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ID0101806000

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    Deutscher Bundestag — 18. Sitzung. Bonn, den 24. und 25. November 1949 449 18.. Sitzung Bonn, 24. und 25. November 1949. Geschäftliche Mitteilungen 449C, 464D, 485C, 527C Interpellation der Abg. Euler, Dr. Preusker, Dr. Becker, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer u. Gen. betr. Abschluß der Entnazifizierung (Drucksache Nr. 172) 449D Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse der im Dienst des Bundes stehenden Personen (Drucksache Nr. 175) . . 449D Dr. Heinemann, Bundesminister des Innern . . . . . . . . . 449D, 467D Strauss (CSU) . . . . . . 451D, 472A B) Dr. Menzel (SPD) . . . 455B, 469A, 471C Gundelach (KPD) 460C Pannenbecker (Z) 461B, 471C Dr. Nowack (FDP) 461D Farke (DP) 464D Donhauser (BP) 465B Dr. Miessner (NR) 466D Mensing (CDU) 467C Dr. Becker (FDP) 468D Dr. Leuchtgens (NR) 470B Kaiser, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen 471A Unterbrechung der Sitzung . 472B Erklärung der Bundesregierung . . 449D, 472B Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . . 472B, 501A, 510D, 524A Unterbrechung der Sitzung . . 476D Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 477A Dr. Arndt (SPD) . . . . . 477A, 484C Dr. Dehler, Bundesminister der Justiz 481A Dr. Baade (SPD) 485C Kiesinger (CDU) 491B Gockeln (CDU) 496C Dr. Schäfer (FDP) 497D Loritz (WAV) 502B, 511C Dr. von Merkatz (DP) 502D Dr. Baumgartner (BP) . 505A Fisch (KPD) 506B Frau Wessel (Z) 516C Dr. Richter (NR) . . . . . . . 518A 1 Ollenhauer (SPD) 521B Unterbrechung der Sitzung . . 525C Bausch (CDU) 526A Euler (FDP) 526D Abstimmungen . . . . . . .. . . 526B Nächste Sitzung 527C Die Sitzung wird um 10 Uhr 20 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Georg Kiesinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Arndt hat davon gesprochen, daß wir in einer ernsten Stunde stehen. Es ist in der Tat eine ernste Stunde. Sie ist es in dem einen Sinn, daß jeder Augenblick, der uns zwingt, einen Rückblick auf unser geschichtliches Schicksal zu werfen, das uns seit dem unglückseligen Zusammenbruch des Jahres 1945

    (Abg. Renner: 1933, meinen Sie!)

    — ich bin sehr mit Ihnen einverstanden, auch seit dem Jahre 1933 — beschert worden ist, uns ernst und traurig zu stimmen vermag. Diese ernste Stunde hat aber noch einen anderen Gehalt. Es sei gleich voran gesagt: meine politischen Freunde und ich erwarten, daß von dieser Stunde, von hier und heute eine neue Epoche der Beziehungen des deutschen Volkes zur Welt beginnt.

    (Lebhafte Zustimmung bei der CDU.)

    Es mag als ein großes Wort erscheinen, wenn
    das hier ausgesprochen wird, nachdem die Redner
    der Opposition durch ihre Argumente mit schweren Bedenken versucht haben, die Stunde zu analysieren, aber auch zu verkleinern. Es ist nicht an
    dem, daß heute nicht sehr viele Bedenken zu jedem
    möglichen Schritt deutscher Außenpolitik angemeldet werden könnten. Es ist nicht an dem, daß
    ernsthafte Argumente gegen neue Schritte in der
    deutschen Außenpolitik nicht ernsthaft aufgenommen würden. Aber es geht darum, heute einmal
    wirklich zu sehen, was beginnt, mehr auf den
    Geist der Dinge zu sehen als nur auf den einzelnen Buchstaben und das einzelne technische Wort.
    Als wir im Jahre 1945 zusammenbrachen, war
    uns nichts anderes übriggeblieben als unsere Hoffnung, unser Mut und die Kraft des Geistes und des
    Willens. Es war uns dazu noch übriggeblieben die
    Hoffnung — und da hat Herr Baade vollkommen recht — auf alle jene Gutgesinnten in der Welt, die bereit sein mochten, in einer Stunde, die nicht nur unser Schicksal, sondern das Schicksal der ganzen Welt besiegeln mochte, die Großmut des Siegers zu üben. Die Großmut des Siegers hat lange auf sich warten lassen, trotz all der vielen Kräfte, die hier aufgezählt worden sind und deren Beitrag zu dem, was heute erreicht worden ist, nicht geleugnet werden soll. Mancher Deutsche konnte sich die Frage stellen: Gibt es in dieser Situation für den Besiegten selber überhaupt eine Möglichkeit, in der neuen Bewegung der europäischen Politik mitzuwirken, selber Impulse zu geben, damit die europäische Politik aus einer verhängnisvollen Stagnation und Verkrampfung heraus jenem gemeinsamen Ziel entgegengeführt werde, das alle Gutgesinnten unseres Volkes und alle Gutgesinnten der Welt erstreben? Gewiß, Impulse der Macht konnten es nicht sein. Es mochte Deutsche geben — und es hat sie gegeben —, die glaubten, aus dem erwachsenden Gegensatz der großen Weltmächte Kapital schlagen zu können, die glaubten aushandeln zu können.

    (Abg. Renner: Der heißt Adenauer!) — nein, der Mann heißt gewiß nicht Adenauer; ich werde auf diesen Punkt noch zu sprechen kommen —, die wirklich eine Politik des Kuhhandels glaubten betreiben zu können. Das waren, verehrter Herr Dr. Schumacher, Leute des 19. Jahrhunderts; das waren Leute, die nicht begriffen haben, was die Stunde des 20. Jahrhunderts geschlagen hatte. Nicht zu denen bei uns und bei anderen bekennen wir uns, die da Europa im Munde führen und nur den Vorteil des eigenen Landes meinen.

