Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung
Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 29. November 1978 den von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes — Drucksache 8/2259 — zurückgezogen.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Dezember 1978 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts
Gesetz zu der Vereinbarung vom 23. Februar 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden zur Durchführung des Abkommens vom 27. Februar 1976 über Soziale Sicherheit
Gesetz zu den Änderungen vom 21. Oktober 1969 und vom 12. Oktober 1971 des Internationalen Übereinkommens zur Verhütung der Verschmutzung der See durch 01, 1954
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat mit Schreiben vom 30. November 1978 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Hammans, Frau Dr. Neumeister, Dr. Becker , Burger, Frau Schleicher, Hasinger, Frau Karwatzki, Kroll-Schlüter, Dr. George, Frau Hürland und Genossen betr. Haftung der Mitglieder der Transparenz-Kommission" — Drucksache 8/2280 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/2345 verteilt.
Wir treten in die Fragestunde ein: Fragestunde
— Drucksache 8/2339 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Frage steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Stahl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Ablehnung der Versuchsstrecke der sogenannten Hängebahn durch den Erlanger Stadtrat, und wie will die Bundesregierung künftig die Akzeptanz der von ihr geförderten neuen Verkehrstechnologien in den Kommunen erhöhen?
Bitte schön.
Herr Kollege Dr. Steger, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. In einer Durchführbarkeitsuntersuchung „Einsatz der H-Bahn in Erlangen" wurde festgestellt, daß sich die H-Bahn für den Einsatz dort eignet und diese Stadt gute
Voraussetzungen für die Erprobung der H-Balm bieten könnte. Gleichzeitig wurde in Planspielen mit Bürgern Erlangens ein Mitwirkungsmodell entwikkelt, das den Bürgern hilft, sich eine fundierte Meinung zur H-Bahn zu bilden, soweit dieses vor der öffentlichen Erprobung des Systems möglich ist.
Die Standorte für die Erprobung neuer Nahverkehrsmittel müssen gleichzeitig Anforderungen aus zwei Richtungen gerecht werden: Auf kommunaler Ebene muß die Errichtung der Erprobungsanlage in die örtliche Verkehrsplanung passen und von der Bevölkerung akzeptiert werden. Aus forschungspolitischer Sicht muß der Standort repräsentative Ergebnisse erwarten lassen, eine zeitliche, in den Entwicklungsablauf passende Erprobung der geförderten Systeme sicherstellen und sich um die Förderung einer Erprobungsanlage bewerben.
Nach der knappen Entscheidung des Erlanger Stadtrates, die sich aus lokalen Gegebenheiten erklärt, ist zunächst nicht mit der Bewerbung Erlangens um eine Erprobungsanlage zu rechnen. Ein abschließendes Nein, Herr Kollege Steger, ist von der Stadt Erlangen noch nicht erklärt. Durch den Beschluß steigen aber natürlich die Aussichten weiterer Interessenten, von denen jetzt auf Grund von Vorgesprächen in der nächsten Zeit Bewerbungen erwartet werden.
Die Akzeptanz der geförderten neuen Nahverkehrsmittel wird sich genauso wie die übrigen Auswirkungen erst auf Grund von Erprobungsergebnissen im öffentlichen Nahverkehr feststellen und, wenn erforderlich, verbessern lassen. Daher mißt die Bundesregierung diesen ersten probeweisen Einsätzen erhöhtes Gewicht bei.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, haben Sie nicht den Eindruck, daß der Zielgruppe der kommunalen Mandatsträger nicht die genügende Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, so daß es hier besondere Akzeptanzprobleme gibt?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Mandats-
9466 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Parl. Staatssekretär Stahl
träger zu kritisieren. Es ist aber festzustellen, daß hier ein Beschluß gefaßt wurde. Ich habe auch ausdrücklich gesagt, daß das endgültige Nein der Stadt Erlangen noch nicht vorliegt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, fürchten Sie, daß in absehbarer Zeit Städte bei ähnlichen Referenzanlagen ähnliche Beschlüsse fassen werden, so daß sich daraus Probleme für das Programm der Bundesregierung zur Förderung von neuen Nahverkehrstechnologien ergeben könnten?
Stahl, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Steger, das ist nicht zu befürchten, denn auch um die Erprobung dieser Anlage bewerben sich mehrere Städte. Wenn die Stadt Erlangen auf dieses Projekt verzichten würde, sind größere Städte in unserem Gebiet gerne bereit, sofort an ihre Stelle zu treten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Herr Abgeordneter Gansel, der die Frage 2 eingebracht hat, ist mit schriftlicher Beantwortung einverstanden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Bülow zur Verfügung.
Die Frage 4 ist von dem Herrn Abgeordneten Sauer eingebracht. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann werden die Frage 4 und die Frage 5, die ebenfalls von dem Herrn Abgeordneten Sauer eingebracht worden ist, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Frau Abgeordnete Simonis, die die Fragen 6 und 7 eingebracht hat, ist ebenfalls nicht im Saal. Diese Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung Zweifel an der Verfassungstreue des Beamten Hans Günter Schumacher, einen der Bundesvorsitzenden des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz hat und disziplinarrechtliche Schritte gegen den Beamten eingeleitet hat, und wenn ja, welche Gründe sind dafür maßgebend?
Bitte schön.
Herr Kollege, die Bundesregierung geht von der Verfassungstreue des Beamten Hans Günter Schumacher aus. Es haben sich jedoch Anhaltspunkte dafür ergeben, daß der Beamte als Vorsitzender des BBU seine Beamtenpflichten dadurch verletzt hat, daß er möglicherweise Aktionen und Vorhaben des Verbandes gebilligt hat, die gegen geltendes Recht verstoßen.
Auf nähere Einzelheiten des Verfahrens und der Vorwürfe kann ich nicht eingehen. Bekanntlich gilt in allen Personal- und Disziplinarangelegenheiten der Grundsatz der Vertraulichkeit. Vorsorglich weise ich darauf hin, daß die Berichterstattung über diesen Fall in den Medien zum Teil unzutreffend war. So ist insbesondere die Darstellung darüber falsch, daß dem Beamten im Disziplinarverfahren Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung zum Vorwurf gemacht worden sei.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind die Presseberichte zutreffend, daß der Minister diese disziplinarrechtlichen Schritte ausdrücklich gebilligt und gefordert haben soll?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Diese Pressemitteilungen sind falsch.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung denn bewußt, daß sich bei diesem Vorgang sehr weitreichende Folgerungen für die friedliche Nutzung der Kernenergie und ihre Akzeptanz in der Bundesrepublik ergeben können, indem der lautgewordene Vorwurf des „Atomstaates" durch solche Maßnahmen neue Nahrung erhalten könnte?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, daß in bezug auf das, was dem Betroffenen möglicherweise zum Vorwurf gemacht werden kann, und dem Komplex, den Sie eben ansprechen, gar kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 9 und 10 des Abgeordneten Brandt sowie die Frage 11 des Abgeordneten Engelsberger sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten wer, den als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 12 des Abgeordneten Nordlohne auf:
Hat der Bundesminister der Verteidigung zugesagt, daß der Neubau des Marineamtes Wilhelmshaven in den Maßnahmenkatalog des Bundes für 1979 aufgenommen werde, und wenn ja, welches sind die Gründe dafür, daß trotz dieser Zusage der seit Jahren fällige Neubau nicht im Maßnahmenkatalog für 1979 enthalten ist?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Nordlohne, es ist richtig, daß ursprünglich vorgesehen war, mit dem Bau des Marineamtes in Wilhelmshaven im Jahre 1979 zu beginnen. Diese Planung konnte jedoch nicht realisiert werden,- da der Standort des Amtes erst nach langjährigen Verhandlungen mit der Gemeinde und dem Land sowie nach Klärung bautechnischer Vorfragen erst im Jahre 1977 festgelegt werden konnte. Der Neubau des Dienstgebäudes ist nunmehr in den Maßnahmenkatalog des Bundes für 1984 und später eingestellt,
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Parl. Staatssekretär Dr. Bülow
da noch ein umfangreicher planerischer Vorlauf notwendig ist.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, auch wenn vorher umfangreiche Bauvorplanungen durchgeführt werden müssen, so möchte ich doch fragen, ob die Finanzierung nicht zu einem früheren Zeitpunkt als 1984 eingeplant werden kann.
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Dies wird natürlich in genauer Abstimmung mit dem planerischen Vorlauf geschehen. Es hat keinen Sinn, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, wenn man jetzt schon absehen kann, daß die planerischen Vorarbeiten bis dahin nicht so weit gediehen sind.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in einem Schreiben vom 3. November 1977 an den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Herrn Dr. Wörner, sprachen Sie davon, daß so bald wie möglich mit den Bauarbeiten begonnen werde, sofern die Vorbereitungen mit Nachdruck betrieben würden. Worin liegt denn der Grund, daß die Vorarbeiten nicht früher als 1984 abgeschlossen werden können?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen die entscheidenden kritischen Knotenpunkte des Verfahrens aus dem Stegreif nicht nennen. Ich müßte mich selbst erst sachverständig machen. Ich werde Ihnen aber die detaillierte Auskunft dazu gerne schriftlich geben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Staatssekretär Wolters zur Verfügung.
Die Frage 13 des Abgeordneten Egert, die Fragen 14 und 15 der Abgeordneten Frau Eilers sowie die Fragen 18 und 19 des Abgeordneten Susset werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Kroll-Schlüter auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Seine Frage wird ebenso wie die von ihm gestellte Frage 17 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. — Ich bedanke mich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar zur Verfügung.
Die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Frau Dr. Hartenstein sowie die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Böhm werden auf Wunsch der. Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 20 des Abgeordneten Curdt auf:
Besitzt die Bundesregierung gesicherte Erkenntnisse darüber, ob die bisher freiwillig vorgenommene Anbringung von Nebelschlußleuchten zu einer Verringerung typischer Nebelunfälle geführt hat, und ist ihr bekannt, ob an solchen Unfällen besonders Lastkraftwagen beteiligt sind, bei denen in der Regel keine Nebelschlußleuchten angebracht sind?
Die Diskussion über die sicherheitserhöhende Wirkung von Nebelschlußleuchten wird in den verschiedenen Bereichen der mit der Thematik befaßten Wissenschaft und Forschung im Inland wie im benachbarten Ausland zum Teil noch kontrovers geführt. In der Schweiz z. B. ist die Nebelschlußleuchte verboten, weil dort angenommen wird, daß sie risikoerhöhend wirkt.
Die Bundesregierung hat jedoch aus der begründeten Vermutung, daß der Betrieb von Nebelschlußleuchten zumindest nicht zu einer Erhöhung der Nebelunfälle führt, den Betrieb von Nebelschlußleuchten für zulässig erklärt. Erst wenn gesicherte Erkenntnisse über die Bewährung der Nebelschlußleuchten vorliegen, wird die Bundesregierung das Anbringen und den Betrieb solcher Leuchten anordnen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die Beurteilungskriterien eines Landes wie der Schweiz nicht unbedingt mit denen der Bundesrepublik übereinstimmen müssen? Würden Sie mir in dieser Frage vielleicht auch recht geben, daß in der Bundesrepublik mit einem ganz anders gearteten Verkehrsnetz der Beurteilungszeitraum — bis zu einer Entscheidung der Bundesregierung — nicht mehr zu lange ausgedehnt werden sollte?
Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie dürfen davon ausgehen, daß wir uns natürlich nicht nur Erfahrungen aus der Schweiz zunutze machen; das ergibt sich schon aus dem ersten Teil meiner Antwort auf Ihre erste Frage. Im übrigen gibt es im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bereits solche Untersuchungen. Im Bereich europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der technischen und wissenschaftlichen Forschung arbeiten die EG-Staaten und die wissenschaftlichen Gremien zusammen. Ihre Gründung, geht auf eine Initiative der Forschungsminister dieser Staaten zurück, die bereits vor Jahren erfolgte. Ich gehe davon aus, daß wir über schweizerische Erfahrungen hinaus zu bestimmten Erkenntnissen und auch Übereinstimmung kommen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, aus meiner ersten Frage geht hervor, daß ich dem Anteil von Lastkraftwagen ohne Nebelschlußleuchten an Unfällen im Nebel eine besondere Bedeutung beimesse. Wären Sie in der Lage, mir auch dazu schon eine Auskunft zu geben?
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Haar, Parl. Staatssekretär: Wir sind gegenwärtig noch in der Prüfung in dieser Frage. Sie können davon ausgehen, daß Sie Erkenntnisse, die auf wissenschaftlichen wie auf forschungsmäßigen und statistischen Grundpositionen beruhen, unaufgefordert erhalten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe auf die Frage 21 des Abgeordneten Curdt:
Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für angebracht, um die Gefahr von Nebelunfällen zu verringern, und ist sie bereit, eigene Vorstellungen auch im Rahmen der europäischen Verkehrspolitik zu verwirklichen?
Haar, Parl. Staatssekretär: Zur Verringerung von Nebelunfällen hält die Bundesregierung Nebelwarnanlagen für angebracht. Sie erprobt die Wirkungsweise dieser Anlage an mehreren Stellen im Bundesgebiet. Zur Zeit wird eine neue Anlage auf der A 45, Anschlußstelle Lüdenscheid/Drolshagen, errichtet. Bei Bewährung der erprobten Anlagen sollen sie verstärkt an nebelgefährdeten Stellen eingesetzt werden.
Die Bundesregierung hat international an der einschlägigen Studie der OECD-Arbeitsgruppe „Ungünstige Witterungsverhältnisse, verminderte Sichtbarkeit und Straßenverkehrssicherheit" mitgewirkt. Sie bringt als Mitglied der EUCO COSt 30, elektronische Hilfen für den Verkehr auf großen Fernstraßen, Schlechtwetterdetektion, ihre Erfahrungen in die internationalen Bemühungen im Bereich der Nebelwarnung ein.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe auf die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann.
Trifft es zu, daß die Bundesregierung den Bau einer Bundesbahn-Schnelltrasse im Raum südlich Rastatt alternativ zu einem sechsspurigen Ausbau der Bundesautobahn 5 behandelt, und welches verkehrspolitische Konzept steht zutreffendenfalls hinter einer solchen Überlegung?
Haar, Parl. Staatssekretär: Im Rahmen der Fortschreibung der Bundesverkehrswegeplanung werden auch die Fragen der Bauwürdigkeit der Neubau-/ Ausbaustrecke Rastatt-Offenburg-Basel der Deutschen Bundesbahn und des sechsstreifigen Ausbaues der Autobahn A 5 von Rastatt bis Offenburg geprüft. Dabei wird die gegenseitige Beeinflussung dieser Maßnahmen in die Untersuchung mit einbezogen werden.
Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, wie es auch der Sinn meiner Frage war, inwieweit beide Verkehrsführungen alternativ zueinander zu sehen sind?
Haar, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, bei der Fortschreibung der Bundesverkehrswegeplanung
zum Jahre 1980 — das ist wiederholt auch in unserem Schriftwechsel deutlich geworden —, die gegenwärtig in Arbeit ist, werden beide Projekte in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht daraufhin überprüft, inwieweit eine Bauwürdigkeit vorliegt und in welche Dringlichkeit sie gegebenenfalls einzustufen wäre. Ergänzend werden die Auswirkungen des Autobahnprojekts in betriebswirtschaftlicher Hinsicht auf die Ertragslage der Bundesbahn mit der Zielsetzung der Vermeidung von unnötigen Parallelplanungen untersucht. Ich bin überzeugt, daß sich alle Kollegen dieses Hohen Hauses in folgendem einig sind: Bevor irgendwelche Entscheidungen fallen, muß diese Überprüfung abgeschlossen sein.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bis wann muß auf Grund der bisherigen Vorbereitungen mit einer Entscheidung über den Bau der Schnelltrasse Mannheim-Basel gerechnet werden?
Haar, Parl. Staatssekretär: Ich gehe davon aus, daß die laufenden Untersuchungen im Laufe des kommenden Jahres abgeschlossen werden. Mit der Fortschreibung des Bedarfsplans und den dann abgeschlossenen betriebswirtschaftlichen Untersuchungen der Parallelplanungen wird hier eine konkrete Antwort gegeben werden können.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zu Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz . — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 26 des Herrn Abgeordneten Männing auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Dasselbe gilt für die Frage 27 des Abgeordneten Männing.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär von Schoeler zur Verfügung.
Frage 31 des Herrn Abgeordneten Spranger wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe nunmehr Frage 30 des Herrn Abgeordneten Amling auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 33 des Herrn Abgeordneten Dr. Diederich auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
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Vizepräsident Stücklen
Wir kommen zu Frage 34 des Herrn Abgeordneten Thüsing. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Becker auf:
Was gedenkt die Bundesregierung ihrerseits als Hilfe zur Entschädigung der Opfer der gewalttätigen Demonstration in Frankfurt am 25. November 1978 zu tun, nachdem die Stadt Frankfurt ihrerseits dafür 200 000 DM bereitgestellt hat, ohne dazu verpflichtet zu sein?
Darf ich bitten, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Becker, die Staatshaftung für Schäden, die nicht auf fehlerhaft ausgeübter Staatsgewalt beruhen, sondern — wie in Frankfurt — durch das unfriedliche Verhalten einer Menschenmenge verursacht werden, ist bundesrechtlich noch nicht geregelt. Entsprechende Gesetzentwürfe der Bundesregierung liegen dem Deutschen Bundestag zur Beratung und Entscheidung vor. Bis zum Inkrafttreten dieser Gesetze gilt das durch Verordnung vom 29. März 1924 geänderte Reichsgesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 als Landesrecht fort.
Sowohl nach diesem alten Recht als auch nach den dem Bundestag vorliegenden Gesetzentwürfen der Bundesregierung sind die Länder für eine eventuelle Regulierung von Entschädigungsfällen zuständig. — Im übrigen möchte ich, darauf hinweisen, daß nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen der hessischen Behörden die Summe der bei der Frankfurter Demonstration entstandenen Privatschäden nur ca. 180 000 DM beträgt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Sieht die Bundesregierung ebenso wie ich in dem Unvermögen des Staates, als Garant der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufzutreten, eine Rechtfertigung der Forderung nach einer Entschädigung durch den Staat, da bei den Frankfurter Tumulten die Störung der öffentlichen Sicherheit so schwerwiegend war, daß der Bürger auf die Abwendung der Gefahr durch die Sicherheitskräfte des Staates vertrauen durfte?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, die Bundesregierung hält eine gesetzliche Regelung der Entschädigungspflicht in Fällen von Tumultschäden für notwendig. Sie hat deshalb nach sehr umfangreichen und gründlichen Vorbereitungen den Entwurf des Staatshaftungsgesetzes vorgelegt. Es ist jetzt Sache des Parlaments, diesen Gesetzentwurf zu beraten und zu Entscheidungen in Einzelfragen zu kommen. Aber auch ich halte eine Regelung dieses Problems für erforderlich.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß die Stadt Frankfurt, die dazu rechtlich ebenfalls nicht verpflichtet ist, 200 000 DM zur Verfügung stellt, ihrerseits eine Möglichkeit, bei der Entschädigung eine Hilfe zu geben?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Becker, ich habe auf die Situation und insbesondere auf die Höhe der Schäden nach dem jetzigen Stand der Erkenntnisse der hessischen Behörden hingewiesen. Ein besonderes Hilfsprogramm der Bundesregierung, wie Sie es in Ihrer Frage anregen, erscheint uns angesichts dieser Sachlage weder möglich noch notwendig.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 36 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf:
Trifft es zu, daß aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland entlassene ehemalige politische Häftlinge nach ihrer Ankunft im Notaufnahmelager Gießen erkennungsdienstlich behandelt worden sind, daß die Behörden Fingerabdrücke genommen und Polizeiphotos angefertigt haben, wobei die Betroffenen Tafeln mit Registriernummern in der Hand zu halten hatten und auf Weigerung der Betroffenen ihnen angedroht worden sei, in diesem Fall das Aufnahmeverfahren nicht ordnungsgemäß abwickeln zu können?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich Ihre beiden Fragen zusammenfassend beantworten könnte.
Einverstanden. Dann rufe ich zugleich Frage 37 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf:
Welche Nachteile sind den beiden Betroffenen bisher durch ihre Weigerung, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen, entstanden, und welche weiteren Nachteile sind gegebenenfalls noch zu erwarten?
von Schoeler, ParL Staatssekretär: im Zusammenhang mit der Durchführung des Bundesnotaufnahmeverfahrens findet in Gießen für einen beschränkten Personenkreis eine erkennungsdienstliche Behandlung durch die Polizeibehörden des Landes Hessen statt. Betroffen sind z. B. aus der DDR eintreffende Personen, die sich nicht oder nicht ausreichend ausweisen können. Die ganz überwiegende Zahl der Übersiedler aus der DDR ist von diesen Maßnahmen nicht betroffen, da sie über Ausweispapiere verfügen und Maßnahmen zu ihrer Identitätsfeststellung auf der Grundlage des § 45 Abs. 1 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht notwendig sind.
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß jemandem durch eine Verweigerung der erkennungsdienstlichen Behandlung Nachteile entstanden wären. Sie wird anregen, das Verfahren bei der Durchführung. solcher Maßnahmen zu ändern. Bei der Abwicklung des Notaufnahmeverfahrens in Gießen muß nach Auffassung der Bundesregierung die Betreuung und Beratung des in die Bundesrepublik Deutschland kommenden Personenkreises im Vordergrund stehen. Der Bundesminister des Innern hat deshalb eine Prüfung eingeleitet, welche Verbesserungen des Verfahrens in Gießen durchgeführt werden können, um die soziale und berufliche Eingliederung der Betroffenen zu erleichtern.
Zusatzfrage, bitte.
9470 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Herr Staatssekretär, sind Sie ganz sicher, daß diese Art der Überprüfung und Feststellung der Personalien nur mit einem ausgewählten Personenkreis geschieht? Mir sind Fälle bekannt, in denen DDR-Bürger, die inhaftiert gewesen sind —mehr als ein Jahr — und die sich ausweisen konnten, die ihre ordentliche Entlassung und ihre Personalpapiere bei sich trugen, genauso behandelt worden sind.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schlaga, in den Fällen, in denen eine betroffene Person ein gültiges Ausweispapier hat, ist eine Identitätsfeststellung durch erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht notwendig. Allerdings hat ein Teil gerade der in der DDR inhaftierten Personen keine Ausweispapiere, sondern nur einen Entlassungsschein. Der Entlassungsschein kann aber wegen der vielfältigen Möglichkeiten der Verfälschung solcher Papiere nicht als Ausweispapier anerkannt werden.
Ich will noch einmal versichern, daß es keineswegs so ist, daß routinemäßig jede Person einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen würde. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Es geht um den Personenkreis, bei dem eine einwandfreie Feststellung der Identität anders nicht möglich ist.
Weitere Zusatzfrage.
Wenn das nicht so ist — wie Sie sagen —, muß ich darauf hinweisen, daß die aufnehmenden Beamten im Notaufnahmelager Gießen eine — für mich jedenfalls bestätigte — Äußerung getan haben, daß dann das Notaufnahmeverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden könne. Sind Sie der Meinung, daß man diese Art von Drohung unterlassen kann?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, mir ist nicht bekannt — obwohl ich dem auf Grund Ihrer Frage selbstverständlich nachgegangen bin —, daß eine solche Drohung ausgesprochen worden wäre. Sie wäre sicherlich nicht zulässig. Aber, wie gesagt, ich habe keinen Anhaltspunkt dafür. Ich verweise nur noch einmal darauf, daß wir die ganze Frage der Abwicklung des Notaufnahmeverfahrens im Augenblick eingehend daraufhin prüfen, wie wir die Betreuung, die Beratung, den Umgang mit dem betreffenden Personenkreis verbessern können.
Noch eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, weil die Über, prüfung und die Notaufnahme gleichzeitig ablaufen, darf ich da bitte anregen, daß, statt vielleicht zu eingehend vorzugehen, etwas mehr Zeit z. B. auf die ärztliche Untersuchung derer verwendet werden könnte, die lange in Haft gesessen haben, und vor allen Dingen auch auf die Beratungen, indem man die Beratung arbeitsamtlicher und ähnlicher Art nicht zu sehr auf die Länder abschiebt, sondern sie schon in Gießen intensiver vornimmt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Genau das ist das Ziel der Maßnahmen, die wir ergreifen wollen, Herr Kollege. Ich teile Ihre Meinung völlig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe Frage 38 des Abgeordneten Tillmann auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die sich häufenden Klagen von Sportlern und Trainern über steigende Bürokratisierung des Leistungssports, und ist die Bundesregierung bereit, selbst dazu beizutragen und auf die Sportverbände einzuwirken, daß unnötiger und leistungsbehindernder Verwaltungsballast von Trainern und Sportlern ferngehalten wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung sind einzelne Klagen über den Umfang des Verwaltungsaufwandes im Leistungssport bekannt. Sie ist in jedem Fall den Klagen nachgegangen, wenn sie ihr gegenüber geäußert wurden, um einer Bürokratisierung des Leistungssportes entgegenzuwirken.
Hierbei hat die Bundesregierung festgestellt, daß die Klagen sich überwiegend nicht an ihre Adresse richten. Das erklärt sich daraus, daß die Bundesregierung gegenüber einzelnen Sportlern nicht in Erscheinung tritt. Sie fördert vielmehr lediglich Maßnahmen der Sportverbände, die im Rahmen der Autonomie des Sports die organisatorische und verwaltungsmäßige Abwicklung selbständig durchführen. Die Bundesregierung beschränkt sich darauf, die Einhaltung der haushaltsrechtlichen Bestimmungen zu gewährleisten. Im übrigen stellt sie Mittel für hauptamtliche Führungs- und Verwaltungskräfte bei den Sportorganisationen in Höhe von jährlich ca. 2 Millionen DM zur Verfügung. Damit ist nach Auffassung der Bundesregierung eine hinreichende Entlastung der Trainer und Sportler von behindernden Verwaltungstätigkeiten sichergestellt.
Zusatzfrage? Bitte.
Herr Staatssekretär, hätte die Bundesregierung — selbstverständlich im Rahmen der Autonomie der Sportverbände — nicht doch die Möglichkeit, innerhalb ihrer Zuständigkeiten auf die Sportverbände einzuwirken, damit überflüssiger Verwaltungskram vermieden wird?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tillmann, das Ziel, das Sie mit Ihrer Frage formulieren, ist auch ein Ziel der Bundesregierung. Das ist völlig klar. Wir stehen im ständigen Kontakt mit den Sportverbänden. Wenn ich gesagt habe, daß wir den Klagen nachgegangen sind, dann verlieren wir das natürlich auch dann nicht aus dem Kopf, wenn wir festgestellt haben, daß die Klagen sich nicht an unsere Adresse richten; das ist dann selbstverständlich auch Gegenstand der Gespräche, die es immer wieder aus unterschiedlichen Anlässen gibt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie mir vielleicht sagen, Herr Staatssekretär, welcher Verwaltungsumfang zum Beispiel dadurch entsteht, daß die obliga-
Tillmann
torisdie, jährlich zweimal durchzuführende sportmedizinische Untersuchung jeweils gesondert beantragt werden muß?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann Ihnen diese Frage nicht aus dem Stegreif beantworten, bin aber gern bereit, festzustellen, ob wir sie beantworten können, und Ihnen dieses Ergebnis mitzuteilen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Tillmann auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß über das unbedingt erforderliche Maß hinausgehende Verplanung des Leistungssports und der Leistungssportler geeignet ist, die Erfolge der Leistungssportförderung in Frage zu stellen, und werden nicht Kreativität, Spontaneität und Flexibilität als unverzichtbare Grundlage sportlicher Erfolge durch überzogene Planung und Reglementierung abgewürgt?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die steigenden Leistungsanforderungen an die Sportler im internationalen Vergleich ohne eine sinnvolle Planung im Leistungssport nicht erfüllt werden können. So ist zum Beispiel ein modernes Leistungstraining unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse ohne Aufstellung von Trainingsplänen und entsprechende Leistungskontrolle nicht denkbar. Hierdurch wird der Leistungsport nicht behindert, sondern gefördert. Die Bundesregierung ist mit Ihnen der Auffassung, daß
Kreativität, Spontaneität und Flexibilität gleichwohl unverzichtbare Grundlage sportlicher Erfolge .sind und eine überzogene Planung und Reglementierung von Nachteil wäre.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, welche Planvorgaben werden denn einem Sportler beziehungsweise seinem Trainer gegeben, damit er förderungswürdig ist?
von Scheeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich müßte Ihnen das schriftlich beantworten. Ich kann Ihnen das für die einzelnen Bereiche des Sports jetzt hier nicht sagen. Dazu wäre es auch sicherlich notwendig, sich mit den dafür zuständigen Sportverbänden in Verbindung zu setzen. Ich will Ihnen das, soweit möglich, gern nach dieser Fragestunde mitteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie die folgende Frage beantworten: Nach welchen sachlichen Kriterien werden denn die Zukunftsperspektiven eines Spitzensportlers oder eines Trainers in den Planungen festgelegt, die hier notwendig sind? Wird zum Beispiel das Alter als ein wichtiges Kriterium angesehen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Tillmann, auch dafür müßte ich Sie zunächst einmal auf eine schriftliche Antwort verweisen, weil diese Frage Sehr verschiedene Bereiche betrifft.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schirmer.
Herr Staatssekretär, können Sie meine Auffassung bestätigen, daß das Festlegen von Planungen, die den Spitzensport direkt betreffen, und damit die Förderung dieser Spitzensportler
allein in der Zuständigkeit der Fachverbände und des Deutschen Sportbundes liegt und nicht Aufgabe der Bundesregierung ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: So ist es, Herr Kollege, und deswegen habe ich darauf hingewiesen, daß die Fragen des Kollegen Tillmann nur nach Kontakten mit den Sportverbänden zu beantworten wären; aber ich danke Ihnen . dafür, daß Sie, noch einmal etgänzend auf die Zuständigkeiten hingewiesen haben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 40 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wird die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nach § 39 des Ausländergesetzes nachkommen, im Benehmen mit den entsprechenden Landesregierungen die Sammellager für Asylanten zu bestimmen, und wenn ja, wann, oder ist sie der Meinung, daß das bisher einzige Sammellager in Zirndorf/Bayern zur Aufnahme von Asylanten heute noch ausreichend ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Sie gehen in Ihrer Antwort davon aus, Herr Kollege Niegel, daß das Sammellager für Ausländer in Zirndorf auch heute noch als ein Lager dient, in dem sich Asylbewerber, die einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gestellt haben, zumindest bis zu ihrer Verteilung auf die Bundesländer aufzuhalten haben. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Teil des Sammellagers, der nach einem Beschluß der Innenministerkonferenz vom Februar 1974 als Durchgangslager für die Verteilung der Asylbewerber auf die Bundesländer zur Verfügung stand, ist von den Behörden des Freistaates Bayern am 1. August 1977 geschlossen worden. Seither wird über die Verteilung der Asylbewerber auf die Bundesländer zwar weiterhin zentral beim Bundesamt für \\die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auf Grund der dort eingehenden Asylanträge entschieden. Eine Umverteilung der Asylbewerber findet jedoch unmittelbar zwischen den einzelnen Bundesländern ohne den Umweg über ein Sammellager statt. Wegen des hohen Anteils der über Berlin einreisenden Asylbewerber handelt es sich heute im wesentlichen um die Weiterleitung von Asylbewerbern aus Berlin an andere Bundesländer. Dieses Verteilungsverfahren läuft nach Überwindung einiger Anfangsschwierigkeiten nunmehr weitgehend reibungslos.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, das bezog sich auf den zweiten Teil meiner Frage. Ist die Bundesregierung nicht auf Grund des § 39 des Ausländergesetzes verpflichtet, im Benehmen mit den Landesregierungen Sammellager festzulegen? Ist sie ihrer Verpflichtung hier nachgekommen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Hem Kollege, Ihre Frage ist zu verneinen, weil wir in Abstimmung und in völligem Einvernehmen mit allen Bundesländern ein unbürokratisches Verfahren für die Verteilung von Asylbewerbern auf die einzelnen Bundesländer festgelegt haben, das ein Sammellager überflüssig macht, weil die Bewerber nicht mehr, wie das früher der Fall war, alle in Zirndorf ankommen und von dort verteilt werden, sondern weil die Verteilung jetzt nur noch an Hand der schriftlichen 'Anträge erfolgt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie stellen Sie sich die Unterbringung der Asylbewerber vor, die etwa sechs bis acht Jahre in Deutschland anwesend sind, bis letztlich über den Asylantrag entschieden worden ist? Sollen diese in Kurorten, in Gasthöfen oder sonstwo unterkommen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich halte die Frage für extrem unsachlich. Es wird den Belangen der Betroffenen wirklich nicht gerecht, wenn Sie, wenn ich das richtig verstanden habe, von Kurorten gesprochen haben.
Für die Unterbringung der Asylbewerber sind die Länder zuständig. Eine Unterbringung in einem Sammellager des Bundes für die gesamte Dauer des Artverfahrens kann nicht ernsthaft zur Debatte stehen. O
Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Friedmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. die Landesregierung Baden Württemberg versucht, die Asylanten, die sie im Aufnahmelager nicht unterbringen kann, in angemieteten Hotels unterzubringen?
von Schoeler, ParL Staatssekretär: Herr Kollege Friedmann, das kann durchaus so sein. Ich kann Ihnen das im Augenblick nicht bestätigen. Es ist Sadie der Länder, die Asylbewerber unterzubringen. Die Frage des Kollegen Niegel bezog sich auf ein Bundessammellager. Dazu gebe ich Ihnen die Antwort, daß die Errichtung eines zweiten Bundessammellagers nicht notwendig ist, weil das unbürokratische Verteilungsverfahren für die Asylbewerber, das wir mit den Ländern einvernehmlich abgestimmt
haben, ein solches Sammellager überflüssig macht. Ich meine, die Sachlage ist klar.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Aufnahme und die Unterbringung der Asylbewerber und der Anerkannten in die Zuständigkeit der Länder fallen und daß Sorgen und Bedenken, die in dem Zusammenhang entstehen, an die Adresse der Landesregierungen gerichtet werden müssen?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schäfer, Sie stellen den Sachverhalt völlig klar und richtig dar. Ich habe das dargestellt. Für die Unterbringung der Asylbewerber während des laufenden Asylverfahrens sind ausschließlich die Bundesländer zuständig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, interpretiere ich Sie richtig, daß demnach § 39 des Ausländergesetzes hinfällig ist?
von Schoeler, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, § 39 des Ausländergesetzes gibt eine Rechtsgrundlage für ein mögliches Handeln. Ob .das Handeln notwendig. ist, ergibt sich aus der Praxis, und hierzu haben wir mit den Ländern eine einvernehmliche Regelung gefunden. Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie sich auch bei den Ländern über den Sachstand informierten. Dann würden Sie feststellen, daß es hier inzwischen im Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern kein Problem gibt.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor.
Zum Abschluß dieses Geschäftsbereiches, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich mir die Bemerkung erlauben, daß die Feststellung über die Unsachlichkeit einer Frage allein dem Präsidenten zusteht.
Ich rufe den. Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Die Fragen 41 und 42 des Herrn Abgeordneten Lambinus sowie die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Böhme zur Verfügung.
Die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann, die Fragen 48 und 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Jahn und die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Langguth werden auf Wunsch der
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9473
Vizepräsident Stücklen
Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Dr. von Wartenberg auf:
Plant die Bundesregierung das Gesetz über die Deutsche Bundesbank zu ändern, mit dem Ziel, die Devisenreserven der Deutschen Bundesbank zur Finanzierung eines staatlichen Rohstoffvorratslagers zu verwenden?
Die Bundesregierung verfolgt keine konkreten Pläne, das Bundesbankgesetz mit dem Ziel zu ändern, die Devisenreserven der Deutschen Bundesbank zur Finanzierung eines staatlichen Rohstoffvorratslagers zu verwenden. Das heißt nicht, daß die Frage der zweckmäßigen Finanzierungsform für die Rohstoffvorratshaltung nicht ständig überprüft würde. Mit dieser Frage befaßt sich u. a. der Interministerielle Staatssekretärsausschuß für Rohstofffragen.
Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, welche finanzielle Hilfe gedenkt das Finanzministerium zu leisten, falls das Bundeswirtschaftsministerium die Bitte hat, ein staatliches Vorratslager zu finanzieren?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Frage ist bisher noch nicht an uns herangetragen worden, so daß ich sie nicht beantworten kann.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie kommentieren Sie Pressemitteilungen, denen zufolge die Devisenreserven für ein staatliches Rohstoffvorratslager herangezogen werden sollen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen mitgeteilt, daß von seiten der Bundesregierung keine konkreten Pläne verfolgt werden, entsprechend tätig zu werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Augstein auf. — Da der Fragesteller nicht im Saal ist, wird die Frage schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Niegel auf:
Trifft es zu, daß die von der EG genehmigte Beihilfe zur Verbilligung der Schulmilch der Mehrwertsteuerregelung unterworfen ist, und ist die Bundesregierung bereit, davon abzusehen, 6 v. H. Mehrwertsteuer auf die den Schülern zugute kommende Beihilfe zu erheben?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Gewährung von Beihilfen für Schulmilch ist -Sache der Bundesländer. Auf Grund der Verordnung Nr. 1080/77 vom 17. Mai 1977 haben einige Bundesländer Schulmilchprogramme aufgestellt. Danach werden den Molkereien zur Verbilligung der Schulmilch Beihilfen gewährt, die sich nach der Menge der gelieferten Schulmilch bemessen. Die Frage der umsatzsteuerlichen Behandlung der Beihilfen ist vor einiger Zeit bereits mit den obersten Finanzbehörden der Länder erörtert worden. Nach dem Ergebnis dieser Erörterung sind die Beihilfen als zusätzliche Entgelte für die Schulmilchlieferungen der Molkereien anzusehen und gehören nach § 10 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes zur Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer. Diese gesetzliche Regelung entspricht der 2. und der 6. Richtlinie der EG zur Harmonisierung der Umsatzsteuern. Die Bundesregierung sieht deshalb keine Möglichkeit, von der Umsatzbesteuerung der Schulmilchbeihilfe abzusehen.
Zusatzfrage bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für unlogisch, daß der Staat auf der einen Seite eine Beihilfe gewährt, damit die Kinder in den Genuß von verbilligter Schulmilch kommen können, und auf der anderen Seite von dieser Beihilfe wieder 6 °/o kassiert? Es mag juristisch einwandfrei sein; aber man sollte eine andere Regelung finden.
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie ich Ihnen darstellte, ist diese Besteuerung eine Folge des EG-Rechts, und zwar beruht sie auf den Richtlinien, die ich Ihnen genannt habe. Die Bundesrepublik ist verpflichtet, diesen Richtlinien zu folgen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre es dann, wenn die Bundesregierung nicht abweichen kann, ein Weg, in Verhandlungen mit der EG und mit den Ländern darum bemüht zu sein, daß die Beihilfe um 6 % oder 7 % erhöht wird, so daß sich der Bund und die Länder nicht praktisch an der Beihilfe selbst bereichern?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Eine Bereicherung, Herr Kollege, liegt natürlich nicht vor; die Besteuerung erfolgt nach Recht und Gesetz. Ich will aber die Frage gern aufnehmen und noch einmal prüfen lassen.
Keine weiteren Zusatzfrager.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Spöri auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob der Anspruch auf die von Dezember 1974 bis Juni 1975 gewährte Investitionszulage von 7,5 v. H. teilweise von Bestellern in Zusammenarbeit mit Niederlassungen der Daimler-Benz AG durch zeitliche Manipulation von Kaufverträgen unrechtmäßig erworben wurde, und inwieweit wurde gegebenenfalls dadurch nach Auffassung der Bundesregierung die konjunkturpolitische Zielsetzung der Investitionszulage unterlaufen?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Ich bitte, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri gemeinsam beantworten zu dürfen.
9474 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Ich rufe auch die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri auf:
Hat die Bundesregierung darüber hinaus Anhaltspunkte für über die Kfz-Brandie hinausreichende Mißbrauchsfälle, und weh ches Gewicht haben diese im Rahmen des bisher bekanntgewordenen Subventionsvolumens dieser Investitionszulage?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Die Investitionszulage zur Konjunkturbelebung nach § 4 b des Investitionszulagengesetzes wird nur für Wirtschaftsgüter gewährt, die der Steuerpflichtige nachweislich in der Zeit vom 1. Dezember 1974 bis zum 30. Juni 1975 bestellt oder mit deren Herstellung er in diesem Zeitraum begonnen hat. Die Gewährung der Investitionszulage obliegt den Landesfinanzbehörden. Die Bundesregierung hat deshalb keine Kenntnis darüber, in welchem Umfang durch Vor- bzw. Rückdatierung von Verträgen versucht worden ist, die Gewährung der Investitionszulage auch in Fällen zu erlangen, in denen der Zeitpunkt der Bestellung bzw. des Beginns der Herstellung von Wirtschaftsgütern tatsächlich nicht in dem angegebenen Begünstigungszeitraum lag. Der Bundesregierung sind lediglich Pressemitteilungen bekannt, daß solche Fälle vorgekommen sein sollen und daß diese Fälle zur Zeit Gegenstand von Untersuchungen durch die Steuerfahndung und die Staatsanwaltschaft sind. Welchen Umfang diese Fälle haben und ob ähnliche Fälle auch in anderen Wirtschaftszweigen vorgekommen sind, ist der Bundesregierung zur Zeit nicht bekannt. Das Problem von Mißbrauchsfällen ist ein allgemeines und kann nicht auf einzelne Branchen oder gar Firmen beschränkt werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung von den Länderfinanzverwaltungen bisher über die gegenwärtig laufenden Ermittlungsverfahren zu diesen Mißbrauchsfällen nicht informiert worden ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie ausgehen. Das ergibt sich auch aus meiner Antwort, die ich vorhin gegeben habe.
Vizepräsident Stücklen: Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung gegenüber den Länderfinanzverwaltungen — entsprechend Ihrer Antwort — darauf dringen, daß Recherchen über den Kfz-Sektor hinaus angestellt werden, ob es auch in anderen Branchen unserer Wirtschaft zu Mißbrauchsfällen gekommen ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie ich Ihnen ausführte, gehört die Gewährung der Investitionszulage zum Zuständigkeitsbereich der Landesfinanzbehörden. Die Gewährung einer Investitionszulage wird immer wieder Gelegenheit zu mißbräuchlichen Anträgen bieten. Dieses Problem ist ein allgemeines. Die Länderfinanzbehörden haben den Auftrag, nach Gesetz und Recht vorzugehen und
die Investitionszulage nicht zu gewähren, wenn die
Investition nicht in den Begünstigungszeitraum fällt.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß nach einer eventuellen späteren Information der Bundesregierung durch die Länderfinanzverwaltungen über Mißbrauchsfälle im Zusammenhang mit der konjunkturpolitischen Investitionszulage damit zu rechnen ist, daß die Bundesregierung überprüft, ob die Terminierung derartiger konjunkturpolitischer Investitionszulagen wirtschaftspolitisch sinnvoll ist?
