Hände gefallen ist.
- Warum regen Sie sich so auf? Sie haben gestern aus dem Munde des Vertreters der CDU eine Version gehört, die in hundertprozentigem Gegensatz zu der offiziellen Version des Ministers von heute steht. Ich lasse die Frage offen, wer die absolut falscheste Version gegeben hat. Die absolut falscheste Version war die des CDU-Vertreters.
Mir ist das so sehr autoritativ wie Ihnen das die dpa- und die amerikanischen Meldungen sind.
Aber ich habe gestern mehr gesagt. Ich habe gestern behauptet, daß die Feststellungen, die ich hier wiedergegeben habe, auf eidesstattlichen Erklärungen von Angestellten beruhen, die bei dieser Wehrmachtauskunftsstelle für Kriegsgefallene über das Kriegsende hinaus noch beschäftigt warren. Was haben wir von der Regierung verlangt? Wir haben von der Regierung nicht mehr und nicht weniger verlangt, als daß sie sich bemühen soll, die Kartei in deutsche Hände zu bekommen. Mehr haben wir nicht verlangt.
Sie haben gestern in dem bisher gewohnten Stil in diesem Hause reagiert. Der Herr Sprecher von der CDU hat mich an meine Mahnung vom 27. Januar erinnert, endlich die Sache der Kriegsgefangenen und -gefallenen aus der Atmosphäre der Hetze auf den Boden des Sachlichen und des Sauberen zu stellen.
Was aber hat der Vertreter der CDU/CSU gestern getan?
Er hat sich hier hingestellt und behauptet, was ihm ja auch Minister bereits in diesem Saale vorgemacht haben,
daß die Regierung der Sowjetunion ungeheuerliche Verbrechen begangen habe.
Nun, wir kennen die Methode,
das ist die Methode, die während des Krieges kein
Geringerer als der Herr Goebbels angewendet hat.
Und wenn die westdeutschen Spezial-Demokraten,
ja, wenn die westdeutschen, auf die „deutsche" Demokratie eingeschworenen Minister dasselbe tun, dann hat das keinen anderen Zweck als den, den seinerzeit die Goebbels-Propaganda damit verfolgt hat.
Woher nehmen Sie eigentlich den traurigen Mut,
von „Verbrechen" der sowjetrussischen Regierung zu sprechen?
Ich habe hier in Bonn in der vorvergangenen Woche Gelegenheit gehabt, mir den dokumentarischen Film über den Nürnberger Prozeß anzusehen, hier in Bonn, mitten in der Fastnachtszeit.
— Von Ihnen habe ich keinen gesehen. Aber wenn einer von Ihnen dagewesen wäre, dann müßte eigentlich die Reaktion eine andere sein, als sie gestern hier zutage getreten ist.
Darf ich einmal an einige Zahlen erinnern. General Marshall hat in seiner berühmt gewordenen Enzyklopädie erklärt, daß die deutschen Verluste an Toten an der Front und in der Heimat im zweiten Weltkrieg rund 5 Millionen betragen. Die Völker der Sowjetunion haben diesen ihnen aufgezwungenen verbrecherischen Hitlerkrieg mit dem Verlust von 11 Millionen Menschen bezahlt.
- Nein, wir haben in einem Ausschuß gestern
Zahlen gehört, wonach wir allein hier in Westdeutschland 4 Millionen Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene haben.
— Ich unterstelle, Sie ehemaliger Heil-HitlerSchreier da drüben auf dem rechten Flügel,
die Richtigkeit dieser Todesziffern für Westdeutschland. Aber ich stelle dieser Ziffer die Tatsache der 11 Millionen russischer Menschen gegenüber, vor denen Sie keine Achtung haben. Diese 11 Millionen russischer Menschen, denen man den verbrecherischen Hitler-Krieg, den Sie bejaht haben, aufgezwungen hat, repräsentieren für uns die Opfer,
denen wir die Befreiung vom Faschismus verdanken. Wir danken aus tiefstem Herzen
diesen 11 Millionen gemordeten russischen Menschen dafür, daß sie Deutschland, unsere Arbeiterklasse, das werktätige deutsche Volk vom Faschismus befreit haben.
Dafür danken wir ihnen, und wir lassen nicht zu, daß sie verleumdet werden angesichts folgender Tatsache:
„Westdeutsche Rundschau", Meldung vom 27. September 1949 über Rußlands Kriegsschäden: Während des Krieges wurden gesprengt, in Brand gesteckt oder sonstwie ganz oder teilweise zerstört
- das gehört zur Sache —
31 850 Fabriken und Werkanlagen, 1876 — —
- Ist das die Achtung, die Sie toten Menschen entgegenbringen?
— Ich bitte, mich hier gegen diese Ausfälle zu schützen.