    Beifall bei der CDU.)
    Uns ist Europa und mit Europa die Welt eine wahrhaft wichtige Angelegenheit, weil wir ganz genau wissen, daß die Entscheidung in diesem Jahrhundert entweder die europäische Entscheidung sein wird. Dann werden alle diese Streitfragen, um die wir uns heute noch zanken, keine Bedeutung mehr haben.

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Oder Europa wird diesen Weg nicht finden; dann geht es unter. Das ist die Alternative, die vielleicht jeder in diesem Hause — außer Ihnen ganz links — in ihrem vollen Ernst sieht.
    Nun ist das Wort Bismarcks von der Politik als der Kunst des Möglichen viel gebraucht und, ich weiß, viel mißbraucht worden. Darüber scheinen heute in der Tat die Ansichten der Regierung und der Opposition auseinanderzugehen. Und wenn wir ernst und offen miteinander reden und uns wirklich bemühen, uns nicht gegenseitig parteipolitische und parteitaktische Gründe zu unterschieben, dann wollen wir uns diesen Gegensätzen nicht verschließen. Mir erscheinen zwei Äußerungen der Vertreter der Opposition besonders aufschlußreich, um diese verschiedene Auffassung über den Weg, den die deutsche Außenpolitik einschlagen sollte, zu beleuchten. Die eine Außerung war die des Herrn Kollegen Dr. Arndt, der gesagt hat: „Wir wollen eine totale Kooperation der Völker" — einverstanden! —, „nicht nur eine Allianz der herrschenden Klassen". Hier zeigte es sich, daß die Opposition, die Sozialdemokratische Partei, aus ihrer innenpolitischen Konzeption eine außenpolitische Konzeption entwickelt,

    (Zuruf von der SPD: Wieso denn?)



    (Kiesinger)

    indem sie den Standpunkt der sozialistischen Politik, wie sie ihn immer begreift,

    (Abg. Dr. Wuermeling: Klassenkampf!) gegen die Politik stellt, die wir als die Politik nicht nur einer herrschenden Klasse, sondern als die Politik begreifen, die zum wahren Wohl des deutschen Volkes führen wird.

    Die zweite Bemerkung des Kollegen Baade war die, daß er sagte: Ja, wenn bei der Ruhrbehörde deutsche, englische, amerikanische Arbeiter — wenn ich ihn recht verstanden habe — vertreten wären, würden wir zu dieser Behörde anders stehen. Das ist doch nun in der Tat ein 'Gegensatz, der ganz klar genannt werden soll. Ob deswegen der andere Gegensatz, der von der Sozialdemokratischen Partei vertreten wird, wirklich so bedeutsam ist, weiß ich nicht. Es wird von der Opposition gesagt, daß wir viel zu rasch und zu früh zu Vorleistungen, Gegenleistungen, zu Verkoppelungen von Leistungen bereit gewesen sind, während durch eine vielleicht kraftvolle oder konsequente Politik — über deren Einzelheiten wir allerdings nur sehr wenig vernommen haben —

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    diese oder noch viel weitergehende Erfolge sich erreichen ließen.
    Es ist eine Unterstellung, die wir scharf zurückweisen müssen, daß bei dieser Außenpolitik — auch in den Schlußworten des Kollegen Baade kam dies zum Ausdruck — es sich um ein Bündnis von kapitalistischen oder herrschenden Klassen der Völker handle. Es geht uns — das dürfen Sie von der Opposition uns glauben —, genau so wie wir es von Ihnen annehmen möchten, um das Wohl der Völker.

    (Beifall in der Mitte.)

    Wie es in der Wirtschaftspolitik falsch ist, die Dinge so zu formulieren, als ob die einen nur für das Wohl der arbeitenden Klasse und die anderen für das Wohl der besitzenden Klasse Politik betrieben, genau so falsch ist es, auf außenpolitischem Gebiet den Gegensatz so herauszustellen.

    (Beifall bei der CDU.)

    Wir sind gegen eine Politik der planenden oder zwingenden Wirtschaft deswegen, weil wir uns von ihr keinen Erfolg versprechen, auch keinen Erfolg für die arbeitenden Klassen.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Und wir machen uns nach den bisherigen Erfahrungen darüber keine Illusionen, daß eine Politik, die sich etwa auf die internationale Solidarität der arbeitenden Klassen bezöge, uns aus unserem Elend herausreißen würde.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Ich gebe zu, daß drüben auf den englischen Inseln Männer und Frauen leben, die sich in vorbildlicher Weise für unsere Belange, die Belange der Menschlichkeit eingesetzt haben. Da hat Kollege Baade vollkommen recht; aber sie haben sich nicht durchsetzen können, allzu lange nicht durchsetzen können; und noch jüngst hat der englische Außenminister seinen Zorn gegen das deutsche Volk, seine Ressentiments gegen die Deutschen selbst in einer hochpolitischen Rede nicht unterdrücken können. Ich habe bedauert, daß er es getan hat.

    (Abg. Renner: Er hat aber ganz bestimmte Deutsche gemeint!)

    — Verehrter Herr Renner, er hat nicht einmal Sie ausgenommen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Er hat nämlich von den Deutschen gesprochen,

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Zuruf von der KPD: Ein schlechter Politiker und ein noch schlechterer Schauspieler! — Weitere Zurufe und Unruhe.)

    — Ich habe Ihre Randbemerkungen zugelassen, ohne zu glauben, daß es sich lohnt, darauf einzugehen.

    (Zuruf von der KPD: Dazu fehlen Ihnen die Voraussetzungen!)

    — Ich traue mir durchaus zu, Ihnen, wo es notwendig ist, eine Antwort zu geben.

    (Zurufe.)

