Rede von
Walter
Seuffert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zweifellos ein Novum in der Finanzpolitik, ein einmaliges Erlebnis, daß ein Finanzminister eine Steuersenkungsvorlage, die in diesem Fall einen Steuerausfall bringt, der immerhin am ehesten in der Gegend von 900 Millionen D-Mark jährlich liegt, das heißt erheblich mehr als 5 Prozent der gesamten öffentlichen Einnahmen des Bundesgebiets bedeutet, mit dem Nachweis einbringt, daß der öffentliche Haushalt sich bei optimistischster Beurteilung in diesem Jahre allenfalls auf der 'Grenze des Gleichgewichts halten könnte und daß er im nächsten Jahr ein großes dunkles Loch von nun eher vielleicht 20 Prozent der gesamten öffentlichen Einnahmen aufweisen wird, ein großes dunkles Loch, über dessen Ausfüllung der Herr Bundesfinanzminister allenfalls die Zusicherung gegeben hat, es durch ein großes Kolumbusei auszufüllen.
Meine Damen und Herren! Derartiges kann man allerdings mit Fug und Recht als eine Wende der Finanzpolitik bezeichnen.
Diese Wende der Finanzpolitik schien mir nicht überzeugender dadurch gemacht zu werden, daß sie von Zahlen über die Prozentsätze der steuerlichen Belastung begleitet wurde, die meines bescheidenen Erachtens von allen verfügbaren Zahlen über das wirkliche Volkseinkommen nicht gestützt werden, die vollkommen die gleichlaufende und vergleichbare Entwicklung in anderen Län-
dern aus den Augen ließen, die weiterhin etwa über die steuerliche Belastung der unteren Einkommen schlankweg ohne Berücksichtigung der außerordentlich gestiegenen Lebenshaltungskosten Zahlen von vor Jahrzehnten mit den heutigen Zahlen vergleichen wollten und auf diese Art und Weise ein außerordentlich schiefes Bild geben.
Meine Damen und Herren, die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers zu diesem Teil enthielten meines Erachtens mehr Fehler, als daß die beschränkte Redezeit mir gestattet, auf sie alle einzugehen.
Um nur folgendes anzuführen: Wenn von der Winzigkeit des Kapitaleinkommens gesprochen worden ist, so spricht die Entwicklung der Aktienkurse über die Meinung der Sachverständigen über dieses Einkommen denn doch eine andere Sprache.
Ich möchte zusammenfassend nur sagen: Wenn der Herr Bundesfinanzminister hier zum Ausdruck gebracht hat, daß er eine finanzpolitische Entwicklung, die auf eine steuerliche Entlastung der breiten Massen und auf eine Verlagerung der Steuerlast auf die wirklich starken Schultern, von denen sie getragen werden kann, hinzielt, für verderblich hält und ihr entgegentreten will, so konnte nicht klarer und deutlicher ausgesprochen werden, was in diesem Punkte unsere Vorstellungen von den Vorstellungen des Herrn Bundesfinanzministers, der Bundesregierung und der Mehrheit, die sie trägt, trennt.
Und dafür sagen wir unsererseits dem Herrn Bundesfinanzminister Dank.
Mit mehr Grund, glaube ich, und mit mehr Logik hat die schriftliche Begründung der Regierungsvorlage an den Anfang ein ausführliches Zitat aus der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzler gestellt. In dieser Regierungserklärung war das Versprechen der Steuersenkung enthalten, und dieses Versprechen wird heute eingelöst. Wir wußten, daß im Lichte dieses Versprechens und mit der Maßgabe, daß dieses Versprechen den ersten Rang hat, jenes Wort des Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zu verstehen, „so sozial wie möglich" zu sein. Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, daß die öffentlichen Einnahmen heute in einem sehr starren Verhältnis zu den Anforderungen an die Sozialleistungen der öffentlichen Hand stehen. Ich brauche diese Sozialleistungen nicht im einzelnen näher aufzuzählen. Wir kennen die erschreckende Lage auf dem Fürsorgegebiet, wir kennen die sehr unbefriedigende Lage auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung und kennen vor allen Dingen - auch dies gehört hierher — die große Frage, wo die für den sozialen Wohnungsbau nötigen öffentlichen Zuschüsse aufgebracht werden sollen.
