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ID0100601200

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag - 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 31 6. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949.. Geschäftliche Mitteilungen 31B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung: Dr. Schumacher (SPD) 31C Dr. von Brentano (CDU) 42D Dr. Schäfer (FDP) 49D Nächste Sitzung 56D Die Sitzung wird um 14 Uhr 21 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Kurt Schumacher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Dann möchte ich feststellen, daß der Verlauf — —

    (Weitere Unruhe und Zurufe links. — Abg. Reimann: Sie glauben wohl, Herr Köhler, Sie sind im Wirtschaftsrat?)

    — Ich möchte feststellen, daß der Verlauf der Sitzung

    (Abg. Reimann: Das ist doch unerhört!)

    ein reichlich unregulierter gewesen ist und daß es die Herren von der anderen Seite des Hauses für angemessen gehalten haben, permanent durch Randalieren und ungezügelte Zwischenrufe einen geordneten Ablauf der Debatte zu verhindern.
    Nun kommen wir aber wieder zur Sache! Ich möchte den Herren nicht die Gelegenheit nehmen, auch etwas zu lernen.

    (Lachen und Zurufe rechts.)

    Gerade der geringe Reallohn hat die deutsche Wirtschaft und die arbeitenden Menschen in Deutschland gegen eine neuerliche Bedrohung besonders empfindlich gemacht. Es wäre gut, wenn sich alle Kreise des Volkes dazu verstehen könnten, die Quote der Abwertung geringer zu nehmen, als etwa vom Gesichtspunkt interessierter Kreise von Importeuren und Exporteuren wünschenswert erscheint. Großbritannien hat jetzt die Chance, die Lohn-Preis-Spirale weitgehend zu vermeiden. Die deutsche Chance ist gerade auf Grund der Frankfurter Wirtschaftspolitik eine sehr viel geringere.
    Wir haben weiter in der Regierungserklärung die Feststellung vermißt, daß in Deutschland nicht nur binnenwirtschaftlich bestimmte Preise vorhanden sind, sondern auch Preise, welche von Lebensmitteln und Textilrohstoffen herrühren, die von außen eingeführt werden und darum in jedem Fall auf die Lebenshaltung der Konsumenten einwirken. Wir hätten gern gehört, was zur Abwehr der schlimmen Konsequenzen dieser einfuhrabhängigen Preise getan wird. Wir hätten gern vernommen, wie die Dinge bei der Versorgung der minderbemittelten Schichten mit Brot und den sonstigen wichtigsten Lebensmitteln aussehen sollen. Wir hätten gern etwas über ein Subventionsprogramm gerade auf diesen Gebieten gehört.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Denn Sie können doch nicht glauben, daß das Schicksal der armen Leute immer tiefer herabgedrückt werden kann und nicht nur der Reallohn, sondern auch die Realrente im Uferlosen verschwindet.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Nun, werte Abgeordnete, haben wir ja gewisse Reserven; wir haben gewisse Möglichkeiten, hier einzugreifen. Das ist die aktive Preispolitik. Das ist der Kampf um die Minderung der Besatzungskosten. Das ist ein mehr wirtschaftlicher Einkauf von ausländischen Lebensmitteln.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Dann gibt es die Chance einer zusätzlichen Auslandshilfe auf dem Gebiet der Hilfe für die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen.
    Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen, nämlich die Wiederaufnahme der eigenen Handelsschiffahrt. Sie dient zur Gewinnung von Devisen und zur Entlastung der Zahlungsbilanz. Wir haben heute 25% der Marshallplangelder für Seetransporte der deutschen Importe aufzuwenden.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)



    (Dr. Schumacher)

    Ich möchte die Aufmerksamkeit der Bundesregierung darauf lenken, daß jetzt die Gelegenheit ist, die Serien von Fischerei- und Frachtschiffen freizubekommen, deren Größenklassen in London beschlossen worden sind.
    Nun, werte Abgeordnete, wir haben heute einen Staat, den wir Sozialdemokraten als einen Staat der überwiegenden sozialen Restauration ansehen. Wir haben einen Staat, von dem wir befürchten, daß seine Führung, unter Ausnutzung gewisser Vorschriften des Grundgesetzes, gar zu leicht in Versuchung kommt, die Volksmassen als Objekte zu behandeln. Demgegenüber haben wir unseren positiven sozialdemokratischen Gestaltungswillen auf allen Gebieten der Politik zu setzen. Zu dem gehören der Lastenausgleich und die Sozialisierung, die auch durch das Wahlergebnis nicht von der Tagesordnung verschwunden ist. Wir hätten gern gewußt, wie dieser einsame, in der Regierungserklärung so fremd dastehende Satz von der Änderung der Besitzverhältnisse in den Schwerindustrien zu verstehen ist.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Deutlicher wäre es schon gewesen, wenn der Herr Bundeskanzler von Eigentumsverhältnissen gesprochen hätte,

    (Sehr wahr! bei der SPD)

    und am allerdeutlichsten, wenn er sich erklärt hätte. wie er das nun eigentlich mit der Änderung der Besitzverhältnisse meint. Vielleicht eine Restauration der Besitzverhältnisse der alten Eigentümer? Oder eine irgendwie abgeblaßte Form einer Ersatzsozialisierung? Oder bestimmte Formen der fremden Kapitalbeteiligung? Ich habe hier eine katholische Tageszeitung der Schweiz, die „Neuen Zürcher Nachrichten". Da spricht der Herr Bundeskanzler über die Ruhrindustrie und über die Notwendigkeit. sie mit Kredithilfe zu modernisieren. Er meint dazu: „Hier eröffnet sich die Möglichkeit einer ausländischen und damit französischen Kapitalbeteiligung,"

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    „die nicht nur wirtschaftlichen Nutzen, sondern wichtige Voraussetzungen für erhöhte Sicherheit mit sich bringen wird."

    (Aha! bei der SPD.)