Dr. Böhme, Parl. Staatssekretär: Wenn sich zusätzliche Fälle ergeben sollten und die Länder in diesem Sinne Berichte an die Bundesregierung erstatten, wird dies selbstverständlich geprüft.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Sauter auf:
Welches sind nach Auffassung der Bundesregierung die Gründe für die zunehmende Produktionsverlagerung der deutschen Wirtschaft in die USA, und wie beabsichtigt die Bundesregierung, dieser Entwicklung entgegenzutreten?
Es trifft zu, Herr Kollege Sauter, daß die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren zunehmend Investitionen im industriellen Produktionsbereich der USA vorgenommen hat. Die Gründe hierfür sind nach Auffassung -der Bundesregierung in erster Linie durch marktbezogene Motive bestimmt. So hat sich gezeigt, daß ein erheblicher Teil der Investitionen im Ausland von Unternehmern getätigt wurde, die den amerikanischen Markt bereits als Exporteure aktiv bearbeitet hatten und nun mit ihren Produkten die unmittelbare Nähe eines in seinen Dimensionen kontinentalen Marktes suchen. Dazu wurden sowohl neue Betriebe errichtet als auch bestehende Unternehmen erworben oder in Form von joint ventures weitergeführt. Eine Investition an Ort und Stelle erlaubt die gezieltere Anpassung an die Bedürfnisse und Besonderheiten eines Marktes. Damit werden auch Exportmöglichkeiten nach den USA aus Deutschland abgesichert.
Weitere Gründe für die erhöhte Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen in den USA dürften in der Aufwertung der Deutschen Mark gegenüber dem US-Dollar und in den günstigen Produktionskostenbedingungen des amerikanischen Marktes zu suchen sein.
Eine generelle Gewichtung der Motive läßt sich schon deshalb nicht vornehmen, weil die Bestimmungsgründe für die Investitionsentscheidungen von Fall zu Fall verschieden sind.
Die Bundesregierung steht der verstärkten Investitionstätigkeit der deutschen Wirtschaft in den
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9475
Parl. Staatssekretär Grüner
USA positiv gegenüber. Sie begrüßt und fördert Auslandsinvestitionen, da sie auch in unserem Interesse liegen. Sie tragen dem weltweiten Strukturwandel Rechnung, erhöhen die internationale Leistungs-und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und erbringen einen Beitrag zur" Erreichung einer ausgewogenen Zahlungsbilanz der Bundesrepublik Deutschland.
Diese positiven Aspekte einer liberalen Politik im Bereich der Auslandsinvestitionen wie auch die nicht gering zu veranschlagenden Vorteile einer zunehmenden internationalen Arbeitsteilung mit ihrer auf ungehinderten Fluß von Gütern, Dienstleistungen und Kapital gerichteten Grundhaltung schätzen wir sehr hoch ein. Gegenmaßnahmen wären für unsere Volkswirtschaft und damit für die Arbeitsplätze in Deutschland — gesamtwirtschaftlich betrachtet — daher schädlich.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß neben dem Lohnniveau in der Bundesrepublik Deutschland die Fülle von Gesetzen, Bestimmungen und Verordnungen die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt, mit eine Ursache dafür sind, daß wir so viele Betriebsverlagerungen in die USA haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Auffassung nicht, weise aber darauf hin, daß Investitionsentscheidungen immer aus einem Bündel von Motiven entstehen und nicht auszuschließen ist, daß in dem einen oder anderen Falle auch ein solches Motiv mit eine Rolle spielt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, daß das psychologische Klima in der Bundesrepublik Deutschland, also das ständige Infragestellen der Sozialen Marktwirtschaft und die Diffamierung der Sozialen Marktwirtschaft, beispielsweise jetzt wieder die Diskussion um Stamokap,
mit eine Ursache dafür ist, daß es Betriebsverlagerungen in die USA gibt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich teile diese Meinung nicht, da die Bundesregierung ja seit 1969, solange sie im Amt ist, eine klare marktwirtschaftliche Politik verfolgt, die in ihrer Konsequenz kaum Vergleiche im europäischen Ausland hat. Ich schließe aber nicht aus, daß die ständige Behauptung über drohende Sozialisierung und die parteipolitische Auseinandersetzung in dieser Frage den einen oder den anderen 'verunsichern mögen. Das hat aber nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun, die ja in ihren Ergebnissen und Zielsetzungen nachprüfbar ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Steger.
Herr Staatssekretär, ist es nicht' Ihr Eindruck, daß sich die Unternehmer als kühle Rechner mehr von den tatsächlichen wirtschaftlichen Fakten als von politisch hochstilisierten Stimmungen leiten lassen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist mein Eindruck, wobei ich hinzufüge, daß das Motiv, das man für eine Unternehmerentscheidung angibt, gelegentlich monokausal begründet und nicht die Fülle wirtschaftlicher Überlegungen des Investors sichtbar werden läßt. Aber man kann natürlich nie ausschließen — es gibt ja Beispiele dieser Art —, daß auch psychologische Faktoren eine Rolle spielen, von denen ich allerdings meine, daß sie keine Grundlage in der Politik der Bundesregierung haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Friedmann.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß es zum rechnerischen Kalkül eines Unternehmers auch gehört, Entwicklungen, die auf eine sozialistische Wirtschaftspolitik hinauslaufen, in die Überlegungen zu Investitionsentscheidungen einzubeziehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Hier stimme ich Ihnen zu. Nur kann sich diese Frage nicht auf die Bundesrepublik Deutschland beziehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 55 des Herrn Abgeordneten Sauter auf:
Wie hoch — in DM ausgedrückt — ist der Umfang der deutschen Investitionen in den USA in den Jahren 1949 bis 1970, 1974, 1975, 1976, 1977, und sind an diesen Investitionen in zunehmendem Maß auch mittelständische Betriebe beteiligt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die deutschen Direktinvestitionen in den USA im Sinne der §§ 55 und 56 der Außenwirtschaftsverordnung betrugen in den Jahren 1952 bis 1970 — frühere Angaben liegen uns nicht vor — 1 795 Millionen DM, 1974 874 Millionen DM, 1975 748 Millionen DM — jeweils gerundet —, 1976 1,138 Milliarden DM und 1977 1,338 Milliarden DM. Die zugrunde liegende Statistik enthält keine Aufgliederung nach der Größenstruktur der investierenden Unternehmen, jedoch kann an Hand der Firmennamen der Investoren generell gesagt werden, daß die mittelständischen Betriebe mit einem hohen Anteil an diesen Investitionen beteiligt sind.
Eine Zusatzfrage, bitte.
9476 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Herr Staatssekretär, worin sieht die Bundesregierung die Ursache für den in den letzten Jahren zu beobachtenden sprunghaften Anstieg der Investitionen in den USA?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Ursachen hier schon genannt und verweise noch einmal auf die für deutsche Investitionen günstiger gewordenen Wechselkurse, auch auf die Veränderung der Produktionskosten in der Relation zur Bundesrepublik Deutschland und auf die verstärkten Bemühungen, den Wettbewerb dadurch zu bestehen, daß man sich interessante Märkte durch Produktion im Lande erschließt und damit die heimische Basis stärkt. Ein sehr prominentes und allgemeines Beispiel für diese Strategie ist das Volkswagenwerk.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können sie mir ungefähre Angaben darüber machen, wie viele Dauerarbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland durch die wachsenden Investitionen in den USA in den letzten zwei Jahren verlorengegangen sind?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur generell sagen, daß alle unsere Erfahrungen, nicht allein im Blick auf die USA, zeigen, daß Auslandsinvestitionen bei uns vorhandene Arbeitsplätze sichern. Das ist eine allgemeine Erfahrung. Wenn Sie von Produktionsverlagerungen sprechen, dann sollte das nicht den irrtümlichen Eindruck erwecken, als ob Produktionen hier aufgegeben und nach den USA verlagert werden, sondern es kann sich — in der Regel jedenfalls — nur um den Vorgang handeln, daß Kapazitätserweiterungen und neue Investitionen im Ausland vorgenommen werden und daß ihre Rückwirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt generell als positiv angesehen werden können. Ich will nicht vereinfachen, aber doch noch einmal an das Beispiel Volkswagenwerk erinnern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Staatssekretär, entspringt gerade die letzte Frage des Herrn Kollegen Sauter nicht einer verengten Betrachtungsweise, die man einer Bewertung so allgemeiner Art nicht zugrunde legen darf?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will diese verengte Betrachtungsweise nicht dem Herrn Kollegen Sauter unterstellen, aber es ist richtig, daß die Diskussion in der Öffentlichkeit häufig unter solchen verengten Gesichtspunkten geführt und daß insbesondere die Standortgunst der Bundesrepublik Deutschland für Investitionen trotz unseres hohen Lohnniveaus und trotz des für Investitionen hier ungünstigen Wechselkurses zum Teil unterschätzt wird.
Ich will das an einer Zahl deutlich machen. Vom September 1961 bis zum Dezember 1977 haben die USA in der Bundesrepublik Deutschland 19,49 Milliarden DM investiert. Im gleichen Zeitraum betrugen die deutschen Investitionen in den USA 6,7 Milliarden DM. Damit wird deutlich, daß hier nicht etwa eine Einbahnstraße vorliegt, sondern daß gerade auch der amerikanische Investor nach wie vor die Standortgunst der Bundesrepublik Deutschland sieht.
Insofern bin ich für Ihre Zusatzfrage sehr dankbar, weil es eine große Gefahr ist, immer nur die eine Richtung zu sehen und nicht zu sehen, was umgekehrt an Auslandsinvestitionen auch bei uns get itigt wird und damit hier zusätzliche Arbeitsplätze schafft.
Weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. von Wartenberg.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß deutsche Auslandsinvestitionen bei richtiger Konzeption sowohl in den USA als auch in allen anderen Ländern geeignet wären, deutsche Arbeitsplätze hier zu sichern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin dieser Meinung.
Weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Friedmann.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir vor dem Hintergrund Ihre Ausführungen von eben darin zu, daß es auch eine verengte Betrachtungsweise wäre, multinationalen Unternehmen ihre Existenzberechtigung hier bei uns zu bestreiten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich würde auch mit Nachdruck verneinen, daß deren Existenzberechtigung bestritten werden kann und sollte, was nicht ausschließt, daß wir die besondere Marktmacht multinationaler Unternehmen kritisch im Auge behalten.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich komme zu den Fragen 56 und 57 des Abgeordneten Hauser . Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die beiden Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. von Wartenberg auf:
Ist gegebenenfalls der Plan der Bundesregierung, ein staatliches Rohstoffvorratslager einzurichten, im Zusammenhang zu
sehen mit der Kritik der Bundesregierung an der Apartheidpolitik der Republik Südafrika, und glaubt die Bundesregierung, mit der Konstruktion eines derartigen Zusammenhangs einen geeigneten Einstieg in eine bestimmte Form der Investitionslenkung zu finden?
Bitte.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9477
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Rohstoffpolitik ihre Haltung zur Rohstoffbevorratung dargelegt und in der Debatte im Parlament am 16. November 1978 ausführlich begründet.
Es ergibt sich daher zu Ihrer Frage, Herr Kollege, folgendes. Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer weiteren Überlegungen zur Rohstoffpolitik untersuchen, welche Rohstoffe eventuell einer besonderen Bevorratung bedürfen. Für die Auswahl solcher Rohstoffe sind neben ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung Ausfallkriterien wie z. B. die regionale Konzentration der Förderung oder das Transportrisiko von Bedeutung, die eine Fixierung des Augenmerks auf ein Land und seine Politik nicht rechtfertigen. Die Entwicklung in der Republik Südafrika wird selbstverständlich in diese Betrachtungen mit einbezogen.
Eventuelle Bevorratungsmaßnahmen sollen jedoch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Erfordernisse nur auf tatsächliche Verknappungsrisiken abheben.
Die Bundesregierung hat stets klargestellt, daß eine staatliche Bevorratungspolitik allenfalls flankierenden Charakter haben und eigenverantwortliche Entscheidungen der Unternehmen nicht beeinträchtigen soll. Einen Zusammenhang mit dem Thema Investitionslenkung sehe ich nicht. Ich würde ihn schon deshalb nicht vermuten, weil die CDU/CSU-Bundestagsfraktion mehrfach starkes Interesse an einer Verbesserung der Bevorratung bekundet und dabei im Gegensatz zur Bundesregierung Maßnahmen mit sehr starkem Interventionscharakter nicht nicht ausgeschlossen hat.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Mit welchen staatlichen Mitteln wurde bzw. wird die Förderung von Erdöl und Erdgas aus einheimischen Quellen unterstützt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung fördert seit 1973 durch Gewährung von Zuwendungen zur Verbesserung der Versorgung der Bundesrepublik Deutschland mit mineralischen Rohstoffen und Erdgas das Abteufen von übertiefen Bohrungen innerhalb der Bundesrepublik. Ziel dieses Erdgastiefbohrprogramms ist es, zu prüfen, ob in tiefen, bisher noch nicht untersuchten Schichten Norddeutschlands und des Alpenvorlandes Erdgas enthalten ist.
Es wurden bisher die Bohrungen Miesbach und Vorderriß in Bayern sowie Velpke-Asse in Norddeutschland mit Gesamtzuschüssen von 30,3 Millionen DM gefördert. Die Bohrungen Miesbach und Velpke-Asse waren negativ; die Bohrung Vorderriß ist mit 6 468 m die tiefste Bohrung Deutschlands und wird noch getestet.
Darüber hinaus wurden zur Auswahl neuer Bohransatzpunkte bisher 6,5 Millionen DM Zuschüsse für geophysikalische Vorerkundungen in Nord- und Süddeutschland vergeben.
Insgesamt wurden bis einschließlich 1978 36,8 Millionen DM Bundeszuschüsse vergeben. Für 1979 sind nur geringe Mittel für die Vorerkundung weiterer Bohransatzpunkte vorgesehen.
Die Förderung von Erdöl aus einheimischen Quellen wird mit staatlichen Mitteln nicht unterstützt.
Eine Zusatzfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Förderung von Erdöl und Erdgas aus einheimischen Quellen eigentlich in früheren Jahren gefördert worden, und, wenn ja, mit welchen Beträgen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich würde diese Frage gern schriftlich beantworten, da ich darauf nicht vorbereitet bin.
Weitere Zusatzfragen? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, könnten Sie in dieser schriftlichen Beantwortung auch darlegen, inwieweit der Bericht in Nr. 44 der „Wirtschaftswoche" über die frühere Förderung zutreffend ist?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Gern.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Ahrens auf:
Wie weit sind die Bemühungen um eine stärkere Belastung der „windfall-profits" aus der Förderung von Erdöl und Erdgas aus deutschen Quellen inzwischen gediehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat im Rahmen der Zweiten Fortschreibung des Energieprogramms ihre Absicht bekundet, gemeinsam mit den betroffenen Bundesländern nach einer Lösung für eine höhere Belastung der inländischen Erdöl- und Erdgasförderung zu suchen.
Gegenwärtig wird die Produktion von inländischem Erdöl und Erdgas durch Förderzinsen belastet. Es liegt daher nahe, eine stärkere Belastung der Inlandsförderung über eine weitere Anhebung der. Länder-Förderzinsen anzustreben. Die Länder haben unter der Verhandlungsführung Niedersachsens Ende 1977 mit den Fördergesellschaften Verhandlungen über eine weitere Erhöhung der Förderzinsen aufgenommen. Diese Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Die Förderindustrie hat insbesondere geltend gemacht, daß die Wettbewerbsvorteile durch die Verbilligung der Rohölimporte tendenziell zurückgegangen seien. Außerdem haben die Verhandlungspartner ein Gutachten über einen internationalen Vergleich der Belastung der Förderung durch fiskalische Abgaben erstellen lassen, das seit kurzem vorliegt. Die Bundesregierung erwartet, daß Niedersachsen nach Auswertung des Gutachtens die Verhandlungen mit den Unternehmen fortsetzt.
Eine Zusatzfrage. Bitte.
9478 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Trifft es zu, Herr Staatssekretär, daß die Förderung von Erdöl und Erdgas aus deutschen Quellen spürbar geringeren öffentlichen Abgaben unterliegt als die Förderung im Ausland?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann das hier nicht beantworten und deshalb so nicht bestätigen. Ich würde gern auf diese Frage zurückkommen, besonders wenn das von mir erwähnte Gutachten, das von den Verhandlungspartnern vorgelegt worden ist, ausgewertet ist.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte.
Wird die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, darauf Bedacht nehmen, daß nur eine solche Regelung einer stärkeren Belastung der „windfall-profits" gewählt wird, die wirklich die fördernden Unternehmen belastet und bei diesen verbleibt und die nicht auf Verbraucher abgewälzt werden kann?
Grüner,. Parl. Staatssekretär: Das wird jedenfalls das Ziel der Verhandlungen der Länder, die mit dieser Förderzins-Frage beschäftigt sind, sein, soweit ich die Verhandlungen bisher beurteilen kann.
Zu einer weiteren Zusatzfrage der Abgeordnete Dr. Freiherr Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Absicht oder besteht die Möglichkeit, das von Ihnen soeben erwähnte Gutachten interessierten Mitgliedern dieses Hauses zur Einsicht zur Verfügung zu stellen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich bin ganz sicher, daß die Auftraggeber dieses Gutachtens daran ein großes Interesse haben werden, und stelle anheim, sich mit diesen in Verbindung zu setzen. Auch wir von uns aus werden Ihnen das mit Genehmigung der Auftraggeber selbstverständlich gern zur Verfügung stellen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Steger.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung bei der Erstellung des von Ihnen angesprochenen Gutachtens über die Belastung von „windfall-profits" auch darauf geachtet bzw. Einfluß genommen, daß ein entsprechend neutraler Gutachter genommen wurde?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich habe erwähnt, daß das Gutachten nicht von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden ist, sondern von den Verhandlungspartnern zur Neuregelung der Förderzinsen. Wir werden zusammen mit den Ländern
selbstverständlich eine objektive Überprüfung dieser Unterlagen vornehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 61 ist von dem Herrn Abgeordneten Wolfram eingebracht.- Er ist nicht im Saal. Dann wird die Frage 61 ebenso wie die Frage 62, die ebenfalls von dem Herrn Abgeordneten Wolfram (Recklinghausen) eingebracht wurde, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf :
Wie weit sind die Bemühungen der Bundesregierung gediehen, mittelständischen Betrieben Bürgschaftshilfen zu gewähren, damit diese Bietungs- und Leistungsgarantien bei Exportgeschäften abgeben können, ohne daß dadurch der für das laufende Geschäft dringend benötigte Kreditrahmen eingeengt wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Mitte Juli 1978 hat im Bundesministerium für Wirtschaft ein erstes Gespräch mit den Bundesländern auf Arbeitsebene stattgefunden, dessen Ziel es war, für die wesentlichen Merkmale eines bundeseinheitlichen Rückbürgschaftssystem einen gemeinsamen Nenner zu finden. Bei diesem Gespräch zeigte sich, daß keine der zwischen den Ressorts des Bundes diskutierten Lösungsmöglichkeiten den Vorstellungen der Länder uneingeschränkt entspricht. Das Bundesministerium für Wirtschaft prüft zur Zeit, inwieweit den Wünschen der Bundesländer Rechnung getragen werden kann. Nach Klärung der noch offenen — zum Teil auch rechtlichen — Fragen wird sich das Bundesministerium für Wirtschaft voraussichtlich noch in diesem Jahr erneut an die zuständigen Ministerien der Bundesländer wenden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung die Notwendigkeit eines solchen Bürgschaftsinstrumentariums anerkennt und deshalb auch durchsetzen wird?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ja, Herr Kollege. Wir haben die Notwendigkeit dieses Instruments immer betont, gleichzeitig aber auf die Notwendigkeit der Einigung mit den Ländern hingewiesen und selbstverständlich auch immer darauf hingewiesen, daß der Umfang der Bürgschaftsbelastungen, die der Bund zu tragen hat, mit in die Überlegungen einbezogen werden muß. Unser grundsätzliches Ja ist auch davon abhängig, daß wir zum einen die Zustimmung des Bundesfinanzministers bekommen und daß zum anderen auch der zuständige Haushaltsausschuß eine solche Übereinkunft billigt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden Sie in Ihre Prüfungen auch die Tatsache einbeziehen, daß die Ihnen von den Ländern erteilten Auskünfte teilweise zu optimistisch und deshalb nicht zutreffend sind?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9479
Grüner, Parl. Staatssekretär: Wir werden alle Stellungnahmen verwerten und in einem gemeinsamen Gespräch mit den Ländern versuchen, unterschiedliche Schlußfolgerungen und unterschiedliche Angaben gemeinsam zu korrigieren bzw. auf ihre Berechtigung zu überprüfen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 66 und 67 sollen auf Wunsch der Fragestellerin, der Frau Abgeordneten Schlei, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.
Die Frage 68 ist von dem Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup eingebracht:
Ist die Bundesregierung generell der Ansicht, daß alle Arten der in letzter Zeit in die Öffentlichkeit getragenen Tierversuche noch durch die Bestimmungen des Tierschutzgesetzes gedeckt sind, oder könnte auch sie zu der Überzeugung gelangen, daß z. B. Tierversudie für die kosmetische Industrie nicht mehr „sonst wissenschaftlichen", sondern eher rein kommerziellen Zwecken dienen oder daß z. B. Vivisektionen im Rahmen der Verhaltensforschung „nicht durch andere zumutbare Methoden oder Verfahren" ersetzt werden können, und welche Konsequenzen wird sie daraus zielen?
Gallus, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister. für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, die Bundesregierung geht davon aus, daß die von den zuständigen Landesbehörden erteilten Genehmigungen für Versuchsvorhaben mit den sehr detaillierten und restriktiv ausgerichteten Bestimmungen des Tierschutzgesetzes in Einklang stehen. Solche Genehmigungen dürfen nur erteilt werden, wenn dargelegt wird, daß die angestrebten Versuchsergebnisse nicht durch andere zumutbare Methoden oder Verfahren als den Tierversuch zu erreichen sind und die Versuche a) zur Vorbeuge, zum Erkennen oder Heilen von Krankheiten bei Mensch oder Tier erforderlich sind oder b) sonst wissenschaftlichen Zwecken dienen.
Kosmetische Mittel dürfen nach § 24 des Gesetzes zur Gesamtreform des Lebensmittelrechtes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie die menschliche Gesundheit nicht schädigen. Dies erfordert ihre Prüfung auf gesundheitliche Unbedenklichkeit, die in der Regel über den Tierversuch erfolgt. Die Zulässigkeit des Tierversuchs ist nach den vorgenannten Kriterien zu beurteilen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die
Bundesregierung die Änderung des Tierschutzgesetzes gegenwärtig nicht für erforderlich hält?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Das können Sie. Vizepräsident Stücklen: Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Würden Sie dann das. Ergebnis einer Fachtagung der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft in München teilen, in dem gesagt worden ist, daß im Bereich der Pharmaindustrie seit der Reform des Arzneimittelrechts das Bundesgesundheitsamt vor der klinischen
Prüfung eines neuen Medikaments für die einzelnen Testserien heute Tierzahlen verlange, die durch nichts zu rechtfertigen seien?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gern bereit, diese Sache prüfen zu lassen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich möchte nur nachholen, daß die Antworten für die Bundesregierung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus gibt. Ich habe es eingangs unterlassen, dies zu erwähnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe Frage 69 des Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung, vor allem industrielle Tierversuche nur noch in staatlichen Instituten durchführen zu lassen, um hierdurch einerseits jeden Mißbrauch und jede Zweckentfremdung zu vermeiden und andererseits Doppeloder Vielfachversuche konkurrierender Unternehmen auszuschließen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung sieht in der Forderung, vor allem industrielle Tierversuche nur noch an staatlichen Instituten vorzunehmen, keinen gangbaren Weg, um den Ge- und Verboten des Tierschutzgesetzes für Tierversuche mehr Wirksamkeit zu verschaffen. Der Bundesregierung sind darüber hinaus keine Tatsachen bekannt, aus denen sich ergibt, daß in nichtstaatlichen Versuchseinrichtungen das Schutzanliegen der Tiere weniger sorgfältig beachtet wird und daß dort die Gefahr des Mißbrauchs sowie der Zweckentfremdung größer ist als in staatlichen Einrichtungen.
Die Bundesregierung ist auch nicht der Auffassung, daß die Organisationsform der Versuchseinrichtungen maßgebend für die Wahrung des Schutzanliegens des Tieres ist. In diesem Sinne hat sich kürzlich auch das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluß geäußert. In diesem wurde nicht nur Biologen an staatlichen wissenschaftlichen Einrichtungen, sondern auch Biologen an nichtstaatlichen wissenschaftlichen Einrichtungen die Befugnis eingeräumt, operative Eingriffe an Versuchstieren vorzunehmen.
Im übrigen stehen der Forderung, Versuche an Tieren auf staatliche Institute zu beschränken, auch unüberwindbare praktische Probleme entgegen, da sich eine Trennung von Forschungsansatz und Tierversuch in der Regel nicht durchführen läßt. Neben den erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Problemen wäre eine solche Maßnahme auch mit einem kaum überschaubaren Verwaltungsaufwand verbunden. Die erforderlichen staatlichen Einrichtungen mit dem notwendigen hockqualifizierten Personal müßten erst noch geschaffen werden.
Folgte man der in der Frage enthaltenen Forderung, wäre damit die Gefahr der Verlagerung eines wesentlichen Forschungssektors aus der privaten Verantwortung in den staatlichen Bereich verbunden. Diese staatlichen Einrichtungen erhielten auf diese Weise eine Monopolstellung. Der Schritt zu einer staatlichen Forschungslenkung wäre dann nicht mehr groß.
9480 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, ich gehe bei der Antwort davon aus, daß Sie all die Versuche an Tieren gerade auch in der Privatindustrie immerhin durch Kontrollen überwachen können, so daß keine Parallelversuche vorgenommen und keine Ergebnisse doppelt erzielt werden, wodurch das Tierschutzgesetz eventuell unterlaufen werden könnte.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Sie können davon ausgehen, daß von den zuständigen Stellen die Tierversuche entsprechend überwacht werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 70 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß man beim Kauf von Mischfutter mehr Informationen vom Hersteller verbindlich verlangen sollte, als derzeit die geltenden futtermittelrechtlichen Vorschriften bei „Normtyp"-Mischfuttern vorsehen, und daß man deshalb in der Änderungsverordnung bei Mischfutter, die vom „Normtyp" abweichen, die offene Gemengteildeklaration zwingend vorschreiben und zusätzlich auch die vier wichtigsten „Inhaltsstoffe" mit „Energiezahl" angeben sollte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich bitte, beide Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 71 des Abgeordneten Oostergetelo auf:
Teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß man bei Mischfutter, die den Normtypen entsprechen und als „Normtyp" gekennzeichnet sind, neben der Angabe aller Inhaltsstoffe einschließlich der Energiezahl — somit eine geschlossene Deklarationsform — zumindest vorsehen sollte, aus Gründen besserer Markttransparenz und Preisbeurteilung sowie aus marktpolitischen Gründen der Anteil an Magermilchpulver bzw. an Getreide im Mischfutter verbindlich anzugeben ist, um dadurch die Kontinuität in der Zusammensetzung des Mischfutters zu gewährleisten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung ist auf Grund der praktischen Erfahrungen der Auffassung, daß bei der Kennzeichnung von Mischfuttermitteln, insbesondere von Normtyp-Mischfuttermitteln für Nutztiere, mehr Angaben obligatorisch vorgeschrieben werden sollten, um dem Informationsbedürfnis der Tierhalter Rechnung zu tragen. Eine entsprechende Verordnung zur Änderung der Futtermittelverordnung ist, wie Ihnen bekannt ist, in Vorbereitung. Der Verordnungsentwurf sieht vor, daß künftig bei allen Mischfuttermitteln für Nutztiere die Gehalte an Rohprotein, Rohfett, Rohfaser und Rohasche anzugeben sind. Darüber hinaus müssen nach dem Verordnungsentwurf künftig bei fast allen Mischfuttermitteln für Schweine und Geflügel die Gehalte an Stärke und Zucker sowie bei Mischfuttermitteln für Rinder, Schafe und Ziegen — außer Jungtieren — die Gehalte an Calcium, Natrium und Phosphor angegeben werden. Die Energiezahl ist als fakultative Angabe vorgesehen. In diesem Falle kann unter bestimmten Voraussetzungen die Angabe der Zucker- und Stärkegehalte entfallen.
Bei den meisten Mischfuttermitteln, die nicht als Normtyp in den Verkehr gebracht werden, sind bereits nach den geltenden Vorschriften weitere Inhaltsstoffe anzugeben, z. B. die Gehalte. an Lysin, Calcium, Natrium und Phosphor bei Mischfuttermitteln für Mastschweine sowie Methionin, Calcium, Natrium und Phosphor bei Mischfuttermitteln für Hühnerküken und Legehennen.
Die Frage, ob und gegebenenfalls in weichem Umfang Angaben über Gemengteile von Mischfuttermitteln zwingend vorgeschrieben werden sollen, läßt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend beantworten, weil die Beratungen hierüber mit den Bundesländern und beim Rat der Europäischen Gemeinschaften noch nicht abgeschlossen sind.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Futtermittelindustrie und die Mischfutterhersteller in der Lage sind, für die angegebenen Inhaltsstoffe jeweils für jede einzelne Mischfutterpartie chemische Analysen zu erstellen, oder kann man nicht besser annehmen, daß es sich hier im wesentlichen um theoretische Werte handelt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Mischfutterhersteller muß in jedem Einzelfall dafür garantieren, daß die deklarierten Inhaltsstoffe bzw. daß die beim Normtyp-Mischfuttermittel vorgeschriebenen Mindest- und Höchstwerte eingehalten werden. Auf welche Weise dies sichergestellt wird, liegt in der Verantwortung des jeweiligen Unternehmens.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist bei der eventuell vorgesehenen freiwilligen Futtermittelselbstkontrolle nicht zu befürchten, daß für die Landwirte weder mehr Informationen noch die technischen Möglichkeiten vorhanden sind, mehr als bisher zu gewährleisten, daß die angegebenen Werte tatsächlich im Futtermittel enthalten sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Futtermittelselbstkontrolle soll nach den Vereinbarungen der Verbände zum 1. Januar 1979 in Kraft treten. Ich bin der Meinung, daß wir die praktischen Ergebnisse abwarten sollten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat nicht die Angabe der verwendeten Gemengteile im Mischfutter sehr wohl auch dann eine Aussagekraft, wenn man bedenkt, daß die Qualität des einzelnen Futtermittels dabei schwanken kann?
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9481
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Auffassungen dazu sind sehr unterschiedlich. Auf der einen Seite wird festgestellt, daß durch die Angabe der Inhaltsstoffe der Wert der Futtermittel ausreichend und vollständig gekennzeichnet und daher eine obligatorische Gemengteildeklaration nicht erforderlich sei. Andere Fachleute sehen in der Angabe der Gemengteile zusätzlich zu den Inhaltsstoffen eine wichtige zusätzliche Informationsmöglichkeit. Ich verweise hier beispielhaft auf ein Interview des Leiters der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Grünlandwirtschaft und Tierhaltung vom Spitalhof im Allgäu, das im „Allgäuer Bauernblatt" abgedruckt ist, und auf ein Schreiben der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt Bonn, in dem es u. a. heißt:
Der Mischfutterkäufer erhält durch die vollständige Angabe der Zusammensetzung oder wenigstens durch die Nennung einiger besonders wichtiger Komponenten eine warenkundliche Information über Futterwert und Preiswürdigkeit, die auch durch eine erhebliche Erweiterung der obligaten Inhaltsstoffangabe nicht zu ersetzen ist.
Im übrigen darf ich auf die DLG-Formel zur Berechnung der Energiezahl für Milchviehfutter verweisen. Das Ergebnis nach dieser Formel muß an Hand der im Mischfutter verwendeten Gemengteile überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden.
Letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es bereits eine Meinungsbildung innerhalb des Bundes und der Bundesländer, und teilen Sie meine Meinung, daß die Angabe z. B. des Getreideanteils oder des Magermilchpulveranteils aus Gründen der Kontinuität der Zusammensetzung oder aus Gründen der Schmackhaftigkeit und besonders im Interesse der Verwendung hiesiger Rohstoffe politisch und wirtschaftlich zumindest wünschenswert ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Meinungsbildung bei der Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen. Wir kennen auch noch nicht ganz die Haltung der Länder. Wir werden das in den nächsten Wochen abschließen können. Bis jetzt ist es so, daß lediglich Bayern eine offene Deklaration bei Milchviehfutter verlangt hat. Darüber hinaus sind Untersuchungen im Gange, die feststellen sollen, inwieweit die Futterverwertung bei Mastschweinen vom Getreideanteil im Mischfutter abhängig ist. Dies alles muß wissenschaftlich überprüft werden. Nach dem derzeitigen Stand des Entwurfs einer EG-Mischfuttermittelverordnung ist die alleinige Deklaration von Getreide nicht zulässig.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder.
Herr Staatssekretär, da mir bekanntgeworden ist, daß Sie in der letzten Woche in der Stadthalle zu Böblingen unter dem Beifall von über 1 000 Bauern angekündigt haben, daß Sie sich sehr stark machen werden nicht nur für die Deklaration der Inhaltsstoffe und eine Energiezahl, sondern darüber hinaus für die offene Gemengteildeklaration, darf ich die Frage an Sie richten: Steht Ihre Aussage nicht in einem gewissen Widerspruch zu der Aussage, die Sie hier eben gemacht haben, oder hatten Sie bisher noch nicht die Zeit, Ihre eigenen Vorstellungen an Ihre Beamten weiterzugeben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das, was ich in Böblingen gesagt habe, ist meine private Meinung. Hier spreche ich im Auftrag der Bundesregierung.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Meyer zu Bentrup.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir darin zu, daß im Sinne eines optimalen Verbraucherschutzes die Landwirte einen Anspruch auf die offene Deklaration im Futtermittelrecht haben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich persönlich kann Ihnen zustimmen, aber — ich muß es noch einmal sagen — die Meinungsbildung in der Bundesregierung ist noch nicht abgeschlossen. Ich persönlich bin dieser Auffassung nicht "erst seit heute, sondern bin schon damals, bei der Schaffung des Gesetzes vor drei Jahren, dieser Auffassung gewesen.
Es war ganz eindeutig: Hier spricht der Herr Parlamentarische Staatssekretär für die Bundesregierung.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 72 des Herrn Abgeordneten Schartz auf:
Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, nach denen in den Niederlanden für die Errichtung landwirtschaftlicher Betriebsgebäude bis zu 50 v. H. Zuschüsse gewährt werden, und ist ihr gegebenenfalls bekannt, in welcher Form diese Hilfen gewährt werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, ich möchte die beiden Fragen des Kollegen Schartz gemeinsam beantworten.
Herr Kollege Schartz, sind Sie damit einverstanden?
— Dann rufe ich zugleich Frage 73 des Herrn Abgeordneten Schartz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung im Falle der Bejahung der Frage 72 eine solche Förderung unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsgleichheit der europäischen Landwirtschaft, und was gedenkt sie zu tun, um eine echte Wettbewerbsgleichheit zwischen der deutschen und der niederländischen oder der Landwirtschaft in anderen europäischen Mitgliedstaaten herzustellen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen wird die Errichtung landwirtschaftlicher Be-
9482 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Parl. Staatssekretär Gallus
triebsgebäude in den Niederlanden im Rahmen der Richtlinie 72/159/EWG gefördert. Zinsverbilligungen zur Betriebsentwicklung werden jedoch nur für Darlehen bis zu einem Höchstbetrag von 240 000 Gulden gewährt. Früher lag dieser Höchstbetrag noch bei 300 000 Gulden.
Seit dem .Inkrafttreten des Investitionsberechnungsgesetzes, des sogenannten WIR-Gesetzes, vom 24. Mai 1978 wird der Höchstbetrag für die Zinsverbilligung nach der Richtlinie 72/159/EWG um 25 % gekürzt. Für die verbleibenden 180 000 Gulden beträgt die Zinsverbilligung bei den ersten 75 000 Gulden 5 %, für den Restbetrag 2 %. Die Mindestzinsbelastung beträgt jedoch in jedem Fall 3 %. Für den Bereich Eier und Geflügel kann die einzelbetriebliche Förderung entsprechend der Richtlinie 72/159/ EWG nicht in Anspruch genommen werden. Für den Bereich Schweinefleisch gelten ebenfalls die einschränkenden Bedingungen der vorgenannten Richtlinie.
Darüber hinaus besteht für die gesamte niederländische Wirtschaft die Möglichkeit, die Investitionsförderung nach dem vorgenannten Investitionsberechnungsgesetz, dem WIR-Gesetz, in Anspruch zu nehmen. Dieses Gesetz sieht neben einer Grundprämie von 23 % für Neubauten bzw. 15 % für bestehende Gebäude Zuschläge für kleinere Investitionen, für Betriebsverlagerungen, für Investitionen in benachteiligten Gebieten und für Großinvestitionen vor. Zu den Einzelheiten des Sachverhalts und der Stellungnahme der Bundesregierung darf ich auf die Beantwortung der Fragen 43 in der 111. Sitzung und 61, 62 sowie 64 in der 113. Sitzung des Deutschen Bundestages hinweisen.
Die Bundesregierung hat diese niederländische Regelung im Rahmen der Sitzung der EG-Agrarminister vom 20./21. November 1978 unter Hinweis auf ihre besonders negativen Auswirkungen auf die Märkte für Eièr und Geflügel angesprochen und die Kommission aufgefordert, die niederländischen Maßnahmen dringend auf ihre Vereinbarkeit mit den Wettbewerbsbestimmungen des EG-Vertrages zu untersuchen.
Die Kommission der EG hat eine umgehende und intensive Überprüfung zugesagt. Unabhängig hiervon haben auf verschiedenen Ebenen bilaterale Gespräche und Verhandlungen stattgefunden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß es sich hier um eine zusätzliche nationale Förderung neben den Förderungsmöglichkeiten im Rahmen der EG handelt, die sich nur auf den Bereich „Eier und Geflügel" bezieht, oder umfaßt die Förderung doch alle landwirtschaftlichen Produktionsbereiche?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Sie haben mich wohl falsch verstanden. Es ist so, daß diese allgemeine EG-Förderung — und das habe ich erklärt — um 25 % gekürzt worden ist. Das ist dieselbe Förderung, die wir auch hier in der Bundesrepublik gewähren. Darüber hinaus gibt es nach dem WIR-Gesetz eine allgemeine Förderung, die allen Wirtschaftsbereichen — auch der ganzen Landwirtschaft — zusteht. Das ist ja der schwierige Punkt, von dem wir glauben, daß er wettbewerbsverzerrend ist. Aber er ist — das muß ich hier noch einmal betonen, wie schon in den vorhergehenden Anfragen — von der Kommission damals bei der Einführung genehmigt worden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie durch diese zusätzliche und ja sehr hohe Förderung der niederländischen Landwirtschaft nicht die Gefahr, daß sich eine Verlagerung der landwirtschaftlichen Produktion nach den Niederlanden hin bemerkbar machen wird? Sehen Sie nicht auch die Gefahr, daß hier mit Mitteln der EG, die ja zu einem wesentlichen Teil aus deutschen Finanzmitteln bestehen, diese Überschüsse beseitigt werden müssen? Halten Sie es nicht für richtig, daß die Bundesregierung darauf hinweist, daß damit jegliche Basis einer gemeinsamen Agrarstrukturpolitik verlorengehen wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich teile Ihre Befürchtungen. Die Gefahr einer Verlagerung bei Weiterbestehen dieser einseitigen Förderung in den nächsten Jahren, die hier anscheinend in Betracht gezogen wird, würde bedeuten, daß erhebliche zusätzliche Kapazitäten im Veredelungsbereich der Agrarwirtschaft in Holland aufgebaut werden, die andererseits die Märkte in der Bundesrepublik erheblich belasten müssen. Die Bundesregierung sieht das Ganze als eine Wettbewerbsverzerrung an und hat dementsprechend auch bei der Kommission interveniert.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, angesichts der Tatsache, daß die von Ihnen genannten niederländischen Förderungsprogramme und Zahlen gedanklich schwer nachzuvollziehen sind, frage ich, ob die Bundesregierung bestätigt, daß diese Förderungen zusammengenommen jedenfalls im Bereich der Geflügelwirtschaft in den Niederlanden einen Förderungsbetrag von 47,5 °/o im Einzelfall erreichen können.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann die Höhe, die Sie angeben, hier jetzt nicht bestätigen. Tatsache ist, daß die Förderungspositionen sich aus verschiedenen Bereichen zusammensetzen. Unter besonders günstigen Umständen könnte das wohl sein. Ich müßte das prüfen lassen, ob die Zahl sich so hoch hinauf bewegt.
Zweite Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren vorangegan-
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9483
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim
genen Ausführungen schließen, daß die Bundesregierung sich darüber klar ist, daß nach dem Eiermarkt, wo diese Wirkungen jetzt deutlich werden, die gleichen Entwicklungen auch z. B. auf dem Schweinemarkt, auf dem Hähnchenmarkt und in anderen Bereichen landwirtschaftlicher Veredelungen einsetzen werden, wenn die Bundesregierung sich nicht energisch auf europäischer Ebene gegen diese Entwicklung stellt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, weil das für die Bundesregierung sonnenklar ist, hat sie bereits gehandelt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schröder.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, oder kann sie zumindest klären, ob es zutrifft, was häufig behauptet wird: daß unter die von Ihnen genannten Förderungsmaßnahmen der niederländischen Regierung auch Investitionsförderungen für die niederländischen Landwirte fallen, die einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Bundesrepublik gekauft oder gepachtet haben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich aus dem Stegreif nicht bestätigen. Ich bin aber gerne bereit, das prüfen zu lassen und das Ergebnis Ihnen schriftlich mitzuteilen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Die Fragen 76 — des Abgeordneten Pfeffermann — und 82 — des Abgeordneten Dr. Langguth — werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 74 — des Herrn Abgeordneten Hölscher — auf:
Wie viele Studenten der Humanmedizin wurden in der Zeit vom 30. Juni 1978 bis 31. Oktober 1978 zur zivildienstlichen Verwendung vorgesehen, und wie viele wurden im gleichen Zeitraum nur für ein Semester vom Zivildienst zurückgestellt, bzw. in wieviel Fallen wurde die Einberufung auf einen Zeitpunkt nach Beginn des Studiums verlegt, um dem Zivildienstpflichtigen die Möglichkeit zu geben, seinen Studienplatz zu sichern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Hölscher, in der Zeit vom 30. Juni 1978 bis zum 31. Oktober 1978 sind nach Mitteilung des Bundesamtes für den Zivildienst insgesamt 16 zivildienstpflichtige Studenten der Humanmedizin für eine zivildienstfachliche Verwendung vorgesehen worden.
