Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um die Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses — Drucksache 8/82 —.
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit ist die Erweiterung der Tagesordnung damit beschlossen.
Ich schlage vor, diese Wahl im Anschluß an die Wahl der Schriftführer, die ich heute als ersten Punkt aufrufen werde, vorzunehmen. — Darüber herrscht ebenfalls Einverständnis.
Dann rufe ich Punkt 2 der Tagesordnung auf: Wahl der Schriftführer
— Drucksache 8/83 —
Hierzu liegt Ihnen der gemeinsame Wahlvorschlag der drei Fraktionen des Hauses vor. Erhebt sich gegen den Wahlvorschlag Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Ich stelle fest, daß die vorgeschlagenen Schriftführer damit gewählt sind.
Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses
— Drucksache 8/82 —
Zur Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses liegt Ihnen ein interfraktioneller Antrag vor. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen. Damit sind die Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses gewählt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSU Versetzung der Generale Krupinski und Franke in den einstweiligen Ruhestand
— Drucksache 8/2 — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Zimmermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Verteidigungsminister Leber hat die Aussprache zur Regierungserklärung dazu mißbraucht, über die Generale zu reden statt über die Sicherheitslage dieses Landes.
Aus einer Debatte über die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland verteidigt werden soll, hat er eine Debatte „Verteidigt Leber!" gemacht. Ich werde hier einleitend auf die Hintergründe und Ursachen der Krise des Ministers und seiner Politik einzugehen haben.Weite Kreise der deutschen Sozialdemokratie haben ein traumatisch gestörtes Verhältnis zur bewaffneten Macht.
— Die da lachen, können das nur tun, weil sie die Geschichte ihrer eigenen Partei nie gelesen haben.
Der hieraus resultierende Widerwille, sich mit Problemen der Landesverteidigung sachlich zu befassen, gehört zum festen Traditionsbestandteil der SPD. Das ist bedauerlich bei einer Partei, die zumindest nach dem Willen ihrer Mehrheit Volkspartei sein will und daher die Interessen des Volkes, nicht also eine weltfremde Ideologie, vertreten sollte.Wir brauchen nicht bis auf Gustav Noske zurückzugreifen, dessen Verdienste um den Erhalt der Republik von Weimar noch heute viele Sozialdemokraten nur ungern oder überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Erinnern wir uns nur an die Zeit, in der die deutsche Wiederbewaffnung und wenig später die Schaffung einer Notstandsverfassung zur Diskussion standen. Die SPD war gegen die Bundeswehr und gegen den Beitritt zur NATO. Sie hat damals die wehrfeindliche Stimmung im Lande wesentlich mitgeprägt. Sie war mitschuldig an den Wogen der Ge-
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452 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Dr. Zimmermannhässigkeit, die den ersten Bundeswehrsoldaten in der Öffentlichkeit entgegenschlugen. Daß die Bundeswehr, obwohl auf dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform beruhend, zunächst eine Art Staat im Staate, eine nicht für voll genommene Kraft am Rande der Gesellschaft war und ihr die Integration in unseren Staat und in seine Gesellschaft schwer gemacht wurde, war ganz wesentlich ein Ergebnis der antimilitärischen Klimapflege der SPD.
Welcher Wust an antimilitärischem Vorurteil kam in dieser Partei hoch, als es galt, der Bundeswehr Zuständigkeiten für den Fall des inneren Notstandes zu verleihen. „Die Bundeswehr könnte gegen streikende Arbeiter eingesetzt werden", hieß damals eines der abenteuerlichsten Argumente. Warum sage ich das? Nicht um eine Partei oder einen Teil ihrer Mitglieder wegen fundamentaler Irrtümer zu demütigen, nicht um zu sagen: Schaut her, wie recht hatten doch wir! Irren ist immer menschlich. Es sollte bei der Beurteilung von Parteien, von Politikern, von Gruppen, Personen jeder Art nicht primär auf das ankommen, was sie früher dachten, sagten,
taten. An Irrtümer der Vergangenheit zu erinnern, ist jedoch dann eine unabweisbare Notwendigkeit, wenn es nur so möglich ist, Tatbestände der Gegenwart zutreffend zu würdigen.
Die sogenannte Generalsaffäre, die Ermittlung dessen, was in ihr steckt, was sie ausgelöst hat, erfordert dringend einen solchen Rückgriff auf die Vergangenheit; sie wäre sonst unaufklärbar. Im Interesse unserer Sicherheit aber muß sie schonungslos analysiert werden. Unsere Sicherheit, die Sicherheit dieses Landes, erfordert es, daß zwischen Regierung und bewaffneter Macht ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Vertrauensverhältnis besteht. Dieses Vertrauensverhältnis wurde durch die ohne jeden vernünftigen Grund verfügte Entlassung zweier hochverdienter Soldaten, der Generale Krupinski und Franke, auf das empfindlichste gestört.
Ganz besonders schockieren mußte in diesem Zusammenhang die rüde Art, mit der der verantwortliche Minister gegen die beiden Generale vorging. Der Brief, der die Entlassung und sofortige Dienstenthebung anordnete, enthielt weder Anrede noch Grußformel. Die Aktion erhielt dadurch den Charakter eines Ausschlusses mit Ehrverlust.
— Nur der, der kein Verhältnis zum Diener eines Staates und zu seiner Ehre hat, kann bei dieser Passage lachen. —
Diese skandalöse Affäre erscheint in Wirklichkeitals Groteske, wenn man sich die Zwangspensionierung und den zugrunde liegenden Sachverhalt vergegenwärtigt: In einer Luftwaffenunterkunft fand ein Traditionstreffen von Fliegern des Zweiten Weltkrieges statt. An dem Treffen nahm auch der ehemalige Stuka-Flieger und höchstdekorierte Soldat des Zweiten Weltkrieges, Oberst a. D. HansUlrich Rudel, teil. Die politische Spitze des Verteidigungsministeriums hatte die Durchführung des Treffens in Kenntnis der vorgesehenen Teilnahme Rudels genehmigt. Nach dem Treffen beanstandeten Journalisten in einem vertraulichen Pressegespräch mit den Generalen Rudels Teilnahme unter Hinweis auf dessen Vergangenheit. Die Generale konterten mit dem Abgeordneter Herbert Wehner, der im Bundestag sitze und dem man ebenfalls politische Läuterung zubillige.Weswegen wurden die Generale nun geschaßt? Weil sie ein von ihrem zivilen Vorgesetzten genehmigtes Treffen nicht verhinderten? Oder weil sie zum Ausdruck brachten, daß der Abgeordnete Wehner kein Kommunist mehr sei? Daran, daß sich mit den Mitteln der Logik nur derart unsinnige Entlassungsgründe ermitteln lassen, wie ich sie gerade in Frageform gekleidet habe, erkennen wir, daß wir uns bei der Motivforschung im irrationalen Bereich bewegen, in einem Bereich, der allenfalls nur mit psychologischen Mitteln zu erhellen ist.Damit sind wir beim Rückblick in die Vergangenheit, mit dem ich angefangen habe. Die beiden Generale wurden nicht das Opfer ihres eigenen Verhaltens, sondern eines die SPD kennzeichnenden historisch bedingten psychischen Defekts,
der eine ganze Weile lang durch die Bemühungen der SPD überdeckt war, Mehrheitspartei zu werden, und der sich um so eindeutiger wieder in konkreter Politik niederschlug, je radikaler sich in der SPD linkes Gedankengut artikulieren durfte, je ungenierter sich die SPD wieder zum Sozialismus bekannte.
Zweifelsfrei ist, daß die Bundeswehr seit geraumer Zeit ein bevorzugtes Angriffsziel gerade der Linken in der SPD geworden ist. Das hat sich u. a. auch bei den Abstimmungen im Verteidigungsausschuß und im Plenum über den Verteidigungshaushalt gezeigt. Es ging aber auch aus der Art und Weise hervor, wie sich manche prominente SPD- Politiker öffentlich über die Bundeswehr und über Verteidigungsfragen äußerten.
Was, wenn nicht das Bestreben, das Instrument der Landesverteidigung moralisch zu diskreditieren,
hat den Kollegen Horn zu der Aussage bewogen, Teile der Bundeswehr würden möglicherweise ebenso ein Umsturzpotential darstellen, wie die chilenische Armee,
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Dr. Zimmermannund was die Bundesvorsitzende der Jungsozialisten bewogen, den Westen, nicht aber den Osten aufzufordern, die Verteidigungsausgaben einzufrieren und neue Anschaffungen zu unterlassen? Was dachte sich Altsozialdemokrat Jochen Steffen, als er vorschlug, die Bundeswehr auf 300 Mann zu reduzieren?
- Nachher kommen noch viel bessere Beispiele aus Ihren eigenen Reihen; denn Sie sind bezüglich dessen, was gegenwärtig um Minister Leber vor sich geht, mit Ihren eigenen Worten so unschlagbar, daß man beinahe gar nichts mehr hinzufügen bräuchte.
Immer wieder geraten Generale in die politische Schußlinie der SPD. Ich erinnere an die Maßnahmen gegen die Generale Rall und Hildebrandt. In neu- ester Zeit haben die merkwürdigen Umstände Aufsehen erregt, unter denen dem Rüstungsstaatssekretär Dr. Mann und dem Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr, General Dr. Wagemann, der Stuhl vor die Tür gestellt worden ist bzw. gestellt werden soll. Beides kochqualifizierte Experten und untadelige Männer.Es muß auch sonderbar berühren, daß von der ganzen ehemaligen 'Führungsspitze der Luftwaffe nur noch zwei Generale, die Generale Heinz und Limberg, in Amt und Würden sind. Alle anderen — außer den Generalen Rall, Krupinski und Franke auch noch die Generale Bieber und Wehnelt, fünf an der Zahl — sind vorzeitig ausgeschieden. Das ist doch ein erschütterndes Zeugnis für das fast krankhafte Mißtrauen, das die heutige politische Führung unseren ranghöchsten Soldaten zum Nachteil der Bundeswehr und zum Nachteil der Sicherheit unseres Landes entgegenbringt.Der SPD-Sprecher Heye hat im Zusammenhang mit der Entlassung der Generale Krupinski und Franke erklärt, sie bildeten in der Bundeswehr nur die Spitze eines Eisberges. Das heißt im Klartext nichts anderes, als daß der Sprecher der SPD gegenüber der gesamten militärischen Führung der Bundeswehr Mißtrauen für angebracht hält und damit weitere Aktionen SPD-konformer Säuberung von vornherein rechtfertigt. Heyes Äußerung ist ein Skandal, der um so schwerer wiegt, als diese unwahre und verantwortungslose Äußerung ein weltweites Echo gefunden hat. In den Vereinigten Staaten und in Frankreich fragten bekannte Zeitungen, ob die deutsche Armee krank sei „vom Nazismus", ob die „Dämonen der Vergangenheit" die deutsche Armee wieder verunsichert hätten. — Herr Schäfer, wenn Sie hier nicken, sind Sie offenbar der Meinung, daß Ihr SPD-Sprecher Heye recht gehabt hat mit der „Spitze des Eisberges". Es wird sehr interessant sein, Sie nachher dazu zu hören.
Die Bundeswehr, unsere Soldaten, die unsere Mitbürger sind, sind hier zum Vehikel antideutscher Gefühle in der ganzen Welt gemacht worden.Verteidigungsminister Leber hat es sich mit seiner am 19. Januar hier abgegebenen Erklärung sehr leicht gemacht. Entweder weiß er nicht, worum es hier geht, oder er will es nicht wissen. Es geht hier nicht um eine kleinliche Rechthaberei im Umgang mit Generalen, sondern nur darum, daß in der Bundeswehr eine Vertrauenskrise behoben werden muß. Diese Krise kann man nicht dadurch beheben, daß man über das Pressegespräch, das die Generale Krupinski und Franke führten, eine Version ausstreut, die die beiden Generale nie bestätigt haben. Nach ihren Aussagen stand im Mittelpunkt ihrer Argumentation die Feststellung, daß man jedem das Recht auf politische Meinungsänderung zubilligen müsse und daß sich Rudel, von dem man 10 Jahre lang nichts gehört habe, geradeso geläutert haben könne wie ein Abgeordneter dieses Hauses. Diese Aussagen sind bis zum Beweis des Gegenteils glaubhaft, denn beide Generale haben bis jetzt nirgendwo bewiesen, daß sie unglaubwürdig sind. Auch hat es ihnen bis jetzt niemand nachgewiesen. Die Aussagen sind auch in der Sache nicht ohne weiteres zu beanstanden. Rudel hat der Allgemeinheit erst nach dem großen Knall, den seine Teilnahme an dem Fliegertreffen auslöste, einen Anhaltspunkt dafür geliefert, daß er sich womöglich nicht geläutert haben könnte.
— Es ist natürlich sehr schwierig, so etwas differenziert zu betrachten. DaB ich aber dazu in der Lage bin, werden Sie gleich hören.
Das war sein Auftreten bei der sogenannten Deutschen Volksunion des Dr. Frey. Aber das Überreizte, das auch hier zutage tretende Intolerante, Diffamierende und Undemokratische Ihres Protestes zeigt nur, daß nach der Auffassung der Linken in Deutschland andere Personen tabu sein müssen und daß ihnen im Gegensatz zu allen anderen vormals Irrenden — eine Betrachtung ihres eigenen Weges verboten erscheint.
Rudel war im Zweiten Weltkrieg — das ist unbestritten — einer der tapfersten und in seinem militärischen Wirken erfolgreichsten Soldaten.
Er erfüllte seine soldatische Pflicht, zuletzt beinamputiert, bis zum bitteren Ende. Dafür sollte man ihm Anerkennung entgegenbringen, auch wenn man heute seine politischen Irrungen mit Recht nicht akzeptiert.
Zu einer Hexenjagd besteht jedenfalls kein Anlaß.Zurück zu den Generalen. Krupinski hat sich im November in einer Illustrierten zur Sache geäußert. Seine Ausführungen zeigen in jeder Zeile, daß hier ein integerer, sich dem demokratischen Rechtsstaat zweifelsfrei verpflichteter Offizier spricht, ein ehren-Dr. Zimmermannhalter Soldat in einer demokratischen Armee, der ohne Grund unehrenhaft entlassen worden ist.
Herr Minister Leber, die Art Ihrer Maßnahme und die Maßnahme selbst sind ein Paradebeispiel dafür, wie man in einer Demokratie mit Dienern dieses Staates nicht umgehen sollte.
Sie ist ein Maulkorb für aufrechte Männer, ein Zeugnis der Würdelosigkeit und der Feigheit.
Wo ist der Georg Leber, der 1973 noch den Mut hatte, seiner Partei zu sagen, daß eine Sowjetunion, die einen großen Teil ihres Sozialprodukts für ihre Rüstung brauche, nicht erwarten könne, daß Bonn die dadurch entstehende Finanzlücke mit verbilligten Krediten schließe?
Herr Minister Leber, Sie machen heute in der SPD nicht mehr Politik für die Bundeswehr, was nach wie vor dringend erforderlich wäre, sondern Sie machen in der Bundeswehr Politik der SPD.
Sie sind es, der den Linken nachgegeben hat, als diese verlangten, das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer abzuschaffen. Sie haben vor kurzer Zeit durch die wahrheitswidrige Feststellung,, daß der Westen dem Warschauer Pakt gegenüber militärisch nicht schwächer geworden sei, die tagtäglich wachsende militärische Bedrohung aus dem Osten verharmlost und damit Ihren Linken nach dem Mund geredet. Sie haben, um den Linken zu gefallen, zur Hatz auf die Generale geblasen. Sie sind es schließlich, der, um die eigene Haut vor dem Zugriff der Linken zu retten, nicht nur die Generale Krupinski und Franke geopfert hat, sondern als dritten auch noch den eigenen Parteifreund Staatssekretär Schmidt .
Herr Minister Leber, Sie allein sind es, der seinen eigenen Ruf in der Bundeswehr selbst zerstört hat. Wir mißbilligen Ihr Verhalten.
Dieser Tage hat der SPD-Kollege Conrad Ahlers Verteidigungsminister Leber scharf kritisiert. Der Minister isoliere sich mehr und mehr, wolle von Freund und Feind nichts mehr wissen, sei empfindlich und leicht erregbar geworden, könne Kritik und Widerworte nicht mehr gelassen ertragen, schrieb der Kollege Ahlers in der "Deutschen Zeitung'. Er fährt wörtlich fort — ich zitiere —:Georg Leber hat sich in erheblicher Weise verändert, und es scheint, daß diese Veränderung eher die Ursache der Schwierigkeiten ist, in die der Verteidigungsminister in der letzten Zeit geriet, und nicht so sehr ihre Folge.Meine Kollegen von der SPD, diese Worte meinte ich, als ich vorher schlecht verstand, warum Sie sich bei anderen Zitaten anderer Kollegen so sehr erregt haben; denn deutlicher, konturierter, präziser und auch unnachsichtiger als hier der Kollege Ahlers kann es doch wohl auch niemand von uns ausdrücken.
Die Frage, was mit Leber los sei, werde in Bonn nicht nur von führenden Politikern der Koalitionsparteien, die sich nicht sicher seien, ob der Minister noch lange durchhält, voller Besorgnis gestellt, sondern auch von der Opposition, die den Minister im Grunde ebenfalls schätze, erklärte der Kollege Ahlers. Was hier der Kollege Ahlers schrieb, hat sehr lange Zeit gegolten, aber eben nur sehr lange Zeit. Den Grund dafür, daß es jetzt nicht mehr gilt, hat der Minister weithin selbst gesetzt, wie der Kollege Ahlers schreibt.Er fährt fort, eine Generalsaffäre folge der anderen, und eine ordnende Hand sei nicht zu spüren. Die Zusammenarbeit Lebers mit den Verteidigungspolitikern der SPD-Fraktion ist nach den Angaben des Kollegen Ahlers gestört. So erführen sie alle wichtigen und unwichtigen Vorgänge aus dem Bereich der Bundeswehr, wenn überhaupt, nur noch aus den Zeitungen. Seit vielen Monaten habe sich der Minister weder im Kreise der SPD-Experten noch im Verteidigungsausschuß sehen lassen. Ahlers schrieb wörtlich: Und wenn er einmal erscheint, erzählt er nur unverbindliche Dinge." Alle Entscheidungen fielen im kleinsten Kreis auf der Hardthöhe. Soweit möchte ich midi mit diesem zusammengefaßten Zitat aus einem langen und lesenswerten Artikel des Kollegen Ahlers in der "Deutschen Zeitung" auseinandersetzen.
Der Abgeordnete Wehner hat hier nun dagegengehalten. Auf dem sogenannten Kleinen SPD-Parteitag am letzten Freitag hat er zum Ausdruck gebracht, daß die SPD den von meiner Fraktion gestellten Mißbilligungsantrag zurückweisen werde; er sagte: abschmettern werde.
Denn die SPD lasse doch, wie der Kollege Wehner wörtlich sagte, aus ihrem Freund Leber kein Frikassee machen, am allerwenigsten von Leuten, die bestenfalls eine Käseplatte anrichten könnten.
— Daß ich bei dieser Passage von Ihnen Beifall erhalten würde, meine Kollegen von der SPD, dessen war ich mir sicher. Ich frage mich nur, ob ich auch Beifall bei der nächsten Passage bekommen werde. Herr Kollege Wehner, aus jemandem Frikassee zu machen, überlasse wir getrost Ihnen; denn hierin sind Sie der unübertroffene Meister.
Ihr Parteivorsitzender hat dies 1973 von Moskau aus zu spüren bekommen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 455
Dr. ZimmermannI und dann 1974 in Bonn, als er als Kanzler seinen Abschied nehmen mußte. Das ist wohl auch der Grund dafür, wie uns noch aus dem Debattenbeitrag des Kollegen Strauß in Erinnerung ist, daß Sie immer einen Gesprächspartner auf der Bühne suchen und mit Ihrem Nachbarn so ungern reden.Wir meinen, daß sich auch der Bundeskanzler zu diesem unserem Antrag und zu seiner Begründung vor diesem Hause äußern müßte. Als ehemaliger Verteidigungsminister und als Chef der Bundesregierung muß er ein Interesse daran haben, daß das — jetzt gestörte — Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Bundeswehr wiederhergestellt wird.Er muß das um so mehr, als die verteidigungspolitische Situation heute alles andere als rosig ist. Wir können es uns angesichts wachsender militärischer Bedrohung einfach nicht leisten, die Bundeswehr grundlos moralisch anzukratzen.Der Kanzler meinte zwar in seiner Regierungserklärung, daß wir uns dem Osten gegenüber auf einem „breiten Weg zu normaler Nachbarschaft" befänden.
Das sehen wir gerade in der gegenwärtigen Kontroverse um den Staatssekretär dieser Regierung in Ost-Berlin, wie breit dieser Pfad und wie normal er begehbar ist. Der Kanzler hat denn auch natürlich keine greifbaren Fakten in dieser Richtung angegeben.
Die wirkliche Lage ist die, daß die Sowjetunion ungehemmt durch irgendwelche nachbarschaftlichen Gefühle ihre Rüstung in immer weitere Höhe der Zerstörungskraft treibt und unter Verwendung dieses Drohinstruments weltweit bestrebt ist, die Positionen des Westens zu untergraben. Die sowjetische Rüstung wird heute, wie Sie wissen, durch eine Stützpunktpolitik ergänzt, die sie binnen kürzester Zeit an jedem beliebigen Platz der Erde militärisch präsent sein läßt.Daß der Osten dem Westen auf dem Gebiet der Truppenstärken und der konventionellen Bewaffnung zu Land und in der Luft hoch überlegen ist, wissen wir längst. Nun aber unternimmt die Sowjetunion auch noch alle Anstrengungen, mit dem Westen auf See und auf dem Gebiet der Atom- und Raketenwaffen mindestens gleichzuziehen. Diesen gewaltigen Anstrengungen steht ein Nachlassen des Verteidigungswillens bei einigen NATO-Partnern gegenüber, das sich in den Bestrebungen zeigt, den Verteidigungshaushalt zu kürzen und die präsente Truppe zu verringern. Es liegt auf der Hand, daß durch eine solche Entwicklung nicht nur die Strategie der abgestuften Abschreckung, sondern die Abschreckungsstrategie schlechthin in Gefahr gerät. Der Frieden wird unsicherer, die militärische Auseinandersetzung wieder denkbarer.Hängt der Umstand, daß auch der Bundeskanzler auf diese ihm bekannten und beunruhigenden Tatsachen mit keinem Wort eingegangen ist, ebenfalls mit der inneren Lage der SPD zusammen? Kann auch er es sich nicht mehr leisten, die Wahrheit zu sagen und zu fordern, daß aus dieser Lage Konsequenzen gezogen werden? Wo bleibt die FDP, die dem Kanzler bei der Wahrnehmung seiner Verantwortung auf die Sprünge hilft?In einer Zeit, in der nicht nur innen-, sondern auch außenpolitisch Regieren, und zwar kraftvolles Regieren, notwendiger wäre denn je, hält sich die ganze Regierung verdeckt. Der Kanzler und seine Mannschaft, sie spüren wohl, daß ihnen bezüglich der sich vor ihnen auftürmenden politischen Probleme die Lösungskompetenz abgeht — und nicht nur die Kompetenz, auch die moralische Kraft.
Spätestens am Tag der Regierungserklärung, also vor über sechs Wochen, hätte die Bundesregierung erkennen lassen müssen, wie sie sich die langfristige Sicherung des militärischen Gleichgewichts in der Welt vorstellt. Das wäre sie uns, aber auch unserem größten Verbündeten, der auf Rat — nicht auf Schulmeisterei — durchaus wartet, schuldig gewesen. Statt dessen sah sie nur „Entspannung", entdeckte den schon zitierten „breiten Weg zur normalen Nachbarschaft" und rühmte Breschnew, der für das Berlin-Abkommen ebenso verantwortlich zeichnet wie für dessen vertragswidrige Uminterpretierung, als „verläßlichen Partner".Das alles liegt auf derselben Linie der Verharmlosung und des Herunterspielens, wie sie der Kanzler bereits im letzten Frühjahr erkennen ließ, als er die Öffentlichkeit mit der Mitteilung überraschte, daß der kommunistische Sieg in Angola kein Beweis für das Scheitern der Entspannungspolitik sei. Als Grund hierfür gab er seinerzeit an, daß es dort ja keine west-östlichen Verträge wie in Europa gebe. Das heißt doch mit anderen Worten, Herr Bundeskanzler, daß der Sowjetunion nach Ihrer Meinung das freie Zugriffsrecht zusteht, solange sie das von ihr Verlangte nicht durch Verträge zugesprochen erhalten hat.
