Rede von
Josef
Gockeln
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich hoffe, mir Ihre Sympathie durch die Kürze meiner Darlegungen zu erwerben.
Ein Parlament muß politische Fragen in ihrer staatsrechtlichen, verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Beziehung erörtern. Jeder Hinblick auf die deutsche Politik ließ uns erwarten, daß sich mit diesem Zeitpunkt Komplikationen und Schwierigkeiten ereignen, weil zur reibungslosen Entwicklung und Entfaltung einer Außenpolitik ein geordneter Staat und eine unbezweifelte rechtliche und politische Substanz vorhanden sein muß. Ich nehme dieses Wort, weil ich hier an einem Lehrstuhl der Politik heute abend so oft gehört habe, daß die jetzt begonnene Politik eine gefährliche Veränderung der politischen und rechtlichen Substanz unsere Volkes sei. Ich habe mich gefragt, welcher Art diese besonders geschützte Substanz sein müßte. Ein Volk, das am 8. Mai 1945 jede eigene Souveränität verlor, in vier Besatzungszonen aufgeteilt und verschieden regiert wurde — es ist sehr schwer, sich von dessen eigener politischer und rechtlicher Substanz einen klaren, einprägsamen Begriff zu machen. Man sollte aber an dieser Stelle die politischen Probleme so behandeln, wie wir sie draußen in einer Volksversammlung behandeln könnten. Nur dann glaube ich, daß wir selbst das Ohr des Volkes, sein Vertrauen und schließlich auch sein Verständnis haben werden. Wenn hier verfahrensmäßige Mängel vorgekommen sein sollten in einer Lage, in der die jetzige Bundesregierung die ersten Schritte in außenpolitischer Beziehung tut und Verpflichtungen eingeht, muß ich aus meiner bisherigen parlamenttarischen Tätigkeit sagen, daß von der ehrenwerten Bank des Bundesrats so manches Mitglied der bestehenden Länderregierungen unter die gleiche Anklage gestellt würde, unter die die Bundesregierung gestellt wird.
— Nein, aber aus der Erfahrung als Präsident des größten deutschen Länderparlaments und aus den Bemühungen um die Grundlage einer echten staatlichen Verfahrensrechtlichkeit weiß ich, wie oft diese Länderregierungen Schritte tun mußten, bei denen sie uns vorher, nicht gefragt haben, ja zum Teil gar nicht fragen konnten.
— Der Herr Bundeskanzler gehört zur politischen Substanz dieses Volkes und zu einer sehr respektablen Substanz!
Ich möchte auf einen Gedanken eingehen, der mir wichtig erscheint. Wenn ich die Kritik an dem
außenpolitischen Weg unserer Bundesregierung in den letzten Sitzungen überlege, dann ist es die immer wieder durchklingende Sorge, daß dieser Weg die sozialen Rücksichten und Belange nicht genügend wahren könnte. Ich gehöre zu denen, die sich auch über die Frage, wie Deutschland in einem zukünftigen Europa stehen wird, ihre Gedanken und Sorgen machen. Ein Redner hat an diesem Tisch erklärt, daß schließlich das große Gefühl unserer internationalen Arbeiterbewegung, getragen von der Auffassung der Gleichwertigkeit, zu dieser Solidarität geführt hat. Nun meine ich aber doch, in der Erklärung, die heute dem Hause gegeben wurde, ist in ihrem politischen Effekt ein erheblicher Schritt zu dieser Gleichberechtigung getan worden. Das zukünftige Europa soll nicht nur in seiner verfassungsrechtlichen und staatsrechtlichen Struktur in die Situation des 20. Jahrhunderts gehören, sondern auch die soziale Situation soll die des 20. Jahrhunderts sein, und nicht die des 19. Jahrhunderts!
Aber jemand aus dem Industriegebiet, etwa der Oberbürgermeister großen Stadt, die mitten in den Fragen der DHaufeage stand, hat doch die Verpflichtung, anzuerkennen, daß in diesem Weg ein sehr greifbarer, berechtigter und unverkennbarer Erfolg liegt.