    Darüber hätten wir gern Genaueres vernommen.
    Wir hätten auch gern gehört, wie das mit der großen Politik der Wirtschaft ist, nämlich mit der Arbeitsbeschaffung. Die Politik der Vollbeschäftigung ist unlöslich mit jeder positiven Politik für Flüchtlinge und für den Wohnungsbau verbunden.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Es ist nicht möglich, diese Dinge aus dem großen ökonomischen Komplex herauszunehmen. Eins ist vom anderen abhängig. Und auch die wichtigsten Probleme sind nur Teiläußerungen des kardinalen Problems der Vollbeschäftigung.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Auch da vergleichen Sie bitte einmal Großbritannien und das Deutschland der Frankfurter Wirtschaftspolitik.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Man kann nicht bauen und man kann den Flüchtlingen und den Armen nicht helfen ohne Planung und Kontrolle.
    Wir hätten gern gehört, wie der Ausnützung einer rein privatwirtschaftlich aufgefaßten Konjunktur entgegengetreten werden soll. Nach Kriegs-, Inflations-, Hortungs- und Demontagegewinnlern droht uns doch jetzt die Gefahr der Wiederaufbaugewinnler.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Vielleicht können wir im Verlauf der Aussprache erfahren, welche Maßnahmen die Bundesregierung dagegen anzuwenden bereit ist. Die Sozialisierung ist ja nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein politisches Problem. Geld kann in einer funktionierenden Demokratie, und gerade nach den Erfahrungen Deutschlands, auf dem Boden unseres Landes nicht die entscheidende politische Macht sein. Unser Volk erträgt das nicht, und die Idee und die Praxis europäischer Friedenspolitik ertragen das auch nicht.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Man wird also auch mit den geheiligten Prinzipien des Eigentums in Auseinandersetzungen kommen, in einem Ausmaß, das bisher nicht gekannt worden ist. Das wirtschaftspolitische Bild gerade des letzten Dreivierteljahres war durch eine Fülle von falschen Prognosen und Prophezeiungen beherrscht. Man kommt aber in keinem Falle, man möge von einer Auffassung ausgehen wie immer, an der Tatsache vorbei, daß es die Einkommensentwicklung ist, die den Markt bestimmt, und zwar die Einkommensentwicklung der breiten Massen. Bei schrumpfendem Sozialprodukt und zurückgehendem Reallohn bei steigender Arbeitslosigkeit ist die notwendige Konjunkturwende nicht möglich.
    Wir haben in den letzten Monaten eine große Diskussion über zusätzliche Kredit- und Geldschöpfung gehört. Ich möchte bei dieser Gelegenheit sagen, daß die orthodoxe Geldpolitik der Bank deutscher Länder uns ein Hemmnis für unsere wirtschaftliche Entwicklung zu sein scheint.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Nicht nur die personelle Besetzung in der Leitung, sondern auch die Organisation der Bank deutscher Länder erscheint uns nicht geeignet, die deutsche Volkswirtschaft zu fördern.
    Man sollte sich auch hüten, in Berechnungen für die Zukunft große Beträge freiwilliger Auslandshilfen einzusetzen. Wir haben, glaube ich, gewisse Gründe zu der Befürchtung, daß die ausländischen Beiträge kaum größer sein werden als das eigene deutsche Aufkommen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist die Erhöhung des Produktionsvolumens, grob geschätzt um zusätzlich ein Drittel der vorhandenen Produktion in Landwirtschaft, Industrie und Handwerk. Aber man kann ein solches Produktionsvolumen erfolgreich nur erhöhen, wenn die Senkung der Preise parallel geht. Das ist nur durch Konzentration der wirtschaftlichen Kräfte und der Rationalisierungspotenzen auf Massengüter möglich. Wenn nicht die Preise gleichzeitig zurückgehen, würde die Erhöhung des Produktionsvolumens nur zu einer übergroßen Lagerbildung mangels Kaufkraft führen.
    Zur Landwirtschaft gewandt möchte ich sagen: auch hier fehlt manches. Ich bin nicht ungerecht genug, um die Fülle der Probleme in einer einzigen, knapp anderthalbstündigen Regierungsdeklaration


    (Dr. Schumacher)

    wiedergegeben zu sehen. Aber gewisse Linien sollten aufgezeigt werden — und nicht nur die negativen Linien der Aufhebung der Bewirtschaftung auch bei den Gütern, bei denen jetzt bei der Abwertung die Preise festgehalten werden müssen, wenn nicht das ganze Lohngebäude zusammenstürzen soll. Die Landwirtschaft hat noch andere Probleme. Wir haben immer noch nicht eine einheitliche Bodenreform. Die Flurbereinigung ist noch nicht verwirklicht. Wir haben wenig vom Ansiedeln ostvertriebener Bauern auf ausgelaufenen Höfen gesehen.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir haben auch noch das Problem der Importkasse positiv zu gestalten.
    Das Problem der Erholung unserer Volkswirtschaft ist die Hebung der Massenkaufkraft durch Preisverbilligung, Lohnerhöhung und völlige Abkehr von der Produktion von Luxusgütern. Aber dazu ist Planung in der Reihenfolge der Wichtigkeit der Güter nötig. Davon soll die Reihenfolge der Kredite abhängen, die zur Verfügung gestellt werden. Die Sicherung der Kreditverwendung erfordert jedoch ihrerseits wieder eine Kontrolle; sonst kommen wir nach den Erfahrungen der letzten 15 Monate nur zur Schaffung zusätzlicher Anlagekapazitäten, die keinen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Ich kann wegen der vorgeschrittenen Zeit ein solches Kreditprogramm und eine solche Skala der Reihenfolge im einzelnen nicht entwickeln. Zur Preispolitik muß gesagt werden, daß schlimmer als jedes Preisdiktat irgendeiner noch so verabscheuungswürdig geschilderten Bürokratie sich die Preisdiktatur auf der Grundlage der Verabredung der großen Warenbesitzer und Produzenten ausgewirkt hat. Die heutige Wirtschaftspolitik — so fürchte ich — zielt aber nach unseren Erfahrungen auf Erhaltung der monopolwirtschaftlichen Elemente ab, und ich sehe die Gefahr der Entstehung neuer Monopole und Kartelle.

    (Zuruf in der Mitte: Sie werden sich wundern!)

    — Das muß ja dann meine Sache sein!
    Die Belebung des Baumarktes darf auch nicht in erster Linie auf eine Politik des Anreizes des privaten Kapitals umgedrängt werden, wenn die Ergebnisse der Bautätigkeit für die Mieter erträglich sein sollen.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Der Wohnungsbau, der in erster Linie zu fördern ist, ist der soziale Wohnungsbau.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Auch der Bau gewerblicher Einrichtungen hat in den meisten Fällen hinter diesen sozialen Wohnungsbau zurückzutreten. Der gewerbliche Wohnungsbau ist durch die bisherige Steuerpolitik und durch die Möglichkeit der Kompensation in der inflatorischen Periode unserer jüngsten Vergangenheit schon genügend gefördert worden. Nun haben wir die Ankündigung einer solchen Wohnungsbaupolitik, wie sie der Herr Bundeskanzler gestern ausgesprochen hat. Aber er hat, bevor er Regierungschef wurde, noch ein anderes Wort ausgesprochen; er hat nämlich gesagt, daß die Bundesregierung jedem Deutschen ein Heim schaffen werde. Nun, die Frankfurter Wirtschaftspolitik hat ja auch auf diesem Gebiet einen andern Weg eingeschlagen; aber an dieses Wort des jetzigen Herrn Bundeskanzlers soll die Regierung erinnert werden von der Wiege bis zum Grabe.

    (Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD.)

    Die Sozialdemokratische Partei hat der deutschen Öffentlichkeit ihren Plan A: Bau von einer Million Wohnungen in vier Jahren, vorgelegt. Und ich möchte bei dieser Gelegenheit noch auf eine Reihe anderer Projekte insbesondere kommunaler Vereinigungen, die durchaus beachtenswert sind, hinweisen.
    Man kann die Wohnungsfrage nicht von der Frage der Vertriebenen trennen. Das Schicksal der Vertriebenen ist von der Existenz einer Bundesfinanzhoheit abhängig. Die Länder werden dieses Problem nicht lösen können. Ich warne vor einer Politik, bei der von den Gemeinden her die Länder Probleme aufnehmen, sie an den Bund weiterschieben und der Bund sie dann der internationalen Hilfe empfiehlt. Internationale Hilfe ist not; aber es gibt auch eine deutsche Gesamthaftung gegenüber den Vertriebenen.