    Nun, meine Damen und Herren, um was handelt es sich wirklich? Das ist die Frage, die ich nach den Ausführungen des Kollegen Arndt aufgreifen will. Es handelt sich nicht darum, hier vor diesem Parlament große völkerrechtliche Kollegs zu lesen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Es handelt sich nicht darum, den großen Erfolg, den unser Bundeskanzler in den letzten Tagen nach der Meinung nicht nur des großen Teils des deutschen Volkes, sondern des überwiegenden Teils der Welt

    (Lebhafter Beifall in der Mitte)

    erzielt hat, zu verkleinern. Wir nehmen unserer Opposition nicht das Recht, da ihre Stimme zu erheben, wo sie glaubt, dazu verpflichtet zu sein, und wo sie glaubt, darauf hinweisen zu müssen, daß noch das eine oder das andere getan und noch erlangt werden könnte. Eins wollen wir aber unter allen Umständen verhindern: Wir wollen nunmehr unseren führenden Politikern jenes Schicksal der Politiker nach 1919 — und zwar das Schicksal der fähigen Politiker nach 1919 — ersparen, die, von einem Teil ihrer politischen Gegner bekämpft, geschmäht, ja oft genug verleumdet oder aber umgeben von der frostigen Atmosphäre politischen Unverständnisses oder politischer Uninteressiertheit eines großen Teiles unseres Volkes ihr bitteres Amt haben ausführen müssen.

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Wir sind hier nicht zusammengekommen, um unserem Bundeskanzler überflüssige Ovationen darzubringen. Aber wir haben uns verpflichtet gefühlt, ihm, der diesen einsamen und schweren Weg der letzten Wochen hat gehen müssen,

    (Lachen links)

    der diesen notwendig einsamen Weg hat beschreiten und diesen Kampf hat führen müssen,

    (Zustimmung in der Mitte und rechts)

    der aber bei jeder Phase dieses Weges sein Gewissen befragte, wie wir genau wissen, zu versichern, daß er unser Vertrauen hat und daß er dieses unseres Vertrauens auch auf dem weiteren Wege versichert sein darf.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Wenn ich vorhin davon sprach, wie denn ein Besiegter in dieser europäischen Situation von sich aus der stagnierenden europäischen Politik Impulse zuführen konnte; so konnte die Antwort nur lauten: der Besiegte, der über keine Macht und keine Gewaltmittel verfügt, darf sich nicht darauf beschränken, eine Politik des Schachern, des Handelns, der bloßen Ausnutzung zeitbedingter Situationen zu betreiben; dieser Besiegte, der nicht, wie nach 1919 manche noch glauben konnten, eine


    (Kiesinger)

    Politik des allmählichen Heraushandelns von Vorteilen für die eigene Nation im Auge hat, sondern der wie jeder echte europäische Politiker das Ziel der kommenden europäischen Föderation — oder wie Sie das kommende Gebilde nennen wollen — im Auge hat, mußte einen anderen Impuls geben. Diesen Impuls kann man nicht mit schönen Worten geben; denn die politischen Tatsachen sind dafür viel zu hart und viel zu rauh. Diesen Impuls konnte man nur mit Taten geben.

    (Sehr richtig in der Mitte und rechts.) Taten aber konnten in diesem Zusammenhang nur Opfer, nur Zugeständnisse sein.

    Gewiß, das ist eine Politik, die mit Risiko verbunden ist, eine Politik, die unter Umständen auch fehlgehen könnte, nämlich dann, wenn die Partner dieser Politik sie nicht verstehen würden. Unser Kanzler hat immer wieder in gelegentlichen Adressen an das Ausland darauf hingewiesen, es sei die Voraussetzung seiner Politik, daß auch drüben auf der anderen Seite jener Geist der Zusammenarbeit, jener Geist europäischen Gemeinsinnes, ja Weltgemeinsinnes, vorhanden sei der allein uns zu einer wirklichen Lösung bringen könne.

    (Zuruf von der KPD: Glauben Sie an diese Lösung?)

    — Daran glauben wir; denn wenn wir nicht daran glaubten, Herr Renner, dann müßten wir heute resignierend unser Schicksal vom Osten her hinnehmen, und das wollen wir nicht.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.) Wir glauben immer noch an eine Lösung, und zwar an eine Lösung der Freiheit und des Friedens.


    (Erneute lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Man mag nun zu diesen Zugeständnissen, wie man sie nennt, tatsächlich verschieden Stellung beziehen. Man mag sagen: „zu früh, zu viel, zu rasch!

    (Zurufe von der KPD.)

    Wir sind der Meinung: nicht zu früh, nicht zu viel und nicht zu rasch! Wir sind deswegen dieser Meinung, weil sich die Situation des Jahres 1919 nicht wiederholt, weil es in der Tat jetzt nicht darum geht, wie vorhin dem Bundeskanzler und seiner Politik unterschoben worden ist, eine Politik des Kuhhandels, der Verkoppelung, des Schacherns, der Kleinkrämerei zu betreiben. Wer könnte dies der Politik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung in der Tat vorwerfen!. Diese Politik hat eine ganz andere Grundlage und ein ganz anderes Ziel.

    (Widerspruch bei der KPD und bei der SPD.)