Hinweise auf die Bemühungen um SALT II und die MBFR-Verhandlungen in Wien genügen nicht, um Sicherheit zu geben. Auch wir sind für Abrüstungsverhandlungen. Doch wir müssen davor warnen, verständliche Wünsche und Erwartungen für kurz vor der Verwirklichung stehende Ergebnisse zu halten.Nun soll ein Kompromiß bei SALT in Sicht sein. Wir wissen nicht, wie er aussehen soll. Wir wissen jedoch von SALT I, wie trügerisch Hoffnungen sein können, die man sich auf Grund von Abmachungen macht, die so tun, als verlaufe der technische Fortschritt in Zukunft immer langsamer. SALT I kam zustande, weil die Amerikaner den Sowjets einen Vorsprung an Interkontinentalraketen in der Meinung einräumten, der amerikanische Vorsprung auf dem Gebiet der Mehrfachsprengköpfe könne von den Sowjets in der fünfjährigen Laufzeit des Abkommens nicht eingeholt werden, so daß ein Ausgleich für die höhere Raketenzahl gegeben sei. Das war 1972. Schon zwei Jahre später mußte das Abkommen
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Dr. Zimmermannangesichts der eingetretenen sowjetischen Erfolge modifiziert werden. In Wladiwostok einigte man sich darauf, beiderseits eine Höchststärke von 2 400 strategischen Trägern festzulegen. Ein Teil dieser Träger — 1 320 — sollte mit Mehrfachsprengköpfen ausgerüstet werden dürfen, ohne daß man sich auf die zulässige Anzahl der atomaren Sprengköpfe festgelegt hätte. Diese Modifikation von SALT I mußte zwangsläufig dazu führen, daß beide Vertragspartner nun erst recht die Mehrfachsprengkopftechnik forciert weiterentwickelten. Könnte unter diesen Umständen ein Kompromiß, der die in Wladiwostok vereinbarte Zahl von Atomwaffenträgern für weitere Zeit festschreibt, wirklich im Sinne der Sicherung des Friedens nützlich sein?Wir wissen doch auch, daß die UdSSR sich bisher geweigert hat, ihren Backfire-Bomber, der in der Luft betankt werden kann, als strategischen Atomwaffenträger anerkennen zu lassen. Auf der anderen Seite verlangt die Sowjetunion, daß die neuen Lenkflugkörper der Amerikaner, die sogenannten Cruise missiles, in ein neues SALT-Abkommen mit einbezogen werden. Das ist auch für uns von großer Bedeutung, denn es handelt sich hierbei um das einzige Waffensystem des Westens, daß die 600 auf Westeuropa gerichteten Mittelstreckenraketen, denen die NATO bisher nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen vermochte, in Zukunft ausgleichen könnte. Ich möchte daher nicht verschweigen, daß uns Meldungen, wonach Präsident Carter mindestens einen zeitweiligen Baustopp für diese Raketen erwägt, um den Sowjets ein Zeichen zu geben, mit Sorge erfüllen.
Ob SALT II zustande kommt oder nicht — die Sowjetunion wird nach ihrem ganzen bisherigen Verhalten mindestens bemüht bleiben, den Amerikanern gegenüber atomar nicht mehr ins Hintertreffen zu gelangen. Möglicherweise sind aber auch amerikanische Analysen richtig, wonach die Sowjetunion daran arbeitet, einen ersten Atomschlag führen u n d den Gegenschlag überleben zu können, also den Amerikanern mit oder ohne SALT II letztlich atomar überlegen zu sein. Manches spricht dafür: die Auslagerung von Fabriken, ein Bauprogramm für Bunker für die Zivilbevölkerung.Ob also SALT II zustande kommt oder nicht: Wenn die Amerikaner der Sowjetunion nicht atomar überlegen bleiben, wird die konventionelle Überlegenheit vom Osten her unerträglich. Der Herabstieg auf atomares Gleichgewicht hat nur dann einen Sinn, wenn ihm ein annäherndes konventionelles Gleichgewicht entspricht. Daß ein solches heute nicht besteht, wenn in Mitteleuropa 27 NATO-Divisionen mindestens 58 Divisionen des Warschauer Paktes — möglicherweise mehr — und 30 weitere Divisionen in den westlichen Militärbezirken der Sowjetunion gegenüberstehen, braucht wohl nicht besonders begründet zu werden.Nach Erhebungen des Internationalen Instituts für Strategische Studien verfügt die NATO über 11 000 Panzer, der Warschauer Pakt über 26 500. Während die NATO nach den Angaben dieses Instituts 2 960 leichte Bomber, Jäger, Erdkampfflugzeuge und Aufklärer hat, kann der Warschauer Pakt über 5 300 dieser Maschinen verfügen. Die amerikanischen Streitkräfte sind seit 1968 um 1,5 Millionen Mann verringert worden, die sowjetischen haben um 1,2 Millionen Mann zugenommen. Die USA haben heute 2,1 Millionen Mann unter Waffen. Bei der Sowjetunion sind es über 4 Millionen; die Schätzungen reichen bis 4,8 Millionen.Die numerische Überlegenheit des Ostens kann heute angesichts der sowjetischen Qualitätssteigerungen nicht mehr ohne weiteres wie früher durch die überlegene Technologie des Westens ausgeglichen werden. Das hat vor Weihnachten der Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, Admiral Hill-Norton, auf der Tagung der Verteidigungsminister der Allianz zum Ausdruck gebracht. Und der sehr zurückhaltende Direktor des bereits genannten Londoner Instituts für Strategische Studien, Christoph Bertram, hat letztes Jahr in einem Interview mit dem Deutschlandfunk folgendermaßen formuliert — ich zitiere —:Die Situation des Kräftegleichgewichtes in Europa hat in den vergangenen Jahren folgendes Bild gezeigt: ein stetiges Anwachsen der zahlenmäßigen Stärke des Warschauer Pakts, das die NATO mit einem höheren Maß an technologischer Verfeinerung auszugleichen versuchte — größerer Feuerkraft, besserer Kommunikation, größerer Zielgenauigkeit ihrer Trägerwaffen —, das aber zugleich auf westlicher Seite von einem langsamen Schwinden der numerischen Stärke der NATO begleitet war. Denken Sie an den allmählichen Rückzug amerikanischer Einheiten in den 60er Jahren, an die Kürzung etwa der englischen Streitkräfte in den letzten Jahren und ähnliche Entwicklungen mehr. Heute ist die Situation nach Auffassung meines Instituts die, daß noch ein Kräftegleichgewicht besteht, nicht rein zahlenmäßig, sondern aus einer Kombination von quantitativen und qualitativen Faktoren.
Aber die Rüstungsdynamik im Warschauer Pakt und insbesondere in der Sowjetunion nährt Zweifel daran und macht drängend, ob dieses Gleichgewicht sich auf Dauer wird halten können. Wir stehen vor einer Situation, in der die Sowjetunion ihre Vorteile ausbaut und in der sie auch in der Lage ist, gewisse technologische Verfeinerungen des Westens in ihre Streitkräfteplanung einzubeziehen.Das ist eine wichtige, ernst zu nehmende, objektive und sachverständige Stimme.Rüstungsdynamik — das ist das entscheidende Stichwort. Auch in den Vereinigten Staaten ist der Anteil der Aufwendungen für Rüstung am Sozialprodukt in den letzten 12 Jahren von 8,3% auf 5,4 % zurückgegangen. Demgegenüber wenden die Sowjets zwischen 13 und 15 % ihres Sozialproduktes für Rüstungszwecke auf. Sicher ist das sowjetische Volkseinkommen weit geringer als das amerikanische. Die sowjetischen Personalkosten sind jedoch
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 457
Dr. Zimmermannebenfalls weit geringer. Ein Wehrpflichtiger der sowjetischen Marine hat einen Grundsold von 13 Mark im Monat.Am alarmierendsten sind die neuesten Nachrichten. Experten des US-Senats, die Senatoren Nunn und Bartlett, meinen, die Sowjets seien heute schon fast in der Lage, Westeuropa aus dem Stand anzugreifen. In den letzten Monaten sollen mehr als 800 Kampfpanzer T 72 an Bord von Schiffen nach Mitteldeutschland geschafft und dort ausgeladen worden sein. Bei den weiter nach Westen vorverlegten Waffensystemen handelt es sich um modernstes Gerät.Auch der belgische General Close hält unter den gegebenen Umständen einen sowjetischen Blitzkrieg für möglich. In seinem eindrucksvollen und mit großer Sachkunde geschriebenen Buch „L'Europe sans défense" stellt er dar, wie es der NATO heute ergehen könnte. Mag seine Sicht der Lage zu düster sein — Anlaß zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme unserer militärischen Situation geben seine Ausführungen gewiß.Bei aller Vorsicht in der Formulierung geht das Kommuniqué der Ministertagung des Verteidigungsplanungsausschusses in dieselbe Richtung. Auch dort ist von Besorgnissen die Rede, auch dort wird die Schlagkraft der konventionellen Streitkräfte des Warschauer Paktes hoch eingeschätzt.Während bei uns im Lande versucht wird, jene, die vor der drohenden Gefahr warnen, als kalte Krieger abzustempeln, tun sich in den USA prominente Bürger zusammen, um den Illusionen der sogenannten Détente entgegenzutreten. Zu ihnen gehören der Nobelpreisträger Saul Bellow, Kennedys Außenminister Dean Rusk, der frühere CIA-Chef William Colby, die Exbotschafterin Clare Booth Luce, der ehemalige NATO-Befehlshaber Matthew Ridgeway, der langjährige Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs Maxwell Taylor. Sie haben in alarmierender Form auf die sowjetische Bedrohung hingewiesen.Und was geschieht bei uns?
Bei uns wird in Verharmlosung gemacht, und man weigert sich, die Gefahren zu sehen. Man ignoriert die weltweiten Zusammenhänge, insbesondere die strategische Bedeutung Europas.
— Im Verteidigungsausschuß war ich im Gegensatz zu Ihnen schon 20 Jahre, Herr Kollege!
Afrikapolitik beispielsweise — Kollege Strauß hat hierauf in der Debatte über die Regierungserklärung hingewiesen — ist für diese Bundesregierung weitgehend nur ein Plädoyer für sogenannte Befreiungsbewegungen undemokratischer, meist kommunistischer Provenienz.
Von einer strategischen Komponente ist nichts zu sehen, und das, obwohl das Kap für unseren bedeutendsten Verbündeten wichtige, für uns Europäer lebenswichtige Verbindungen umrunden.
Auch vermeidet diese Bundesregierung jede Äußerung darüber, was sie gegen die ansteigende konventionelle Bedrohung zu tun gedenkt, wenn es dabei bleiben sollte, daß die europäischen NATO-Partner nicht mehr, sondern weniger als bisher für die gemeinsame Verteidigung tun; denn wir sind es zu allererst, um deren Sicherheit es geht.Bei der von der Bundesregierung betriebenen Politik des Verharmlosens und Verschweigens konnte es auch nicht ausbleiben, daß in der Bundesrepublik von interessierter Seite ein sehr zweifelhafter Versuchsballon in Sachen MBFR gestartet wurde.
Herr Kollege Pawelczyk hat es in der Debatte über die Regierungserklärung leider nicht fertiggebracht, die von meinen Kollegen Mertes und Barzel in diesem Zusammenhang geäußerten Bedenken auszuräumen.Wenn man den Nebel verrauchen läßt, den der Kollege Pawelczyk rhetorisch entfacht hat, bleiben folgende Tatsachen: Westliches Ziel bei der MBFR ist eine Verminderung der Truppen in Mitteleuropa auf ein Niveau gleicher Personalstärken in Ost und West. Der Westen will sich dabei außer in einer ersten Phase der Verminderung amerikanischer und sowjetischer Truppen auf keine nationalen Quoten festlegen lassen. Nur die Gesamtstärke der beiden Bündnisse soll zählen, sonst nichts. Denn die NATO-Länder wollen aus naheliegenden Gründen vermeiden, daß die Sowjetunion etwa mitbestimmen kann, wie groß die Bundeswehr sein darf.
Der Osten dagegen will nicht die Herbeiführung von Parität, sondern Festschreibung von Disparität. Außerdem will er eine Vereinbarung über nationale Höchstgrenzen.Der Kollege Brandt versuchte nun, die stockenden Wiener Verhandlungen in seiner Art flottzumachen, indem er genau das vorschlug, was der Westen bislang vermeiden wollte.
Nach einer bescheidenen Verringerung amerikanischer und sowjetischer Truppen soll nach seinem Willen mit bescheidenen Kürzungen anderer nationaler Kontingente fortgefahren werden.Herr Kollege Pawelczyk hat nun durchaus recht, daß die Reduktion nationaler Streitkräfte in der vorgeschlagenen Weise nicht mit einer Zustimmung zu einer in Wien vertraglich zu fixierenden Höchststärke der Bundeswehr gleichgesetzt werden kann. Und es ist auch gut, daß er sich wenigstens gegen nationale Höchststärken ausspricht.Aber das hätte auch der Kanzler tun sollen, der die Richtlinien der Politik bestimmt, und Verteidi-
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458 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Dr. Zimmermanngungsminister Leber. Denn der Vorschlag des SPD- Vorsitzenden ist gefährlich. Er ist um so gefährlicher, für je diskutabler ihn die Bundesregierung hält. Er ist ein Weg in die falsche Richtung. Er stellt, weil er das Prinzip nationaler Quoten überhaupt in die Diskussion einführt, den für die Sowjets notwendigen Einstieg zu den nationalen Höchstgrenzen dar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mertes?
Ich habe meine Redezeit ohnehin schon überschritten und bitte um Entschuldigung, Herr Kollege, daß ich es nur aus diesem Grunde — und weil die Debatte für dieses Thema insgesamt relativ kurz ist — nicht tue.
— Wenn es ein Kollege Ihrer Fraktion gewesen wäre, hätte ich mich möglicherweise anders verhalten, Herr Kollege Wehner.
Wäre ein solches fundamentales Zugeständnis gemacht, dann würden die Sowjets nicht mehr lockerlassen. Sie würden alles aufwenden, um zu einem Vertrag über nationale Höchstgrenzen zu kommen. Auch ist es fraglich, ob es dem Westen nach einem solchen Zugeständnis noch gelingen kann, den Osten auf das Ziel der Parität festzulegen. Das gilt um so mehr, als die Verhandlungskunst dieser Bundesregierung dem Osten gegenüber ja nicht gerade von Standfestigkeit geprägt war und außerdem MBFR der erste Fall im Rahmen aller Abrüstungsbemühungen wäre, wo man der Sowjetunion nicht das Erreichen einer Höchststärke erlauben, sondern ihr einen echten Abbau zumuten würde. Verewigung der Disparität und sowjetisches Mitspracherecht bezüglich der Stärke der Bundeswehr: das wären die Ergebnisse, auf die der Vorschlag des Kollegen Brandt hinauszulaufen droht.
Wir fragen Sie, Herr Bundeskanzler, was Sie dazu zu sagen haben. Antworten Sie uns jetzt und heute! Von Ihrer Antwort wird es abhängen, ob die CDU/ CSU-Fraktion sich wie bisher zu einer Kooperation in den lebenswichtigen Fragen der Verteidigungs-
und Bündnispolitik bereitfinden kann
oder ob wir über unsere Haltung in der Generalsaffäre hinaus die Verteidigungs- und Bündnispolitik Ihrer Regierung insgesamt mißbilligen müssen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Zimmermann hat seine Rede begonnen, indem er davon sprach, der Bundesverteidigungsminister habe die Aussprache über die Regierungserklärung am 19. Januar dazu mißbraucht, sich über die Frage der Entlassung der Generale Krupinski und Franke zu äußern. Wir sind der Auffassung, daß die damit angeschnittene Frage eine zentrale Frage unserer Verfassungsordnung, eine zentrale Frage der Stellung der Bundeswehr in unserem Staate ist und daß es deshalb eine vorrangige Pflicht des Ministers ist, darüber zu berichten, und nicht ein Mißbrauch. Indem Sie das Wort „Mißbrauch" verwenden, zeigen Sie, daß Sie die Dinge falsch einordnen.
Herr Kollege Zimmermann, Sie sprachen davon, der Verteidigungsminister mache eine Politik für die SPD, und später haben Sie beklagt, daß nicht einmal mehr die SPD Einfluß auf die Politik habe, sondern sie werde auf der Hardthöhe gemacht. Ja, was denn nun, das eine oder das andere?
Dann haben Sie im zweiten Teil Ihrer Rede eine Große Anfrage begründet. Einverstanden! Das ist Ihre Sache. Aber es ist heute nicht dieses Thema von Ihnen auf die Tagesordnung gesetzt worden, sondern die Fragen, über die wir zu reden haben und wozu wir die Frage an Sie zu stellen haben, wie Sie sich in Zukunft zu verhalten gedenken, stehen heute hier zur Debatte.
Wir lassen es nicht zu, daß Sie von dem von Ihnen selbst gestellten Thema abweichen und ihm ausweichen, daß Sie nun auf verteidigungspolitische Gebiete kommen und dann meinen sagen zu können: Herr Bundeskanzler, hier und heute haben Sie darauf Antwort zu geben.
Sie werden eine Antwort bekommen, meine Damen und Herren.
Das Thema ist so groß und das Thema ist so wichtig, daß man es nicht innerhalb von drei Stunden ausdiskutieren kann, sondern es eine volle Debatte erfordert. Das, was Sie dazu vorgetragen haben, Herr Kollege Zimmermann, wird dabei Gegenstand der Erörterung sein müssen. Das ist ganz klar. Ich will das nicht wegwischen. Ich will nur sagen: Dazu kann man sich in der Kürze der Zeit heute nicht äußern. — Sie bestätigen, daß Sie der gleichen Auffassung sind. Vielen Dank!In diesem Rahmen, Herr Zimmermann, fragen Sie interessanterweise: Was geschieht bei uns? Sie haben doch die Antwort selber gegeben. Da stellt die Opposition einen Mißbilligungsantrag.
Sonst hat sie nichts beizutragen als einen Mißbilligungsantrag.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 459
Dr. Schäfer
Das, worum es heute geht, ist tatsächlich eine grundsätzliche Frage unserer staatlichen Ordnung. Bislang konnten wir der Überzeugung sein, daß die Auffassung dazu in diesem Hause breit fundiert ist. Wir konnten der Auffassung sein, daß wir uns darin einig sind, daß die Bundeswehr kein Staat im Staate sein darf, nicht sein will, nicht werden darf, daß wir uns darin einig sind, daß der Soldat nicht ein rechtloser, befehlsunterworfener Untertan ist, sondern daß der Wehrbeauftragte und die Verfassung über seine Rechte wachen. Wir waren uns einig darüber, daß der Verteidigungsminister eine hervorgehobene Stellung hat, daß wir von ihm erwarten können, daß er diesen Verfassungsauftrag in die Tat umsetzt, und daß wir, das Parlament, mit unserer Kontrolle dabei die Führung haben und dabei dem Verteidigungsminister auch den nötigen politischen Rückhalt geben müssen. Das ist die Frage, um die es hier bei dieser Gelegenheit geht. Ich muß ein bißchen weiter ausgreifen, denn das ist eine entscheidende grundsätzliche Frage des Neubaus unseres Staatswesens nach 1945, nach 1955.Die Entscheidung über die Leistung eines Verteidigungsbeitrages für das westliche Bündnis war getroffen, und nun ging es damals darum, die Voraussetzungen für den Aufbau einer Bundeswehr zu schaffen. Meine Damen und Herren, es hinterläßt heute noch einen starken Eindruck vom seinerzeitigen gemeinsamen Gestaltungswillen, wenn man die Reden, die in den damaligen Bundestagsdebatten gehalten wurden, nachliest. Ich habe es in den letzten Tagen getan. Es vermittelt einen starken Eindruck, wenn man z. B. die beiden Vorträge, die die Kollegen Jaeger und Fritz Erler vor der Hochschule für Politik im Jahre 1956 gehalten haben, nachliest, eine Gemeinsamkeit, um die es heute offensichtlich geht; denn die Frage muß ich hier schon ankündigen.Herr Kollege Jaeger führte damals aus:Es ist kein Zweifel, daß diesmal das demokratische Verfassungsleben Wurzeln geschlagen hat, und wenn auch noch große Aufgaben vor uns stehen, so berechtigt es uns doch zu der Hoffnung, daß wir nunmehr einen Start unternommen haben, der endlich zu dem Ziel führt, in Deutschland eine tief verwurzelte lebendige und echte Demokratie zu schaffen. Im Rahmen dieser Demokratie brauchen wir eine Armee, die entsprechend den heutigen Zeitverhältnissen so gut und so schlagkräftig ist, wie es je deutsche Armeen waren, die aber in einem harmonischen Verhältnis zum demokratischen Staat steht ... Dazu kommt, daß wir an einem Neubeginn stehen.Aus manchen Fragen, die sich nachher ergeben, habe ich den Eindruck, daß man es heute in der CDU/CSU nicht mehr begreift, daß es ein Neubeginn war und nicht ein Wiederbeginn. Ein Neubeginn, meine Damen und Herren,
mit allen Chancen, die darin stecken!
Fritz Erler hat bei der gleichen Gelegenheit folgendes ausgeführt:1956 wurde mit einigen Grundgesetzänderungen ein System von Vorschriften in das Grundgesetz eingefügt, die keinen anderen Zweck haben, als die politische Führung der Streitkräfte, die Wahrung der Menschenwürde des einzelnen Soldaten sowie auch der Grundrechte anderer Bürger und eine sorgfältige Personalauslese zu sichern. Die Grundgesetzergänzungen von 1956 sind Schutzgesetze für die Demokratie und Schutzgesetze für den einzelnen Staatsbürger, den in Uniform und den ohne Uniform. Das war der Sinn der Grundgesetzergänzungen von 1956,— Jetzt hören Sie zu, meine Damen und Herren —die von der Opposition nicht nur geduldet, sondern zu einem großen Teil von ihr sogar erzwungen wurden.Es war ein großer Vorgang, daß man dort eine breite Gemeinsamkeit gefunden hatte. Beachten Sie, daß die SPD aus der Opposition heraus, obwohl sie gegen die vorherige Entscheidung gekämpft hatte, hier die gesamte Gestaltung mit übernommen hat.Die Bemühungen aller politischen Kräfte gingen dahin, innerhalb eines parlamentarischen Rechtsstaates für die Bundeswehr einen Standort zu finden. Sie sollte integriert sein in die Gesellschaft und damit ein geachteter Partner für unsere Verbündeten im Westen sein. Ich sage hier im vollen Bewußtsein: Alle Minister, die das Verteidigungsministerium geleitet haben, haben sich dieser Aufgabe gestellt. Alle Minister haben diesem Auftrag gemäß gehandelt. Dem Parlament kommt, wie ich vorher sagte, dabei die entscheidende Kontrollfunktion zu. Die SPD hat sich mit dieser Frage sehr grundsätzlich befaßt und hat drei Jahre später in ihrem Grundsatzprogramm von Godesberg folgendes gesagt:Die Streitkräfte müssen der politischen Führung durch die Regierung und der Kontrolle durch das Parlament unterstellt sein. Zwischen den Soldaten und allen demokratischen Kräften des Volkes muß ein Verhältnis des Vertrauens bestehen. Der Soldat bleibt auch in Uniform Staatsbürger.Meine Damen und Herren, jeder Satz eine politische Aussage, die bis heute für die SPD volle Gültigkeit hat!
Auf dem Parteitag 1964, der sich mit diesen Fragen erneut befaßte, hieß es dann konkret:Die Einbettung der Bundeswehr in unsere gesellschaftliche und staatliche Struktur und das innere Gefüge der Bundeswehr stellen uns vor Aufgaben von vornehmlich innenpolitischer Bedeutung;— darum geht es heute —Fortentwicklung und Konsolidierung der Demokratie in Deutschland hängen nicht zuletzt mit davon ab, ob und wie es gelingt, diese Aufgaben zu lösen.
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460 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Dr. Schäfer
Und da sprechen Sie, Herr Zimmermann, von Mißbrauch, wenn ein Minister über diese ganz entscheidende Frage hier vorträgt.Seit 1969 tragen Sozialdemokraten als Verteidigungsminister die politische Verantwortung für die so gekennzeichnete Aufgabe im Staat und in der Bundeswehr. Helmut Schmidt, der heutige Bundeskanzler, hat in dem von ihm vorgelegten Weißbuch 1970 zu der Fragestellung „Bundeswehr und Gesellschaft" klare Aussagen gemacht. Ich darf das in Erinnerung rufen. Es heißt dort:In den 15 Jahren ihres Bestehens hat die Bundeswehr einen festen Platz im öffentlichen Bewußtsein erlangt. Auch Form und Inhalt der an ihr geübten Kritik sind Zeichen der Normalisierung. Hier geht es der Bundeswehr nicht besser und nicht schlechter als anderen. Sie wird als Institution nicht kritischer angesehen als Parlamente, Kirchen oder Universitäten. Umgekehrt steht sie der Republik mit der gleichen Loyalität gegenüber wie andere Gruppen und Verbände auch. Der Soldat ist Bürger unter Bürgern.