    (Lebhafte Zustimmung bei der SPD und der KPD.)

    Kein Mensch wird uns einreden können, daß für die Vertriebenen das getan worden ist, was hätte getan werden können. Ich warne auch davor, dieser großen Aufgabe der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einsiedlung der Vertriebenen in unser Volksleben mit dem Hinweis auf die Oder-NeißeLinie auszuweichen. Man kann gegen die OderNeiße-Linie nur angehen, wenn man vorher in unserem Land seine soziale und menschliche Pflicht gegenüber den Vertriebenen getan hat.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe.)

    Ein kritisches Wort ist zur Kreditversorgung der Flüchtlingsbetriebe zu sagen. Dem Ausland ist zu sagen, daß die jetzige Behandlung der Demontagefrage die Lösung des Flüchtlingsproblems außerordentlich erschwert.

    (Sehr richtig! links.)

    Die Vertriebenen selbst werden freilich nicht als isolierter Faktor ihre Wünsche durchsetzen können. Sie werden Bestandteile der deutschen Parteien und des deutschen politischen Lebens sein müssen. Eine Hinwendung der Vertriebenen zum Rechtsradikalismus würde eine Abwendung von der sozialen Realität zur nationalistischen Illusion bedeuten. Freizügigkeit, Finanzausgleich zwischen den Ländern in der Flüchtlingsfrage und Konzentration aller Kräfte auf ein Problem, das wirklich ein deutsches Nationalproblem ist, das tut in dieser Frage not.
    Sicher haben Sie von der sozialdemokratischen Entschließung in Dürkheim gehört. Sie haben die 16 Punkte kritisch würdigen können. Sie mögen ihnen im einzelnen zustimmen oder sie ablehnen — sie sind ein immanenter Bestandteil der Tätigkeit der Sozialdemokratie als einer Oppositionspartei im neuen deutschen Staatswesen. Aber nicht geringer ist die wirtschaftspolitische und soziale Bedeutung des gewerkschaftlichen Programms.

    (Zuruf rechts.)

    Das Mitbestimmungsrecht der Arbeiter erschöpft sich für uns nicht in der Mitbestimmung im Betrieb, sondern involviert die Mitbestimmung im deutschen Wirtschaftsleben.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf rechts.)

    Ich glaube, wenn wir einen Beitrag für die deutsche
    Einheit leisten wollen, dann sollten wir in der Linie


    (Dr. Schumacher)

    der sozialen Geltung und der ökonomischen Mitbestimmung der arbeitenden Massen operieren. Ich kann hier im einzelnen nicht das große sozialpolitische Programm der Gewerkschaften aufzählen, das wohl in allen Punkten von der Sozialdemokratie vertreten wird; aber ich muß Ihnen sagen: wenn Sie für die deutsche Einheit sind, dann machen Sie den deutschen Westen auch sozial und hinsichtlich der Geltung des arbeitenden Menschen zum Magneten!

    (Beifall bei der SPD.)

    Die soziale Gestaltungskraft schafft die nationale Einheit und das deutsche Staatsvolk, das Vertrauen zu sich und seiner Zukunft in der Zusammenarbeit mit der Welt hat.
    Der Herr Bundeskanzler hat einen Teil seiner gestrigen Ausführungen dem Verhältnis Deutschlands zu den anderen Mächten gewidmet. Er hat allerdings keine Planung und keine Konzeption einer vorwärtsschreitenden deutschen Außenpolitik entwickelt.
    Ich möchte gegenüber dem Besatzungsstatut sagen, daß mir sein größter Vorteil der zu sein
    scheint, daß seine baldige Revision in Aussicht steht.

    (Sehr wahr! links.)

    Ich würdige, daß der Ton dieses Dokumentes freundlicher ist als frühere. Ich erkenne durchaus an, daß man mit diesem Besatzungsstatut operieren kann. Schmerzlich empfinden wir aber den Mangel an konkreten Rechtsvorschriften in Rechten und Pflichten sowie die Arbeit mit noch sehr allgemeinen Generalformeln.
    Wir haben gestern auch nichts über die Ruhrbehörde gehört. Die Sozialdemokratische Partei hat vom ersten Tag an erklärt, daß sie auf eine Umwandlung der Ruhrbehörde tendiert, auf eine Umwandlung, die keine Hindernisse in Sachen der Sozialisierung schafft, und die einen entscheidenden Fehler aus der Welt schafft, nämlich den, daß in diesem Ruhrstatut alle möglichen materiellen Dinge geregelt sind, aber von den Menschen, die die Werte schaffen, nicht die Rede ist.

    (Sehr gut! links.)

    Wir empfinden es als einen schmerzlichen Mangel, daß im Ruhrstatut nicht die Geltung und das Aktionsrecht der Gewerkschaften — sowohl der deutschen wie der internationalen Gewerkschaften — eingebaut ist.

    (Sehr gut! links.)

    Meine Damen und Herren, wir haben auch wenig und nur abschließend ein oder zwei Sätze über die Entwicklung der Kulturpolitik gehört. Wir haben mehr eine Generalformel vernommen. Nichts haben wir von dem erfahren, was nach den Kämpfen in Bonn und nach diesen Formen des Wahlkampfes zu vernehmen wohl durchaus notwendig ist. Es ist nicht möglich, sehr reale und veränderliche Machtansprüche auf der Ebene zeitloser, ewig gültiger Sitten- und Glaubensgesetze durchzufechten. Wir müssen wissen, daß hier reale Wünsche im Geiste gegenseitigen Entgegenkommens ausdiskutiert werden sollen. Aber uns macht besorgt, daß man in letzter Zeit Formulierungen vernimmt, daß the christliche Sozialpolitik nur zur christlichen Kulturpolitik gehöre, also ihr nachsteht. Nein, das soziale Element ist nicht irgendeinem anderen Element des menschlichen Zusammenlebens untergeordnet.

    (Sehr richtig!)

    Das soziale Element ist das ethische und das humane Element. Auch im Naturrecht ist das Recht
    auf das nackte Dasein das erste aller Rechte und steht weit vor dem gestern sorgfältig verschwiegenen Elternrecht. Ich glaube, ich kann eine Persönlichkeit zitieren, deren sittliche und religiöse Bedeutung auch vom Streit verschiedener Anschauungen nicht ergriffen werden kann. Ich meine Mahatma Gandhi, der sagte: „Den Armen erscheint Gott in der Gestalt von Brot."

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir. akzeptieren keine Regelung, die die Konjunktur der Spaltung des deutschen Staatswesens ausnützt. Wir nehmen nur Regelungen an, die so getroffen sind, als ob sie für das ganze Deutschland getroffen sind,

    (Bravorufe links)

    und die die kulturellen und sozialen Wünsche und Überzeugungen des gesamten deutschen Volkes in allen vier Zonen ausdrücken.

    (Lebhafter Beifall links.)