    Es ist eine Politik, die darauf hinausgeht, ganz Europa und insbesondere Frankreich — denn hier liegt ja der Schlüssel für die Lösung des europäischen Problems — aufzufordern, nun nach diesen Beispielen echten europäischen Gemeinsinnes, die wir beibringen, den europäischen Gemeinsinn ihrerseits zu fördern.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Das Abkommen, das auf dem Petersberg beschlossen worden ist, zeigt ja nicht nur in seinen einzelnen Bestimmungen, sondern in seinem ganzen Wortlaut, in dem Ton, in dem es gehalten ist, daß dies die eigentliche Seele des Abkommens ist. Wenn in dem Abkommen ausdrücklich der Satz steht, daß auf der Grundlage des gegenseitigen
    Vertrauens die Beziehungen der Mächte fortschreitend weiter zu entwickeln sind, dann ist damit deutlich genug gesagt, daß in dieses Abkommen in der Tat ein dynamisches Prinzip mit hineingenommen worden ist und daß es sich nicht um eine jener ewig statischen, ewig starren Vereinbarungen handelt, die shylockhaft ausgelegt werden sollen. Es geht hier vielmehr um ein Abkomkommen, das von vornherein die Entfaltung, die Entwicklung in sich begreift. Das liegt ja — und das ist das größte Plus der Politik des Kanzlers — einfach im Zuge der europäischen geschichtlichen Entwicklung. Wir brauchen nicht so ängstlich und so kleinlich zu sein. Wir dürfen den Mut haben, daß die Zeit des anarchischen Nationalstaatentums wirklich vorbei ist. Wer bei uns oder bei den anderen jener Zeit und jener Konzeption noch anhangen sollte, der würde in der Tat einer versteinten Zeit angehören.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Wir Deutsche wollen doch wieder einmal - was
    wir so selten in unserer Geschichte haben tun
    können — im Zuge der Zeit Politik machen: denn
    immer dann ist Politik erfolgreich, wenn sie wirklich im Geiste der Zeit lebt und handelt und nicht
    entgegen der Zeit, wie wir es so oft getan haben.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts; Zurufe von der KPD.)

    Dieser Geist der Zeit wird von allen, die nicht in einer einseitigen, dogmatischen politischen Konzeption befangen sind, durchaus begriffen. Es ist der Geist der Einheit, es ist der Geist der Freiheit und es ist der Geist des Friedens, der Geist, den nicht, wie man uns glauben machen will, ein paar bösartige Kapitalisten als Propagandavorwand gebrauchen, sondern der Geist, der Hunderte von Millionen Menschen auf dieser Welt beseelt. Darüber sind wir uns, glaube ich, auch mit dem größten Teil unserer Opposition einig.
    Wenn mir noch ein kurzes Wort zur juristischen Sachlage zu sagen erlaubt ist, so möchte ich nicht auf die langen juristischen Erörterungen, die heute abend hier gehalten worden sind, im einzelnen eingehen. Ich möchte aber insbesondere den scharfsinnigen und sorgfältigen Begründungen des Herrn Kollegen Dr. Arndt entgegenhalten, daß sie einem traditionellen Völkerrecht oder einer traditionellen völkerrechtlichen Argumentation entnommen sind, die, wie er selber weiß, heute von Völkerrechtlern durchaus ernsthaft bestritten werden kann und ernsthaft bestritten wird. Es gibt je und je im Ablauf der Jahrhunderte und seit den Zeiten des Hugo Grotius und seines „De iure belli ac pacis" Entwicklungen — und wir erleben jetzt wieder eine solche Zeit —, in der die bisherigen Grundlagen des Völkerrechts sich auflösen, zertrümmert werden, in der völlig neue Tatbestände geschaffen werden und aus diesen neuen Tatbeständen sich erst wieder ein neues Völkerrecht entwickelt.

    (Zuruf von der SPD: Das haben wir an Hitler erlebt!)

    — Wir haben an Hitler nicht erlebt, daß sich ein neues Völkerrecht entwickelt hat, aber wir haben nach 1945 erlebt, daß durch das, was angerichtet worden ist, dieses neue Völkerrecht dann allerdings in der Tat mit Macht in Erscheinung trat.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Daß wir Deutsche dabei in der Hauptsache die Leidtragenden sind, ist wahr. Ich gehe nicht so weit in meinen Entgegnungen gegen Herrn Kollegen Dr. Arndt, wie einer dieser deutschen Völker-


    (Kiesinger)

    rechtler, in seiner Hilflosigkeit der Situation gegenüber, zu sagen: „Ja, man muß feststellen, daß es heute zweierlei Rechte im Völkerrecht gibt, eines, ein Sonderrecht für die Deutschen, man könnte es auch ein Unrecht für die Deutschen nennen, und all das andere für die übrigen Völker." Dieses Argument will ich nicht bringen.

    (Abg. Dr. Arndt: Aber nur e i n Grundgesetz, Herr Kollege!)

    — Richtig, Herr Kollege Dr. Arndt, nur ein Grundgesetz, aber Sie können in diesem Falle das Grundgesetz ja nicht losgelöst von einer völkerrechtlichen Betrachtung konzipieren, da ja die Streitfrage abhängt von völkerrechtlichen Betrachtungen, nämlich davon, ob der Artikel 59 hier betroffen ist, ob es sich um völkerrechtliche Vereinbarungen und nicht um Vereinbarungen ganz eigener, ganz neuer Art handelt, eben im Rahmen dieses Besatzungsrechts, und darum, ob es nicht in der Tat richtig ist, daß wir keinerlei Hoheitsrechte übertragen, sondern daß wir nur einen Zustand hinnehmen, der bereits besteht. Ich bin mit meinen Freunden der Auffassung, daß es in der Tat so ist und daß infolgedessen die Voraussetzungen der Verfassung nicht zutreffen.
    Aber, meine Herren von der Opposition, des großen Klagens ist keine Not; denn das, was Sie letztlich wollen, eine Willenskundgebung des Parlamentes zu dieser Politik der Regierung, das bekommen Sie zwar nicht in dieser formalistischen Art einer besonderen Gesetzgebung, aber Sie bekommen es heute und jetzt, diesen Abend noch werden Sie es erleben!

    (Bravorufe und Händeklatschen in der Mitte und rechts. — Zurufe links.)

    Wenn Sie also davon sprechen, daß das Parlament übergangen werde, so ist es nur in einem gewissen formellen Sinne von Ihrem Standpunkt aus richtig. Sie wissen selbst, daß das Ergebnis, ob wir heute abend dieses Parlament so unformell befragen, oder ob es den formellen Weg der Gesetzgebung ginge, sachlich kein anderes sein würde.

    (Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Uns liegt die Sorge um die Bewahrung des Grundgesetzes und der verfassungsmäßigen Rechte des Parlamentes genau so am Herzen wie der Opposition.

    (Zurufe links: Na, na!)