Immerhin darf ich, indem ich in diesem Zusammenhange das Wort „Berlin" ausspreche, daran erinnere, daß es neben diesen sozialen Leistungen auch nationale Aufgaben gibt, bei denen es sich nicht um Worte, nicht um Farben, sondern um Taten handelt. Ich glaube wirklich nicht, daß man all diese Dinge nur als Forderungen von Interessentenkreisen bezeichnen kann, obwohl ein böser Wille gewisse Ausführungen des Herrn
Bundesfinanzministers vielleicht so hätte auffassen können,
nämlich, daß solche Dinge als „Interessentenforderungen" bezeichnet werden, weil sie hier von großen Parteien vertreten werden.
Der Herr Bundesfinanzminister hat uns in sehr dankenswerter Weise soeben vorgerechnet, wie die notwendigsten Anforderungen auf diesem Gebiet — infolge einer Politik, die wir stark bekämpft haben — seit der Währungsreform angestiegen sind. Es ist notwendig, die Konkurrenz zwischen diesen Forderungen und den zu ihrer Erfüllung notwendigen öffentlichen Einnahmen zu beachten, und hier gilt es in erster Linie zu prüfen, ob wir uns Steuersenkungen überhaupt leisten können. Man kann diesen Dingen vielleicht ausweichen, wenn man vor einer Defizitwirtschaft keine Angst hat: Trotz gewisser Zusicherungen, die der Herr Bundesfinanzminister auch heute gegeben hat, ist für den aufmerksamen Beobachter seit einiger Zeit die Besorgnis nicht abzuweisen, daß wir Gefahr laufen, auf dieses Gebiet geraten zu wollen, und ich fürchte sehr, daß aus diesem. Kolumbusei etwas Ähnliches herauskriechen könnte. Der Weg über eine solche Aushilfe wäre ein schlechter Ausweg. Ein beserer Ausweg wäre es, wenn man schon Steuerermäßigungen gewähren will, solche zu gewähren, die gleichzeitig als soziale Leistungen gelten können. Das aber ist gerade das, was die Regierungsvorlage sehr sorgfältig vermieden hat.
Diese Regierungsvorlage, die sich lediglich auf eine Herabrechnung des Tarifs beschränkt, ist nicht nur technisch phantasielos, sondern in ihrer Tendenz geradezu erschreckend. Sie schlägt uns eine Steuersenkung um etwa ein Sechstel allgemein vor, aber bei den offenbar besonders notleidenden Schichten der Einkommensbezieher von 50- und 60 000 Mark um fast ein Drittel. Gleichzeitig beschneidet sie die Auswirkung der Familienermäßigungen bei den unteren Schichten in besonders fühlbarer Weise. Diese Steuervorlage hat sich überhaupt nicht mit dem Gedanken beschäftigt, ob eine Steuersenkung nicht auch von unten her, zum Beispiel durch Erhöhung der steuerfreien Einkommensbeträge, durchgeführt werden könnte. Offenbar hält man noch daran fest, daß es bei den heutigen Lebenshaltungskosten möglich ist, einen Betrag von nur 750 Mark jährlich für einen schaffenden Menschen, der seine Zukunft und sein Alter sichern soll, als das steuerfreie Existenzminimum zu bezeichnen. Man hat sich auch gar nicht mit der Frage beschäftigt, ob die Pauschsätze der Lohnempfänger für Werbungskosten, die bei den gestiegenen Beförderungskosten und anderen im Preis erhöhten Dingen schon längt nicht mehr ausreichen, nicht erhöht werden können.
Über die Einzelheit der Steuerbegünstigung für Flüchtlinge und Bombengeschädigte ist bereits mehrfach gesprochen worden. Das geltende Gesetz sieht eine Steuerermäßigung um einen Grundbetrag von etwa 80 Mark monatlich gegen Nachweis der Anschaffungen vor, das vorgeschlagene Gesetz einen Grundbetrag von 40 Mark monatlich ohne Nachweis der Anschaffungen. Über 'die systematische Zweckmäßigkeit könnte man reden. Ob aber der vorgeschlagene Betrag ausreicht, wird sehr genau zu prüfen sein. Wir hören jedoch, daß man an verschiedenen Orten auf die Idee gekommen ist, diesen Leuten als Übergangsregelung nicht 80 und nicht 40, sondern 20 Mark monatlich zuzubilligen. Es wird
festzustellen sein, wer für derartige Anordnungen verantwortlich ist, und ich glaube, daß wir die Verantwortlichen auch von dieser Stelle aus zur Verantwortung zu ziehen haben werden.