    Wir haben bei der Prüfung des Verhältnisses zu anderen Ländern auch einiges über die Grenzen gehört. Es ist an der Zeit, festzustellen, daß die Sozialdemokratische Partei 1945 längere Zeit die einzige gewesen ist, die sich in Deutschland und vor der Weltöffentlichkeit gegen die Oder-NeißeLinie gewandt hat.

    (Sehr richtig! bei der SPD. — Widerspruch in der Mitte.)

    Aber, werte Versammlung, man kann nicht die Grenzprobleme einer Seite einseitig diskutieren. Sogar die scheinbar kleineren Dinge der Grenzkorrekturen im Westen haben ihren bedeutsamen Wert über das Materielle hinaus, auch noch psychologisch-politisch. Ich meine, daß in keinem einzigen Fall durch solche Korrekturen ein so großer Nutzen für einen anderen erzeugt werden kann, daß er den Schaden aufwiegen könnte, der dem deutschen Volke in seinem Vertrauen gegenüber der internationalen Solidarität der Demokratie entsteht. Wir haben das Gefühl: es ist in der Beziehung der europäischen Völker untereinander zuviel von einem alten Anti-Europageist und zu wenig von dem Geist des wirklichen Neubaues „Europa", der allein uns die großen kontinentalökonomischen und politischen Probleme bewältigen lassen kann.
    Im Vordergrund der Aussprache steht jetzt das Saargebiet. Trotz der Verfassung von 1947, über die zu diskutieren wohl deutsches Interesse ist, über die wir aber jetzt nicht diskutieren wollen, weil wir den Weg zur Verständigung nicht versperren möchten, ist in dieser Saarfrage doch klar: Der Wille des deutschen Volkes in seiner Gesamtheit geht auf den politischen Verbleib des Saargebiets in Deutschland.

    (Abg. Dr. Richter: Das haben Ihre Genossen im Saargebiet vergessen, Herr Dr. Schumacher!)

    — Haben Sie dabei die Auseinandersetzung in München mit anderen Mächten im Auge?

    (Erneute Zurufe.)

    — Verzeihen Sie, diese SPS ist eine selbständige Partei, die nicht zur deutschen Sozialdemokratie gehört. Sie haben ganz vergessen, daß die Saarregierung in erster Linie von einer Partei gebildet wird, die Ihnen näher steht als mir.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Nun, werte Abgeordnete, ich halte es nicht für angebracht, mit dieser Methodik und auf dieser Ebene eine nationale Frage zu erörtern,

    (lebhafter Beifall bei der SPD)



    (Dr. Schumacher)

    bei der ich zwar nicht genau weiß, ob wir uns in vollem Umfang einig werden, aber bei der doch eine Einigung im Bereich des Möglichen und Erstrebbaren liegt. Die Schaffung eines selbständigen Saarstaates und seine Vertretung im Europarat scheint mir ein bedrohliches Hemmnis für die Entwicklung der europäischen Zusammenarbeit zu sein. Wenn wir nämlich ein selbständiges Saargebiet im Europarat tolerieren und — wie ich dies aus den Worten des Herrn Bundeskanzlers herauszuhören vermeine — erst in Straßburg den Ausgleich dieser Frage diskutieren, haben wir ja bereits eine vollendete Tatsache akzeptiert,

    (Zustimmung bei der SPD)

    lie sehr schwer aus der Welt zu schaffen ist.
    Grundsätzlich sollte die deutsche Außenpolitik in allen diesen Fragen von der These ausgehen, daß man wegen der Eiligkeit eines Termins niemals materielle Dinge preisgeben sollte. Diese Eiligkeit ist ja wahrscheinlich auch eine fiktive. Die Sozialdemokratie ist wegen ihrer Internationalität seit mehr als 80 Jahren angegriffen und meist sehr zu Unrecht angegriffen worden. Die Sozialdemokratie hat in einer Zeit, als keine andere Partei in Deutschland das tat, nämlich in ihrem Heidelberger Programm von 1925, die Vereinigten Staaten von Europa zu einem entscheidenden Bestandteil ihrer Außenpolitik gemacht.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Sie werden wohl von uns annehmen, daß wir Europa wollen. Sie werden auch gerade aus meinem Ökonomischen Exposé dasselbe entnommen haben. Aber, werte Abgeordnete, eine deutschfranzösische Verständigung, die so lebensnotwendig ist, kann doch nicht durch pathetische Schwüre geschaffen werden, sondern nur durch sachlichen demokratischen Austrag in der Diskussion der Probleme. Blankowechsel sollten wir auch hier nicht geben. Das würde nur hegemoniale Tendenzen in Europa fördern und den guten Willen der breiten Massen des deutschen Volkes zu internationaler Kooperation schwächen. Europa heißt Gleichberechtigung, meine Damen und Herren!

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)

    Man sollte nichts akzeptieren, was die Vorwegnahme von Bestimmungen des Friedensvertrags bedeutet. Wir schwächen damit nicht nur unverantwortlich unsere Position im Westen; wir schwächen auch unsere Position im Osten. Jemand, der hier auf dem Gebiet der Kompromisse in die Loslösung des Saargebietes aus dem politischen Gebiet Deutschlands hereinrutscht, verliert den festen Boden des politischen Kampfes gegen die Oder-NeißeLinie.

    (Zustimmung.)

    Dabei sollten wir auch die Diskussion über die Demontage wohl entschieden führen, sollten aber eine gewisse Bereinigung der Argumente auf allen Seiten vornehmen. Man sagt uns, die Welt sei nach den Erfahrungen vieler Jahrzehnte deutscher Geschichte um ihre Sicherheit besorgt. Das mag sein. Damit ist aber noch nicht der ganze Komplex illustriert. Wenn man um die Sicherheit besorgt ist, dann soll man auch offen sagen: um die Sicherheit vor wem! Wir wollen im deutschen Volk politisch und psychologisch Verständnis für die Sicherheitsbedürfnisse der nächsten Anrainer erwecken. Umgekehrt müßte man aber einsehen, daß gewisse Methoden der Auseinandersetzung mit uns auch nicht die richtigen sind. Wenn wir einen entscheidend wichtigen Teil unserer wirtschaftlichen Substanz mehr als vier Jahre nach Einstellung der
    Kriegshandlungen verteidigen, dann sind wir deswegen doch nicht Nationalisten.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Man sollte es auch nicht auf die Ebene zu schieben versuchen, als ob die Deutschen bei dieser Verteidigung den Versuch einer Kraftprobe mit den Alliierten machen würden. Das ist eine Vergiftung der Situation. Man sollte realistisch betrachten, um welche Kapazitäten die Deutschen kämpfen. Es sind doch nicht die Kapazitäten Hitler-Deutschlands, um die gerungen wird. Genau die 14 1/2 Millionen Produktionskapazität in der Stahlindustrie, um die wir uns heute wehren, hatte Westdeutschland — also die drei westlichen Zonen — in der Periode des sozialdemokratischen Kabinetts Hermann Müller. Diese Diskussionsgrundlagen sollte man anerkennen. Man sollte auch akzeptieren, daß wir zu der damaligen Bevölkerung 7 1/2 Millionen Flüchtlinge zusätzlich haben. Man sollte einsehen, daß die Größe des Wiederaufbaus, vor allem im Wohnungsbau, auch einen außerordentlich starken Stahlbedarf bedeutet. Schließlich sollte man uns im europäischen Rahmen die Möglichkeit des Exports von Stahl und Stahlwaren geben; denn wir müssen schon aus der Bedrängnis unserer Lebensmittellage heraus exportieren. Mit der Politik, wie sie hier Teile des Auslands uns gegenüber einschlagen, kombiniert mit der Frankfurter Wirtschaftspolitik, werden wir bei Ablauf des Jahres 1952 ohne amerikanische Hilfe nicht in der Lage sein, die deutsche Wirtschaft erfolgreich zu gestalten.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir haben schon 1945 offen über diese unsere Haltung gesprochen. Wir haben dieselbe Offenheit jetzt gezeigt, und die Welt konnte darum nicht überrascht werden. Wir hoffen auf die Erreichung eines möglichen Kompromisses in allen diesen Fragen, der allen Beteiligten Genüge tut. Wir müssen aber offen sagen: wir können und wir wollen aus ökonomischen und politischen Gründen nicht auf Unverzichtbares verzichten.
    Nun, verehrte Abgeordnete: Das ist in kurzen Zügen gegenüber dem Programm der Regierung das Programm der Opposition. Nicht überall ist die glatte Antithetik gegeben; sehr oft haben wir Forderungen, die scheinbar im bisherigen Programm der Regierung noch keine Rolle spielen. Wir sind nicht die bloße Negationserscheinung dieser Regierung. Wir sind etwas Selbständiges. So wollen wir unsere Opposition führen, mit dem Ziel, für die Politik der sozialistischen Demokratie einmal in diesem Hause die parlamentarische Mehrheit zu finden.