    Die Opposition mag uns einwenden: „Das sieht nicht so aus!" — Gut, wir können auch hier vielleicht eine etwas verschiedene Konzeption vom Grundgesetz haben. Das Grundgesetz selbst ist ja durchaus nicht ganz einfach einzufügen in das Schema irgendeines durchschnittlichen parlamentarischen Verfassungsstaates. Die Rechtsstellung, die es der Regierung und dem Bundeskanzler bewußt durch die Verfassungsgesetzgebung erteilt hat, ist in der Tat eine wesentlich andere als etwa zur Zeit der Weimarer Verfassung.

    (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.)

    Das ist bewußt so gewollt, um jenem entsetzlichen Elend und Unglück zu steuern, das wieder hätte kommen können, diesem ewigen Wechsel machtloser Regierungen, nie arbeitsfähig, nie entschlußfähig, und damit die Öffnung des Weges zum politischen Chaos, zur politischen Anarchie, zur politischen Demagogie und zuletzt zur politischen Diktatur!

    (Händeklatschen in der Mitte und rechts.)

    Auch hier kann in der Tat — das wäre einmal unter uns in allem Ernst auszudiskutieren — eine verschiedene Konzeption zugrunde liegen. Wir werden in Zukunft Gelegenheit haben, noch mit Ihnen über diese Dinge zu sprechen.
    Was anzuerkennen ist, ist doch, daß diese Art von Erfolgen, die der Kanzler in den letzten Tagen und Wochen, in den kurzen Tagen und Wochen —
    zwei Monate, wurde heute gesagt, und ich betrachte zwei Monate im Leben eines Parlaments als eine verteufelt kurze Zeit — erreicht hat, doch nicht zuletzt auf eine gewisse Elastizität, auf eine gewisse Beweglichkeit und Spontaneität des Handelnkönnens beim Kanzler zurückzuführen ist.

    (Zurufe von der KPD.)

    — Ja, Sie von ganz links hätten das natürlich immer wieder gern, nicht wahr, den ganzen schwerfälligen Apparat der Gesetzgebung, der in Bewegung gesetzt würde, womöglich mit Einspruch des Bundesrats, hätten das Wochen, Monate vielleicht hinausgezögert! Dann würden wir überhaupt zu keiner politischen Aktivität mehr kommen.

    (Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

    Es muß doch dem parlamentarischen und demokratischen Sinne einer Verfassung entsprechen, wenn der Herr Kanzler weiß, daß er das Vertrauen der Mehrheit dieses Hauses hat

    (Hört! Hört! links)

    und daß das Hohe Haus ihm nun einmal bis zu einem gewissen Grade auch eine Blankovollmacht erteilt hat.

    (Lebhafte Zurufe links: Aha!)

    Anders geht es selbst in einem demokratischen Musterstaate nicht.

    (Zurufe links: Ermächtigungsgesetz!)

    — Meine Damen und Herren, bringen Sie mir nicht das Ermächtigungsgesetz! Sie wissen ganz genau, schon die Diskussion heute abend an dieser Stelle wäre bei einem Ermächtigungsgesetz nicht möglich; Sie wären nicht zu Wort gekommen und wir auch nicht.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte.)

    Wir haben kein Ermächtigungsgesetz, sondern wir haben nur die Notwendigkeit, dem Kanzler eine gewisse Freiheit, einen gewissen Spiel- und Bewegungsraum im Politischen zu geben. Wie weit der im einzelnen zu gehen hat und zu geben ist, darüber kann in der Zukunft und wird zweifellos in der Zukunft noch manches in diesem Hohen Hause und in den Fraktionen dieses Hohen Hauses zu sagen sein. Aber ich habe den Eindruck, daß die Mehrheit dieses Hohen Hauses mit dem, was aus dieser Bewegungsfreiheit aus Spontaneität des Handelns nunmehr erreicht, worden ist, durchaus zufrieden sein kann.

    (Erneuter lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Und, meine Damen und Herren, nicht nur wir sind zufrieden. In diesen Abendstunden ist bereits draußen in den Arbeitsstätten, in den Fabrikstädten, in denen nun der Demontagestop Wirklichkeit geworden ist, das, was heute abend hier diskutiert wird, auch diskutiert worden, unter einfachen, schlichten Männern, die sich nicht den Blick trüben lassen

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts)

    durch kleinliche Analysen, sondern die wissen,
    um was es geht. Ich habe hier die ersten Meldungen vor mir liegen, die DPA hereingebracht


    (Kiesinger)

    ) hat. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten will ich wenigstens zwei von ihnen verlesen:
    Das Echo der deutsch-alliierten Abkommen. Hamburg (dpa). In den bisher zur Demontage vorgesehenen Betrieben des Ruhrgebiets hat die Verkündung des Demontagestops eine freudige Stimmung ausgelöst.

    (Zuruf links: Das ist eine abgemachte Sache!)

    Die Leute auf den Werken rufen sich die Einstellung der Demontage zu, teilt die Betriebsleitung der Chemischen Werke Bergkamen mit. Es herrscht eine Stimmung wie am Weihnachtsfest.

    (Zurufe links.)

    Für Bergkamen wird es einen kolossalen Auftrieb geben.

    (Erneute Zurufe links.)

    — Hören Sie es sich nur an! Und die zweite Meldung:
    Die Werksleitung der Krupp-Treibstoffwerke in Wanne-Eickel erklärt:
    Uns ist ein Stein vom Herzen gefallen. Alle sind begeistert. Es ist ein außerordentlicher Erfolg für Dr. Adenauer.

    (Händeklatschen in der Mitte und rechts. — Zurufe links.)

    Meine Damen und Herren, auch Sie, meine Damen und Herren von der Kommunistischen Partei,

    (Zurufe von der KPD. — Abg. Dr. Wuermeling: Setzen Sie doch mal Ihre Parteibrille ab da drüben!)

    wollen Sie von der Kommunistischen Partei ernsthaft behaupten, daß heute abend die Arbeiter dieser Städte in Sack und Asche herumlaufen?

