Rede von
Dr.
Heinrich
von
Brentano
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Meine Damen und Herren! Ich glaube, niemand in diesem Hause wird sich dem Eindruck versagen können, den die letzten Tage und Wochen auf jeden von uns gemacht haben. In diesen letzten Tagen und Wochen, nachdem das Grundgesetz in Kraft getreten war, ist das erste neugewählte deutsche Parlament zusammengetreten, um das Grundgesetz zu verwirklichen, um diesen Staat neu zu gestalten, um der Bundesrepublik Deutschland den ersten Ausdruck zu verleihen und um damit erstmalig wieder nach langen Jahren der erzwungenen politischen Abstinenz aktiv und handelnd in das deutsche Geschehen einzugreifen.
Ich glaube, es ist gut, wenn wir in einem solchen Augenblick auch die Vergangenheit einmal vor unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen; denn es mag eine Eigenart der Deutschen sein, daß sie wohl ein starkes Gefühl für ihre kulturelle Tradition haben, daß sie aber eine erstaunliche Scheu haben, sich auch zu einer politischen Tradition zu bekennen, vielleicht aus dem uneingestandenen Gefühl heraus, daß das deutsche Volk schon so häufig vor seiner eigenen Schicksalsentscheidung versagt hat. Aber es ist gut und richtig, wenn wir uns der Vergangenheit erinnern; denn ein Blick auf die Vergangenheit wird auch am ehesten mithelfen, uns vor Fehlern zu schützen, die in der Vergangenheit begangen wurden und die Deutschland nicht nur einmal, sondern wiederholt auf einen schlechten Weg geführt haben.
Wir sollten uns auch in diesem Zusammenhang erinnern, daß es hundert Jahre her sind, als Deutsche in dem ernsten Bestreben, ein neues deutsches, ein demokratisches Vaterland zu schaffen, zusammenkamen, und wir sollten uns auch des redlichen Bemühens erinnern, das die Deutschen im
Jahre 1919 zusammengeführt hat, um nach einem
schweren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenbruch wieder eine eigene Ordnung zu schaffen.
Ich möchte hier gleich auf die Ausführungen meines Herrn Vorredners eingehen und ihm versichern: Die Bundesregierung, die gestern ihre Erklärung vor Ihnen abgegeben hat, hat nicht die Absicht zu restaurieren, und ich glaube, Sie sollten nach dieser Erklärung dieser Regierung eine solche Absicht auch nicht erst unterstellen.
Meine Damen und Herren, es ist ein Wort gefallen: man müsse befürchten, diese Regierung sehe ihre Aufgabe darin, zu restaurieren und einen autoritären Besitzverteilungsstaat
oder Besitzverteidigungsstaat wiederherzustellen. Ich glaube, es ist nicht gut, wenn wir am Anfang der politischen Auseinandersetzung bereits mit solchen Unterstellungen beginnen;
denn wer die Regierungserklärung aufmerksam verfolgt und nicht an der Ehrlichkeit gezweifelt hat — und dazu liegt wohl kein Anlaß vor —, wird daraus nicht entnommen haben, daß die Regierung unseres Bundeskanzlers Dr. Adenauer die Absicht habe, einen Besitzverteidigungsstaat zu schaffen.
— Ich werde auf den Frankfurter Kurs auch noch zu sprechen kommen.
Im Gegenteil: wenn ich mich an die Regierungserklärung von gestern erinnere, die nach den Feststellungen meines Vorredners 82 Minuten in Anspruch nahm, und mich seiner heutigen Ausführungen auch wieder erinnere, die über 90 Minuten dauerten, dann muß ich sagen: gestern glaube ich ein Programm gehört zu haben,
heute habe ich eine Kritik gehört, die am Schluß als Programm bezeichnet wurde.