Ich möchte Ihnen ganz offen sagen, daß ich es mit zu einem der Verhängnisse in der deutschen Vergangenheit rechne, daß es eine tiefe Kluft gab zwischen der deutschen Arbeiterschaft und der Armee. Das war ein nationales Verhängnis und ist beiden nicht gut bekommen, zumal wenn man bedenkt, daß die demokratische Arbeiterbewegung in Deutschland immer die zuverlässigste Stütze des demokratischen Staates gewesen ist.Meine Damen und Herren, der Gewerkschafter Leber hat die entscheidenden Entwicklungen dahin eingeleitet, daß wir heute davon ausgehen dürfen, daß es diese Kluft nicht mehr gibt, sondern daß die Bundeswehr ein integrierter Bestandteil dieser Gesellschaft ist.
Ich habe vor ungefähr einem Jahr eine Unterhaltung mit dem in der Zwischenzeit verstorbenen Generalinspekteur Zimmermann gehabt. Er sagte mir, als wir uns über diese Fragen unterhielten — ich kann es nicht mehr wörtlich sagen, aber es hat mich tief beeindruckt —: Herr Schäfer, es ist ein großes Erlebnis, die Entwicklung mitzumachen und mitgestalten zu können, daß die Kluft zwischen Arbeitern und bewaffneter Macht überbrückt wird. — Meine Damen und Herren, das haben wir erreicht. Das ganze Haus sollte Dankbarkeit dafür empfinden, daß wir heute nicht mehr die Gefahr haben, daß die Bundeswehr ein Staat im Staate werden könnte.
— Ich beklage nicht, daß ich jetzt keinen Beifall von der CDU/CSU bekommen habe, aber ich verzeichne, daß die CDU/CSU es sichtbar nicht begrüßt,
wenn ich hier feststelle, daß wir für diese Entwicklung alle dankbar sein müssen.
Es ist wichtig, folgendes zu sagen. Der Wille zum Neubeginn war nicht nur auf politischer Seite vorhanden. Ich will nur auf die Leistung von Graf Baudissin hinweisen, der die Grundsätze der Inneren Führung geschaffen hat, und ich darf den früheren Generalinspekteur de Maizière nennen. Ich nenne aber auch bewußt die vielen ungenannten Offiziere und Soldaten, die ihr Teil dazu beigetragen haben, die Bundeswehr so zu gestalten, wie sie sich heute anerkennenswerterweise darstellt.
Wir dürfen feststellen — ich sage das ausdrücklich noch einmal —, daß die Bundeswehr die Erwartungen, die die politische Führung in sie gesetzt hat, erfüllt hat. Und wenn es nun Entwicklungen im einen Fall, im anderen Fall gibt, wenn Erscheinungen deutlich werden, die damit nicht im Einklang stehen, dann ist es die Aufgabe des Ministers, diese Fehlentwicklungen abzustellen, damit nicht die ganze Bundeswehr in den Verdacht kommt, sie sei einer Fehlentwicklung ausgesetzt. Darum geht es heute.
Eine besonders beachtenswerte Rolle in dieser ganzen Frage spielt der Traditionserlaß, den der damalige Minister von Hassel am 1. Juli 1965 herausgegeben hat. Dieser Erlaß besteht bis heute unverändert weiter. Alle Minister haben ihn angewandt. In diesem Fall geht es darum — und jetzt kommen wir genau zu dem Punkt, auf den es ankommt —, ob diese Formulierungen, dieser politische Wille auch in Zukunft gelten soll. Es heißt dort — wörtlich —:Politisches Mitdenken und Mitverantwortung gehören seit den preußischen Reformen zur guten Tradition deutschen Soldatentums. Nur als politisch denkender und handelnder Staatsbürger gehört der Soldat zu den geistig und gesellschaftlich verantwortlichen und bewegenden Kräften in seiner Zeit.Und nun, meine Damen und Herren:Der Soldat, der sich als unpolitischer Soldat, einer falschen Tradition folgend, auf das militärische Handwerk beschränkt, versäumt einen wesentlichen Teil seiner beschworenen Dienstpflicht als Soldat in einer Demokratie. Der Wert seines Dienstes wird weitgehend bestimmt durch die politische Zielsetzung.Das ist eine klare, eine präzise, eine richtige Formulierung. Nicht auf das Soldatenhandwerk, heißt das mit anderen Worten, sondern auf die Haltung kommt es an, die dazu einzunehmen ist. Damit ist eindeutig und klar zum Ausdruck gebracht, daß die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 461
Dr. Schäfer
Stellung des Soldaten eine politische ist, daß alles Handeln politisch motiviert ist. Damit ist auch zum Ausdruck gebracht, daß Tapferkeit an sich kein Trationswert ist, der abgetrennt vom politischen Sinngehalt zu würdigen wäre.Wenn Generale, denen eine so hohe politische Stellung anvertraut ist, in diesen Fragen kein Urteilsvermögen haben, dann gehört es zur Aufgabe des Ministers, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.
Das hat Herr Kollege Jaeger 1956 so ausgedrückt:Wenn man von Vertrauen spricht, darf man nicht nur das Vertrauen des Parlaments und der öffentlichkeit zur Bundeswehr fordern, man muß das Vertrauen der Bundeswehr und ihrer Offiziere zum demokratischen Staat, zu seiner Regierung, zum Verteidigungsminister und zum Parlament fordern und erwarten.Das gilt heute unverändert. Herr Jaeger hat das 1956 ausgezeichnet formuliert.Hier spielt nun die Frage eine Rolle, wie das Recht, seine Meinung zu äußern, bei uns gestaltet ist. Alle drei Jahre beschäftigt sich eine internationale Gesellschaft für Wehrrecht und Kriegsvölkerrecht mit diesen Fragen. Sie können in der „Neuen Zürcher Zeitung" vom letzten Sonntag einen Bericht über einen solchen Kongreß vom Herbst 1976 lesen. Ich will daraus nur ein Zitat über die vergleichende Darstellung bringen. Dort heißt es — ich muß das wörtlich zitieren —:Sehr weit geht auch die Loyalitätspflicht des Wehrmannes in den USA, die ihm verbietet, über den Präsidenten, den Kongreß oder den Finanzminister verächtlich zu reden.Es ist interessant, sich die Regelungen auf diesem Gebiet in den alten Demokratien anzusehen. Es empfiehlt sich auch, die laufende Praxis in den Ländern zu beobachten, mit denen wir im NATO-Bündnis stehen. In jedem demokratischen Staat würden die Aussagen des Generalmajors Franke über das Parlament und über den Abgeordneten Wehner die Vertrauensgrundlage zerstören und zur Entlassung führen.
Bundesverteidigungsminister Leber hat richtig gehandelt, indem er die Generale Krupinski und Franke in den Ruhestand versetzte. Er verdient nicht nur unsere Anerkennung, sondern er verdient unseren Dank dafür, daß er Fehlentwicklungen entgegengetreten ist.
Auch der Inspekteur der Luftwaffe, Herr General Limbach
— Limberg, vielen Dank; ein Schreibfehler —, hatdeutlich gemacht, daß die Bundeswehr die Entscheidung des Ministers versteht. Der Inspekteur hat inseiner Ansprache vor den Kommandeuren folgendes gesagt:Der Minister hat daher Konsequenzen ziehen müssen. Er hat eine Entscheidung getroffen, die politisch unvermeidbar war und die ich deshalb respektiere.Ich kann Ihnen auch die Äußerung von Graf Baudissin in einem Interview mit der „Stuttgarter Zeitung" nicht vorenthalten.
— Ich weiß es nicht; ich würde ihn auch zitieren, wenn er CDU-Mitglied wäre, Herr Wörner.
In diesem Interview heißt es:Wer Parallelen zieht zwischen einem prominenten Abgeordneten des Bundestages und einem Mann, der ein stark gestörtes Verhältnis zur Demokratie und zur Bundeswehr hat, müßte wissen, daß er hier politisches Glatteis betritt. Er provoziert die Frage, ob er das Verhältnis der Legislative zur Exekutive noch verfassungsmäßig sieht.Meine Damen und Herren, diese Frage stellt sich an Sie, nachdem Sie diese Haltung einnehmen. — Und etwas später sagt er:Die Generale können nicht mehr mit der Unvoreingenommenheit ihrer Umwelt rechnen. Das macht sie ungeeignet in höchster Führungsposition und rechtfertigt die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.Es stellt sich die Frage: Wie kommt die CDU/CSU dazu, diesen Mißbilligungsantrag zu stellen? Handelt es sich hier um eine Sondertour des Herrn Abgeordneten Dr. Wörner, die von der Fraktion gebilligt wird, oder handelt es sich um einen neuen, alle, die um den Bestand dieses Staates besorgt sind, angehenden Kurswechsel der CDU/CSU-Fraktion? Das ist hier die entscheidende Frage.
— Herr Kohl, es ist gut, daß Sie sich Notizen machen; denn es kommen jetzt einige Fragen, die ich an Sie richte. Da reicht es nicht, wenn der zweite Mann, Herr Zimmermann, in seiner Art hier redet, da muß der erste Mann die Antwort geben.
Herr Abgeordneter Wörner wußte, daß ein für den Oktober 1975 vorgesehenes Traditionstreffen abgesagt worden war. Er führt in seinem Schreiben vom 26. Januar 1976, das er kennzeichnenderweise nicht an den Verteidigungsminister richtet, sondern an den Inspekteur der Luftwaffe — obwohl er ganz genau weiß, daß das ungehörig und falsch ist und jedem normalen Verkehr widerspricht —,
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462 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Dr. Schäfer
aus — es steht hier schwarz auf weiß, Herr Wörner; das muß man hier vorlesen —:
Der Grund für die Absage — nämlich im Herbst 1975 —soll in der Einladung an Oberst a. D. Rudel gelegen haben. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Daher bitte ich Sie— schreibt er an den Inspekteur —um Stellungnahme und Erläuterung Ihrer Entscheidung, die bei vielen Soldaten des Geschwaders begreiflicherweise Enttäuschung und Befremden ausgelöst hat.Aber nun kommt es — unglaublich von einem Abgeordneten dieses Hauses —:Ich kenne die politische Auffassung von Oberst a. D. Rudel nicht.
Aber selbst wenn ich sie gegebenenfalls mißbilligen müßte, würde das meinem hohen Respekt vor der herausragenden Tapferkeit und der vorbildlichen soldatischen Haltung des Obersten Rudel im zweiten Weltkrieg keinen Abbruch tun. Ich sage das bewußt als Angehöriger der Nachkriegsgeneration und als Soldat der Bundeswehr. Die Einladung galt eindeutig dem Soldaten a. D. Rudel. Daher konnte eine solche Einladung nur von Böswilligen als eine politische Geste mißdeutet werden.
Auf Böswillige aber braucht die Bundeswehr keine Rücksicht mehr zu nehmen.
— Das dürfen Sie nachher tun.
— Ich habe ihn jetzt nicht zur Hand. Ich müßte ihn hier heraussuchen.
— Meine Herren, ist Ihnen dies so unangenehm?
— Ich bitte ein klein bißchen um Geduld; dann kriegen Sie Ihren letzten Satz.
Ich lese es Ihnen jetzt noch einmal genau vor. Ich hatte das Zitat an der Stelle beendet, an der es hieß, daß die Bundeswehr keine Rücksicht mehr auf Böswillige zu nehmen brauche.
Jetzt fahre ich fort, da Sie Wert darauf legen:
30 Jahre nach Kriegsende sollten wir endlich die innere Freiheit, die Unbefangenheit und den Mut aufbringen, soldatischen Leistungen der deutschen Kriegsteilnehmer den schuldigen Respekt zu zollen und davon den politischen Mißbrauch zu scheiden, der mit diesen Leistungen getrieben wurde.
Zugleich lese ich noch einmal vor, was Herr von Hassel in dem Traditionserlaß geschrieben hat. Sie haben es anscheinend nicht mehr in Erinnerung. Dort heißt es:Der Soldat, der sich als unpolitischer Soldat, einer falschen Tradition folgend, auf das militärische Handwerk beschränkt,— es ist die Auffassung von Herrn Wörner, daß dies so richtig ist —
versäumt einen wesentlichen Teil seiner beschworenen Dienstpflicht als Soldat in einer Demokratie.
Damit hat sich der Abgeordnete Wörner von dem in dem Traditionserlaß von einem CDU-Verteidigungsminister formulierten klaren politischen Verständnis distanziert und abgesetzt. Sie haben mit Ihrem Beifall soeben gezeigt, daß die Gefahr besteht, daß auch die CDU/CSU-Fraktion dies tun will. Das ist unser Problem heute.
Ich muß noch einmal Graf Baudissin bemühen. Er hat in jenem Interview nämlich folgendes gesagt:Aus dem breiten Band der widersprüchlichen Traditionen ist das auszuwählen, was Menschen von heute zur Bewältigung ihrer Aufgaben von morgen hilft. Herr Rudel repräsentiert in vielem genau das Gegenteil vom Leitbild des heutigen Soldaten.
Oder wollen Sie etwas anderes behaupten, Herr Wörner? Es ist auch möglich, daß Sie eine schizophrene politische Auffassung haben.
Es ist beachtenswert, daß sich der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung mit dieser Frage im Generellen befaßt hat. Ich muß das in Erinnerung rufen. Er sagte:Unsere Soldaten tragen inmitten einer von Krisen gekennzeichneten Welt zur Erhaltung des Friedens bei. Sie waren insoweit schon 20 Jahre erfolgreich. Man kann sagen: in der Erfüllung
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 463
Dr. Schäfer
ihrer friedensbewahrenden Aufgabe hat die Bundeswehr gute Ansätze zu einer eigenen Tradition gefunden;
sie ist nicht mehr darauf angewiesen, Leitbilder — und dann auch noch falsche Leitbilder —nur aus vorangegangenen Generationen zu entnehmen.
Der Bundestag hat einen Anspruch darauf zu erfahren, welche Rolle der Abgeordnete Wörner in dieser ganzen Affäre gespielt hat.
Der Brief vom 26. Januar liegt vor.
— Ich frage, Herr Wörner — Sie müssen ein Interesse haben, das hier klarzustellen —: Welche anderen Briefe haben Sie in dieser Sache an wen geschrieben, mit wem haben Sie in dieser Sache Gespräche geführt?
— Ich habe Grund, danach zu fragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ?
Danke schön.
Ich habe Grund danach zu fragen; denn wie ist es anders zu erklären, daß der Geschwaderkommodore bei seiner Begrüßung sagt, er hätte gern Herrn Wörner begrüßt, „dem wir viel für das Zustandekommen des Treffens verdanken".
Er hat doch wohl einen Grund dafür; sonst könnte er das nicht sagen. Gehört es zu den Aufgaben eines Abgeordneten, wenn Sie ein Gespräch mit dem Parlamentarischen Staatssekretär haben, in die Truppe hinein sozusagen Befehlsgebung zu machen?
Lassen Sie es mich ganz offen sagen, Herr Wörner: Es drängt sich der Eindruck auf, daß Sie sich im Laufe des Jahres 1976 so in diese Rolle hineingesteigert haben, als wenn Sie schon der Verteidigungsminister wären.
Sie waren ganz sicher, daß Sie es nach dem 3. Oktober sein würden und daß Ihnen dieses Traditionstreffen Ende Oktober die erste Möglichkeit Ihres politischen Auftretens geben würde. Das ist die Sorge, die wir haben, Herr Kohl.
Es ist die Frage, die sich an Sie richtet, ob wir da einen Blick hinter die Kulissen getan haben, ob wir damit gesehen haben, daß eine ganz andere, eine schlechte neue Konzeption
hier deutlich geworden ist, die mit der Konzeption vor 20 Jahren nicht im Einklang steht, die mit der praktizierten Politik dieser Zeit nicht im Einklang steht und die diesem demokratischen Rechtsstaat in seiner Entwicklung nur gefährlich werden könnte.
Deshalb sind Sie heute hier zu fragen, wie Ihre politische Auffassung zu diesen Dingen ist. Hier geht es nicht um Krupinski und Franke,
hier geht es um den Mut und die Entscheidung des Ministers, seinem Auftrag gemäß zu handeln, und es geht darum, daß Sie sich dem nicht nur verschließen — ich werde es gleich noch deutlicher zu formulieren haben. Jedem Einsichtigen drängt es sich auf, daß das auch eine große Auswirkung auf unsere Verbündeten haben kann. So hat der Journalist Fechner, der an dem bekannten Gespräch teilgenommen hat, anschließend einen Brief an Herrn Krupinski geschrieben, in welchem es heißt:
Mit Erstaunen habe ich registriert, daß Ihnen und Ihren Herren die politische Relevanz dieses Vorganges, insbesondere auch im Hinblick auf die Reaktion des Auslandes offenbar nicht aufgegangen ist. Wer es nicht nur fahrlässig, sondern gutwillig zuläßt, daß draußen ein derartiges Bild von der politischen Haltung unserer Streitkräfte entstehen kann, handelt meines Erachtens den Interessen des Staates entgegen, den zu schützen er sich verpflichtet hat.
Herr Kollege Zimmermann, Sie haben mit Recht zitiert, wie die ausländische Presse auf diesen Vorgang reagiert hat. So frage ich Sie, Herr Kohl: Es ist Ihnen hoffentlich wenigstens aufgegangen, um was es hier geht? Wenn es Ihnen aufgegangen ist, kommen Sie hierher und begründen das, und fallen Sie nicht dem seine Pflicht tuenden Minister in den Rücken!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Möllemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der FDP hat bereits bei der Debatte über die Regierungserklärung deutlich gemacht, daß sie die Entscheidung des Bundesministers Leber, die Generale Krupinski und Franke nach Prüfung des jetzt hinlänglich bekannten Vorgangs unverzüglich zu beurlauben und ihre Versetzung in den einstweiligen Ruhestand an-
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464 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Möllemannzuordnen, ebenso billigt wie die hierfür angegebene Begründung.
Ich unterstreiche erneut, daß unseres Erachtens diese Entscheidung auch nicht vorschnell oder unüberlegt getroffen wurde. Im Gegenteil, man hätte sich sicherlich vorstellen können, daß noch frühzeitiger und umfangreicher hätte reagiert werden können.Die Darstellung der Gesamtproblematik hat der Bundesminister der Verteidigung in der letzten Sitzungswoche hier im Parlament gegeben. Sie hat uns in unserer Auffassung bestärkt. Daraus folgt logischerweise, daß die FDP den Antrag der Opposition, Herrn Leber unsere Mißbilligung auszusprechen, als unbegründet zurückweist.
Die Entscheidung, zwei Generale zu pensionieren, die das Verhältnis zwischen Parlament und Bundeswehr, sei es aus politischer Instinktlosigkeit, sei es aus purer Boshaftigkeit, ebenso unerträglich belastet haben, wie sie das Vertrauen ihres Vorgesetzten mißbrauchten, zwei Generale also in den wohldotierten Ruhestand zu schicken, die dem Rang und dem Ansehen der Bundeswehr im In- und Ausland Schaden zugefügt haben,
diese Entscheidung muß das Parlament nachdrücklich unterstützen, wenn es sich nicht selbst herabsetzen will.
Wer in diesem Hause hinnehmen will, daß einzelne Abgeordnete — gleich welcher Fraktion, gleich welchen Namens — durch das Militär auch noch dazu amtlich verächtlich gemacht werden, der hat entweder aus der Vergangenheit dieses Landes oder aus der jetzt gegebenen Situation faschistischer Staaten nichts lernen wollen oder können,
oder aber er ist nicht willens oder fähig, die selbstverständliche Rangskala verschiedener Verfassungsorgane in einer parlamentarischen Demokratie zu definieren und auch durchzusetzen.
Wir jedenfalls lassen keinen Zweifel am Primat der Politik über das Militär.
Bundesminister Leber hat bei der Durchsetzung dieses Prinzips wie bei seiner ganzen weiteren Arbeit das Vertrauen und die volle Unterstützung der FDP-Fraktion.
Die Diskussion um die Namens- und Aktionskette Wörner—Rudel—Krupinski—Franke hat in den letzten Wochen über Gebühr das sicherheitspolitische Interesse der Öffentlichkeit in Anspruch genommen. Durch die Strategie der Unionen, dasGezeter über vermeintliche Skandale oder Skandälchen an die Stelle inhaltlicher Erörterungen wichtiger Sachgebiete zu stellen, sollte und soll die Konzeptionslosigkeit der Oppositionsfraktion auch auf diesem politischen Feld übertüncht werden, soll kaschiert werden, daß man eine rationale Alternative zur Sicherheitspolitik dieser Koalition eben nicht hat.
Der Eiertanz der Union zwischen Zustimmung zum Verteidigungshaushalt dieser Regierung als der Grundlage Ihrer Politik einerseits und den Kassandra-Rufen über den morgen, spätestens übermorgen bevorstehenden, von den Roten und Blau-Gelben in diesem Land insgeheim wohl herbeigesehnten Einmarsch der Russen in bundesdeutsche Vorgärten andererseits, dieser Eiertanz, lieber Herr Wörner, scheint Sie und Ihre Kollegen mittlerweile ermüdet zu haben. Es reicht nunmehr nur noch zu dem kläglichen Versuch, dem Minister, dem Sie sachlichpolitisch nichts anhaben können, ein Bein zu stellen. Dabei werden Sie allerdings selbst auf die Nase fallen.
Eine klägliche Rolle in dieser Auseinandersetzung hat der Kollege Zimmermann mit seinem Beitrag und mit seinen bisherigen Veröffentlichungen gespielt.
Nachgerade skandalös war seine bagatellisierende Darstellung der Denkweise des Herrn Rudel nach dem zweiten Weltkrieg. Ich begreife es einfach nicht, wie Sie hier einen Heroenkult betreiben können, ohne die Denkweise dieses Herrn Rudel, wie er sie heute immer noch lautstark verkündet, in Rechnung zu stellen.
Ich verstehe auch nicht Ihre doch sehr weitgehende Behauptung, Herr Kollege Zimmermann, die Zurruhesetzung der beiden Generale sei ohne jeden Grund erfolgt. Sie sollten sich vielleicht einmal von Ihren neuen Parteifreunden Krupinski und Franke sagen lassen, daß diese selbst dem Verteidigungsminister und dem Inspekteur erklärt haben, sie seien nicht mehr zu halten. Vielleicht wissen diese beiden besser, weshalb das so ist.Ein letztes zu Ihren Ausführungen, denn inhaltlich haben sie nicht viel hergegeben.
Ich fand es bemerkenswert, Herr Kollege Zimmermann, daß Sie über psychische Defekte in diesem Hause sprechen.
Die kläglichste Rolle allerdings bei diesem kläglichen Unterfangen hat der auch deshalb sehr beklagenswerte Kollege Dr. Wörner auf sich genommen. Zunächst mühte er sich sehr nachhaltig um das Zustandekommen eines Traditionstreffens mit dem Alt- und Neonazi Rudel. Er sagte seine eigene Teilnahme zwecks gemeinsamer Traditionspflege aus-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 465
Möllemanndrücklich zu. Welche Tradition des Herrn Rudel wollten Sie eigentlich mit ihm gemeinsam begehen, Herr Dr. Wörner? Dies sollten Sie hier einmal vortragen.
Man muß sich einmal ausmalen, was da geplant war: Shakehands des Weltkriegsbombers Rudel mit dem Hobbyflieger der Bundeswehr-Reserve Wörner; Fotos davon in den Massenmedien unserer NATO- Partnerländer, sagen wir einmal: in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen; Fotos, die es in sich hätten, vermutlich mit der Unterzeile „Alt und Jung mit neuem Schwung". Jawohl, Herr Major, könnte man sagen, das hätte das Bündnis gestärkt.
Besagter Herr Dr. Wörner hatte aber mit der Melodie vom „Alten Kameraden" sein Repertoire bei weitem nicht erschöpft. Mit einer durch die Wahlniederlage geprägten traurigen Melodie — Motto ungefähr: Ministerposten ade, das tut mir so weh — fiel er bald wieder aus dem Rahmen.
Nicht nur daß er nach dem Bekanntwerden der genannten Aktionskette Wörner-Rudel-KrupinskiFranke hemmungs- und verantwortungslos die Bundeswehr in den Parteienstreit zu ziehen versuchte und ihr damit mehr schadete als nutzte, nein, auch dieses Parlament kriegt natürlich von ihm sein Fett ab. Da die wohl vorbereitete Rede von ihm wegen der Erkrankung des Ministers am vorgesehenen Tag nicht gehalten werden konnte, war Herr Dr. Wörner mitnichten in der Lage, die geplante neue Parlamentsdebatte abzuwarten, sondern veröffentlichte seinen bedeutenden Vortrag in einer Tageszeitung.
