Rede von
Friedrich
Rische
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(KPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (KPD)
Meine Damen und Herren! Sie gehen sicher mit mir in der Auffassung einig, daß um Berlin politisch gerungen wird und daß jeder Groschen für Berlin einen Beitrag zu diesem unheilvollen politischen Kampf darstellt. Meine Fraktion bedauert es außerordentlich, daß es zu dieser harten Auseinandersetzung um die deutsche Hauptstadt überhaupt gekommen ist. Wenn man allerdings zurückblickt, wenn man die Ereignisse verfolgt, die dazu geführt haben, daß schließlich Berlin zum politischen Problem Nr. 1 in Deutschland wurde, dann kann man immer wieder feststellen, daß es dabei sehr viele historische Irrtümer und eine Unmasse von Verleumdungen gibt. Wir Kommunisten sind der Auffassung, daß es bei einer konsequenten Politik der Befolgung der Potsdamer Beschlüsse niemals zu diesem Problem Berlin gekommen wäre. Wir hätten dann wahrscheinlich auch nicht zwei politisch voneinander getrennte Teile in unserem von Leid so geprüften Vaterland.
Meine Damen und Herren! Durch die Vorlage des
Gesetzentwurfs über angebliche Hilfsmaßnahmen
zur Förderung der Wirtschaft von Groß-Berlin werden Sie keinesfalls erreichen, daß die wirtschaftlichen, viel weniger noch die politischen Probleme der deutschen Hauptstadt gelöst werden. Hier müßten Sie, wenn Sie wirklich helfen wollen, grundsätzliche Maßnahmen beschließen. Sie müßten die Frage politisch aufrollen. Das wird auch bei allen Debatten, die bisher um die deutsche Hauptstadt geführt wurden, von uns immer wieder versucht. Leider, habe ich gesagt, gibt es dabei eine Unmasse von Verzerrungen. Leider gibt es dabei immer wieder den Versuch, die so von Leid geprüfte Stadt zum Mittelpunkt weltpolitischer Auseinandersetzungen zu machen.
Das vorliegende Gesetz sieht einige — wie Sie sagen — Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft Berlins vor. In Wirklichkeit wissen Sie ganz genau und werden es, wenn Sie ehrlich sind, zugeben, daß Sie nur eine Bürgschaft für eine längst als bankrott bekannte und gekennzeichnete Wirt-
schaftspolitik geben. Alles, was Sie unternehmen werden, wird nicht dazu ausreichen, um diesen weiter fortschreitenden Bankrott, den Zerfall der Berliner Wirtschaft wirklich aufzuhalten. Wenn dabei von einigen Kollegen behauptet wird, daß Berlin heute um Europas willen gehalten werden müsse, so möchte ich einmal fragen, warum man sich dann nicht an Europa wendet, um den Kampf um Berlin zu führen. Das überläßt man wohlweislich den deutschen, besonders den westdeutschen Steuerzahlern.
Dann redet man, wenn es um Berlin geht, an dieser Stelle von der Verteidigung des Abendlandes. Ich habe die größten Bedenken gerade gegen die Verwendung dieser Worte von der „Verteidigung des Abendlandes". Das hat uns Dr. Goebbels jahraus jahrein immer wieder vorgekaut und in die Hirne des deutschen Volkes hineingehämmert Ihr Abendland ist heute allzusehr mit Oradour, mit Auschwitz und Buchenwald, mit den Millionen von Arbeitslosen in Westeuropa verbunden. Mit Ihrer Formulierung von der Verteidigung der Kultur des Abendlandes wenden Sie sich aus einem Gefühl der Überheblichkeit gegen die Weltkultur,
wenden Sie sich dagegen, daß es eine Kultur gibt, die einen einzigen Nenner hat und die ihre Repräsentanten in allen Ländern aufweist.
Ein Viktor Hugo, ein Tolstoi, ein Strindberg und ein Goethe,
das waren Repräsentanten der Weltkultur, das waren nicht Vertreter — wie Sie sagen — des Abendlandes.
Sie wissen ganz genau, das Berlin-Problem ist ein echtes deutsches Problem, und seine Lösung hängt davon ab, daß wir alle zusammen, die willigen, gut gesinnten Deutschen, die eine fortschrittliche Lösung der politischen Probleme des Vaterlandes anstreben, endlich Schluß machen mit dem „Kampf um Berlin".
In Artikel III des Gesetzes haben Sie für westdeutsche Unternehmer, die Waren von Berlin abnehmen, eine Steuervergünstigung vorgesehen. Herr Kollege Tillmanns, Sie haben einen Appell an die westdeutsche Unternehmerschaft gerichtet, sie solle doch die Möglichkeiten des Gesetzes ausnutzen. Aber die „Solidarität" der westdeutschen Unternehmerschaft für die Wirtschaft West-Berlins ist nur dann gegeben, wenn man zu gleicher Zeit den westdeutschen Unternehmern Umsatzsteuervergünstigungen von jährlich 20 Millionen DM zur Verfügung stellt. Nennen Sie das auch Solidarität für Berlin? Wir wissen ganz genau: Wenn die Herren von der rechten Seite Politik machen, dann denken Sie dabei unweigerlich ans Geschäft. So auch wieder in dieser Frage!
