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ID0100601400

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    Deutscher Bundestag - 6. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949 31 6. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 21. September 1949.. Geschäftliche Mitteilungen 31B Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung: Dr. Schumacher (SPD) 31C Dr. von Brentano (CDU) 42D Dr. Schäfer (FDP) 49D Nächste Sitzung 56D Die Sitzung wird um 14 Uhr 21 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Meine Damen und Herren! Ich glaube, niemand in diesem Hause wird sich dem Eindruck versagen können, den die letzten Tage und Wochen auf jeden von uns gemacht haben. In diesen letzten Tagen und Wochen, nachdem das Grundgesetz in Kraft getreten war, ist das erste neugewählte deutsche Parlament zusammengetreten, um das Grundgesetz zu verwirklichen, um diesen Staat neu zu gestalten, um der Bundesrepublik Deutschland den ersten Ausdruck zu verleihen und um damit erstmalig wieder nach langen Jahren der erzwungenen politischen Abstinenz aktiv und handelnd in das deutsche Geschehen einzugreifen.


    (Dr. von Brentano)

    Ich glaube, es ist gut, wenn wir in einem solchen Augenblick auch die Vergangenheit einmal vor unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen; denn es mag eine Eigenart der Deutschen sein, daß sie wohl ein starkes Gefühl für ihre kulturelle Tradition haben, daß sie aber eine erstaunliche Scheu haben, sich auch zu einer politischen Tradition zu bekennen, vielleicht aus dem uneingestandenen Gefühl heraus, daß das deutsche Volk schon so häufig vor seiner eigenen Schicksalsentscheidung versagt hat. Aber es ist gut und richtig, wenn wir uns der Vergangenheit erinnern; denn ein Blick auf die Vergangenheit wird auch am ehesten mithelfen, uns vor Fehlern zu schützen, die in der Vergangenheit begangen wurden und die Deutschland nicht nur einmal, sondern wiederholt auf einen schlechten Weg geführt haben.
    Wir sollten uns auch in diesem Zusammenhang erinnern, daß es hundert Jahre her sind, als Deutsche in dem ernsten Bestreben, ein neues deutsches, ein demokratisches Vaterland zu schaffen, zusammenkamen, und wir sollten uns auch des redlichen Bemühens erinnern, das die Deutschen im
    Jahre 1919 zusammengeführt hat, um nach einem
    schweren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenbruch wieder eine eigene Ordnung zu schaffen.
    Ich möchte hier gleich auf die Ausführungen meines Herrn Vorredners eingehen und ihm versichern: Die Bundesregierung, die gestern ihre Erklärung vor Ihnen abgegeben hat, hat nicht die Absicht zu restaurieren, und ich glaube, Sie sollten nach dieser Erklärung dieser Regierung eine solche Absicht auch nicht erst unterstellen.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Meine Damen und Herren, es ist ein Wort gefallen: man müsse befürchten, diese Regierung sehe ihre Aufgabe darin, zu restaurieren und einen autoritären Besitzverteilungsstaat

    (Zurufe von der SPD: Besitzverteidigung!)

    oder Besitzverteidigungsstaat wiederherzustellen. Ich glaube, es ist nicht gut, wenn wir am Anfang der politischen Auseinandersetzung bereits mit solchen Unterstellungen beginnen;

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts)

    denn wer die Regierungserklärung aufmerksam verfolgt und nicht an der Ehrlichkeit gezweifelt hat — und dazu liegt wohl kein Anlaß vor —, wird daraus nicht entnommen haben, daß die Regierung unseres Bundeskanzlers Dr. Adenauer die Absicht habe, einen Besitzverteidigungsstaat zu schaffen.

    (Erneute Zustimmung in der Mitte und rechts. — Zuruf links: Frankfurter Kurs!)

    — Ich werde auf den Frankfurter Kurs auch noch zu sprechen kommen.

    (Zuruf links: Das wäre lehrreich!)

    Im Gegenteil: wenn ich mich an die Regierungserklärung von gestern erinnere, die nach den Feststellungen meines Vorredners 82 Minuten in Anspruch nahm, und mich seiner heutigen Ausführungen auch wieder erinnere, die über 90 Minuten dauerten, dann muß ich sagen: gestern glaube ich ein Programm gehört zu haben,

    (Sehr wahr! in der Mitte und rechts)

    heute habe ich eine Kritik gehört, die am Schluß als Programm bezeichnet wurde.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.)

    Wenn Ihnen der Vorredner sagte, die Regierungserklärung habe manches ausgelassen und habe insbesondere nicht die Wege gezeigt, die die Regierung gehen wolle, dann kann ich nur feststellen: auch mein Vorredner hat manches ausgelassen, und auch ihm will ich den Zeitmangel zugutehalten. Aber die Wege, die er gehen will, hat auch er nicht gezeigt!

    (Zurufe von der SPD: Doch! Wohnungsbauprogramm!)

    Meine Damen und Herren, ich sagte: es ist gut, einen Rückblick auf die jüngste Vergangenheit zu werfen, und auch ein Rückblick auf die Weimarer Republik scheint mir doppelt notwendig zu sein, weil wir damals in den entscheidenden Jahren erlebt haben, daß diejenigen, die die Aufgabe hatten, die deutsche Demokratie zu schützen und zu verteidigen, sich gegenseitig bekämpft und darüber hinaus geduldet haben, daß die Feinde der Demokratie sie besiegt haben. Das, meine Damen und Herren, darf und soll sich nicht wiederholen!
    Mit Recht hat mein Vorredner erklärt, daß wir vor der besonderen Gefahr stehen, die auch ich für wesentlich halte, daß eine nationalrevolutionäre Bewegung, die in der existentiellen Not weiter Kreise unseres Volkes im Osten ihre Nahrung finden konnte, aber uns kommt. Wir werden sie nicht bannen können — auch das ist gestern schon gesagt worden — mit den Methoden einer Denazifizierung.