Wenn Ihnen der Vorredner sagte, die Regierungserklärung habe manches ausgelassen und habe insbesondere nicht die Wege gezeigt, die die Regierung gehen wolle, dann kann ich nur feststellen: auch mein Vorredner hat manches ausgelassen, und auch ihm will ich den Zeitmangel zugutehalten. Aber die Wege, die er gehen will, hat auch er nicht gezeigt!
Meine Damen und Herren, ich sagte: es ist gut, einen Rückblick auf die jüngste Vergangenheit zu werfen, und auch ein Rückblick auf die Weimarer Republik scheint mir doppelt notwendig zu sein, weil wir damals in den entscheidenden Jahren erlebt haben, daß diejenigen, die die Aufgabe hatten, die deutsche Demokratie zu schützen und zu verteidigen, sich gegenseitig bekämpft und darüber hinaus geduldet haben, daß die Feinde der Demokratie sie besiegt haben. Das, meine Damen und Herren, darf und soll sich nicht wiederholen!
Mit Recht hat mein Vorredner erklärt, daß wir vor der besonderen Gefahr stehen, die auch ich für wesentlich halte, daß eine nationalrevolutionäre Bewegung, die in der existentiellen Not weiter Kreise unseres Volkes im Osten ihre Nahrung finden konnte, aber uns kommt. Wir werden sie nicht bannen können — auch das ist gestern schon gesagt worden — mit den Methoden einer Denazifizierung.
Dieses Unternehmen, Fragebogen auszuwerten, ist restlos mißlungen, und manchem einsichtigen Deutschen war das schon vorher klar. Es kommt mir so vor, als wollte man einer künftigen Gefahr begegnen, indem man das Pentagramm auf die Türschwelle zeichnet, vertrauend auf den guten Brauch der Teufel, daß sie immer die gleiche Tür benutzen. Wenn ich auch hoffen möchte, daß dieser Brauch inzwischen nicht geändert wurde, so glaube ich, daß man von der falschen Voraussetzung ausgeht, daß es der gleiche Ungeist wäre, der das Haus des Staates betreten könnte. Er mag in seiner Scheußlichkeit dem Vorhergehenden ähneln wie tin Ei dem andern, es ist aber nicht der gleiche. Deswegen sollten wir uns nicht in dieser Form der Polemik gegen die jüngste Vergangenheit ergehen — ich sage, in dieser Form der mißlungenen Denazifizierung —, sondern sollten dafür sorgen, daß die Voraussetzungen für einen neuen Einbruch in die Demokratie nicht mehr gegeben sind.
Da, meine Damen und Herren, habe ich auch etwas zu den Ausführungen meines Vorredners zu sagen, der, als er auf die Rolle der Opposition zu sprechen kam, erklärte, es habe sich über die Rolle der Opposition im Parlament eine reichlich naive Diskussion in der Presse angebahnt. Ich nehme an, daß der Vorredner damit die Darstellungen von den Aufgaben der Opposition meinte, wie sie allerdings in wiederholten, meiner Meinung nach durchaus nicht naiven Aufsätzen behandelt worden sind. Ich möchte sogar annehmen, daß mein Vorredner die Naivität dieser Auffassung nicht betont hätte, wenn er auf der Regierungsbank säße, sondern daß es ihm dann erwünscht wäre, wenn die Opposition diesen, wie er sagte, naiven Gedankengängen in etwa folgen wollte.
Ich persönlich bin der Meinung, daß die Opposition eine staatlich ebenso notwendige Aufgabe zu erfüllen hat wie die Regierung selbst und die Regierungsparteien. Aber ich bin auch der Überzeugung, daß eine Opposition, die nur in der Negation bestünde, diese Aufgabe nicht erfüllen würde und daß diejenigen, die die Opposition etwa um der Opposition oder, sagen wir besser, um der Propaganda willen betrieben, sich am Geiste der De-
mokratie und am Leben des deutschen Volkes versündigen würden.