Die Zahl der Medizinstudenten, die während des gleichen Zeitraums für die Dauer eines Semesters zurückgestellt wurden, um anschließend zur Ableistung des Zivildienstes einberufen zu werden, ist nicht bekannt. Es besteht auch keine Möglichkeit, diese Zahl festzustellen, da im Zurückstellungsverfahren Studenten der Humanmedizin statistisch nicht gesondert erfaßt werden. In der Regel werden Medizinstudenten nicht während des ersten Semesters, also kurz nach Beginn des Studiums, zur Ableistung des Zivildienstes einberufen. Eine Einberufung während des laufenden ersten Semesters ist jedoch dann unumgänglich, wenn der Zivildienstpflichtige erst kurz vor Vollendung des 28. Lebensjahres mit dem Studium begonnen hat. Eine spätere Einberufung — etwa nach Abschluß des Semesters — wäre dann nicht mehr möglich, weil er inzwischen aus der Wehrpflicht ausgeschieden wäre.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kann ich nach Ihrer Antwort davon ausgehen, daß in dem in Frage stehenden Zeitraum und auch vorher jeweils bei Studenten der Humanmedizin generell die zivildienstfachliche Verwendung genehmigt wurde?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann nicht sagen, daß die zivildienstfachliche Verwendung generell genehmigt worden ist; denn die zivildienstfachliche Verwendung ist eine Frage der späteren Verwendungsmöglichkeiten. Nicht in allen Fällen stehen geeignete Plätze zur Verfügung,- so daß davon auszugehen ist, daß die Entscheidungen über die zivildienstfachliche Verwendung im Rahmen der Möglichkeiten des Bundesamtes erfolgt sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Krey auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung plant, für Kinder ausländischer Arbeitnehmer, deren Kinder im Ausland leben, in Zukunft kein Kindergeld mehr zu zahlen, und sieht die Bundesregierung im Fall der Nichtweiterzahlung an solche Arbeitnehmer auch die Gefahr, daß dann in verstärktem Maß ausländische Arbeitnehmer ihre Kinder in die Bundesrepublik Deutschland nachkommen lassen werden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Krey, die Bundesregierung beabsichtigt nicht, ausländische Arbeitnehmer, deren Kinder im Ausland leben, künftig vom Kindergeldbezug auszuschließen. Sie hat mit den Anwerbeländern im Rahmen von zwischenstaatlichen Abkommen die Zahlung von Kindergeld auch für im Heimatland lebende Kinder vereinbart. Eine Änderung dieser Abkommen ist nicht beabsichtigt.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Kraske auf:
Trifft es zu, daß Zivildienstleistenden aus zwingenden dienstlichen Gründen anfallende Überstunden durch Freizeitgewährung abgegolten werden und daß dies in Ausnahmefällen erst zum Ende ihrer Dienstzeit geschieht, so daß sich ihre tatsächliche Dienstleistung dadurch verkürzt, während es eine vergleichbare Regelung für Grundwehrdienstleistende nicht gibt?
9484 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kraske, wenn Sie einverstanden sind, würde ich gern die Fragen 77 und 78 im Zusammenhang beantworten.
Ich rufe dann gleichzeitig die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Dr. Kraske auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung gegebenenfalls, diese offenkundige Ungleichbehandlung auch in Zukunft weiterzuführen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Die Arbeitszeit des Zivildienstleistenden richtet sich nach den Vorschriften, die an dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz für einen vergleichbaren Beschäftigten gelten oder gelten würden. Soweit solche Vorschriften nicht bestehen, finden die für Bundesbeamte geltenden Vorschriften über die Arbeitszeit entsprechende Anwendung. Geleistete Mehrarbeit wird durch Gewährung von Freizeit ausgeglichen, da für den Zivildienst eine Mehrarbeitsentschädigung in Geld nicht in Betracht kommt. Diese Mehrarbeit soll innerhalb von zwei Wochen unter Berücksichtigung der dienstlichen Belange abgegolten werden; in Ausnahmefällen kann dies auch zu einem späteren Zeitpunkt geschehen, wenn sich der Zivildienstleistende einverstanden erklärt und gesundheitliche Gründe nicht den sofortigen Zeitausgleich im Anschluß an die Mehrarbeit erfordern. Die Dienstzeit des Zivildienstleistenden wird durch den Zeitausgleich nicht verkürzt, denn der Zivildienstleistende bleibt bis zum Ende der im Einberufungsbescheid festgesetzten Dienstzeit im Zivildienstverhältnis.
Die unterschiedlichen Regelungen für Soldaten, die auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten, und Zivildienstleistende ergeben sich zwangsläufig aus der unterschiedlichen Art ihres Dienstes. Aus diesem Grunde kann darin keine Ungleichbehandlung im Sinne einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zugunsten der Zivildienstleistenden gesehen werden. Während sich die Arbeitszeit der Soldaten nach den Erfordernissen des Wehrdienstes zu richten hat, ergibt sich die Arbeitzeit im Zivildienst aus den Arbeitsbedingungen am jeweiligen Arbeitsplatz in der jeweiligen Beschäftigungsstelle; dabei sind die entsprechenden tariflichen und betrieblichen Regelungen maßgebend. Aus diesem Grunde besteht kein Anlaß, insoweit eine Veränderung vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es in einem Schreiben des Bundesamtes für den Zivildienst an den Oberbürgermeister einer großen westdeutschen Stadt ausdrücklich heißt, diese Regelung könne dazu führen, daß bei einigen Zivildienststellen den Zivildienstleistenden die Überstunden erst zum Ende ihrer Dienstzeit abgegolten würden, daß sich dann — ich sage das verkürzt mit meinen Worten — zwar nicht rechtlich, aber tatsächlich die Zivildienstzeit verkürze und daß die Regelung also über das von Ihnen Vorgetragene hinausgeht?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, ich habe schon gesagt, daß in Ausnahmefällen eine solche Möglichkeit gegeben ist, wenn die dienstlichen Belange es erfordern und der Zivildienstpflichtige selbst mit einer solchen Regelung einverstanden ist. Unter diesen Bedingungen ist eine zeitliche Verschiebung denkbar. Ich gehe aber davon aus, daß dies nicht der Regelfall, sondern die Ausnahme ist.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt — ich nehme das an, aber ich muß das in die Frageform kleiden —, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, daß es sich beim Zivildienst um einen Ersatzdienst handelt, und wenn ja, warum soll man dann nicht die Überstundenregelung bei Zivildienstleistenden dem angleichen, was für junge Wehrpflichtige gilt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, wenn wir hier nur den direkten Vergleich vorzunehmen hätten, wäre Ihre Darstellung sicherlich erlaubt. Da aber der Zivildienstleistende in tarifvertragliche Gestaltungen, in eine Betriebsvereinbarung oder in eine Betriebsordnung eingebunden ist, und zwar auch mit der Möglichkeit, bei entsprechendem Verhalten unter Umständen betriebsstörend zu wirken, glaube ich nicht, daß die von Ihnen genannte Unterschiedlichkeit verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Ansicht, daß es im Blick auf die von allen Seiten dieses Hauses für notwendig und wünschenswert gehaltene Neuregelung des Anerkennungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer besonders hilfreich und wünschenswert ist, die Besserstellung von Zivildienstleistenden, die allein schon durch die unvermeidliche heimatnahe Unterbringung gegeben ist, noch dadurch auszuweiten, daß Zivildienstleistende Überstunden mit Rechtsanspruch abfeiern dürfen, während bei Soldaten daran überhaupt nicht zu denken ist?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, es ist zutreffend, daß im Zusammenhang mit dem Verfassungsgerichtsurteil noch eine Anzahl von Fragen beraten und behandelt werden muß. Ich bin auch der Auffassung, daß wir diese Fragenbereiche noch einmal einbeziehen sollten; ich weiß auch, daß wir hier die Vergleichbarkeit herzustellen haben. Aber es besteht nach dem geltenden Recht keine Möglichkeit, eine Veränderung herbeizuführen. Ich denke, es wäre aber möglich, diese Frage bei der Neuregelung mitzuberaten.
Eine letzte Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9485
Können Sie mir also bestätigen, daß es die Bundesregierung auf absehbare Zeit willentlich und wissentlich dabei belassen will, daß junge Wehrpflichtige keinerlei Rechtsanspruch auf den Ausgleich für Überstunden haben, während Zivildienstleistende dies haben sollen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Kraske, ich glaube, daß Ihre Darstellung nicht zutreffend ist. Sie dürfen dies nicht allein so betrachten, daß der Zivildienstleistende Überstunden in vollem Umfang abfeiern kann, sondern Sie müßten auch den Gesichtspunkt gelten lassen, daß sich der Zivildienstpflichtige den Ordnungen eines Betriebes oder einer Organisation mit den jeweils gegebenen Maßstäben unterzuordnen hat. Diese Maßstäbe können im Einzelfall auch durchaus schwieriger als im Bereich des Wehrdienstes sein, und die Freizeit kann im Einzelfall auch geringer als beim Wehrpflichtigen ausfallen. Ich gestehe Ihnen allerdings zu, daß auch diese Fragen mit in die zukünftigen Beratungen einbezogen werden können.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht. Die Fragestunde ist geschlossen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung über die Ergebnisse des Europäischen Rates in Brüssel
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Sommer hatten wir auf einer Sitzung des Europäischen Rates in Bremen die Grundzüge für ein System erörtert, das zu einer Zone der Währungsstabilität in Europa führen soll. Nach vielfältigen Arbeiten der letzten Wochen und Monate haben alle neun Mitgliedstaaten gestern in Brüssel gemeinsam beschlossen, dieses System zum 1. Januar 1979 einzuführen. Die Texte sind heute nacht veröffentlicht worden und werden alsbald auch dem Bundestag zur Verfügung stehen.
Dieses Europäische Währungssystem hat, wie ich schon sagte, das Ziel, ein höheres Maß an Währungsstabilität herbeizuführen, und dies sowohl zwischen den einzelnen Währungen als auch für jede einzelne Währung nach innen. Man kann sagen, es sei ein grundlegendes Element in einem umfassenderen Konzept, das auf nachhaltiges Wachstum in Preisstabilität, auf eine schrittweise Rückkehr zur Vollbeschäftigung und auf Verringerung regionaler Disparitäten gerichtet ist. Dieses gemeinsame Währungssystem wird die wirtschaftspolitische Konvergenz innerhalb der Gemeinschaft erleichtern und dem Prozeß der Europäischen Union Impulse geben. Wir erwarten aber auch, daß dieses System eine stabilisierende Wirkung ausüben wird auf die internationalen, über die Grenzen der Gemeinschaft hinaus
gerichteten Wirtschafts- und Währungsbeziehungen. Es wird zweifellos insofern in gleicher Weise im Interesse der Industrieländer wie der Entwicklungsländer liegen.
Wenn ich sagte, daß neun Staaten dies gemeinsam beschlossen haben, so ist zu betonen, daß es bei drei Staaten eine Reservation gibt bezüglich des Mitmachens bei einem bestimmten Teil. Wie erwartet, hat das Vereinigte Königreich erklärt, sich gegenwärtig noch nicht am gemeinsamen Wechselkurs-und Interventionsmechanismus beteiligen zu können. Die italienische Regierung und ebenso die irische Regierung haben erklärt, daß sie Bedenkzeit brauchen, um in ihren Kabinetten und mit den sie tragenden politischen Kräften zu Hause darüber zu beraten, ob sie sich jetzt zum 1. Januar an dem gemeinsamen Wechselkurs- und Interventionssystem beteiligen können. Wir erwarten die Stellungnahme dieser beiden Regierungen im Laufe der nächsten Woche.
Ich sprach davon, daß diese Arbeiten in den letzten Wochen und Monaten sorgfältig vorbereitet worden sind. Da ist auch eine ganze Menge rechtlicher Erwägungen zu prüfen gewesen, nicht nur solche währungstechnischer Art, wie es den Anschein gehabt haben mag, und nicht nur wirtschaftspolitischer und agrarpolitischer Art. Natürlich hat das System Auswirkungen auf die Rechenmodalitäten in der monetären Agrarpolitik oder agraren Monetärpolitik — wie soll man es nennen? Ich weiß es nicht, Herr Ritz.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Dank sagen an die Adresse des Bundesfinanzministers, seines Staatssekretärs Lahnstein, ebenso Dank sagen an den Herrn Präsidenten der Bundesbank, Dr. Emminger, an seinen Vizepräsidenten und an die Herren des Zentralbankrates insgesamt, die ja alle in diese Vorarbeiten einbeschlossen gewesen sind. Die Bundesbank hat ihre Verantwortung voll ausgeschöpft. Wir haben das begrüßt. Sie wird im übrigen natürlich auch bei der Ausführung dieser Beschlüsse gemeinsam mit den anderen europäischen Zentralbanken eine wichtige Rolle spielen.
Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, daß die bis jetzt allein beschlossene Anlaufphase dieses Systems für die nächsten zwei Jahre auf der Basis von Vereinbarungen unter den Notenbanken prozedieren wird. Es handelt sich nicht um einen zur Ratifikation vorzulegenden völkerrechtlichen Vertrag, es handelt sich nicht um eine Ergänzung der Römischen Verträge. Dies alles wird für einen Zeitpunkt in etwa zwei Jahren ins Auge gefaßt. Aber das, was ab 1. Januar passiert, ist Zusammenarbeit unter den Notenbanken auf der Basis einer Übereinkunft unter neun Regierungen, von denen sich, wie gesagt, drei vorbehalten haben, später beizutreten; zwei von diesen drei Regierungen haben gesagt, sie werden sich in der nächsten Woche erklären.
Ich nehme an, daß auch die anderen Parlamente Europas in dieser oder in der nächsten Woche ähnliche Debatten führen werden, wie wir sie heute gemeinsam für notwendig halten.
9486 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Bundeskanzler Schmidt
Für die Bundesregierung und, ich denke, für die Bundesrepublik Deutschland und auch für die Gemeinschaft als Ganze muß bedauert werden, daß es unsere britischen Freunde nicht für möglich gehalten haben, sich schon ab 1. Januar am Wechselkurs-und Interventionsmechanismus zu beteiligen. Sie hatten uns dies vor geraumer Zeit wissen lassen. Ich habe aber das Gefühl — ich will hier niemandem zu nahe treten; ich muß auch vorsichtig sein, jemandem Gedanken zu imputieren, die er so nicht ausgesprochen hat —, daß es starke Kräfte in England gibt, die vielleicht — was Englands Teilnahme angeht — auf einen nicht allzu fernen Zeitpunkt hinsteuern.
Ich habe natürlich Verständnis für die italienische Situation, wenngleich ich — wie ich hier einfügen darf — die besonders große Bandbreite, die Italien beabsichtigte in Anspruch zu nehmen — und in Anspruch nehmen wird, für den Fall, daß es sich in der kommenden Woche noch zum Beitritt entschließen würde —, die wir schließlich zwar akzeptiert haben, weil Kompromisse immer nur zustande kommen können, wenn jedermann mit seinen vitalen Interessen ausreichend zum Zuge kommt, nicht gerne in Kauf genommen habe, und zwar weil ich nicht glaube, daß diese besondere Bandbreite dem ganzen System zusätzliche Festigkeit gibt; und weil ich auch nicht überzeugt bin, daß es unbedingt im Interesse des Vertrauens in die betroffene nationale Währung liegt, wenn sie von vornherein mit einer großen Bandbreite antritt.
Ich muß ein Wort des besonderen Verständnisses für die irische Position sagen. Das irische Pfund ist seit 160 Jahren traditionell im Verhältnis 1 : 1 mit dem englischen Pfund Sterling verbunden, was dazu geführt hat, daß der irische Geld- und Kapitalmarkt in London stattfindet; was dazu geführt hat, daß trotz der Teilung der irischen Insel in Nordirland und in der Republik gleichwohl das gleiche Geld gilt. Das alles wirft natürlich bei einem Nichtbeitritt Englands zu diesem System für unsere irischen Freunde außerordentliche Probleme auf, für die man Verständnis haben muß, falls sie zu einer anderen endgültigen Entscheidung führen. Ich würde eine solche Entscheidung nicht für endgültig ansehen. Falls sie käme, würde sie sicherlich bis zu dem Zeitpunkt befristet sein, wo sich auch Großbritannien zum Beitritt zum Wechselkurs- und Interventionsmechanismus entscheiden würde.
Ich will aber betonen, daß alle übrigen Teile — mit Ausnahme dieses Kapitels Wechselkursmechanismus und Interventionsmechanismus an den Devisenmärkten — der gestrigen Beschlüsse operativ für alle neun Mitgliedstaaten gelten. Es sind Beschlüsse, die die Gemeinschaft binden — Ratsbeschlüsse.
Zur Bewertung will ich darauf hinweisen, daß sich, als vor 21 Jahren die Römischen Verträge geschlossen wurden, natürlich niemand der damals beteiligten verhandlungsführenden Personen noch eines der ratifizierenden Parlamente vorgestellt hat, daß sich die Währungen der sechs Staaten, die sich damals zu einem gemeinsamen Markt zusammengeschlossen hatten, von Tag zu Tag würden gegeneinander verschieben können, sondern man ist bei Begründung des gemeinsamen Marktes von der selbstverständlichen Voraussetzung fester Wechselkurse innerhalb des Marktes ausgegangen — so, wie die bayerische oder die baden-württembergische Volkswirtschaft natürlich davon ausgeht, daß eine Mark in Bayern und eine Mark in Baden-Württemberg dasselbe sind und daß es nicht eines Tages eine baden-württembergische Mark und eine bayerische Mark gibt.
— Ich sehe nicht, daß das ein unziemliches Beispiel gewesen wäre, meine Damen und Herren.
Das unvorhergesehene und bei der Konstruktion des gemeinsamen Marktes nicht berücksichtigte Auseinanderfallen der Währungen hat eine Reihe von Gefährdungen ausgelöst. Wir haben mit dem — mit dem für den Nichthistoriker kaum noch verständlichen Wort „Schlange" bezeichneten — Währungsverbund versucht, dem entgegenzutreten. Das ist innerhalb einer kleineren Zahl von Gemeinschaftsländern auch möglich gewesen. Diejenigen, die an diesem Währungsverbund, „Schlange" genannt, nicht teilgenommen haben, sind dabei nicht nur glücklich gefahren.
Man kann die negativen Erfahrungen mit dem Auseinanderdriften der europäischen Währungen am besten belegen, wenn man sich die Statistik anschaut und sieht, wie seit den Währungsunruhen, die seit 1973/74 besonders kräftig geworden sind, der innergemeinschaftliche Wirtschaftsaustausch gegenüber dem außenwirtschaftlichen Austausch außerhalb der Gemeinschaft relativ zurückgeblieben ist. Während von 1957 bis zum Jahre 1973 der Wirtschaftsaustausch innerhalb der Gemeinschaft ständig schneller gewachsen ist als der Weltwirtschaftsaustausch — dadurch drückte sich ja der zunehmende Integrationsprozeß des Gemeinsamen Marktes aus —, ist in den letzten drei, vier Jahren der innergemeinschaftliche Handel gegenüber dem Welthandel relativ zurückgeblieben. Dadurch drückt sich eine quantitativ ins Gewicht fallende Desintegration auf Grund der Währungsverschiedenheiten aus.
Wenn man das noch drei, vier, fünf oder noch mehr Jahre laufen ließe, müßte ich fürchten, daß dadurch nicht nur der gemeinsame Agrarmarkt zerstört würde. Der ist durch den Währungsauseinanderfall schon zerstört. Ihn gibt es in Wirklichkeit nicht. Es gibt nicht denselben Preis für einen Liter Milch oder für ein Pfund Butter in zwei verschiedenen europäischen Ländern; jedenfalls nicht für die Konsumenten, sondern den gleichen Preis gibt es nur für die Rechner. Der Agrarmarkt ist also schon auseinandergefallen. Der Agraraustausch ist heute in- Europa schwieriger als vor 50 Jahren. Seinerzeit brauchte man nur Zölle zu bezahlen. Heute muß man unglaubliche Berechnungen anstellen, um zu wissen, was man für ein Pfund Butter verlangen darf.
Über den Zerfall des Agrarmarktes hinaus wäre auch ansonsten der Gemeinsame Markt gefährdet. Bei manchen könnte wohl auch die wirtschaftspolitische Disziplinierung durch die Rücksicht auf die
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eigene Währung — genauer gesagt: auf die eigene Zahlungsbilanz — abnehmen, so daß die Auseinanderentwicklung in stabile und weniger stabile Volkswirtschaften eher noch zunehmen könnte.
Ermöglicht worden sind die Beschlüsse, die gestern nacht gefaßt wurden und seit einem halben Jahr vorbereitet worden waren, durch ein zunehmendes geldpolitisches Stabilitätsbewußtsein in den Mitgliedsländern. Wenn man sich z. B. die Inflationsraten der europäischen Mitgliedsländer im Jahre 1973 und 1974 anschaut und sie mit den Inflationsraten vergleicht, die all diese Nachbar- und Partnerländer heute erreicht haben, dann ist die Dämpfung der Inflation, die zwar in vielen Fällen nicht ausreicht, gleichwohl doch als ein wichtiger Erfolg der Umkehr des Bewußtseins nicht nur der Regierungen, auch der Parlamente, der öffentlichen Meinung, der Verbände, der Unternehmungen, der Gewerkschaften — wen immer Sie einbeziehen wollen — in jenen Staaten anzusehen. Das ist bisher eine zwar noch nicht ausreichende, aber doch schon eine gewaltige Umkehr gegenüber der Tendenz der frühen 70er Jahre, als die Inflationsraten steil bergan gingen, zweistellige Ziffern erreichten und zum Teil 20 % pro Jahr betrugen. Hier ist eine Umkehr eingetreten. Dazu hat sicherlich auch die Politik unseres Landes beigetragen. Nur auf der Basis der Umkehr der Tendenz, die die Staaten verfolgen, kann man es wagen, eine solche Währungsgemeinschaft ins Werk zu setzen, wie es hier jetzt geschehen wird.
Natürlich geht es dann im einzelnen auch um Währungstechnik. Nach all den vielen Vorbereitungen durch die Fachleute der Zentralbanken und der Finanzministerien hat sich nun auch der Europäische Rat entsetzlich viel Zeit nehmen und Mühe machen müssen, um scheinbar unbedeutende Fragen sehr eingehend zu klären und zur Übereinstimmung zu führen. In allen Fragen ist Übereinstimmung herbeigeführt worden. Es gab erhebliche Zugeständnisse des einen hier und des anderen dort. Ich will nicht verschweigen, daß wir in einigen Punkten sehr gerne etwas weiter gegangen wären und in anderen Punkten lieber nicht ganz so weit entgegengekommen wären, wie es hier geschah. Aber das gilt für alle übrigen acht Staaten ganz genauso wie für uns.
Die wichtigsten Aspekte des Wechselkurs- und Interventionssystems stehen in vollem Einklang mit den Forderungen, die die Bundesbank und die Bundesregierung gemeinsam im Laufe des Sommers und des Herbstes aufgestellt hatten. Ich nenne insbesondere erstens, daß die Interventionsverpflichtungen aller Teilnehmer an den Devisenmärkten, d. h. das Kaufen schwacher Währungen mit eigener Währung, oder das Verkaufen starker Währungen gegen eigene Währung, wie z. B. bisher in der „Schlange", eindeutig bestimmt sind. Die Verpflichtungen zur Intervention sind eindeutig bestimmt. Zweitens sind keine Sonderregelungen für den Saldenausgleich in besonderen Fällen vorgesehen.
Daneben enthält das System Elemente, die es ganz deutlich von dem bisherigen Verbund —„Schlange" genannt — unterscheiden. Dazu gehört erstens die Europäische Währungseinheit, die es
bisher nicht gab — ECU genannt —, die gegen Einlage von Gold und Devisen durch die beteiligten Zentralbanken geschaffen wird. Die Fachleute sprechen hier von ECU I, weil es später, wenn durch ratifikationsbedürftigen Vertrag rechtlich der Europäische Währungsfonds errichtet werden wird, auch ECU II geben wird, die man unter Bedingungen und bei begrenzten Tranchen gegen Einzahlung eigener, nationaler Währungen beim Europäischen Währungsfonds erlangen kann. Soweit ist es also noch nicht.
„ECU" ist eine französische Aussprache der englischen Abkürzung „European Currency Unit" Ich habe nichts dagegen, wenn wir uns den Sprachgebrauch „ECU" angewöhnen sollten. Die Franzosen hören das gerne, sie hatten vor Hunderten von Jahren schon einmal eine Münzeinheit, die so hieß.
Der zweite Unterschied gegenüber der Schlange, den ich vorhin schon nannte, ist der, daß die Länder, die neu beitreten, mit einer großen Marge von ± 6 % für ihre Wechselkurse beitreten können. Ich kann das nicht begrüßen; ich habe es schon angedeutet. Aber es ist ein deutlicher Unterschied.
Der dritte wichtige Unterschied ist der, daß dieses ECU-System, das als ein Cocktail, als ein Korb aus den neun Währungen gebildet wird — in diesen Cocktail werden die Währungen mit verschiedenem Gewicht eingemischt —, zusätzlich zu dem bestehenden Paritätengitter der Wechselkurse als Indikator für Abweichungen dienen wird. Allerdings löst dieser Indikator — ich sagte es schon — keine Verpflichtung zur Intervention aus, wohl aber kann er z. B. die Pflicht zur Konsultation auslösen.
Ich denke, daß zwei Erfahrungen, die sich in dem Wechselkursverbund — „Schlange" genannt — ergeben haben, sich in dem größeren Teilnehmerkreis erneut bestätigen werden: Die erste Erfahrung ist die, daß Wechselkursstabilität zu größerem Vertrauen aller Beteiligten innerhalb der Volkswirtschaft in die Stabilität der eigenen Währungs- und Geldverhältnisse führt, zu größerem Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Rechenbarkeit betriebswirtschaftlicher Entscheidungen, kaufmännischer Entscheidungen, zu größerem Vertrauen in die Prognostizierbarkeit der Ergebnisse einer wirtschaftlichen oder kaufmäninschen Operation, in die man heute eintritt und deren Ergebnisse erst in zwei oder drei Jahren fällig werden. Zweitens wird sich auch hier das bestätigen, was wir in der Schlange erfahren haben, nämlich größere Solidarität unter den beteiligten Staaten.
Da ich von der „Schlange" sprach, muß ich hier erwähnen — ich lege Wert darauf —, daß die Regierungschefs der Länder Belgien, Holland, Bundesrepublik Deutschland, Luxemburg und Dänemark gestern nacht festgestellt haben, daß diese „Schlange" bis zu dem Augenblick, da das neue Währungssystem operationell wird, wie bisher beibehalten und funktionieren wird. Sie haben ebenso festgestellt, daß sie keine Veränderungen ihrer Wechselkurse ins Auge fassen. Präsident Giscard hat für Frankreich gestern angekündigt, daß Frankreich dem neuen Wechselkurssystem am 1. Januar mit dem aktuellen Markkurs — Entschuldigung, „Marktkurs";
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das war eine Freudsche Fehlleistung —, mit dem aktuellen Marktkurs des Franc beitreten wird.
Ich teile die Überzeugung des Europäischen Rats, daß dieses System allen teilnehmenden Staaten erhebliche Vorteile bringen wird. Ich möchte hinzufügen, daß die Staaten bewiesen haben, daß sie zu gemeinsamem Handeln und zu gegenseitiger Solidarität durchaus fähig sind. Wir haben Entschlossenheit gezeigt, wir haben auch Solidarität gezeigt, indem wir denjenigen Partnern helfen, auf deren Volkswirtschaft durch das Hinzutreten zu einem solchen Wechselkursverband größere Belastungen zukommen, mit ihren Schwierigkeiten fertig zu werden. Allerdings ist ganz klar, daß durch diese Hilfen innerhalb der Gemeinschaft die eigenen Anstrengungen nicht überflüssig werden.
Die zusätzlichen unterstützenden gemeinsamen Maßnahmen für die weniger wohlhabenden Länder der Gemeinschaft — dieser Ausdruck hat sich in den Verhandlungen eingebürgert, meistens mit dem englischen Terminus „less prosperous countries" — sollen im wesentlichen darin bestehen, daß diese Länder für die nächsten fünf Jahre pro Jahr insgesamt Darlehen in einer Größenordnung von 1 Milliarde ECU in Anspruch nehmen können; das sind, rund gerechnet, jedes Jahr 2 ½ Milliarden DM. Diese Darlehen werden im wesentlichen über die internationalen Märkte finanziert, aber in den Zinsen her-untersubventioniert, und zwar um 3 %. Diese Subvention der Zinsen müssen wir natürlich zu einem ganz erheblichen Anteil tragen.
Die Bundesrepublik Deutschland war zu größeren Leistungen bereit, auch innerhalb des Regionalfonds. Wir sind für eine Ausweitung des Regionalfonds eingetreten. Wir haben dabei keine ausreichende Gegenliebe gefunden. Ich lege Wert darauf, das vor dem Deutschen Bundestag ausdrücklich zu erklären. Wir waren also zu noch größeren finanziellen Opfern bereit.
Das neue System sieht auch die Assoziierung von europäischen Ländern mit besonders enger wirtschaftlicher oder finanzieller Bindung an die Europäische Gemeinschaft vor, und zwar an den Wechselkurs- und Interventionsmechanismus. Ich will erwähnen, daß der norwegische Regierungschef Nordli bei seinem kürzlichen Besuch hier das große Interesse seines Landes an dieser Entwicklung zum Ausdruck gebracht hat. Er und die übrigen Regierungen, die hier in Betracht kommen, sind heute nacht informiert worden.
Ebenso haben wir natürlich unsere nordamerikanischen Freunde heute nacht informiert. Ich möchte noch einmal betonen, daß dieses System sich — so wenig, wie es sich gegen andere europäische Währungen richtet — natürlich auch nicht gegen den amerikanischen oder den kanadischen Dollar richtet. Freilich kann es uns von den allzu schnellen, allzu beweglichen Auf- und Abschwankungen des Dollars etwas unabhängiger machen. Das wäre ein nützlicher Nebeneffekt. Ich denke, daß der Haupteffekt auf der anderen Seite des großen Teichs eintritt, und zwar in psychologischer Hinsicht. Es wird drüben den Stabilitätswillen in bezug auf die eigene
Währung stärken. Und das kann nur zum Vorteil der ganzen Welt sein.
Es gibt sicherlich auch ganz andere Stimmen der Bewertung als die, die ich hier ausgesprochen habe. Ich habe vor mir Auszüge aus einer der führenden kommunistischen Zeitungen Westeuropas — ich will sie nicht vorlesen — in der schärfsten und polemischsten Sprache, die man sich vorstellen kann. Vielleicht darf ich aber eine andere Pressestimme vorlesen, weil ich mich weitgehend damit gleichsetzen möchte. Der „Figaro" schreibt heute morgen:
Die europäische Dynamik ist keinesfalls gebrochen, wie viele beidseits des Kanals und beidseits der Alpen sagen und denken werden. Zweitens. Dennoch zeigte dieser Gipfel eine echte Gefahr für die Zukunft. Die Leute haben die Wichtigkeit der Bildung einer Zone der Währungsstabilität in Europa noch nicht begriffen, die doch gleichzeitig die Bemühungen um Verringerung der Preissteigerungen unterstützen und die Bemühungen um das Erreichen eines ausgeglichenen Wachstums belohnen würde. Drittens. Die öffentliche Meinung muß die Vorteile des europäischen Währungssystems begreifen, damit neue Fortschritte erreicht werden können.
So weit diese französische Zeitung.
Allgemein werden, nehme ich an, in vielen Ländern die noch nicht ergangenen Beitrittsbeschlüsse der drei erwähnten Länder bedauert. Der Präsident der Kommission hat das Gesamtergebnis gestern einen begrenzten Erfolg genannt. Das kann man so unterschreiben.
Zum Schluß: In wenigen Wochen geht die deutsche Präsidentschaft in den Räten der Gemeinschaft zu Ende, auch im Europäischen Rat. Man kann vielleicht vier Akzente hervorheben, welche die deutsche Präsidentschaft gekennzeichnet haben: Zum ersten ist die Entscheidung über das Europäische Währungssystem zu nennen, die uns in Richtung auf Stabilität, in Richtung auf Integration einen Schritt vorangebracht hat. Der französische Staatspräsident, der ja von Anfang an ein Initiator dieses Währungssystems war und geblieben ist, wird die Präsidentschaft ab 1. Januar 1979 übernehmen. Man darf zuversichtlich sein, daß das Begonnene unter seiner Präsidentschaft gestärkt werden wird.
Zum zweiten: Nur eine sich wirtschaftlich festigende Gemeinschaft kann die Fragen lösen, die sich im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit den drei neuen zukünftigen Mitgliedern schon andeuten und die dann später über eine Reihe von Jahren — natürlich — auch wirtschaftliche Opfer verlangen. Es sieht jetzt so aus, als könnten wir die von uns selbst gesetzten Zwischenziele bei Ende der deutschen Präsidentschaft tatsächlich erreichen: den Abschluß der Sachverhandlungen mit Griechenland noch in diesem Monat — wir hatten immer vor, die Formalisierung dann unter der französichen Präsidentschaft im nächsten Halbjahr vorzunehmen —, den Beginn der sachlichen Verhandlungen mit Portugal und den formalen Ratsbeschluß über die Eröffnung von Verhandlungen mit Spanien.
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Dritter Punkt: Während unserer Präsidentschaft sind die Verhandlungen für ein neues Lomé-Abkommen — Lomé II — mit 54 Staaten in Afrika, in der Karibik und im Pazifik in Gang gesetzt worden, ein Abkommen, das dem Typus nach, wie mir scheint, ein hervorragendes Vorbild für den wirtschaftlichen Ausgleich zwischen industrialisierten Ländern im Norden und rohstoffproduktionsorientierten Entwicklungsländern im Süden ist und sein sollte.
In dem Zusammenhang will ich sagen, daß mir das erste Ministertreffen zwischen Ministern zweier großer Wirtschaftsregionen, das Herr Kollege Genscher in seiner Eigenschaft als Vorsitzender während dieses halben Jahres im Außenministerrat angeregt und dem er vor ein paar Wochen auch präsidiert hat, nämlich das Zusammentreffen der Minister von neun EG-Staaten und der Staaten des ASEAN-Zusammenschlusses in Südostasien, als ein Beispiel, als ein Vorbild für zukünftige Entwicklungen sehr begrüßenswert erscheint. Dabei ist nicht nur über Außenpolitik, sondern durchaus natürlich auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Süd und Nord geredet worden. Es ist über alles gesprochen worden, was sonst noch dazugehört.
Vierter Akzent: Ohne neues Vertrauen, ohne zusätzliches Vertrauen in die Stabilität der wirtschaftlichen Grundlagen der europäischen Integration würde möglicherweise auch der politische Anstoß, den wir uns von den europäischen Direktwahlen erhoffen, ins Leere fallen. Es würde später möglicherweise zur Enttäuschung an Stelle der von uns erstrebten Stärkung des Vertrauens aller Bürger in unsere Gemeinschaft kommen.
Die Bürger Europas erwarten die Lösung konkreter Aufgaben. Das Europäische Währungssystem leistet einen konkreten Beitrag. Ich hoffe, daß wir die konkrete Arbeit auch unter der französischen, später dann unter der irischen Präsidentschaft fortsetzen werden. Vielleicht darf man dies alles unter die Maxime eines Zitates aus dem Munde von Jean Monnet stellen, der in diesen Tagen sein 90. Lebensjahr vollendet hat. Er hat an einer Stelle gesagt: „Was wir getrennt tun, ist falsch. Was wir gemeinsam tun, ist richtig."
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt es, daß die Bundesregierung unverzüglich nach Beendigung der Brüsseler Konferenz den Deutschen Bundestag in einer ersten Unterrichtung informiert. Wir anerkennen auch, daß in den letzten Wochen und Monaten die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesfinanzminister oder durch den Staatssekretär des Finanzministeriums, im Finanzausschuß bereitwillig für Auskünfte zur Verfügung stand. Damit ist sie unserem Antrag vom 14. September dieses
Jahres insoweit nachgekommen. Natürlich werden wir die Einzelheiten des Ergebnisses von gestern in aller Gründlichkeit prüfen müssen und auch im Finanzausschuß im einzelnen noch darüber beraten.
Die CDU/CSU anerkennt die Bemühungen des Bundeskanzlers, einen Schritt in Richtung Zusammenschluß Europas zu tun und einen Versuch zu machen, daß sich in Europa mehr Geldwertstabilität ausbreitet.
Die CDU/CSU war immer für jeden Schritt, der Europa wirklich voranbringt, und zwar politisch und wirtschaftlich, auch währungspolitisch.
Für feste Wechselkurse in Europa werden mehrere Gründe angeführt, unter anderem folgende:
Erstens. Es führe zu einer besseren Voraussehbarkeit im innergemeinschaftlichen Außenhandel, und damit könne dies auch zu einer Stärkung des innergemeinschaftlichen Handels führen.
Zweitens. Es könne eine Stütze für die Regierungen sein, die mehr tun wollten für Geldwertstabilität und dadurch diese Hilfe bewußt dafür einsetzen könnten.
Drittens. Dieses System könne die politische Einheit fördern, weil es nicht desintegrierend wirke, wie man sagt.
Genau auf diesem Feld haben wir in diesen Tagen aber auch schon einige Enttäuschungen erlebt, weil es nicht gelungen ist, alle Neun zu einem echten Verbund zusammenzuführen. Es handelt sich weitgehend nur um eine Aufstockung der bisherigen Währungsschlange von fünf Mitgliedern um eines, um Frankreich, auf sechs Mitglieder.
Herr Bundeskanzler, ich mache Ihnen deswegen keinen Vorwurf. Es ist gut, daß Sie oder der französische Staatspräsident — ganz klar scheint das nicht zu sein — nicht auf alle Wünsche von allen möglichen Teilnahmestaaten unbedingt eingegangen sind. Wir unterstützen Sie und den französischen Staatspräsidenten, daß Sie Stabilitätsrisiken nicht unverantwortlich eingehen wollen und daß Opfer auch nur insoweit zu leisten sind, als sie Europa echt voranbringen.
Natürlich hat ein System von festen Wechselkursen auch Gefahren. Die wirtschaftliche Lage und die Inflationsquoten in den einzelnen Ländern Europas sind verschieden, teilweise sehr verschieden. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß schließlich eine mittlere Linie der Inflation entsteht mit der Neigung, insgesamt die Inflation immer mehr nach oben zu schieben. Das ist gerade für uns in Deutschland eine besondere Gefahr, weil wir — mühsam genug, aber erfreulicherweise — bei der Bekämpfung der Inflationsquoten in den letzten Jahren echte Fortschritte erzielt haben.
9490 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode .= 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Dr. Häfele
Meine Damen und Herren, dieses wäre wohl nicht möglich gewesen ohne freie Wechselkurse und nicht möglich gewesen ohne eine Wechselkursanpassungsfähigkeit in der sogenannten Mini-Schlange.
Es besteht auch die Gefahr, daß Europa zu einer Enttäuschung kommt, falls dieses jetzt begonnene System nicht erfolgreich ist, so daß schließlich das Gegenteil dessen erreicht wird, was damit beabsichtigt ist.
Die CDU/CSU würdigt die Erklärungen der Bundesregierung in den letzten Wochen und Tagen, die dahin gehen, daß dieses Europa nur mit mehr Geldwertstabilität funktionieren könne. Auf diesem Felde werden wir aber nur Erfolge haben, wenn verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden.
Erstens. Alle Teilnehmer müssen ihre Politik auf der Grundlage der Geldwertstabilität führen.
Es gilt der Satz des Londoner Gipfels vom 11. Mai 1977: „Inflation verringert die Arbeitslosigkeit nicht; im Gegenteil, sie ist eine der Hauptursachen." Wir haben ja in Europa und in der westlichen Welt in den letzten ° Jahren hier leidvolle Erfahrungen mit der Inflation gesammelt.
Die Inflation könnte die entscheidende Frage überhaupt sein in den kommenden Jahren für die Zukunft der freiheitlichen Welt.
Eine weitere Voraussetzung, die in den kommenden Jahren erfüllt sein muß: Wir brauchen auch in Zukunft frühzeitige und möglichst geräuschlose Wechselkursanpassungen. Sonst kommen die Länder mit hoher Geldwertstabilität — etwa die Bundesrepublik Deutschland — immer mehr in den Zwang, in die Notwendigkeit, schwache Währungen laufend aufzukaufen, zu intervenieren, wie man das nennt. Wenn das bei uns in Deutschland geschieht, müßten wir eine Geldmengenvermehrung vornehmen, die mit dem Stabilitätsziel nicht mehr vereinbar ist.
Nach der Entschließung, die gestern gemeinsam gefaßt wurde, ist eine solche Wechselkursanpassung nur im gegenseitigen Einvernehmen aller Länder und unter Beteiligung der Europäischen Kommission möglich.
Hier besteht die Gefahr, daß die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank verlorengeht oder mindestens beeinträchtigt wird. Die Deutsche Bundesbank darf nicht durch Fehlentwicklungen auf diesem Feld daran gehindert werden, ihren gesetzlichen Auftrag nach dem Bundesbankgesetz zu erfüllen, eine Geldmengensteuerung vorzunehmen, die mit derer Stabilitätsziel zu vereinbaren ist.