    (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

    Dieses Unternehmen, Fragebogen auszuwerten, ist restlos mißlungen, und manchem einsichtigen Deutschen war das schon vorher klar. Es kommt mir so vor, als wollte man einer künftigen Gefahr begegnen, indem man das Pentagramm auf die Türschwelle zeichnet, vertrauend auf den guten Brauch der Teufel, daß sie immer die gleiche Tür benutzen. Wenn ich auch hoffen möchte, daß dieser Brauch inzwischen nicht geändert wurde, so glaube ich, daß man von der falschen Voraussetzung ausgeht, daß es der gleiche Ungeist wäre, der das Haus des Staates betreten könnte. Er mag in seiner Scheußlichkeit dem Vorhergehenden ähneln wie tin Ei dem andern, es ist aber nicht der gleiche. Deswegen sollten wir uns nicht in dieser Form der Polemik gegen die jüngste Vergangenheit ergehen — ich sage, in dieser Form der mißlungenen Denazifizierung —, sondern sollten dafür sorgen, daß die Voraussetzungen für einen neuen Einbruch in die Demokratie nicht mehr gegeben sind.
    Da, meine Damen und Herren, habe ich auch etwas zu den Ausführungen meines Vorredners zu sagen, der, als er auf die Rolle der Opposition zu sprechen kam, erklärte, es habe sich über die Rolle der Opposition im Parlament eine reichlich naive Diskussion in der Presse angebahnt. Ich nehme an, daß der Vorredner damit die Darstellungen von den Aufgaben der Opposition meinte, wie sie allerdings in wiederholten, meiner Meinung nach durchaus nicht naiven Aufsätzen behandelt worden sind. Ich möchte sogar annehmen, daß mein Vorredner die Naivität dieser Auffassung nicht betont hätte, wenn er auf der Regierungsbank säße, sondern daß es ihm dann erwünscht wäre, wenn die Opposition diesen, wie er sagte, naiven Gedankengängen in etwa folgen wollte.
    Ich persönlich bin der Meinung, daß die Opposition eine staatlich ebenso notwendige Aufgabe zu erfüllen hat wie die Regierung selbst und die Regierungsparteien. Aber ich bin auch der Überzeugung, daß eine Opposition, die nur in der Negation bestünde, diese Aufgabe nicht erfüllen würde und daß diejenigen, die die Opposition etwa um der Opposition oder, sagen wir besser, um der Propaganda willen betrieben, sich am Geiste der De-


    (Dr. von Brentano)

    mokratie und am Leben des deutschen Volkes versündigen würden.

    (Sehr richtig!)

    Selbstverständlich verstehe ich, wenn der Herr Vorredner meinte, daß Wert und Unwert der Opposition nicht etwa von der Begutachtung durch Regierung oder Regierungsparteien abhängig sein sollen. Ich glaube auch nicht, daß jemand auf den kühnen Gedanken käme, eine solche Forderung aufzustellen.
    Wie notwendig es ist, meine Damen und Herren
    — um darüber noch einige Worte zu sagen —, daß wir in Deutschland die Aufgaben, die uns allen durch die Wahlen gestellt sind, erkennen und im Rahmen des Möglichen gemeinsam zu lösen versuchen, geht ja auch aus den Ausführungen des Herrn Dr. Schumacher hervor, der mit Recht — und hier unterstreiche ich jedes Wort — gesagt hat, daß insbesondere die außenpolitischen Aufgaben, die vor uns liegen, die Aufgabe, unser Verhältnis zum Ausland neu zu gestalten, nur von uns allen gemeinsam gelöst werden dürfen. Hier gibt es vielleicht Unterschiede über Weg, Methode, Zeitpunkt und Art des Handelns, es gibt aber sicherlich — auch nach den Ausführungen meines Vorredners — hier keine grundsätzlichen Unterschiede über das gemeinsame Ziel.
    Auch eine weitere Frage läßt sich — auch darin stimme ich meinem Vorredner zu — nur lösen, wenn wirklich alle, denen die deutsche Einheit mehr ist als ein Begriff, zusammenarbeiten. Ich verstehe allerdings nicht — das muß ich sagen —, daß der Herr Vorredner für sich in Anspruch nimmt, die SPD allein sei es gewesen, die zuerst den Ruf nach der deutschen Einheit erhoben habe. Vielleicht mag es daran liegen, daß die Sozialdemokratische Partei die erste und vielleicht bisher die einzige war, die die beste und straffste Organisation hatte und deswegen am ersten für die gesamte deutsche Sozialdemokratie sprechen konnte. Ich nehme aber nicht an, meine Damen und Herren, daß den Herren von der Opposition die Rufe und Wünsche der anderen politischen Parteien nach der deutschen Einheit etwa entgangen sein sollten.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Dann haben sie — das muß ich wirklich sagen — vielleicht die falsche Presse gelesen.

    (Heiterkeit in der Mitte und rechts. — Zuruf links: Die lizenzierte!)

    Ich halte es auch für abwegig, meine Damen und Herren, wenn man jetzt den Versuch unternimmt, wenn wir die Frage der deutschen Einheit im Blick auf den Osten besprechen, hier politische Meinungsverschiedenheiten herausstellen. Ich glaube doch, daß die Äußerung des Herrn Dr. Schumacher von den „Nuschkoten" eine wenig gute Entgleisung war.

    (Zuruf von der SPD: Das war eine Antwort, Herr Dr. von Brentano!)

    - Auch eine Antwort kann eine Entgleisung sein.

    (Abg. Dr. Schmid: Dann ist es fair, den, der die Antwort provoziert hat, auch zu rügen!)

    — Ich weiß nicht, wer sie provoziert hat.

    (Abg. Dr. Schumacher: Darauf kommen wir noch im Geschäftsordnungsausschuß zu sprechen!)

    Denn, meine Damen und Herren, wir wissen um die Problematik der Politik im Osten, aber Sie wissen auch, daß Herr Nuschke nicht der Vertreter der CDU ist.

    (Abg. Heiland: Er wurde aber von Herrn Adenauer empfangen, hier im Hause!)

    — Er wurde nicht von Herrn Adenauer empfangen, sondern er hat sich zu Herrn Adenauer gesetzt.

    (Abg. Heiland: In seinem Büro!)