Selbstverständlich verstehe ich, wenn der Herr Vorredner meinte, daß Wert und Unwert der Opposition nicht etwa von der Begutachtung durch Regierung oder Regierungsparteien abhängig sein sollen. Ich glaube auch nicht, daß jemand auf den kühnen Gedanken käme, eine solche Forderung aufzustellen.
Wie notwendig es ist, meine Damen und Herren
— um darüber noch einige Worte zu sagen —, daß wir in Deutschland die Aufgaben, die uns allen durch die Wahlen gestellt sind, erkennen und im Rahmen des Möglichen gemeinsam zu lösen versuchen, geht ja auch aus den Ausführungen des Herrn Dr. Schumacher hervor, der mit Recht — und hier unterstreiche ich jedes Wort — gesagt hat, daß insbesondere die außenpolitischen Aufgaben, die vor uns liegen, die Aufgabe, unser Verhältnis zum Ausland neu zu gestalten, nur von uns allen gemeinsam gelöst werden dürfen. Hier gibt es vielleicht Unterschiede über Weg, Methode, Zeitpunkt und Art des Handelns, es gibt aber sicherlich — auch nach den Ausführungen meines Vorredners — hier keine grundsätzlichen Unterschiede über das gemeinsame Ziel.
Auch eine weitere Frage läßt sich — auch darin stimme ich meinem Vorredner zu — nur lösen, wenn wirklich alle, denen die deutsche Einheit mehr ist als ein Begriff, zusammenarbeiten. Ich verstehe allerdings nicht — das muß ich sagen —, daß der Herr Vorredner für sich in Anspruch nimmt, die SPD allein sei es gewesen, die zuerst den Ruf nach der deutschen Einheit erhoben habe. Vielleicht mag es daran liegen, daß die Sozialdemokratische Partei die erste und vielleicht bisher die einzige war, die die beste und straffste Organisation hatte und deswegen am ersten für die gesamte deutsche Sozialdemokratie sprechen konnte. Ich nehme aber nicht an, meine Damen und Herren, daß den Herren von der Opposition die Rufe und Wünsche der anderen politischen Parteien nach der deutschen Einheit etwa entgangen sein sollten.
Dann haben sie — das muß ich wirklich sagen — vielleicht die falsche Presse gelesen.
Ich halte es auch für abwegig, meine Damen und Herren, wenn man jetzt den Versuch unternimmt, wenn wir die Frage der deutschen Einheit im Blick auf den Osten besprechen, hier politische Meinungsverschiedenheiten herausstellen. Ich glaube doch, daß die Äußerung des Herrn Dr. Schumacher von den „Nuschkoten" eine wenig gute Entgleisung war.
- Auch eine Antwort kann eine Entgleisung sein.
— Ich weiß nicht, wer sie provoziert hat.
Denn, meine Damen und Herren, wir wissen um die Problematik der Politik im Osten, aber Sie wissen auch, daß Herr Nuschke nicht der Vertreter der CDU ist.
— Er wurde nicht von Herrn Adenauer empfangen, sondern er hat sich zu Herrn Adenauer gesetzt.
— Sie können sich vielleicht mit Herrn Adenauer darüber unterhalten. — Sie wissen, daß Herr Nuschke nicht der Vertreter der CDU der Ostzone ist, sondern daß der Vertreter der CDU in der Ostzone Herr Jakob Kaiser ist, der hier sitzt,
der auch aus diesem Grunde das Ostministerium übernommen hat. Meine Damen und Herren, ich bedauere eine solche Bemerkung um so mehr, als sie mich doch zu der Feststellung zwingt, daß nicht die CDU der Ostzone unter Jakob Kaiser die deutsche Einheit gefährdet hat, wohl aber das schmerzliche Versagen der Sozialdemokratischen Partei der Ostzone.
— Lassen Sie mich ausreden.
— Damit mache ich nicht denen, die wir alle kennen, einen Vorwurf, nichts den zahllosen aufrechten Sozialdemokraten, die die Freiheit verteidigt haben,
aber Ihre Führerschicht hat elend versagt.