    (Lebhafter Beifall bei der SPD.)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Brentano.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Ich glaube, niemand in diesem Hause wird sich dem Eindruck versagen können, den die letzten Tage und Wochen auf jeden von uns gemacht haben. In diesen letzten Tagen und Wochen, nachdem das Grundgesetz in Kraft getreten war, ist das erste neugewählte deutsche Parlament zusammengetreten, um das Grundgesetz zu verwirklichen, um diesen Staat neu zu gestalten, um der Bundesrepublik Deutschland den ersten Ausdruck zu verleihen und um damit erstmalig wieder nach langen Jahren der erzwungenen politischen Abstinenz aktiv und handelnd in das deutsche Geschehen einzugreifen.


    (Dr. von Brentano)

    Ich glaube, es ist gut, wenn wir in einem solchen Augenblick auch die Vergangenheit einmal vor unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen; denn es mag eine Eigenart der Deutschen sein, daß sie wohl ein starkes Gefühl für ihre kulturelle Tradition haben, daß sie aber eine erstaunliche Scheu haben, sich auch zu einer politischen Tradition zu bekennen, vielleicht aus dem uneingestandenen Gefühl heraus, daß das deutsche Volk schon so häufig vor seiner eigenen Schicksalsentscheidung versagt hat. Aber es ist gut und richtig, wenn wir uns der Vergangenheit erinnern; denn ein Blick auf die Vergangenheit wird auch am ehesten mithelfen, uns vor Fehlern zu schützen, die in der Vergangenheit begangen wurden und die Deutschland nicht nur einmal, sondern wiederholt auf einen schlechten Weg geführt haben.
    Wir sollten uns auch in diesem Zusammenhang erinnern, daß es hundert Jahre her sind, als Deutsche in dem ernsten Bestreben, ein neues deutsches, ein demokratisches Vaterland zu schaffen, zusammenkamen, und wir sollten uns auch des redlichen Bemühens erinnern, das die Deutschen im
    Jahre 1919 zusammengeführt hat, um nach einem
    schweren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenbruch wieder eine eigene Ordnung zu schaffen.
    Ich möchte hier gleich auf die Ausführungen meines Herrn Vorredners eingehen und ihm versichern: Die Bundesregierung, die gestern ihre Erklärung vor Ihnen abgegeben hat, hat nicht die Absicht zu restaurieren, und ich glaube, Sie sollten nach dieser Erklärung dieser Regierung eine solche Absicht auch nicht erst unterstellen.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Meine Damen und Herren, es ist ein Wort gefallen: man müsse befürchten, diese Regierung sehe ihre Aufgabe darin, zu restaurieren und einen autoritären Besitzverteilungsstaat

    (Zurufe von der SPD: Besitzverteidigung!)

    oder Besitzverteidigungsstaat wiederherzustellen. Ich glaube, es ist nicht gut, wenn wir am Anfang der politischen Auseinandersetzung bereits mit solchen Unterstellungen beginnen;

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts)

    denn wer die Regierungserklärung aufmerksam verfolgt und nicht an der Ehrlichkeit gezweifelt hat — und dazu liegt wohl kein Anlaß vor —, wird daraus nicht entnommen haben, daß die Regierung unseres Bundeskanzlers Dr. Adenauer die Absicht habe, einen Besitzverteidigungsstaat zu schaffen.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte und rechts. — Zuruf links: Frankfurter Kurs!)

    — Ich werde auf den Frankfurter Kurs auch noch zu sprechen kommen.

    (Zuruf links: Das wäre lehrreich!)

    Im Gegenteil: wenn ich mich an die Regierungserklärung von gestern erinnere, die nach den Feststellungen meines Vorredners 82 Minuten in Anspruch nahm, und mich seiner heutigen Ausführungen auch wieder erinnere, die über 90 Minuten dauerten, dann muß ich sagen: gestern glaube ich ein Programm gehört zu haben,

    (Sehr wahr! in der Mitte und rechts)

    heute habe ich eine Kritik gehört, die am Schluß als Programm bezeichnet wurde.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Wenn Ihnen der Vorredner sagte, die Regierungserklärung habe manches ausgelassen und habe insbesondere nicht die Wege gezeigt, die die Regierung gehen wolle, dann kann ich nur feststellen: auch mein Vorredner hat manches ausgelassen, und auch ihm will ich den Zeitmangel zugutehalten. Aber die Wege, die er gehen will, hat auch er nicht gezeigt!

    (Zurufe von der SPD: Doch! Wohnungsbauprogramm!)