Es sind 30 000 Arbeiter, die in diesen Betrieben ihr Brot haben, die heute aus der Gefahrenzone der Demontagenliste herausgenommen werden.
Ich denke nicht daran, mich in den Streit einzumischen, wer daran das Verdienst hat. Zu viele waren es, und immer wieder war es die Sorge aller Beteiligten, für diese Frage eine einheitliche Meinung und Auffassung unseres Volkes zu erhalten. Ich habe in meiner Eigenschaft als Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen dem hier vor mir sitzenden Wirtschaftsminister unseres Landes mehr als zehnmal im Namen des gesamten Landtags gedankt und ihn ermuntert, die Bemühungen fortzusetzen, die damals um die Demontagen angestellt wurden. Es hat ausländische Hilfe gegeben, und bis in diese Tage hinein haben wir Zeugnisse dafür, daß wir nicht berechtigt sind, von Schuldigen oder von leichtfertigen Eroberern zu sprechen. Ich meine: die Diskussion, die der Größe dieser Stunde gemäß sich auch mit dem materiellen Inhalt dieses Abkommens und nicht nur mit der Frage von Verfahrens- und Verfassungsmängeln befassen sollte, wird gerade in den Kreisen Verständnis finden, die heute abend mit dem Gefühl ihre Arbeitsstätte verlassen, daß sie einen Schritt weitergekommen sind. Gegenüber dem Nichts, vor dem wir oft standen, Herr Professor Baade, ist es keine traurige Enttäuschung, gegenüber dem, was noch vor uns steht, ist es nicht die letzte Erfüllung. Aber wer in diesem Hause — ob von denen oder jenen — kann je die Garantie übernehmen, daß er von dieser so geschwächten und unklaren Grundlage unseres Volkes und seiner Politik aus jemals das im ersten und zweiten Schritt erreichen wird, was ein letztes und endgültiges Ziel ist?
Sie haben eben gehört, daß die Arbeiter unserer Fabriken sich in Freude versammelt haben. Es ist für jeden, der mehr als einmal unter ihnen stehen mußte, angesichts ihrer Sorge das selbstverständlichste, aber es sollte auch das befriedigendste Gefühl für dieses Haus sein.
Sie wollen doch nicht, daß eines schönen Tages gesagt würde, die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze, die Eroberung ihrer Freiheit, der Schutz ihrer Betriebsstätten und ihrer Zukunft muß ausgerechnet jenen vorbehalten werden, die sie politisch als Gegner oder als soziale Reaktionäre bezeichnen.
— Herr Renner, das könnte parteipolitisch unerwünschte Folgen haben. — Ich glaube, im tiefsten ist auch dieses Haus bereit, das anzuerkennen. Der Mißbilligungsantrag, der uns vorliegt, kritisiert lediglich verfahrensmäßige Dinge und bemängelt verfassungsrechtliche Tatsachen. Es heißt: „Der Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung diese Zustimmung einholt."
Ich glaube also, feststellen zu können, daß der materielle Inhalt der Abmachungen nicht umstritten ist,
daß der Inhalt der Abmachungen, die die Bundesregierung heute dem Hohen Hause unterbreitet, in seinem materiellen und damit echten politischen Inhalt doch bereits die innerliche Zustimmung aller gefunden hat.
Jede Regierung, die hier sitzt, ist eine Regierung des Volkes, mag sie in diesem Hauie von zwei, drei oder vier Parteien getragen werden. Wenn sie aber für das Volk einen Erfolg errungen hat, sollte dieses Haus als Vertretung des Volkes dem innersten Bewußtsein selbst gerecht werden und das auch zum Ausdruck bringen.
Ich habe die Hoffnung, daß trotz des uns vorgelegten Mißbilligungs-Antrags der Weg dafür durchaus offen bleibt.