    — Sie können sich vielleicht mit Herrn Adenauer darüber unterhalten. — Sie wissen, daß Herr Nuschke nicht der Vertreter der CDU der Ostzone ist, sondern daß der Vertreter der CDU in der Ostzone Herr Jakob Kaiser ist, der hier sitzt,

    (Beifall in der Mitte)

    der auch aus diesem Grunde das Ostministerium übernommen hat. Meine Damen und Herren, ich bedauere eine solche Bemerkung um so mehr, als sie mich doch zu der Feststellung zwingt, daß nicht die CDU der Ostzone unter Jakob Kaiser die deutsche Einheit gefährdet hat, wohl aber das schmerzliche Versagen der Sozialdemokratischen Partei der Ostzone.

    (Beifall in der Mitte und rechts. — Lebhafter Widerspruch und Pfuirufe links.)

    — Lassen Sie mich ausreden.

    (Zuruf von der SPD: Die sitzen in den Konzentrationslagern!)

    — Damit mache ich nicht denen, die wir alle kennen, einen Vorwurf, nichts den zahllosen aufrechten Sozialdemokraten, die die Freiheit verteidigt haben,

    (Zuruf von der SPD)

    aber Ihre Führerschicht hat elend versagt.

    (Zuruf von der SPD : Herr Kaiser im Block des Ostens! — Weitere Zurufe.)

    Lassen Sie, nachdem diese Äußerungen von mir nötig waren, nach der Bemerkung, die leider gefallen war, mich zu der Sache zurückkommen.
    Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß es gut sei, sich der Vergangenheit zu erinnern, und ich wiederhole es jetzt, wenn wir vom deutschen Osten sprechen. Denn nur wenn wir uns dieser Vergangenheit Deutschlands erinnern, haben wir auch die innere Berechtigung, die deutsche Einheit zu verlangen. Zu jeder Zeit haben wir die Kontinuität des deutschen Staates betont. Wir sind hier, um einen neuen Staat zu organisieren, aber nicht um einen neuen Staat zu schaffen. Deswegen haben wir auch das Recht, indem wir uns auf das Grundgesetz berufen, in dessen Präambel wir es uns zur Aufgabe gestellt haben, die nationale Einheit Deutschlands zu wahren, von der Wiederherstellung dieser Einheit zu sprechen, wobei es kaum der Unterstreichung bedarf, daß auch wir uns eine deutsche Einheit nur vorstellen können, wenn in diesem Gesamtdeutschland die selbstverständlichen Voraussetzungen der Freiheit und der Gleichheit und die Respektierung der Würde des Menschen verbürgt sind. Deswegen haben wir auch, wie es gestern schon geschehen ist, heute und immer wieder Anlaß und Recht, über die Zonengrenzen hinaus an den Osten Deutschlands zu denken, dem heute unser Gedenken und unser Gruß gelten und dem morgen auch unsere Arbeit gelten soll.

    (Beifall in der Mitte.)

    Weil wir der Meinung waren, daß hier eine ganz besondere Aufgabe zu lösen ist, haben wir ja auch ein Ostministerium geschaffen, um mich auch mit diesem Einwand auseinanderzusetzen. Dieses Ostministerium ist nicht dazu da, um etwa völkerrechtliche Beziehungen zum Osten aufzunehmen, wie vorhin angedeutet wurde; es soll vielmehr auch im Bewußtsein der Deutschen in der Ostzone die Tatsache erscheinen, daß wir auch von der Regierung aus, von den Regierungsparteien aus und vom ganzen Haus aus die Einheit Deutschlands nicht nur wünschen, sondern auch im Rahmen des Möglichen


    (Dr. von Brentano)

    vorzubereiten entschlossen sind, daß wir bereit sind, nach der Ostzone hinzuhören, zu verfolgen, was dort geschieht, und auch alle diese, ich möchte sagen, psychologischen und tatsächlichen Vorbereitungen zu treffen, die getroffen sein müssen, wenn sich dieser Wunsch nach der Einheit verwirklicht. Denn wir können ja nicht etwa blind daran vorbeigehen, daß sich drüben in der Ostzone unter der Herrschaft der Sowjetunion soziologische, strukturelle, wirtschaftliche Veränderungen vollzogen haben, die im Falle der Wiederherstellung der deutschen Einheit nicht etwa von heute auf morgen beseitigt oder revidiert werden können. So glaube ich doch, daß dieses Ostministerium eine echte deutsche, eine echte politische Aufgabe hat und daß wir unter keinen Umständen darauf verzichten durften, ein solches Ostministerium zu errichten, von dem ich glaube sagen zu können, daß es in der Person meines Freundes Jakob Kaiser den richtigen Leiter gefunden hat.
    Meine Damen und Herren, ich habe vorhin gesagt, daß die Kritik in der Rede meines Vorredners, die er selbst als ein Programm bezeichnet hat, allzusehr von dem Mangel an Vertrauen bestimmt

    (Zuruf links: Hat er Grund dazu!)

    Ich glaube, es ist ein Fehler der deutschen Politik schlechthin, aber ein besonderer Fehler der deutschen Nachkriegspolitik, daß wir uns daran gewöhnt haben, zunächst einmal mit Mißtrauen an den anderen heranzugehen und den anderen mindestens für nicht so ehrlich zu halten, als man selbst zu sein glaubt.

    (Abg. Dr. Schmid: Mancher kann manchmal nicht so ehrlich sein, wie er möchte!)

    — Haben Sie von sich gesprochen?

    (Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid: Nein!)

    — Ich hoffe und wünsche für unsere politische Arbeit überhaupt, daß diese Schranken des parteipolitischen Mißtrauens, die letzten Endes im allgemeinen auf einem verrannten Doktrinarismus beruhen, einmal beseitigt werden.

    (Zuruf von der SPD: Das letzte Wahlplakat der CDU!)