Derselbe, der diese unvertretbare Mißachtung des Parlaments vollzog, stellte sich dann aber tränenden Auges hierher, als der Bundesminister der Verteidigung in der Debatte über die Regierungserklärung die parlamentarische Erörterung wieder hierher zurückholte, wo sie hingehört, und beklagte, das komme ihm alles zu früh. Das ist eine etwas eigenartige Meinung.
Da dieser Auftritt des Kollegen Wörner auch wieder keinen richtigen Beifallssturm auslöste, blieb dem begabten Kollegen dann schließlich keine andere Wahl: Vorgestern ließ er es die Bevölkerung endlich wissen, daß nun bald alles aus und vorbei sei. Es lohne sich nicht mehr, im aufkeimenden Frühjahr Felder und Gärten zu bestellen, auch nicht jenseits des Rheins, da führen doch binnen kurzem die Panzer mit dem roten Stern. Mit anderen Worten: Wenn gar nichts mehr hilft, beginnt man wieder mit der bekannten Panikmache. „Die Sicherheit der Bundesrepublik ist gefährdet, die NATO ist derBedrohung nicht mehr gewachsen", so und ähnlich ließ sich der Kollege Wörner vernehmen.Diese Beurteilung ist übertrieben negativ und falsch. Die Gefahr solchen Geredes liegt aber im Defätismus, der dadurch ausgelöst werden und — gerade auf die junge Generation und gerade im Blick auf deren Wehrmotivation — lähmend wirken könnte.
Der Herr Kollege Wörner ist nicht nur bei dieser Debatte nicht anwesend,
sondern ist darüber hinaus auch kein Ministerkandidat für das Verteidigungsministerium. Das einzige, was er betreibt, ist Verunsicherung.
Sie, Herr Dr. Kohl, müssen froh sein, daß Sie diesenIhren Kollegen nicht zum Minister machen mußten.
Wem die äußere Sicherheit, aber auch das Ansehen der Bundesrepublik am Herzen liegt, der wird diese Freude mit Ihnen teilen.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten glauben nun allerdings, daß wir von der schon zu lange dauernden Diskussion um Namen und Einzelperson — so bedeutend diese im Einzelfall auch sein mögen — wegkommen sollten. Die Diskussion, die sich in letzter Zeit um solche Namen rankte, muß wieder versachlicht werden, zumal da ja durchaus einige wichtige Sachthemen in diesem Rahmen zu finden sind.
Ich möchte aus der bislang hier und draußen geführten Debatte vier Fragen herausgreifen, die hier sicher nicht abschließend behandelt werden können, die aber unseres Erachtens der Überlegung wert sind und die uns deshalb auch sehr bald im Verteidigungsausschuß und wieder hier im Plenum beschäftigen werden.Die erste Frage — auch der Kollege Zimmermann hat sie aufgeworfen — lautet: Tun wir genug für unsere äußere Sicherheit? Ich will hier nicht über die Grundlagen unseres Verständnisses von Sicherheitspolitik meditieren, deren wichtiger, aber eben nicht alleiniger Bestandteil die Verteidigungspolitik ist. Ich möchte vielmehr nur die These aufgreifen, die von den Oppositionsrednern hier stets wiederholt wird, nämlich wir müßten spürbar oder drastisch mehr Geld für unsere Verteidigung ausgeben. Ich selbst halte solche drastischen Steigerungen des Verteidigungsetats a) für unnötig und b) für unmöglich. Man muß es wohl öfter sagen: Im letzten Jahr — 1976 — haben wir von ca. 160 Milliarden DM des Bundeshaushalts nach NATO-Kriterien ca.
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466 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Möllemann47,8 Milliarden DM für die Sicherheitspolitik ausgegeben.Wenn Sie, Herr Kollege Zimmermann, und Ihre Kollegen in der Fraktion in der jetzigen Situation drastisch höhere Beiträge für die Sicherheit aufwenden wollen, dann sagen Sie uns bitte aber auch hier und jetzt, woher Sie dies nehmen wollen,
ob Sie es durch höhere Steuern, durch Einsparungen an anderer Stelle — und dann: wo? — oder durch höhere Verschuldung erreichen wollen. Aber nein, Sie werden weiterhin die Mehrwertsteuererhöhung ablehnen, auf allen anderen Gebieten auch Mehrausgaben verlangen und gleichzeitig, wie wir das von Ihnen kennen, die Verschuldung senken wollen.
Ich denke, wir können Sie aus dieser widersprüchlichen Haltung nicht entlassen; bei den Haushaltsberatungen müssen Sie dann hier Farbe bekennen.Die zweite Frage: Wie steht es um die Tradition und die Traditionspflege in der Bundeswehr? Ich darf hier im Namen meiner Fraktion unsere anläßlich des 20jährigen Bestehens der Bundeswehr getroffenen Feststellungen noch einmal bekräftigen und wiederholen: Unsere Bundeswehr, die erste deutsche Armee, die in eine demokratische Grundordnung mit einer zeitgemäßen Wehrverfassung eingebettet ist, ist in unsere Demokratie, in unseren freiheitlich-demokratischen Staat fest integriert. Sie ist deshalb auch weitgehend ein echtes Spiegelbild unserer Bevölkerung. Diese Bundeswehr und ihre militärische wie politische Führung stehen fest zu unserem Staat und zu unserer Grund- und Rechtsordnung. Sie erfüllt ihren verfassungsmäßigen Auftrag, die Freiheit und die Sicherheit unseres Staates im Rahmen des Atlantischen Bündnisses zu wahren, täglich mit vollem Einsatz aller ihrer Angehörigen.
Ihre Anstrengungen sind konsequent auf den in der deutschen Geschichte erstmalig eindeutig definierten reinen Verteidigungsauftrag unserer Streitkräfte ausgerichtet. Ein Anlaß, an der Loyalität der Bundeswehr insgesamt und ihrer Soldaten gegenüber unserem Staat zu zweifeln, besteht nicht.
— Ich spreche hier zu allen Kollegen und mit Ihnen!
— Haben Sie Zweifel daran, daß das hier gehört wird?
— Nun gut, vielleicht vergewissern Sie sich einmal.Ich meine also, daß ein Anlaß, an der Loyalität der Bundeswehr zu zweifeln, nicht besteht,
auch nicht durch immer wieder auftretende Einzelfälle von Fehlern wie die, die wir hier heute diskutieren. Solche Einzelfälle müssen uns aber veranlassen, gemeinsam darüber nachzudenken, wo die Ursachen für solche Pannen wirklich liegen und wie sie nach Möglichkeit vermieden werden können. Dies ist vor allem auch deshalb von Bedeutung, weil mit jedem dieser Einzelfälle sofort auch die Erinnerung an ähnliche Vorkommnisse in der Vergangenheit wieder geweckt wird.Wenn wir nun die Frage des Traditionsverständnisses der Bundeswehr klären wollen, dann ist zunächst zu prüfen, ob das Traditionsverständnis in der Bundeswehr mit dem in der Gesamtbevölkerung unseres Staates in Einklang steht, was für die in den Staat integrierte Armee von zentraler Bedeutung ist. Ich glaube, daß dies derzeit schon im Positiven wie im Negativen zutrifft. Das negative Beispiel ist das Beispiel, das sich mit dem Namen Rudel verbindet. Die in der Bundeswehr hier zutage getretene kritiklose Sympathiebekundung für Rudel gibt es natürlich auch in der Bevölkerung.Ich muß Ihnen sagen, Herr Zimmermann, daß Sie als stellvertretender Vorsitzender einer großen Fraktion allen Anlaß hätten, mit uns Sorge darüber zu haben, daß solche Pamphlete auftauchen wie die der „Widerstandsgruppe Ruhr-West, ehemalige Ostfrontsoldaten" mit Sympathiebekundungen für Herrn Rudel und seine „guten Leistungen" auch heute noch. Sie müssen sich vorhalten lassen, daß Sie solche Äußerungen begünstigen.
Aber es gibt auch die andere Seite; und ich denke, diese ist stärker. Ich selbst weiß aus meiner Dienstzeit als Wehrpflichtiger in der Bundeswehr, daß die Generation, der ich angehöre — eine Generation, die heute ausnahmslos alle Wehrpflichtigen stellt sowie auch den weitaus überwiegenden Teil aller Berufs- und Zeitsoldaten —, auch die militärische Tradition im wesentlichen aus unserer Bundeswehr ableitet. Für sie haben weithin kameradschaftliche Bindungen älterer Soldaten zu Angehörigen der früheren Wehrmacht, die zum Teil durch gemeinsames Erleben entstanden sind, kaum noch Bedeutung. Diese Generation reagiert allergisch, wenn ihr — ob als Soldat oder als ziviler Bürger — eine militärische Leistung eines früheren Soldaten als Vorbild dargestellt wird, dessen Gesamtverhalten als Mensch und Bürger nicht gebilligt werden kann.
Nach unserer Auffassung ist ein Weg zu finden, der heute gültige, aber im Grunde zeitlose menschliche Werte in eine Traditionspflege aufnimmt. Die Differenzierung zwischen soldatischen und menschlichen Werten halte ich im übrigen für völlig unzulässig.
Hierzu gehören selbstverständlich Einsatzbereitschaft — selbst auch des eigenen Lebens —, Einsatzbereitschaft allerdings nicht als Wert an sich, sondern für Recht und Freiheit und eine demokratische Ordnung, Mut, Tapferkeit und nicht zuletzt Kameradschaftlichkeit.An Kameradschaftlichkeit — auch diesen Einschub erlauben Sie mir — läßt es einer der hier Besproche-
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Möllemannnen, nämlich General Krupinski, in seinen Äußerungen gegenüber dem Inspekteur der Luftwaffe durch seine Verdrehungen der letzten Tage deutlich fehlen.
Ich weiß nicht, ob Kameradschaftlichkeit pensioniert werden kann.Im übrigen aber kann unsere Bundeswehr, die bereits länger besteht als die frühere deutsche Wehrmacht und die Reichswehr in der Weimarer Republik, auf eigene Leistungen und auf hervorragende Persönlichkeiten in ihren Reihen, aber auch in unserem Staat und in unserer Gesellschaft hinweisen und somit eine eigenständige Tradition entwickeln. Wir sollten dem im Parlament dadurch entsprechen, daß wir gemeinsam mit dem Ministerium über eine Neufassung des bestehenden Traditionserlasses diskutieren.Die dritte Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren, die durch die Behandlung der heutigen Einzelfälle aufgeworfen wird, ist die nach der erforderlichen Qualität und Qualifikation militärischer Führer. Nach unserer Auffassung ist es zunächst selbstverständlich, daß militärische Vorgesetzte, die Soldaten ausbilden und führen sollen, ihr militärisches Handwerk möglichst perfekt verstehen sollten. Dies allein aber reicht nicht aus. So befähigt allein die Beherrschung eines Flugzeugs unter schwierigen Bedingungen einen Soldaten nicht gleichzeitig automatisch, eine hohe Führungsfunktion in der Luftwaffe oder an anderer Stelle — auch hier im Parlament — zu bekleiden.
Jeder militärische Vorgesetzte muß — je höher die Stellung, um so stärker — bei seinem Tun und Handeln dessen politische und psychologische Konsequenzen mitbeurteilen. Hierbei sind nicht etwa parteipolitische Gesichtspunkte gemeint.
Im Gegenteil. Mit politischen Gesichtspunkten ist hier das Erfordernis der Einordnung von Handlungen und Äußerungen der Führungskräfte der Streitkräfte unseres Staates in die diesen gestellte Aufgabe gemeint. Überdies müssen militärische Führer in der Lage sein, die Wirkungen ihrer Äußerungen auf unsere Soldaten, unsere Bevölkerung und, soweit das Ansehen unseres Staates und damit unserer Bundeswehr im Ausland, vor allem bei unseren westlichen Bündnispartnern, betroffen ist, die Wirkungen auf eben diese abzuschätzen und richtig einzustufen.Dies war in den hier erörterten Fällen eindeutig nicht gegeben. Es ist bedauerlich, daß dieses Fehlverhalten dadurch geradezu bestätigt wird und mögliche „Nachfolgetäter" ermutigt werden, daß Sie, Herr Kollege Wörner, es bekräftigen.
Der hier diskutierte Problembereich ist insoweit ein Beleg dafür, daß Bildung und Ausbildung in der Truppe, insbesondere die Innere Führung und in ihr die politische Bildung, qualifizierter werden müssen. Schon bei anderer Gelegenheit haben wir unter-strichen, daß es hier der nachhaltigen Unterstützung der Schule für Innere Führung durch den Bundesminister der Verteidigung bedarf. Es erscheint uns überdies erforderlich, daß der Besuch von Lehrgängen für Innere Führung für Kommandeure und Einheitsführer obligatorisch wird.Gelingt eine Rückbesinnung auf die grundsätzlichen Prinzipien der Inneren Führung nicht und schaffen wir es nicht, ihre Grundsätze zu aktualisieren und mit Leben zu erfüllen, dann ist die Befürchtung eben nicht unangemessen, daß die Bundeswehr den geistigen Anschluß an die Umwelt verlieren könnte. Die Durchführung ihres Auftrags wäre dann in Frage gestellt. Insoweit ist auch die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft kein Zustand, der einmal erreicht wird und dann von selbst immer gewährleistet ist, sondern ein positiver Zustand, der durch das Bemühen aller gesichert sein will.Meine' sehr verehrten Damen und Herren, wir haben bei der Erörterung der Regierungserklärung, soweit in dieser Debatte sicherheitspolitische Themen behandelt wurden, darüber gesprochen, daß es notwendig sei, auch durch Innere Führung das Bewußtsein der in der Bundeswehr Dienenden, einen sinnvollen Dienst zu leisten, der für die Erhaltung unseres freiheitlichen Staates notwendig ist, zu stärken. Unter gleich entwickelten Staaten mit entsprechenden Streitkräften und Waffensystemen kann kaum Überlegenheit errungen werden. Strategische und operative neue Gedanken können nur kurzfristig Vorteile erbringen. Sie sind nachahmbar. Allein der im Frieden optimal ausgebildete Soldat, der von der überlegenen Stärke und dem Wert der Freiheit überzeugt ist und der demzufolge die Waffensysteme und die anzuwendende Taktik vorzüglich handhabt, vermag die Überlegenheit in einem Konfliktfall sicherzustellen.Meine Fraktion ist froh darüber, daß der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wust, sich vorgenommen hat, der Bedeutung der Inneren Führung Rechnung tragend, die notwendige Aktualisierung und Belebung auf diesem Feld voranzutreiben. Er hat dabei unsere volle Unterstützung.
Wir teilen seine Auffassung, was die Erfordernisse der Inneren Führung angeht. Innere Führung fordert nämlich — und hier übernehmen wir seine Meinung —: erstens die Einordnung der Bundeswehr und ihrer Soldaten in unseren demokratischen Rechtsstaat, zweitens die Integration der Bundeswehr in unsere Gesellschaft, drittens eine zeitgemäße Menschenführung in den Streitkräften, d. h. mehr Teilhabe, Partnerschaft und Delegation, viertens politische Bildung in der Bundeswehr mit einem höheren Anteil an der Gesamtausbildung, als das heute der Fall ist, fünftens eine vom Verfassungsauftrag der Streitkräfte ausgehende soldatische Ordnung, sechstens eine völkerrechtliche Unterrichtung und eine am Völkerrecht orientierte Ausbildung der Soldaten, siebentens eine an weiteren rechts- und sozialstaatlichen Prinzipien ausgerichtete Betreuung und Fürsorge in den Streitkräften. Zur unerläßlichen Ergänzung sind jeweils notwendig Analysen der in die Streitkräfte eintretenden Generationen sowie
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MöllemannGespräche und Kontakte mit ihnen und schließlich eine unabdingbare ständige Erziehung, Bildung und Ausbildung. Wir sollten, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der nächsten Zeit prüfen, ob die Situation in der Bundeswehr diesen Anforderungen tatsächlich überall hinreichend gerecht wird.Hier ist vorhin in einem Nebensatz von Herrn Zimmermann auch die Führungsakademie der Bundeswehr angesprochen worden. Wir hoffen sehr, daß die Berufung von General Dr. Bung auf die Position des Leiters dieser Ausbildungsstätte der Generalstabsoffiziere nutzen wird.
Wir erhoffen uns nicht nur sachlich-fachliche Qualität,
sondern Kooperationsbereitschaft und Teamgeist.
Vielleicht gelingt es so, auch einen qualifiziertenLösungsvorschlag für die Kompetenzenfrage desKonsiliums in der Führungsakademie zu erarbeiten.Die vierte Frage, die, wie ich glaube, in unzulässiger Weise mit den hier heute in Rede stehenden Namen verbunden wird, ist die Frage nach den Handlungsspielräumen, selbständigen Entscheidungsmöglichkeiten, ja, nach der Meinungsfreiheit der einzelnen Soldaten. Bemerkenswert ist, daß ausgerechnet von seiten der Opposition die Auffassung vertreten wird, diese Spielräume der Soldaten müßten erweitert werden. Ich finde es nicht nur bemerkenswert, sondern es stimmt mich darüber durchaus hoffnungsfroh, wenn das endlich ernst gemeint ist. Es müßte nämlich unsere künftigen Beratungen in vielerlei Bereichen erleichtern. Wenn Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, tatsächlich für eine Ausweitung der Mitwirkungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume des einzelnen Soldaten sind, nicht nur, aber auch in der Bundeswehr, dann wird es Ihnen leichtfallen, mit uns darüber zu sprechen, ob nicht beispielsweise die Mitsprachemöglichkeiten der Vertrauensleute in der Bundeswehr erweitert werden können, und zwar um die Mitsprache in Personalangelegenheiten ebenso wie um die bei der Ausgestaltung des täglichen Dienstbetriebes.
Dann wird es Ihnen leichtfallen, Abstand von der von Ihnen propagierten Forderung nach einer illiberalen Novellierung der Wehrdisziplinarordnung zu nehmen. Es wird Ihnen sicherlich auch leichtfallen, mit uns darüber nachzudenken, inwieweit der Führungsstil in der Bundeswehr durch mehr Delegation verbessert werden kann, um Entscheidungsfreude, Verantwortungsbewußtsein, Verantwortungsbereitschaft und geistige Mobilität zu erhöhen, inwieweit wir also jede Möglichkeit der Mitgestaltung durch Soldaten aller Ebenen nutzen können.Schließlich, Herr Kollege Zimmermann, wird es Ihnen dann auch leichtfallen, denjenigen, die zum Wehrdienst anstehen und nach freier Gewissensentscheidung unter Berufung auf das Grundgesetz den Wehrdienst verweigern wollen, auch durch entsprechende technische Regelungen diese Freiheit tatsächlich einzuräumen. Sie werden dies bei der Beratung der KDV-Novelle sehr bald unter Beweis stellen können.
Allerdings haben mich nicht nur Ihre Äußerungen, Herr Kollege Zimmermann, an dieser neuentdeckten Liberalität in Ihrer Fraktion zweifeln lassen. Allzuoft und allzu beständig nämlich haben Sie von Freiheit zwar in Wahlslogans gesprochen, aber in der praktischen Politik immer auf der Seite derer gestanden, die Freiheitsrechte nicht ausweiten wollten, wenn es im konkreten Fall darum ging, solche Möglichkeiten auszunutzen.
Ich möchte Ihnen hier nicht den ganzen Katalog solcher Fälle aufzählen. Die prägnantesten sind ja noch gut in Erinnerung, beispielsweise auch im Bereich der Rechts- und der Strafrechtsreform, in vielen anderen Bereichen, in denen Sie Ihre illiberale Haltung deutlich gemacht haben.
Ich denke, das eigentliche Fazit dieser Debatte heute müßte sein, daß sich der Bundestag bemüht, künftig wieder stärker über die Sachfragen der Sicherheitspolitik zu diskutieren und damit der Sicherheitspolitik einen größeren Gefallen zu tun, als weiterhin auf einer fast boulevardartigen Auseinandersetzung
mit tatsächlichen und konstruierten, erfundenen Skandalen zu beharren.
Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen mit, daß die Fraktion der SPD inzwischen namentliche Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion beantragt hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wörner.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als ich die Pflichtreden meiner beiden Vorgänger aus der Koalition anhörte, mußte ich an ein altes Sprichwort denken: Eine schlechte Sache wird noch schlechter, wenn man versucht, sie zu verteidigen.
Ich möchte drei Dinge voranschicken. Herr Schäfer, Sie haben sich dagegen gewehrt, daß der Kollege
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Dr. WörnerZimmermann hier den sicherheitspolitischen Hintergrund aufgezeigt hat,
vor dem die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers gefallen ist.
Besser wäre es gewesen, Sie hätten sich dagegen gewehrt, daß der Herr Bundesverteidigungsminister die Debatte über die Regierungserklärung dazu mißbraucht hat, seine eigene Verteidigung vorzunehmen, anstatt über die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu reden.
Eine zweite Bemerkung. Herr Schäfer hat hier wieder mit einem Klischee aufgewartet, das wir so nicht stehenlassen können. Er hat von der Kluft zwischen der Arbeiterschaft und der Bundeswehr gesprochen, die jetzt abgebaut worden sei. Ich kann nur sagen, dies stammt aus der Klassenkampfmottenkiste und entspricht nicht unseren Erfahrungen.
Die Widerstände gegen die Bundeswehr in den Anfangsjahren kamen viel weniger vom deutschen Arbeiter als von den Ihnen nahestehenden politischen und intellektuellen Kreisen.
Niemand — und wir am allerwenigsten — bestreitet, daß der Bundesverteidigungsminister Leber einen, ich sage sogar: wichtigen Beitrag zur weiteren Integration der Bundeswehr in die Gesamtgesellschaft geleistet hat. Nur ist es geradezu absurd und grotesk, meine Damen und Herren, wenn Sie sich das als Verdienst anrechnen. Diese Integration wäre schon längst vollzogen, wenn Sie nicht in den Anfangsjahren und zum Teil bis in die Jetztzeit hinein Mißtrauen gegen die Bundeswehr geschürt und diese Kluft aufgerissen hätten.
Herr Kollege Schäfer, um das gleich anfangs auszuräumen: Sie haben aus sehr durchsichtigen, taktischen Gründen den Versuch gemacht, aus der Affäre Leber eine Affäre Wörner zu machen.
Ich vermute, meine Damen und Herren, daß sich der Kollege Schäfer dabei an einen alten militärischen Grundsatz erinnert hat: daß Angriff die beste Verteidigung sei. Nur, Herr Schäfer, was heißt Angriff? Was Sie hier vorgetragen haben, war noch nicht einmal ein Scheinangriff, um es ganz offen zu sagen.
Ich kann nur sagen, für mich ist es ein Beweis dafür,wie schlecht es um Ihre Sache und wie schlecht es umIhre Argumentation bestellt sein muß, wenn Sie auf diese Weise versuchen, vom Kern der Affäre, vom eigentlich Hauptverantwortlichen abzulenken.
Sie haben genauso wie Herr Möllemann und genauso wie der Verteidigungsminister Leber in seiner Rede vor dem Bundestag eines unterschlagen — und warum sagen Sie das hier nicht? —, daß nämlich nicht nur die militärische Führung, sondern daß auch die politische Führung des Verteidigungsministeriums durch ihren Parlamentarischen Staatssekretär das Kameradschaftstreffen auf dem ganzen normalen Dienstwege genehmigt hat und daß es dann erst vom Geschwader eingeleitet und durchgeführt wurde. Darum kann ich nur sagen: Es ist eine schlichte Täuschung, wenn Sie hier den Anschein erwecken, als hätte ich die Erlaubnis zu diesem Treffen gegeben, als hätte ich der Truppe gesagt: Ihr habt die Erlaubnis. Was ist das für ein mieser Stil, von der politischen Verantwortung abzurücken und diese auf andere abzuwälzen! Stehen Sie doch zu dem, was Sie hier gesagt und getan haben! Übernehmen Sie die Verantwortung, geben Sie ein Beispiel dafür!
Das ist doch kennzeichnend, Herr Leber, für die Art und Weise, wie man hier versucht, sich aus der Verantwortung zu schleichen.
— Herr Kollege Schäfer und auch Herr Kollege Pawelczyk, ich bin jetzt elf Jahre in diesem Hause. Ich habe bis jetzt in jeder meiner Reden Zwischenfragen zugelassen. Da jedoch der Herr Bundesverteidigungsminister Leber und auch Sie es in Ihrer Rede abgelehnt haben, Zwischenfragen zuzulassen, werde ich nach dem gleichen Prinzip verfahren.