Die CDU/CSU hält die Bundesregierung ausdrücklich an ihrer Zusage fest, die sie der Deutschen
Bundesbank gegeben hat, und auch an der Zusage, die der Herr Bundesfinanzminister Matthöfer in der letzten Woche im Finanzausschuß gegeben hat, daß äußerstenfalls auch ohne dieses Einvernehmen eine Wechselkursanpassung erfolgen muß. Es darf nicht so sein, daß die starken Währungen immer mehr intervenieren und damit immer mehr eigene Inflation erzeugen. Die schwachen Währungen müssen intervenieren. Und auch die schwachen Währungen haben auf die Dauer nichts davon, wenn die gesünderen Währungen krank werden. Sonst wird nur die gesamte Gemeinschaft krank. Auf keinen Fall darf in diesem Einvernehmen ein politischer Mechanismus für gemeinschaftliche Inflationsraten auf mittlerem Niveau liegen.
Herr Bundeskanzler, Sie haben in letzter Zeit wiederholt Kritiker dieses neuen Systems kritisiert. Sie haben u. a. gesagt, wer hier kritisiere, sei gegen Europa, er sei nationalistisch oder er sei provinzlerisch. Ich glaube, Herr Bundeskanzler, da machen Sie es sich doch vielleicht etwas zu einfach. Wenn sehr viele Sachverständige — der Wissenschaftliche Beirat im Wirtschaftsministerium, die fünf Berater der Bundesregierung, also „die fünf Weisen", in der letzten Woche, die fünf Institute, die Bundesbank und andere, Sachkundige, auch erfahrene Praktiker — warnen, dann sind das keine Provinzler, sondern dann haben sie Sorge um' eine gedeihliche, inflationsfreie Entwicklung, und das ist ihre Pflicht. Derjenige, der in der politischen Verantwortung steht, Herr Bundeskanzler, macht sich schuldig, wenn er solche Kritik leichtfertig in den Wind schlägt, anstatt sie zu beherzigen.
Diese Kritik und die Kritik der CDU/CSU in den letzten Wochen und Monaten haben ja. auch einen Erfolg bewirkt. Was ursprünglich bei der Konferenz von Bremen noch vorgesehen war, war in weiten Teilen viel gefahrvoller als das, was jetzt zustande gekommen ist. Damals war am Beginn dieser Konferenzserie vorgesehen, einen schwankenden Währungskorb als Auslöser für Interventionen einzuführen. Wenn dies jetzt Realität geworden wäre, hätten wir eine klassische Brutstätte für Inflation in Europa. Daß dies abgemildert und verbessert werden konnte, ist ein Erfolg auch der' Opposition in diesem Hause.
Die Kritik der CDU/CSU war verantwortungsbewußt. Sie war hilfreich. Auch unser Antrag vom 14. September dieses Jahres hat der Bundesregierung in den schwierigen Verhandlungen den Rücken gestärkt — so, wie wir in den letzten Jahren die Bundesregierung immer unterstützt haben,
als es darum ging, Bestrebungen, die im internationalen Raum vorhanden waren, von uns abzuwenden, Bestrebungen nämlich, mit der Scheinlösung von mehr Inflation in Deutschland die internationalen Währungsprobleme lösen zu wollen. Sie können nicht bestreiten, daß die Opposition hier in den letz-
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Dr. Häfele
ten Jahren immer verantwortungsbewußt hinter der Regierung gestanden hat.
Natürlich, meine Damen und Herren, es bleibt die ernsthafte Frage und auch die Sorge — wer wüßte das nicht? —, ob angesichts der wirtschaftlichen Ungleichgewichte, wie sie in der Welt nun einmal bestehen, vor allem angesichts der auseinanderklaffenden Inflationsraten letztlich nicht vielleicht doch die freien Wechselkurse das geringstmögliche Übel sind. Niemand weiß mit Sicherheit, ob angesichts des Umfeldes letztlich nichts anderes übrigbleibt, als mit
freien Wechselkursen zu operieren.
Immerhin hat dieses System der freien Wechselkurse in den letzten Jahren ja auch beachtliche Erfolge gehabt. Unsere Stabilitätserfolge in Deutschland oder die Stabilitätserfolge etwa der Schweiz wären wohl ohne dieses freie Wechselkurssystem nicht möglich gewesen. Dieses System hat ja huch bewirkt, daß inflationierende Länder bestraft und zur Verbesserung der Wirtschaftspolitik gezwungen worden sind, und wenn sich erfreulicherweise das Bewußtsein, von dem Sie, Herr Bundeskanzler, gesprochen haben, da und dort mehr in Richtung Geldwertstabilität verändert hat, ist dies auch eine Folge der Erfahrungen ,mit diesem System, das eben zu mehr Stabilität nötigt.
Herr Bundeskanzler, Sie selbst haben ja jahrelang diese Meinung vertreten. Am 8. April 1976 haben Sie vor diesem Hohen Hause — wenn ich zitieren darf — wörtlich erklärt:
Ich will in diesem Zusammenhang aber auch sagen, daß die währungs- und stabilitätspolitische Aufgabe des Wechselkursverbundes, also der Schlange, dann unweigerlich beeinträchtigt wird, wenn in diesem Verbund Währungen von Ländern aneinandergebunden sind, deren wirtschaftliche Grunddaten eben nicht einigermaßen parallel, sondern ... auseinanderstrebend verlaufen ...
Nehmen wir ein anderes Beispiel. Es gibt eine Wahlplattform des „Bundes der Sozialistischen und Sozialdemokratischen Parteien in der Europäischen Gemeinschaft" vom 6. Juni 1977.
— Hören Sie bitte zu; ich darf wörtlich zitieren:
Die europäischen Sozialdemokraten halten am Ziel einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion fest. Jedoch ist die Forderung der Konservativen, den Währungssektor zum Integrationsmotor zu machen, angesichts der stark unterschiedlichen Entwicklung von Produktivität, Preissteigerungsraten und Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten unrealistisch.
Fortschritte in Richtung auf eine Währungsunion setzen Erfolge bei der Annäherung der
wirtschaftlichen Entwicklung in der Gemeinschaft voraus.
Die Währungsunion ergibt sich als Resultat einer solchen Angleichung der wirtschaftlichen Entwicklung ...
So, meine Damen und Herren, äußern sich auch heute viele Sachverständige, und man sollte sie nicht als provinzlerisch abtun, wenn sie die Sorge äußern, ob dies so überhaupt funktionieren kann. Immerhin ist das System von Bretton Woods gescheitert; der Werner-Plan ist nicht zustande gekommen; der wiederholte Versuch, die Schlange größer zu machen, ist nicht erfolgreich gewesen. Das hat ja seinen Grund.
Alles in allem, meine Damen und Herren: Wir sehen hier einen Versuch mit Chancen, aber auch mit Risiken. Der Herr Bundeskanzler hat eine hohe Verantwortung für mehr Stabilität in Europa und auch für Fortschritte in Europa auf sich geladen. Die CDU/CSU wird die Bundesregierung und den Bundeskanzler an ihren Erklärungen messen. Wir werden alles tun, damit die Risiken möglichst gering sind und die Chancen verwirklicht werden. Soweit sich in der Übergangszeit, die zunächst für zwei Jahre vorgesehen ist, Mängel zeigen, müssen wir alles tun, um diese Mängel zu beseitigen.
Vorrangig für die CDU/CSU: Es darf unter keinen Umständen eine europäische Inflationsgemeinschaft entstehen.
Eine europäische Inflationsgemeinschaft wäre kein europäischer Fortschritt, sondern wäre ein Rückschlag für Europa und würde letztlich zur Zerstörung des freiheitlichen Europa führen. Die CDU/ CSU ist für ein Europa der Geldwertstabilität. Nur auf ihrer Grundlage kann Wohlstand für alle erreicht werden, können ein gesundes Wachstum und Vollbeschäftigung erreicht werden. Daran werden wir die Bundesregierung messen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hätten wir die Übung, politische Äußerungen musikalisch zu unterlegen, so würde es sich bei der ersten Stellungnahme der Opposition zum geplanten Europäischen Währungssystem empfohlen haben, eine Wagner-Platte aufzulegen. Zur Tragik des damaligen Verstrikkungs- und Untergangsmotivs — der Herr Strauß hatte noch mitgeunkt — hätte sich ein Blech- und Paukengewitter hübsch ausgenommen.
Später ging's dann moderater.
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Rapp
Aber noch war ja, so der Klartext einer Verlautbarung vom 27. September, das Schicksal des Scheiterns vorgezeichnet. Ein wehmütiges Abschiedslied hätte vielleicht gepaßt.
Anfang dieses Monats — in der Presse war von einem Einlenken der Opposition die Rede — wurden dann geradezu Kammertöne angeschlagen. Heute hätten Sie, Herr Häfele, es gern wieder ein bißchen wuchtiger gehabt. Ich würde vorschlagen, daß Sie zu diesem Thema, wie wohl überall empfehlenswert, was Ihre Äußerungen anlangt, ein Potpourri auflegen, zu dem dann auch durchaus etwas Nostalgisches gehören darf.
Wir Sozialdemokraten, Herr Kohl, sind derart geschichtslose Gesellen auch wieder nicht, daß wir für die historische Dimension der Schaffung des Europäischen Währungssystems gänzlich unempfänglich wären. Wir stellen dieses Ereignis in eine Reihe mit der Schaffung des gemeinsamen Marktes im Jahre 1958 und mit der Schaffung des Europäischen Rates im Jahre 1974. Damit meinen wir zunächst einmal die Entscheidung über das System. Wer wann beitritt, ist eine andere Frage, wenngleich wir — wer will es verhehlen — uns sehr gefreut hätten, wenn dieser quantitative Aspekt schon jetzt so überzeugend zum Tragen gekommen wäre, wie das für den qualitativen gilt.
Die Situation, der Befund Europas, der unter deutscher Präsidentschaft zu diesem Schritt gedrängt hat, wird weithin einhellig beurteilt. Ein allzulanger Stillstand der Integrationsbemühungen hat bereits Rückschritte bewirkt. Nach dem Scheitern des großen Entwurfs der frühen 70er Jahre einer Wirtschafts- und Währungsunion waren Resignation und Immobilismus eingezogen. Als dann im Jahre 1973 aus den bekannten Gründen vollends noch das System der festen Wechselkurse zerbrach, das dem europäischen Einigungsprozeß im ganzen und dem Gemeinsamen Markt im besonderen als eine geradezu selbstverständliche Voraussetzung mit auf den Weg gegeben worden war, gingen die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in zwei Gruppen auseinander. Die einen hielten den „Schlange" genannten Währungsverbund aufrecht, die anderen praktizierten auch innerhalb Europas frei schwankende Wechselkurse.
An weitere Schritte der wirtschafts- und währungspolitischen Konvergenz war da nicht mehr zu denken. Im Gegenteil, der Gefahr eines europäischen Währungschaos haben wir bis in die jüngere Zeit hinein wiederholt ins Gesicht sehen müssen. Symptome der Desintegration traten auf. So ist der Welthandel zeitweise stärker gewachsen als der EG-Binnenhandel. Die Zunahme protektionistischer Machenschaften war nicht mehr zu übersehen.
In der Tat ist es ja absurd, wenn das wirtschaftliche Wohl und Wehe eines Gemeinsamen Marktes von 260 Millionen Menschen, der als der größte Binnenmarkt der Welt konstruiert ist und auf dem die zusammengeschlossenen Volkswirtschaften fast 50 % ihres grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs abwickeln, wenn dieser riesige Markt von sieben verschiedenen Währungen und deren Schicksalen abhängt. Was nützt die faktische Integration auf Grund von Handelsverflechtungen, wenn der ständige Abwertungsdrall bestimmter Währungen wie ein Schutzzoll und wie Exportsubventionen, die Aufwertungstendenz anderer Währungen sich wie Ausfuhrbeschränkungen auswirken?
Die Dollarprobleme kamen ja noch hinzu. In dem Maße, in dem der Dollarkurs sich von den realen wirtschaftlichen Gegebenheiten löste und zum Spielball der Spekulation auf exterritorialen Dollarmärkten wurde, mußte das System der freien Wechselkurse alles schuldig bleiben, was man sich lehrbuchgemäß davon versprochen hatte. Die Zahlungsbilanzprobleme und die Eingriffe in die Weltwirtschaft sind nicht etwa verschwunden, sie haben sich vielmehr vervielfacht. Wer darauf gesetzt hatte, die freien Wechselkurse böten Schutz gegen die Übertragung von Inflation und Wirtschaftskrisen, wurde bitter enttäuscht.
Die Entdeckung, daß sich gerade zur Zeit der schlimmsten Dollar-Turbulenzen der verbliebene europäische Währungsverbund der Schlange bestens bewährte, hat sicher die Entscheidung mit heranreifen lassen, in Europa jetzt eine breitere und tiefer fundierte Zone der monetären Stabilität zu schaffen, womit sowohl die Stabilität der Wechselkurse als auch die nach und nach zu gewinnende Stabilität der Binnenkaufkraft der zusammengegeschlossenen Währungen gemeint ist. Stabile Wechselkurse stärken das Vertrauen der Marktteilnehmer in die künftige Entwicklung und erleichtern Kalkulationen und Investitionen.
Monetäre Stabilität in diesem umfassenden Sinne ist folglich auch die Voraussetzung für die Stabilität von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. In Wechselwirkung damit ist sie ein wirksamer Damm gegen die sonst zunehmende Gefahr von Handelsbeschränkungen und Handelsprotektionismus.
Das Europäische Währungssystem, meine Damen und Herren, ist die notwendige, die angemessene und die realistische Antwort auf die ökonomische Situation. Daß es auch die richtige Antwort auf die gegebene politische Lage Europas ist, hat der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht.
Die Stationen von Bremen über Aachen bis Brüssel sind bekannt. Die Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, aber auch die Umsicht und die Sorgfalt, mit der dieses Projekt verfolgt und zu guten Ergebnissen geführt wurde, verdient unser aller Respekt. Daß dies unter deutscher Präsidentschaft geschah, darf uns Anlaß zur Genugtuung sein. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat dabei kongeniale Partner gehabt; ich denke vor allem an Präsident Giscard d'Estaing und auch an unsere Bundesbank.
Scheidet man ideologische Verprellungen nationalistischer und kommunistischer Provenienz aus, so war doch durchaus gewichtige Kritik zu bedenken — und sie kam ja nicht nur aus der Opposition. Damit meine -ich nicht die hasenfüßige Art von Leuten, die eine eingebaute Erfolgsgarantie vermis-
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sen. Aus der Rückschau stellen sich die Ingangsetzung des Gemeinsamen Marktes oder die Einführung der Konvertibilität in Europa als geradezu aberwitzige Abenteuer dar, die sicher nicht gewagt worden wären, wären die Akteure von damals kleinmütige „Bundesbedenkenträger" gewesen. Einer von ihnen hat vor kurzem gemeint, die ökonomische Logik habe damals für den Abbau der Handelsschranken gesprochen, heute spreche sie für die Beibehaltung des Systems flexibler Wechselkurse. Nun denkt ja niemand daran, zum globalen Bretton Woods zurückzukehren; man muß aber doch schon sehr auf seine Schulbücher fixiert sein, wenn man nicht begreift, daß die europäische Situation des Jahres 1978 einerseits ganz andere Gefahren signalisiert, andererseits aber auch ganz andere Chancen bietet als die globale Situation des Jahres 1973.
Was die Ausgangslage anlangt, so ist der Umstand, daß die neun Staaten unterschiedliche ökonomische Daten ausweisen, zwar beachtlich, die Tatsache aber, daß es eine Konvergenz dieser Daten zum Besseren hin gibt, wichtiger und letzten Endes ausschlaggebend. Der Fächer der Inflationsraten in der EG, der sich noch vor einem Jahr in Verhältnis 1 :4 auseinanderspreizte, hat sich auf weniger als 1 :3 zusammengefaltet. In Italien hat sich die Preissteigerungsrate halbiert, in Großbritannien ist sie von 20 auf 8 % zurückgegangen; Frankreich hat sich das in der Tat überaus ehrgeizige Ziel gesetzt, in absehbarer Zeit auf 6 % herunterzukommen. Dabei ist der Franc gegenüber der D-Mark zur Zeit eher unter- als überbewertet.
Weltweit hat man erfahren müssen und dies durch die Stagflation eingebleut bekommen, daß sich nirgendwo mehr mit etwas mehr Inflation nachhaltig mehr Beschäftigung kaufen läßt. Insbesondere alle EG-Staaten haben aus dieser Einsicht Konsequenzen gezogen, daß Inflation zu ökonomisch falschen Entscheidungen führt und deshalb mit Wachstums-und Beschäftigungseinbußen bezahlt werden muß. Gerade die Bundesrepublik hat den Beweis erbracht — und in den internationalen Gremien war es die Bundesregierung, die darauf insistiert hat —, daß nachhaltiges Wachstum und dauerhafte Beschäftigung nur auf der Grundlage eines stabilen Geldwertes zu erreichen sind. Dies ist zwar keine hinreichende, aber sicher eine notwendige Voraussetzung für Wachstum und für Beschäftigung.
Allein schon die Diskussion über das Europäische Währungssystem hat im letzten halben Jahr zur Vertiefung und zur Nutzanwendung aus dieser Einsicht geführt. Heute gibt es in Europa bereits fünf Länder, deren Preissteigerungsraten unter 4 % liegen. Was rechtfertigt eigentlich die Unterstellung, diese Staaten hätten nichts Dümmeres im Sinn, als diese mühsam errungenen Erfolge zu verspielen? Spekulativ überzogene Abwertungen können wegen steigender Einfuhrpreise diese Stabilitätserfolge gefährden. Andererseits ist aber klar, daß stark und nachhaltig auseinanderlaufende Preisentwicklungen und Wechselkursstabilität logisch nicht unter einen Hut gehen. Stabile Preise und stabile Wechselkurse bedingen einander; Beschäftigungsstabilität ist die Folge aus diesem Bedingungszusammenhang.
Dies darf freilich nicht so verstanden werden, daß über unsere Partnerländer mit noch verhältnismäßig hohen Preissteigerungsraten unser Stabilitätsniveau sozusagen von heute auf morgen verhängt werden könnte. In den Konstruktionselementen des Europäischen Währungssystems selbst, dann aber auch im davon getrennten flankierenden Kreditsystem sind Mechanismen angelegt und Hilfen angeboten, die friktionslose übergänge zu größerer Stabilität und damit zu inflationsfreiem Wachstum ermöglichen. Mit dem Eintritt in das Europäische Währungssystem geht das Bemühen um die Konvergenz der Wirtschaftspolitiken erst richtig los. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik, die da europäisiert werden soll, ist, wie gesagt, diejenige des inflationsfreien Wachstums. Es ist nicht so, daß dies alles selbstgesteuert vonstatten ginge, aber wir haben ein System vor uns, das vernünftiges Verhalten belohnt und das das anonyme Abladen der Folgen von Unvernunft vor anderer Leute Haustür unmöglich macht. Damit ist nicht gesagt, daß jedes Schwachwerden einer Währung die Folge von Unvernunft sein müßte. Das Europäische Währungssystem ist tendenziell auf Symmetrie angelegt. Müssen Schwachwährungsländer zur Kredit- und Haushaltsdisziplin angehalten werden, so wird den starken Ländern systembedingt abgefordert, ihre Wirtschaft bis zur geldwertorientierten Ausschöpfung ihres Kapazitätsmantels voll auf Touren zu bringen. Die Sorge etwa der Italiener und der Engländer, sie könnten durch das Europäische Währungssystem in ein Brüning-Schema der Deflation gezwungen werden, ist unbegründet; es ist jedenfalls nicht systembedingt.
Bei richtiger Handhabung könnte das Europäische Währungssystem eine ähnliche stabilitätsübertragende Wirkung haben wie weiland die sagenhafte Automatik des Goldstandards, wobei sich Stabilität wiederum in ihrer umfassenden Wirkung sowohl auf den Außen- und Innenwert der Währung als auch auf die Beschäftigung bezieht.
Inflationsängste hier bei uns, zum Teil auch geschürt, Deflationsängste dort, in England und Italien leider läßt sich dies nicht saldieren. Solche Angste haben auch damit zu tun, daß währungspolitische Zusammenhänge zu Unrecht für eine undurchdringliche Geheimwissenschaft gehalten werden. Ich würde es begrüßen, wenn das Bundesfinanzministerium das Europäische Währungssystem in einer leicht faßlichen Broschüre transparent und vielen verständlich machen würde.
Bezugsgröße des Systems ist die Europäische Währungseinheit ECU, die sich von einem Währungskorb her definiert, in den die europäischen Währungen mit der Gewichtung eingehen, die sie schon heute im Korb der Europäischen Recheneinheit haben. Diese Recheneinheit ist derzeit 2,52 DM wert. Für jede Teilnehmerwährung wird nun eine Parität zu dieser Währungseinheit bestimmt. Die Parität der D-Mark entspricht demgemäß reziprok 0,39682 ECU. Faßt man die Gesamtheit dieser Paritäten in einer Tabelle zusammen, für die man Begriffe wie Paritätenraster und Paritätengitter erfunden hat, so läßt sich aus ihr der Wert jeder Teilneh-
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merwährung gegenüber jeder anderen Teilnehmerwährung ablesen. Der Kassakurs einer jeden Währung kann nun im Vergleich zu dem so ermittelten Leitkurs nach oben oder unten um 2,25 % abweichen. Den bisher nicht in der Schlange vereinigten Beitrittsländern kann ein Spielraum bis zu 6 % nach beiden Seiten eingeräumt werden, der freilich schrittweise abgebaut werden muß.
Jenseits der so festgelegten Interventionspunkte haben die beteiligten Notenbanken starke Währungen zu verkaufen, schwache zu kaufen, wofür sie Gemeinschaftswährung einzusetzen haben. Durch die Intervention werden die Kurse der beiden Währungen wieder in die zulässige Brandbreite zurückgeholt. Da in solchen Fällen jeweils zwei Währungen gleichzeitig an ihre Interventionspunkte stoßen — ihre Marktkurse, sind ja in der jeweils anderen Währung ausgedrückt —, ergeben sich, wie gesagt, für die beiden betroffenen Notenbanken Interventionspflichten. Die Interventionslast ist also gleichmäßig verteilt.
Die Teilnahme an einem solchen Interventionssystem der gleichmäßig verteilten Interventionslast dokumentiert die Bereitschaft, im Europäischen Währungssystem die Weichen zu mehr Stabilität und nicht etwa auf die bequeme Nivellierung der unterschiedlichen Inflationsraten hin zu stellen. Die Sorge, Herr Kollege Häfele, daß dieses ein System zur Nivellierung der Inflationslevels auf der mittleren Linie werden könnte, ist vom System her im Grunde ausgeschlossen, sofern man das System seinem Sinn und seinem Buchstaben nach handhabt.
Zur Sicherstellung und erleichterten Abwicklung der Interventionen räumen sich die Notenbanken zunächst kurzfristige Kreditlinien ein. Die aus den Interventionen entstehenden Forderungen und Verpflichtungen werden saldiert und müssen innerhalb von 45 Tagen ausgeglichen werden. Sie werden in ECU ausgedrückt. Die Transaktionen zwischen den beteiligten Notenbanken werden in ECU ausgeführt. Um dieses System kurzfristiger Kredite, das sich aus zugeteilten ECU speist, lagert sich als zweite Verteilunglinie der kurzfristige Währungsbeistand mit Laufzeiten bis zu künftig neun Monaten, wobei zweimal je 30 Tage verlängert werden kann, was im Vergleich zur Schlange eine gewisse Neuerung bedeutet.
Als dritte Linie ist dann der mittelfristige Beistand mit Laufzeiten von zwei bis fünf Jahren aufgebaut. Die beiden Beistände müssen beantragt werden; sie stehen nicht ohne weiteres zur Verfügung. Der mittelfristige Beistand wird nur gegen die Zusicherung einer bestimmten, auf die Rückgewinnung des Gleichgewichts gerichteten Wirtschaftspolitik gewährt.
Die aus den Stützungskäufen entstandenen Forderungen und Schulden der Notenbanken werden, wie gesagt, in ECU verbucht und ausgeglichen. Um den Ausgleich sicherzustellen, hinterlegen die Notenbanken 20 % ihrer Bestände in Gold und Dollars beim bereits bestehenden Europäischen Währungsfonds. Dafür werden ihnen ECU gutgeschrieben, die sie für ihre Stützungsaktionen brauchen.
In der Anlaufphase des Systems werden die zu hinterlegenden Anteile an den Gold- und Devisenbeständen dem Fonds nicht übereignet, sondern in Form von Swap-Krediten ausgereicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Zeitel?
Herr Kollege Rapp, ist Ihnen bekannt, zu welchen Preisen das Gold dem Fonds zur Verfügung gestellt werden soll und wie beurteilen Sie die Wirkung in dem Fall, daß marktnahe Preise zugrunde gelegt werden?
Die Regierungschefs haben die Festlegung der Kurse des Goldes und der Dollars, die im Swap-Verfahren übergeben werden sollen, den Notenbankchefs anheimgegeben und dabei zum Ausdruck gebracht, daß marktnahe Kurse festgelegt werden sollen.
Nach der auf zwei Jahre angesetzten Anlaufzeit wird es zur Übereignung an den noch zu schaffenden europäischen Fonds neuer Art kommen, wozu dann in der Bundesrepublik ein gesetzgeberischer Akt erforderlich sein wird.
Das Finanzierungsvolumen für die Beistände soll sich auf 25 Milliarden ECU — das sind etwa 63 Milliarden DM — belaufen. Diese 25 Milliarden ECU werden auf den kurz- und den mittelfristigen Beistand im Verhältnis 14 : 11 aufgeteilt.
So kompliziert dies alles klingt, es läßt sich auf den einfachen Nenner bringen, daß sich die Notenbanken gegenseitig helfen, die beschlossenen Leitkurse auch tatsächlich einzuhalten.
Nun darf man natürlich nicht fundamental falsch gewordene Wechselkurse mit Stützungskäufen aufrechterhalten wollen; vielmehr geht es um die Glättung der täglichen Schwankungen.. Sind Wechselkurse fundamental unrichtig geworden, so müssen sie angepaßt, d. h. auf- oder abgewertet werden. Dies muß rechtzeitig geschehen. Die schlechte Alternative dazu wären geldmengenerhöhende Interventionen, die das stabilitätspolitisch vertretbare Ausmaß übersteigen müßten. Andererseits ist es aber ja gerade der Witz des Systems, daß es nicht zu allzu häufigen Auf- und Abwertungen kommen soll.
Dazwischen liegt ja z. B. noch der Puffer der Zinspolitik. Ist das Zinsniveau im währungsschwachen Land spürbar höher als im währungsstarken Land, so wirkt dies tendenziell auf Ausgleich des zugrunde liegenden Inflationsgefälles hin und setzt Kapitalbewegungen in Gang, die die Marktkurse korrigieren.
Auf- und Abwertungen müssen unter den Partnern abgesprochen werden. Die Befürchtung, in der darin liegenden Gefahr des allzu langen Festhaltens an falschen Wechselkursen liege das eigentliche Inflationspotential des Systems, scheint mir unbegrün-
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det zu sein. Natürlich gibt jeder Staat ein Stück Autonomie ab, aber doch um den Gegenwert, dadurch die Entscheidungsfindung der anderen mit beeinflussen zu können.
Fundamental falsche Wechselkurse würden das System sprengen. Wer soll daran interessiert sein?
Was diese Inflationsfurcht anbelangt — und ich wiederhole noch einmal: Sie ist auch im Zusammenhang mit dem europäischen Währungssystem zum Teil von Oppositionspolitikern geschürt worden —, so sollte im übrigen doch auch einmal darauf hingewiesen werden, daß die Bundesbank seit Beginn der Dollarstützung über drei Dutzend Milliarden DM in das Abenteuer investiert hat, den Dollar aus den Klauen der Spekulation freizukaufen. Die D-Mark ist darob nicht kaputtgegangen. Nicht jede Kursstützung führt zur Inflation. Die Bundesbank kann gegenhalten, kann zusätzliches Geld neutralisieren. Das Geld, das für die Dollarstützung ausgegeben wurde, blieb im Kreislauf. Im Unterschied dazu kehrt es im europäischen Währungssystem kreislaufentlastend wieder zurück.
Im Vergleich zum Dollar sind die europäischen Währungen „Minigrößen". Insbesondere steht hinter ihnen nicht das Gebirge jederzeit beweglicher Liquidität auf den exterritorialen Märkten.
Das Europäische Währungssystem ist viel strenger, viel stringenter als das System der Dollar-Interventionen, das wir bekanntlich recht gut überlebt haben. Man weiß, was man für etwa erforderliche Interventionen im Rahmen des Europäischen Währungssystems bekommt. Hat man dies bei den Dollar-Interventionen denn je gewußt? Vielleicht wäre der Dollar weniger stark gefallen, wäre mangels Interventionen die Spekulation gefährlicher gewesen.
Auch wer die auf Stabilität gerichteten Konstruktionselemente des Europäischen Währungssystems geflissentlich übersehen will, wird die Inflationsfurcht vor diesem System angesichts der 600 Milliarden Dollar der Fremdwährungsmärkte doch zu relativieren wissen. Übrigens schafft die Stabilisierung des Dollars jetzt durchaus auch Raum für etwaige Interventionen im Rahmen des EWS.
Erledigt hat sich die Sorge, die an das sogenannte Frühwarnsystem geknüpft war. Parallel zur Einhaltung der bilateralen Schwankungsbreite zwischen den Währungen soll auch die Entwicklung jeder einzelnen Währung gegenüber dem Marktwert des ECU verfolgt werden. Daraus ergibt sich ein Indikator, der Beratungen, nicht aber automatische Interventionen auslöst. Diese Konsultationen stellen die Beteiligten vor eine Reihe von Handlungsalternativen, z. B. zins- und geldpolitischer oder sonst wirtschaftspolitischer Art oder auch die der Kursänderung. Auch diversifizierte Interventionen sind möglich, doch können sie entgegen ursprünglicher Befürchtung nicht erzwungen werden. Das ist deshalb richtig, weil eine solche Verpflichtung nur einen Adressaten hätte, das Land mit der Währung, die von der insoweit anonymen ECU abweicht. In einer solchen asymmetrischen Intervention läge in der Tat ein beträchtliches Inflationspotential. Wir haben diese Gefahr bannen können.
Wer dieses System mit dem bestehenden Wechselkursverbund, der Schlange, vergleicht, wird feststellen, daß da kein radikaler Neuanfang gemacht, sondern daß da vielmehr Bewährtes ausgebaut und weiterentwickelt wird. Was anders ist, ist weiterführend im Sinne von Fortschritten auf dem Weg zur europäischen Einigung.
Die europäische Integration wird durch das Europäische Währungssystem kräftige Impulse erfahren. Zwischen der Währungspolitik einerseits und der Wirtschafts- und Finanzpolitik andererseits bestehen Wechselwirkungen. Auffassungen, wonach das eine oder andere Integrationsziel, wirtschafts- oder währungspolitische Integration, zeitlich Vorrang haben sollte, gehen deshalb fehl.
Das Europäische Währungssystem schafft günstigere Rahmenbedingungen für die Koordinierung aller anderen Politiken. Mehr monetäre Stabilität bewirkt mehr Beschäftigungsstabilität. Mehr Wohlstand führt zu größerer politischer Stabilität. Diese erhöht das Gewicht der Europäischen Gemeinschaft in der Welt.
Es ist richtig, daß der Erfolg der gestern zu Ende gegangenen Verhandlungsrunde insoweit begrenzt geblieben ist, als Großbritannien einstweilen nicht beitreten wird, woraus sich für Irland, dessen Währung bisher auf das Pfund hin orientiert war, gewiß Probleme ergeben. Italien und Irland haben sich 14 Tage Bedenkzeit ausgebeten. Das hängt mit dem flankierenden Ressourcentransfer von den mehr zu den weniger wohlhabenden Ländern der Gemeinschaft zusammen, der außerhalb des Europäischen Währungssystems z. B. über den Regionalfonds organisiert werden soll.
So gewiß es ist, daß die Dauerhaftigkeit des Europäischen Währungssystems vom weiteren Zusammenfalten des Inflationsfächers und damit auch von der Einebnung der Einkommensunterschiede in den verschiedenen Regionen abhängt, so richtig ist doch auch, daß die hierfür zu Recht geforderte Solidarität der wohlhabenden Länder nicht durch Überforderung aus der Balance gebracht werden darf — was gemeint ist, wenn man davon spricht, daß Solidarität nicht eine Einbahnstraße sein kann. Wir sind zuversichtlich, daß sich diese Einsicht noch Bahn brechen wird, worauf sich auch unsere Hoffnung und Erwartung gründet, daß das Europäische Währungssystem am 1. Januar 1979 mit acht Teilnehmern starten kann. Das System wird für weitere Teilnehmer offengehalten. Die Bundesregierung als Präsidialmacht wird interessierte Länder einladen.
Das System ist auf Lernfähigkeit angelegt. Der Währungskorb soll von Zeit zu Zeit neu geeicht werden. Die Regelungen werden im Lichte der Erfahrungen überprüft. Das gilt auch für die Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaftskraft der weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten. All diese Erfahrungen werden sich nach Ablauf von zwei Jahren in dem dann zu installierenden endgültigen System verdichten und niederschlagen.
Die Wechselkurspolitik der Gemeinschaftsländer gegenüber dem Dollar und anderen Drittländern verbleibt in der Verantwortung der nationalen Autori-
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L) täten. Da sie Rückwirkungen auf das Europäische Währungssystem hat, wird sie wie bisher koordiniert werden. Daß das Europäische Währungssystem die Dollarprobleme nicht löst, ist ja auch schon beklagt worden. Aber wie sollte dies denn sein können? Das Europäische Währungssystem kann die Wirkung von Spekulationswellen aus dem Dollar auf die einzelnen Währungen abmildern. Im übrigen werden von der größeren Währungs- und Wirtschaftsstabilität in Europa stabilisierende Wirkungen auf Geldwert, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung auch anderer als der Gemeinschaftsländer ausgehen. Das Europäische Währungssystem richtet sich gegen niemanden, weder nach außen, wo die Kompatibilität mit dem Internationalen Währungsfonds, noch nach innen, wo die Autonomie der Bundesbank voll gewahrt bleibt.
Die SPD-Fraktion, meine Damen und Herren, wird das jeweils ihr Mögliche tun, um dem Europäischen Währungssystem zum Durchbruch und zum Erfolg zu verhelfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bangemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing hat gestern das Ergebnis der Brüsseler Konferenz gewürdigt, indem er sagte — ich zitiere —:
Dies ist ein wesentlicher Schritt. Ich bin der Auffassung, daß es seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge zwei große Daten gegeben hat: die Bildung des Europäischen Rats im Herbst 1974 und die Schaffung des Europäischen Währungssystems 1978.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion ist der Auffassung, daß der Beschluß des Gipfels in Brüssel in der Tat nur dann voll und gerecht gewürdigt wird, wenn man auch die politischen Indikationen berücksichtigt, die mit der Schaffung eines solchen Währungssystems verbunden sind. Dieses Währungssystem ist wirtschafts- und währungspolitisch, aber auch darüber hinaus politisch von größter Tragweite. Die politischen und die währungs- und wirtschaftspolitischen Erwägungen müssen sich hier verschränken. Die wirtschaftliche Bedeutung des neuen Systems entfaltet sich erst, wenn man sie in ihrem politischen Zusammenhang sieht. Die politische Zielsetzung wird sich sicherlich auf das wirtschaftliche Fundament stützen können, das damit neu geschaffen ist; denn die Europäische Gemeinschaft hat sich in den vergangenen Jahren auch mit Blick auf die großen Anfangserfolge, die sie gehabt hat, deswegen nicht so weiterentwickelt, wie wir uns das alle gewünscht haben, weil die Währungs- und Wirtschaftspolitik nicht den Weg zu einer echten Währungs- und Wirtschaftsunion fand.
Alle Ansätze in den Einzelpolitiken sind ohne Zusammenhang geblieben, weil das verbindende Band, das in diesen währungspolitischen Einigungen gelegen hätte, fehlte. Wir wissen alle — und der Kollege Häfele hat darauf hingewiesen —, daß der der Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods dazu beigetragen hat, daß der Werner-Plan nicht ausgeführt werden konnte, der ja auf festen Wechselkursen beruhte. Diese Voraussetzung fiel mit dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods weg.
Das bedeutet aber auch, meine Damen und Herren, daß alle übrigen Politiken eben nicht mehr das Fundament hatten, das sie brauchten. Am deutlichsten wurde das bei der Agrarpolitik. Die Agrarpolitiker haben sich im Europäischen Parlament und auch hier immer zu Recht verteidigen müssen gegen die Auswirkungen, die die fehlende währungspolitische Zusammenarbeit in Europa hatte. In der Tat haben wir ja erst seit einigen Jahren diese Beträge, die wir zum Währungsausgleich zur Verfügung stellen mußten, gesondert im europäischen Haushalt ausgewiesen, um einmal deutlich zu machen, daß nicht alle Kosten, die man der Agrarpolitik zuschreibt, tatsächlich agrarpolitisch verursacht sind, sondern zum großen Teil auch währungspolitisch.
Wenn wir hier also einen neuen Ansatz machen, so bedeutet das eine neue Möglichkeit auch für diese Einzelpolitiken. Das bedeutet eine neue Möglichkeit auch für den Ausgleich von regionalen Ungleichgewichten. Ich sage das vor allen Dingen auch unseren Mitgliedsländern, die darauf bestanden haben — wie etwa die Briten oder die Italiener —, daß man zusätzliche Maßnahmen zum Währungssystem vereinbart, weil sie befürchteten, daß die Auswirkungen dieses Währungssystems noch stärkere Nachteile für die bisher wirtschaftlich sowieso benachteiligten Regionen mit sich brächten. Meine Damen und Herren, wir wissen das aus der Erfahrung der Bundesrepublik: Eine stabilitätsorientierte Wirtschafts- und Währungspolitik ist die beste Grundlage dafür, soziale und wirtschaftliche Erfolge zu erzielen und auch Ungleichgewichte in den Regionen auszugleichen.
Ich sage das nicht, um andere zu tadeln, sondern einfach, um festzustellen, wie die Erfolge und Mißerfolge ihrer Politik waren. Wer Inflationspolitik in Europa betreibt, trägt dazu bei, daß in der Tat die, ärmeren Regionen ärmer und die reicheren Regionen reicher werden.
Deswegen bedanke ich mich auch im Namen meiner Fraktion bei dem Bundeskanzler dafür, daß er sich von Anfang an so sehr für die Schaffung dieses Währungssystems auch persönlich eingesetzt hat. Der Kollege Häfele hat das ja auch einmal gewürdigt in einer Erklärung, die er im November abgegeben hat. Er meinte allerdings, dieser persönliche Einsatz sei in zweifacher Weise vielleicht eine Gefahr; einmal für den Bundeskanzler selbst, der dabei scheitern könne, wenn er das System nicht durchsetze, und zum anderen für das System selber; denn dieser große Einsatz des Bundeskanzlers bringe die Gefahr mit sich, er könne sich erpressen lassen
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9497
Dr. Bangemann
und könne vielem zustimmen, was er vielleicht gar nicht verantworten könnte.
Damals konnte man vielleicht theoretisch von dieser Gefahr sprechen. Heute haben Sie hier in dankenswerter Offenheit und Ehrlichkeit bestätigt, daß der Bundeskanzler sich nicht erpressen ließ, sondern daß wir unsere Stabilitätspolitik auf eine europäische Ebene übertragen konnten. Das ist der wesentliche politische Erfolg, der mit der Einrichtung dieses Systems verbunden ist.
Die Währungsstabilität und Geldwertstabilität, die wir hier erreicht haben und auf die Sie Bezug genommen haben, Herr Häfele, entsteht ja nicht von selbst, sondern die entsteht durch die Politik, die diese Regierung, getragen von der SPD- und FDP-Fraktion, betrieben hat. Es wäre vielleicht ganz gut, das an dieser Stelle zu erwähnen, weil es uns sicher auch gelingen wird, diese Politik unseren Partnern so verständlich zu machen, daß Sie darin nicht den Versuch sehen, eine deutsche Hegemonie zu errichten,
sondern den echten Versuch eines Beitrags zur europäischen Solidarität. Wir wollen uns solidarisch verhalten in Europa. Niemand in der Bundesrepublik denkt daran, andere auch nur wirtschafts- oder geldpolitisch zu beherrschen.
Meine Fraktion hat im November beschlossen, ihre Haltung in den Beratungen zum Währungssystem klar darzulegen. Wir haben das öffentlich gemacht. Ich darf deswegen mit Genehmigung des Herrn Präsidenten die wichtigsten Punkte aus dieser Resolution vortragen, weil dies Ihnen und der politischen Öffentlichkeit erlaubt, zu vergleichen, was der politische Standpunkt der FDP-Fraktion zu diesem Zeitpunkt war und wie sich das Ergebnis, verglichen mit diesem politischen Standpunkt, ausmacht. Ich finde es gut, daß man, schon bevor ein Ergebnis feststeht, sagt: So wollen wir es machen. Wenn das Ergebnis dann feststeht, muß man sich allerdings der Probe unterziehen, den Vergleich zu akzeptieren, ob man sich mit seinen Vorstellungen durchgesetzt hat oder ob man sich und anderen eingestehen muß: Wir haben uns nicht durchgesetzt. Ich glaube, das ist ganz wesentlich. Das ist auch für die Opposition wesentlich.
Deshalb begrüße ich es, daß der Kollege Häfele für seine Fraktion im November erklärt hat, daß die Spannungen innerhalb der bestehenden europäischen Währungsschlange, die DM-Aufwertung und andere Dinge zeigen, daß die Voraussetzungen für die Rückkehr zu einem Währungssystem auf der Basis fester Wechselkurse nicht gegeben sind. Genau dies — hat er damals erklärt — beabsichtige aber die Bundesregierung mit ihren Plänen für einen neuen EG-Währungsverbund, der bereits am 1. Januar 1979 in Kraft treten soll. Sie waren also im November strikt dagegen.
Im Dezember, einen Monat später, haben Sie erklärt: Die Fraktion der CDU/CSU steht Bemühungen, in Europa einen Währungsverbund zu schaffen, grundsätzlich positiv gegenüber.
Ich begrüße es, daß Sie innerhalb eines einzigen Monats sich so lernfähig
und entwicklungsfähig gezeigt haben, Herr Häfele.
Denn Sie haben im November genau das Entgegengesetzte zu dem gesagt, was Sie im Dezember sagten.
— Ich kann, wenn Sie wollen. Ich bin auch gern bereit, dazu beizutragen, daß . die Öffentlichkeit voll darüber unterrichtet wird, daß Sie im November das Gegenteil von dem gesagt haben, was Sie im Dezember sagen.