    — Ich spreche zu dem gesamten Haus. — Meine Damen und Herren, haben Sie nicht alle den Eindruck, daß wir, selbst wenn wir es wollten, uns derartige Formen der politischen Auseinandersetzung gar nicht leisten können?
    Vorhin ist von der Jugend gesprochen worden. Es ist gesagt worden, die Jugend verlange nur eines: die Anerkennung ihres gleichen Wertes. Gewiß, wir sind die letzten, die ihr das verweigern; im Gegenteil, ich hoffe, daß die Jugend viel anspruchsvoller ist, und die Jugend, die ich kenne, ist auch anspruchsvoller. Ich glaube sagen zu können: die Jugend verlangt mehr als das. Sie verlangt insbesondere eine Sauberkeit im politischen Leben. Sie rückt ab von den Methoden einer gehässigen politischen Auseinandersetzung.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    In der Jugend steckt ein gesunder Wunsch und, wie ich betone, ein gesunder Kern. Ein Wunsch nach der Wiederherstellung einer echten Gemeinschaft; nicht im Sinne dieses mißbrauchten Begriffes der Volksgemeinschaft. Ich glaube, wir können die Jugend auch nur ansprechen und zur Mitarbeit gewinnen, wenn wir alles tun, um ihr den Weg in das politische Leben nicht durch solche Dinge zu versperren.
    Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat sich im übrigen mit den Grundsätzen der Regierungserklärung auseinandergesetzt. Er hat, wie nicht anders zu erwarten war, zunächst einmal alles, was gesagt worden ist, als schlecht bezeichnet.

    (Zuruf von der SPD: Das ist nicht richtig!)

    — Oder doch nahezu alles. — Ich glaube, daß diese Form der Auseinandersetzung nicht die richtige war. Wenn ich davon ausgehe, daß gesagt wurde, die Regierungserklärung sei in einem idyllischen Ton gehalten, dann kann ich nur sagen: ich glaube, daß viele einen anderen Eindruck hatten, daß viele sich dem Ernst der Regierungserklärung in keiner Weise verschlossen haben. Es ist nicht notwendig, daß eine Regierungserklärung etwa mit einem besonderen Pathos vorgetragen wird, um eindringlich zu wirken. Wer aber aus den Worten unseres Kanzlers nicht die ehrliche Sorge um die Zukunft Deutschlands herausgehört und nur den idyllischen Klang vernommen hat, der, glaube ich, hat schlecht gehört.

    (Abg. Zinn: Lesen Sie die „Frankfurter Neue Presse", Ihr Organ!)

    — Mein Organ? — Ich glaube, das gehört zur überparteilichen Presse, Herr Zinn.
    Es war nicht anders zu erwarten, als daß der Hauptangriff der Opposition der Wirtschaftspolitik gelten würde. Ud es ist mit unmißverständlicher Deutlichkeit schon in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen, daß wir entschlossen sind, den Kurs der Frankfurter Wirtschaftspolitik aufrechtzuerhalten. Ich glaube, daß sich die Opposition zunächst einmal mit dieser Tatsache abfinden sollte.

    (Lachen bei der SPD.)

    Zunächst einmal: wir sind nicht der Meinung, daß die Argumente, die Herr Dr. Schumacher vorgetragen hat, geeignet sind, uns von diesem Kurs zu entfernen.

    (Zuruf von der SPD: Davon bin ich überzeugt!)

    Wir sind nicht der Meinung, daß die geplante Wirtschaft, von der Sie sprachen, besser geeignet sei, uns aus der wirtschaftlichen Notlage, in der wir sind, zu befreien. Wenn Sie in diesem Zusammenhang davon sprachen, daß die Volksmasse nicht als Objekt behandelt werden dürfe, dann antworte ich: gerade weil wir das Volk und den einzelnen aus der unwürdigen Position, ein Objekt der Behandlung zu sein, herausnehmen und zum Subjekt des Handelns machen wollen, vertreten wir den Grundsatz der Freiheit des Menschen auch in der Wirtschaft.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)

    Wir glauben auch, daß wir unserm deutschen Volk besser dienen, wenn wir diesen Grundsatz der Freiheit der Wirtschaft

    (Zuruf von der SPD: Die sozialen Spannungen!)

    — es kommt alles noch —, wenn wir diesen Grundsatz aufrechterhalten, weil wir auch glauben, daß in der freien Wirtschaft gerade auch der einzelne, von dem Sie sprachen, besser bedient wird, als wenn er dem diskretionären Ermessen irgendeiner Behörde unterworfen ist.

    (Zuruf von der SPD: Ohne Bezugschein muß er Geld haben!)

    Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Zusammenhang dann kritisiert worden, daß in der Regierungserklärung besonders betont worden sei, daß eine Steuersenkung erfolgen müsse, und daß man nicht betont habe, daß eine Produktionserhöhung Voraussetzung einer Kostensenkung und da-


    (Dr. von Brentano)

    mit einer allgemeinen Bedarfsdeckung sei. Ich glaube, beides ist mißverstanden. Es ist betont worden, daß wir eine Steuerreform und eine Steuersenkung brauchen, um wieder zur Bildung von Sparkapital und von Investitionskapital zu kommen. Das ist ja auch von dem Herrn Vorredner grundsätzlich anerkannt worden. Es ist aber nicht so, daß wir etwa glauben, eine Steuersenkung durchführen zu können, die die Einnahmen verringert, so daß wir den sozialen Aufgaben nicht mehr gewachsen wären. Glauben Sie doch, meine Damen und Herren, daß die Regierungspolitik bestimmt nicht so kurzsichtig sein wird, und glauben Sie, daß die Regierung und die Regierungsparteien es gerade mit den sozialpolitischen Aufgaben bitter ernst meinen.

    (Zuruf von der SPD: Das haben wir in Frankfurt gesehen! — Gegenruf rechts: Das Gegenteil könnt ihr nicht beweisen!)

    - Ich glaube, daß in Frankfurt, soweit ich unterrichtet bin, außer dem Sozialanpassungsgesetz, das ja wohl keine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Versicherten gebracht hat, irgendwelche Maßnahmen zum Nachteil der Sozialversicherten nicht beschlossen worden sind; ich lasse mich aber gern belehren.
    Mein Herr Vorredner meinte, daß es in der Regierungserklärung in diesem Zusammenhang unterlassen worden sei, den arbeitenden Menschen, den Arbeitnehmer, anzusprechen. Ich stelle fest, daß diese Unterlassung nicht vorliegt, sondern daß die Regierungserklärung ausdrücklich davon spricht, daß die sozialen und wirtschaftlichen Interessen in freier Selbstverwaltung den Verbänden überlassen sind und eine weitere Verständigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstrebt werden muß.

    (Zuruf links: Ist das alles?)