Lassen Sie, nachdem diese Äußerungen von mir nötig waren, nach der Bemerkung, die leider gefallen war, mich zu der Sache zurückkommen.
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß es gut sei, sich der Vergangenheit zu erinnern, und ich wiederhole es jetzt, wenn wir vom deutschen Osten sprechen. Denn nur wenn wir uns dieser Vergangenheit Deutschlands erinnern, haben wir auch die innere Berechtigung, die deutsche Einheit zu verlangen. Zu jeder Zeit haben wir die Kontinuität des deutschen Staates betont. Wir sind hier, um einen neuen Staat zu organisieren, aber nicht um einen neuen Staat zu schaffen. Deswegen haben wir auch das Recht, indem wir uns auf das Grundgesetz berufen, in dessen Präambel wir es uns zur Aufgabe gestellt haben, die nationale Einheit Deutschlands zu wahren, von der Wiederherstellung dieser Einheit zu sprechen, wobei es kaum der Unterstreichung bedarf, daß auch wir uns eine deutsche Einheit nur vorstellen können, wenn in diesem Gesamtdeutschland die selbstverständlichen Voraussetzungen der Freiheit und der Gleichheit und die Respektierung der Würde des Menschen verbürgt sind. Deswegen haben wir auch, wie es gestern schon geschehen ist, heute und immer wieder Anlaß und Recht, über die Zonengrenzen hinaus an den Osten Deutschlands zu denken, dem heute unser Gedenken und unser Gruß gelten und dem morgen auch unsere Arbeit gelten soll.
Weil wir der Meinung waren, daß hier eine ganz besondere Aufgabe zu lösen ist, haben wir ja auch ein Ostministerium geschaffen, um mich auch mit diesem Einwand auseinanderzusetzen. Dieses Ostministerium ist nicht dazu da, um etwa völkerrechtliche Beziehungen zum Osten aufzunehmen, wie vorhin angedeutet wurde; es soll vielmehr auch im Bewußtsein der Deutschen in der Ostzone die Tatsache erscheinen, daß wir auch von der Regierung aus, von den Regierungsparteien aus und vom ganzen Haus aus die Einheit Deutschlands nicht nur wünschen, sondern auch im Rahmen des Möglichen
vorzubereiten entschlossen sind, daß wir bereit sind, nach der Ostzone hinzuhören, zu verfolgen, was dort geschieht, und auch alle diese, ich möchte sagen, psychologischen und tatsächlichen Vorbereitungen zu treffen, die getroffen sein müssen, wenn sich dieser Wunsch nach der Einheit verwirklicht. Denn wir können ja nicht etwa blind daran vorbeigehen, daß sich drüben in der Ostzone unter der Herrschaft der Sowjetunion soziologische, strukturelle, wirtschaftliche Veränderungen vollzogen haben, die im Falle der Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht etwa von heute auf morgen beseitigt oder revidiert werden können. So glaube ich doch, daß dieses Ostministerium eine echte deutsche, eine echte politische Aufgabe hat und daß wir unter keinen Umständen darauf verzichten durften, ein solches Ostministerium zu errichten, von dem ich glaube sagen zu können, daß es in der Person meines Freundes Jakob Kaiser den richtigen Leiter gefunden hat.
Meine Damen und Herren, ich habe vorhin gesagt, daß die Kritik in der Rede meines Vorredners, die er selbst als ein Programm bezeichnet hat, allzusehr von dem Mangel an Vertrauen bestimmt
Ich glaube, es ist ein Fehler der deutschen Politik schlechthin, aber ein besonderer Fehler der deutschen Nachkriegspolitik, daß wir uns daran gewöhnt haben, zunächst einmal mit Mißtrauen an den anderen heranzugehen und den anderen mindestens für nicht so ehrlich zu halten, als man selbst zu sein glaubt.
— Haben Sie von sich gesprochen?