— Ich lese es:
Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion können die auch von den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten, dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dem Wissenschaftlichen Beirat beim Wirtschaftsministerium geäußerten Bedenken nur ausgeräumt werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind.
— Nun warten Sie doch! Ich nenne das ja alles! Übrigens ist das in der Tat sehr kurz. Gestern abend gingen die Beratungen zu Ende. Inzwischen konnten sich noch nicht alle äußern. Aber die von Ihnen hier Zitierten haben sich teilweise schon geäußert, z. B. die Bundesbank, die den Beschluß der neun Staats-und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft begrüßt hat,
in Europa mit dem Europäischen Währungssystem eine Zone monetärer Stabilität zu schaffen.
Auch der Bundesverband Deutscher Banken hat die Teilnehmer am Europäischen Währungssystem aufgefordert, ihre Beteiligung als Verpflichtung zur konsequenten Bekämpfung der Inflationsprobleme anzusehen. Genau das wollen wir machen.
Und genau das ist mit diesem Währungssystem besser möglich, zu dem Sie im November mit der Überschrift „EG-Währungsverbund — ein Irrweg" Stellung genommen haben. Das war Ihre Auffassung.
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Dr. Bangemann
Die Überschrift lautete: „EG-Währungsverbund — ein Irrweg".
— Die Voraussetzungen, die Sie im November genannt haben, bestanden schon damals genauso. Es ist nicht wahr, was Sie gesagt haben.
— Nein. Seither hat sich überhaupt nichts geändert. Der Beschluß von Brüssel nimmt ausdrücklich auf den Beschluß von Bremen Bezug. Wenn Sie die Protokolle nachlesen, beispielsweise die Protokolle über die Beratungen der Finanzministerräte, die zwischen Bremen und Brüssel stattgefunden haben, dann werden Sie feststellen: Alle wesentlichen Elemente dieses Währungssystems sind seit Bremen in den Beratungen fortlaufend weiterentwickelt, aber nie geändert worden.
— Das ist doch so offensichtlich wie nur irgend etwas. Wenn Sie im November sagen, der EG-Währungsverbund sei ein Irrtum, und dann sagen, daß Sie ihn grundsätzlich begrüßen, dann begrüße ich es, daß Sie sich in einem Monat so fortentwickeln können. Das ist ungeheuer. Wirklich gut ist das!
— Ich will hier keinen Buhmann aufbauen.
Ich will nur dazu beitragen, daß jemand, der sich politisch geäußert hat, sich einen Monat später an seine Äußerung erinnert.
Und nun will ich Ihnen vortragen, was die FDP-Fraktion vor einem Monat gesagt hat.
— Wörtlich! Alles!
Als politische Schwerpunkte sieht die Fraktion in diesem Zusammenhang an:
a) Während der Übergangszeit weitere Bandbreiten für die Währungen vorzusehen, welche die Verpflichtungen aus dem System nicht in vollem Umfang zu tragen in der Lage sind, um allen Währungen in der Gemeinschaft die Teilnahme zu ermöglichen; zusätzliche Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft finanziell schwächerer Mitglieder bedürfen sorgfältiger Prüfung. Falls unumgänglich, sollte ein gemeinsames schrittweises Vorgehen mit denjenigen Währungen zusammen unternommen werden, die in der
Lage sind, die sich aus diesem System ergebenden Folgen zu tragen.
Ergebnis von heute, meine Damen und Herren: Diese weiteren Bandbreiten wurden für die Währungen vorgeschlagen, die sich nicht in der Lage sahen, die Verpflichtungen aus dem System in vollem Umfang zu tragen. Wir haben den Versuch gemacht, alle in dieses Währungssystem aufzunehmen. Als das nicht ging, haben wir uns damit begnügt, dieses System mit denjenigen zu beginnen, die dazu bereit sind.
b) Die ersten Schritte des Systems mit dem bestehenden System der Schlange so zu verbinden, daß die Vorteile der Schlange nicht aufgegeben werden müssen.
Dies ist geschehen.
c) Alle währungspolitischen Bemühungen mit dem Ziel zu unternehmen, Kursschwankungen zu begrenzen, die Inflationsraten zu reduzieren ... , wichtige wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziele nicht aufzugeben.
Ob diese Ziele erreicht sind, wird sich zweifellos erst im Laufe des Währungssystems beurteilen lassen. Aber wir werden uns im Laufe der nächsten sechs Monate, im Laufe der nächsten zwei Jahre ja sicher noch damit beschäftigen müssen, wenn dieses System beurteilt und gegebenenfalls geändert werden soll.
Wir haben damals schon gesagt, daß für die Ausgestaltung des Systems folgendes wichtig ist:
d) Die Rechte und Pflichten der am System teilnehmenden Länder grundsätzlich wie im bestehenden System der Schlange zu gestalten,
— das ist auch geschehen, soweit das System der Schlange nicht durch andere zusätzliche Regelungen überschritten worden ist —
e) die Regeln für Devisenmarktinterventionen
und den Saldenausgleich klar zu fixieren.
Das ist geschehen.
Sie dürfen insbesondere nicht zu einseitigen Interventionsverpflichtungen des stabilitätsorientierten Landes führen.
Meine Damen und Herren, das war ein ganz wichtiger Punkt in der Debatte. Jedermann — ich gebe zu: auch die Bundesbank und andere Banken — hat im Vorgriff auf die zu beschließenden Systembestandteile immer wieder davor gewarnt, zu einem System zu kommen, das einseitige Interventionsverpflichtungen eines stabilitätsorientierten Landes vorsah. Darauf hat auch die Opposition hingewiesen.
— Darauf haben Sie hingewiesen; das ist Ihnen zu danken.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9499
Dr. Bangemann
— Ich bedanke mich bei Ihnen. Nun bedanken Sie sich aber auch bei der Regierung, daß wir das durchgesetzt haben.
Denn dies ist Bestandteil des Systems geworden. Nicht die stabilitätsorientierten Länder allein sind bei Überschreitung gewisser Bandbreiten verpflichtet, zu intervenieren, sondern diese Verpflichtung trifft alle. Sie trifft alle in einem vernünftigen Maße.
Wir wollen auch sicherstellen, daß notwendige Wechselkursanpassungen rasch erfolgen. Auch das scheint mir durch das System gewährleistet zu sein. Sie werden sicherlich auch geräuschlos erfolgen, wie Herr Häfele das einmal ausgedrückt hat, obwohl ich nicht ganz genau weiß, was Sie damit gemeint haben.
Sie haben hier in Ihrer Erklärung gesagt:
Frühzeitige und geräuschlose Wechselkursänderungen müssen möglich sein, damit Länder mit hoher Geldwertstabilität diese nicht durch andauernde Interventionen und Geldmengenvermehrung aufweichen müssen.
Geräuschlose Wechselkursanpassungen: das kann man sich sicher so oder so vorstellen. Jedenfalls ist sichergestellt worden, daß notwendige Wechselkursanpassungen rasch erfolgen.
Wir haben, meine Damen und Herren, mit diesem System auch eine Neuheit, die ich nicht unterzubewerten bitte, nämlich die Europäische Währungseinheit. Als wir schon im Herbst 1977 auf dem Kongreß der liberalen und demokratischen Parteien in Brüssel beschlossen haben, einen neuen währungspolitischen Anlauf zu nehmen, um zur Wirtschafts- und Währungsunion zu kommen, und dafür einen Parallelwährung vorgeschlagen haben — darüber haben wir uns danach auch schon einmal im Bundestag unterhalten —, haben alle gelächelt und gesagt: Na ja, die Liberalen müssen eben ab und zu etwas Neues erfinden. Aber was soll denn eine Parallelwährung? Das kann ja gar nicht funktionieren. Das ist sicherlich ein totgeborenes Kind. Das hört sich zwar gut an, aber es wird nicht funktionieren. — Ich wiederhole: Wir haben im Herbst 1977 in der Föderation der liberalen und demokratischen Parteien vorgeschlagen, daß die bestehende europäische Rechnungseinheit zum Kern einer währungspolitischen Zusammenarbeit gemacht wird und damit den Beginn eines Europäischen Währungssystems darstellt. Meine Damen und Herren, genau das ist in Brüssel beschlossen worden.
— Also, wenn Sie da den. Kopf schütteln, muß ich Sie wirklich bitten, einmal das durchzulesen, was gestern beschlossen worden ist. Sie haben doch gerade vom Bundeskanzler gehört, daß die Europäische Währungseinheit, die man nun Ecu nennt, den Beginn einer solchen europäischen Währung mit einer
ganzen Reihe von Funktionen — Interventionsausgleich, Zahlung zwischen den einzelnen Banken und dem Europäischen Währungsverbund — darstellen soll.
— Meine Damen und Herren, ich gebe Ihnen einmal unser Programm. Es lohnt sich nämlich wirklich, das ,Programm zu lesen. Dort haben wir z. B. wörtlich gesagt, diese Währungseinheit könnte als erstes eine Funktion bei einem europäischen Währungssystem erfüllen, das Ausgleichszahlungen der einzelnen Bundes- und Notenbanken untereinander vorsieht. Genau das ist hier geschehen. Wenn Sie eine Reserve in Höhe von 20 % Ihrer Gold- und Dollarreserven in den europäischen Währungsreservefonds einbringen, erhalten Sie eine Gegenleistung in Ecu. Das ist genau das, was wir damals vorgeschlagen haben. Gestatten Sie bitte, daß wir, obwohl wir eine Regierungsfraktion sind, stolz darauf sind, daß wir in diesem Fall schon vor den eigentlichen Regierungsbeschlüssen gedacht haben.
— Aber Herr Kohl, ich habe nicht davon gesprochen, wir seien dabeigewesen: Wir haben vorgedacht. Eigentlich ist das die Aufgabe der Opposition.
Vielleicht sollten Sie sich einmal daran gewöhnen, auch ein bißchen vorzudenken. Dann kämen Sie von diesen Bänken herunter.
Wir haben damals schon gesagt, daß die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank insbesondere für die Durchführung der ihr durch Gesetz übertragenen Aufgaben, die Währung zu sichern und für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik zu sorgen, unangetastet bleiben muß. Meine Damen und Herren, ich sage und erkläre hier für meine Fraktion:
Falls sich in der Prüfung dieses Währungssystems in den folgenden Monaten auch nur die geringste Gefahr für die Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung ergeben sollte, werden wir dieses System nicht weiter unterstützen.
Wir werden dieses System als Instrument unserer stabilitätsorientierten Geldpolitik, die wir in der Bundesrepublik verfolgen, nutzen.
Ich möchte auf einen weiteren Punkt hinweisen, der in den Ausführungen des Bundeskanzlers eine Rolle gespielt hat und der für die weitere Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft von Bedeutung ist, und zwar. die geplanten Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft der weniger wohlhabenden
9500 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Dr. Bangemann
Mitgliedstaaten. Wenn man da von „less prosperous
countries" spricht, hat man .noch nicht den höchsten
Grad der fachmännischen Politikersprache erreicht.
Deswegen schlage ich vor, in Zukunft von „LPC" zu sprechen.
Diese weniger wohlhabenden Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft legen mit Recht Wert darauf, daß ihre Verpflichtungen aus dem Währungssystem ein Äquivalent in einer verstärkten Regionalpolitik, Sozialpolitik, in einem verstärkten Ressourcentransfer zwischen den reicheren und ärmeren Regionen der Gemeinschaft finden müssen. Ich glaube, wir sollten ruhig die richtigen Worte und Bezeichnungen dafür nehmen, ohne daß wir uns damit einer Beleidigung schuldig machen; denn es hat ja vielfältige historische Gründe, daß sich die Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft wirtschaftlich unterschiedlich entwickelt haben.
Ich glaube, wir müssen über das hinausgehen, was in diesem Beschluß vereinbart worden ist. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren — das kann ich nicht im Auftrage meiner Fraktion sagen, das ist jetzt meine persönliche Meinung -: ich halte den Betrag, der hier vereinbart worden ist, für nicht ausreichend, um einen solchen Ressourcentransfer zu finanzieren und wirkungsvoll vorzunehmen. Die Kommission hat eine Sachverständigenkommission, die sogenannte McDougal-Gruppe, beauftragt, einmal zu untersuchen, welchen Effekt der Haushalt der Gemeinschaft auf dieses Ungleichgewicht zwischen den Regionen hat. Diese Sachverständigengruppe hat festgestellt, daß man die heute eingesetzten Mittel verzwanzigfachen müßte, um überhaupt einen volkswirtschaftlich nennenswerten Effekt zu erzielen. Wir sind weit davon entfernt, diese Summe je erreichen zu können, aber die Beträge, die hier vorgesehen sind, sind nach meiner Meinung nicht ausreichend.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf ein institutionelles Problem hinweisen, das sich hier stellt und das der Europäische Rat, wie ich einer Formulierung in diesem Beschluß entnehme, auch wohl gesehen hat, die Frage nämlich, wie diese zusätzlichen Leistungen für Regionen in Mitgliedsländern, die nicht so entwickelt sind, institutionell zu bewirken sind. Meine Damen und Herren, das Europäische Parlament wird mit Sicherheit nicht zulassen, daß es zu einer Automatik dieser Leistungen kommt, die mit Wechselkursänderungen verbunden wird, sondern hier müssen politische Beschlüsse der dafür zuständigen politischen Gremien gefaßt werden. Das heißt: wenn wir eine Verstärkung unserer Regional- und Sozialpolitik vornehmen wollen, dann muß die Haushaltsbehörde, dann müssen Rat und Parlament gemeinsam diese Maßnahmen beschließen und verantworten. Es geht nicht, daß wir sozusagen neben der Reserve, die die eigentlichen Wechselkursschwankungen auffangen und vermeiden soll, eine weitere Reserve haben, aus der dann automatisch Geld abfließt, wenn sich durch die Währungskursänderung anzeigt, daß irgendeine Region solches Geld beanspruchen kann. Wir brauchen eine kohärente, in sich geschlossene Regionalpolitik, und die weiden Sie nur erreichen, wenn man sie durch eine politische Debatte im Parlament, zwischen den Institutionen formuliert und durchsetzt. Deswegen weise ich darauf hin, daß wir die Bundesregierung in diesem Punkte auch dann unterstützen werden, wenn sie dafür sorgt, daß diese begleitenden Maßnahmen im Rahmen der europäischen Institutionen beschlossen werden können.
Letter Teil meiner Bemerkungen, Herr Präsident, meine Damen und Herren: die vier Punkte, die der Bundeskanzler als das Ergebnis der deutschen Präsidentschaft erwähnt hat.
Zu dem einen Punkt, zum Europäischen Währungssystem, haben wir uns heute nachmittag schon unterhalten; dazu brauche ich nichts mehr zu sagen.
Ein Wort zur Erweiterung. Wir begrüßen, daß die Verhandlungen mit Griechenland sich so gut entwickelt haben, daß wir vor einem Abschluß der Verhandlungen stehen und damit zu rechnen ist, daß vielleicht bereits im Jahre 1980 Griechenland Mitglied der Gemeinschaft wird. Wir wünschen aber ebenso, daß die Verhandlungen mit Spanien und Portugal unverzüglich aufgenommen und fortgesetzt werden, damit sie ebenfalls möglichst rasch zu einem Ergebnis kommen; denn die letzten Ereignisse in Spanien zeigen eines ganz deutlich: Wenn es der Europäischen Gemeinschaft nicht gelingt, möglichst rasch diese Länder in ihrer demokratischen Entwicklung dadurch zu unterstützen, daß man sie in die Gemeinschaft der Demokratien in der Europäischen Gemeinschaft aufnimmt, dann kann es möglicherweise Rückfälle in Regierungssysteme geben, die demokratischen Ansprüchen nicht mehr genügen. Das muß man auch im Zusammenhang mit dem einen oder anderen agrarpolitischen Problem sehen. Sicher wird sich hier ein solches Problem vor allen Dingen für Italien und Frankreich stellen. Aber wir sollten diese Frage nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Probleme in der Agrarwirtschaft und in der Wirtschaftspolitik sehen, sondern vor allen Dingen als einen Beitrag, den wir zur Entwicklung der Demokratie in Europa leisten können. Das scheint mir wichtiger zu sein als manches Detailproblem, das dabei auftauchen mag.
Nebenbei gesagt: Weil ich gerade von der Agrarpolitik spreche, darf ich noch einmal auf das Europäische Währungssystem zurückkommen. Es gab schon Befürchtungen, daß das Auswirkungen auf die Agrarpreise des nächsten Jahres haben könnte, negative für die deutsche Landwirtschaft. Auch das wurde ausgeschlossen. Insofern haben wir auch ein befriedigendes Ergebnis zu verzeichnen. — Ich weiß, daß es schlimm ist, wenn die Opposition zugestehen muß, daß man eine gute Regierung hat. Das ist natürlich nicht angenehm; das ist klar.
Man sperrt sich gegen so eine Erkenntnis.
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Dr. Bangemann
— Ich habe mich ja an Sie gewandt. Ihre wachsende Unruhe zeigt auch, daß Sie im Grunde genommen gar nicht mehr wissen, wo Sie mit Ihrer Kritik bei dieser Europapolitik ansetzen müssen.
— Ich bitte Sie! Meine Fraktion ist prozentual besfer vertreten als Ihre!
Außerdem haben wir uns neulich erst über diese Frage unterhalten. Ich darf daran erinnern, daß ein Fraktionskollege von Ihnen hier eine Bemerkung des Fraktionsvorsitzenden der SPD zurückgewiesen hat, weil er darauf hinwies, daß die Präsenz in diesem Saal nicht einfach abzulesen ist — —
— Das ist kein Argument. Das mit diesem allgemeinen Problem zusammenzubringen, hilft dem Parlament bestimmt nicht weiter. Wenn Sie von mir nichts halten, dann gestatte ich Ihnen das gern. Aber wenn Sie vom Parlament nichts halten, dann ist das ein Problem für uns alle, und das muß ich zurückweisen.
Was die Verhandlungen zu Lomé II angeht, so gibt es ein Problem, das noch nicht voll geklärt ist. Das ist die Frage der Einbeziehung der Menschenrechte in das zukünftige System von Lomé II. Wir werden uns auch im Bundestag darüber noch unterhalten müssen. Sicher ist richtig, daß man niemandem ein politisches System vorschreiben kann. Es wäre falsch, Entwicklungsländern aufzuerlegen, in der gleichen Weise demokratische Ordnungen aufzubauen, wie wir das bei uns für selbstverständlich halten; denn aus mancherlei historischen Gründen mögen sie dazu zunächst nicht in der Lage sein. Aber eines, meine Damen und Herren, muß auch klar sein, und zwar gerade für die Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaft: Ein Regime, das ständig und beharrlich Menschenrechte prinzipiell mißachtet, kann nicht, darf nicht auf Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft rechnen, was nicht bedeuten muß, daß nicht im Einzelfall durch direkte Hilfe für die betroffene Bevölkerung etwas geschehen kann; aber eine offizielle Entwicklungspolitik der Europäischen Gemeinschaft muß diejenigen Staaten klar ausscheiden, die diese beharrliche und ständige Verletzung von Menschenrechte nicht unterlassen, denn diese Entwicklungspolitik beruht letzten Endes auf dem Prinzip der Anerkennung dieser fundamentalen Rechte und auf dem Versuch, sie zu Prinzipien einer politischen Ordnung in der Welt zu machen.
Die letzte Bemerkung zu den Direktwahlen: Meine Fraktion unterstützt den Bundeskanzler in der Charakterisierung der Voraussetzungen des Erfolgs oder Mißerfolgs dieser Direktwahl. In der Tat, dann, wenn es uns nicht gelingt, Europa erlebbar zu machen, wenn es uns nicht gelingt, den Menschen in ihrem Alltag zu zeigen, daß diese Gemeinschaft für
sie etwas bedeutet, wird uns eine abstrakte Europabegeisterung nicht weit genug bringen, um in dieser Wahl einen Erfolg für Europa zu erringen.
Europa war bisher in der Tat eine Gemeinschaft der Experten für Experten. Viele Bürger haben sich und uns die Frage gestellt, worin wir denn Vorteile dieser Gemeinschaft erkennen, was sie uns in unserem alltäglichen Leben gebracht hat. Sind die Grenzkontrollen weggefallen, sind in Europa die wirtschaftlichen und Währungsverhältnisse vereinheitlicht worden, haben wir in den wesentlichen Prinzipien unseres politischen Zusammenlebens, etwa bei den Bürger- und Menschenrechten, eine gemeinsame Verfassung erreicht?
Diese Fragen werden uns gerade auch in dem beginnenden Wahlkampf gestellt werden, und ich glaube, daß dieses Währungssystem eine Möglichkeit des Argumentierens im Wahlkampf bietet, um dem Bürger der Bundesrepublik, der ja mit Recht darauf achtet, daß seine Geldwertstabilität verteidigt wird, zu sagen, daß man Geldwertstabilität auf die Dauer auch bei flexiblen Wechselkursen nicht allein verteidigen kann, denn was unsere Währungsstabilität nach außen, gerade beim Export, bedeutet, brauche ich hier nicht auszumalen. Alles hat ja zwei Seiten, so auch diese Medaille: Eine starke Währung bedeutet immer auch eine Schwierigkeit für die exportierende Wirtschaft, und wir sind in großem Maße auf Exporte angewiesen; jeder vierte Arbeitsplatz bei uns ist exportabhängig. Das heißt, wir können Stabilitätspolitik nicht allein betreiben; wir können unsere Stabilitätspolitik nur durchsetzen, wenn wir das solidarisch in der Europäischen Gemeinschaft tun. Das, meine Damen und Herren, will die Bundesregierung mit diesem Europäischen Währungssystem erreichen, und dafür hat sie die volle Unterstützung meiner Fraktion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Entschließung des Europäischen Rates über die Errichtung eines Europäischen Währungssystems hat — das hat sich ja aus dieser Diskussion ergeben — die Europapolitik wieder in den Mittelpunkt der politischen Überlegungen gestellt, und die Bundesregierung ist dankbar dafür, daß diese Debatte heute klarmacht, daß es sich hier nicht nur um Währungstechnik handelt, sondern auch um einen in hohem Sinne politischen, europapolitischen Vorgang.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist unmöglich, hier nicht klar zu sehen, daß dieser neue und bedeutsame Impuls für europäische Politik auf eine Initiative des französischen Staatspräsidenten und des deutschen Bundeskanzlers zurückzuführen ist. Niemand sollte dies bezweifeln und in Frage stellen.
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
In diesem Sinne, Herr Häfele, möchte ich sagen, daß Ihre im großen und ganzen konstruktiven Bemerkungen zu dem, was in den letzten zwei Tagen in Brüssel vereinbart worden ist, aus meiner Sicht zu begrüßen sind. Sie werden verstehen, wenn ich mit einigem Vergnügen Ihre Formulierung aufgreife, die CDU habe die Bundesregierung beim Kampf gegen die Inflation immer gestützt. Ich will das gar nicht in Frage stellen.
Nur: es ist ja nicht so lange her, da haben Sie uns Inflationspolitik vorgeworfen. Heute nehmen Sie für sich in Anspruch, am Erfolg von Stabilitätspolitik teilzuhaben.
Wir wollen Ihnen das gerne gönnen. Aber es zeigt doch, daß wir mit dieser Politik auf dem rechten Wege gewesen sind.
— Darüber müssen wir uns mal unterhalten, Herr Lampersbach, ob für uns der Pfad der Tugend ein gemeinsamer ist. Ich bin da nicht so absolut sicher.
— Herr Kohl, das geht mir wie mit so vielen Dingen. Manches aus Mainz mag ich nicht leiden.
Der Kernsatz der Vereinbarungen heißt: den dauerhaften Erfolg des Europäischen Währungssystems durch eine auf größere innere und äußere Stabilität gerichtete Politik zu gewährleisten. Wir sind überzeugt davon, daß dies in der Tat den Kern ausmacht, daß nämlich eine auf größere innere und äußere Stabilität gerichtete Politik, d. h. in diesem Rahmen die erfolgreiche Stabilitätspolitik unseres Landes und in den Partnerstaaten, fortgesetzt werden kann und fortgesetzt werden wird.
Die Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung war immer auf Währungsstabilität ausgerichtet, um so Beschäftigung, Wohlstand und sozialen Fortschritt zu sichern und zu. mehren. Das Europäische Währungssystem ist auf unsere Erfahrung gegründet, daß nur eine stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik auch Währungsstabilität bewirken kann.
Eines sollten wir — und nicht nur wir, sondern die Welt ganz generell — aus den Erfahrungen der letzten 30 Jahre gelernt haben. Es waren 30 Jahre, in denen wir es mit Währungssystemen der verschiedensten Art versucht haben, mit festen Wechselkursen, mit beweglichen Wechselkursen. Jedes Währungssystem ist nur so gut wie die Disziplin der Länder, die an diesem Währungssystem beteiligt sind. Mit disziplinloser interner Wirtschafts- und Währungspolitik bringen Sie jedes Währungssystem zur Strecke. Dies, glaube ich, ist die Lektion. Die Konsequenz daraus muß heißen, daß wir auf Disziplin bei uns und unseren Partnern unverändert bestehen müssen.
Herr Häfele hat vorhin, wenn auch in Frageform gekleidet, noch einmal die alte Bemerkung zitiert, daß feste Wechselkurse integrieren könnten. Wir haben im System von Bretton Woods gesehen, als es auseinanderbrach, wie sehr feste Wechselkurse desintegrieren können. Und wir haben genau gesehen, daß in einem System freier Wechselkurse das Desintegrationsmoment ganz groß werden kann, wenn die innere Stabilität und damit die innere Kohärenz eines solchen Systems nicht mehr vorhanden ist.
Aber wir können heute feststellen, daß es noch niemals zuvor international ein so weitgehendes Maß an Übereinstimmung über die Richtigkeit dieser wirtschaftspolitischen und währungspolitischen Auffassung gegeben hat. Die Weltwirtschaftsgipfel London und Bonn haben dies überzeugend und expressis verbis bestätigt, mit einer entschlossenen Haltung gegen Inflation, gegen Wirtschaftsprotektionismus, mit dem niedergeschriebenen Satz — zum erstenmal in internationalen Dokumenten —: Inflation beseitigt nicht Arbeitslosigkeit, Inflation schafft langfristig Arbeitslosigkeit.
Deswegen war es jetzt der geeignete Zeitpunkt für die Gestaltung europäischer Wirtschaftspolitik und Währungspolitik, mit diesem Währungssystem neue Fundamente zu legen. Jeder Zeitpunkt vorher, d. h. bevor dieses Bewußtsein Allgemeingut geworden war, hätte das Risiko eines erneuten Fehlschlages in sehr viel stärkerem Maße mit sich gebracht, als es jetzt der Fall ist. Ich sage „in sehr viel stärkerem Maße" und relativiere auch dies: Eine Erfolgsgarantie, meine Damen und Herren, hat auch für dieses Währungssystem niemand.
Wenn wir leichtfertig damit umgehen, kann auch dieses fehlschlagen; aber die Voraussetzungen sind gut. Die Regeln und die Technik sind in Ordnung und einwandfrei. Es liegt an uns, aus diesem Anfang — einen bedeutsamen Anfang! — auch wirklich ein gutes Ergebnis und einen Erfolg zu machen.
Meine Damen und Herren, die Regeln dieses Währungssystems zu erklären, das ist in der Tat ein schwieriges Unterfangen. Herr Kollege Rapp hat dies vorhin in bemerkenswerter Weise versucht.
— Ich bleibe ruhig bei „versucht". Ich weiß nicht, ob Sie die treffende Bemerkung eines Witzboldes vor wenigen Wochen zur Kenntnis genommen haben: es gebe fünf Leute in der Bundesrepublik, die hätten das Währungssystem nicht verstanden, könnten es aber erklären; es gebe fünf andere, die hätten es verstanden, könnten es aber nicht erklären.
Es ist in der Tat bei den diffizilen Regelungen, die
hierin enthalten sind, außerordentlich schwierig, etwa der Anregung erfolgreich nachzukommen — —
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9503
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
— Immer in der Mitte, Herr Kollege!
Es ist ungewöhnlich schwierig, der Anregung des Kollegen Rapp zu folgen, mit einem allgemeinverständlichen Zettel oder einer Handschrift oder einem Büchlein das darzustellen. Aber ich glaube, wir können sagen, daß die -Regeln dieses Systems wirtschafts- und währungspolitische Handlungsfähigkeit gewährleisten — nicht zuletzt deswegen, weil sie die rechtzeitige und geräuschlose Anpassung der Wechselkurse ausdrücklich vorsehen und ermöglichen. Das Wort „geräuschlos" hat Herr Häfele gebracht, und ich glaube, er hat damit gemeint, Herr Bangemann — und insofern möchte ich ihm beipflichten, wenngleich die Bezeichnung vielleicht etwas irreführend ist —, daß keine Vorwarnsignale an Spekulanten gegeben werden.
Die schlechten Erfahrungen, die wir mit dem System von Bretton Woods gemacht haben, sollen sich nicht wiederholen, wenngleich — ich sage das noch einmal — auch das Europäische Währungssystem ohne Risiko nicht zu haben ist. Auf dieser Welt und in diesem Bereich gibt es überhaupt nichts, was man ohne jedes Risiko bekommen könnte.
Meine Damen und Herren, wir alle haben — gerade was die Notwendigkeit von Wechselkursanpassungen anlangt — dazugelernt, und die Schlange, die sich viel besser bewährt hat, als es viele von uns geglaubt haben, ist nach meiner Ansicht ein sehr brauchbares und sehr überzeugendes Beispiel dafür.
Wir wissen — und dies halte ich nun in der Tat für einen außerordentlich ernsten Gesichtspunkt —, daß es im Lande draußen bei den Bürgern wegen der Kompliziertheit der Zusammenhänge, die man währungspolitisch nun einmal nicht vermeiden kann, eine unterschwellige Befürchtung und auch eine Diskussion darüber gibt: Bedeutet das, was da geschehen und vereinbart ist, eine Änderung der auf Stabilität ausgerichteten Währungspolitik? Mit anderen Worten: Müssen wir Inflation befürchten, kommt sie wieder? Darüber wird bei uns im Lande gesprochen, meine Damen und Herren! Wir sollten das nicht wegzudiskutieren versuchen. Aber ich meine, wir alle miteinander sollten den Bürgern in unserem Lande sagen, daß diese Bundesregierung, die sie tragenden Parteien und das will ich gern bekennen — auch die Opposition, das heißt alle diejenigen, die verantwortlich für Wirtschafts- und Währungspolitik tätig sind, nicht viele Jahre lang die Mühsal, die Lasten und auch die Kosten von Stabilitätspolitik auf sich genommen haben, uns von der Geißel der Inflation so weit zu befreien, wie uns das jetzt gelungen ist, um das in einem solchen Akt wieder aufs Spiel zu setzen. Darauf soll sich jeder im Lande draußen verlassen können, daß niemand in der Bundesregierung und — wie ich sagen will — niemand in diesem Hause so etwas auch nut entfernt will.
Die Regeln des Währungssystems gewährleisten auch die Autonomie der Notenbank, der Deutschen
Bundesbank. Ich möchte einmal deutlich machen, daß wir über Autonomie im doppelten Sinne reden müssen. Das wird in der öffentlichen Diskussion häufig durcheinandergebracht. Wir haben die gesetzliche Autonomie, die durch gesetzliches Statut verankerte Unabhängigkeit der Notenbank, die unabdingbar ist; aber wir brauchen, um diese Autonomie funktionsfähig zu machen, darüber hinaus selbstverständlich auch die geldpolitische Autonomie der Bundesbank, das heißt ihre Aktionsmöglichkeiten, das wirkliche Benutzen des Rechtsstatuts in Unabhängigkeit und Autonomie. Beide Formen von Autonomie, die gesetzliche und die De-facto-Autonomie, die unter ökonomischen Aspekten vielleicht noch wichtiger ist, sind in den Regeln des Europäischen Währungssystems gewährleistet.
Dies gilt, Herr Häfele, auch für die Frage der Anpassungen. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß Veränderungen der Leitkurse und Anpassungen von Wechselkursen in unserem System immer in der Zuständigkeit der Bundesregierung und nicht in der Zuständigkeit der Bundesbank gewesen sind. In der Zuständigkeit der Bundesbank sind die Interventionsverpflichtung und die Möglichkeit, Interventionen nicht mehr auszuüben, wenn sie glaubt, mit Rücksicht auf Geldmengenpolitik und anderes dies nicht tun zu können. Ich will hier nicht auf eine Einzeldiskussion der von Ihnen herangezogenen Ziffer 3.2 der Erklärungen von Brüssel eingehen, aber ich will doch deutlich machen, daß eine Vorkehrung dafür getroffen ist, daß, bevor es überhaupt zu dem Anpassungsvorgang der Leitkurse kommt, schon bei Annäherung an die Bandbreiten sich ein Anpassungs- und Abstimmungsvorgang vollzieht, so daß bei funktionierendem System und funktionierender Abstimmung, die nicht auf dem Einstimmigkeitsprinzip beruht, die vier Maßnahmen, die dort vorgesehen sind, ergriffen werden müssen und ergriffen werden können, nämlich diversifizierte Interventionen, interne währungspolitische Maßnahmen, Änderungen' der Leitkurse oder andere wirtschaftspolitische Maßnahmen.
Ich bin der Überzeugung, daß die Deutsche Bundesbank mit Recht, ohne ihre Autonomie aufgeben zu wollen oder zu können — niemand wird ihr unterstellen, daß sie dies wolle —, diesen Vereinbarungen auch unter diesen Gesichtspunkten zustimmen konnte. Ein für die Bundesrepublik wichtiger institutioneller Eckpfeiler unseres Währungssystems ist unangetastet geblieben.
Man kann diese Diskussion nicht führen, ohne gleichzeitig die Maßnahme der Regierung der Vereinigten Staaten zur Stabilisierung des Dollars mindestens zu erwähnen. Die Schaffung eines Europäischen Währungssystems ist dadurch erleichtert worden. Es ist für die Weltwirtschaft wichtig, daß beiderseits des Atlantiks stabilisierende Kräfte für Weltwährungsbeziehungen wirksam werden und die Weltwirtschaft festigen. Es wäre im Verhältnis zwischen einem Europäischen Währungssystem und der amerikanischen Währung gefährlich geworden, wenn wir hier eine attraktive Einrichtung geschaffen hätten und auf der. anderen Seite noch immer destabilisierende Faktoren im Dollar vorhanden ge-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
wesen wären, weil diese Attraktivität dann weiter zur Destabilisierung des US-Dollar beigetragen hätte. Beides mußte parallel laufen. Beides hat sich zeitlich ungewöhnlich günstig entwickelt, und wir wollen zuversichtlich hoffen, daß dies auch weiterhin so fortgesetzt werden kann. Ich übersehe nicht, daß es sowohl für unsere währungspolitische Ordnung als auch für die währungspolitische Ordnung der Vereinigten Staaten durchaus Gefahren aus den Eurodollarmärkten und den vielen anderen Dollarmärkten geben kann. Aber auch hier besteht die Einflußmöglichkeit nur darin, daß in Washington, im Heimatland des US-Dollar, die notwendige Währungsdisziplin gewahrt wird. Daß dies der Fall ist und daß man sich darum energisch bemüht, kann nur unsere Zustimmung und unsere Unterstützung finden.
Das Europäische Währungssystem wird die Wirtschaftspolitik Europas prägen, auch wenn vorerst nicht alle Länder unmittelbar daran beteiligt sind. Unser Land, die Bundesrepublik, hat bisher als Stabilitätsanker gewirkt. Unsere Verantwortung dafür, daß Europa Stabilitätszone zum Nutzen aller europäischen Länder wird, ist mit dem Europäischen Währungssystem gewachsen. Ich sage „aller europäischer Länder" mit einer Zukunftsperspektive für diejenigen Länder, die sich jetzt noch nicht zum Beitritt entschließen konnten. Mit der Beibehaltung des Stabilitätskurses in unserem Lande helfen wir unseren Partnern, auf diesem Wege ebenfalls erfolgreich zu sein.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang anerkennend erwähnen, wie sehr sich eine mutige und entschlossene französische Wirtschaftspolitik darum bemüht, Stabilität auch in ihrem Lande zu schaffen, wie hier zwar die Konvergenz der Zahlen und der Ergebnisse noch nicht erreicht worden ist, wie aber die Konvergenz der Politik und die Konvergenz der Zielsetzungen in vollem Umfang vorhanden ist. Ich wage zu behaupten, ohne diesen Meinungswandel wäre eine Initiative des französischen Staatspräsidenten zur Schaffung dieses Währungssystems kaum denkbar gewesen.
Daß Mut dazu gehört, eine solche Politik nach so vielen Jahren anderer Ausrichtung zu beginnen, steht wohl außer Zweifel. Es geht in allen Ländern um die gleichen Ziele: um Vollbeschäftigung, um Wohlstand und um sozialen Fortschritt.
Mit Recht hat der Kollege Bangemann vorhin darauf hingewiesen, daß die Europäische Gemeinschaft immer noch — und durch den Beitritt wird sich dies verstärken — ein Gebilde mit recht unterschiedlichen Lebensbedingungen ist, so daß auch die wirtschaftspolitischen Ausgangsbedingungen verschieden sind. Konvergenz im Sinne stabilitätsorientierter Wirtschaftspolitik ist deswegen zwar unerläßlich notwendig, aber sie ist nicht die hinreichende Bedingung für das europäische Einigungswerk. Erreicht werden muß, daß die Lebensbedingungen in allen Siedlungsgebieten Europas befriedigend, menschenwürdig und entwicklungsfähig sind — auch im Interesse unseres Landes. Unabdingbar ist auch eine
gerechte und vorbehaltlose Beteiligung aller Partnerländer an dieser Politik der Gemeinschaft.
Die Schaffung eines Europäischen Währungssystems kann nicht gleichzeitig alle diese Aufgaben lösen. Ein Währungssystem kann nicht die Währungsrelationen stabilisieren, die Lebensbedingungen vereinheitlichen und das Agrarsystem reformieren. Dies wäre Überfrachtung und Überlastung. Wer das verlangt und das erwartet, der baut die Möglichkeit des Scheiterns in das Europäische Währungssystem am Tage des Beginns ein. Ich möchte davor nachdrücklich warnen.
Dies sollten, so meine ich, auch die Partnerländer in der Gemeinschaft sehen, die sich noch überlegen wollen, ob sie dem System beitreten oder nicht, oder die noch warten wollen.
Es muß jetzt darum gehen, die unmittelbar mit diesem Währungssystem verbundenen Übergangsprobleme zu bewältigen. Die -Bewältigungsinstrumente aber, meine Damen und Herren, liegen in den Instrumenten gemeinschaftlicher Politik wie Regionalfonds, Sozialfonds und anderen. Dazu war und dazu ist die Bundesregierung bereit — sie hat dies auch in Brüssel erklärt —, beträchtliche Mittel aufzuwenden. Aber die Gestaltung der regionalen Lebensbedingungen liegt im wesentlichen immer in der Hand des jeweiligen Landes selbst. Die gemeinschaftlichen Aktionen können immer nur subsidiär sein.
Ich möchte nach meiner Erfahrung und vielen Verhandlungen und Beratungen in den Ministerräten in Brüssel allerdings auch einen Satz hinzufügen. Herr Bangemann hat gesagt — auch der Herr Bundeskanzler hat vorhin davon gesprochen —, daß den less prosperous countries geholfen werden muß. Aber ich meine, daß eine sehr sorgfältige und objektive Definition derer, die less prosperous sind, versucht werden müßte. Bei manchem hat man den Eindruck, wie es der „Guardian" in der vorigen Woche geschrieben hat, daß er gern Mitglied eines Vereins werden möchte, ohne die Vereinsbeiträge zahlen zu wollen und sich an die Vereinsstatuten zu halten.
— Deswegen ist es nicht nachahmenswert, und außerdem braucht man es auch nicht zu akzeptieren.
Meine Damen und Herren, das Europäische Währungssystem wird für die währungs- und wirtschaftspolitische Stabilisierung Europas geschaffen. Es soll auch - und dies ist aus unserer wirtschaftspolitischen Sicht natürlich ein wesentliches Element den innergemeinschaftlichen Handel auf eine breitere, festere, zunehmend wachsende Basis stellen. Der Bundeskanzler hat mit Recht davon gesprochen, die Zahlen seien rückläufig. Es ist an uns, etwas dafür zu tun, die Kalkulierbarkeit zu erhöhen und für den Export bessere Positionen zu schaffen — wenn wir beim innergemeinschaftlichen Handel überhaupt noch von Export sprechen wollen; das erscheint zwar noch so in den Statistiken, aber es scheint mir eigentlich schon lange als nicht mehr ganz richtig.
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Das Europäische Währungssystem — auch das sollten wir deutlich sagen — ist aber nicht gegen die übrige Welt und nicht gegen bestimmte Währungen gerichtet. Europa will weltoffen sein und weltoffen bleiben, auch auf währungspolitischem Sektor. Das Währungssystem ist ein Beitrag zur Stabilität auch in der Weltwirtschaft. Es ist kein Schritt zu europäischer Abkapselung. Die europäische Wirtschaft — und in ihr die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland — ist und bleibt ein verantwortungsbewußter Partner der freien Weltwirtschaft. Was für Europa gilt, wird auch für die übrige Welt von uns anerkannt: das Recht auf freie wirtschaftliche Entfaltung und auf die Schaffung befriedigender entwicklungsfähiger Lebensverhältnisse.
Deshalb setzen wir uns mit unseren europäischen Partnern ganz entschieden dafür ein — und in der nächsten Woche werden diese Verhandlungen in Genf und in der übernächsten Woche dann in Brüssel fortgeführt —, daß auch im internationalen Handel, also im GATT, durch die angestrebte neue Vereinbarung bald eine neue und aussichtsreiche Perspektive eröffnet wird. Die Zeichen dafür, meine Damen und Herren, stehen jedenfalls innerhalb des gesetzten Zeitraums nicht so gut, wie wir uns das wünschen könnten. Das heißt nicht, daß wir unseren Optimismus fahren lassen, und das heißt erst recht nicht, daß wir die Zähigkeit aufgeben, mit der wir für eine Festigung international funktionierender Handelsregeln arbeiten müssen.
Wer der Verantwortung gegenüber der Wirtschaft dieses Landes gerecht werden will, die nahezu 30 % ihrer Produktion exportiert, der muß mit allen Kräften und allerdings auch mit der Unterstützung der politischen Parteien und der politischen Gruppierungen in diesem Lande für diesen weltoffenen Handel eintreten — und die Bundesregierung wird dies tun.