    — Verzeihung! Es ist weiter gesagt worden, daß im Zusammenhang mit der Sozialisierung die sozial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundindustrien notwendig mache. Aus dieser Erklärung glaubte Herr Dr. Schumacher schließen zu können, daß die Regierung etwa bestrebt sei, Besitzverhältnisse früherer Besitzer wiederherzustellen.

    (Zuruf von der SPD: Wir wollten nur wissen, was gemeint ist!)

    — Ich glaube, daß, wer das liest, es gar nicht mißverstehen kann, wenn er es nicht mißverstehen will.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Meine Damen und Herren! Wer unsere Wünsche und Auffassungen kennenzulernen wünscht, die ja, wie gesagt, in einer 82minutigen Regierungserklärung nicht erschöpfend enthalten sein können, der soll das Ahlener Programm und die Düsseldorfer Leitsätze nachlesen.

    (Zuruf von der SPD: Wie paßt denn das zusammen? — Abg. Dr. Schmid: Herr von Brentano, die wurden nachträglich kommentiert!)

    - Ich glaube nicht, daß Sie dadurch, meine Damen und Herren, daß Sie jede Äußerung, die Ihnen nicht paßt, in ihrem Wahrheitsgehalt in Zweifel ziehen, der Auseinandersetzung dienen und die Auseinandersetzung fördern. Nehmen Sie denn ernstlich für sich das Monopol in Anspruch, sozial zu denken?

    (Sehr gut! in der Mitte und rechts.)

    Nehmen Sie ernstlich für sich das Monopol in Anspruch, die soziale Ordnung Deutschlands allein richtig herstellen zu können?

    (Sehr gut! rechts. — Zuruf von der SPD: Wie können Sie das behaupten?)

    Glauben Sie nicht, daß wir uns mindestens ebenso sozial verpflichtet fühlen? Und nicht etwa, wie gesagt wurde, indem wir darüber sprechen, sondern indem wir dazu handeln werden!

    (Sehr gut! und Händeklatschen, in der Mitte und rechts. — Unruhe und Zuruf links: Ein fauler Wechsel! Abg. Dr. Schmid: Es gibt einen gewissen Unterschied, Herr von Brentano!)

    — Einen Unterschied gibt es gottlob, sonst wären Sie nicht in der Opposition.

    (Abg. Dr. Schmid: Manche wollen eben den Leuten helfen und halten das für sozial! — Gegenruf von der CDU: Das ist nicht schlecht, wenn sie das wollen! — Abg. Dr. Schmid: Das ist dann aber Caritas! — Gegenruf von der CDU: Ach was, „Caritas"!)



Rede von Dr. Erich Köhler
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort haben nicht die Mitglieder des Hauses, das Wort hat der Herr Abgeordnete von Brentano!

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    Rede von Dr. Heinrich von Brentano


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Es wurde auch vermißt, daß die Regierungserklärung die Gewerkschaften angesprochen habe. Ja, meine Damen und Herren, müssen wir noch die Gewerkschaften ansprechen, wenn zwei Gewerkschaftsvertreter in der Regierung sitzen?

    (Sehr gut! bei der CDU.)

    Haben Sie nicht daraus allein die Überzeugung gewonnen, daß wir den Wunsch haben, nicht gegen, sondern mit den Gewerkschaften zu arbeiten?

    (Sehr richtig!)

    Und glauben Sie, den Gewerkschaften einen besonders guten Dienst zu erweisen, indem Sie sich immer zum Sprecher der Gewerkschaften machen, die ja nicht nur aus Mitgliedern Ihrer Partei bestehen?

    (Beifall in der Mitte und rechts.)

    Sie entwerten den Wert der Gewerkschaften

    (Sehr richtig! bei der CDU)

    und Sie setzen sie im Bewußtsein der Öffentlichkeit herab, wenn Sie glauben, die Gewerkschaften zum verlängerten Arm Ihrer Parteipolitik machen zu können.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)

    Ich glaube Ihnen auch sagen zu können: wenn Sie das weiterhin versuchen, die Gewerkschaften werden Ihnen nicht folgen.

    (Sehr richtig! bei der CDU. — Zuruf von der SPD: Das überlassen Sie den Gewerkschaften! — Zurufe rechts.)

    — Jawohl, das werde ich den Gewerkschaften überlassen.
    Meine Damen und Herren! Es ist in diesem Zusammenhang von dem Herrn Vorredner mit Recht und mit Nachdruck darauf hingewiesen worden, daß die wirtschaftliche Gestaltung der neuen Bundesrepublik und damit die Erfüllung ihrer sozialen Aufgaben durch die jüngsten Ereignisse und nicht zuletzt durch die Währungsumwertung, durch die Abwertung des englischen Pfundes erheblich gefährdet werde. Auch darin glaube ich mit dem Herrn Vorredner absolut übereinstimmen zu können, daß eine Veränderung, eine Umwertung der


    (Dr. von Brentano)

    Parität der D-Mark, die einen internationalen valutarischen Kurs noch nicht besitzt, Auswirkungen auf das gesamte Preisgefüge haben wird und muß. Ich glaube Ihnen versichern zu können, daß auch die Bundesregierung diese Erkenntnis gewonnen und sich mit diesem Problem bereits beschäftigt hat.
    Es ist dann hier gesagt worden — und dem glaube ich zunächst auch zustimmen zu können —, daß sicherlich diese Verwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Währungspolitik nicht zuletzt auf die ökonomischen und strukturellen Veränderungen zurückzuführen sind, denen Europa in den letzten 15 oder 20 Jahren unterzogen war, den Jahren, die allgemein einer Aufrüstung für den Krieg dienten und zum Teil dienen mußten und die dazu geführt haben, daß nicht nur europäische, sondern auch außereuropäische Länder sich zu einer zunehmenden Autarkie entwickelten und damit Absatzmärkte verlorengingen. Um so notwendiger ist es — auch darin stimme ich dem Vorredner bei —, daß wir den europäischen Gedanken, so wie im Grundgesetz bereits zum Ausdruck gebracht, mit allen Mitteln zu fördern versuchen. Dabei unterstreiche ich auch hier das Wort des Vorredners, daß das Endziel heißen muß: Europa ist Gleichberechtigung.
    Ich glaube aber, wenn wir über die Wirtschaftspolitik, die wir zu betreiben gesonnen sind, und über die Abwertung sprechen, sollten wir doch gerade nicht ganz an der Tatsache vorübergehen — und Herr Dr. Schumacher selber hat Respekt vor den Tatsachen verlangt —, daß diese Abwertung des englischen Pfundes sicherlich auch durch die wirtschaftlichen Experimente der dortigen Regierung veranlaßt ist.