— Ich hoffe und wünsche für unsere politische Arbeit überhaupt, daß diese Schranken des parteipolitischen Mißtrauens, die letzten Endes im allgemeinen auf einem verrannten Doktrinarismus beruhen, einmal beseitigt werden.
— Ich spreche zu dem gesamten Haus. — Meine Damen und Herren, haben Sie nicht alle den Eindruck, daß wir, selbst wenn wir es wollten, uns derartige Formen der politischen Auseinandersetzung gar nicht leisten können?
Vorhin ist von der Jugend gesprochen worden. Es ist gesagt worden, die Jugend verlange nur eines: die Anerkennung ihres gleichen Wertes. Gewiß, wir sind die letzten, die ihr das verweigern; im Gegenteil, ich hoffe, daß die Jugend viel anspruchsvoller ist, und die Jugend, die ich kenne, ist auch anspruchsvoller. Ich glaube sagen zu können: die Jugend verlangt mehr als das. Sie verlangt insbesondere eine Sauberkeit im politischen Leben. Sie rückt ab von den Methoden einer gehässigen politischen Auseinandersetzung.
In der Jugend steckt ein gesunder Wunsch und, wie ich betone, ein gesunder Kern. Ein Wunsch nach der Wiederherstellung einer echten Gemeinschaft; nicht im Sinne dieses mißbrauchten Begriffes der Volksgemeinschaft. Ich glaube, wir können die Jugend auch nur ansprechen und zur Mitarbeit gewinnen, wenn wir alles tun, um ihr den Weg in das politische Leben nicht durch solche Dinge zu versperren.
Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat sich im übrigen mit den Grundsätzen der Regierungserklärung auseinandergesetzt. Er hat, wie nicht anders zu erwarten war, zunächst einmal alles, was gesagt worden ist, als schlecht bezeichnet.
— Oder doch nahezu alles. — Ich glaube, daß diese Form der Auseinandersetzung nicht die richtige war. Wenn ich davon ausgehe, daß gesagt wurde, die Regierungserklärung sei in einem idyllischen Ton gehalten, dann kann ich nur sagen: ich glaube, daß viele einen anderen Eindruck hatten, daß viele sich dem Ernst der Regierungserklärung in keiner Weise verschlossen haben. Es ist nicht notwendig, daß eine Regierungserklärung etwa mit einem besonderen Pathos vorgetragen wird, um eindringlich zu wirken. Wer aber aus den Worten unseres Kanzlers nicht die ehrliche Sorge um die Zukunft Deutschlands herausgehört und nur den idyllischen Klang vernommen hat, der, glaube ich, hat schlecht gehört.
— Mein Organ? — Ich glaube, das gehört zur überparteilichen Presse, Herr Zinn.
Es war nicht anders zu erwarten, als daß der Hauptangriff der Opposition der Wirtschaftspolitik gelten würde. Ud es ist mit unmißverständlicher Deutlichkeit schon in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen, daß wir entschlossen sind, den Kurs der Frankfurter Wirtschaftspolitik aufrechtzuerhalten. Ich glaube, daß sich die Opposition zunächst einmal mit dieser Tatsache abfinden sollte.
Zunächst einmal: wir sind nicht der Meinung, daß die Argumente, die Herr Dr. Schumacher vorgetragen hat, geeignet sind, uns von diesem Kurs zu entfernen.
Wir sind nicht der Meinung, daß die geplante Wirtschaft, von der Sie sprachen, besser geeignet sei, uns aus der wirtschaftlichen Notlage, in der wir sind, zu befreien. Wenn Sie in diesem Zusammenhang davon sprachen, daß die Volksmasse nicht als Objekt behandelt werden dürfe, dann antworte ich: gerade weil wir das Volk und den einzelnen aus der unwürdigen Position, ein Objekt der Behandlung zu sein, herausnehmen und zum Subjekt des Handelns machen wollen, vertreten wir den Grundsatz der Freiheit des Menschen auch in der Wirtschaft.