Das Europäische Währungssystem wird dazu beitragen, die Währungsrelationen in Europa zu stabilisieren und die Perspektiven für die Wirtschaftsentwicklung zu verbessern. Ein Fehlschlag würde nicht nur ein Rückschlag für Europa, sondern auch ein Rückschlag auf dem Wege zu Stabilität und Vollbeschäftigung in der Europäischen Gemeinschaft sein. Aber ich denke — und die Bundesregierung ist davon überzeugt —, daß wir an diese neue Aufgabe mit Zuversicht gehen können, vor allem deswegen, weil bei den Regierungen unserer Partnerländer die Entschlossenheit zu stabilitätspolitischem Erfolg besteht. Das Europäische Währungssystem wird dann dazu beitragen, das Vertrauen der Bürger in eine gemeinsame europäische Zukunft zu festigen.
Die Bundesregierung bittet das Parlament, die Deutsche Bundesbank, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, alle, die mit dem wirtschaftlichen und währungspolitischen Prozeß in unserem Lande in der täglichen praktischen Arbeit beschäftigt sind: Helfen Sie mit, unsere Wirtschaft und unsere Währung in Ordnung zu halten; denn dann leistet unser Land seinen Beitrag für stabile Wirtschafts- und Währungsverhältnisse auch in Europa.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Deutsche Bundesbahn
— Drucksachen 8/849, 8/1464 — Berichterstatter: Abgeordneter Wendt
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jobst.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist dringend notwendig, daß sich der Deutsche Bundestag mit der Situation und den Problemen der Deutschen Bundesbahn befaßt. Die alarmierende finanzielle Situation der Bahn, der Rückgang ihres Verkehrsaufkommens sind nicht nur bundesbahnspezifische Probleme, sondern allgemeine Probleme von größter Bedeutung und Dringlichkeit.
Die Deutsche Bundesbahn ist, leider Gottes, zu einem Haushaltsrisiko geworden. Der Zuschußbedarf aus dem Bundeshaushalt ist in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Für 1979 sind dafür rund 15 Milliarden DM veranschlagt. Die Verschuldung der Bahn hat den Stand von 32 Milliarden DM erreicht. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP hat vor kurzem die Bahn ein „rollendes Haushaltsrisiko" genannt. Er hat allerdings vergessen, daß die FDP seit neun Jahren die Verantwortung in der Verkehrspolitik mitträgt.
Seit Jahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, hören wir von den SPD-Verkehrsministern oder auch in Regierungserklärungen, daß der Bundesbahn geholfen werde, ihre finanzielle Lage zu verbessern, ihr den gesicherten Platz im Verkehrsgeschehen zu erhalten. Eine Untersuchung über die Bahn ist der anderen gefolgt. Ein Plan hat den anderen abgelöst. Werbewirksame Titel wurden dafür präsentiert. Passiert ist aber nichts.
Man hat die Eisenbahre und die Eisenbahner hängenlassen. Diese Politik der leeren Versprechungen, des Treibenlassens der Verhältnisse ist unverantwortlich. Diese Politik geht aber leider Gottes weiter. Der Bundesverkehrsminister vertröstet uns wieder auf neue Modelle, auf europäische Lösungen, die sicher notwendig sind, von denen aber in allernächster Zeit kein Heil zu erwarten ist.
Wir von der CDU/CSU haben die Bundesregierung in den letzten Jahren laufend vor der jetzt eingetretenen Entwicklung gewarnt. Die Probleme wären leichter zu lösen gewesen, wenn die Entschei-
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Dr. Jobst
dungen nicht ständig aufgeschoben worden wären. Es ist eine Tatsache, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, daß die Bundesbahn unter Ihrer politischen Verantwortung mit galoppierender Geschwindigkeit in die roten Zahlen gefahren ist, daß sie heute in einer hoffnungslosen Situation ist. Dies können Sie nicht bestreiten. Die politisch Verantwortlichen und Handelnden sind in einer parlamentarischen Demokratie nun einmal die Regierung und die sie tragenden Parteien und nicht die Opposition.
Der Erste Präsident der Deutschen Bundesbahn hat am 31. Mai dieses Jahres vor dem Haushaltsund Verkehrsausschuß des Bundestages erklärt: „Wir sehen keine Möglichkeit mehr, die Eisenbahner zu motivieren." Diese Äußerung sagt doch deutlich, wie es um die Bahn steht. Die Bundesbahn hat zu allen Zeiten gute Mitarbeiter gehabt. Es hat sie ausgezeichnet, daß sie treue, einsatzbereite Mitarbeiter gehabt hat. Heute können sie nicht mehr motiviert werden. Dies ist doch ein schlimmes Ergebnis dieser Verkehrspolitik der Bundesregierung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten neun Jahren SPD/FDP-Regierung haben wir sieben Bundesbahnkonzepte gehabt,
die alle als große Erfolge gefeiert wurden, aber alle schnell wieder in der Versenkung verschwunden sind.
Es ist vorgegeben worden, mit diesen Plänen würden die Probleme der Bahn gelöst. In Wirklichkeit hat sich die Regierung aber vor der Verantwortung und vor der Entscheidung gedrückt.
Ich erinnere an den Leber-Plan.
Der Herr Kollege Leber war eben noch hier. Offenbar hat er vor der Verkehrspolitik jetzt erneut die
Flucht ergriffen.
Ich erinnere an das Ausbauprogramm 1973, an das Programm „Der Mensch hat Vorfahrt", dem dann ein Supersparprogramm gefolgt ist. Ich erinnere an die Zielvorgaben 1975, an den großen Streckenstillegungsplan 1976 und dann an den Leistungsauftrag an die Bahn 1977.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser gefährlichen Verschiebetaktik muß Schluß gemacht werden. Der Bundesbahn, aber auch der deutschen Volkswirtschaft ist mit dieser Politik großer Schaden zugefügt worden.
Der Herr Bundesverkehrsminister wird heute wieder mit der Ausrede kommen und erklären, daß er nun neue Modellversuche bei der Bahn abwarten
müsse. Wir haben bei dem Hearing am 31. Mai dieses Jahres von einer erheblichen Anzahl von Sachverständigen und vor allem vom Ersten Präsidenten der Deutschen Bundesbahn Forderungen nach umwälzenden Maßnahmen bekommen, nämlich die Trennung von Fahrweg und Betrieb sowie die Privatisierung der Bahn mit allen personellen und organisatorischen Konsequenzen. Die Bundesregierung ist sofort auf diesen Dampfer wieder aufgestiegen und hat den Bundesverkehrsminister am 14. Juni 1978 beauftragt, 1979 Modelluntersuchungen darüber vorzulegen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Maßnahme ist eine neue Flucht vor der Verantwortung. Herr Minister Gscheidle, Sie wissen genau, daß Sie ein solches Modell nicht verwirklichen können. Dazu haben Sie keine politische Mehrheit, und dabei wird Ihnen insbesondere Ihre SPD-Fraktion nicht folgen. Ich erinnere an Ihren Plan, die Busdienste von Bahn und Post zusammenzulegen und sie in Regionalgesellschaften einzuführen — ein harmloses Problemchen im Vergleich zu diesem neuen Modellvorhaben für die Bahn. Sie mußten zurückstecken, weil Sie von Ihrer Fraktion zurückgepfiffen wurden. Sie machen jetzt mit diesem Trennungs- und Privatisierungsmodell erneut Wind, obwohl Sie wissen, daß es nicht kommt. Dies ist keine seriöse Verkehrspolitik.
— Sie werden das noch hören, Herr Kollege Topmann. Diese Aufzählung der Tatsachen, die Sachdarstellung, die Entwicklung tut Ihnen offenbar weh.
Ich kann es mir ersparen, auf dieses Modellvorhaben einzugehen und mich breit damit auseinanderzusetzen.
Ich halte es auch für fraglich, ob mit der Trennung von Fahrweg und Betrieb eine Verbesserung der Situation der Deutschen Bundesbahn erreicht werden könnte. Ich habe auch Bedenken. Die Deutsche Bundesbahn ist eine technische und wirtschaftliche Einheit. Ich kann mir nicht vorstellen, daß bei einer Zerschlagung dieser Einheit etwas gewonnen wird.
In der letzten Zeit sind Forderungen nach dirigistischen Maßnahmen für die Deutsche Bundesbahn erhoben worden. Herr Minister Gscheidle hat ja auch im Frühjahr dieses Jahres einen Versuchsballon gestartet. Ich halte nichts vom Dirigismus im Verkehr. Die Verlustquellen der Bahn würden damit nicht beseitigt; der Verkehr würde aber insgesamt verteuert. Die Bundesrepublik nimmt in der Welt bereits eine Spitzenposition bei den Kosten in der Wirtschaft ein. Der Weg zu einer gesunden Bahn darf nicht bei einer Belastung der anderen Verkehrsträger ansetzen, sondern muß bei der Stärkung des Unternehmens beginnen.
Dabei werden sich zwangsläufig Auswirkungen auf die anderen Verkehrsträger ergeben.
Die Bundesbahn braucht einen fairen Wettbewerb. Zu einer Versachlichung der Diskussion über die
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Dr. Jobst
Verkehrsverhältnisse hat meines Erachtens das im Auftrag der Bundesregierung vorgelegte Wegekostengutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaft beigetragen. In diesem Gutachten ist festgestellt worden, daß der Kostendeckungsgrad im Wagenladungsverkehr der Schiene 1975 47,8 % betragen hat, der Kostendeckungsgard der Nutzfahrzeuge des Güterkraftverkehrs 49,5 %.
Die Bundesregierung hat auf unsere Kleine Anfrage hin folgendes festgestellt:
Auf Grund der vorliegenden Zahlen kann festgestellt werden, daß erhebliche Wettbewerbsverzerrungen zwischen der Eisenbahn einerseits und der Binnenschiffahrt andererseits bestehen, keine Wettbewerbsverzerrungen zwischen dem Straßengüterverkehr und dem Wagenladungsverkehr der Bundesbahn existieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, denjenigen, die dirigistische Maßnahmen fordern, muß auch deutlich gesagt werden, daß in der Zwischenzeit ein erheblicher Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft eingetreten ist, daß auf Lkw und Pkw nicht verzichtet werden kann, daß das Rad der Entwicklung im Verkehrs- und Transportgeschehen nicht zurückgedreht werden kann.
Die Bundesbahn muß in die Lage versetzt werden, ihre Kosten zu senken und die Erträge zu steigern. Es hat keinen Sinn, über undurchführbare Modelle zu debattieren. Wir halten auch weitere Untersuchungen nicht für notwendig. Die Probleme sind hinreichend bekannt. Was notwendig ist, ist die Entscheidung der verantwortlichen Regierung.
Die CDU/CSU hat einen Antrag zur Konsolidierung der Bundesbahn ,im Deutschen Bundestag eingebracht. Der Schwerpunkt dieses Antrags sind ein finanziell abgesichertes und realisierbares Investitionsprogramm — Herr Topmann, hören Sie zu! — für die Deutsche Bundesbahn, die haushaltsmäßige Trennung der gemeinwirtschaftlichen Ausgleichsleistungen von den betriebswirtschaftlichen Leistungen und die beschleunigte Einführung einer unternehmerischen Kostenrechnung. Den Zielen unseres Antrags ist nicht Rechnung getragen worden, wie die Koalitionsfraktionen bei der Ablehnung dieses Antrags im Verkehrsausschuß als fadenscheinige Begründung vorgegeben haben.
Rationalisierungsmaßnahmen sind dringend notwendig und müssen fortgeführt werden. Die Verbesserung der Situation der Deutschen Bundesbahn ist aber nur mit Investitionen möglich. Die Schwerpunkte müssen dort gelegt werden, wo die arteigenen Vorteile des Schienenverkehrs am besten zum Tragen kommen. Vor allem muß die Investitionsplanung realisiert werden können. Die Mittel dürfen nicht zur Abdeckung der Verluste verwendet werden.
Die von uns vorgeschlagene Mittelbewirtschaftung ist nicht nur eine Umbuchung, wie Sie von der Koalition immer behaupten. Sie schafft mehr Transparenz und die Voraussetzung, daß der explosionsartige Anstieg der Kosten, gerade der gemeinwirtschaftlichen Kosten, in Grenzen gehalten wird. Nicht
die Trennung von Fahrweg und Betrieb kann die Probleme der Bundesbahn lösen, sondern die klare Trennung zwischen der Eigenverantwortlichkeit und der gemeinwirtschaftlichen Aufgabe der Bundesbahn.
Der jüngste Bericht des Bundesrechnungshofs über die Bundesbahn beweist, wie notwendig die Einführung einer unternehmerischen Kostenrechnung ist. Diese Forderung kann nicht einfach vom Tisch gewischt werden, wie es die Koalition tut.
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung 1976 ausgeführt: 10 Milliarden DM aus dem Haushalt für die Deutsche Bundesbahn sind zu viel. Jetzt haben wir 15 Milliarden DM erreicht, und die Entwicklung läuft leider weiter. Diese Diskrepanz kennzeichnet doch deutlich das Ergebnis der Verkehrspolitik dieser Bundesregierung.
Bundesbahnpolitische Entscheidungen sind längst überfällig. Die Bahn darf nicht kaputtgemacht werden. Wir brauchen sie in Zukunft im Hinblick auf die Entwicklung im Energiebereich. Notwendig ist eine Verkehrspolitik auf dem Boden der Wirklichkeit mit mehr Ehrlichkeit, mehr Mut und Entschlußkraft. Dies wollen wir mit unserem Antrag bewirken.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mahne.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man den Herrn Kollegen Jobst gehört hat, hat man sicher feststellen müssen, daß außer einer Menge Kritik wenig an Anregungen und Alternativen gekommen ist.
Wenn der Kollege Jobst sagt, es mangle der Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsparteien an bundesbahnpolitischen Entscheidungen und Entschlüssen, und wenn er gleichzeitig die Konzepte, die bisher entwickelt und kontinuierlich fortgesetzt worden sind, nämlich die Zielvorgaben, die Netzkonzeption und den Leistungsauftrag, beanstandet, ohne eigene Alternativen aufzuzeigen,
dann muß man doch sagen: Hier wird Polemik betrieben und wenig Konstruktives in der Sache geleistet.
Wir sind uns darüber im klaren — und die heutige Aussprache wird das sicher zeigen —, daß das Thema „Sanierung der Deutschen Bundesbahn" nicht so schnell vergessen werden kann und uns als Problem natürlich noch manche Jahre beschäftigen wird.
Allerdings ist der Eindruck, den die CDU/CSU-Fraktion hierzu erweckt, letztlich zwiespältig. Gibt man im kleinen Kreis durchaus zu, daß die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaft-
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Mahne
lichen Lage der Bundesbahn schrittweise durchgeführt werden müssen, so wird andererseits immer wieder versucht, vor diesem Haus und der deutschen Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, man brauche nur einige Maßnahmen, die außer der CDU/CSU bisher niemand erkannt hat, nachzuholen, und alles sei in bester Ordnung. Da wird jede Forderung unterstützt, die in deutschen Landen irgendwo aufgestellt wird und durch die die Rahmenbedingungen der Deutschen Bundesbahn nachteilig beeinflußt werden, gleichzeitig aber verkündet die CDU/CSU, daß sie alles daransetzen werde, um die Bahn aus ihrer schwierigen Situation herauszubringen.
Der vorliegende Antrag der CDU/CSU ist hierfür ein gutes Beispiel. Da wird ein finanziell abgesichertes Investitionsprogramm für die Deutsche Bundesbahn gefordert. Aber auch Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ist bekannt, daß die Deutsche Bundesbahn über ein solches Investitionsprogramm verfügt. Letztlich läßt sich ja ein Unternehmen dieser Größe anders gar nicht führen. Das vom Bundeskabinett im März 1977 verabschiedete koordinierte Investitionsprogramm für die Bundesverkehrswege bis zum Jahre 1985 enthält ein mittel- und langfristig abgesichertes Investitionsprogramm auch für die Deutsche Bundesbahn.
Die Prioritäten der einzelnen Maßnahmen sind mit Hilfe von gesamtwirtschaftlichen Bewertungsmethoden festgestellt worden. Die Dringlichkeitsreihung der einzelnen Projekte ergibt sich aus dem errechneten Kosten-Nutzen-Verhältnis. Schon die mittelfristige Finanzplanung des Bundes erfordert bei der Deutschen Bundesbahn eine mehrjährige, sich jeweils auf einen Zeitraum von fünf Jahren erstrekkende Investitionsplanung mit entsprechenden Finanzierungsvorstellungen. Diese Planung wird Jahr für Jahr unter Berücksichtigung des Leistungsauftrages und der Kabinettsbeschlüsse vom Juni dieses, Jahres fortgeschrieben werden.
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, weiß, daß die Probleme der Deutschen Bundesbahn in dieser Sache keineswegs in der Finanzierung der Investitionen, sondern bei der Durchsetzung draußen im Lande liegen. Und da würden wir Ihr Engagement und Ihre Hilfe zum Nutzen der Deutschen Bundesbahn durchaus wünschen. Ich will nur einmal auf die Schwierigkeiten hinweisen, die beim Strekkenneubau im süddeutschen Raum, in Baden-Württemberg — zum Teil auch seitens der baden-württembergischen Landesregierung — festzustellen sind.
Die CDU/CSU-Fraktion sieht weiterhin Probleme beim Planungsvorrat für Sonderprogramme der Bundesregierung. Hierzu ist letztlich festzustellen, daß die Bundesbahn jederzeit in der Lage ist, in einem angemessenen Zeitraum — orientiert an den jeweils für Sonderprogramme festzulegenden Prioritäten — zusätzliche Investitionen zu tätigen. Die Konjunkturprogramme der Bundesregierung und zuletzt das Sonderprogramm für Zukunftsinvestitionen im Bereich des Verkehrs weisen im übrigen recht erhebliche Zusatzmittel für die Deutsche Bundesbahn aus.
Natürlich wäre es theoretisch durchaus denkbar, die Deutsche Bundesbahn an solchen Sonderprogrammen mit höheren Anteilen zu beteiligen. Aber dabei muß man letztlich doch berücksichtigen, daß zwar viele Maßnahmen in die Planungskompetenz der Bundesbahn fallen, daß aber für die Abstimmung mit Planungen anderer Gebietskörperschaften eine entsprechende Einigung vorausgesetzt werden muß. Das braucht in manchen Fällen viel Zeit. Solche Maßnahmen eignen sich deshalb naturgemäß nicht für Sonderprogramme, die eine relativ kurzfristige Realisierung der Projekte zur Voraussetzung haben.
Lassen Sie mich eine Anmerkung zur Ziffer 3 Ihres Antrags machen. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn hat auf Grund des Leistungsauftrags einen Maßnahmenkatalog für alle beabsichtigten Rationalisierungsmaßnahmen, also auch für solche ohne Kapitaleinsatz, aufgestellt. Zu diesen Maßnahmen gehören insbesondere alle Konzentrationsmaßnahmen im Organisationsbereich, Konzentration von Ämtern und Dienststellen zur Verbesserung der Resultatsverantwortung, prinzipielle Aufrechterhaltung des Einstellungsstopps, vorübergehende Beschäftigung überzähliger Mitarbeiter in Dienstzweigen mit freien Arbeitsplätzen und Rationalisierung in der Fahrzeugunterhaltung, im Oberbaubereich und in der Lagerhaltung.
Meine Damen und Herren, nun komme ich zu dem Punkt, der dadurch, daß Sie ihn immer wieder vortragen, auch nicht überzeugender wird. Ich kann mich deshalb auch auf das beziehen, was bereits im Jahre 1975 Bundesminister Gscheidle unter Bezugnahme auf die Zielvorgaben gesagt hat, daß nämlich die Kosten für die Verkehrsleistungen grundsätzlich durch eigene Erträge gedeckt werden müssen. Leistungen, deren Kosten nicht durch eigene Erträge gedeckt werden und die wegen politischer Auflagen erbracht werden müssen, sind durch entsprechende Leistungen des Veranlassers zu decken.
In den Zielvorgaben, die von Ihnen ja gerade so bemängelt wurden, Herr Dr. Jobst, wird also ganz eindeutig auf das Veranlasserprinzip abgestellt: Derjenige, der von der Bundesbahn die Erbringung oder Aufrechterhaltung einer nicht kostendeckenden Leistung verlangt—dieses braucht ja keinesfalls nur die Bundesregierung zu sein —, muß der Bundesbahn die entsprechenden wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen. Dabei sind im wesentlichen drei Fälle denkbar: Die Bundesbahn beantragt die Einstellung einer nicht kostendeckenden Leistung bzw. die Anhebung von Tarifen auf ein kostendeckendes Niveau, und der Bundesverkehrsminister lehnt dieses ab, und zwar nicht aus verkehrspolitischen Gründen, oder der Bundesverkehrsminister verlangt aus dem gleichen Grund die Änderung der Verkehrstarife, oder der Bundesbahn wird aus den gleichen Motiven durch Gesetz eine nicht kostendeckende gemeinwirtschaftliche Leistung auferlegt, z. B. die unentgeltliche Beförderung von Schwerbeschädigten im Nahverkehr.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sick?
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Bitte schön.
Herr Kollege Mahne, darf ich fragen, ob Ihnen vielleicht inzwischen das Kunststück gelungen ist — um das wir uns bisher vergeblich bemüht haben —, festzustellen, wie denn die Bundesbahn selbst ihre wirklichen Kosten ermittelt. Bisher gab es das ja wohl noch nicht.
Ich komme gleich darauf noch ein- mal zurück. Da sind wir bei dem Punkt der Kostenrechnung.
Überwiegend werden die Ausgleichsleistungen an die DB derzeit zwar im Rahmen des Verkehrsetats bereitgestellt, für den größten Anteil, nämlich für den Schienenpersonennahverkehr, steht der verkehrspolitische Aspekt so stark im. Vordergrund, daß es auch bei Orientierung am Veranlasserprinzip dabei bleiben wird. Einige Leistungen auf Grund von Auflagen werden der DB aber schon jetzt aus Haushalten anderer Ressorts abgegolten. Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wäre eine rein buchhalterische Spielerei. Man kann ihn auch eine kosmetische Operation nennen.
Das Veranlasserprinzip findet nämlich nach meiner Meinung seine Grenzen dort, wo durch seine Anwendung die Ressortverantwortlichkeit des Bundesministers für Verkehr für. die DB verwischt würde. Ich glaube, es liegt doch in Ihrem Interesse, diese Ressortverantwortlichkeit des Bundesministers für Verkehr deutlich zu machen, auch im Haushaltsplan selbst.
Bei der fünften Forderung Ihres Antrages, meine Damen und Herren, möchte ich einem .Mißverständnis entgegentreten. Auch die bisherige Kostenrechnung — damit komme ich auf Ihre Frage — der DB gestattet es durchaus, festzustellen, welche Kosten wo entstanden sind. Der Auftrag von Bundesverkehrsminister Gscheidle, örtliche Kostenrechnungen für alle Dienststellen einzurichten, ist vor dem Hintergrund der beabsichtigten Einführung der Resultatsverantwortung bei der Deutschen Bundesbahn zu sehen. Diese Arbeiten wurden aber eingeleitet, lange bevor der Opposition die Notwendigkeit und auch Nützlichkeit dieser Maßnahmen aufgefallen ist.
Ich muß leider feststellen, daß die CDU/CSU-Fraktion heute keinerlei neuen Gedanken entwickelt und keinerlei Vorschläge gemacht hat, wie man es besser machen könnte. Wir warten vergebens auf diese Vorschläge. Mit ihrem Antrag hilft die Opposition weder der Deutschen Bundesbahn noch den Eisenbahnern, auch nicht dem Ansehen des Parlaments, denn jeder Bürger in diesem Land erwartet, daß die Abgeordneten sich ernsthaft darum bemühen, die Lasten des Steuerzahlers für die Deutsche Bundesbahn zu verringern, aber nicht, daß sie in einen Wettlauf um die beste demagogische Auseinandersetzung eintreten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sick?
Ich bitte um Entschuldigung; ich komme sonst mit meiner Zeit nicht aus, Herr Sick.
Herr Jobst hat vorhin von der Stärkung des Unternehmens gesprochen. Hier gibt es ein Konzept, das die Bundesregierung seit 1974 kontinuierlich verfolgt. Diese Bundesbahnkonzeption der Regierung wird von der SPD-Fraktion voll unterstützt. Wir gehen dabei von folgendem aus.
Erstens. Die Konzentration auf den eisenbahnspezifischen Verkehr und Investitionen zur Modernisierung des Unternehmens sind die beiden Grundpfeiler dieser Politik. Dieser Grundsatz ist nach wie vor gültig. Zu dieser Perspektive gibt es keinen anderen Weg. Auch Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben bisher keinen anderen Weg vorgeschlagen.
Zweitens. Seit 1974, als die Zielvorgaben des Bundesministers für Verkehr, Kurt Gscheidle, vorgestellt wurden, ist die Zahl der bei der Bundesbahn Beschäftigten — und jetzt komme ich darauf, was erfüllt worden ist — bisher um über 60 000 zurückgegangen.
Das bedeutet eine Verringerung der Kosten um mehr als 2,5 Milliarden DM. Da mag man natürlich sagen, es ist noch nichts passiert!
Das ist ein Erfolg, zu dem Sie, meine Damen und Herren von der Union, nichts beigetragen haben.
Ich möchte aber für die gesamte SPD-Bundestagsfraktion an dieser Stelle den Eisenbahnern einen sehr herzlichen Dank aussprechen, denn letztlich waren es die Bundesbahner, die große Erschwernisse auf sich genommen und dadurch zu diesem finanziellen Erfolg wesentlich beigetragen haben.
Drittens. Die Zuschüsse des Bundes für Investitionen zur Modernisierung des Unternehmens sind in den letzten Jahren erheblich aufgestockt worden. Sie betragen in der Zeit von 1969 bis 1978 rund 13 Milliarden DM. In jener Zeit, in der die Union die Verantwortung für die Modernisierung der Bundesbahnpolitik trug oder mittrug, ist Derartiges nicht auf den Weg gebracht worden.
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Mahne
Viertens. Wir wissen, daß auf absehbare Zeit die Bundesbahn Problem Nr. 1 der Verkehrswirtschaft bleiben wird.
Der Rückgang der Massentransportvolumen ist nicht nur konjunkturell, sondern strukturell bedingt. So werden wir noch auf lange Zeit es mit Anpassungsproblemen zu tun haben. Die Anstrengungen werden sich auf vier Bereiche konzentrieren: Rationalisierung von Produktion und Absatz, Anpassung der Produktion an den Bedarf, Rationalisierung des Vorhaltebereiches und Schaffung einer resultatbezogenen Unternehmensorganisation.
Lassen Sie mich zum Schluß zusammenfassen. Niemand hier im Hause hat eine Alternative zu der 1974 mit den Zielvorgaben begonnenen Konzeption des Bundesverkehrsministers. Nun mag Ihnen das lächerlich erscheinen. Nur, die Alternative fehlt.
Die Bundesregierung wird deshalb auch in Zukunft in Ermangelung eines Patentrezeptes ihre Politik der schrittweisen Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation der Deutschen Bundesbahn zuwenden müssen. Nur ständig neue Diagnosen und Therapien werden die DB nicht genesen lassen,
sondern die kontinuierliche Fortsetzung und Durchsetzung
der eingeleiteten Zielvorgaben, der Netzkonzeption, des Leistungsauftrags werden die therapeutischen Maßnahmen sein, die die notwendige Konsolidierung der Deutschen Bundesbahn ermöglichen. Hierbei darf die Bundesregierung unserer Unterstützung sicher sein.
Wir werden den Antrag der CDU/CSU deshalb ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Merker.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesen 60 Minuten, in denen wir heute erneut über das Problem „Bundesbahn" diskutieren, fährt diese Bundesbahn mit einem Zuschuß des Steuerzahlers in Höhe von 1,6 Millionen Mark weiter in die roten Zahlen — 1,6 Millionen DM Stunde für Stunde, 38,4 Millionen DM Tag für Tag, 268,8 Millionen DM Woche für Woche.
Was, meine Damen und Herren von der Opposition, ändert eigentlich Ihr Antrag an dieser dramatischen Entwicklung?
Was Sie zur Verbesserung der Situation beitragen wollen, ist leider weder aus Ihrem Antrag herauszulesen
noch dem Beitrag zu entnehmen, den der Herr Kollege Dr. Jobst hier heute nachmittag geliefert hat.
Die Debatte über diesen Antrag steht heute fast unter den gleichen Vorzeichen wie während der ersten Lesung am 29. September 1977 und während der Beratungen im Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen am 7. Dezember 1977 — abgesehen von der Tatsache, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in den letzten Monaten verstärkt durch öffentliche Äußerungen ständig die Situation dieses Unternehmens beklagen, aber nicht bereit sind, zugegebenermaßen unpopuläre, aber nichtsdestoweniger unumgänglich notwendige Maßnahmen für die Bundesbahn mitzutragen.
Alle Forderungen an die Bundesregierung, die Sie in Ihrem Antrag vorgelegt haben, sind, soweit sie nicht zum Zeitpunkt der Antragstellung schon von der Realität überholt waren,
so formuliert, daß sie nur den Eindruck einer Publicrelations-Aktion für ein Produkt oder in diesem Falle für ein Dienstleistungsunternehmen vermitteln, von dem Sie selber noch nicht wissen, was Sie eigentlich von diesem Produkt oder diesem Unternehmen halten sollen.
Warum sagen Sie denn nicht der Öffentlichkeit — Sie kennen doch die Dimensionen, von denen ich eben gesprochen habe, ganz genau —, daß der Personalbestand der Bundesbahn in keinem Verhältnis mehr zur Ertragssituation dieses Unternehmens steht?
— Sie ist in der Tat „versohlt" worden;
ich empfehle Ihnen diesen Brief einmal zum intensiven Studium. Warum sagen Sie nicht offen — die Fachleute unter Ihnen wissen dies doch ganz genau —, daß die Löhne und Gehälter bei der Bundesbahn heute mit an der Spitze der Lohnskala in der Bundesrepublik stehen?
Warum sagen Sie nicht, daß diese Tatsache, verbunden mit einem eklatanten Personalüberhang, eine
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Merker
der Hauptursachen für die negative Wettbewerbslage gegenüber der privaten Verkehrswirtschaft und für die dadurch entstehende desolate Situation bei der Bundesbahn ist?
— Ich bin, wie Sie vielleicht der Ankündigung entnommen haben, ein Sprecher der Freien Demokratischen Partei. Wir Freien Demokraten haben schon Anfang der 70er Jahre einen rigorosen Personalabbau mit dem betriebswirtschaftlich optimalen Ziel von ca. 280 000 Beschäftigten gefordert
und haben dies im Frühsommer dieses Jahres in unseren Thesen zur Gesundung der Deutschen Bundesbahn bekräftigt.
Ich möchte die ausführlichen Bemerkungen meines leider allzu früh verstorbenen Kollegen Alfred Ollesch hier nicht wiederholen; sie haben heute wie vor einem Jahr ihre Gültigkeit.
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich komme zu Ihrem Antrag. Die Punkte 1 bis 3 Ihres Antrages waren schon zum Zeitpunkt der Antragstellung Grundlagen der Politik dieser Regierung. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Investitionsprogramm für die Neu- und Ausbaustrekken. Die Investitionsplanung der Bahn ist auf fünf Jahre im voraus angelegt und wird jedes Jahr neu fortgeschrieben. Ein Beispiel dafür, daß Zusatzmittel im Rahmen von Sonderprogrammen auch heute schon investiert werden können, ist das Programm für Zukunftsinvestitionen, kurz „ZIP" genannt. Hier geschieht doch genau das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Nur wissen Sie doch genauso gut wie wir, daß es nicht damit getan sein kann, eine Investitionsplanung zu betreiben und Mittel bereitzustellen; die Realität sieht doch so aus, daß wir ebenso wie bei anderen Projekten — wir kennen das doch beispielsweise aus dem Straßenbau — in zunehmendem Maße auf Widerstände von seiten der Be- . völkerung stoßen und gerade im Bereich der Modernisierung und der Anpassung des Streckennetzes mit soviel Widerstand zu kämpfen gehabt haben, daß wir kaum in der Lage sind, die vorhandenen Mittel auch zu verbrauchen, geschweige denn eine politisch wie unternehmerisch gewollte Maßnahme in 'die Tat umsetzen zu können. Diese Diskussion haben wir doch schon bei dem Vetsuch der Reduzierung des Netzes mit aller Intensität geführt.
Der Punkt 4 Ihres Antrages mit der Forderung nach dezentraler Mittelbewirtschaftung klingt zunächst, das muß ich Ihnen zugeben, ganz gut, hält aber bei näherer Betrachtung einer ernsthaften Prüfung kaum stand. Abgesehen von der Tatsache, daß hundert Mark Zuschuß auch dann hundert Mark Zuschuß bleiben, wenn Sie diese hundert Mark auf vier Ressorts mit je 25 DM verteilen, möchte ich doch nicht versäumen, Sie darauf hinzuweisen, daß in Teilbereichen die von Ihnen geforderte Ressortverantwortlichkeit seit langem ein Faktum ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sick?
Frau Präsidentin, dies ist meine erste Rede vor dem Hause, und ich wäre Ihnen dankbar,
wenn Sie mir gestatteten, diese ohne Zwischenfragen zu Ende zu führen.
Bitte schön, Herr Abgeordneter. •
Der stärkste Posten an gemeinwirtschaftlichen Leistungen, im Schienenpersonennahverkehr, muß und soll auch weiterhin vom Verkehrshaushalt getragen werden. Denn wir Freien Demokraten sind der Aufassung, daß der verkehrspolitische Aspekt, wie z. B. Straßenentlastung, und eine gesamtwirtschaftlich kostengünstigste Verkehrsbedienung, im Vordergrund dieser Überlegungen stehen müssen. Andere Leistungen, die die Deutsche Bundesbahn auf Grund von Auflagen erbringen muß, werden auch heute schon von anderen Ressorts abgegolten. Beispielsweise werden aus dem Haushalt des Bundesministers für Arbeit die unentgeltliche Beförderung von Schwerbeschädigten im Nahverkehr und aus dem Haushalt des Bundesministers für Wirtschaft die Frachthilfe für das Zonenrandgebiet finanziert. Eine darüber hinausgehende Zersplitterung würde nur zu einem größeren Kompetenzwirrwarr und zu Leerlauf führen, welche sich negativ auf die Entscheidungsabläufe der Bundesbahn auswirken würden. Denn das ist doch klar: wer zahlt, will auch mitreden.
Im übrigen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist das Grundproblem im Komplex „Bundesbahn" doch nicht die Verteilung der Mittelaufkommen auf verschiedene Ressorts, sondern die Tatsache, daß dieses Unternehmen einen jährlich steigenden Kostenunterdeckungsgrad hat, den wir letztlich kaum noch vor dem Steuerzahler verantworten können und der, wenn nichts Entscheidendes passiert absehbar einen Punkt erreichen wird, wo der gesamte Verkehrshaushalt aus Zuschüssen an die Bundesbahn besteht. Die Bundesbahn ist deshalb zu einem echten Haushaltsrisiko geworden.
Wir stehen vor der Tatsache, daß. mit kleinen Schönheitsreparaturen — hinsichtlich Ihres Antrages, meine Damen und Herren von der Opposition, würde ich sogar von „Makulatur" sprechen — kein nennenswerter Erfolg im Hinblick auf die Verbesserung der Unternehmensstruktur der Bundesbahn zu erreichen sein wird. Hier gilt es, drastisch greifende Maßnahmen nicht zu 'scheuen, bei denen wir in unserer Verantwortung als Abgeordnete das Gemeinwohl beachten und nicht nur auf bestimmte Wähler schauen dürfen.
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Merker
Der § 28 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 schreibt vor — ich zitiere hier mit Genehmigung der Frau Präsidentin —:
Die Deutsche Bundesbahn ist unter der Verantwortung ihrer Organe wie ein Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel bester Verkehrsbedienung nach kaufmännischen Grundsätzen so zu führen, daß die Erträge die Aufwendungen einschließlich der erforderlichen Rückstellungen decken; eine angemessene Verzinsung des Eigenkapitals ist anzustreben. In diesem Rahmen hat sie ihre gemeinwirtschaftliche Aufgabe zu erfüllen.
— Nein, eben nicht. Deswegen lese ich es ja vor.
Dieser Auftrag des Gesetzgebers — verglichen mit der heutigen Situation — bedarf wohl keines weiteren Kommentars.
Wir alle haben uns meiner Meinung nach schon zu lange den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß wir in unserer Kontrollfunktion unseren gesetzgeberischen Auftrag in der Vergangenheit, aber auch heute noch — gelinde gesagt — zu lasch handhaben, um nicht zu sagen, daß wir alle, gestern wie heute, in unserer Verantwortung für dieses Unternehmen DB versagt haben. Wir alle — Regierung, Parlament, Länder und Gemeinden — sind jetzt aufgerufen, gemeinsam und schnell nach Lösungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Situation bei der Bundesbahn zu suchen.
Die FDP ist dieser Verantwortung mit der Vorlage sehr konkreter Vorschläge gerecht geworden, die vor allem darauf abzielen, das Unternehmen wieder führungsfähig zu machen. Dies halten wir für besonders wichtig. Hierzu gehört sicher eine sachlichere Diskussion als bisher über eine Reduzierung des Personalbestandes und des Streckennetzes, aber auch die Erörterung des Problems der Trennung von Fahrweg und Betrieb — übrigens des Kernpunktes der FDP-Forderungen, die dann später vom Deutschen Industrie- und Handelstag übernommen wurden. Und wenn Kollege Jobst hier soeben in seiner Rede gesagt hat, er halte von diesem Vorschlag überhaupt nichts, dann kritisiert er damit natürlich auch den Sachverstand des gesamten DIHT.
Im letzten Punkt Ihres Antrags, meine Damen und Herren von der Opposition, stimmen wir Ihnen ebenso wie vor einem Jahr zu. Die Kostenrechnung des Unternehmens für die einzelnen Teilbereiche läßt auch heute noch zu wünschen übrig.
Wir sollten an dieser Stelle gemeinsam die Forderung nach einer transparenten und damit klareren Kostenrechnung an das Unternehmen stellen. Es muß vor allem möglich sein, unternehmens- und verkehrspolitische Entscheidungen auf der Grundlage einer aussagekräftigen Kostenrechnung leichter zu treffen. Allerdings kann diese gemeinsame und im
Interesse der Steuerzahler dringliche Forderung nicht dazu führen, daß wir Freien Demokraten Ihrem Antrag insgesamt zustimmen; denn er ist, wie ich eben ausgeführt habe, in den wesentlichen Punkten überholt und entbehrt leider — wie in anderen Sachgebieten — jeglicher eigener konkreter Vorschläge, die auch dem Bürger einmal klarmachen, was diese Opposition eigentlich will: sein Wohl oder sein Wehe.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Bundesminister Gscheidle.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jede Bundestagsdebatte besitzt am Anfang immer die knisternde Spannung, ob nicht doch etwas Neues zum Thema gesagt wird. Insofern hat jeder zu Beginn die größte Aufmerksamkeit. Aber wir tun uns bei diesem Thema schwer, um das ganz versöhnlich allgemein zu formulieren.
Ich glaube, Herr Dr. Jobst, es gibt doch wohl keinen Zweifel, daß sich das Haus in der Feststellung einig ist, daß in den Anforderungen der Bundesbahn an den Bundeshaushalt ein Haushaltsrisiko liegt. Meines Erachtens gibt es auch in dem Schluß Ihrer Ausführungen — sozusagen in der Zusammenfassung Ihrer Therapie —, daß man bei der Bundesbahn die Kosten senken und die Erträge steigern müßte, eine volle Übereinstimmung. Das Problem ist eigentlich, wie man dies erreicht. Sie haben hier zum wiederholten Male den Vorwurf erhoben, es würden zu viele Modelle entwickelt. Natürlich wäre es bei Gelegenheit interessant, die Zahl 7 einmal nachzuvollziehen — einfach aus Neugierde, welchen zur Bundesbahn vorgetragenen Gedanken Sie eigentlich das Prädikat „Modell" zuerkennen.
Die Frage ist einfach, ob der Vorwurf, die Entscheidungen würden zu sehr verzögert, zu beseitigen ist. Ich wende mich nicht gegen den Vorwurf; denn in der Tat ist ein Problem der Motivation der Eisenbahner natürlich auch darin begründet, daß sich ein solches Unternehmen in seinem Prozeß der Entscheidungsbildung schwerer tut als ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen. Die Frage ist ja nur: Wie können wir das beseitigen? Ein Vorschlag zu diesem Punkt ist beispielsweise, zu sagen: Buchen wir doch um! Wenn jemand von der Bundesbahn etwas will und wenn dies eine ressortbezogene Forderung ist, dann ressortiert der Ansatz in diesem Einzelplan! Der Gedanke ist gar nicht so schlecht. Es gibt auch niemanden, der a priori sagte, das sollte man nicht machen. Nur bezogen auf den Entscheidungsfindungsprozeß, Herr Dr. Jobst, werden Sie zugeben, daß damit die Entscheidung bei der Bundesbahn nicht beschleunigt wird. Der Gedanke hat zumindest für mich, das bekenne ich, trotz der Vorteile, die ich darin sehe, das Beängstigende, daß noch fünf weitere Ministerien mit den dazugehöri-
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Bundesminister Gscheidle
gen Ausschüssen in die Beratung darüber eintreten, und was dies für die Entscheidung bedeutet. Dies sage ich aus der Erfahrung als Postminister. Ich sehe schon das verständnisvolle Lächeln des ehemaligen Postministers Herrn Dr. Dollinger. Wir tun uns schon mit den Zuständigkeiten schwer, die wir in der jetzigen. Konstruktion haben. Wenn Sie noch einige hinzufügen, sollten Sie überlegen, ob das unter der Überschrift der „Beschleunigung der Entscheidungen" hilfreich wäre.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sick?
Bitte schön.
Herr Minister, wir sprechen mit Recht von den Eisenbahnern. Sie sind mit mir der Meinung, daß es auch die Ehrlichkeit gegenüber den Eisenbahnern erfordert, nicht Kosten auf Ihre Rechnung mitschleppen zu müssen, die Ihnen nicht zukommen, und daß das allein ein wesentlicher Schritt wäre, hier Kostenehrlichkeit herbeizuführen?