    (Sehr richtig! rechts. — Abg. Heiland: Durch den Hitlerkrieg, Herr von Brentano!)

    — Auch dadurch, Herr Kollege Heiland. Unzweifelhaft hat England auch unter den Folgen eines verlorenen Krieges zu leiden.

    (Zurufe und Heiterkeit.)

    — Man kann schon beinahe sagen: eines verlorenen Krieges. Aber wir wollen uns, der Tatsache wirklich nicht verschließen, daß die Wirtschaftspolitik Englands ein gerüttelt Maß von Schuld an den heutigen schwierigen wirtschaftlichen Zuständen trägt.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Deswegen sind wir ja auch nicht gewillt, gleiche Experimente in Deutschland mit gleichem Enderfolg durchzuführen.

    (Zuruf von der KPD: Was sagen Sie denn morgen, wenn Ihre Regierung die Abwertung vornimmt? Wer ist dann daran schuld? — Zuruf rechts: Die englische Regierung! — Abg. Dr. Schumacher: Sie „verstärken" die Position des neuen deutschen Staates mit jedem Wort!)

    Es ist im übrigen — auch darauf möchte ich eingehen — in Zusammenhang mit der Frage der Sparsamkeit und der Notwendigkeit, soziale Aufgaben zu bewältigen, auch die Frage angeschnitten worden, ob das Kabinett nicht zu stark besetzt sei. In diesem Zusammenhang fiel auch die Bemerkung,

    (Zuruf von der SPD: Es fehlte sogar ein Stuhl!)

    daß man sogar unter Umständen aus denjenigen, die nicht Minister geworden seien, eine Fraktion zusammenstellen könne. Ich weiß nicht, ob Herr Dr. Schumacher dabei an seine Fraktionskollegen gedacht hat,

    (Zuruf rechts: Wahrscheinlich! — Heiterkeit)

    die am 14. August bestimmt noch die Absicht hatten, hier oben zu sitzen.

    (Sehr gut! in der Mitte. — Zuruf von der SPD: Woher weißt du? — Zuruf von der CDU: Wollte sogar Bundespräsident werden!)

    Zur Notwendigkeit des Ostministeriums habe ich mich schon geäußert. Das ERP-Ministerium, dessen Notwendigkeit von uns und von der Regierung anerkannt wird,

    (Zuruf von der SPD: Seit wann?)

    hat besondere Aufgaben, die eben nicht im Wirtschaftsministerium zu lösen sind und auch nicht dort gelöst werden sollen. Und wenn wir ein Ministerium eingerichtet haben, das die enge Verbindung zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat herstellen soll, so soll damit, wie es auch gestern in der Regierungserklärung hieß, der ernste Wille zum Ausdruck kommen, daß die Bundesregierung alles tun will und tun wird, um den föderativen Gedanken des Grundgesetzes zu verwirklichen.

    (Zuruf von der SPD: Durch einen Mann, der das Grundgesetz ais Machwerk bezeichnet hat!)

    Ich glaube, meine Damen und Herren, daß diese Notwendigkeit heute größer ist denn je. Denn der Tatsache können wir uns ja nicht entziehen, daß das westliche Deutschland sich in den letzten Jahren in elf Ländern entwickelt hat, die je nach der Art der Besatzung und je nach der Art der politischen Strukturierung eine sehr verschiedenartige Entwicklung gehabt haben. Es wird des Schweißes vieler Edler bedürfen, um diese Mannigfaltigkeit wieder zu einer Gemeinsamkeit zu gestalten. Es wird auch des guten Willens sowohl des Bundes wie der Länder bedürfen. Es ist nicht so, daß daran etwa übertriebene und überföderalistische Erwägungen schuld sind, die Sie, Herr Dr. Schumacher, glaube ich, zu Unrecht befürchten.

    (Abg. Dr. Schumacher: Herr von Brentano, wie wäre es mit einem Minister für unitarische Tendenzen?)

    — Damit würden Sie Sinn und Buchstaben des Grundgesetzes allerdings verletzen. — Ich glaube nicht, daß Sie derartige hyperföderative Gedankengänge zu fürchten haben. Denn das Grundgesetz, das ja auch mit den Stimmen Ihrer Partei Annahme gefunden hat, hat hier klare Abgrenzungen gegeben, die wir allerdings auch einzuhalten beabsichtigen, weil wir das Grundgesetz zu verwirklichen gedenken. Es bedarf auch nicht Ihrer Sorge, daß etwa im Wege der Personalpolitik Sinn und Buchstaben des Grundgesetzes verletzt werden könnten.

    (Sehr richtig! bei der CDU.)

    Die Regierungserklärung hat sich gestern zu dem Grundsatz des Berufsbeamtentums bekannt. Wir bekennen uns auch in den Regierungsparteien zu diesem Grundsatz. Selbstverständlich wissen wir, daß das Berufsbeamtentum nicht etwa in der Form wiedererstehen muß, in der es bestand. Das Berufsbeamtentum soll nicht etwa das werden, was es vielleicht einmal gewesen sein mag, der Auswuchs oder der Ausfluß eines Berechtigungswesens.

    (Zuruf links: „Staatsdiener" zu werden!)

    Wir wollen schon neue Grundlagen schaffen. Aber wir brauchen, gerade wenn wir die Personalpolitik der letzten Jahre verfolgen, heute nötiger denn je die Wiederherstellung eines echten, verantwortungsbewußten Berufsbeamtentums, von dem ich


    (Dr. von Brentano)

    allerdings auch ein klares Bekenntnis zum Staat verlange.

    (Zuruf von der SPD: Ein kleines?) — Ein klares.


    (Zuruf rechts: Überparteiliches!)