    Meine Damen und Herren, ich sagte: es ist gut, einen Rückblick auf die jüngste Vergangenheit zu werfen, und auch ein Rückblick auf die Weimarer Republik scheint mir doppelt notwendig zu sein, weil wir damals in den entscheidenden Jahren erlebt haben, daß diejenigen, die die Aufgabe hatten, die deutsche Demokratie zu schützen und zu verteidigen, sich gegenseitig bekämpft und darüber hinaus geduldet haben, daß die Feinde der Demokratie sie besiegt haben. Das, meine Damen und Herren, darf und soll sich nicht wiederholen!
    Mit Recht hat mein Vorredner erklärt, daß wir vor der besonderen Gefahr stehen, die auch ich für wesentlich halte, daß eine nationalrevolutionäre Bewegung, die in der existentiellen Not weiter Kreise unseres Volkes im Osten ihre Nahrung finden konnte, aber uns kommt. Wir werden sie nicht bannen können — auch das ist gestern schon gesagt worden — mit den Methoden einer Denazifizierung.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Dieses Unternehmen, Fragebogen auszuwerten, ist restlos mißlungen, und manchem einsichtigen Deutschen war das schon vorher klar. Es kommt mir so vor, als wollte man einer künftigen Gefahr begegnen, indem man das Pentagramm auf die Türschwelle zeichnet, vertrauend auf den guten Brauch der Teufel, daß sie immer die gleiche Tür benutzen. Wenn ich auch hoffen möchte, daß dieser Brauch inzwischen nicht geändert wurde, so glaube ich, daß man von der falschen Voraussetzung ausgeht, daß es der gleiche Ungeist wäre, der das Haus des Staates betreten könnte. Er mag in seiner Scheußlichkeit dem Vorhergehenden ähneln wie tin Ei dem andern, es ist aber nicht der gleiche. Deswegen sollten wir uns nicht in dieser Form der Polemik gegen die jüngste Vergangenheit ergehen — ich sage, in dieser Form der mißlungenen Denazifizierung —, sondern sollten dafür sorgen, daß die Voraussetzungen für einen neuen Einbruch in die Demokratie nicht mehr gegeben sind.
    Da, meine Damen und Herren, habe ich auch etwas zu den Ausführungen meines Vorredners zu sagen, der, als er auf die Rolle der Opposition zu sprechen kam, erklärte, es habe sich über die Rolle der Opposition im Parlament eine reichlich naive Diskussion in der Presse angebahnt. Ich nehme an, daß der Vorredner damit die Darstellungen von den Aufgaben der Opposition meinte, wie sie allerdings in wiederholten, meiner Meinung nach durchaus nicht naiven Aufsätzen behandelt worden sind. Ich möchte sogar annehmen, daß mein Vorredner die Naivität dieser Auffassung nicht betont hätte, wenn er auf der Regierungsbank säße, sondern daß es ihm dann erwünscht wäre, wenn die Opposition diesen, wie er sagte, naiven Gedankengängen in etwa folgen wollte.
    Ich persönlich bin der Meinung, daß die Opposition eine staatlich ebenso notwendige Aufgabe zu erfüllen hat wie die Regierung selbst und die Regierungsparteien. Aber ich bin auch der Überzeugung, daß eine Opposition, die nur in der Negation bestünde, diese Aufgabe nicht erfüllen würde und daß diejenigen, die die Opposition etwa um der Opposition oder, sagen wir besser, um der Propaganda willen betrieben, sich am Geiste der De-


    (Dr. von Brentano)

    mokratie und am Leben des deutschen Volkes versündigen würden.

    (Sehr richtig!)

    Selbstverständlich verstehe ich, wenn der Herr Vorredner meinte, daß Wert und Unwert der Opposition nicht etwa von der Begutachtung durch Regierung oder Regierungsparteien abhängig sein sollen. Ich glaube auch nicht, daß jemand auf den kühnen Gedanken käme, eine solche Forderung aufzustellen.
    Wie notwendig es ist, meine Damen und Herren
    — um darüber noch einige Worte zu sagen —, daß wir in Deutschland die Aufgaben, die uns allen durch die Wahlen gestellt sind, erkennen und im Rahmen des Möglichen gemeinsam zu lösen versuchen, geht ja auch aus den Ausführungen des Herrn Dr. Schumacher hervor, der mit Recht — und hier unterstreiche ich jedes Wort — gesagt hat, daß insbesondere die außenpolitischen Aufgaben, die vor uns liegen, die Aufgabe, unser Verhältnis zum Ausland neu zu gestalten, nur von uns allen gemeinsam gelöst werden dürfen. Hier gibt es vielleicht Unterschiede über Weg, Methode, Zeitpunkt und Art des Handelns, es gibt aber sicherlich — auch nach den Ausführungen meines Vorredners — hier keine grundsätzlichen Unterschiede über das gemeinsame Ziel.
    Auch eine weitere Frage läßt sich — auch darin stimme ich meinem Vorredner zu — nur lösen, wenn wirklich alle, denen die deutsche Einheit mehr ist als ein Begriff, zusammenarbeiten. Ich verstehe allerdings nicht — das muß ich sagen —, daß der Herr Vorredner für sich in Anspruch nimmt, die SPD allein sei es gewesen, die zuerst den Ruf nach der deutschen Einheit erhoben habe. Vielleicht mag es daran liegen, daß die Sozialdemokratische Partei die erste und vielleicht bisher die einzige war, die die beste und straffste Organisation hatte und deswegen am ersten für die gesamte deutsche Sozialdemokratie sprechen konnte. Ich nehme aber nicht an, meine Damen und Herren, daß den Herren von der Opposition die Rufe und Wünsche der anderen politischen Parteien nach der deutschen Einheit etwa entgangen sein sollten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Dann haben sie — das muß ich wirklich sagen — vielleicht die falsche Presse gelesen.

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zuruf links: Die lizenzierte!)

    Ich halte es auch für abwegig, meine Damen und Herren, wenn man jetzt den Versuch unternimmt, wenn wir die Frage der deutschen Einheit im Blick auf den Osten besprechen, hier politische Meinungsverschiedenheiten herausstellen. Ich glaube doch, daß die Äußerung des Herrn Dr. Schumacher von den „Nuschkoten" eine wenig gute Entgleisung war.

    (Zuruf von der SPD: Das war eine Antwort, Herr Dr. von Brentano!)

    - Auch eine Antwort kann eine Entgleisung sein.

    (Abg. Dr. Schmid: Dann ist es fair, den, der die Antwort provoziert hat, auch zu rügen!)

    — Ich weiß nicht, wer sie provoziert hat.

    (Abg. Dr. Schumacher: Darauf kommen wir noch im Geschäftsordnungsausschuß zu sprechen!)

    Denn, meine Damen und Herren, wir wissen um die Problematik der Politik im Osten, aber Sie wissen auch, daß Herr Nuschke nicht der Vertreter der CDU ist.

    (Abg. Heiland: Er wurde aber von Herrn Adenauer empfangen, hier im Hause!)

    — Er wurde nicht von Herrn Adenauer empfangen, sondern er hat sich zu Herrn Adenauer gesetzt.

    (Abg. Heiland: In seinem Büro!)

    — Sie können sich vielleicht mit Herrn Adenauer darüber unterhalten. — Sie wissen, daß Herr Nuschke nicht der Vertreter der CDU der Ostzone ist, sondern daß der Vertreter der CDU in der Ostzone Herr Jakob Kaiser ist, der hier sitzt,

    (Beifall in der Mitte)

    der auch aus diesem Grunde das Ostministerium übernommen hat. Meine Damen und Herren, ich bedauere eine solche Bemerkung um so mehr, als sie mich doch zu der Feststellung zwingt, daß nicht die CDU der Ostzone unter Jakob Kaiser die deutsche Einheit gefährdet hat, wohl aber das schmerzliche Versagen der Sozialdemokratischen Partei der Ostzone.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Lebhafter Widerspruch und Pfuirufe links.)