Dann kommt jene Feststellung, meine Damen und Herren, ich hätte in die Truppe hineinregiert. Da sitzen der Kollege Würtz, der Kollege Hansen, der Kollege Horn, der Kollege Neumann, da sitzen so viele Abgeordnete der SPD wie auch der FDP und der CDU, die gar nicht anders können, als in dem täglichen Geschäft, das sie zu betreiben haben, auch direkten Kontakt zu Kommandeuren zu haben. Wenn Sie das hier als den Versuch einer Einmischung oder des Hineinregierens bezeichnen, dann bezeichne ich das als pure Heuchelei, meine Damen und Herren. Wir könnten unser Geschäft, die Bundeswehr könnte ihres nicht betreiben, wenn wir nicht in solcher Weise auch direkten Kontakt zur Truppe aufnähmen. Wenn Sie, Herr Schäfer, jetzt als eine Art Oberrichter hier den Versuch machen, mich dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dann kann ich nur sagen: Informieren Sie sich über das, was täglich geschieht, anstatt hier pure Heuchelei zu praktizieren.
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Dr. WörnerAber nun zur Entscheidung des Ministers. Diese halte ich immer noch für den eigentlichen Hauptgegenstand der Debatte.
Und da sind wir gleich beim ersten und, wie ich glaube, Herr Leber, zentralen Fehler dieser Angelegenheit: Die Darstellung des Sachverhalts, die Sie hier vor dem Parlament gegeben haben, widerspricht dem Ergebnis Ihrer eigenen Untersuchungen.
Sie sagen — ich zitiere aus Ihrer Bundestagsrede — Sie hätten. . . auf Grund der Angaben der beteiligten Journalisten und der Einlassungen der Generale . . . die Überzeugung gewonnen, daß Generalmajor Franke in dem Gespräch vor Journalisten geäußerthabe:Solange im Bundestag Linksextremisten und Kommunisten sitzen, die früher in Moskau waren, können Sie doch die Teilnahme Rudels nicht tadeln.Mir liegt Ihr eigener Schriftsatz vom 28. Dezember 1976 an den Wehrdienstsenat vor, in dem das Ergebnis der Anhörung der Journalisten und der dienstlichen Vernehmung der beteiligten Soldaten, und zwar vier Soldaten — nicht nur der zwei Generäle —, enthalten ist. Daraus ergibt sich eindeutig— ich kann den Beweis auf Grund Ihres eigenen Schriftsatzes führen —, daß nicht nur alle vier beteiligten Soldaten, sondern auch alle vier Journalisten— außer dem, der die ap-Meldung gemacht hat: Herr Hahslach — diesen Satz aus der Meldung des Herrn Hahslach nicht bestätigen, sondern eine andere Darstellung geben.
Wenn Sie schon, Herr Leber, den Aussagen von acht der neun Gesprächsteilnehmer keinen Glauben schenken, dann wäre es Ihre Pflicht gewesen, uns zu sagen, warum Sie zu einer anderen Auffassung gelangt sind, warum Sie einem glauben und nicht den acht anderen, Herr Leber. Das hätten Sie hier darstellen müssen.
Meine Damen und Herren, Sie müssen sich das einmal vorstellen: Dieser Herr Hahslach ist von allen beteiligten Journalisten der einzige, der überhaupt nicht angehört wurde. Warum denn nicht?!Auch die zweite Version, die Sie in Ihrer Bundestagsrede gegeben haben, wonach der Satz gelautet haben soll,Solange im Bundestag Linksextremisten und ehemalige Kommunisten sitzen, können Sie doch die Teilnahme Rudels nicht tadeln.bestätigt mindestens einer der Journalisten, HerrThomer, überhaupt nicht, und alle vier dienstlichvernommenen Offiziere widersprechen ihr. Selbst bei dieser zweiten Version steht also Aussage gegen Aussage, wobei man noch wissen muß, daß im Unterschied zur bloßen Anhörung der Journalisten, die ja zwangsläufig unverbindlich bleiben muß, die Soldaten dienstlich vernommen wurden, d. h. durch Gesetz unter Strafandrohung verpflichtet waren, die Wahrheit zu sagen.Da kann ich nur sagen: Wenn Sie schon Ihren Soldaten keinen Glauben schenken wollten, dann hätte jeder unparteiische Vorgesetzte bei dieser Sachlage zumindest zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die Unterschiedlichkeit der Aussagen eine Klärung dieses Falles nicht erlaubte und daß der rechtsstaatliche Grundsatz Platz greifen müsse: in dubio pro reo. Sie aber stellen sich auf die Seite von nur drei der fünf beteiligten Journalisten, und zwar ausgerechnet derjenigen, die die vereinbarte Vertraulichkeit des Gesprächs gebrochen
und damit nicht nur entgegen einer klassischen Journalistenregel gehandelt, sondern — ich sage hier — auch entgegen dem menschlichen Anstand gehandelt haben.
Was, Herr Leber, ist das für ein Vorgesetzter, der vier unbescholtenen Soldaten, die sich in ihrer gesamten militärischen Laufbahn tadelsfrei geführt haben — wie sich aus den Akten ergibt —, unterstellt, in dienstlicher Vernehmung die Unwahrheit gesagt zu haben? So handelt kein Vorgesetzter,
der es mit der Pflicht zur Fürsorge ernst nimmt und der unvoreingenommen ist. Allein schon dies, Herr Leber, zeigt: Hier wurde keine staatspolitische Entscheidung getroffen, wie das die Herren Schäfer und Möllemann zu konstruieren versucht haben, hier wurde eine parteipolitische Entscheidung getroffen.
Herr Hochhuth, der bestimmt nicht im Verdacht steht, der CDU/CSU besonders nahezustehen, hatte doch recht, als er in seinem offenen Brief an Herrn Wehner fragte:Ist das, was diese beiden Generale vertraulich gesagt haben, nach Ihrer Ansicht erstens Grund genug für einen Dienstherrn, Mitarbeiter wegzuschmeißen, die seiner Sache ein Vierteljahrhundert treu gedient haben? Und ist zweitens nicht jeder Dienstherr verpflichtet, wenn ihm vertraulich geführte Gespräche seiner Untergebenen denunziert werden, die Denunzianten zur Tür hinauszuwerfen, sich aber schützend vor seine Mitarbeiter zu stellen?
Im übrigen, Herr Leber — das geht ja weiter in Ihrer Bundestagsrede —, haben Sie bemerkenswerterweise — das kommt ja nicht von ungefähr — einen Zusammenhang unterschlagen, der völlig unbestritten ist. Ich sage Ihnen: Sie haben den Sachverhalt bewußt verfälscht.
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Dr. WörnerSowohl nach der ap-Meldung wie nach der ebenfalls erschienenen Meldung von dpa ist in dem Gespräch von den Generalen ausdrücklich und eindeutig gesagt worden, daß sich die erwähnten Politiker gewandelt hätten. Das ist völlig unbestritten bei allen Journalisten; das hat auch so in allen Zeitungen gestanden. Sie haben das hier unterschlagen. Damit ist doch deutlich, daß diesen Politikern nichts Belastendes vorgeworfen wurde, sondern daß sie als Beispiele nicht nur möglicher, sondern vollzogener Gesinnungsänderung angeführt wurden. Allein schon darum, Herr Leber, kann hier nicht von einer Verunglimpfung des Parlaments gesprochen werden, schon gar nicht von einer Belastung des Verhältnisses zwischen Armee und Parlament. Noch sind wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht so weit, daß das Aussprechen der Wahrheit für Staatsdiener einen Entlassungsgrund darstellt, wenn diese Wahrheit der SPD nicht paßt.
Professor Ernst Wolf aus Marburg — in diesem Hause sicher kein Unbekannter — hat dies in einem Leserbrief so gekennzeichnet — ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident —:Die Ahndung rechtmäßiger Äußerungen ist ein Schlag gegen den freiheitlichen Rechtsstaat und gegen die Armee dieses Staates von unabsehbarer Tragweite. Wenn eine derartige Maßnahme unwidersprochen hingenommen wird, kann kein Offizier und kein Beamter mehr seiner Stellung sicher sein. Ich halte mich— schreibt Herr Wolf —zu dieser Klarstellung als politisch Verfolgter des nationalsozialistischen Unrechtregimes und ehemaliges Mitglied des Personalgutachterausschusses für die Bundeswehr für verpflichtet.Die Empfindlichkeit, die Herr Leber und die Sie von der SPD, auch Herr Wehner, zeigen, steht doch in einem krassen Gegensatz zu der Art, wie Sie selber mit politischen Gegnern und auch mit Soldaten der Bundeswehr umgehen.
Hier wird doch mit zweierlei Maß gemessen.
Herr Horn greift die Offiziere der Bundeswehr an, und die können sich nicht wehren. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Schleswig-Holstein und in Hamburg wird im Wahlkampf — durch Sie nicht dementiert — davon gesprochen, daß Stoltenberg, Dregger, Carstens, Strauß für diese Demokratie gefährlicher seien als die Baader-Meinhof-Bande. Und auch Sie, Herr Wehner, sind nicht gerade dafür bekannt, daß Sie hier mit dem Florett fechten. Darum kann ich nur sagen: Wer so handelt, hat kein Recht, sich zum unbarmherzigen Richter über Staatsbürger in Uniform aufzuschwingen, die es wagen, an einen wunden Punkt Ihrer Geschichte zu rühren.
Darum, Herr Leber: Es gibt keine zureichende Rechtfertigung für Ihre Entscheidung, die Generale zu entlassen. Ihre Reaktion steht außer Verhältnis zum Anlaß. Sie haben eine krasse Fehlentscheidung getroffen. Genauso unsicher wie Ihre Entscheidung, genauso falsch waren ja auch die Begründungen, die Sie gegeben haben. Ich habe sie nachgezählt. Inzwischen sind es 9 verschiedene Versionen, die Sie dem staunenden Bürger als Grund präsentiert haben.
Aus Zeitgründen, aber nur aus Zeitgründen, möchte ich mich darauf beschränken, zwei davon herauszugreifen. Im „Spiegel" Nr. 46 vom 8. November letzten Jahres haben Sie erklärt:Die Versetzung in den einstweiligen Ruhestandist ausschließlich durch ein Pressegespräch be-gründet .. .Am 12. November haben Sie in einem Artikel der Wochenzeitschrift „Die Zeit" die Entlassung damit zu begründen gesucht, daß Sie den Generalen Ungehorsam unterstellt haben, wovon vorher nie und nirgends die Rede war. In Ihrer Rede vor dem Bundestag wiederum taucht der Ungehorsam plötzlich nicht mehr auf.Ich kann nur sagen: So handelt ein Minister nicht, der seiner Sache sicher ist. Was soll der Bürger eigentlich glauben, wenn der Minister noch nicht einmal weiß, warum er die Generale nun wirklich entlassen hat!
Dieses peinliche Hin und Her zeigt doch nur eines deutlich: daß der wirkliche Grund der Entlassung ganz woanders zu suchen ist, nämlich im massiven Druck Ihrer eigenen Partei, die Generale zu feuern oder — wie Sie es bedauerlicherweise im Fernsehen selber formuliert haben, in dieser Woche, glaube ich — „rauszuschmeißen".Dann noch eines. Es ist ein unerhörter Vorgang, daß ein Minister öffentlich gegen einen Soldaten -dazu noch gegen einen General, also einen Soldaten in besonders herausgehobener Führungsverantwortung — öffentlich den Vorwurf des Ungehorsams, also eines schweren Disziplinarvergehens, erhebt und sich dann weigert, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Eine gröbere Rechtsverletzung eines Oberbefehlshabers ist kaum vorstellbar.
Ich sage hier — im vollen Bewußtsein dessen, was ich sage — folgendes. Jeder Kompaniechef, der so handeln würde, würde von Ihnen, Herr Leber, und von jedem anderen Minister sofort abgelöst werden müssen.
Jeder Soldat — egal, welche Stellung er in der Bundeswehr hat — hat Anspruch darauf, daß bei einem so schwerwiegenden Vorwurf der Tatbestand geklärt und ihm die Möglichkeit zu rechtswirksamer Verteidigung gegeben wird, ehe sein Vorgesetzter öffentlich eine solche Behauptung erhebt. Nichts davon ist geschehen. Nichts! Die beiden Generale wurden zu diesem Vorwurf bis zum heutigen Tag überhaupt nicht gehört, geschweige denn wurde gegen
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Dr. Wörnersie ein Disziplinarverfahren deswegen eingeleitet. Sie, Herr Leber, haben sich bis zum heutigen Tag noch nicht einmal veranlaßt gesehen, diesen öffentlichen Vorwurf ebenso öffentlich wieder zurückzunehmen. Das ist das allermindeste, was wir von Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Vorgesetzter und Oberbefehlshaber der deutschen Armee erwarten. Tun Sie es, Herr Leber.
Sie haben es dann — auch darauf muß noch einmal eingegangen werden —, im übrigen gegen den Rat aller Ihrer Rechtsberater für richtig gehalten, den Generalen nach § 22 des Soldatengesetzes die Ausübung des Dienstes zu verbieten. Dieser Paragraph wird nach der seitherigen Rechtspraxis bei erheblichen straf- und disziplinarrechtlichen Vorwürfen angewandt,
um — ich nenne nur zwei Beispiele - zu verhindern, daß etwa ein Dieb oder ein Sittlichkeitsverbrecher während der möglicherweise langen Verfahrensdauer weiter Dienst in der Truppe tut. Die Anwendung dieses Paragraphen auf die beiden Generale ist stillos und in höchstem Maße diskriminierend. Meine Damen und Herren, man hat von den beiden Offizieren beispielsweise verlangt, daß sie ihr Dienstzimmer nur noch in Begleitung eines Offiziers betreten.
Beide haben es daraufhin abgelehnt, ihr Dienstzimmer überhaupt noch einmal zu betreten.
— Es kommt ja noch schlimmer. Beide durften sich weder von der Truppe noch von ihrem Stab, noch von ihren engsten Mitarbeitern verabschieden. Herr Leber, ich sage Ihnen: So geht man mit Strolchen um, aber nicht mit Generalen, die diesem Staat zwei Jahrzehnte treu gedient haben.
Unrichtig ist es auch, wenn Sie hier in Ihrer Rede öffentlich behauptet haben, Sie hätten ja nur diese zwei Möglichkeiten gehabt: entweder die Generale im Dienst zu lassen oder § 22 des Soldatengesetzes anzuwenden. Das stimmt schon deswegen nicht, weil Sie es in vielen anderen Fällen ganz anders praktiziert haben. Ich will Ihnen aus dem großen Katalog all Ihrer Möglichkeiten nur einmal drei Möglichkeiten nennen. Sie hätten die Offiziere bitten können, keine Diensthandlungen mehr vorzunehmen. Sie hätten Sie bitten können, Sonderurlaub einzureichen. Sie hätten Sie auch bitten können, ihren ausstehenden Urlaub zu nehmen. Das haben Sie in vielen anderen Fällen auch getan, in diesem Fall aber nicht.Meine Damen und Herren, einfach lächerlich aber ist es, wenn Sie, Herr Leber, hier behaupten, das Verbleiben der beiden Generale hätte in der Truppe zu disziplinären Schwierigkeiten und Konflikten führen können.
Das beweist mir nur eines, nämlich daß Herr Leber von der Situation und der Stimmung in der Truppe nicht mehr sehr viel Ahnung hat; denn nicht das Verhalten der Generale, sondern sein Verhalten den Generalen gegenüber hat zu einem erheblichen Vertrauensschwund und zu einer tiefgreifenden Verstimmung in der Truppe geführt.
Ich sage jetzt nicht, daß Sie es so gemeint haben, Herr Leber; aber Ihre Äußerung und vor allen Dingen Ihre Entscheidung sind vielfach so verstanden worden, daß den Angehörigen der Bundeswehr letztlich jede kritische Äußerung über Abgeordnete des Bundestages untersagt sei. Deswegen muß ich hier ein paar — jedenfalls für die CDU/CSU-Fraktion — grundsätzliche Feststellungen treffen. Kritik an Abgeordneten, Kritik an Parteien und ihren Mitgliedern bedeutet keine Kritik an der Demokratie und keine Kritik am Parlament als solchem.
Wer Kritik an der SPD mit Kritik am Staat gleichsetzt, der offenbart nur eines: sein mangelndes Staats- und Demokratieverständnis.
Lassen Sie mich aus diesem Anlaß zur Meinungsbildung und zur Meinungsfreiheit des Soldaten folgendes sagen. Wir alle haben uns für den Staatsbürger in Uniform entschieden; da gibt es bis zum heutigen Tag keinen Gegensatz zwischen uns, so hoffe ich. Das aber heißt doch wohl, daß auch Soldaten das Recht haben müssen, Abgeordnete zumal dann zu kritisieren, wenn ihre Äußerungen wahr sind und in der gebotenen Zurückhaltung erfolgen. Ich betone noch einmal, daß selbst das, die Kritik, nicht der Fall war, sondern daß es als Läuterung gebracht wurde. Wie oft — Sie, Herr Schäfer, haben das hier geradezu tränenreich demonstriert — haben Sie den mündigen Bürger, die Innere Führung,
den Staatsbürger in Uniform und die Meinungsfreiheit beschworen! Aus Ihrem Verhalten ziehe ich nur den einen Schluß: Die Meinungsfreiheit des Soldaten, wie Sie sie verstehen, hört offenbar dort auf, wo Ihnen diese Meinung nicht mehr paßt, und Ihre Praxis läuft darauf hinaus, daß Sie den Soldaten einen Maulkorb umbinden.
Dabei halte ich die schlimme Folge für das Gefährlichste, die diese Maßregelung auf die Dauer in der Bundeswehr haben muß. Schwächere Naturen unter den Soldaten werden sich ducken lernen und sich geschmeidig in Wort und Schrift dem anpassen, was sie von oben her als erwünscht beurteilen. Das Beste an der Inneren Führung geht verloren: die Zivilcourage, der Mut vor Königsthronen. Wir ziehen uns
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Dr. Wörnerdamit Anpasser, Opportunisten und Duckmäuser heran, die immer mehr Angst haben werden, ein offenes Wort zu riskieren, und das verträgt sich nicht mit dem Bild des Soldaten, wie wir es haben und wie es klassischer deutscher Tradition entspricht.
— Jetzt beruhigen Sie sich nur; Sie werden noch genügend Anlaß haben, sich aufzuregen, also verschießen Sie Ihr Pulver nicht zu früh!Die Vorgänge waren Anlaß zu einer lebhaften Diskussion über die Frage: Bundeswehr und Tradition. Lassen Sie mich dazu einige Feststellungen aus der Sicht der CDU/CSU treffen.Erstens. Armee und Soldaten stehen in der Geschichte unseres Volkes. Es wäre töricht und im übrigen auch gefährlich, diese Geschichte abschneiden zu wollen. Geschichte läßt sich vielleicht bewältigen, sicher aber nicht ungestraft verdrängen.
Die deutsche militärische Geschichte beginnt nicht erst mit der Bundeswehr. Es gibt militärische Traditionen in der deutschen Geschichte vor Gründung der Bundeswehr, die es lohnen, gepflegt zu werden,
und es gibt militärische Führungspersönlichkeiten, die es wert sind, als Vorbilder auch für Bundeswehrsoldaten zu gelten. Ich nenne aus der jüngsten deutschen Geschichte beispielsweise die Namen Stauffenberg, Rommel, Mölders und Beck.
Aufgabe der politischen Bildung in den Streitkräften ist es, den jungen Menschen die richtigen Maßstäbe zur Bewertung der Geschichte zu vermitteln.
— Beruhigen Sie sich, das kommt gleich!Zweitens. Es gibt auch eine traditionsbildende Kraft der über 20jährigen Zeitspanne, in der die Bundeswehr den Frieden und die Freiheit in unserem Lande sicherte. Darauf kann sie stolz sein, und insofern besteht eine Übereinstimmung zwischen dem, was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat, und uns.
Drittens. Der noch in Kraft befindliche Traditionserlaß von Bundesverteidigungsminister von Hassel hat sich bewährt. Er liefert auch heute noch brauchbare Maßstäbe und ermöglicht einen politisch vernünftigen und vorurteilsfreien Umgang mit der Tradition.
Viertens. Die Bundeswehr hat in ihrer Alltagspraxis über Jahre hinweg bewiesen, daß sie auch mit heiklen Fragen der Tradition weit besser fertig wird, als manche ihrer Kritiker wahrhaben wollen.
Fünftens. Wir haben diese Bundeswehr als eine demokratische Armee aufgebaut und wollen, daß sie dies bleibt. Wir werden weder linksradikale noch rechtsradikale Entwicklungen in dieser Armee dulden.
Sechstens. Wir alle in diesem Hause verabscheuen und verurteilen die Gewalttaten des NS-Regimes. Aber, Herr Schäfer, jetzt kriegen Sie das noch einmal von mir, und zwar von einem, der von sich sagen kann, daß er der Nachkriegsgeneration angehört: wir achten auch den deutschen Soldaten des zweiten Weltkrieges, der nicht minder anständig gekämpft hat und nicht minder guten Glaubens war als die alliierten Soldaten, für seine Heimat, für seine Familie und für sein Volk zu kämpfen, auch wenn mit diesem guten Glauben schrecklicher Mißbrauch getrieben wurde.
Vor diesem Hintergrund möchte ich zum eigentlichen Anlaß der ganzen Affäre sagen— und jetzt kommt es —: Man hat aus einem unpolitischen und geselligen Kameradschaftstreffen und aus der Einladung des ehemaligen Geschwaderkommandore Oberst a. D. Rudel eine Haupt- und Staatsaffäre gemacht.
Die Einladung von Oberst Rudel — und das war das, was ich auch in meinem Schreiben ausgedrückt habe, und dazu stehe ich, im Unterschied zu Ihnen, die Sie zu Ihrer politischen Verantwortung nicht stehen wollen —, die Einladung von Oberst a. D. Rudel zu diesem Kameradschaftstreffen war keine politische Demonstration. So war sie nicht beabsichtigt, so ist sie nicht abgelaufen. Wer die Bundeswehr und ihre Soldaten kennt, der weiß, daß sie nicht in Gefahr sind, von nazistischen Ideen angesteckt zu werden.
Weil Sie mich schon darauf angesprochen haben, sage ich Ihnen klar: ich habe das gesagt, ich stehe dazu, und ich meine weiterhin, daß Herr Rudel sich im zweiten Weltkrieg als tapferer Soldat geführt hat. Ich sage aber ebenso deutlich, daß er wegen seiner politischen Auffassungen, die ich schärfstens ablehne, nicht Leit- und Vorbild dieser Bundeswehr sein kann.
Ich hätte mir gewünscht, daß man nur einen geringen Bruchteil der Lautstärke dieses Protestes der Tatsache hätte angedeihen lassen, daß zur selben Zeit dem Kommunisten Biermann in stundenlangen
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474 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Dr. WörnerFernsehsendungen die Gelegenheit geboten wurde, unsere Demokratie und die frei gewählten Vertreter dieses Volkes zu beschimpfen, und daß man ihm dafür auch noch eine monatliche Unterstützungszahlung der Stadt Hamburg angeboten hat.
Nein, Herr Leber, alle Ihre Rechtfertigungsversuche und Erklärungen machen nur deutlicher, was, wie ich meine, schon jeder weiß, was die Spatzen von den Dächern pfeifen: Nicht die Interessen des Staates, nicht die der Demokratie und schon gar nicht die Interessen der Bundeswehr forderten die Entlassung der beiden Generale. Diese zwei Soldaten mußten gehen, weil 40 Mitglieder der SPD das gefordert haben — Telegramm hin, Telegramm her —, und weil Herr Leber hätte möglicherweise selber gehen müssen, wenn er sich dieser Forderung nicht gebeugt hätte.
Ich sehe den Kollegen Hansen hier lächelnd den Kopf schütteln. Da kann ich nur sagen: kommen Sie doch herauf und zählen Sie mal die 40 Namen auf, die nach Ihrer Meinung hier vorhanden gewesen sein sollen!
Was wir unerträglich finden, ist die Tatsache, daß die Anstrengungen eines Verteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland, sich in seiner eigenen Partei zu behaupten, auf Kosten verdienter Generale und verdienter Soldaten ausgetragen werden. Das ist der eigentliche Skandal.
Herr Leber, wir kennen uns lange genug. Wir haben über drei Jahre — das wissen Sie, und das wissen alle Kollegen hier — wesentliche Teile Ihrer Politik eben nicht kritisiert, wie das hier behauptet wurde, sondern mitgetragen, und zwar gerade entgegen unserem parteipolitischen Interesse, weil wir der Meinung waren und sind, daß man versuchen muß, solange es geht, in den Grundfragen der Sicherheit eines Volkes die Übereinstimmung und die Gemeinsamkeit zu bewahren. An dieser Bereitschaft der CDU/CSU hat sich nichts geändert. Wer sich geändert hat, Herr Leber, das sind Sie, und zwar unter dem Druck Ihrer eigenen Partei. Wenn Sie wieder der alte werden, haben Sie wieder unsere Unterstützung.