Die Umsatzsteuervergünstigung nach Artikel III soll eine Intensivierung des Warenaustausches mit West-Berlin erreichen. Ich erinnere hier aber an Maßnahmen der Bundesregierung, beispielsweise an das Stahl-Embargo der Adenauer-Regierung, an das Embargo, das sicherlich auf höchsten Druck angeordnet wurde. Wollen Sie etwa damit erreichen, daß der innerdeutsche Warenverkehr noch mehr gedrosselt wird und im Endresultat auch die West-Berliner Wirtschaft trifft? Sie hätten alle Ursache, endlich einmal die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West und die Intensivierung des innerdeutschen Handels mit Nachdruck von Ihrer eigenen Regierung zu fordern, von einer Regierung, die sich nur ständig bemüht, Schwierigkeiten gerade auf diesem Gebiete zu machen.
Herr Kollege Tillmanns, wenn Sie von kleinlichen Verkehrsschwierigkeiten bei Helmstedt sprechen. dann hätten Sie um der Wahrheit willen hier auch erklären müssen, daß bei Helmstedt dutzende und dutzende Male versucht wird, zu schmuggeln und die Wirtschaft in der Deutschen Demokratischen Republik zu schädigen. Wenn man einen Vertrag eingegangen ist, den bekannten Interzonenhandelsvertrag von Frankfurt, dann besteht alle Ursache, daß man sich auch zu dem Buchstaben des Vertragswerks bekennt.
Und wie sieht die Wahrheit aus? In Wahrheit ist es so, daß das Stahl-Embargo mit der Begründung verkündet wurde, die Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik sei ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen. Ich erkläre hier namens meiner Fraktion, daß dies nicht stimmt. In Wirklichkeit gibt es Sperrlisten. In Wirklichkeit gibt es seitens der Treuhandstelle für Interzonenhandel ausgesprochene Behinderungen der Einfuhr von Waren aus der Deutschen Demokratischen Republik nach Westdeutschland. Das sind die Tatsachen. Ich denke, Sie hätten alle Ursache, sich über diese Frage einmal zu unterhalten und über dieses Problem auch von dieser Stelle aus der West-Berliner Bevölkerung die volle Wahrheit zu sagen.
Meine Damen und Herren! Bei der Lösung des Berlin-Problems kommt es nicht auf die Schärfe der Polemik, sondern vielmehr auf grundlegende Lösungen an. Unserer Meinung nach kann man Berlin nur helfen, wenn die deutsche Hauptstadt ihre Einheit wiedererhält.
Wir wissen. daß es hier und in Westberlin Kräfte gibt, die sofort politisch bankrott machen würden, wenn die Einheit der deutschen Hauptstadt wiederhergestellt würde. Wir wissen, daß es Politiker gibt, die von der Spaltung Berlins „politisch" leben. Berlin muß aber nicht nur die Einheit wiedererhalten, Berlin muß Hauptstadt eines einheitlichen und demokratischen Deutschland werden.
Sie, Herr Kollege Tillmanns, haben dann in diesem Zusammenhang von den politischen Erfahrungen gesprochen, die die Deutschen jenseits der Grenze von Helmstedt in den letzten vier Jahren gesammelt haben. Ich kann Ihnen versichern: diese 18 Millionen Deutsche haben wahrhaftig in den letzten vier Jahren eine Unmasse von politischen Erfahrungen gesammelt.
Diese deutschen Menschen in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone,
in der gegenwärtigen Deutschen Demokratischen Republik
haben gelernt, wie man wahrhaft demokratische Errungenschaften und Reformen auch kämpferisch verteidigen muß.
Ich weiß ganz genau, daß Sie gegen diese kämpferische Demokratie selbstverständlich sehr viele
Einwände haben. Sie wissen ganz genau, daß diese
Demokratie unvereinbar ist mit der Herrschaft der Junker und der Monopole, mit der Herrschaft der Schieber, der Kriegshetzer und der Verderber des deutschen Volkes.
— Diese deutschen Menschen, Kollege Schmid, haben die Erfahrung gesammelt, daß man die Demokratie verteidigen muß gegen alle Angriffe, woher sie auch kommen mögen.
Sie werden eines Tages in Westdeutschland begreifen lernen, daß gerade Ihre Position in West-Berlin und Ihre so erfolglose Wirtschaftspolitik und,
wenn Sie wollen, auch „Außenpolitik" nicht der
von Ihnen gewünschte Anziehungspunkt, nicht nur
nicht für die West-Berliner, sondern auch nicht
mehr für die westdeutsche Bevölkerung sein wird.
— Herr Kollege Schmid, Sie wissen ganz genau,
daß es im Kampf um die Demokratie auf mehr als auf formale Wahlakte ankommt, nämlich auf tatsächliche demokratische Reformen.
Beruhigen Sie sich, wir werden außerdem als echte Demokraten auch noch wählen lassen! Und seien Sie sich darüber im klaren, diese Wahl wird ein Bekenntnis zu den sozialen Reformen, zur lebendigen. kämpferischen Demokratie sein.