    — Lassen Sie mich ausreden.

    (Zuruf von der SPD: Die sitzen in den Konzentrationslagern!)

    — Damit mache ich nicht denen, die wir alle kennen, einen Vorwurf, nichts den zahllosen aufrechten Sozialdemokraten, die die Freiheit verteidigt haben,

    (Zuruf von der SPD)

    aber Ihre Führerschicht hat elend versagt.

    (Zuruf von der SPD : Herr Kaiser im Block des Ostens! — Weitere Zurufe.)

    Lassen Sie, nachdem diese Äußerungen von mir nötig waren, nach der Bemerkung, die leider gefallen war, mich zu der Sache zurückkommen.
    Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß es gut sei, sich der Vergangenheit zu erinnern, und ich wiederhole es jetzt, wenn wir vom deutschen Osten sprechen. Denn nur wenn wir uns dieser Vergangenheit Deutschlands erinnern, haben wir auch die innere Berechtigung, die deutsche Einheit zu verlangen. Zu jeder Zeit haben wir die Kontinuität des deutschen Staates betont. Wir sind hier, um einen neuen Staat zu organisieren, aber nicht um einen neuen Staat zu schaffen. Deswegen haben wir auch das Recht, indem wir uns auf das Grundgesetz berufen, in dessen Präambel wir es uns zur Aufgabe gestellt haben, die nationale Einheit Deutschlands zu wahren, von der Wiederherstellung dieser Einheit zu sprechen, wobei es kaum der Unterstreichung bedarf, daß auch wir uns eine deutsche Einheit nur vorstellen können, wenn in diesem Gesamtdeutschland die selbstverständlichen Voraussetzungen der Freiheit und der Gleichheit und die Respektierung der Würde des Menschen verbürgt sind. Deswegen haben wir auch, wie es gestern schon geschehen ist, heute und immer wieder Anlaß und Recht, über die Zonengrenzen hinaus an den Osten Deutschlands zu denken, dem heute unser Gedenken und unser Gruß gelten und dem morgen auch unsere Arbeit gelten soll.

    (Beifall in der Mitte.)

    Weil wir der Meinung waren, daß hier eine ganz besondere Aufgabe zu lösen ist, haben wir ja auch ein Ostministerium geschaffen, um mich auch mit diesem Einwand auseinanderzusetzen. Dieses Ostministerium ist nicht dazu da, um etwa völkerrechtliche Beziehungen zum Osten aufzunehmen, wie vorhin angedeutet wurde; es soll vielmehr auch im Bewußtsein der Deutschen in der Ostzone die Tatsache erscheinen, daß wir auch von der Regierung aus, von den Regierungsparteien aus und vom ganzen Haus aus die Einheit Deutschlands nicht nur wünschen, sondern auch im Rahmen des Möglichen


    (Dr. von Brentano)

    vorzubereiten entschlossen sind, daß wir bereit sind, nach der Ostzone hinzuhören, zu verfolgen, was dort geschieht, und auch alle diese, ich möchte sagen, psychologischen und tatsächlichen Vorbereitungen zu treffen, die getroffen sein müssen, wenn sich dieser Wunsch nach der Einheit verwirklicht. Denn wir können ja nicht etwa blind daran vorbeigehen, daß sich drüben in der Ostzone unter der Herrschaft der Sowjetunion soziologische, strukturelle, wirtschaftliche Veränderungen vollzogen haben, die im Falle der Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht etwa von heute auf morgen beseitigt oder revidiert werden können. So glaube ich doch, daß dieses Ostministerium eine echte deutsche, eine echte politische Aufgabe hat und daß wir unter keinen Umständen darauf verzichten durften, ein solches Ostministerium zu errichten, von dem ich glaube sagen zu können, daß es in der Person meines Freundes Jakob Kaiser den richtigen Leiter gefunden hat.
    Meine Damen und Herren, ich habe vorhin gesagt, daß die Kritik in der Rede meines Vorredners, die er selbst als ein Programm bezeichnet hat, allzusehr von dem Mangel an Vertrauen bestimmt

    (Zuruf links: Hat er Grund dazu!)

    Ich glaube, es ist ein Fehler der deutschen Politik schlechthin, aber ein besonderer Fehler der deutschen Nachkriegspolitik, daß wir uns daran gewöhnt haben, zunächst einmal mit Mißtrauen an den anderen heranzugehen und den anderen mindestens für nicht so ehrlich zu halten, als man selbst zu sein glaubt.

    (Abg. Dr. Schmid: Mancher kann manchmal nicht so ehrlich sein, wie er möchte!)

    — Haben Sie von sich gesprochen?

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid: Nein!)

    — Ich hoffe und wünsche für unsere politische Arbeit überhaupt, daß diese Schranken des parteipolitischen Mißtrauens, die letzten Endes im allgemeinen auf einem verrannten Doktrinarismus beruhen, einmal beseitigt werden.

    (Zuruf von der SPD: Das letzte Wahlplakat der CDU!)

    — Ich spreche zu dem gesamten Haus. — Meine Damen und Herren, haben Sie nicht alle den Eindruck, daß wir, selbst wenn wir es wollten, uns derartige Formen der politischen Auseinandersetzung gar nicht leisten können?
    Vorhin ist von der Jugend gesprochen worden. Es ist gesagt worden, die Jugend verlange nur eines: die Anerkennung ihres gleichen Wertes. Gewiß, wir sind die letzten, die ihr das verweigern; im Gegenteil, ich hoffe, daß die Jugend viel anspruchsvoller ist, und die Jugend, die ich kenne, ist auch anspruchsvoller. Ich glaube sagen zu können: die Jugend verlangt mehr als das. Sie verlangt insbesondere eine Sauberkeit im politischen Leben. Sie rückt ab von den Methoden einer gehässigen politischen Auseinandersetzung.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    In der Jugend steckt ein gesunder Wunsch und, wie ich betone, ein gesunder Kern. Ein Wunsch nach der Wiederherstellung einer echten Gemeinschaft; nicht im Sinne dieses mißbrauchten Begriffes der Volksgemeinschaft. Ich glaube, wir können die Jugend auch nur ansprechen und zur Mitarbeit gewinnen, wenn wir alles tun, um ihr den Weg in das politische Leben nicht durch solche Dinge zu versperren.
    Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat sich im übrigen mit den Grundsätzen der Regierungserklärung auseinandergesetzt. Er hat, wie nicht anders zu erwarten war, zunächst einmal alles, was gesagt worden ist, als schlecht bezeichnet.

    (Zuruf von der SPD: Das ist nicht richtig!)

    — Oder doch nahezu alles. — Ich glaube, daß diese Form der Auseinandersetzung nicht die richtige war. Wenn ich davon ausgehe, daß gesagt wurde, die Regierungserklärung sei in einem idyllischen Ton gehalten, dann kann ich nur sagen: ich glaube, daß viele einen anderen Eindruck hatten, daß viele sich dem Ernst der Regierungserklärung in keiner Weise verschlossen haben. Es ist nicht notwendig, daß eine Regierungserklärung etwa mit einem besonderen Pathos vorgetragen wird, um eindringlich zu wirken. Wer aber aus den Worten unseres Kanzlers nicht die ehrliche Sorge um die Zukunft Deutschlands herausgehört und nur den idyllischen Klang vernommen hat, der, glaube ich, hat schlecht gehört.