    Und machen Sie sich keine Sorgen, daß etwa hier Stellenvermittlungsbüros aufgezogen würden. Es läge nahe zu antworten, daß ich nach eigenen Erfahrungen kaum ein besseres Stellenvermittlungsbüro kenne als die Sozialdemokratische Partei.

    (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts. — Zuruf: Damit ist jetzt Schluß!)

    Es ist noch dem Herrn Bundeskanzler vorgeworfen worden - ich muß der Reihenfolge nach vorgehen, damit nicht nachher etwa der Eindruck entsteht, ich hätte absichtlich einen Punkt übergangen —, er habe sich nicht mit dem nötigen Nachdruck auch der Kriegsopfer angenommen. Ich glaube, Sie haben den Passus übersehen, in dem es heißt: „Die Schaffung einer einheitlichen Versorgungsgesetzgebung für das gesamte Bundesgebiet ist nötig." Das entspricht genau dem von Ihnen vorgetragenen Wunsch, und ich bin glücklich, mich in diesem Punkt mit Ihnen einig zu wissen.

    (Zuruf von der SPD: Aber materiell nicht!)

    — Materiell in einer Regierungserklärung etwas zu sagen, würde ja bedeuten, daß der Herr Kanzler bereits sämtliche Gesetzentwürfe der nächsten Jahre auf den Tisch des Hauses hätte legen müssen, und Sie werden ihm nicht zumuten können, daß er innerhalb weniger Stunden nach Kabinettsbildung bereits so weit vorgeschritten ist. Stellen Sie keine Ansprüche und Forderungen, von denen. Sie selbst wissen, daß sie nicht verwirklicht werden konnten!
    Es ist weiter gesagt worden, die Regierungserklärung, die sich über andere wesentliche Punkte noch ausschweige, habe sich auch zu wenig mit der Tragik der im Dritten Reich Verfolgten und Geschädigten und mit der tragischen Lage der deutschen und der deportierten Juden beschäftigt. Meine Damen und Herren, gerade zu dem Problem des Antisemitismus hat der Bundeskanzler ernste Worte gefunden, und daß er zu dem Problem der politisch Verfolgten nicht noch ausdrücklich sprechen mußte, das dürfte daraus hervorgehen, daß solche politisch Verfolgte in seinem Kabinett sitzen.

    (Lebhafte Zurufe von der SPD. — Abg. Renner: Warum hat er überhaupt gesprochen?)

    — Sie haben es ja gehört! — Daraus dürfen Sie wohl entnehmen, daß der Bundesregierung das tragische Schicksal der politisch Verfolgten hinreichend bekannt ist.
    Es ist weiter gesagt worden, der Herr Bundeskanzler habe nicht über seine Kulturpolitik gesprochen. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß er das sehr bewußt unterlassen hat, weil er sich vorher mit dem Inhalt des Grundgesetzes eingehend beschäftigt hat.

    (Sehr richtig! rechts.)

    Danach ist nämlich die Kulturpolitik Sache der Länder.

    (Abg. Dr. Schumacher: Was haben Sie denn im Wahlkampf und in Bonn gesagt?)

    — Wir haben im Wahlkampf das gleiche gesagt,
    Herr Dr. Schumacher! — Es war nicht Aufgabe der
    Bundesregierung, sich mit Aufgaben zu beschäftigen, die in der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder liegen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    ich betone: in der ausschließlichen Zuständigkeit, um jede falsche Vorstellung zu verwischen.

    (Zuruf: Wir haben auch eine rheinischpfälzische Kultur und nicht eine deutsche! — Abg. Dr. Schmid: Haben wir vielleicht eine verschiedene Kulturpolitik?)

    Im übrigen hat sich der Herr Vorredner mit der Frage der Außenpolitik beschäftigt. Ich habe darauf schon einiges erwidert und habe festgestellt, daß wir in diesen Fragen nach meiner Auffassung eine vollkommene Übereinstimmung unserer Grundhaltung feststellen und wohl auch zu einer völligen Übereinstimmung der Wege kommen können, die wir zu gehen entschlossen sind. Ich würde nichts mehr bedauern, als wenn auch die Frage der Außenpolitik durch die parteipolitische Auseinandersetzung getrübt und ihre klare, sachliche Behandlung erschwert werden würde. Es gibt Fragen — das steht außer Zweifel —, bei deren Beantwortung alle Teile des deutschen Volkes mitwirken müssen. Wir können die Frage der Außenpolitik ebensowenig wie die der deutschen Einheit und das Problem der Vertriebenen und Heimatlosen nicht gegeneinander, sondern nur miteinander lösen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    ich glaube, daß wir hier die Pflicht haben, alles Trennende beiseite zu stellen und nicht dadurch, daß wir uns bekämpfen, mögliche Lösungen, die im Interesse des gesamtdeutschen Volkes liegen, zu verhindern.
    Meine Damen und Herren! Ich habe eingangs gesagt: Es war nicht Aufgabe und konnte nicht Aufgabe der Regierungserklärung sein, sich in inem Abriß mit allen Problemen zu beschäftigen, lie überhaupt dem deutschen Volk gestellt sind. Dazu hätten Tage nicht gereicht; denn wir wissen alle so unzählige Probleme, wie wir sie zu lösen laben werden, sind noch kaum einer Generation gestellt worden.

    (Zustimmung in der Mitte.)

    Das ist die unvermeidbare Folge dieses verhängnisvollen Regimes, das hinter uns liegt und das dazu geführt hat, daß Deutschland ja nicht nur einen militärischen Zusammenbruch erlebt hat, sondern daß im Jahre 1945 die materiellen, die politischen, die wirtschaftlichen und die ethischen Werte Deutschlands zerschlagen und zerstört wurden und daß es lange Zeit dauern wird, bis wir diese Werte wieder schaffen können. Und es wird großer Sorgfalt bedürfen, um auch gegenüber dem Ausland wieder das Vertrauen zu erwecken und dem Ausland zu beweisen, daß die Grimasse, die das deutsche Volk in den Jahren von 1933 bis 1945 zeigte, nicht das wahre Gesicht des deutschen Volkes war, daß die echten, die sittlichen, die starken Kräfte des deutschen Volkes nicht versiegt, sondern nur verschüttet waren. Die letzten vier Jahre dürften allerdings auch schon manchen Zweifler überzeugt haben. Denn das, was das deutsche Volk — an der Spitze der Arbeitnehmer, an der spitze die Massen der Arbeiter im Ruhrgebiet und sonstwo — in diesen Jahren getan hat, um sich wieder langsam in die Höhe zu schaffen, das ist, meine Damen und Herren, wie ich glaube sagen
    können, beispiellos, und diese Haltung verdient Anerkennung, die nicht nur vom Ausland, sondern


    (Dr. von Brentano)

    auch von jedem von uns aus vollem Herzen gezollt werden muß.