Wir glauben auch, daß wir unserm deutschen Volk besser dienen, wenn wir diesen Grundsatz der Freiheit der Wirtschaft
— es kommt alles noch —, wenn wir diesen Grundsatz aufrechterhalten, weil wir auch glauben, daß in der freien Wirtschaft gerade auch der einzelne, von dem Sie sprachen, besser bedient wird, als wenn er dem diskretionären Ermessen irgendeiner Behörde unterworfen ist.
Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Zusammenhang dann kritisiert worden, daß in der Regierungserklärung besonders betont worden sei, daß eine Steuersenkung erfolgen müsse, und daß man nicht betont habe, daß eine Produktionserhöhung Voraussetzung einer Kostensenkung und da-
mit einer allgemeinen Bedarfsdeckung sei. Ich glaube, beides ist mißverstanden. Es ist betont worden, daß wir eine Steuerreform und eine Steuersenkung brauchen, um wieder zur Bildung von Sparkapital und von Investitionskapital zu kommen. Das ist ja auch von dem Herrn Vorredner grundsätzlich anerkannt worden. Es ist aber nicht so, daß wir etwa glauben, eine Steuersenkung durchführen zu können, die die Einnahmen verringert, so daß wir den sozialen Aufgaben nicht mehr gewachsen wären. Glauben Sie doch, meine Damen und Herren, daß die Regierungspolitik bestimmt nicht so kurzsichtig sein wird, und glauben Sie, daß die Regierung und die Regierungsparteien es gerade mit den sozialpolitischen Aufgaben bitter ernst meinen.
- Ich glaube, daß in Frankfurt, soweit ich unterrichtet bin, außer dem Sozialanpassungsgesetz, das ja wohl keine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Versicherten gebracht hat, irgendwelche Maßnahmen zum Nachteil der Sozialversicherten nicht beschlossen worden sind; ich lasse mich aber gern belehren.
Mein Herr Vorredner meinte, daß es in der Regierungserklärung in diesem Zusammenhang unterlassen worden sei, den arbeitenden Menschen, den Arbeitnehmer, anzusprechen. Ich stelle fest, daß diese Unterlassung nicht vorliegt, sondern daß die Regierungserklärung ausdrücklich davon spricht, daß die sozialen und wirtschaftlichen Interessen in freier Selbstverwaltung den Verbänden überlassen sind und eine weitere Verständigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstrebt werden muß.
— Verzeihung! Es ist weiter gesagt worden, daß im Zusammenhang mit der Sozialisierung die sozial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien notwendig mache. Aus dieser Erklärung glaubte Herr Dr. Schumacher schließen zu können, daß die Regierung etwa bestrebt sei, Besitzverhältnisse früherer Besitzer wiederherzustellen.
— Ich glaube, daß, wer das liest, es gar nicht mißverstehen kann, wenn er es nicht mißverstehen will.
Meine Damen und Herren! Wer unsere Wünsche und Auffassungen kennenzulernen wünscht, die ja, wie gesagt, in einer 82minutigen Regierungserklärung nicht erschöpfend enthalten sein können, der soll das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze nachlesen.
- Ich glaube nicht, daß Sie dadurch, meine Damen und Herren, daß Sie jede Äußerung, die Ihnen nicht paßt, in ihrem Wahrheitsgehalt in Zweifel ziehen, der Auseinandersetzung dienen und die Auseinandersetzung fördern. Nehmen Sie denn ernstlich für sich das Monopol in Anspruch, sozial zu denken?
Nehmen Sie ernstlich für sich das Monopol in Anspruch, die soziale Ordnung Deutschlands allein richtig herstellen zu können?
Glauben Sie nicht, daß wir uns mindestens ebenso sozial verpflichtet fühlen? Und nicht etwa, wie gesagt wurde, indem wir darüber sprechen, sondern indem wir dazu handeln werden!
— Einen Unterschied gibt es gottlob, sonst wären Sie nicht in der Opposition.