    (Abg. Zinn: Lesen Sie die „Frankfurter Neue Presse", Ihr Organ!)

    — Mein Organ? — Ich glaube, das gehört zur überparteilichen Presse, Herr Zinn.
    Es war nicht anders zu erwarten, als daß der Hauptangriff der Opposition der Wirtschaftspolitik gelten würde. Ud es ist mit unmißverständlicher Deutlichkeit schon in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen, daß wir entschlossen sind, den Kurs der Frankfurter Wirtschaftspolitik aufrechtzuerhalten. Ich glaube, daß sich die Opposition zunächst einmal mit dieser Tatsache abfinden sollte.

    (Lachen bei der SPD.)

    Zunächst einmal: wir sind nicht der Meinung, daß die Argumente, die Herr Dr. Schumacher vorgetragen hat, geeignet sind, uns von diesem Kurs zu entfernen.

    (Zuruf von der SPD: Davon bin ich überzeugt!)

    Wir sind nicht der Meinung, daß die geplante Wirtschaft, von der Sie sprachen, besser geeignet sei, uns aus der wirtschaftlichen Notlage, in der wir sind, zu befreien. Wenn Sie in diesem Zusammenhang davon sprachen, daß die Volksmasse nicht als Objekt behandelt werden dürfe, dann antworte ich: gerade weil wir das Volk und den einzelnen aus der unwürdigen Position, ein Objekt der Behandlung zu sein, herausnehmen und zum Subjekt des Handelns machen wollen, vertreten wir den Grundsatz der Freiheit des Menschen auch in der Wirtschaft.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)

    Wir glauben auch, daß wir unserm deutschen Volk besser dienen, wenn wir diesen Grundsatz der Freiheit der Wirtschaft

    (Zuruf von der SPD: Die sozialen Spannungen!)

    — es kommt alles noch —, wenn wir diesen Grundsatz aufrechterhalten, weil wir auch glauben, daß in der freien Wirtschaft gerade auch der einzelne, von dem Sie sprachen, besser bedient wird, als wenn er dem diskretionären Ermessen irgendeiner Behörde unterworfen ist.

    (Zuruf von der SPD: Ohne Bezugschein muß er Geld haben!)

    Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Zusammenhang dann kritisiert worden, daß in der Regierungserklärung besonders betont worden sei, daß eine Steuersenkung erfolgen müsse, und daß man nicht betont habe, daß eine Produktionserhöhung Voraussetzung einer Kostensenkung und da-


    (Dr. von Brentano)

    mit einer allgemeinen Bedarfsdeckung sei. Ich glaube, beides ist mißverstanden. Es ist betont worden, daß wir eine Steuerreform und eine Steuersenkung brauchen, um wieder zur Bildung von Sparkapital und von Investitionskapital zu kommen. Das ist ja auch von dem Herrn Vorredner grundsätzlich anerkannt worden. Es ist aber nicht so, daß wir etwa glauben, eine Steuersenkung durchführen zu können, die die Einnahmen verringert, so daß wir den sozialen Aufgaben nicht mehr gewachsen wären. Glauben Sie doch, meine Damen und Herren, daß die Regierungspolitik bestimmt nicht so kurzsichtig sein wird, und glauben Sie, daß die Regierung und die Regierungsparteien es gerade mit den sozialpolitischen Aufgaben bitter ernst meinen.

    (Zuruf von der SPD: Das haben wir in Frankfurt gesehen! — Gegenruf rechts: Das Gegenteil könnt ihr nicht beweisen!)

    - Ich glaube, daß in Frankfurt, soweit ich unterrichtet bin, außer dem Sozialanpassungsgesetz, das ja wohl keine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Versicherten gebracht hat, irgendwelche Maßnahmen zum Nachteil der Sozialversicherten nicht beschlossen worden sind; ich lasse mich aber gern belehren.
    Mein Herr Vorredner meinte, daß es in der Regierungserklärung in diesem Zusammenhang unterlassen worden sei, den arbeitenden Menschen, den Arbeitnehmer, anzusprechen. Ich stelle fest, daß diese Unterlassung nicht vorliegt, sondern daß die Regierungserklärung ausdrücklich davon spricht, daß die sozialen und wirtschaftlichen Interessen in freier Selbstverwaltung den Verbänden überlassen sind und eine weitere Verständigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstrebt werden muß.

    (Zuruf links: Ist das alles?)

    — Verzeihung! Es ist weiter gesagt worden, daß im Zusammenhang mit der Sozialisierung die sozial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien notwendig mache. Aus dieser Erklärung glaubte Herr Dr. Schumacher schließen zu können, daß die Regierung etwa bestrebt sei, Besitzverhältnisse früherer Besitzer wiederherzustellen.

    (Zuruf von der SPD: Wir wollten nur wissen, was gemeint ist!)

    — Ich glaube, daß, wer das liest, es gar nicht mißverstehen kann, wenn er es nicht mißverstehen will.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Meine Damen und Herren! Wer unsere Wünsche und Auffassungen kennenzulernen wünscht, die ja, wie gesagt, in einer 82minutigen Regierungserklärung nicht erschöpfend enthalten sein können, der soll das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze nachlesen.

    (Zuruf von der SPD: Wie paßt denn das zusammen? — Abg. Dr. Schmid: Herr von Brentano, die wurden nachträglich kommentiert!)

    - Ich glaube nicht, daß Sie dadurch, meine Damen und Herren, daß Sie jede Äußerung, die Ihnen nicht paßt, in ihrem Wahrheitsgehalt in Zweifel ziehen, der Auseinandersetzung dienen und die Auseinandersetzung fördern. Nehmen Sie denn ernstlich für sich das Monopol in Anspruch, sozial zu denken?

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

    Nehmen Sie ernstlich für sich das Monopol in Anspruch, die soziale Ordnung Deutschlands allein richtig herstellen zu können?

    (Sehr gut! rechts. — Zuruf von der SPD: Wie können Sie das behaupten?)

    Glauben Sie nicht, daß wir uns mindestens ebenso sozial verpflichtet fühlen? Und nicht etwa, wie gesagt wurde, indem wir darüber sprechen, sondern indem wir dazu handeln werden!

    (Sehr gut! und Händeklatschen, in der Mitte und rechts. — Unruhe und Zuruf links: Ein fauler Wechsel! Abg. Dr. Schmid: Es gibt einen gewissen Unterschied, Herr von Brentano!)

    — Einen Unterschied gibt es gottlob, sonst wären Sie nicht in der Opposition.

    (Abg. Dr. Schmid: Manche wollen eben den Leuten helfen und halten das für sozial! — Gegenruf von der CDU: Das ist nicht schlecht, wenn sie das wollen! — Abg. Dr. Schmid: Das ist dann aber Caritas! — Gegenruf von der CDU: Ach was, „Caritas"!)