Was uns stört, ist, daß Sie dem Druck Ihrer eigenen Partei inzwischen nicht mehr standhalten. Der Kollege Zimmermann hat das völlig richtig an Beispielen dargelegt. Das zeigt auch die Tatsache, daß General Dr. Wagemann frühzeitig in den Ruhestand geschickt wird. Warum? Weil er den Linken nicht paßt und weil diese Kreise nun auch noch die Führungsakademie und damit die Generalstabsausbildung in ihren parteipolitischen Griff bekommen wollen.
Warum geben Sie nach? Warum stehen Sie nicht mehr, wie Sie früher gestanden haben?Dann geben Sie ein Interview in der „BildZeitung" . Frage „Bild" :Warum haben Sie denn Wagemann nicht in Schutz genommen?
— Ich orientiere mich da am Vorbild des Herrn Bundeskanzlers, der die „Bild-Zeitung" hier in der Debatte der Regierungserklärung sehr ausführlich zitiert hat.
Darauf die Antwort von Herrn Leber:Diesmal brauche ich ihn nicht in Schutz zu nehmen. Die Angriffe richten sich in Wirklichkeit nicht gegen General Wagemann, sondern gegen mich. Die Stoßrichtung lautet: Der Leber muß fertiggemacht werden.
„Bild":Wer will Sie denn fertigmachen?
Leber:
Es geht um die politischen Erschütterungen meiner Stellung. Es wird Wagemann gesagt, gemeint ist Leber, getroffen werden soll die Regierung.Nun höre ich den Zwischenruf „Wörner". Das ist ja auch eine sehr interessante Behauptung des Sprechers des Bundesverteidigungsministeriums gewesen, der gesagt hat, der Minister habe damit die Opposition gemeint.
Ich kann nur sagen: Seit wann greift die CDU/CSU Herrn Wagemann an? Wir haben ihn doch immer gegen die Angriffe Ihrer Linken in Schutz genommen.
Wir haben um die Führungsakademie gekämpft.Das ganze Interview knüpft an einen Artikel der „Frankfurter Rundschau" an; das ist die erste Frage. Vielleicht werden Sie auch noch so weit gehen, die „Frankfurter Rundschau" zum Sprachrohr der Opposition zu machen.
Aber wenn ich die „Frankfurter Rundschau" lese — und ich lese sie —, dann stelle ich immer fest, daß der Kollege Pawelczyk und der Kollege Horn zu den häufigsten Publizisten auf verteidigungspolitischem Gebiet gehören. Nein, wen der Herr Leber hier gemeint hat, ist ganz eindeutig: Das sind die Kreise in seiner eigenen Partei, die seit Jahren an seiner Stellung in dieser Partei und diesem Staat sägen.
Wer hat Ihnen denn den Wahlkreis genommen, Herr Leber? Waren wir das oder waren das Ihre Jungsozialisten?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 475
Dr. WörnerWas haben Sie denn in dem Interview mit Herrn Loewke erklärt? Ich könnte es hier vorlesen. Was haben Sie in Ihrem Interview im „Spiegel" erklärt? Ich will es kurz machen:Ich habe manchmal Schwierigkeiten in meiner eigenen Partei, das bestreite ich nicht. Was mir weh tut, ist, daß sie sich wenig mit meiner Arbeit als Verteidigungsminister befaßt.
Das haben nicht wir gesagt, das haben Sie gesagt.Wir glauben, daß es unerträglich für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist, wenn die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit eines Verteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland in dieser Weise beeinträchtigt oder auch nur gefährdet wird. Das ist längst kein Problem der SPD allein mehr, das ist ein Problem der Sicherheit in diesem Staat, meine Damen und Herren!
Wir haben uns — nicht nur wir; sehr viele in der Öffentlichkeit, auch die Ihnen wohlgesonnene Publizistik — doch immer und immer wieder gefragt: Was ist eigentlich mit Leber geschehen? Man muß da gar nicht weit zurückgehen. Da gibt es einen ganz zentralen Punkt — der Kollege Damm hat das hier einmal ausführlich dargestellt —, das ist jener Artikel, den Sie in der „Frankfurter Allgemeinen" über Vietnam geschrieben haben. Und was ist darauf geschehen? Der Herr Wehner hat Sie daraufhin in Ihrer eigenen Fraktion, wie man burschikos sagt, gerichtet,
und hier im Deutschen Bundestag ist der einmalige Vorgang eingetreten, daß der Herr Wehner das, was er Ihnen in der Fraktion ins Stammbuch geschrieben hat, in diesem Plenum wortwörtlich wiederholt hat. Seit diesem Zeitpunkt beobachten wir, daß Sie nicht mehr in der Lage sind, dem Druck in Ihrer Partei standzuhalten.
Und darum ist das nicht nur das Problem der SPD und nicht nur das Problem dieses Verteidigungsministers, sondern ein Problem auch des Parteivorsitzenden, auch des Bundeskanzlers und der ganzen deutschen Öffentlichkeit, die endlich wissen will: Wie hält es die SPD mit der Verteidigung und mit ihrem eigenen Verteidigungsminister?
Eine letzte Bemerkung — auch die aus Anlaß dieser Debatte —: Es ist die Frage nach der Stellung der Bundeswehr in dieser Demokratie gestellt und sehr ausführlich diskutiert worden, und das ist richtig. Ein deutsches Nachrichtenmagazin — der „Spiegel" — hat in diesem Zusammenhang eine interessante These aufgestellt. Dort heißt es — und ich finde diese These repräsentativ für eine gewisse Denkungsweise —:Der Gründungsauftrag der Bundeswehr, erst-mals in der deutschen Geschichte eine Armeezu schaffen, die sich als fester Bestandteil eines demokratischen Systems versteht, scheint bei der wachsenden Fixierung auf das reine Militärhandwerk immer mehr zu verblassen.Ich sage hier, und ich sage es für die CDU/CSU: Diese These ist schlicht und einfach unzutreffend. Die Offiziere, die Unteroffiziere, die Zeitsoldaten und die Wehrpflichtigen sind Demokraten — so gut und so schlecht wie alle anderen Demokraten in diesem Staate auch, meine Damen und Herren!
— Wer das bestreitet? Ja, meine Damen und Herren, muß ich noch einmal zitieren, was der Sprecher des SPD-Vorstands, Heye, gesagt hat: das sei nur die Spitze des Eisbergs, mit anderen Worten, die Bundeswehr sei undemokratisch bis in ihre Grundfesten hinein. Das war doch Ihre Behauptung!
Und dann wundern Sie sich, wenn wir hier stehen und sagen: Die Loyalität des Offizierscorps der Bundeswehr — und ich sage, die Loyalität der gesamten Bundeswehr — gegenüber diesem unserem Staat und seiner Verfassung ist nicht durch das Wort, ist durch die Tat in Jahrzehnten der Geschichte unseres Staates unter Beweis gestellt und erhärtet worden.
Dem Einsatz dieser Soldaten verdanken wir es bis zum heutigen Tage entscheidend mit, daß wir frei und sicher auf dem Boden dieser Verfassung leben und arbeiten können.
Die Bundeswehr hat nie die Tendenz zum „Staat im Staate" gehabt, und sie hat sie heute weniger denn je. Allerdings — und das ist vollkommen natürlich und auch gut und richtig — spiegelt sich in der Bundeswehr und ihren Soldaten die ganze Meinungsvielfalt unserer pluralistischen Gesellschaft. Natürlich — auch das sei gesagt, damit nicht erneut Mißverständnisse wachgerufen werden können — sind Wachsamkeit und politische Kontrolle — der Bundeswehr wie jedem anderen Instrument der Macht in diesem Staat gegenüber — am Platz. Dies wird von den Soldaten der Bundeswehr als das akzeptiert, was es ist, als demokratisch legitim. Aber Wachsamkeit, meine Damen und Herren, bedeutet nicht mißtrauische Voreingenommenheit.Die Bundeswehr verdient unser Vertrauen, nicht als Vorschuß, meine Damen und Herren, sondern in Anerkennung ihres langjährigen demokratischen Engagements für die Bundesrepublik Deutschland, unseren demokratischen Staat.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
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476 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf im Vorspann auf eine Äußerung von Herrn Zimmermann eingehen. Er ließ sich ja in epischer Breite über einen angeblichen psychischen Defekt aus. Ich habe dafür sehr viel Verständnis; denn er ist unbestreitbar ein Meister in dieser Sache, er hat Erfahrungen auf diesem Felde.
Ich kann auch verstehen, daß Herr Wörner heute so temperamentvoll gesprochen hat; denn in seinen eigenen Reihen ist dies nicht ganz unumstritten. Er braucht sich nur einmal das anzusehen, was die jungen Leute der Sozialausschüsse in der CDU über seine Äußerungen gesagt haben.
Diese Debatte sollte eigentlich am 10. November letzten Jahres geführt werden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bedauert aus zwei Gründen, daß sie an diesem Tag nicht stattfinden konnte: einmal wegen der schweren akuten Erkrankung von Verteidigungsminister Leber. Wir freuen uns, daß Georg Leber diese lebensbedrohende Krankheit so gut überstanden hat. Wir wünschen ihm nicht nur weiterhin Glück und Schaffenskraft für sein verantwortungsvolles Amt,
sondern ich möchte zugleich auch ausdrücklich betonen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion steht geschlossen hinter ihrem Verteidigungsminister!
Sie, Herr Minister, haben unser Vertrauen als untadelige Persönlichkeit und überzeugter Demokrat, und Sie haben unser volles politisches Vertrauen als erfolgreicher Verteidigungsminister, der bei den Soldaten der Bundeswehr, der deutschen Bevölkerung und darüber hinaus im gesamten Ausland sich ein beispielloses Ansehen erworben hat.
Wir bedauern die notwendige Verschiebung auch aus einem anderen Grund. Die Koblenzer „RheinZeitung", die sicherlich nicht verdächtigt werden kann, der SPD nahezustehen, schrieb am 11. November 1976:Die Debatte wegen der beiden Generale hätte am 10. November geführt werden sollen. An diesem Tag wurde 1943 der katholische Priester Johannes Prassek auf Befehl des Volksgerichtshofs gehenkt, weil er in seiner Gemeinde auch jungen Soldaten die Wahrheit über die verbrecherische Politik der Nazis verkündet hatte. Mit Prassek wurden zum Tod verurteilt und später hingerichtet die beiden katholischen Priester Lange und Müller und ihr evangelischer Mitbruder Pfarrer Stellbrink . . .Hier fragt die Koblenzer „Rhein-Zeitung" zu Recht: „Warum ist Prassek vergessen und Rudel aktuell?"
Vor diesem Hintergrund ist das von der Opposition inszenierte Schauspiel geradezu makaber.
Georg Leber hat in seiner gesamten Amtszeit immer rückhaltlos und, wenn es sein mußte, auch rücksichtslos den ihm überantworteten Verfassungsauftrag ausgeführt und Staatspolitik vor Parteipolitik gestellt. Die CDU dagegen hat die staatspolitische Verantwortung rein parteitaktischen Erwägungen geopfert.
Dies ist doch, meine Damen und Herren, die harmloseste Feststellung, die wir Ihnen gegenüber in diesem Zusammenhang treffen können. Oder müssen Sie sich die viel schwerer wiegende Frage stellen lassen: Welches Staatsverständnis und welches Verständnis von der Rolle der Bundeswehr in einer Demokratie haben Sie eigentlich?
Das hohe Ansehen des Sozialdemokraten Georg Leber — und in diesem Zusammenhang sprechen wir heute wegen Ihres Mißbilligungsantrags — und seine Popularität sind den Unionsparteien ein Dorn im Auge.
Deshalb wollen sie diesen bewährten Minister öffentlich heruntersetzen. Weil die Opposition aus parteitaktischen Gründen zu feige ist, sich öffentlich dazu zu bekennen, will sie die Verantwortung für dieses traurige Schauspiel ausgerechnet Lebers Freunden aus seiner eigenen Partei zuschieben.
Mit Zwangskonstruktionen und bestellten Verleumdungsaktionen der Springer-Presse soll der Bevölkerung suggeriert werden, daß der Verteidigungsminister in Teilen seiner Partei mißliebig ist. Weil das Vorgehen gegen den Bundesverteidigungsminister selbst in den Reihen der Union umstritten ist, werden hier Dolchstoßlegenden gezimmert und völlig haltlose Unterstellungen in die Welt gesetzt.Doch diese Dolchstoßlegende wird an ihrer Glaubwürdigkeit scheitern. Ein deutscher Geschichtsphilosoph sagte vor 150 Jahren: Die Geschichte wiederholt sich in vielen Abläufen; das erstemal ereignet sie sich als Tragödie, und beim zweiten Mal entartet sie zur Groteske. — Was die Unionsparteien hier versuchen, ist die Wiederholung der Geschichte mit der Dolchstoßlegende — und was übrigbleibt, ist nur eine Farce.
Übrigens : Die China-Reisenden der Opposition hätten in diesem Zusammenhang ruhig das MaoWort beherzigen sollen: Wer diesen Stein aufhebt, dem wird er auf die Füße fallen.
Wir Sozialdemokraten lassen keinen Keil zwischen Georg Leber und uns treiben. Wir haben in der Vergangenheit seine Politik mitverantwortet und mitge-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 477
Horntragen. Wir werden auch heute bei dieser Abstimmung zu ihm stehen. Und er kann sich auch in Zukunft auf uns verlassen — so wie wir uns auf ihn verlassen können.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird sich mit der gleichen Entschiedenheit auch dagegen verwahren, daß die Auseinandersetzung um die Entlassung der Bundeswehrgenerale Krupinski und Franke zu einer Krise der Bundeswehr hochstilisiert wird. Es handelt sich hier um das Fehlverhalten von zwei Generalen, das zu notwendigen Konsequenzen führt. In einer Demokratie ist das Volk der Souverän. Es kann nicht angehen, daß zwei Generale die Wahlentscheidung der Bürger in einer mißlichen Deutung vorwegnehmen.Die Soldaten aller Teilstreitkräfte erfüllen nicht nur ihre Pflicht, sondern sie haben bei internationalen Tests bewiesen, daß sie jedem Vergleich mit anderen Armeen im Bündnis standhalten. Sie haben damit in vorbildlicher Weise zur Friedenssicherung beigetragen und verdienen daher den vollen Respekt und das Vertrauen unserer Bürger.
Alle demokratischen Parteien haben in den letzten 20 Jahren um die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft gerungen. Wir gehen sicher alle davon aus, daß die Bundeswehr ein Spiegelbild unserer Gesellschaft ist. Diese Feststellung wird übrigens auch durch Meinungsumfragen innerhalb unserer Bevölkerung bestätigt. Es gibt weder ideologische Überhöhung des Soldatentums, noch sind negative Vorurteile verbreitet. Die Rolle des Soldaten in der Gesellschaft ist heute von einer Selbstverständlichkeit gekennzeichnet, wie dies noch nie in der deutschen Geschichte der Fall war.
Gerade weil diese Voraussetzungen zutreffen, kann und wird es einzelnes Fehlverhalten in der Bundeswehr wie in anderen Gesellschaftsbereichen geben. Dies erfordert dann allerdings Konsequenzen, die im Sinne unserer demokratischen Staatsverfassung notwendig sind. Der Inspekteur der Luftwaffe hat im Zusammenhang mit der Beurteilung des Vorgangs eine unmißverständliche Aussage gemacht. Ich zitiere:Der Minister hat daher Konsequenzen ziehen müssen. Er hat eine Entscheidung getroffen, die politisch unvermeidbar war und die ich deshalb respektiere.Zurückweisen muß ich ganz entschieden, daß mit der Entlassung dieser beiden Generale Duckmäusertum gezüchtet werde, wie es Herr Wörner vorhin gesagt hat. Dann würden nämlich alle diejenigen hohen Offiziere und Generale, die diesen Schritt gebilligt haben, hier zu Duckmäusern erklärt, und dies ist eine Sache, die nicht angeht.
Wir stimmen dem zu, was die allermeisten Kommentare der In- und Auslandspresse zu dieser Entscheidung ausführen und was die Koblenzer „RheinZeitung" präzise formulierte:Die Entlassung der Generale war nicht angemessen, sondern notwendig. Wenn Oppositionsführer Kohl meint, es sei mit einem Verweis Lebers an die beiden Offiziere und mit deren Entschuldigung bei Wehner getan, so zeugt das zwar von einer freundlichen Gesinnung; an der politischen Aufgabe, die zu lösen ist, zielt sie vorbei. Es geht um den guten Geist der Bundeswehr.Ich ergänze: es geht um den guten Geist und um den guten Ruf unserer Bundeswehr, der gewahrt werden muß.
Und an anderer Stelle heißt es in der zitierten Zeitung:Statt sich an Lebers richtiger Entscheidung zu reiben, täte Oppositonsführer Kohl gut daran, die Rolle seines vorgeplanten Verteidigungsministers Wörner in dieser Affäre zu prüfen, der doch dazu beigetragen hat, daß Krupinski und Franke sich so sicher fühlen durften.Bezeichnend dafür ist auch die Aussage jenes Herrn Rudel, der erklärte: „Wenn Wörner Verteidigungsminister geworden wäre, dann wären die beiden Generale heute noch in ihrem Amt." In der „Quick" hat Wörner dies auch noch bestätigt.
Diese organisierte Affäre macht zweierlei sichtbar. Ohne die fragwürdigen Initiativen von Herrn Wörner wäre das Treffen mit Rudel nicht zustande gekommen. Oder hat etwa der Kommandeur des Geschwaders Immelmann, Oberst Schade, gelogen, als er in Bremgarten sagte
— nein, ich halte mich genau an die Regeln, dieheute morgen von allen Seiten gesetzt wurden —:
Gerne hätte ich an dieser Stelle den Bundestagsabgeordneten Wörner, dem wir vieles für das Zustandekommen dieses Treffens verdanken, begrüßt.
Welche Rolle spielen Sie denn hier eigentlich, Herr Wörner? Sind Sie der Ankläger, sind Sie der Richter? Sie sind zugleich der eigentliche Täter.
Meine Damen und Herren, Herr Wörner hat sehr bemerkenswerte Talente entfaltet, die ihn zwar befähigen, die Rolle des Dorfrichters Adam aus dem „Zerbrochenen Krug" zu übernehmen; aber für
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478 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Horndas Amt des Verteidigungsministers ist er überfordert.
Dies ist doch nicht das einzige Beispiel. Herr Wörner, was denken Sie sich eigentlich dabei, wenn Sie eine Wehrübung dazu mißbrauchen, um Wahlkampfpolitik zu betreiben? Das stellt doch einen eklatanten Verstoß gegen das Soldatengesetz dar. Auch Bundestagsabgeordnete sind als Wehrübende Soldaten mit allen Rechten und Pflichten. Wie wollten Sie denn im Falle eines Wahlsieges der Unionsparteien von unseren Soldaten Gehorsam verlangen, wenn Sie selbst in so offenkundiger Weise das Soldatengesetz durchbrechen?
In Ihrer Person, Herr Wörner, war ein Mann zum Aspiranten für das Amt des Verteidigungsministers benannt worden, der in dem hinter uns liegenden Wahlkampf die wohl unerträglichste Bürgerkriegsparole in die Welt gesetzt hat: „Nur noch wenige Stunden, dann ist Deutschland frei", heißt die Überschrift eines von Herrn Wörner herausgegebenen Pamphlets,
von dem sich selbst der Parteivorsitzende distanziert hat.
Diese Form der Auseinandersetzung findet ihre Parallele nur noch in totalitären Systemen.
Ja, meine Damen und Herren, da wird nämlich der politische Gegner nicht angegriffen, sondern es werden Feindbilder produziert, und es wird mit dem Stilmittel der Verteufelung gearbeitet.
Wie wollen Sie es eigentlich verantworten, Herr Wörner, daß Sie als Parlamentarier sich an der Spitze der politischen Führung vorbei unmittelbar an den Inspekteur der Luftwaffe wenden und ihn auffordern, ein Geschwadertreffen mit Herrn Rudel in der Bundeswehrkaserne durchzuführen? Warum bringen Sie damit einen Soldaten in einen Konflikt, den Sie redlicherweise auf der parlamentarisch-politischen Ebene austragen müßten? Das ist doch das Entscheidende.
Herr Wörner setzt sich für das Traditionstreffen mit Herrn Rudel in einer Kaserne ein und erklärt in einem Schreiben an den Inspekteur der Luftwaffe: „Ich kenne die politischen Auffassungen von Oberst a. D. Rudel nicht." Wenn das zutrifft, muß man sich doch fragen, welch unbefangene politische Dummheit aus solchen Worten spricht.
Sogar im Freistaat Bayern stehen die Bücher des Herrn Rudel auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften. Außerdem bezeugen Sie Herrn Rudel dann Ihren „hohen Respekt vor der herausragenden Tapferkeit und der vorbildlichen soldatischen Haltung". Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen, daß es im letzten Krieg nicht nur Tapferkeit, sondern auch sehr viel Anstand bei unseren Soldaten gegeben hat. Ich möchte Ihnen ein persönliches Wort sagen. Ich komme aus einer Familie, bei der zeitweilig alle vier Söhne draußen im Krieg waren. Zwei meiner Brüder sind gefallen. Ich würde das Ansehen meiner eigenen Brüder heruntersetzen, wenn ich ihnen nicht Tapferkeit, Anstand und Mut zubilligte. Aber von Ihnen brauchen wir in dieser Hinsicht keine Nachhilfestunden.
Rudel als Vorbild für die Bundeswehr — welch eine Schmähung für tapfere Soldaten, wie Sie sie genannt haben, wie Rommel, Beck und Stauffenberg. Man höre sich ruhig einmal die Äußerungen von Herrn Rudel an, die er gerade über die genannten Soldaten gemacht hat.
Sie beklagen in einem Aufsatz über das sicherheitspolitische Konzept der Union den Wertneutralismus in unserem Erziehungssystem und fordern, wir dürften uns nicht scheuen, Vergleiche zwischen Demokratie und Diktatur zu ziehen, aus Angst, wir könnten den Entspannungsprozeß stören. Selbstverständlich müssen wir uns als Demokraten der ständigen geistig-politischen Auseinandersetzung mit den Diktaturen stellen, aber mit jeder Form der Diktatur. Dann kann man auch nicht unverbesserliche Nationalsozialisten wie Herrn Rudel zu Leitbildern der Bundeswehr stilisieren; dies trifft dann unsere Bundeswehr selbst.
— Was soll denn das andere Wort von der Tapferkeit und der vorbildlichen soldatischen Haltung dieses Mannes, das ausgesprochen worden ist?
— Aber Herr Damm, Sie sollten doch nicht nur ständig mit den Drüsen denken, Sie können auch ruhig einmal den Kopf dazu nehmen.
Tapferkeit muß auch die Ziele mit einbeziehen, für die sie eingesetzt wird, oder sie entartet zur Landsknechtmoral. Ein Landsknecht ist aber das exakte Gegenbild zum Staatsbürger in Uniform. Es verstößt gegen die Grundsätze der Inneren Führung. Dies höhlt die Voraussetzungen aus, unter denen die Soldaten ihre Pflicht erfüllen. Die Wertordnung für die der Soldat gegebenenfalls bereit sein muß, sein Leben einzusetzen, muß von den Bürgern und den Soldaten der Bundeswehr gemeinsam erlebt und getragen werden. Wer dem zuwiderhandelt, der zerstört die Grundlagen, auf denen die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 479
HornBundeswehr aufgebaut wurde. Hier unterscheiden wir uns auch sehr klar von bestimmten Kreisen der CDU und selbstverständlich auch der CSU in der Frage des Geschichtsbewußtseins und Traditionsverständnisses. Zu unserer Geschichte im soldatischen Bereich gehören Gerhard von Scharnhorst und General von der Marwitz, sein damaliger Kontrahent, Ludwig Beck und Ludendorff, Graf Stauffenberg und Rudel. Zu unserer Geschichte gehören sogar Hitler und Himmler. Unsere Geschichte können wir uns nämlich nicht auswählen. Zu ihr müssen wir uns bekennen, meine Damen und Herren.
Aber die Frage nach der Tradition verlangt von uns Entscheidungen hinsichtlich der Leitbilder in Staat und Bundeswehr. Hier werden wir doch von den Bürgern gefragt. Wenn Traditionswerte in die Zukunft reichen sollen, dann werden wir, besonders auch von den jungen Bürgern dieses Staates und auch von unseren europäischen Verbündeten, gefragt. Deshalb gehören zu den Leitbildern der Bundeswehr Scharnhorst, Beck und Stauffenberg, nicht aber Ludendorff und Rudel.