Aber natürlich. Wir werden da aber gemeinsam mehr als durch polemische Überspitzungen bewegen. Das ist jetzt nicht auf Sie gemünzt. Die Politiker aller Gebietskörperschaften in diesem Land sollten sich bemühen, gegenüber dem Bürger klarzustellen, daß diese 13,5 Milliarden DM nicht der Ausgleich für von der Bundesbahn und ihren Eisenbahnern verursachte Verluste sei, sondern daß darin 8,5 Milliarden DM auf Grund von notwendigen Leistungen enthalten sind, die die Bundesbahn zu erbringen hat.
Ein zweites Beispiel möchte ich hinsichtlich Ihrer Ausführungen, Herr Dr. Jobst, bringen. Sie sagten, der Gedanke der Trennung von Verkehrsweg und Betrieb sei ein Beispiel für einen Gedanken, der vom Verkehrsminister sofort übernommen und dann in die Prüfung hineingegangen sei. Sie schlossen noch eine Bewertung an. Ich könnte dazu jetzt auch sofort eine persönliche Bewertung abgeben. Ich hielte es schon von der Adresse, woher dieser Vorschlag kam, und der Unterstützung her, die der Vorschlag gefunden hat, allerdings für richtig, diesen Gedanken untersuchen zu lassen; denn ob wir ihm folgen oder nicht, so ist es für die Bundesbahn absolut notwendig, daß sie in der Lage ist, in einer größeren Kostenklarheit Fragen zu beantworten, die sich aus dem Marktgeschehen und seiner Entwicklung stellen. Insofern ist der Prozeß, der Ende 1974 eingeleitet wurde, für uns alle tatsächlich von großer Bedeutung, und es wird sich zeigen, wann die Bundesbahn in der Lage ist, durch ein spezifizierteres Rechenwerk viele unserer Fragen aus der Politik zu beantworten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Pfeffermann?
Bitte.
Herr Minister, hätten Sie für mich Verständnis, wenn ich auf die soeben gestellte Frage noch einmal zurückkomme und Sie bitte, an Hand eines Rechnungsjahres die durch andere verursachten Kosten vorzulegen, damit einmal auf einer solchen Grundlage ein offenes politisches Gespräch geführt werden kann?
Im groben ist das möglich — das ist dem Verkehrsausschuß vorgelegt worden —, im Detail ist das leider nicht möglich. Das hängt mit der zweiten Frage zusammen, woraus sich unser Bemühen ergibt, das Rechenwerk bei der Bundesbahn zu verbessern, woran sehr intensiv gearbeitet wird.
Im Zusammenhang mit der Bundesbahn sagt man, daß es sieben Modelle gebe, die in sich alle widersprüchlich seien. Nun sind Zitate aus eigenen Äußerungen nie so interessant, wie wenn man auf wissenschaftliche Arbeiten zurückgreifen kann; aber ich darf Ihnen, Herr Dr. Jobst, und auch den übrigen Verkehrspolitikern des Hauses folgendes empfehlen.
In der Zeitschrift für Verwaltungswissenschaft „Die Verwaltung" ist im März eine sehr fundierte Abhandlung erschienen, die sich mit der Frage beschäftigt, ob eigentlich für die Misere der Bundesbahn ein Zickzackkurs der Politik ursächlich war und wo die entscheidenden Schaltpunkte waren. Ich will das nicht vertiefen; aber ich glaube, für die Diskussion insgesamt ist die dortige Abgrenzung nicht uninteressant, die einmal von einer ersten Phase der Weichenstellung spricht — das ist die Zeit von 1950 bis 1960 —: Beginn der Liberalisierung in der Verkehrspolitik, 1961/1966 das, was man Sie wissen, was damit gemeint und abgedeckt ist — den „Leber-Plan" nennt, von 1967 bis 1972 die Politik unter dem Verkehrsminister Lauritzen mit der Überschrift „Kursbuch der Verkehrspolitik" . Ich würde sagen, danach wird dies unter der kritischen Beurteilung von solchen Phasenabgrenzungen als eine Verstärkung der betriebswirtschaftlichen Überlegungen bezeichnet.
Nun ist ja in der kontrollierenden Fragestellung, ob Verkehrspolitik mit ausreichender Effizienz gemacht worden ist, die Frage erlaubt: Ist denn das, was mit diesen Überschriften signalisiert ist, die entsprechende Antwort auf das, was in der Politik zur Beantwortung der Fragen anstand? Ich würde sagen, von einem Zickzackkurs kann man nicht sprechen. Man kann heute — das ist rückschauend immer möglich — 20 oder 30 Jahre vom Gesichtspunkt dessen, was wir heute wissen, betrachten und sagen: Man hat in der und der Zeit das nicht gesehen und hat das und das falsch ge-
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Bundesminister Gscheidle
macht. Aber die Frage ist: Hat man es damals gesehen?
Wir können heute aus einer verhältnismäßig kurzen Rückschau unsere Kenntnisse vertiefen und auf den Angriff, wir würden uns da ständig ändern, folgendes sagen. Ich vermag, Herr Dr. Jobst, wenn ich den Zeitraum seit 1974 betrachte — und das ist keine Distanzierung von anderen Zeiträumen, sondern ich meine nur, dies ist ein noch verhältnismäßig gewinnbringender Zeitraum, den man auf das eigene Handeln hin überprüfen sollte —, nicht zu erkennen, daß ein Widerspruch zwischen den Zielvorgaben 1974, dem Leistungsauftrag 1977 und den Kabinettsbeschlüssen vom 14. Juni besteht.
Die Richtigkeit in der Sache ist im übrigen nicht bestritten. Die Erfolge, die eingetreten sind, wurden in dieser Debatte heute schon angedeutet und besprochen. Herr Kollege Mahne hat die Zahlen bis Ende 1977 genannt. Wir wissen heute auf Grund von Veröffentlichungen der Bundesbahn von Anfang dieser Woche, daß es Ende dieses Jahres schon eine Zahl von 74 000 ist — ich komme auf die Zahl aus anderem Anlaß noch einmal zurück — und daß das Ziel, das in diesen Vorgaben der Verkehrspolitik gesetzt ist, nach aller Voraussicht nicht nur erreicht, sondern etwas unterschritten ist. Ich glaube also; die These ist schon zu erhärten, daß es sich hier um eine konsequente — und dies schränkt nun allerdings, bezogen auf die Forderung, etwas ein — und realisierbare Politik handelt, die die Bundesregierung gegenüber der Bundesbahn betreibt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sick?
Ja, aber ich darf Sie bitten, das Fragezeichen wegen der Zeit möglichst schnell zu setzen.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, wennn ich feststelle, daß ein Teil der Schwierigkeiten, die auch Sie mit der Bahn haben — es ist ja ein schwieriges Problem — darin liegt, daß dieses Riesenunternehmen, etwas überspitzt gesagt, im Jahre 1978 im Oberbau mit Führungsstrukturen aus dem Jahre 1878 geführt wird?
Das ist ein interessantes Thema. Ich würde empfehlen, wir unterhalten uns einmal im Ausschuß darüber. Ich könnte die Frage nicht verneinen; aber dies ist nicht die ganze Wahrheit. Das wissen auch Sie. Da muß man über die Gesamtproblematik eines öffentlichen Unternehmens bei öffentlichem Dienstrecht und bei fehlender Resultats- und Leistungskontrolle reden.
— Sie meinen, ob ich der richtige Verkehrsminister
bin? Da gehe ich davon ans, daß Sie ohne Sachprüfung grundsätzlich unterstellen, Sie hätten die besseren Leute. Aber das ist kein Thema, über das sich mit Aussicht auf Erfolg zu streiten lohnt.
Die zweite These, von der ich im Hinblick auf Ihre Diskussion reden möchte, ist folgende. Die Bundesregierung ist wirklich der Überzeugung — das ist auch bei Ihnen durchgeklungen —, daß die Bundesbahn nicht verzichtbar ist. Aber ich sage noch einmal: Wenn wir alle dieser Meinung sind, müßten wir alle zusammen mehr tun — damit meine ich alle Gebietskörperschaften —, um dem Bürger klarzumachen, warum so viel Steuergelder als Ausgleichszahlungen zur Bundesbahn fließen müssen. Wir müssen immer wieder klarmachen, daß der Beitrag der Bundesbahn zur Entwicklung der Randgebiete von strukturschwachen Zonen notwendig ist, daß sie die Aufrechterhaltung eines Verkehrsangebots auch für zukünftige, möglicherweise energieärmere Zeiten gewährleistet, daß sie die Sicherung der freien Wahl der Verkehrsmittel für die Bürger und die Wirtschaft garantieren muß — ich habe Zweifel, ob das ohne die Bundesbahn noch zu garantieren wäre — und daß die Aufrechterhaltung öffentlicher Verkehrsbedienung für jeden Bürger von fundamentaler Bedeutung ist.
Ich könnte mir vorstellen, daß wir auch darin einig sind. Wir sollten das aber stärker spüren lassen. Die wichtigste Feststellung, in der ich mit Ihnen, Herr Dr. Jobst, einig bin, ist die, daß wir eine große Schwierigkeit haben, den. Eisenbahner noch zu motivieren. Der Eisenbahner — und jeder Mensch in einem Unternehmen — ist mit dem Unternehmensergebnis direkt verhaftet. Wenn keine positiven Exspektanzen für ihn erkennbar sind, ist die Leistungsmotivation gerade in so wichtigen Umstrukturierungsprozessen kaum möglich. Wenn wir uns hier zusammenfinden könnten, den Eisenbahnern gemeinsam klarzumachen, daß sie hier mit uns rechnen können, wäre das schon eine wichtige Sache.
Das sage ich deshalb, weil wir zunehmend die Diskussion haben, ob man das Ganze nicht privatisieren sollte. Es wird immer argumentiert, daß dann sehr viel mehr Dampf dahinter wäre, daß es dann sehr viel mehr Leistung, sehr viel mehr Kostenbewußtsein gäbe und sehr viel mehr herauskomme.
Ich behaupte — mehr als eine Behauptung kann das nicht sein —, daß Sie, wenn Sie versuchen, diese Aufgabe, die ich ganz grob in der Annahme des Einverständnisses des ganzen Hauses definiert habe, jemandem zu übertragen,. der dann die Bundesbahn als privatwirtschaftliches . Unternehmen führen müßte, niemanden finden werden, der sich danach drängt. Ich sehe auch nicht, daß das funktionieren könnte. Dies schließt nicht aus, daß man sich überlegen kann, wie man in ein öffentliches Unternehmen mehr an Verantwortung, an Kontrolle, an Motivation durch „positive" Sanktionen hineinbringen könnte.
Wir haben im Augenblick diese große Diskussion, die auch auf einem bekanntgewordenen Briefwechsel, den ich mit Herrn Sohl habe, basiert. Ich veröffentliche meine Briefe nicht so gern, bevor der Empfänger sie nicht hat; aber irgendwann wird der in Rede stehende Brief auch bekanntwerden, so, wie in diesem Land Briefwechsel behandelt werden. Sie
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Bundesminister Gscheidle
werden sehen, daß der Punkt, der hier erörtert ist, interessant ist. Dieses Problem wird sicherlich auch noch in die Beratungen des Verkehrsausschusses Eingang finden. Die Realisierung der Idee, daß man in diesem Zusammenhang nur gesetzliche Zuständigkeiten erweitern müsse und sich daraus schon eine Verbesserung ergeben würde, hätte allerdings zur Voraussetzung, daß wir — und ich meine mit „wir" den Bundestag — darauf verzichteten, in vielfältiger Weise auf die Bundesbahn Einfluß zu nehmen. Ich will nicht kritisieren, daß in der Fragestunde Fragen, warum ein Schnitzel kalt serviert werde und warum das Toilettenpapier härter geworden sei, behandelt werden. Ich könnte mir aber nicht vorstellen, daß es für irgendein Unternehmen in diesem Land hilfreich wäre, wenn in gleicher Weise auf es Einfluß genommen würde.
Ich kann nur sagen: Die Bundesbahn gibt sich große Mühe.
Ich will Ihnen einmal sagen, in welche Probleme die Bundesbahn kommt. Da ich nur noch drei Minuten Redezeit habe, will ich Ihnen in aller Kürze eine Datenreihe vom Ende dieses Jahres vortragen, die sich auf den Abbau der Personalkosten bei der Bundesbahn bezieht: 1974 konnten 52,6 % der Mindereinnahmen aus dem Verkehrsrückgang nicht aufgefangen werden-; 1975/76 waren es 68 %. Ab 1976 ist der Rückgang so hoch, daß die Mindereinnahmen durch den Abbau von Personalkosten nicht mehr aufgefangen werden können. Weiterer Kostenabbau ist nunmehr nur noch durch tatsächliche Rationalisierung und nicht mehr durch die Anpassung an den Rückgang im Verkehrsaufkommen möglich. Das ist für die Unternehmensführung eine ganz neue Qualität.
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen. Es gibt auch eine Diskussion, ob der Verkehrsminister mit seiner Erklärung, kein Eisenbahner werde entlassen, nicht eine Bremse eingebaut habe. Dazu gleich noch ein Wort, in dem ich auf die viel diskutierte Frage eingehe, wieviel Beschäftigte denn nun bei der Bundesbahn sind, die von einer sinnvollen Aufgabe her dort nicht in den Lohnlisten zu führen wären. Das sind nach Auffassung des Bundesbahnvorstands — der ist in seiner Verantwortung näher an den Problemen als wir, er wird auch ausreichend dafür ausgestattet, 'um solche Dinge entwickeln zu können — eben nicht 20 000, sondern nur noch 10 000. Genau sind es 10 669 Interessant ist aber, daß sich von denen nur 1 900 Arbeiter und 200 Angestellte in einem kündbaren Dienstverhältnis befinden. Ich sage Ihnen das deshalb, weil es auch im Zusammenhang mit dem erwähnten Briefwechsel eine Rolle gespielt hat. Wer eine solche Vorgabe bei einem so großen Sozialkörper nicht akzeptiert, um das Ganze sozialverträglich zu machen, wer also mit Entlassungen arbeiten will, der muß dann für sich so ehrlich sein und öffentlich vertreten, daß er auf dem Rücken der am wenigsten geschützten Minderheit die Härte demonstrieren will, die gelegentlich in öffentlichen Diskussionen verlangt wird.
Sie können dabei nicht mit Unterstützung von dem derzeitigen Verkehrsminister rechnen.
Wir sind im übrigen dabei, in der Frage der Verkehrsmarktanpassung der Bundesbahn zu helfen, wo wir können. Dazu müssen Sie aber einfach zur Kenntnis nehmen, wie problematisch die Entwicklung des Verkehrsmarktes ist.
Bezogen auf das erste Halbjahr 1978, die Zahlen hochgerechnet, haben wir im Gesamtverkehr, d. h. in der Summe der Verkehrsträger außerhalb der Bundesbahn einen Zuwachs von 3,7 %, bei der Bahn nur von 1,9 %. Jetzt ist folgendes interessant: Die Bundesbahn hat in dieser Entwicklung nur halbwegs mitgehalten, indem sie im Montagegüterbereich einen Zuwachs von 6,7 % durch Modernisierung ihres Angebots, durch größere Flexibilität gegenüber 7,6 % der übrigen Verkehrsträger geholt hat. In dem Bereich der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse hat sie ein Minus von 11,9 % bei einem Plus der übrigen Verkehrsträger von 2,9 %. Noch ein gravierendes Beispiel: Investitions- und Verbrauchsgüterindustrie und sonstige Güter minus 4,7 %, während die übrigen Verkehrsträger in diesem Bereich ein Plus von 3,3 % erzielten.
Wenn Sie bezüglich der Situation der Verkehrswege sehen, was sich insbesondere auf den Straßengüterverkehr zubewegt hat, nämlich fast die gleiche Tonnenmenge, die sich von der Bahn abgewandt hat, dann sehen Sie auch, warum wir so große Anstrengungen im Huckepackverkehr, im Containerverkehr, durch internationale Vereinbarungen, durch verstärkte Zuschußgewährung unternehmen, um der Bahn dort zu helfen. Wir können nur hoffen, daß wir hier allseitige Unterstützung bekommen. Das wird in den Einzelabstimmungen noch schwierig genug.
Aber insgesamt zu Ihrer Forderung nach mehr Investitionen, Herr Dr. Jobst, um noch einmal auf Ihre Eingangsausführungen zurückzukommen: d'accord. Das war die feste Absicht. Sie wissen — Sie können es aus den Diskussionen im Verkehrsausschuß wissen —, daß die Bundesbahn fast 1 Milliarde DM von den von uns bereitgestellten Mitteln 1979 zurückgeben muß. Das heißt, diese Mittel kommen wegen der bekannten Schwierigkeiten nicht in Ansatz. Etwas, was sich die Verkehrspolitiker in diesem Hause im Interesse der Bundesbahn vornehmen könnten, wäre, daß man sich in der Frage des Baus notwendiger Güterumschlagstellen, notwendiger Neubaustrecken, notwendiger Erweiterungen mit all den Schwierigkeiten, die wir da haben, Mühe gibt, der Bundesbahn in diesen schwierigen Auseinandersetzungen Flankenschutz zu geben.
Im übrigen zeigt auch diese Debatte wieder: Wenn wir an die notwendige Verfeinerung dessen gehen, mit dem wir als Politiker der Bahn helfen können, dann ist die Ausschußsitzung immer der geeignete Ort. Ich freue mich immer über die große Sachlichkeit bei den Ausschußdebatten. Ich freue mich über die große Sachlichkeit übrigens auch bei dieser Debatte heute. Ich würde mir wünschen, daß diese Sachlichkeit auch in der öffentlichen Auseinandersetzung anhält. Es bleibt genügend Raum zur Profilierung. Es
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Bundesminister Gscheidle
ist bei allen Auseinandersetzungen nicht notwendig, daß der Eisenbahner in den Geruch kommt, als hätte er die schwierige Umstellung allein zu vertreten.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schulte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen von Herrn Verkehrsminister Gscheidle zum Schluß wie auch der gesamte Tenor seiner Rede waren gekennzeichnet von der Demut, die einem gebührt, der ein solches Wirtschaftsergebnis vorzuweisen hat.
Ich meine überhaupt, daß diese Debatte sehr interessant war. Herr Kollege Merker von der FDP hat uns gezeigt, was Doppelstrategie ist.
Er ist zwar einerseits Mitglied der Koalition, andererseits hat er sich aber so weit von der Regierungspolitik distanziert, daß wohl die Frage erlaubt ist, wann er oder zumindest seine Kollegen diese Distanzierung auch einmal in die Tat umsetzen werden.
Meine Damen und Herren, der Kollege Dr. Jobst hat dem Bundesverkehrsminister nicht etwa, wie hier gesagt wurde, Widersprüchlichkeiten vorgeworfen. Der Kollege Dr. Jobst hat dem Verkehrsminister vorgeworfen — und ich wiederhole dies —, daß er ständig neue Programme in die Welt gesetzt, sie aber nicht realisiert hat. Was fehlt, sind nicht neue Modelle; was fehlt, sind politische Entscheidungen.
Der Bundesverkehrsminister wollte 1974 ein optimales Streckennetz verwirklichen. Heute haben wir eher den Eindruck, als sei sein Programm stillgelegt, nicht etwa Eisenbahnlinien, an die er heran wollte.
Er wollte im Jahre 1974 — das gehörte zu den Zielvorgaben — das Dienstrecht reformieren. Daraus ist nichts geworden. Er wollte in demselben Programm Bahnbus und Postbus zusammenführen. Vier Jahre danach sind die Busdienste des Bundes immer noch nicht zusammengelegt.
Er spricht ständig vom Abbau der Wettbewerbsverzerrungen zwischen der Bahn und anderen Verkehrsträgern. Auch daraus ist nichts geworden, genausowenig wie aus der Abgrenzung der Verantwortlichkeiten zwischen dem Eigentümer Bund und dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn in Frankfurt.
Meine Damen und Herren, in seiner ersten Regierungserklärung hat Bundeskanzler Schmidt gefordert, der Zuschußbedarf der Deutschen Bundesbahn müsse reduziert werden. Wir waren damals bei 10 Milliarden DM. Inzwischen hat der Bundesverkehrsminister diese Forderung aufgenommen und im letzten Jahr in Form eines Tagesbefehls an die Deutsche Bundesbahn festgelegt, daß ihr Defizit verschwinden müsse. Nur: Das Defizit hat sich nicht darum gekümmert, und der Zuschußbedarf der Bahn ist inzwischen jenseits von 14 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, nach all diesen Modellen, die nicht realisiert wurden — und das hat der Kollege Dr. Jobst gemeint —, kommt jetzt ein neues Modell in die Diskussion: die Trennung von Fahrweg und Betrieb. Ich weiß nicht, warum dieses Modell kommt — vielleicht in der Hoffnung, mit der Diskussion darüber die nächste Bundestagswahl zu erreichen.
Wir warten gespannt darauf, wann das Modell von der Trennung von Lok und Wagen kommt; das fehlt in dieser Serie noch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mahne?
Nein.
Meine Damen und Herren, in dem Antrag, den wir vorgelegt haben, handelt ein Punkt von den politisch verursachten oder gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Es ist der politische Block innerhalb der Bundeszuwendungen. Bundesverkehrsminister Gscheidle und auch die anderen Redner — vor allem Herr Mahne — haben davon gesprochen, hier sei nichts zu bewegen. Wenn wir einmal die Entwicklung der Bundeszuwendungen in den letzten Jahren anschauen, dann stellen wir unschwer fest, daß dies der explosive Teil dessen ist, was sich bei der Bahn und bei den Zuwendungen verändert.
Nur, der Bundesverkehrsminister läßt diese Dinge laufen, und wenn einmal ein konkreter Vorschlag gemacht wird, sorgt er mit dafür, daß er abgelehnt wird, obwohl z. B. sein Staatssekretär Ruhnau in der Sitzung des Verkehrsausschusses bei dem Thema der Abgeltung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Schülerverkehr die Frage gestellt hat, warum dies eigentlich aus dem Verkehrsetat bezahlt werden müsse.
Wenn ich dies im Namen meiner Fraktion anspreche, dann geht es nicht darum, daß wir etwa gemeinwirtschaftliche Leistungen der Bahn demontieren wollen. Was wir brauchen und was wir wollen, ist ein sinnvolles Zusammenspiel zwischen unternehmerischer Leistung auf der einen und gemeinwirtschaftlicher Leistung auf der anderen Seite. Was wir wollen und was wir brauchen, ist eine neue Definition dieser gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Es muß für jedermann sichtbar sein, wer was zu verantworten hat. Das ist der Kern unseres Antrags. Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen.
Wir haben heute aufs neue — zuerst vom Kollegen Mahne, nachher vom Herrn Bundesverkehrsmi-
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Dr. Schulte
nister — etwas über Ertragseinbrüche gehört. Hier wird wieder über die Montanindustrie gesprochen. Wir hören dies seit nunmehr vier bis fünf Jahren. Was uns eigentlich bewegen sollte, ist in diesem Fall nicht mehr die Analyse der Ursachen. Dieser Punkt kann von den Redenschreibern eigentlich in ein Geschichtsbuch über das Eisenbahnwesen gesteckt werden.
Um was es heute gehen muß, ist, wo wir Ersatzverkehre herbekommen, um die Lücken zu schließen, die da gerissen wurden.
Bis jetzt hat man sich auf seiten der Bundesregierung, aber auch bei der Koalition, Herr Mahne, nicht bemüht, Ersatzverkehre zu bekommen, um diese Lücken zu schließen.
Man hat sich nicht bemüht, die besonderen Stärken der Bahn, dieser Technologie herauszuarbeiten, z. B. beim Verkehr über weite Entfernungen oder im internationalen Verkehr. Man hat sich nicht bemüht, etwa mit anderen Eisenbahnen in Europa ein gemeinsames Marketing zu veranstalten. Man hat sich nicht bemüht, die Tarifbildung günstiger zu gestalten, so daß auch von da Anreize auf weiten Strekken entstehen.
Man hat sich nicht bemüht, die Abfertigung an den Grenzen zu verbessern. Das ist genauso wichtig für die Attraktivität des Eisenbahnverkehrs in diesem Punkt.
Zumindest seit dem Jahr 1969, seit ich im Verkehrsausschuß bin, reden wir auch über den kombinierten Verkehr. Nur, bis jetzt hat sich z. B. der Verkehrsminister überhaupt nicht angestrengt, auch den Werkverkehr auf die Schiene zu bringen. Da liegt bis heute noch nicht einmal ein Modell vor, und steuerliche Entlastungen haben erst kürzlich dieses Haus passiert; sie sind noch nicht einmal rechtskräftig.
Was wir brauchen und was die CDU/CSU will, ist, daß wir bei den Investitionen und allen politischen flankierenden Maßnahmen die Schwerpunkte dort setzen, wo die Bahn neue Verkehre gewinnen kann.
Die CDU/CSU will daneben folgende Prioritäten verwirklicht sehen.
Erstens. Bei dem explodierenden politischen Block innerhalb der Bundeszuwendungen muß das Verursacherprinzip eingeführt werden.
Zweitens. Der Verkehr der DB auf weiten Entfernungen und auf internationaler Ebene ist zu stärken.
Drittens. Der kombinierte Verkehr ist mit allen Mitteln auszuweiten; dies auch im Interesse der Straßenentlastung.
Viertens. Es ist baldmöglichst eine Entscheidung über das zukünftige Streckennetz zu fällen.
Fünftens. Es ist baldmöglichst eine Entscheidung über die Busdienste von Bahn und Post zu fällen. Ich freue mich dabei bereits auf die Reaktion der SPD-Fraktion.
Sechstens. Wir müssen investitionshemmende Faktoren abbauen, insbesondere Lärmgrenzwerte festlegen.
Siebtens. Wir müssen das Kostenschwellenprinzip schnellstmöglichst einführen.
Achtens. Wir müssen Schluß machen mit immer neuen Modellen. Der Verkehrsminister muß seinen Entscheidungsnotstand beenden und darf die DB nicht zur Bundesversuchsanstalt für das Eisenbahnwesen machen.
Vizepräsident Frau Renger: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 8/1464, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 8/849 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit.
— Ich hatte schon vorher ausgezählt, meine Herren.
Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Europäische Hochschulpolitik
— Drucksachen 8/1775, 8/2162 — Berichterstatter: Abgeordneter Rühe
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht über die Europäische Hochschulpolitik mit Sorge festgestellt, daß die Bereitschaft der deutschen Studenten, ins Ausland zu gehen, sehr stark abgenommen hat. Man kann diese berechtigte Sorge auch durch neueste Zahlen unterstreichen: Anfang der 60er Jahre gab es in der Bundesrepublik Deutschland 300 000 Studenten. Davon sind 10 000 ins Ausland
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Rühe
gegangen, um dort ein Studium durchzuführen. Heute haben wir 800 000 Studenten und gleichfalls nur 10 000, die bereit sind, ein Studium im Ausland durchzuführen. Es ist also ein deutlicher Rückgang hinsichtlich der Bereitschaft festzustellen, im Ausland zu studieren. Selbst diejenigen, die Stipendien, die eine Unterstützung aus Mitteln der Bundesausbildungsförderung bekommen, sind nur in einer Größenordnung von 1 0/0 bereit, ins Ausland zu gehen.
Das ist keine Entwicklung, die auf die. Bundesrepublik Deutschland begrenzt ist. Daß sie bei uns aber besonders ausgeprägt ist, zeigt der Vergleich mit Großbritannien, wo ungefähr doppelt so viele Studenten — englische Studenten — bereit sind, im Ausland zu studieren, wie das bei uns der Fall ist. Besonders besorgniserregend für diejenigen, die sich für ein weiteres • Zusammenwachsen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einsetzen — das läßt sich ja mit Verträgen über Weizen und Käse allein bekanntlich nicht erreichen, auch nicht über sehr wichtige Verträge im Bereich der Währungspolitik —, ist die Zahl hinsichtlich aller neun Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft: Nur 0,5 % der Studenten aller Mitgliedsländer führen zur Zeit ein Studium in einem Partnerland, im Ausland durch.
Für diese Entwicklung gibt es eine Reihe von Gründen. Sie liegen erstens in der Einstellung der Studenten selbst, zweitens in Tendenzen, die wir bei uns zu Hause zu suchen haben, was z. B. Schwierigkeiten bei der Anerkennung angeht, drittens in einem Bereich, über den ich insbesondere sprechen möchte: über die Barrieren, die in zahlreichen Ländern der Europäischen Gemeinschaft gegen Studenten aus anderen Ländern dieser Gemeinschaft in den letzten Jahren zunehmend errichtet worden sind.
Es ist heute so, daß durch eine Politik der Erhöhung der Studiengebühren, z. B. in Großbritannien und auch in Belgien, versucht wird, Studenten aus anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft abzuwehren. In der Bundesrepublik Deutschland dagegen praktizieren wir eine sehr freizügige Politik, eine völlige Freizügigkeit gegenüber Studenten aus EG-Partnerländern. Selbst in den harten Numerusclausus-Fächern haben wir eine Quote von 6 % bis 8 % für ausländische Studenten offengehalten.
Ich möchte klarstellen, daß ich Verständnis für die Länder habe, die sagen: Wir wollen nicht eure Numerus-clausus-Probleme lösen. Wir sind nicht bereit, all diejenigen Medizinstudenten, die bei euch keinen Studienplatz bekommen, aufzunehmen. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, den Studenten einen Studienplatz im Ausland zur Verfügung zu stellen, die bereits einen in Deutschland haben, für die es aber sinnvoll wäre, einen Studienabschnitt im Ausland zu verbringen.
Welches sind die Barrieren, die insbesondere in den letzten Jahren geschaffen worden sind? Ich nannte das Beispiel der Studiengebühren. Hier müssen wir fordern, daß bei den Studenten, die nur ein bis zwei Semester im Ausland studieren, keinerlei Studiengebühren erhoben werden, wo immer sie in der Europäischen Gemeinschaft studieren, und daß ansonsten das Prinzip der Gegenseitigkeit gilt. Es ist
überhaupt nicht einzusehen, daß ein Student aus England, der bei uns studiert, keine Mark an Gebühren bei uns zu zahlen hat, und Studenten aus der Bundesrepublik Deutschland, die in Großbritannien studieren wollen, im schlimmsten Fall einige Tausend Mark an Studiengebühren zu bezahlen haben. Dies ist eine völlig unhaltbare Situation für unsere Bevölkerung.
Ein zweiter Punkt ergibt sich bei den unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen und hier insbesondere bei der Sprachbeherrschung. Hier ist mit Recht zu fordern, daß eine ausreichende Sprachbeherrschung seitens des Studenten vorliegt. Manche der Länder in der Europäischen Gemeinschaft schrauben aber die Sprachanforderungen so hoch, daß sie ein zusätzliches Steuerungsinstrument in die Hand bekommen, um ausländische Studienbewerber abzuwehren. Auch das muß zurückgewiesen werden.
Gleichzeitig sollten wir uns aber selbstkritisch fragen, durch welche Maßnahmen der Bildungspolitik unserer Länder in den letzten Jahren die Beherrschung der Fremdsprachen zurückgegangen ist. Das ist eine Entwicklung, die man beobachten kann. Ich meine, wir sollten aus den Gründen, die wir hier ansprechen, nämlich um mehr Studenten ins Ausland zu bringen, auch fordern, daß die Fremdsprachenkenntnisse in unserem eigenen Lande wieder stärker ausgebaut werden.
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie sich energischer als bisher für eine völlige Freizügigkeit im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft einsetzt. Für den Fall, daß es in der nächsten Zeit nicht 211 erfolgreichen Verhandlungen kommt, sollte sie unseren europäischen Partnern klarmachen, daß Freizügigkeit allein in einer Richtung nicht funktioniert und daß dann das Ausmaß an Freizügigkeit, das wir ausländischen Studenten aus EG-Partnerländern einräumen, nicht für alle Ewigkeit gesichert ist.
Leider ist die Tagung des Ministerrats der Bildungsminister der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft am 27. November aus einer Reihe von Schwierigkeiten nicht zustande gekommen. Diese Schwierigkeiten gehen insbesondere von Frankreich und Dänemark im Zusammenhang mit Fragen der Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft in Sachen Bildungspolitik aus. Wir erwarten von der Bundesregierung angesichts der Tatsache, daß doch nicht einmal ein fester Termin für eine weitere Sitzung vereinbart werden konnte, daß sie unseren Partnerländern klarmacht, daß die Frage der Schaffung von mehr Freizügigkeit für alle Studenten aller Partnerländer der Europäischen Gemeinschaft sehr dringlich ist und daß es das deutsche Parlament nicht hinnehmen wird, wenn hier nicht sehr bald Fortschritte für deutsche Studenten in anderen Ländern erreicht werden.
In diesem Sinne haben wir eine gemeinsame Beschlußempfehlung formuliert. Ich glaube, daß sie für die Verhandlungsposition der Bundesregierung gegenüber den anderen Staaten hilfreich sein könnte. Wir erwarten allerdings von der Bundesregierung,
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Rühe
daß sie von dieser Beschlußempfehlung Gebrauch macht und die Interessen unserer Studenten gegenüber den Partnern in der Europäischen Gemeinschaft sehr energisch vertritt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weisskirchen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung soll sich energischer dafür einsetzen, daß die Gleichwertigkeit bei bestimmten Abschlüssen durchgesetzt werden kann. Herr Rühe, vielen Dank; wir sind in diesem Punkt sicherlich alle einer Meinung. Wenn man das mit der Debatte mit der letzten Woche vergleicht, muß man sagen, es wäre vielleicht angebracht, Herr Rühe, wenn Sie die gleiche Forderung in der Bundesrepublik Deutschland selbst im Verhältnis der Bundesländer untereinander stellten.
Die da und dort aufblitzende Schärfe der Debatte in der letzten Woche, als wir über den Bericht der Bundesregierung zu den strukturellen Problemen des föderativen Bildungssystems debattierten, steht in einem merkwürdigen Gegensatz zu der Einmütigkeit, mit der wir heute, Sozialdemokraten, Freie Demokraten und Opposition, vor das Plenum des Deutschen Bundestages treten können. Mir wäre es lieber, wir wären auch dort, wo es uns auf den Nägeln brennt, einig.
Die Kontroverse der letzten Woche macht hier einer gemeinsamen Beschlußempfehlung Platz; es war eine Kontroverse über unsere bundesrepublikanische bildungspolitische Wirklichkeit mit all ihren Eigentümlichkeiten, mit all dem, was uns noch aussteht, auch mit unserer provinziellen Enge da und dort und — wenn ich an einen Redner in der letzten Woche erinnern darf — der trotzigen Selbstgerechtigkeit dazu. Sie können sich aussuchen, wen ich meine.
Die Beratung im Ausschuß Bildung und Wissenschaft zum behandelten Gegenstand war ein Stück kooperativer Vernunft. Würde ein wenig davon auf unsere bildungspolitische Debatte, auf unsere Themen in unserem eigenen Land übertragen werden können, dann wäre für die politische Kultur unserer Republik vieles gewonnen, und die Auseinandersetzung in der Sache könnte aus dem Nebel der Schlagworte herausgelöst werden.
Tatsächlich trifft die europäische Bildungspolitik auf vergleichbare Probleme — Herr Rühe, Sie haben das eben angesprochen —, wie wir sie bei uns im Verhältnis zwischen Bund und Ländern antreffen können. Wohl kaum eine Region auf der Erde hat im Raum von 3 000 Kilometern eine solche Vielfalt der Hochschullandschaft aufzuweisen als gerade wir. Das ist Ausdruck der gewachsenen Bildungstradition Europas. Die Vielfalt trägt unverwechselbare und unverzichtbare Züge der geistigen und sozialen Entwicklung des einen Europas. Diese Vielfalt gilt es in der Zukunft stärker für die Lösung der anstehenden Probleme nutzbar zu machen. Ich möchte nur noch einiges zu dem ergänzen, was Sie schon angesprochen haben, Herr Rühe.
Harmonisierung — dieses Schlagwort in Europa — kann und darf nicht zum Hebel mißbraucht werden, diese produktive Pluralität einzuebnen, sondern muß durch pragmatische Regelungen darauf zielen, die Mobilität in Europa und damit zusammenhängend auch die gegenseitige Anerkennung von Studienanteilen und Studienabschlüssen zu erweitern. Der Ausschuß für Bildung und Wissenschaft unterstützt die Bundesregierung in ihren seit Beginn der 70er Jahre verstärkten Bemühungen, die Bildungspolitik als wesentliches Element der europäischen Integration auszubauen.
Für das Zusammenwachsen unserer Völker ist es sicherlich entscheidender — Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, Herr Rühe —, ob und wie die Jugendlichen einander näherkommen, miteinander an unseren Schulen und Hochschulen leben lernen, als den Butterberg zu verwalten. Leider gründet aber ein Mangel der bisherigen europäischen Konstruktion darin, daß, gemessen an der Bedeutung für die Zukunft unseres gemeinsamen Europas, die Gewichte falsch verteilt sind. Jede Mark und jede Rechnungseinheit, die wir in den Bildungsbereich zusätzlich hineinstecken könnten, wird das Leben der jungen Menschen untereinander auf dem Weg nach Europa positiver gestalten, als das je durch eurokratische Ertragsstabilisierungsmaßnahmen für die Landwirtschaft gelänge.
Der Bildungsbereich ist sicherlich einer der Schlüssel, mit denen wir die europäische Zukunft aufschließen können. Auf Jahre und Jahrzehnte gesehen kann durch das gemeinsame Lernen der jungen Menschen in Europa auf Schulen und Hochschulen von unten her eine Basis für die politische und soziale Entwicklung Europas geschaffen werden. Diesem schwierigen Prozeß dienen die sechs Vorschläge des Ausschusses, die ich im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zu unterstützen bitte.
Die Europawahl im nächsten Jahr ist eines der herausragenden Ereignisse 1979. Eine Frage ist — und wird dabei sicherlich bis weit in die nächsten Monate bleiben —: Wozu das Ganze? Oder, wie die „Zeit" am 10. November gefragt hat: „Farce oder Fortschritt?"
Hier auf diesem Gelände der europäischen Hochschulpolitik sind bereits einige Steine aus dem Weg geräumt worden. So sind beispielsweise gemeinsame Studienprogramme entwickelt worden, Kurse werden gemeinsam geplant, Hochschullehrer und Lehrer können ausgetauscht werden. Ira Rahmen der 1974 und 1976 verabschiedeten Aktionsprogramme wurden ganz konkrete Schritte vereinbart, die die Zusammenarbeit der europäischen Hochschulen erleichtern. Das Schlagwort „Integration" hat keinen Inhalt — es sei denn, es mündete in Strategien, die praktischen Probleme zu lösen.
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Weisskirchen
Materiell muß das nach meiner Auffassung z. B. auch heißen, daß dies auf europäischer Ebene in den Haushaltsansätzen spürbar wird. Nehmen wir z. B. das Aktionsprogramm. Dort wurden für die Umsetzung von fünf der sechs in diesem Programm genannten Aktionspunkte 1977 nur etwa 675 000 Rechnungseinheiten zur Verfügung gestellt. Die Mittel etwa für das Florenzer Hochschulinstitut, für das Berliner Zentrum sowie für die berufliche Bildung sind nicht eingerechnet; sie werden nämlich aus den Mitteln für die Sozialpolitik genommen. 1978 lagen die Ansätze immerhin fast sechsmal höher, nämlich bei 3,6 Millionen Rechnungseinheiten. Dies ist erfreulich, aber gegenüber den Aktionsschritten, die aus den Programmen von 1974 und 1976 zu folgern sind, immer noch zu wenig. Die personelle Ausstattung der zuständigen Dienststelle der Kommission in Brüssel beispielsweise läßt ebenfalls zu wünschen übrig; sechs Referenten bearbeiten die gewaltige Fülle der Aufgaben, die sich aus dem Aktionsprogramm ergeben.
Die Bundesregierung ermutigen wir, auf ihrem Wege der konkreten Veränderung in der europäischen Hochschulpolitik voranzugehen. Wir begrüßen ausdrücklich das Abkommen vom 15. September 1978 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich über die Einrichtung eines deutschfranzösischen Hochschulinstituts für Technik und Wirtschaft in Saargemünd. Nach dem Abkommen über die deutsch-französischen Gymnasien von 1972 und dem über die gegenseitige Anerkennung von Prüfungszeugnissen in der beruflichen Bildung im letzten Jahr ist diese Aachener Vereinbarung die erste wirkliche Absprache über die direkte Zusammenarbeit von Hochschulen, in diesem t all der Universität Metz und der Fachhochschule des Saarlandes.
Ermutigen möchten wir auch Herrn Minister Dr. Jürgen Schmude, wenn auch — Sie haben das zu Recht angesprochen — am 27. November die beabsichtigte Tagung des Rates mit den Ministern für Bildungswesen abgesetzt wurde. Wir möchten Herrn Dr. Schmude mit aller Kraft unterstützen, wenn er versucht, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Die Bedingungen der Zulassung von Studenten aus anderen. Mitgliedstaaten zu den Hochschulen der Europäischen Gemeinschaft müssen bald so geregelt werden, daß die Bereitschaft der Studenten, ausländische Hochschulen zu besuchen, gestärkt wird.
— Ich habe Sie leider nicht verstanden.
— Ich nehme an, daß sein Parlamentarischer Staatssekretär ihm das mitteilen kann.
Tatsächlich jedenfalls ist die Freizügigkeit der Studenten innerhalb der Gemeinschaft äußerst begrenzt. Allerdings meine ich, Herr Rühe, die Fluchtburgen, die es außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland für NC-betroffene Studenten gibt, tun
den anderen Ländern weh, und da müssen wir gemeinsam eine Lösung finden.
Die Arbeitsunterlage der Kommission der EG vom Februar 1978 beispielsweise sagt, daß etwa 21 000 Studenten an Hochschulen anderer Mitgliedstaaten eingeschrieben sind, gerade eben ein halbes Prozent aller Studenten in der EG. Die Zahl deutscher Studenten im Ausland — Sie haben recht — stagniert. Nach Statistiken der UNESCO beispielsweise studierten 1962 9 700 und 1975, wie Sie schon ausgeführt haben, knapp über 10 000 außerhalb der Bundesrepublik.