    (Abg. Renner: Ich gebe Ihnen gleich die Antwort!)

    — Dann bedaure ich, daß wir hier keinen Fernseher haben, der Ihnen sofort vor Augen führte, wie die wahre Stimmung des Volkes ist, auch jenes Teiles des Volkes, den Sie angeblich allein vertreten.

    (Lebhafte Zurufe: Sehr richtig! und Händeklatschen in der Mitte und rechts. — Abg. Renner: Hat Herr Pferdmenges auch schon kapituliert?)

    Das, meine Damen und Herren, ist die Situation, wie meine politischen Freunde sie sehen. Wir sind der Meinung, daß wir tatsächlich Mut haben müssen zu dieser Politik. Wir verkennen nicht ihre Risiken. Wir wissen, daß es um ernste Entscheidungen geht. Wir sind stets bereit, die Einwände der Opposition anzuerkennen, wenn sie
    — und das muß ich hier einmal aussprechen — so vorgebracht werden, daß der Herr Bundeskanzler nicht wieder einmal genötigt wird, in eigener Sache das Wort zu ergreifen. Es muß dann aber in einer Form geschehen, die erträglich ist, sowohl innerhalb als auch außerhalb dieses Parlaments.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Es gibt eine Art der Kritik, die, von oben herab
    erteilt, in einem schulmeisterlichen Ton gehalten,
    mit Unterstellungen von vielleicht sogar unlauteren Motiven, mit dem Hinweis auf vollkommene
    Dummheit, auf den Mangel jeglicher politischen
    Konzeption usw., so vorgetragen werden kann, daß
    sie fast notwendigerweise eine Reaktion aus dem
    gegnerischen Lager herausfordert. Und wie bedauerlich ist das doch! Meine Damen und Herren,
    ich gehöre zu denen, die nichts sehnlicher wünschen, als daß dieser Zustand, den Herr Kollege Baade gekennzeichnet hat, erreicht würde, und ich weiß, daß auch der größte Teil meiner Freunde, ich möchte sagen, alle meine Freunde, diesen Zustand herbeiwünschen, den Zustand nämlich, daß wir einmal Außenpolitik treiben könnten auf der breitesten Grundlage, die in diesem Hause zu erreichen überhaupt möglich ist. Aber die Opposition wird mir zugestehen, daß sie uns das, insbesondere durch ihren Führer, nicht immer leicht gemacht hat. Man kann nicht einfach den Regierungsparteien immer nur vorwerfen, sie seien zu einer solchen gemeinsamen Außenpolitik nicht bereit. Ich habe nicht gefunden, daß von oppositioneller Seite eine solche Bereitschaft in Wort und Tat bisher ernsthaft gezeigt worden wäre.

    (Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Das soll aber nicht bedeuten, daß wir nicht alle aufgerufen wären, diesen Versuch auch in der Zukunft zu machen. Wer von uns sollte wirklich ernsthaft den Unsinn wünschen, daß in Sachen der deutschen Außenpolitik dieses h ou e Haus wirklich auf die Dauer nicht nur gespalten, sondern immer katastrophaler auseinandergerissen würde? Wir alle müssen doch wünschen, daß wir uns eines Tages in der Tat zusammenfinden. Aber dann müssen wir auch unseren Standpunkt ehrlich, höflich und mit gegenseitigem Respekt verfechten. Das wollen wir tun und haben wir auch getan, meine Herren von der Opposition,

    (Zuruf von der SPD: Eben nicht!)

    und wir erwarten es auch von Ihnen. Statt daß wir uns heute gegenseitig Vorwürfe machen, sollten wir lieber in der Zukunft aufpassen und bei aller Verschiedenheit der sachlichen Standpunkte versuchen, wenigstens das Menschenmögliche herauszuholen.

    (Abg. Rische: Wer macht denn die Politik?)

    Vielleicht wird auch auf diesem Gebiet weniger die Überzeugung Und die Einsicht das leisten, was in der Geschichte der Menschen immer nur die Not geleistet hat. Wir sind noch nicht am Ende unserer vaterländischen Not, der Not unseres Volkes, und ich betone es noch einmal: unseres Volkes in allen seinen Kreisen, der sogenannten Besitzenden und der Nichtbesitzenden.

    (Abg. Rische: „Sogenannten" ist gut!)

    Denn mit den alten Schlagworten des Klassenkampfes haben wir ja wohl alle allmählich aufgehört. Wir müssen diesen Geist der Tat — und es geht hier nicht um Phrasen, es geht hier um bittere Wirklichkeit — in die kommende Entwicklung mit hineinnehmen, nachdem, woran ich nicht zweifle, das Hohe Haus heute abend die Politik des Bundeskanzlers gebilligt haben wird. Wir alle müssen uns nicht nur als Deutsche untereinander in diesem Hause verpflichtet fühlen, sondern auch als Europäer unter Europäern; denn denselben Appell, den wir an uns richten, richten wir heute auch an die Menschen jenseits unserer Grenzen. Ich habe gesagt, um was es geht, daß wir diese Politik des Kanzlers nicht durchführen können, wenn nicht auch jenseits dieser Grenzen Einsicht, politische Weisheit, politische Güte, politische Großzügigkeit herrschen, die wir zu zeigen bereit sind und wie wir sie in der Tat schon gezeigt haben.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)



    (Kiesinger)

    Dies scheint mir, meine Damen und Herren, nach all den vielen kleinen Ausstellungen an der Politik das Wesentliche zu sein.
    Ich habe das Bedürfnis, am Schluß noch einmal gerade gegenüber Herrn Baade zu sagen: Es ist richtig, daß viele gute Kräfte in der Welt und viele zwangsläufige Entwicklungen unseren Kampf vorbereitet haben, der auch von seiten meiner Parteifreunde schon lange begonnen worden ist; denken Sie an den schon im Wirtschaftsrat seit langem geführten mühseligen Kampf gegen die Demontagen.