    (Beifall in der Mitte. — Abg. Renner: Mehr Lohn wäre besser!)

    Ich glaube nicht, daß alle Arbeitnehmer so primitiv denken, wie dieser Zwischenruf zum Ausdruck bringt.

    (Abg. Renner: Mindestens aber die, die nicht soviel haben, um leben zu können!)

    Die Feststellung, die ich eben traf, wird Ihnen zeigen — ich wiederhole es —, daß uns die Lösung der sozialen Frage im Wege der Zusammenarbeit wirklich am Herzen liegt, daß sie auch für uns das ist, was der Bundeskanzler sagte: der Leitstern unserer Arbeit. — Auch wenn wir in der Methode verschiedener Meinung sind! Wir sind nun einmal der Auffassung, daß der dialektische Marxismus -
    staatsbiologisch gesehen —, ich möchte sagen: eine Sturm- und Drangperiode in der evolutionären Entwicklung unseres Volkes war. Wir sind der Meinung, daß der Klassenkampf, den man künstlich zu beleben versucht,

    (Lachen links)

    nicht das Mittel ist, um soziale Gegensätze zu bereinigen.

    (Zuruf links: Weil Sie ihn nicht verstehen! — Abg. Renner: Sie organisieren den Klassenkampf!)

    Es liegt im Wesen des Kampfes, daß er destruktiv ist. daß er niemals zu einer konstruktiven Lösung führen kann.

    (Zuruf links.)

    Wir wollen andere Wege gehen. Wir wollen den Weg gehen von dem ich sprach indem wir in Achtung des Grundgesetzes die Freiheit und die Würde des Menschen herstellen, indem wir den Menschen zum Mittelpunkt des staatlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens machen.

    (Zuruf von der KPD Das hat kein Mensch gehört!)

    Meine Damen und Herren wenn wir die Auffassung vertreten daß die Substenz christlichen Denkens uns auf diesem Wege unterstützen wird. haben wir wie ich glaube nicht unrecht. Ich möchte sogar annehmen, daß mein Vorredner das Wort eines so ernsten und sittlich lauteren Mannes wie erstanden
    hat. Wenn Mehatma Gandhi sagte: ,,Dem Armen erscheint Gott im Brot", dann hat er es nicht in dem Sinn gemeint den ich Ihren Ausführungen entnehmen zu müssen glaube,

    (Zuruf des Abg. Dr. Schumacher)

    im Sinn einer doch etwas primitiven Materialisierung und Vereinfachung.

    (Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. Schmid Herr von Brentano des war unter Ihrer Würde! - Zurufe links.)

    Meine Damen und Herren. ich habe versucht, die Regierungserklärung noch vom Standpunkt meiner Partei aus zu erläutern, und ich habe versucht, mich mit den Auffassungen der größten Oppositionspartei auseinanderzusetzen.

    (Zuruf von der KPD: Das war ein bißchen dünn!)

    Ich habe Ihnen gesagt: es ist unser ernster Wille, diese Regierungserklärung nicht dem Wortlaut. sondern auch dem Sinn nach zu erfüllen, und niemand von uns glaubt, daß wir, nachdem wir die
    Verantwortung übernommen haben, deswegen herrschen könnten, sondern wir sind alle davon durchdrungen, daß diejenigen, die die Verantwortung tragen, erst recht dem gesamten Volk zum Dienen verpflichtet sind. Wir glauben, daß wir mit dem Weg, den die Regierungserklärung zeigt, den einzigen Weg gehen, der unser deutsches Volk wieder in eine bessere Zukunft führen kann. Glauben Sie nicht, meine Damen und Herren, wenn wir von der Freiheit der Wirtschaft sprechen, daß wir die Freiheit schlechthin meinen. Freiheit schlechthin ist Anarchie.

    (Zurufe.)

    Auch wir wissen, daß die Freiheit nur dann Anerkennung verdient, wenn sie im Substrat verwirklicht wird, wenn derjenige, der sich auf die Freiheit beruft, sich der Grenzen der Freiheit bewußt ist,

    (Aha! links)

    die in der Bindung gegenüber der Gemeinschaft liegen.

    (Abg. Dr. Schmid: Wir haben da einige zweihundert Jahre Erfahrung!)

    Und auch das, meine Damen und Herren, gehört zu dem Wirtschafts- und Sozialprogramm, und ich glaube, darüber hat der Wirtschaftsminister schon einiges gesagt und wird Ihnen noch einiges sagen. Wir wissen alle, daß die Wirtschaftsepoche, die hinter uns liegt, nicht nur etwa den Konsumenten geschädigt, sondern auch den Produzenten verdorben hat, und daß es unendlich viele Produzenten gibt, die sich sogar unter dem staatlich gelenkten Protektionismus, der Zwangswirtschaft, den garantierten Kontingenten und allem, was dazu gehörte, viel wohler fühlten.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Aber auch diesen, meine Damen und Herren, haben wir den Weg in eine wirtschaftliche Freiheit
    gezeigt, auch wenn sie ihn ungern gehen wollen.

    (Abg. Dr. Schmid: Sie gehen ihn gern!)

    — Glauben Sie es nicht! Es gibt viele, die sich heute zu diesen Möglichkeiten zurücksehnen, wo die eigene Verantwortung so gering und die Fürsorge des nicht immer ganz unbestechlichen Apparats so groß war.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir gehen diesen Weg, meine Damen und Herren, im Sinne der von uns geschaffenen, von uns anerkannten und von der Bundesregierung beschworenen Verfassung im Bewußtsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen.

    (Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts.)