Außerdem ist festzustellen, daß sich der Wanderungsstrom der Studenten in den letzten Jahren nicht ausgewogen entwickelt hat. Einige wurden Abgabeländer, andere fast ausschließlich Aufnahmeländer. Für die Bundesrepublik gilt in Studienfächern mit beschränkter Zulassung für Anfänger, daß eine Quote von maximal 6 % der verfügbaren Studienplätze in Medizin, in Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie sowie höchstens 8 % der Studienplätze in anderen Fächern mit beschränkter Zulassung für Ausländer reserviert ist, einschließlich der Staatsangehörigen der EG. In allen übrigen Studiengängen bei uns gibt es keine zahlenmäßigen Beschränkungen für ausländische Studenten.
Dem steht leider nicht, wie wir im Ausschuß haben feststellen müssen, in gleicher Weise eine Beteiligung deutscher Studenten an Studienangeboten der Hochschulen der Mitgliedsstaaten gegenüber. Wir müssen deswegen auch die Studenten darum bitten, daß sie ihre Chancen für die Zukunft in ihrem Beruf nicht ausschließlich in der Bundesrepublik suchen mögen, auch wenn sie Kenntnisse in einer Fremdsprache und in der ausländischen Gesellschaft brauchen.
Nachdrücklich bitte ich im Auftrage der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei die Bundesregierung, auf einheitliche Regelungen auch weiterhin zu drängen und in Brüssel eine gemeinsame Lösung zu suchen. Freizügigkeit für die Studenten in der EG darf keine Einbahnstraße sein.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schuchardt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte unterscheidet sich in der Tat erheblich von derjenigen der letzten Woche. In der letzten Woche haben wir uns darüber gestritten, wieviel Hessen- und wieviel RheinlandPfalz-Flüchtlinge es gibt, und haben uns dies gegenseitig vorgeworfen. Heute hoffen wir, daß so viel wie möglich Deutsche in einem anderen Land Europas studieren und umgekehrt. Es wäre gut gewesen, wenn diese Gedanken auch bei der bundesdeutschen Debatte schon stärker durchgeschlagen hätten.
Der Bericht der Bundesregierung über die europäische Hochschulpolitik hat dem Ausschuß deutlich gemacht, welche Erfolge, aber auch welche großen Schwierigkeiten bei dem Bemühen aufgetreten sind, eine größere Freizügigkeit innerhalb der europä-
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Frau Schuchardt
ischen Gemeinschaft sicherzustellen. Die Europäische Gemeinschaft, die im nächsten Jahr mit den Direktwahlen hoffentlich weiter zusammenwachsen wird, darf — darauf haben Herr Rühe und Herr Weisskirchen bereits hingewiesen — kein Europa der Wirtschaftsexperten und der Landwirtsschaftssubventionen und der Zollspezialisten werden. Europa kann auf die Dauer nur existieren, wenn es sich sehr viel stärker im Bewußtsein der Bürger etabliert. Das wird ein Europa der Bürokraten mit Sicherheit nicht tun. Eine europäische Bildungspolitik ist hierfür ein erheblich besserer Beitrag; sie bewirkt die Aufgeschlossenheit und das Interesse der Bürger, in die anderen Kulturen der europäischen Mitbürger hineinzusehen. Freizügigkeit und Mobilität werden sicherlich das einzige sein, das die Voraussetzungen dafür bringen wird, daß wir uns alle irgendwann einmal als Europäer fühlen.
Zu einer Zeit, wo wir die ersten Direktwahlen vor uns haben, ist es natürlich schmerzlich, zu beobachten, daß wir auf der anderen Seite ein sinkendes Interesse am Austausch zwischen den Ländern feststellen. Das heißt, daß heute weniger Studenten in das andere Land gehen, als das vorher der Fall war. Man muß darauf hinweisen, daß ein Mißverhältnis von vorhandenen und nachgefragten Studienplätzen nicht zum Egoismus in den einzelnen Ländern führen darf. Herr Rühe hat hier vorhin ein bißchen den Eindruck erweckt, als ob die Bundesrepublik das einzige Land mit Numerus-claususSituation sei. Einen Numerus clausus gibt es natürlich auch für Hochschulen anderer europäischer Länder. Wir sollten also nicht so tun, als ob das nur bei uns ein Problem sei. Egoistisch sich abzuschotten, ist, glaube ich, keine gute Antwort. Wie schnell man dies machen kann, wissen wir aus der Diskussion und aus den Erfahrungen im eigenen Lande. Die sogenannten „Landeskinderklauseln", die in einzelnen Bundesländern einzuführen versucht wurden, sind ein ganz entscheidender Beweis dafür, wie der Egoismus zwischen den Ländern bei uns Platz greift.
Ich hoffe, daß sich dies nicht zu einem Vorbild auf europäischer Ebene entwickelt.
Vor allem kommt es darauf an, die Politik zur Öffnung des Bildungswesens fortzusetzen. Die Länder — nicht nur die europäischen Partnerländer, sondern die deutschen Bundesländer — sind aufgefordert, jetzt endlich die Überlastprogramme für die geburtenstarken Jahrgänge zu verabschieden. Der Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern zum Abbau des Numerus clausus vom November 1977 muß voll durchgesetzt werden. Wir können von unseren europäischen Partnern nicht mehr verlangen als von uns selbst.
Der Ausschuß hat einmütig festgestellt, daß in fast allen Industriestaaten eine Expansion der Studentenzahlen stattgefunden hat und stattfinden muß. Aufgabe ist es nun, daraus national und international die Konsequenzen zu ziehen. Diese Konsequenzen können in freiheitlichen Staaten nicht Planung, Dirigismus und Einschränkung des Hochschulzugangs heißen. Wir brauchen eine europäische Politik zur Öffnung des Hochschulwesens und zum Abbau des Numerus clausus.
Zugegeben: Die Realisierung ist schwierig, zumal hier nicht einmal die elf Bildungspolitiken der deutschen Bundesländer genau auf einer Linie liegen. Die freie Wahl der Ausbildungsstätte und Freizügigkeit in allen Bereichen des Lebens ist nicht nur eine liberale Forderung, sondern Grundvoraussetzung für das Zusammenwachsen Europas, und dafür sollten wir auch hier die Voraussetzungen schaffen.
Das Bemühen um die Anerkennung der Diplome in der Europäischen Gemeinschaft ist ein langsamer und schwieriger Prozeß. Die Verabschiedung der Richtlinien zur Herstellung des Niederlassungsrechts für Ärzte vom Juni 1975 ist ein wichtiger Fortschritt, dem hoffentlich bald die entsprechenden Richtlinien für Zahnärzte, Tierärzte und Architekten folgen werden.
Die Bundesregierung hat die Zielsetzung verfolgt, möglichst keine quantitativen Mindestkriterien festzusetzen, sondern die gegenseitige Anerkennung flexibler zu vereinbaren. Darin unterstützen wir sie sehr. Nur dieser Weg ist angesichts der unterschiedlichen Strukturen des Bildungs- und Hochschulwesens in den einzelnen Staaten der Europäischen Gemeinschaft gangbar.
Die Richtlinien zur gegenseitigen Anerkennung müssen nicht und sollen auch nicht die unterschiedlichen Hochschulsysteme in der EG vereinheitlichen. Wir Liberalen bekennen uns zur kulturellen Vielfalt Europas und haben dies im Programm der Europäischen Liberalen Demokraten deutlich gemacht. Uns geht es lediglich darum, die wirtschaftliche, berufliche und bildungsmäßige Freizügigkeit herzustellen.
Dies gilt übrigens in ähnlicher Form für den nationalen Bereich. Wir haben ja hier in der letzten Woche über den sogenannten Strukturbericht diskutiert. Ich meine: Auch dies kann man auf Europa übertragen. Es geht nicht um Vereinheitlichung, wohl aber um weitgehende Flexibilität.
Zur Förderung der Freizügigkeit und der Mobilität müssen eine Reihe von Hemmnissen abgebaut werden. Ich möchte sie noch einmal zusammenfassen: Wir müssen auf einheitliche Regelungen für die Zulassung von Studienbewerbern aus dem Ausland hinwirken. Wir müssen darauf drängen, daß die Hochschulzugangsberechtigungen gegenseitig anerkannt werden und das Bewerbungsverfahren vereinfacht wird. Wir müssen administrative und fiskalpolitisch motivierte Hemmnisse abbauen und mehr Freizügigkeit für das Studium im europäischen Ausland verwirklichen. Vor allem und vordringlich sollten die Möglichkeiten verbessert werden, die es Studierenden der Partnerländer erlauben, wenigstens einzelne Studienabschnitte an ausländischen Hochschulen zu verbringen. Der Bundesregierung ist darin zuzustimmen, daß der Abbau von Hemmnissen in diesen Bereichen vordringlich ist und auch in nächster Zeit realisierbar erscheint.
Hierzu gehört aber nicht nur, daß in England zum Beispiel auf hohe Studiengebühren für Auslän-
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Frau Schuchardt
der verzichtet wird, sondern auch, daß wir die finanzielle Förderung der Auslandsstudiums verbessern. Bei der Beratung des sechsten Änderungsgesetzes des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, dessen Entwurf ja gewisse Verbesserungen enthält, wird dies wohl auch ein wichtiger Punkt sein, auf den wir achten sollten.
Zu den Erfolgen europäischer Hochschul- und Wissenschaftspolitik gehört sicher die Einrichtung des Europäischen Hochschulinstituts, das einen wesentlichen wissenschaftlichen Beitrag zur Integration Europas leistet und leisten wird. Trotz dieser und anderer Fortschritte muß grundsätzlich immer noch ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen europäischer Wirtschafts-, Währungs- und Landwirtschaftspolitik einerseits und europäischer Bildungs- und Wissenschaftspolitik andererseits festgestellt werden.
Europa ist keine Insel, alle europäischen Staaten tragen Verantwortung für die Dritte Welt. In der Ziffer 5 der Beschlußempfehlung des Ausschusses, nach der die Zulassung von Studienbewerbern aus Ländern der Dritten Welt stärker als bisher davon abhängig gemacht werden soll, daß die Ausbildung anschließend dem Heimatland zugute kommt, ist zweifellos eine Einschränkung der individuellen Freiheit der Betroffenen. Trotzdem stimmen wir Liberalen im Grundsatz auch diesem Punkt zu, weil anders das unerträgliche Ungleichgewicht dieser Länder gegenüber den europäischen Staaten nicht gemildert werden kann.
Bildungspolitische Fragen sind leider erst sehr spät in das Interesse der europäischen Politik aufgenommen worden. Ich wünsche Minister Schmude und seinem Staatssekretär ausdrücklich Erfolg, und ich möchte ihn auch ermutigen — insofern sind wir alle einer Auffassung —, dieses Feld in Europa noch stärker zu bestellen, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Engholm.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Abgeordneten Rühe sehr dankbar, daß er hinsichtlich des Nichtzustandekommens der Ratssitzung in Brüssel hier einige Äußerungen, die im „DeutschlandUnion-Dienst" vom Kollegen Prangenberg zu Papier gebracht worden sind, richtiggestellt hat. Sie haben darauf hingewiesen, daß Dänemark und Frankreich formaljuristische Erwägungen angestellt haben, die uns letztendlich zu der Auffassung geführt haben, den vielen Sitzungen in Brüssel mit einem Null-Ergebnis nicht auch noch eine weitere der Bildungspolitiker und -minister hinzuzufügen. Ich meine, daß diese Entscheidung richtig war.
Ich darf im Namen der Bundesregierung sehr kurz, weil vom Inhalt her das meiste gesagt worden ist, die Entschließung des Bundestags begrüßen, besonders weil in dieser Entschließung die Einmütigkeit
aller Fraktionen zum Ausdruck kommt. Das scheint mir der notwendige Rückenwind für die bevorstehenden Verhandlungen zu sein, die sicherlich im Frühjahr des nächsten Jahres stattfinden .müssen.
Diese Entschließung wird uns auch bestärken, weiterhin in der Öffentlichkeit und ebenfalls mit der Rückendeckung aller Fraktionen Studenten und Schüler, junge Lehrer, Forscher, aber auch Ausbilder und Auszubildende aufzufordern, jede Chance zu nutzen, um Teile ihrer Ausbildung im Ausland wahrzunehmen, weil wir glauben, daß es keine bessere Grundlage für die Erweiterung des Horizontes gibt, als ein bißchen den frischen Wind anderer Länder, anderer Kulturen, anderer Systeme, anderer Verhaltensweisen kennenzulernen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sehr wenige Bemerkungen zur internationalen Bildungspolitik machen. Es ist sicher, daß auch in diesem Parlament. Aspekte der Bildungspolitik, wenn sie die nationalen Grenzen überschreiten, immer im Windschatten der Debatte stehen. Sie werden selten, wirklich zur Kenntnis genommen. Dabei sind wir Bildungspolitiker uns darüber einig, daß Europa mehr als nur Berge von Schweinen, Milchpulver und Butter, Diplomatenbegegnungen und Währungskalkül sein muß. Es gibt eigentlich keinen besseren Weg, als die Herzen und die Hirne der Menschen — die braucht man, wenn man Europa will — über eine gemeinsame Bildungsanstrengung zu erschließen.
Deshalb sind wir für diese Entschließung dankbar, weil sie dazu beitragen wird, gemeinsame Anstrengungen zur Verbesserung der Bildungsstrukturen in der Gemeinschaft herzustellen, und wir wissen, daß Bildung dazu beiträgt, berufliche, aber auch private Entfaltungschancen zu erhöhen. Wir wissen, daß das private Leben und das kulturelle Leben der Nationen und der Gesamtgemeinschaft bereichert werden kann, und wir wissen, daß Bildung eigentlich der einzige wirklich probate Weg ist, um Vorurteile bereits bei jungen Menschen abzubauen und dabei längerfristig Verständnis und Frieden zu stabilisieren.
Wir haben in dieses europäische Bildungskonzert, wie ich glaube, als Bundesrepublik Deutschland einige nicht unerhebliche Aktivposten einzubringen. Ich will wegen der Kürze der Zeit nur ganz wenige nennen. Ich meine, daß man heute mit Fug und Recht sagen kann, daß die Mitglieder der Gemeinschaft das Berufsbildungssystem der Bundesrepublik Deutschland als einen solchen Aktivposten bezeichnen. Es gibt eine Fülle von Reisenden aus verschiedenen Ländern der Gemeinschaft, die sich heute bei uns umschauen und praktische Elemente des dualen Systems nicht nur hinterfragen, sondern da, wo sie übertragbar sind, auch mit in die Mitgliedsländer zurückzunehmen.
Es gibt darüber hinaus, wie ich glaube, mittlerweile eine Forschung in Deutschland, die wieder auf erheblich höherem Niveau operiert, als es manchmal die Unkenrufe in der Öffentlichkeit erscheinen las-
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Parl. Staatssekretär Engholm
sen. Wir haben heute eine sehr hohe Zahl von qualifizierten jungen Menschen, die auf Grund ihrer hohen geistigen Mobilität geradezu prädestiniert sind, mit anderen jungen Menschen in der Gemeinschaft zusammenzutreffen.
Die Bundesrepublik hat — und dies, glaube ich, kann man ungeschützt sagen — in den vergangenen Jahren vieles geleistet, um der Gemeinschaft auf die Beine zu helfen. Ich meine, daß sie dies auch im Bildungswesen getan hat. Die Abgeordneten, die vor mir gesprochen haben, haben zu Recht darauf hingewiesen, daß junge Menschen aus den Gemeinschaftsländern in unserem Bildungswesen, also auch auf unseren Universitäten, gern gesehene Gäste sind und daß es für diese jungen Menschen aus den Mitgliedsländern bei uns keine Schranken gibt. Weil wir Freizügigkeit praktizieren, weil wir bei dem Zugang in besten Sinne liberal sind, haben wir das Recht und, wie ich glaube, auch die Pflicht, andere Mitgliedsländer, die bis zum heutigen Tag unerwartet hohe, Schranken aufrechterhalten, darauf hinzuweisen, daß dies dem Einigungsgedanken elementar zuwiderläuft, und sie aufzufordern, dies abzubauen.
Ich nehme die guten Wünsche und die Aufforderungen an den Minister für ihn und damit stellvertretend für die gesamte Bundesregierung gern zur Kenntnis. Wir werden mit dem Rückenwind, den Sie uns heute gegeben haben, wie ich hoffe, in den nächsten Monaten zu handfestsen und praktikablen Ergebnissen kommen, die auch unseren jungen Menschen helfen werden, die Freizügigkeit in Anspruch zu nehmen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Auf der Berichtsdrucksache 8/2162 liegt Ihnen die Beschlußempfehlung in Form einer Entschließung vor. Wer dieser zustimmen will, den bitte ich. um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.
Ich rufe nun Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Langner, Dr. Jentsch , Dr. Lenz (Bergstraße), Helmrich, Dr. Laufs, Dr. Becker (Frankfurt), von der Heydt Freiherr von Massenbach, Böhm (Melsungen), Pfeffermann, Neuhaus und der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Bundeswahlgesetzes und des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten
— Drucksache 8/2306 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß Rechtsausschuß
Die Begründung wird sicherlich mit dem Wort zur Aussprache verbunden. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Langner das Wort.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Von der europäischen Hochschulpolitik nun zum nationalen Wahlrecht, genauer: zum Verbot sogenannter Wählernachfragen bzw. der Veröffentlichung sogenannter Wählernachfragen vor Ablauf der Wahlzeit.
Hier ist zunächst die Frage: Warum ein Gesetz? Das ist eine ernst zu nehmende Frage; denn wir haben mit Sicherheit nicht zuwenig, sondern zuviel Gesetzgebung. Auch wenn es sich nur um einen einzigen Satz handelt, den ich hierbei anrege, und auch wenn keinerlei Verwaltungstätigkeit damit verbunden ist und keine Kosten entstehen, so ist doch die Frage „Warum ein Gesetz?" sehr ernst zu prüfen.
Es geht, wie gesagt, um das Verbot von Wählernachfragen vor Ablauf der Wahlzeit. Was ist eine Wählernachfrage? Der Drang zu möglichst frühzeitiger exakter Voraussage eines Wahlergebnisses hat die Meinungsforscher auf diese Idee gebracht. Sie befragen am Wahltag die Wähler nach ihrem Wahlgang, wie sie denn abgestimmt hätten. Wenn sie besonders neugierig sind, fragen sie diese Wähler noch nach allen möglichen anderen Dingen, und dann kommt „der katholische Arbeitnehmer vom Land" oder „der protestantische Mittelständler aus der Großstadt" dabei heraus. Mittels Hochrechnungen gelingt es dann frühzeitig während des Wahltages, ein Ergebnis zu ermitteln, das dem amtlichen Endergebnis erstaunlich nahe kommt. Bei den Landtagswahlen am 8. und 15. Oktober in Hessen und Bayern konnten deshalb die deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten um 18 Uhr den Wahlausgang ziemlich exakt voraussagen.
Nun, das ist vom Ergebnis her nicht so furchbar aufregend; denn es gibt nur den Vorsprung von etwa einer Stunde vor ebenfalls relativ verläßlichen herkömmlichen Hochrechnungen. Wenn dadurch einiges von der Wichtigtuerei in den Wahlkampfsendungen zu kurz käme — eben weil die Spannung weg ist — oder wenn die Parteivorsitzenden oder ihre Generalsekretäre hier in Bonn mit ihren maßgeblichen oder weniger maßgeblichen Kommentierungen frühzeitiger zu Stuhle kämen, wäre das kein Schaden.
Auch wenn eine solche Wählernachfrage erst nach Ablauf der Wahlzeit veröffentlicht wird, ist eine Wahlbeeinflussung damit natürlich nicht gegeben. Freilich — und das sage ich für mich persönlich und nicht für die Fraktion —: Es bleibt ärgerlich, daß der Wähler — und er ist am Wahltag Souverän, er ist der Entscheidende am Wahltag — bei seinem Wahlgang durch Fragen nach seinem Wahlverhalten belästigt wird. Sein Wahlgeheimnis scheint davon nicht gravierend berührt; denn er braucht sich nicht befragen zu lassen. Außerdem steht jedermann frei, zu offenbaren, wie er gewählt hat.
Aber der Wahltag soll doch auch seine Würde behalten, gerade in der repräsentativen Demokratie. Wenn man dann aber mit dem Ziel befragt wird, schon lange vor Auszählung des Wahlergebnisses exakt zu wissen, wie die Wahl ausgegangen
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Dr. Langner
ist, kann für den Befragten — psychologisch — leicht der Eindruck entstehen, er sei nur eine Nummer in einer demoskopischen Rechnung und nicht der wirklich entscheidende Faktor an diesem Tag. Ich halte das nicht für gut. Ich bin deshalb ganz und gar nicht der Meinung eines bekannten Fernsehjournalisten, der gesagt hat, der Verzicht auf eine Nachfrage wäre geradezu ein journalistischer und wissenschaftlicher Rückschritt.
Die entscheidende Gefahr dieser Wählernachfragen geht aber von der Möglichkeit ihrer vorzeitigen Veröffentlichung aus. Es erscheint möglich, daß man am Wahltag gegen Mittag oder am frühen Nachmittag bereits eine Ergebnisrechnung zur Verfügung hat. Jedenfalls ist eine solche Verfeinerung zu erwarten. Alle möglichen Institute können Nachfragen veranstalten, und die interessierten Auftraggeber liegen auch auf der Hand.
Wenn nun solche wirklichen oder angeblich ermittelten Nachfrageergebnisse am Wahltag vor Schließung der Wahllokale durch Rundfunk, durch Fernsehen, über Flugblätter oder durch Nachmittagszeitungen veröffentlicht würden, dann ergäben sich automatisch zwei Klassen von Wählern, eine Klasse, die ohne Nachfrage-Wissen gewählt hat, und eine Klasse, die mit Nachfrage-Wissen wählt. Das darf meiner Ansicht nach nicht sein.
Die Veröffentlichung von Nachfrageergebnissen könnte als Mittel der Wahlbeeinflussung benutzt werden. Mitläufer- oder Mitleidseffekte sind nicht auszuschließen. Gerade wenn man weiß, daß sich man-
cher Wähler erst am Wahltag, der eine oder andere gar erst in der Wahlkabine definitiv entscheidet, dann ist überhaupt nicht auszuschließen, daß sich Wähler durch ein angeblich bereits feststehendes Wahlergebnis in ihrer Wahlentscheidung beeinflussen lassen.
Man muß deshalb in einer wesentlich vor Ablauf der Wahlzeit veröffentlichten Nachfrage einen zureichenden Wahlanfechtungsgrund erblicken mit der Folge der Notwendigkeit einer Wiederholung der Wahl. Von allem anderen einmal abgesehen entstünden dadurch bei einer Bundestagswahl Kosten in Höhe von 40 Millionen DM.
Durch die hier vorgeschlagene Gesetzesänderung soll jedermann vor Augen geführt werden, daß er durch verbotswidrige Veröffentlichung von Wählernachfragen Wahlanfechtung und Wahlwiederholung riskiert. Auch derjenige, der Wählernachfragen veranstaltet und sie anderen mit breiter Veröffentlichungsmöglichkeit lange vor Ablauf der Wahlzeit zugänglich macht, soll sein Risiko kennen.
Der zum Teil bereits unverbindlich erklärte Veröffentlichungsverzicht der Rundfunkanstalten soll gesetzlich verbindlich werden.
Der Wahlgrundsatz der freien Wahlen meint Wahlen frei von Druck. Der Wähler soll frei von öffentlichen oder privaten Pressionen seine Stimme abgeben. Schon jetzt steht im Gesetz, daß im Wahllokal keinerlei Wahlbeeinflussung stattfinden dürfe. Veröffentlichung von angeblichen Wahlergebnissen am Wahltag vor Ablauf der Wahlzeit auf Grund anscheinend sehr exakter Ermittlungsmethoden ist wohl eine verfeinerte, aber dadurch nicht weniger unzulässige Möglichkeit der Wahlbeeinflussung. Am Vortag der Wahl muß der Wahlkampf beendet sein. Es bleibt die persönliche Ansprache und das Angebot zur Mitnahme ins Wahllokal, so wie der Herr Bundeskanzler ja auch kürzlich in einer Rede in einem Landtagswahlkampf meinte: die Nachbarin und die Oma am Ärmel und mit ins Wahllokal nehmen. All das ist möglich. Auch die bunten Wahlplakate begleiten uns ja zulässigerweise bis zum Rathaus oder bis zur Schule. Aber Veröffentlichung von Wählernachfragen vor Ablauf der Wahlzeit? Nein, danke.
Die Veröffentlichung von demoskopischen Untersuchungen während des Wahlkampfes ist ohnehin problematisch genug. Am Wahltag schlägt es dann in eine andere Qualität um, so meine ich, denn die Frage lautet ja nicht mehr hypothetisch: Wie würden Sie wählen, wenn morgen Wahlsonntag wäre?, sondern sie lautet: Wie haben Sie gewählt? Die Beeinflussungsmöglichkeit, .die von einer solchen Mitteilung ausgeht, die auf Grund dieser Frage errechnet worden ist, ist viel wahrscheinlicher als bei der bloßen Mitteilung auf Grund von hypothetischen Fragestellungen bei Umfragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Berufsausübungsfreiheit von Demoskopen oder die Presse- und Informationsfreiheit werden nach meiner Auffassung nicht berührt, wenn der Gesetzgeber das Veröffentlichungsverbot von Wählernachfragen vor Ablauf der Wahlzeit normiert. Freiheit der Wahl als Schutzrecht für den Souverän, den Wähler, ist bei einer entsprechenden Güterabwägung allemal vorrangig. Der Wähler, um es noch anders auszudrücken, hat am Wahltag den Vortritt vor Demoskopie und Berichterstattung.
All das macht deutlich, daß die vorgeschlagene Wahlrechtsergänzung zwingend erscheint. Meine Damen und Herren, meine Fraktion bittet deshalb um Zustimmung zu dieser Initiative.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bühling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ziele, die der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt, sind sicherlich im Grunde berechtigt. Ich sage: im Grunde berechtigt; dann brauche ich mich auch nicht mit meinem Herrn Vorredner über die Akzentsetzung im einzelnen hier auseinanderzusetzen. Ich stimme Ihnen, Herr Langner, auch zu, daß es der Änderung bestimmter Paragraphen bedarf, um diese gesetzten Ziele zu erreichen. Ob man allerdings eine besondere Novelle braucht, ist die Frage. Darauf komme ich am Schluß noch zurück. In der Sache selbst ist, soweit ich das habe verfolgen können, die veröffentlichte Meinung einhellig. Das neuartige Instrument der Wählernachfrage und vor allem seine Konsequenzen stoßen auf Bedenken, Unbehagen und auch auf Skepsis.
Der Entwurf greift in ein Gebiet ein, das man hier sicherlich nicht zur Gänze erörtern kann, nämlich
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Bühling
in das Verhältnis von Meinungsbefragung und Wählerentscheidung. Wie weit diese beiden Faktoren zusammenhängen, mag in anderen Fällen und bei anderen Sachverhalten offen sein. Im vorliegenden Fall kann es meines Erachtens keinen Zweifel geben, daß die Befragung von Wählern nach der Stimmabgabe und die Veröffentlichung der gewonnenen Ergebnisse noch vor Ablauf der Wahlzeit eine unzulässige Beeinträchtigung des Wahlvorgangs ist. Jeder Wähler, der am Wahltag sein Wahlrecht noch nicht ausgeübt hat, kommt durch die Veröffentlichung solcher Art von Umfragen in die Gefahr unzumutbarer Beeinflussung. Er mag z. B. davon ausgehen, die Partei, die er sonst eigentlich wählen wollte, gewinne ja sowieso oder verliere ja sowieso. Demnach kann ihn eine solche Vorabumfrage von der Stimmabgabe überhaupt abhalten. Daß sich jemand auf diese Weise seines wichtigsten demokratischen Rechts begibt, wäre sicherlich ein beklagenswertes Ergebnis.
Der Wähler, 'der vor seiner Stimmabgabe schon echte Teilergebnisse hört, mag aus diesen auch Schlüsse für oder gegen eine bestimmte Partei ziehen, und er kann demnach seine ursprüngliche Tendenz auch ändern. Es lassen sich da unzählige Variationen denken, die ich nicht alle vor Ihnen ausbreiten will. Die Veränderungen in den ursprünglichen Entschlüssen der Wähler sind um so eher denkbar, wenn die Vorabergebnisse von den individuellen Erwartungen des Wählers abweichen.
Besonders sind die Bedenken in allen Parteien geäußert und auch veröffentlicht worden, nachdem bei den diesjährigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen die Wähler beim Verlassen der Wahllokale von Meinungsforschern nach ihrer Stimmabgabe gefragt worden sind. Dieses Unbehagen ist überall in der Bundesrepublik, nicht nur in den in Betracht kommenden Ländern, laut geworden. Schließlich könnten sich z. B. schon bei der nächsten Bundestagswahl die durch die Landtagswahlen in Bayern und Hessen ausgelösten Befürchtungen bewahrheiten.
Demgemäß erscheinen in der Tat rechtliche Maßnahmen geboten. Es wäre nicht unbedingt genug — auch das ist schon ausgeführt worden; ich wollte das noch mit einem gewissen anderen Akzent sagen —, daß man sich allein auf Selbstverpflichtungen verläßt. Niemand kann sicher sein, in einer Selbstverpflichtung alle in Betracht kommenden Institutionen und Personen zu erfassen, und niemand kann sich auf die Dauer darauf verlassen, daß jedermann der Versuchung widersteht, mittels Vorabbefragung der erste zu sein, der den Wahlausgang annähernd exakt, wenn auch vorzeitig, voraussagt und damit auch beeinflußt.
Die vorgeschlagenen Verbotsbestimmungen sind damit geeignet, die freie, d. h. von äußerer Manipulation völlig unbeeinflußte Wahl zu sichern. Es kommt hinzu, daß die Befragung unmittelbar nach der Wahlhandlung auch eine Überrumpelung, ja eine Belästigung des Wählers sein kann. Ich messe dem eine erhebliche Bedeutung zu. Dieses Vorgehen kommt in die bedenkliche Nähe eines Verstoßes gegen das Wahlgeheimnis. Wohl kann der Wähler — das ist richtig und auch von meinem Vorredner
gesagt worden —, der gerade seinen Stimmzettel in die Urne geworfen hat, den Befragern die Auskunft verweigern. Aber oftmals ist er nicht so geistesgegenwärtig, eine überraschende Frage abzulehnen, sondern er offenbart seine getroffene Stimmabgabe, die er eigentlich lieber für sich behalten hätte, ohne die neumodische Wählernachfrage früher auch immer für sich behalten hat und am liebsten auch in Zukunft immer für sich behalten würde. Es kann auch peinlich sein, in Gegenwart anderer Personen befragt zu werden, die zur gleichen Zeit aus dem Wahllokal kommen.
Dieses Problem wird durch das vorgeschlagene Gesetz nicht gelöst. Es sollte aber im Laufe der weiteren Beratungen noch einmal überdacht werden.
Daß die Verstöße gegen ein Verbot der Vorabveröffentlichung nur zu unterbinden sind, wenn sie mit einer Sanktion bedroht werden, liegt auf der Hand. Die Höhe der angedrohten Buße mag im Augenblick offenbleiben. Man kann darüber streiten, ob die Vorlage sie nicht etwas zu hoch ansetzt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang allerdings auch auf eine Unstimmigkeit im Gesetzentwurf aufmerksam machen. Nach der vorgeschlagenen Änderung des Wahlgesetzes soll die Veröffentlichung vom Ablauf der Wahlzeit ab — in der Regel also ab 18 Uhr — zulässig sein. Nach dem Vorschlag zur Änderung des Ordnungswidrigkeitengesetzes dagegen wird ausdrücklich jede Veröffentlichung am Tage einer Bundestagswahl — so ausdrücklich —, d. h. also praktisch bis 24 Uhr, mit Buße bedroht. Dies ist meines Erachtens ein erheblicher praktischer Unterschied; denn eine Veröffentlichung um 18.01 Uhr würde eine Vorabbefragung immer noch interessant machen. Eine Veröffentlichung am nächsten Tag wäre dagegen sicherlich von minderem Interesse. Dieser Widerspruch im Gesetzeswortlaut muß noch aufgelöst werden bzw. die auf jeden Fall bestehende Unklarheit muß beseitigt werden. In welcher Weise dies geschehen soll, wird auch von der grundsätzlichen Einstellung zur Wählernachfrage überhaupt abhängen.
Nach diesen Gesichtspunkten sollte der Entwurf in die Ausschüsse gehen. Es wäre aber nicht sinnvoll, ihn als isoliertes Gesetz zu verabschieden. Wenn schon mit Recht gerade von den Antragstellern über die Vielzahl der Gesetze geklagt wird, dann sollte dem auch Rechnung getragen werden, und die vorgeschlagene Novelle sollte in ein anderes Gesetz mit eingebaut werden. Das Bundeswahlgesetz muß wegen der erforderlichen ,neuen Wahlkreiseinteilung — auch wegen anderer Punkte — ohnehin in überschaubarer Zeit geändert werden. Bei dieser Gelegenheit sollte dann auch das Petitum der jetzt besprochenen Novelle mit einbezogen werden. Dies wäre der rationellste Weg für alle, die an den fraglichen Bestimmungen interessiert sind, für diejenigen, die davon betroffen sein könnten, und nicht zuletzt für den Gesetzgeber selbst.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
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Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat zur Einrichtung der Wahlnachfrage immer eine sehr kritische Haltung eingenommen. Dies kommt weniger daher, daß wir das Wahlgeheimnis in Gefahr sehen. Wäre es anders, so wäre die zwangsläufige Folge, daß Wahlnachfragen überhaupt verboten werden müßten. Wir sehen vielmehr die freie, weil auch psychologisch unbeeinflußte, Wahl in Gefahr, wenn nicht auszuschließen ist, daß Umfrageergebnisse vor Schließung der Wahllokale der Öffentlichkeit Bekanntwerden.
Nun hat mittlerweile die ARD ganz sicherlich auch auf Grund der Diskussion in der Öffentlichkeit, erklärt, künftig keine Wahlnachfragen mehr durchzuführen. Das ZDF hat erklärt, es werde die bei den Landtagswahlen in Hessen und in Bayern eingeführte Einrichtung weiter praktizieren.
Ich habe am 15. November 1978 in einem Brief an den Intendanten des ZDF, Herrn von Hase, auf die Gefahren hingewiesen und besonders darauf aufmerksam gemacht, daß als nächste große Wahl die Europawahl 1979 vor der Tür steht und Mißbrauch hier besonders naheliegt, wenn vom Donnerstag, dem 7. Juni, bis zum Sonntag, dem 10. Juni, gewählt wird, da nur fünf Staaten innerhalb der Gemeinschaft traditionell an Sonntagen, die anderen aber an Werktagen ihre Wahlen abhalten.
In der Antwort des Chefredakteurs Reinhard Appel vom 29. November 1978 ist mir mitgeteilt worden, das ZDF beabsichtige nicht, in Drittländern mit Wahlnachfragen aufzutreten, und sei somit auch gar nicht in der Lage, der Öffentlichkeit entsprechende Mitteilungen zu machen. In diesem Brief wurde noch einmal darauf hingewiesen, daß man alle Sicherungen eingebaut und sie sowohl personell angelegt wie auch durch Computersperre die Abrufbarkeit des Ergebnisses verhindert habe und daß man auch jederzeit bereit sei, sich der Kontrolle eines unabhängigen Experten zu unterwerfen.
Ich meine, dies alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß nicht letztlich ausgeschlossen werden kann, daß mit den am Wahltag gewonnenen Ergebnissen doch vielleicht einmal Mißbrauch getrieben wird.
Zum vorliegenden Gesetzentwurf werden wir in den Ausschüssen zu prüfen haben, ob es überhaupt wieder einmal einer gesetzlichen Regelung bedarf und ob, wenn wir im Bundeswahlgesetz die vorzeitige Veröffentlichung verbieten, ein solches Verbot strafbewehrt sein muß. Wenn aber dies bejaht wird, dann bin ich ganz anderer Auffassung als Herr Kollege Bühling, der die Frage aufgeworfen hat, ob es dann wohl angemessen sei, mit bis zu 100 000 DM an die Sache heranzugehen. Ich glaube, dies kann, wenn man zu einer Bußgeldvorschrift ja sagt, überhaupt nicht die Frage sein.
Aber ernstlich wird sich bei den Ausschußberatungen, Herr Kollege Dr. Langner, natürlich auch die Frage stellen, ob Sie hier das Gesamtproblem bewältigt haben und ob nicht, wenn man eine Strafvorschrift ins Auge faßt, eine Bußgeldregelung das richtige wäre, die alle parlamentarischen Wahlen
in unserem Land erfaßt, von Europa über den Bund zu den Ländern bis hinein in die Kommunen.
Die heutige Aussprache ist über den unmittelbaren Anlaß des vorliegenden Gesetzentwurfs hinaus eine Gelegenheit, einiges mehr zum Problem zu sagen.
Erlauben Sie mir deswegen ein paar persönliche Bemerkungen.
Wir sind nie dafür eingetreten, die Wahlnachfrage überhaupt gesetzlich zu verbieten. Aber es mag der Hinweis erlaubt sein, daß nicht alles nützlich ist, was nicht verboten ist. Es heißt in dem an mich gerichteten Schreiben des ZDF im letzten Satz — ich darf mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren —:
Gerade für die Analyse und Interpretation von Wahlergebnissen bleibt die „Umfrage am Wahltag" eine wichtige und notwendige Voraussetzung.
Erlauben Sie mir, daß ich dem eine Gegenthese entgegenstelle und frage: Ist es wirklich im Sinne einer lebendigen Demokratie, wenn der Öffentlichkeit zwei Minuten nach der Schließung der Wahllokale das mutmaßliche Ergebnis mitgeteilt und damit die Auswertung des Volkswillens in den Wahllokalen auf die Rolle eines rein bürokratischen Nachvollzugs des längst Bekannten zurückgedrängt wird? Da geht es ja nicht allein darum, daß sich Tausende, viele Tausende von Bürgern an einem solchen Wahltag in den Wahlvorständen ehrenamtlich zur Verfügung stellen, nein, es geht im Grunde um viel mehr.
Es ist hier von der Würde des Wahltages in einer repräsentativen Demokratie gesprochen worden, und ich unterstreiche dies. Ich bin der letzte, der sich dem technischen Fortschritt entgegenstellt und der nicht großen Respekt vor den Leistungen der Demoskopie hat. Nur, die Wahlnachfrage, so wie sie jüngst bei zwei Wahlen praktiziert worden ist, finde ich ärgerlich. Ich hatte, wäre bei mir vor dem Wahllokal nachgefragt worden, den festen Entschluß gefaßt, in diesem Fall bei der Wahlnachfrage erstmals — nur spielerisch, weil es da nicht schadet —der Christlich-Sozialen Union meine Stimme zu geben;
vielleicht, daß auf diese Weise dann die Zahlen einmal etwas durcheinandergeraten und die Freude an der Einrichtung der Wahlnachfrage etwas gedämpft worden wäre.
Meine Damen und Herren, es ist ja auch nicht so, daß ich und andere Kollegen mit ihrer Auffassung hier alleine stehen. Ich darf beispielhaft nur eine Stimme zitieren. Ein Kommentator des Bayerischen Rundfunks, Bernhard Ücker — ich zitiere aus dem Münchner Stadtanzeiger vom 14. November dieses Jahres —, hat sich mit dieser Frage beschäftigt. Er sprach vom Wahlgeheimnis, dessen Verletzung man
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978 9527
Engelhard
wohl kaum beweisen könne, und fährt dann fort — ich zitiere —:
Doch ernsthaft wäre zu prüfen, ob es denn wirklich sinnvoll ist, die dem lebendigen Interesse an einer demokratischen Entscheidung so förderliche Spannung früherer Wahlnächte, von den Hochrechnungen ohnehin bereits verwässert, noch gänzlich auszulöschen.
— Es ist, Herr Kollege, in diesem Zusammenhang wohl nicht die Frage, wie die einzelnen Anstalten verfahren. Und wir wollen ja auch nicht zum Mittel des gesetzlichen Verbots greifen. Vielmehr verspreche ich mir immer noch etwas davon, bei einer solchen Gelegenheit und von einer solchen Stelle aus an vernünftige Überlegungen zu appellieren.
Deswegen schließe ich eine weitere Frage an: Wäre es nicht zweckmäßig, die Anstalten setzten sich zusammen und dächten einmal darüber nach, ob in den Wahlnächten nicht ein Kanal für die politische — und nur die politische! — Information freigemacht werden könnte, die dann auch wieder örtliche Detailergebnisse bringt.
Das ist nicht nur eine Frage, die Parteimitglieder, Mandatsträger und politische Insider angeht. Ich weiß, daß viele Interessierte draußen im Lande an der heutigen Praxis Anstoß nehmen. Wir verfolgen hier im Hause hinsichtlich aller Sachbereiche das Ziel, mehr Lebensqualität für den Bürger zu schaffen. Vielleicht ist es nicht ganz unbillig, bei einer solchen Gelegenheit die bescheidene Bitte zu äußern: Für Wahltage und Wahlnächte mehr politische Lebensqualität!
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Innenausschuß — federführend — und an den Rechtsausschuß — mitberatend —. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Eintragung von Dienstleistungsmarken
— Drucksache 8/1543 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/2304 — Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Schöfberger
Abgeordneter Dr. Wittmann
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Wer den Art. 1 bis 5, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir stimmen noch über die Beschlußempfehlung unter Nr. 2 ab, die Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung
—Drucksache 8/1863 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/2314 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jenninger, Sauter , Dr. Stark (Nürtingen), Benz, Susset, Biechele, Dr. Laufs, Dr. Friedmann, Kolb, Bühler (Bruchsal), Dr. Stavenhagen, Dr. Langguth, Wissmann, Jäger (Wangen) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 69 b Abs. 3 der Gewerbeordnung
— Drucksache 8/1755 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 8/2314 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Lesung. Wer den Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
9528 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. Dezember 1978
Vizepräsident Frau Funcke Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz in dritter Beratung seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir müssen noch über die Beschlußempfehlung unter Buchstabe b abstimmen, den Gesetzentwurf zur Änderung des § 69 b Abs. 3 der Gewerbeordnung für erledigt zu erklären. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Branntweinmonopol
— Drucksache 8/2319 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Finanzausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — sowie zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre und sehe keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung des Rates über eine Beihilfe für die Entkeimung von Mais
— Drucksache 8/2098 Nr. 50, 8/2330 — Berichterstatter:
Abgeordneter Sauter
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ihnen liegt die Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 8/2330 vor. Wer dieser Beschlußempfehlung seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der für die heutige Sitzung vorgesehenen Tagesordnungspunkte.
Ich berufe das Haus auf morgen, den 7. Dezember 1978, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.