Die Vorlage hat sich überhaupt nicht damit beschäftigt, daß sich das Ermäßigungssystem, das allerdings bei der behelfsmäßigen Regelung vom vorigen Januar sehr kompliziert und ausgedehnt worden ist, sehr verschieden und außerdem ungerecht je nach der Einkommensstufe der Betroffenen auswirkt. Die Bundesregierung hat sich erst vom Bundesrat darauf aufmerksam machen lassen müssen, daß neben dem Juni-Tarif des Jahres 1948, unter den sie in den höheren Einkommensstufen ja heruntergehen will, auch die Steuerermäßigungen des Januar 1949 nicht mehr in vollem Umfang haltbar sind. Alle diese Fragen werden im Ausschuß sehr eingehend durchgesprochen werden müssen. Das Interesse daran ist wichtiger als eine eilfertige Verabschiedung dieses Gesetzes.
An Stelle aller dieser Gesichtspunkte, die unbedingt hätten in Erwägung gezogen werden müssen, ist in der Begründung lediglich. das Wort „Kapitalbildung" gesetzt worden. Die Begründung sagt, die Erfahrung habe gezeigt, daß die derzeitigen Steuern die Kapitalbildung gefährdeten. Ich frage, welche Erfahrungen mit einer Steuer vorliegen können, die bisher überhaupt nicht gezahlt worden ist und bei der in keinem einzigen Fall nachgeprüft worden ist, auf Grund welcher Berechnungen die Vorauszahlungen auf diese Steuer geleistet worden sind. Die tatsächlichen Zahlen zeigen etwas anderes. Sie zeigen, daß die Kapitalbildung seit der Währungsreform, selbst wenn man von den niedrigsten Schätzungen von 8 und 10 Milliarden ausgeht, im ganzen jedenfalls das Ausmaß erreicht hat, das man vernünftigerweise erwarten konnte. Aber dieses Kapital ist gebildet worden, ohne daß die wirklich notwendigen Investitionen erfolgt sind; immer noch haben wir zum Beispiel den Wohnungsbau nicht entscheidend in Angriff genommen. Und dies alles ist vor sich gegangen, ohne daß die entgegen allen Saisoneinflüssen im letzten Jahr strukturell anhaltende Steigerung der Arbeitslosigkeit aufgehalten worden ist und ohne daß unsere Produktion, die trotz aller stolzen Ziffern hinter der Durchschnittsentwicklung in anderen Ländern und in ganz Europa wesentlich zurückbleibt, einigermaßen auf Touren gekommen ist. Tatsache ist, daß Investitionen, die im, ganzen das volkswirtschaftlich zu erwartende Maß erreicht haben, willkürlich geleistet worden sind aus Profiten, die auf einer mindestens nicht bekämpften, wenn nicht absichtlich herbeigeführten Hochhaltung der Lebenshaltungskosten basieren. Tatsache ist ferner, daß man auf diesem Wege zugunsten der Kapitalbildung bestimmter Schichten die Kaufkraft und infolgedessen die Sparkraft und die Kapitalbildungskraft anderer Schichten beschnitten hat. Es klang etwas merkwürdig, als der Herr Vorredner auf die Mißerfolge der Wohnungsbauanleihe und anderer Anleihen hinwies in dem gleichen Augenblick, in dem man die wenigen Reste von Stützen gegenüber der Selbstfinanzierung, die man in § 32 a derartigen Anleihen geben wollte, ganz beseitigen will.
Meine Damen und Herren, es ist viel die Rede von der Initiative zur Kapitalbildung. Auch wir begrüßen die Initiative, und wir haben mehr als einmal deutlichzumachen versucht, was wir unter Planung verstehen. Wir verstehen darunter die
Sicherung der grundlegenden Voraussetzungen und Gegebenheiten der Volkswirtschaft im gemeinen Interesse in der Weise, daß der einzelne ungefährdet und ohne Gefahr für andere die ihm zustehende Initiative entfalten kann. Aber, meine Damen und Herren, ist denn Initiative, ist denn die Fähigkeit zur Initiative, ist denn das Recht zur Initiative an ein Einkommen oder den Besitz eines Vermögens am 20. Juni 1948 gebunden?
Ich fasse die Stellungnahme meiner Fraktion zusammen. Sie werden diese Steuervorlage, vor allen Dingen den Geist, der in ihr herrscht, Zentimeter für Zentimeter gegen uns verteidigen müssen. Wir werden auf das genaueste prüfen müssen, welche Steuersenkungen in den heutigen Notzeiten überhaupt erträglich sind, und wir werden, wenn etwas derartiges möglich wäre, die von mir soeben angedeuteten Gesichtspunkte und andere mehr zäh und nach jeder Möglichkeit in den Ausschußberatungen zur Geltung bringen. Es besteht keine Aussicht, daß diese Vorlage in ihrer jetzigen Form die Zustimmung meiner Fraktion findet.