Die Tradition der Bundeswehr darf sich nicht an unfreiheitlichen und damit falschen Leitbildern orientieren. Worin besteht denn die „vorbildliche soldatische Haltung" bei einem Mann wie Rudel, der heute noch Personen und Ideen verherrlicht, die unser Volk und Europa in eine unvergleichliche Katastrophe stürzten, der in niederträchtiger Weise die Widerstandskämpfer gegen Hitler besudelt? Die Demokratie ist die einzige Staatsform, die den politischen Irrtum zubilligt, aber Unverbesserliche wie Herr Rudel haben keinen Platz in der Gemeinschaft der Demokraten. Sie haben auch keinen Platz in unseren Kasernen.
Wir können in unserer Geschichte auf ehrenhafte Vorbilder soldatischer Tradition zurückgreifen. Die Bundeswehr selber besteht ja nun auch schon mehr als 20 Jahre. Sie kann mit mehr Selbstbewußtsein auch auf gute eigene Traditionen zurückgreifen und ist in der Lage, neue und überzeugende Traditionen zu entwickeln und zu gestalten. Bundespräsident Heuss sagte am 12. März 1959 vor Soldaten:Eine Tradition selber zu schaffen, ist viel schwieriger, aber auch großartiger, als sie in den Resten und Formen verjährter Gesinnung zu suchen und zu pflegen.
In dieser Auffassung stimmten bisher alle Parteien des Deutschen Bundestages überein. Dies war für unseren Staat und seine Streitkräfte gut. Mit der Eröffnung einer neuen und gefährlichen Traditionskette wurde dieser Grundkonsens von Ihnen, Herr Wörner, durchbrochen.
Das Verhalten von Herrn Dr. Wörner in der Rudel-Affäre hat übrigens auch noch eine außen-und bündnispolitische Dimension: Norwegen, Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Italien gehören zu den besetzten Ländern des wahnsinnigen Eroberungskrieges Hitlers. Dies sind heute unsere Verbündeten in der Nordatlantischen Allianz. Ihnen gegenüber wie auch den leidgeprüften Völkern Mittel- und Osteuropas gegenüber müssen wir zu unserer Geschichte stehen — nicht in einer Kollektivschuld, sondern in einer Solidarität der Schuld und des guten Willens, um miteinander Belastungen der Vergangenheit abzutragen.
Wer die kritische Reaktion im Ausland, gerade auch bei unseren Bündnispartnern, auf diese Vorgänge verfolgt hat, kann diese Besorgnis nicht einfach beiseite schieben. Wer die politischen Aktivitäten Rudels duldet und unterstützt, wird bei unseren Freunden und Partnern im Ausland unglaubwürdig.
Ich fasse zusammen: Erstens. Das Verhalten des CDU-Abgeordneten Dr. Wörner im Zusammenhang mit der Affäre Rudel, Krupinski, Franke ist skandalös und stellt die bisherige Solidarität der demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag in Frage.
Zweitens. Das Verhalten prominenter Unionspolitiker zeigt Auswirkungen im Ausland, besonders auch bei unseren Bündnispartnern. Die Sozialdemokratische Partei wird im Interesse unseres Staates bestrebt sein, Schaden von unserem Volk abzuwenden.
Drittens. Die SPD-Bundestagsfraktion weiß, daß die Haltung beider Generale nicht typisch ist für das Denken der Bundeswehr.
Viertens. Die SPD erkennt die Leistungen der Bundeswehr zur Sicherung des Friedens und der Freiheit unseres Volkes an. Respekt und Vertrauen sind die überzeugenden Grundlagen unseres Verhältnisses zur Bundeswehr.
Fünftens. Die Integration von Bundeswehr und Gesellschaft ist die Voraussetzung für die Verteidigung unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates.
Sechstens. Bildung und Ausbildung in der Bundeswehr müssen an freiheitlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiert sein. Der Primat der Politik ist unumstößlich.
Siebtens. Verteidigungsminister Georg Leber hat das uneingeschränkte Vertrauen der Sozialdemokratischen Partei und unserer Bundestagsfraktion.
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480 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
HornDas Überzeugen der jungen Bürger von der Notwendigkeit der Landesverteidigung, die Überwindung der Kluft von Arbeiterschaft und Soldaten und das hohe internationale Ansehen von Georg Leber sind die Grundlage unseres Vertrauens für den Verteidigungsminister.
Seine Entscheidung, die Generale Krupinski und Franke in den Ruhestand zu versetzen, war richtig und notwendig. Die SPD-Bundestagsfraktion steht geschlossen hinter Georg Leber und weist den Mißbilligungsantrag der CDU/CSU deshalb entschieden zurück.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Auffassung der Freien Demokratischen Partei zu diesem Problem wurde heute von meinem Kollegen Möllemann in so hervorragender Weise dargelegt — —
— Herr Kollege Wörner, Sie lachen. Ich empfehle Ihnen, morgen das Protokoll nachzulesen, um den Unterschied zwischen der verteidigungspolitischen Substanz der Rede von Herrn Möllemann und des polemischen Blabla, das Sie von sich gegeben haben, zu erkennen;
denn das, was Sie geboten haben, zwingt mich geradezu, einmal auf den parlamentarischen Aspekt hinzuweisen. Das war doch der zweite Aufguß — in etwas umgestellter Form — dessen, was wir schon vor zweieinhalb Monaten von Ihnen in der Presse gelesen haben, als Sie Ihre damals nicht gehaltene Rede veröffentlichten. Ich möchte einmal daran erinnern, daß die Funktion des Parlaments von Ihnen durch diesen außenparlamentarischen Vorgriff auf die damals verschobene Debatte untergraben wurde. Sie und Herr Zimmermann haben dem Ansehen des Parlaments geschadet, und zwar nur aus einer Profilierungssucht heraus, die nicht zu verantworten ist.
— Ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden, sonst würde ich gerne darauf eingehen.
Sie haben das Fatale der ganzen Geschichte anscheinend gar nicht erfaßt.
Ich darf daran erinnern, daß die entscheidendeFrage bereits in der Presse gestellt wurde: Ob esdiesem Parlament gelingt, seine Reputation zu erhalten oder ob es sich — wie es den Anschein hat — den Boden unter den Füßen wegzieht? Das Fatale daran ist, daß Sie, Herr Dr. Wörner, damit auch eine Tendenz stärken, die in der Haltung zumindest eines der beiden entlassenen Generale, nämlich des ehemaligen Generalmajors Franke, so peinlich zum Ausdruck kam. Denn die Nennung des Namens eines Mitglieds dieses Parlaments ist doch, beispielhaft gegeben, eine Mißachtung dieses Parlaments. Darauf kommt es doch an, dieses deutlich zu machen, und das hat auch der Verteidigungsminister als die Grundlage seiner Maßnahme hier dargelegt.
— Natürlich, mehr Demokratie. Ich werde Ihnen auch zeigen, wo im Verhalten von Generalen die Demokratie deutlich wird. Hier kann von Demokratie keine Rede sein, sondern es war eine Instinktlosigkeit, um nicht zu sagen Flegelhaftigkeit, in dieser Weise vor die Öffentlichkeit zu treten.
Das erinnert mich doch fatal an einen Ungeist, der in der Weimarer Zeit das damalige Parlament heruntersetzte. Ich will die Begriffe nicht wiederholen, die in dieser heutigen Haltung zumindest wieder erkennbar werden.Herr Kollege Wörner, Sie haben das anscheinend nicht kapiert. Sie haben auch vorher bei Ihrem Quer-in-die-Bundeswehr-Hineinregieren, wie es der Herr Minister nannte und was hier von einigen Kollegen noch einmal unterstrichen wurde, nicht begriffen, worum es eigentlich geht. Sie haben auch heute versucht, die Äußerungen des Generals umzudeuten.Auch haben Sie in der Darstellung Ihrer Haltung zu Rudel versucht, den Begriff des politischen Irrtums zu interpretieren. Dazu darf ich Ihnen sagen: Zu dem Problem des politischen Irrtums hat die im letzten Krieg aus Vertretern des öffentlichen Lebens in den Vereinigten Staaten gebildete Kommission für Pressefreiheit folgendes ausgeführt: „Die Achtung vor dem politischen Irrtum hat die Unterstellung zur Voraussetzung, daß der Irrende in Wirklichkeit ein Wahrheitsuchender ist." Dies aber, meine Damen und Herren, kann man in diesem Fall wirklich nicht unterstellen. Wenn Sie, Herr Kollege Wörner, von diesem Ansatzpunkt aus argumentiert hätten, dann alle Achtung! Aber was tun Sie denn? Sie tun das Gegenteil. Sie argumentieren mit Unterstellungen. Das ist auch einfacher; man braucht sich nicht an Fakten zu halten.Wenn es Ihnen mit der Sorge um die Bundeswehr wirklich ernst ist, frage ich mich: Wem nützt denn dies alles? Hier muß ich doch feststellen: am allerwenigsten der Bundeswehr, Herr Dr. Wörner! Dies ist zu bedauern. Denn wir erleben hier ein Verwirrspiel, von Ihnen offensichtlich nicht deswegen inszeniert, um einen Schlußstrich unter die leidige Generalsaffäre zu ziehen und sie in Anstand zu
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 481
JungEnde zu debattieren, sondern deshalb, um weiterhin im Trüben fischen zu können, um parteipolitisches Kapital daraus zu schlagen.
Denn Sie haben hier in unverantwortlicher Weise die Institution Bundeswehr in den Strudel der Parteipolitik hineingezogen. Wir, die Freien Demokraten — das erkläre ich hiermit —, werden diesen Weg nicht mitgehen.Wenn Sie, Herr Kollege Wörner, in Ihrem „sehr beachtlichen" Interview in der „Quick" die verteidigungspolitische Präsenz der FDP als nicht existent bezeichnet haben, haben Sie natürlich die parteipolitische Präsenz der FDP in der Bundeswehr gemeint. Letzterem stimmen wir allerdings zu. In der Substanz hat Ihnen heute mein Kollege Möllemann die notwendige verteidigungspolitische Antwort zu diesem Thema gegeben. Ich meine, Sie sollten so anständig sein, nicht um des parteipolitischen Kapitals willen Äpfel und Birnen zu verrechnen, wie Sie das tun, und die Öffentlichkeit weiter zu verunsichern. Sie sollten dieses Problem vielmehr mit Fakten ausräumen.Was ist denn geschehen? Erstens. Eine klare Weisung des Oberbefehlshabers im Frieden wurde von einem General nicht befolgt. Dies ist militärischer Ungehorsam. Dieser muß bestraft werden, auch wenn dieses Faktum erst später bekannt wurde. Hier, so meine ich, müßten wir in Übereinstimmung auch mit der Opposition feststellen: Dies muß geschehen, gleichgültig, ob es sich um einen Gefreiten, einen Feldwebel, einen Oberleutnant oder einen General handelt.Zweitens. Zwei Generale haben sich später dann in der Öffentlichkeit dem ganzen Parlament gegenüber — das war politisch instinktlos — ungebührlich verhalten. Der ehemalige General Krupinski hat nicht nur den eben erwähnten Ungehorsam begangen, sondern er hat auch insofern falsch gehandelt, als er als aktiver General auch und vor allem wegen des Ansehens der Bundeswehr dafür sorgen mußte, daß auf seine Loyalität zur Demokratie kein Schatten fällt. Es geht hier also nicht daraum, zwei Generalen den Mund zu verbieten. Es geht darum, ihr Loyalitätsverständnis zu erforschen. Als Bürger können die Herren Franke und Krupinski Meinungen äußern und Urteile abgeben, wie und wann immer sie wollen. Als Generale der Bundeswehr in zentralen Positionen handeln sie unentschuldbar, wenn sie in Uniform vor Journalisten treten und derartige Vergleiche und Beurteilungen vortragen. Schon vom Soldatengesetz her wird ihre politische Aktivität eingeschränkt. Generalssterne fordern das Einhalten eines gewissen Rahmens erst recht! Wer sich dem nicht unterwerfen will, hat die Konsequenz zu tragen.Hinzu kommt, daß es in diesem Fall nicht bei Worten blieb, sondern offensichtlich Handlungen vorliegen, die als Täuschung, mit Sicherheit aber als grobe Illoyalität gegenüber der politischen Führung anzusehen sind. Diese Situation ist aber nicht von ungefähr entstanden. Die Beteiligung des in Militärangelegenheiten exponierten Oppositionsvertreters Herrn Wörner ist e i n Kennzeichen dafür, das der Affäre folgende Hin und Her zwischen Krupinski und Limberg ein anderes. Ich will das nicht vertiefen.Wegen der angeblichen Führungsqualität der beiden Generale wollte Herr Wörner die Angelegenheit dann „unter vier Augen" geregelt haben, eine Angelegenheit, die durch eigenes unverantwortliches, um nicht zu sagen, dummes Verhalten der beiden Betroffenen eine so weite und breite Publikation erfahren hat.Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich empfehle Ihnen, hier einmal bei einem Ihrer Parteifreunde nachzulesen, der das verteidigungspolitische Geschäft von der Pike auf gelernt hat. Es ist Herr Rommerskirchen, der nicht mehr hier unter uns weilt. Er stellte fest, daß militärische Führungsqualität nicht allein durch Sachqualifizierung ausgewiesen ist. Er legt dar, daß soldatische Berufserfüllung mehr als sogenanntes modernes Management ist. Er stellt fest, daß nur derjenige Gehorsam fordern sollte, der selbst bereit ist, seine Pflicht gewissenhaft zu erfüllen. Hier wird der Zusammenhang mit dem Begriff „Charakter" im Sinne Kant-scher Wertung deutlich. Der bekannte Slogan „Es geht nicht um Charakter, sondern um den Abschrekkungseffekt", den man aus den Ausführungen des Herrn Zimmermann heute früh wieder so deutlich heraushören konnte, ist nach Rommerskirchens und auch nach meiner Auffassung — ich schließe mich ihm hier an — keine diskutable Alternative. Die besondere Integrationspflicht gegenüber der politischen Ordnung, die es bei einem Zerstörungs- oder Ablösungsversuch von außen sogar unmittelbar zu verteidigen gilt, duldet in geistig-politischer Hinsicht kein schizophrenes Verhalten. Diesen Erkenntnissen Ihres Parteifreundes sollten, ja, müßten Sie sich verpflichten, und diese Prinzipien dürfen nicht billiger parteipolitischer Gründe wegen aufgegeben werden. Derartige parteipolitische Gründe, Herr Kollege Wörner, dürfen auch nicht herhalten, um Unruhe und Verunsicherung in die Bundeswehr hineinzutragen, wie Sie es leider getan haben. Etwa der Versuch von vorhin, die Routineverabschiedung des Generals Wagemann zu einer Personalisierung der Wehrpolitik zu nutzen, führt auf einen gefährlichen Holzweg. Das sage ich Ihnen. Die Pensionierung des Kommandeurs der Führungsakademie zum 1. Oktober trifft ihn nicht mehr und nicht weniger wie andere Generale seines Jahrgangs.Der Versuch, der in den letzten Tagen auch in der Öffentlichkeit unternommen wurde, über MAD- Spekulationen parteipolitische Pluspunkte zu sammeln, ist bösartiger, weil hier nicht nur ein gut arbeitender Abwehrdienst ins Gerede gebracht wird, sondern weil hier Angehörige der Bundeswehr gegeneinander ausgespielt werden. Das Verhalten der Opposition, den Abwehrdienst, der von Sachkennern als der effektivste der drei Dienste bezeichnet wird, in die parteipolitische Auseinandersetzung zu zerren, ist besonders verwerflich.
Nun hat aber diese Angelegenheit eine Wendungerfahren, die man mehr als Eigentor der CDU/CSUbezeichnen kann. Ich will das hier nicht weiter aus-
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Jungbreiten, sondern die ganze Aufklärung den politischen Gremien überlassen, die dazu berufen sind. Ich muß hier einmal in aller Schärfe fragen: Meine Damen und Herren von der Opposition, warum haben Sie sich mit diesen Vorwürfen gegen den MAD nicht an das Vertrauensmännergremium des Deutschen Bundestages gewandt?Verteidigungsminister Leber hat — das möchte ich hier noch einmal unterstreichen — richtig gehandelt, Verteidigungsminister Leber hat auch im Interesse dieser unserer Bundeswehr völlig richtig gehandelt. Herr Kollege Wörner, Sie brauchen uns hier über Tradition und über Achtung vor denen, die im Krieg ihre Pflicht erfüllt haben, nichts zu sagen. Hierzu teile ich die Meinung von Herrn Kollegen Horn: Wir können uns hier nicht selbst ständig auf die Schultern klopfen. Herr Minister Leber hat also völlig richtig gehandelt, und ich appelliere hiermit an alle in diesem Haus, im Interesse der Selbstachtung und des Ansehens dieses Parlaments diese Haltung des Ministers Leber zu unterstützen und den Antrag auf Drucksache 8/2 der Opposition abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Debatte von Anfang an bis an diesen Punkt mit Aufmerksamkeit verfolgt. Ich weiß, daß es hohe Tage in der parlamentarischen Demokratie sind, wenn das Parlament Anlaß nimmt, sich so, wie es hier mit einem Antrag geschieht, mit der Exekutive auseinanderzusetzen. Erlauben Sie mir, daß ich zunächst etwas wiedergebe, was ich wahrgenommen habe. Ich habe nirgendwo herausgehört, daß der Antrag oder ein Redner sich gegen die Verteidigungspolitik gewandt haben, für die ich seit viereinhalb Jahren als Person mit Verantwortung trage.
Es ist mir bis jetzt auch von keiner Seite eröffnet worden, daß das Anlaß zu Mißtrauen kein könnte. Unsere Bundeswehr ist heute größer, als sie vor viereinhalb Jahren war, unsere Bundeswehr ist heute stärker, als sie vor viereinhalb Jahren war, unsere Bundeswehr genießt im Lande und in der Welt heute mehr Achtung, als sie vor viereinhalb Jahren genoß.
Unsere Soldaten gehen seit einigen Jahren natürlich, mit erhobenem Haupte wie andere Bürger durch das Land und sind nicht nur hier, sondern auch an internationalen Tischen geachtete Soldaten.
— Ich habe Ihnen zugehört, verehrter Herr Kollege. Sie sollten sich dazu bequemen können, mich auch anzuhören!
Die Rolle, die die Bundesrepublik Deutschland im Bündnis spielt, ist durch hohes Vertrauen und durch intime Zusammenarbeit mit unseren Bündnispartnern gekennzeichnet, vor allen Dingen mit dem wichtigsten Bündnispartner, nämlich den Vereinigten Staaten von Amerika. Dies hat hier auch niemand in Frage gestellt.Ich will das in einem Satz zusammenfassen: wo es notwendig ist, daß wir versuchen, optimale Leistungen zu erbringen, können wir vorzeigen, was wir tun.
Der Antrag wendet sich gegen eine Entscheidung, die ich getroffen habe, nämlich gegen meinen Vorschlag, zwei Generale in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen und ihnen die Ausübung des Dienstes zu untersagen. Die Gründe, die ich dazu habe, habe ich am 19. Januar dem Deutschen Bundestag mitgeteilt. Ich kann sie hier nicht noch einmal vortragen, und ich habe keine anderen vorzutragen als die, die ich hier mitgeteilt habe. Deshalb kann ich darauf verzichten, sie jetzt zu wiederholen.
Ich habe die letzten drei Monate miterlebt. Es ist übrigens nicht uninteressant: in den letzten drei Wochen ist das die dritte Debatte, in der einem europäischen Verteidigungsminister das Mißtrauen ausgesprochen werden soll; das ist also anscheinend eine Serie.
Ich habe in den letzten drei Monaten vernommen, welch riesige Wellen die Entlassung von zwei Generalen ausgelöst hat.
— Ja, das zeichnet die Bundesrepublik sicher aus.Erlauben Sie mir, daß ich zunächst mit etwas beginne, was hier auch nicht in Streit gezogen worden ist: es hat niemand die Legalität meiner Handlung in Streit gezogen. Der Verteidigungsminister muß sich an das Gesetz halten. Nach dem hier beschlossenen Gesetz habe ich das Recht, einen General jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Dies ist nicht einmal eine diskriminierende Maßnahme, sondern ist ein Führungsinstrument des Verteidigungsministers, hier und in der ganzen Welt. Ohne dieses Führungsinstrument kann man nicht gute Armeen leiten.
Lassen Sie mich nun einmal darstellen, was sich wie ereignet hat. Es ist nicht uninteressant.Ich war am 23. Oktober auf Einladung meines französischen Kollegen bei ihm in Dinard. Wir waren an der atlantischen Küste und hatten dort Ge-
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Bundesminister Leberspräche zu führen. Während ich mit ihm am Tische saß, kam die Meldung: In Bremgarten findet ein Traditionstreffen statt, an dem auch Herr Rudel teilnimmt. Ich habe meinem Adjutanten, der mir das mitteilte gesagt: Ich kann mir keine Vorstellung machen von dem, was da vor sich geht; sagen Sie den Herren bitte, daß ich verlange, daß dort keine Dummheiten gemacht werden.
— Hören Sie nur gut zu!
Ich habe am 26. Oktober in einer Abteilungsleiterkonferenz einen genauen Bericht über das bekommen, was dort vor sich gegangen war. Nachdem ich diesen Bericht gehört hatte und mir klar darüber war, daß hier einige Dinge geschehen waren, die sehr wohl danach drängten, daß man Schlußfolgerungen daraus zog — in dem Sinne: es muß darauf geachtet werden, daß sich das nicht wieder ereignet —, habe ich in dieser Abteilungsleiterkonferenz in Anwesenheit aller Inspekteure der Bundeswehr eine Entscheidung getroffen, die lautet: Ich wünsche, daß dieses Kapitel abgeschlossen ist, der Aktendekkel wird zugemacht; es kommt überhaupt nichts dabei heraus, wenn wir weiter darin bohren. Dies war am 26. Oktober etwa um 11 Uhr.Der Stellvertretende Inspekteur der Luftwaffe hat diese meine Weisung „Der Aktendeckel ist zu schließen" — und damit hatte ich mich vor alles gestellt, was dort geschehen war — telefonisch dem Kommandierenden General der Flotte in Köln mitgeteilt.Ich konnte nicht wissen, daß der eine Viertelstunde später vor einem Kreis von Journalisten, die er selbst ausgewählt und selbst eingeladen hatte, der Tragödie zweiten Teil eröffnete, nämlich das, was ich vor einer halben Stunde abgeschlossen hatte, erneut zum Gegenstand von Erörterungen mit Journalisten machte und damit die eigentliche Problematik schuf.
Wenn er sich daran gehalten hätte, dann hätte es das Ganze nicht gegeben.Ich habe von diesem Hintergrundgespräch, welches am 26. Oktober stattfand, zum ersten Mal bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung in Bonn am27. Oktober abends erfahren. Ich habe dann am28. — das war ein Donnerstag — eine breite Pressewelle zur Kenntnis genommen, die sich mit diesem Gegenstand befaßte. Am Donnerstag und Freitag wurden in der Presse Vorwürfe erhoben wie „Der Zauderer auf der Hardthöhe", „Der Verteidigungsminister hat immer noch keine Entscheidung getroffen", „Die Generale müssen raus" und wer weiß was alles.Ich habe mich von nichts treiben lassen, von überhaupt nichts, auch nicht von Telegrammen, ob sie aus München kamen oder aus Bonn; und von München kamen mehr als von Bonn. Ich habe das getan, was in einer solchen Situation nötig ist: Ich habe den Disziplinarvorgesetzten der beiden Generale, nämlich den Inspekteur der Luftwaffe, und den Abteilungsleiter, der die Personalabteilung leitet und zur Ausübung des Richteramtes die Voraussetzungen hat, beauftragt, eine ordentliche Anhörung vorzunehmen.Nachdem das geschehen war, habe ich am Tag danach zusammen mit dem jetzigen Generalinspekteur der Bundeswehr, dem Inspekteur der Luftwaffe und dem Leiter der Personalabteilung noch einmal alle Beteiligten angehört, soweit ich die Journalisten, die daran beteiligt waren, zum Gespräch in Bonn einladen konnte; bis auf einen sind sie auch alle dagewesen.Am Freitag abend hatte ich einen Eindruck von dem, was geschehen war, durch die Aussagen und das, was mir mitgeteilt worden war. Ich habe dann am Freitag abend ein Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler geführt.
— Dies gehört sich in einer geordneten Regierung, meine Damen und Herren. Da müssen Sie nicht „aha" sagen.