    (Zuruf: Nordrhein-Westfalen!)

    — Im ganzen Bundesgebiet. — Aber eines dürfen wir nicht verkennen: Wie leicht ist es, wenn nun mit einem Erfolg hervorgetreten wird, zu sagen: „Das ist gar nichts; wieviel mehr hätte sich heute oder morgen oder übermorgen erreichen lassen!" Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß hier doch etwas mehr im Spiele ist, daß das nicht nur eine mehr oder weniger zwangsläufige Entwicklung ist, sondern daß hier in der Tat eine bedeutende politische Persönlichkeit sich nun auf deutscher Seite endlich in das weltpolitische Gespräch mit unserer Unterstützung eingeschaltet hat. Diese Persönlichkeit ist unser Bundeskanzler Dr. Adenauer mit seinen Gehilfen in der Regierung.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Widerspruch links.)

    Diesen Erfolg kann man nicht verkleinern. Wir haben keinen Anlaß, diesen Erfolg als ein Freudenfest für Deutschland zu begehen. Daß es aber in vielen deutschen Herzen, in Tausenden und aber Tausenden, Freude gegeben hat und Freude geben wird, darüber ist kein Zweifel. Es ist auf dem mühseligen Weg aus der Katastrophe zu einem neuen menschenwürdigen Dasein ein wesentlicher Schritt vorwärts getan worden.
    Wenn ich noch ein Wort sagen darf zugunsten jener Armen, die durch die Vereinbarung nichts bekommen haben: Salzgitter usw., so dürfen diese Menschen gewiß sein, daß nichts, aber auch nichts unversucht gelassen wird, um auch ihnen in Zukunft zu helfen.
    Ich habe darauf hingewiesen, daß dieses Abkommen denkwürdig ist. Ich bin hier wie in vielen Fragen, die Herr Kollege Baade angeschnitten hat — ohne im einzelnen auf sie einzugehen —, der Auffassung, daß über kurz oder lang, ohne den berühmten „dolus eventualis", bald aus dem Geiste gegenseitigen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens sich jene von der Vereinbarung gewollte fortschreitende Entwicklung herausbilden wird. Wenn auch wir — anders geht es ja nicht — durch unser Mitdabeisein uns den nötigen Kredit verschafft haben, werden noch viele und hoffnungsvolle Möglichkeiten in der Entwicklung der Dinge liegen. Uns dabei, meine Herren von der Opposition, in jeder Art zu unterstützen, durch sachkundigen Rat, durch Erheben von Bedenken, wenn Sie glauben, daß ein Fehler gemacht worden sei, in der richtigen taktvollen und taktisch richtigen Art, sei niemandem verwehrt, wie auch wir uns bemühen wollen, alles so recht zu tun, wie es uns möglich ist. Wir wollen uns nicht von vornherein trennen. Wir wissen ja, um was es geht und was viele von uns über die Fraktionsschranken hinweg bekümmert hat. Dieses Bekenntnis des Vertrauens zur Politik des Kanzlers wollte ich zum Schluß auch im Namen meiner Parteifreunde abgeben. Es ist in der Tat nicht so einfach, solche
    Erfolge zu erreichen. Dazu gehört mehr: Männer, Persönlichkeiten! Weil wir dieser Auffassung sind, hat meine Fraktion folgende Entschließung gefaßt:
    Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Befriedigung von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen und stimmt der politischen Zielsetzung der Bundesregierung zu.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gockeln.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Josef Gockeln


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Ich hoffe, mir Ihre Sympathie durch die Kürze meiner Darlegungen zu erwerben.

    (Beifall.)

    Ein Parlament muß politische Fragen in ihrer staatsrechtlichen, verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Beziehung erörtern. Jeder Hinblick auf die deutsche Politik ließ uns erwarten, daß sich mit diesem Zeitpunkt Komplikationen und Schwierigkeiten ereignen, weil zur reibungslosen Entwicklung und Entfaltung einer Außenpolitik ein geordneter Staat und eine unbezweifelte rechtliche und politische Substanz vorhanden sein muß. Ich nehme dieses Wort, weil ich hier an einem Lehrstuhl der Politik heute abend so oft gehört habe, daß die jetzt begonnene Politik eine gefährliche Veränderung der politischen und rechtlichen Substanz unsere Volkes sei. Ich habe mich gefragt, welcher Art diese besonders geschützte Substanz sein müßte. Ein Volk, das am 8. Mai 1945 jede eigene Souveränität verlor, in vier Besatzungszonen aufgeteilt und verschieden regiert wurde — es ist sehr schwer, sich von dessen eigener politischer und rechtlicher Substanz einen klaren, einprägsamen Begriff zu machen. Man sollte aber an dieser Stelle die politischen Probleme so behandeln, wie wir sie draußen in einer Volksversammlung behandeln könnten. Nur dann glaube ich, daß wir selbst das Ohr des Volkes, sein Vertrauen und schließlich auch sein Verständnis haben werden. Wenn hier verfahrensmäßige Mängel vorgekommen sein sollten in einer Lage, in der die jetzige Bundesregierung die ersten Schritte in außenpolitischer Beziehung tut und Verpflichtungen eingeht, muß ich aus meiner bisherigen parlamenttarischen Tätigkeit sagen, daß von der ehrenwerten Bank des Bundesrats so manches Mitglied der bestehenden Länderregierungen unter die gleiche Anklage gestellt würde, unter die die Bundesregierung gestellt wird.

    (Zuruf links: Soll das eine Entschuldigung sein, Herr Kollege?)

    — Nein, aber aus der Erfahrung als Präsident des größten deutschen Länderparlaments und aus den Bemühungen um die Grundlage einer echten staatlichen Verfahrensrechtlichkeit weiß ich, wie oft diese Länderregierungen Schritte tun mußten, bei denen sie uns vorher, nicht gefragt haben, ja zum Teil gar nicht fragen konnten.

    (Zuruf links: Sie haben als Präsident Erfahrungen mit Herrn Dr. Adenauer! — Abg. Renner: Die Bewegung war echt!)

    — Der Herr Bundeskanzler gehört zur politischen Substanz dieses Volkes und zu einer sehr respektablen Substanz!

    (Beifall in der Mitte.)

    Ich möchte auf einen Gedanken eingehen, der mir wichtig erscheint. Wenn ich die Kritik an dem


    (Gockeln)

    außenpolitischen Weg unserer Bundesregierung in den letzten Sitzungen überlege, dann ist es die immer wieder durchklingende Sorge, daß dieser Weg die sozialen Rücksichten und Belange nicht genügend wahren könnte. Ich gehöre zu denen, die sich auch über die Frage, wie Deutschland in einem zukünftigen Europa stehen wird, ihre Gedanken und Sorgen machen. Ein Redner hat an diesem Tisch erklärt, daß schließlich das große Gefühl unserer internationalen Arbeiterbewegung, getragen von der Auffassung der Gleichwertigkeit, zu dieser Solidarität geführt hat. Nun meine ich aber doch, in der Erklärung, die heute dem Hause gegeben wurde, ist in ihrem politischen Effekt ein erheblicher Schritt zu dieser Gleichberechtigung getan worden. Das zukünftige Europa soll nicht nur in seiner verfassungsrechtlichen und staatsrechtlichen Struktur in die Situation des 20. Jahrhunderts gehören, sondern auch die soziale Situation soll die des 20. Jahrhunderts sein, und nicht die des 19. Jahrhunderts!

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Aber jemand aus dem Industriegebiet, etwa der Oberbürgermeister großen Stadt, die mitten in den Fragen der DHaufeage stand, hat doch die Verpflichtung, anzuerkennen, daß in diesem Weg ein sehr greifbarer, berechtigter und unverkennbarer Erfolg liegt.

    (Beifall in derMitte.)

    Es sind 30 000 Arbeiter, die in diesen Betrieben ihr Brot haben, die heute aus der Gefahrenzone der Demontagenliste herausgenommen werden.
    Ich denke nicht daran, mich in den Streit einzumischen, wer daran das Verdienst hat. Zu viele waren es, und immer wieder war es die Sorge aller Beteiligten, für diese Frage eine einheitliche Meinung und Auffassung unseres Volkes zu erhalten. Ich habe in meiner Eigenschaft als Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen dem hier vor mir sitzenden Wirtschaftsminister unseres Landes mehr als zehnmal im Namen des gesamten Landtags gedankt und ihn ermuntert, die Bemühungen fortzusetzen, die damals um die Demontagen angestellt wurden. Es hat ausländische Hilfe gegeben, und bis in diese Tage hinein haben wir Zeugnisse dafür, daß wir nicht berechtigt sind, von Schuldigen oder von leichtfertigen Eroberern zu sprechen. Ich meine: die Diskussion, die der Größe dieser Stunde gemäß sich auch mit dem materiellen Inhalt dieses Abkommens und nicht nur mit der Frage von Verfahrens- und Verfassungsmängeln befassen sollte, wird gerade in den Kreisen Verständnis finden, die heute abend mit dem Gefühl ihre Arbeitsstätte verlassen, daß sie einen Schritt weitergekommen sind. Gegenüber dem Nichts, vor dem wir oft standen, Herr Professor Baade, ist es keine traurige Enttäuschung, gegenüber dem, was noch vor uns steht, ist es nicht die letzte Erfüllung. Aber wer in diesem Hause — ob von denen oder jenen — kann je die Garantie übernehmen, daß er von dieser so geschwächten und unklaren Grundlage unseres Volkes und seiner Politik aus jemals das im ersten und zweiten Schritt erreichen wird, was ein letztes und endgültiges Ziel ist?
    Sie haben eben gehört, daß die Arbeiter unserer Fabriken sich in Freude versammelt haben. Es ist für jeden, der mehr als einmal unter ihnen stehen mußte, angesichts ihrer Sorge das selbstverständlichste, aber es sollte auch das befriedigendste Gefühl für dieses Haus sein.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Sie wollen doch nicht, daß eines schönen Tages gesagt würde, die Verteidigung ihrer Arbeitsplätze, die Eroberung ihrer Freiheit, der Schutz ihrer Betriebsstätten und ihrer Zukunft muß ausgerechnet jenen vorbehalten werden, die sie politisch als Gegner oder als soziale Reaktionäre bezeichnen.

    (Zuruf des Abg. Renner.)

    — Herr Renner, das könnte parteipolitisch unerwünschte Folgen haben. — Ich glaube, im tiefsten ist auch dieses Haus bereit, das anzuerkennen. Der Mißbilligungsantrag, der uns vorliegt, kritisiert lediglich verfahrensmäßige Dinge und bemängelt verfassungsrechtliche Tatsachen. Es heißt: „Der Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung diese Zustimmung einholt."
    Ich glaube also, feststellen zu können, daß der materielle Inhalt der Abmachungen nicht umstritten ist,

    (Sehr gut! bei den Regierungsparteien)

    daß der Inhalt der Abmachungen, die die Bundesregierung heute dem Hohen Hause unterbreitet, in seinem materiellen und damit echten politischen Inhalt doch bereits die innerliche Zustimmung aller gefunden hat.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wuermeling: Kein Widerspruch!)

    Jede Regierung, die hier sitzt, ist eine Regierung des Volkes, mag sie in diesem Hauie von zwei, drei oder vier Parteien getragen werden. Wenn sie aber für das Volk einen Erfolg errungen hat, sollte dieses Haus als Vertretung des Volkes dem innersten Bewußtsein selbst gerecht werden und das auch zum Ausdruck bringen.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich habe die Hoffnung, daß trotz des uns vorgelegten Mißbilligungs-Antrags der Weg dafür durchaus offen bleibt.

    (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)