Ich habe nach dem Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler, nachdem ich mir klar war, was hier vor sich gegangen war,
nicht entschieden, sondern den Samstag und den Sonntag benutzt, um das alles noch einmal zu überdenken. Ich habe nicht nervös entschieden, wie das so schön in den Zeitungen geschrieben wurde, sondern ich habe am Samstag und Sonntag das Ganze in Ruhe bedacht. Dann habe ich die Entscheidung getroffen — es war alles zwischen uns besprochen —:
Die Herren müssen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Die Versetzung wird bei dem Herrn Bundespräsidenten beantragt, weil ihr Verbleiben im Dienst nicht mehr möglich ist.
Diese Entscheidung war zulässig, sie liegt in meinem Ermessen. Ich habe im Rahmen der Legalität gehandelt.
— Ich gebe zu, dies ist eine Ermessensentscheidung. Dazu möchte ich Ihnen gerade etwas sagen.Lassen Sie mich folgendes sagen, Herr Kollege Wörner, nicht polemisch, sondern nur, weil das
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Bundesminister Lebernicht stehen bleiben darf. Ich habe Ihnen aufmerksam zugehört. Sie haben gesagt, ich hätte eine parteipolitische Entscheidung getroffen.
Ich muß Ihnen sagen: bis zu der Zeitungsmeldung im Januar, daß Herr Krupinski in die CDU eingetreten ist,
habe ich mich nie mit dessen parteipolitischer Auffassung überhaupt vertraut gemacht. Das habe ich damals erst gelesen.
Sie dürfen mir hier nicht parteipolitische Handlungen unterstellen.
Ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Wenn das mit den Entlassungsgründen so gewesen ist, wie Sie es hier dargestellt haben, dann möchte ich gern wissen: Wieso waren denn die deutschen Zeitungen alle so empört, die sich doch auf das gründeten, was Ihnen ihre am Gespräch beteiligten Kollegen mitgeteilt hatten?
Warum sind denn die beiden Generale nicht zu mir gekommen und haben gesagt: „Herr Minister, in der Presse werden ungeheuerliche Behauptungen aufgestellt. Das können wir nicht auf uns und der Bundeswehr sitzen lassen. Wir bitten Sie um Rechtsschutz" ? — Wenn sie gekommen wären, hätte ich nichts lieber getan, als sie gegen ungerechtfertigte Angriffe zu verteidigen. Sie hätten jeden Rechtsschutz bekommen.
Aber die Herren kamen nicht. Die Herren kamen nicht!
Im Gegenteil, meine Damen und Herren, nach den Aussageprotokollen — und ich erlaube mir hier keinen Vertrauensbruch — und nach dem, was alle an den Anhörungen Beteiligten wissen, haben beide Generale gesagt: Der Minister kann uns nicht halten. Das war ihr eigener Eindruck.
Meine Damen und Herren, ich muß ein zweites zurechtrücken. Herr Wörner hat vorhin unter viel Beifall in dramatischer Art geschildert, wie die beiden in einer sehr unfairen Weise das Haus hätten verlassen müssen. Ich habe nachfragen lassen; ich mache das ja nicht selbst, wenn Generale aus der Tür hinausgehen.
Ich habe eben vom Inspekteur der Luftwaffe dienstlich gemeldet bekommen: Es hat niemand eine Weisung gegeben oder bekommen über das, was die Herren zu tun hatten und wie das vonstatten ging. Lediglich der General Franke hat darum gebeten, daß er von einem Offizier begleitet wird.
Und nun lesen Sie einmal, was Sie daraus gemacht haben! — Dies ist mir vor einer halben Stunde vom Inspekteur der Luftwaffe gemeldet worden, der ja mitgehört hat, was Sie hier gesagt haben.
Lassen Sie mich jetzt bitte noch auf drei Dinge hinweisen, die für mich, ohne daß sie zentral Gegenstand meiner Entscheidung gewesen wären, im Hintergrund von hohem Rang gewesen sind; das Parlament muß das wissen.Erstens. Ich hatte am 26. Oktober den Aktendeckel dieses Kapitels zugeschlagen. Dies wußten die beteiligten Herren. Sie haben ihn wieder aufgeschlagen, indem sie das Hintergrundgespräch führten. Meine Damen und Herren, ich habe zu vertraulichen Hintergrundgesprächen meine eigene, sehr persönliche Auffassung, und deshalb bin ich sehr sparsam damit. Meine Sache ist es nicht, mich mit dem Ehrenkodex von Journalisten auseinanderzusetzen; das ist deren Sache. Als Verteidigungsminister, der auch die Dienstaufsicht über Generale hat, sage ich Ihnen hier allerdings: Ich erwarte, daß auch ein General in einem Hintergrundgespräch nichts sagt, was er notfalls nicht im Vordergrund, unter den Scheinwerfern der Öffentlichkeit durchstehen kann!
Ein General hat eine so hohe Stelle und in Zweifelsfällen eine so ungeheuer hohe Verantwortung, daß man bei ihm so viel Klugheit voraussetzen muß, daß er auch weiß, was er in Hintergrundgesprächen sagen darf und was er nicht sagen darf.
Aber dies ist kein Entlassungsgrund; es kennzeichnet nur den General.Lassen Sie mich ein zweites sagen, was für mich sehr wichtig gewesen ist. Es ist gesagt worden: Der Leber hat unter Druck gestanden. Meine Damen und Herren, von dieser Seite des Hauses und von dieser Seite des Hauses überhaupt nicht! Überhaupt nicht!
Ich will Ihnen aber sagen, unter welchem Druck ich gestanden habe.
— Wenn es einen Druck gegeben hat, dann durch das permanente Emporkonjugieren dieses Vorfalls zu einer Affäre in bestimmten Teilen der deutschen Presse, die hier nicht nur interpretiert und berichtet,
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Bundesminister Lebersondern in einer Weise, wie ich es selten erlebt habe, agiert hat, meine Damen und Herren.
Ferner möchte ich Ihnen gern einen Punkt nennen, der auf mich persönlich sehr gewirkt hat. Im Juni des vergangenen Jahres hatte sich etwas ereignet, was mich sehr betroffen hat. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Armin Zimmermann, wurde plötzlich in schlimmer Weise krank. Er mußte sich ins Krankenhaus begeben und sich einer lebensgefährlichen Operation am Kopf unterziehen. Wir, die wir das wußten — das waren nicht viele —, haben das sorgsam gehütet, weil wir in den Sommermonaten kein öffentliches Gerede haben wollten. Wir haben mit ihm gehofft und gebangt und wußten, daß es nicht gut stünde; ich auch. Ich habe dann im Juli und August — lassen Sie sich das einmal zeigen — bitterste Vorwürfe in angesehensten Zeitungen gelesen, sogar in teueren, hochrenommierten: Handlungsunfähiger Verteidigungsminister! Unter wessen Druck steht der Mensch eigentlich? Der ist sogar nicht mehr fähig, Personalentscheidungen zu treffen!Wissen Sie, was war? Ich wußte, wie es um den Mann bestellt war, und ich wollte zeigen, daß jemand, der Soldat ist und seine Pflicht tut, nicht weggetan wird und ausgewechselt wird, wenn er mal krank geworden ist.
Ich wollte, meine Damen und Herren, daß die Bundeswehr im Umgang mit ihrem höchsten Soldaten, der krank geworden war, zeigt, daß sie fähig ist, eine Lücke auszufüllen, ohne jemand gleich zu ersetzen, wenn ihm etwas Menschliches geschieht. Ich wollte zeigen, daß man in dieser Armee auch einmal in Ruhe krank sein kann, notfalls in Ruhe sterben kann und nicht ausgewechselt wird!
Nun sage ich Ihnen, warum ich Ihnen das hier mitgeteilt habe, Ich war tief betroffen, meine Damen und Herren, als ich Nachrichten darüber erhielt, daß General Krupinski in demselben Hintergrundgespräch, in dem er an die Adresse eines Mitglieds des Deutschen Bundestags diese verletzende Bemerkung machte, sich in verletzender, abwertender und erniedrigender Weise über den todkrank darniederliegenden Generalinspekteur Armin Zimmermann ausgelassen und sich mit Journalisten, ohne daß das seines Amtes war, über dessen Nachfolger unterhalten hat. Das ging ihn überhaupt nichts an!
— Nein, das ist keine neue Version. Ich sage Ihnenja nur, was ich von dem Mann halte, vor den Siesich hier stellen, und woher ich meine Kenntnisse über ihn nehme.
Meine Damen und Herren, wer so wenig Takt hat, wie dieser Mann bei dem Hintergrundgespräch mit Journalisten bewiesen hat, den hätte ich, wenn es keine anderen Gründe gäbe, schon wegen mangelnden Anstands aus der Bundeswehr hinausgeschmissen!
— Herr Wörner, bei mir zu Hause gibt es ein altes Sprichwort. Es heißt: Sage mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.
Ich möchte Ihnen gern einen dritten Punkt sagen, der für mich bei meiner Meinungsbildung nicht im Vordergrund stand, aber doch entscheidend war; Sie sollten das wissen.
— Ich habe ihn zum Flottenchef gemacht. Das ist doch ein Beweis dafür, daß ich gegen den Mann nichts hatte — bis zu dem Augenblick, da er sich danebenbenommen hat, meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich Ihnen hier bitte einen dritten Punkt sagen, der heute morgen bei fast allen Rednern Gegenstand von Erklärungen und Bemerkungen gewesen ist. Mein Bezug in allen wesentlichen Dingen, seit ich mich um Politik mitbemühe, ist in wichtigen Entscheidungen der Staat gewesen. Ich habe in vielen ernsten Fällen da Maß genommen und mich dort orientiert. Sie können meinen Weg über drei Jahrzehnte zurückverfolgen; dann werden Sie viele Maßstäbe finden.
Dies meine Damen und Herren, mag sehr persönlich sein, was ich jetzt hinzusage. Aber hier hängt der Mann fest, der gegenwärtig Bundesverteidigungsminister ist.Ich will Ihnen das erklären. Ich komme aus der Gewerkschaftsbewegung.
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Bundesminister LeberIch habe mich, als ich jünger war, mit anderen viel damit befaßt, woran denn wohl die erste deutsche Demokratie von Weimar untergegangen ist.
*)
Das Ergebnis lautet: — —
— Der Zwischenrufer hat gesagt, an Herrn Wehner sei die Weimarer Demokratie kaputtgegangen.
Meine
Damen und Herren, der Zwischenruf und der Rufer waren hier nicht festzustellen. Ich werde feststellen, wer einen Zwischenruf gemacht hat.
— Herr Abgeordneter Sauer, ich rüge Ihren Zwischenruf.
— Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Meine Damen und Herren, Sie haben mich ja heute morgen nicht mit Seidenhandschuhen angefaßt. Ich denke, es gehört doch wohl zum parlamentarischen Spiel, daß Sie, ohne aufgeregt zu werden, mir einräumen, daß ich meine Meinung sage.
Ich war dabei, zu erklären, welcher wichtige Punkt, den ich zum Maßstab nehme, für mich noch eine Rolle gespielt hat. Ich bin der Überzeugung, daß die erste deutsche Demokratie vor allem deswegen eingerissen werden konnte, weil in diesem Staat das Verhältnis zwischen der Arbeiterschaft, vor allen Dingen der organisierten Arbeiterschaft, und der bewaffneten Macht nicht in Ordnung war und von da negative Einflüsse auf die Stabilität des Staates ausgingen.
Daran habe ich nun seit zweieinhalb Jahrzehnten gearbeitet. Das ist keine Erfindung für heute. Die einen hatten den alten, gar nicht mehr aktuellen Leitsatz „Diesem Staat keinen Mann und keine Patrone" noch nicht ganz überwunden — das ist alles nicht leicht zu hören —, und die anderen hatten keinen Bezug dazu. Wissen Sie, es gab da in der Armee einen Kasino-Witz, der heute noch nicht vergessen ist. Er lautete: „In Berlin jewesen, Reichstag jesehen, herzlich jelacht, Herr Kamerad!" Das*) Laut Mitteilung des Abg. Sauer (CDU/CSU) lautete der Zwischenruf: „Auch Herr Wehner!"war das Verhältnis der Armee zum Parlament. Das konnte nicht gutgehen. Deshalb war der Staat schwach; deshalb konnte er eingerissen werden.Hier liegt mein Ansatz. Ich habe auf vielen Gebieten versucht, Gräben zuzumachen, wo Gräben in unserem Volk sind, weil es genügt, daß von Nord nach Süd Gräben durch unser Volk gezogen sind.
Ich habe deshalb auch eine lange Strecke und wertvolle Teile meines Lebens — einiges davon ist hier im Bundestag aktenkundig, wie wir um diese Dinge gerungen haben, einschließlich der Notstandsgesetze, für die ich Speerspitze gewesen bin — für die Lösung mancher Probleme eingesetzt, und dies nicht nur aus spielerischen Gründen, sondern weil ich weiß, daß die Stabilität dieses Staates in hohem Maß davon abhängt, ob es gelingt, einen Konsens zwischen der großen Mehrheit der Bevölkerung, ihren arbeitenden Teilen, und der Armee zustande zu bringen.
Was wir hier erreicht haben, meine Damen und Herren, ist uns in unserer Gegenwart in einem so hohen Maß gelungen, daß aus fast allen Ländern der westlichen Welt mit Staunen hierher geguckt wird.
Dies ist das, was unserer Bundeswehr ihren Status in diesem Land verschafft hat. Dies ist das, was unseren Staat von der Weimarer Demokratie u. a. auch unterscheidet.
Ich will Ihnen zum Beweis für das, was ich hier meine, keine langen Geschichten erzählen, sondern ein Erlebnis schildern. Ich habe in den letzten viereinhalb Jahren regelmäßig auch hohe Gewerkschaftsführer bei mir auf der Hardthöhe zu Besuch, und wir haben offen über alles gesprochen. Bei einer solchen Gelegenheit, bei der wir über die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sehr intim miteinander gesprochen haben, tauchte nicht die Frage auf, die von dort erwartet wird: Ist es nicht möglich, das Ganze vielleicht 5 Milliarden DM billiger zu machen?, sondern die Frage von Gewerkschaftsführern an die Adresse der Soldaten lautete: Reicht das auch aus, was wir tun, um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland so zu gewährleisten, daß wir ruhig schlafen können?Meine Damen und Herren, wenn das früher einmal möglich gewesen wäre, wäre das nicht passiert, was dann kam.Nach einem solchen Gespräch standen wir zusammen. Der Vorsitzende einer der größten Gewerkschaften sagte zu mir: Ich mußte vorhin daran denken, daß wir 1949 bei der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München waren und Hans Böckler damals sagte: „Wenn dieser Staat jemals wieder in Gefahr kommt, werden wir für ihn auf die Barrikaden gehen." — Als er das sagte, bemerkte der Generalinspekteur der Bundeswehr, der dabeistand: „Herr Loderer" — jetzt wissen Sie
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Bundesminister Leberauch, wer das war —, „wenn Sie jemals auf Barrikaden gehen müßten, weil dieser Staat in Gefahr wäre, dann, sage ich Ihnen, würden Sie dort nicht allein stehen, sondern ich, Armin Zimmermann, würde neben Ihnen stehen." — Ich habe daraufhin gesagt: Wenn das so ist, wenn das so geklärt ist, dann, sage ich Ihnen, braucht in diesem Staat in der Zukunft niemals wieder jemand daran zu denken, daß er auf Barrikaden gehen muß, wenn nämlich der Konsens zwischen Arbeiterschaft und Armee da ist. Meine Damen und Herren, diesen haben wir geschaffen.
Ich weiß, daß es auch in der Opposition viele Frauen und Männer gibt — hier sitzen nicht nur Gegner von mir, sondern auch Freunde —, die wissen, daß es so ist, wie ich es hier sage, und die wissen, daß das eine Sache ist, auf die der Staat wohlgegründet ist. Dies ist ein hohes Gut, um dessen Bewahrung wir uns alle miteinander mühen sollten. Es muß — jetzt kommt der Punkt — verhindert werden, daß das, was gerade erst zustande gekommen ist, durch neues Mißtrauen, das gesät wird, wieder in Frage gestellt werden kann.
Deshalb geht es hier nur im Vordergrund um Herrn Krupinski und um Herrn Franke. Dahinter steht viel mehr, nämlich ob es zwischen Teilen dieses Volkes und Teilen dieses Parlaments oder diesem Parlament und der Macht, die Waffen trägt, wieder neues Mißtrauen geben kann.
Davor muß sich jeder hüten, auch in Äußerungen, die er tut.
Dieser Staat, für den auch ich mich geradezustehen bemühe, ist der Staat, so wie er verfaßt ist! Das ist der Staat eines freien und fleißigen, arbeitsamen Volkes. Es ist der Staat eines Volkes, das eine Armee braucht, die seinen Frieden schützt, damit es sich in Freiheit entfalten kann. Das ist nicht der Staat von Herren, die eine Gesinnung zum Ausdruck bringen, wie ich sie Ihnen jetzt verlesen werde. Es ist die Abschrift einer Rede, die der Herr, den Herr Zimmermann vorhin noch in Schutz genommen hat, am 24. Mai bei einem Treffen auf der Staufenburg gehalten hat. Er sagte:Man sagt heute so viel, wohl ein pensionierter General der NATO,— damit ist General Steinhoff gemeint, ein hochverdienter, tapferer Soldat, der General der Bundeswehr war —er sprach vom Widerstand der Luftwaffe. Wer Frontsoldat wie ich war, der weiß genau, daß es keinen Widerstand gegeben hat. Das ist also Unsinn. Wenn er allerdings die Leute meinte, die schon müde geworden sind, dann kann ich ihm nur recht geben. Im übrigen ist der Mann— gemeint ist General Steinhoff —nur der beste Beweis, daß wir nicht in der Lage waren, die Welt anzuführen, sondern das den Russen und den Amerikanern überlassen mußten.
Meine Damen und Herren, nun sage ich Ihnen dazu: solange ich mit dem Eid, den ich hier vor dem Bundestag geleistet habe, Verantwortung für die Bundeswehr trage, kommt dieser Kerl nicht in deutsche Kasernen hinein, jedenfalls nicht mit meiner Zustimmung.
Und nun sage ich Ihnen etwas zur Tradition: Dieser Herr Rudel kann so viele Panzer abgeschossen haben, wie er will; als Demokraten ist er für uns ein untaugliches Lehrstück.
Ich werde mich auch in Zukunft bemühen, meine Pflicht zu tun, auch wenn sie unbequem ist. Die Bundesrepublik Deutschland darf sich nicht wünschen, einen bequemen Verteidigungsminister zu haben. Ich werde mich auch in Zukunft bemühen, meine Pflicht zu tun. Ich werde mich bemühen, daß das, was gerade gewonnen worden ist, nicht durch falsche Stichworte wieder in Gefahr gebracht wird. Darauf habe ich geachtet. Dafür stehe ich ein. Das werde ich auch in Zukunft so halten. Ich bitte um das Vertrauen des Deutschen Bundestages.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine
Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kohl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute in jeder Minute dieser Debatte ruhig und aufmerksam zugehört. Ich hätte mir gewünscht, daß die Kollegen aus der SPD, die jetzt zum Schluß Herrn Kollegen Leber diese Ovation bereitet haben, ihm in seiner Amtszeit während der letzten drei Jahre solche Ovationen bereitet hätten.
Herr Kollege Leber, ich verstehe wohl — lassen Sie mich das ganz direkt und persönlich in aller Ruhe sagen —, wie es in Ihnen aussehen mag, wenn Sie jetzt auf Ihren Platz gehen, und auf dieser Seite des Hauses stehen Kollegen auf und applaudieren Ihnen, die Ihnen doch in den letzten zwei, drei Jahren mehr als andere in diesem Lande das Leben sauer gemacht haben.
Herr Bundesverteidigungsminister, daß Sie heute hier so standen und so redeten, ist doch nicht das
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Dr. KohlErgebnis einer Feindschaft oder einer unangemessenen Opposition von CDU und CSU. Das ist das Ergebnis jenes Jagens auf Georg Leber, das die Linken der deutschen Sozialdemokratie seit Jahr und Tag betreiben.
Daß Sie einen entscheidenden Teil Ihrer Glaubwürdigkeit verloren haben, ist in dieser Debatte deutlich geworden. Das verdanken Sie doch jenen Kräften, die immer danach trachteten, daß Sie Ihr Amt verlieren. Jenen Kräften ist es auch zu verdanken, daß die Vorstellung von Politik, die Sie einstmals vertreten haben und die auch unsere Billigung fand, inzwischen von Ihnen gestrichen werden mußte.
Nun zur Sache selbst. Ich habe im letzten Bundestag nicht die Ehre gehabt, die ersten Versionen Ihrer Politik kennenzulernen.
Nur, Herr Kollege Leber: Sie werden mir angesichts dessen, was Sie hier heute gesagt haben, doch zubilligen, daß ich Ihren Satz, den Sie hier gerade selbst gesprochen haben, richtig interpretiere. Sie sagten — ich sage es mit meinen Worten —, Sie hätten anläßlich einer Besprechung in Frankreich von diesem Vorgang zum ersten Mal gehört. Ihre Reaktion sei gewesen — das haben Sie in der schönen Sprache unserer weiteren gemeinsamen Heimat gesagt —: Sagen Sie den Herren, daß dort keine Dummheiten gemacht werden. Lieber Herr Kollege Leber, wer diesen Satz spricht, kann doch nicht erwarten, daß diejenigen, die diesen Satz entgegennehmen, ihn als eine Mißbilligung der politischen Führung in der Sache auslegen.
Wer so spricht, gibt doch deutlich zu erkennen, daß der politisch verantwortliche Minister diese Sache letztlich eben doch billigt.
— Meine Damen und Herren, die deutsche Sprache läßt sich hier nicht umdeuteln. Daß hier kein Verbot ausgesprochen worden ist, ist ganz klar. Wenn Herr Leber damals mit so markigen Worten wie heute früh reagiert hätte, befände er sich gar nicht in der Lage, in der er sich heute befindet.
Sie, Herr Bundesverteidigungsminister, haben eben nicht, wie soeben an diesem Pult, gesagt — ich zitiere Sie wörtlich —: „Dieser Kerl kommt in keine Kaserne", sondern Sie haben gesagt — daß muß man gegenüberstellen —: Sagen Sie den Herren, daß dort keine Dummheiten gemacht werden.
Wenn Sie diese beiden Äußerungen vergleichen, dann sieht doch jeder, daß Sie die Sache letztendlich gebilligt haben.Herr Kollege Leber, wenn ich die Fülle Ihrer Darstellungen betrachte — meine Freunde und Kollegen zählen zehn, elf Versionen; ich kann es allein nicht überblicken —, dann kann ich nur sagen, daß Sie zur Stunde offenkundig selbst wissen, daß Sie in dieser Sache mit Ihrem Latein am Ende sind, daß Sie einen Fehler gemacht haben und diesen Fehler jetzt nicht eingestehen wollen oder nicht eingestehen können.
Und jetzt werden — hier folgen Sie dem großen Beispiel Ihres Regierungschefs — jene fremden, imaginären Kräfte, die Sie bekämpfen, herangezogen. Bei ihm ist es die Weltwirtschaft, wenn er in Schwierigkeiten gerät, bei Ihnen ist es jetzt die Presse. Meine Damen und Herren, ich muß sagen, es entbehrte nicht der Peinlichkeit — erlauben Sie mir dies offene Wort —, daß Sie im Zusammenhang mit der schweren Krankheit des früheren Generalinspekteurs hier in dieser Form sprachen und einen Zusammenhang zu dem Vorgang herstellten, den wir heute hier zu besprechen haben.
Denn — ich sage das nur in Form eines Fragezeichens — wenn dies alles stimmt, was Sie hier über führende Repräsentanten und Generale der Bundeswehr gesagt haben — Sie haben dabei Namen genannt; ich will das nicht tun —, dann stellt sich doch die Frage: Warum um Himmels willen haben Sie denn alle diese Herren in ihre führenden Funktionen befördert?
Dann müßte doch die Logik dieses Parlaments sein, daß Sie heute, wenn Sie schon darum bitten, nicht wegen der Entlassung getadelt werden, sondern den Tadel wegen der Beförderung dieser Herren in diese Funktionen ausgesprochen bekommen.
Denn, meine Damen und Herren, so darf es nicht sein, daß Sie einerseits für die Personalpolitik verantwortlich zeichnen und — ich verbleibe jetzt bei Ihrer eigenen Argumentation — dann am Ende derartige Schlüsse ziehen.Herr Kollege Leber, um es klar zu sagen: Sie haben in dieser Sache inzwischen auch selbst längst erkannt, daß die Entscheidung und die Form der Entlassung der Generale falsch, unangemessen und — was das Schlimmste für den Chef einer Behörde, für den Oberbefehlshaber ist; das wissen Sie so gut wie ich — zutiefst ungerecht war. Dadurch verlieren Sie Ihre Glaubwürdigkeit bei den Soldaten.
Dann verschonen Sie uns bitte damit, im Zusammenhang mit einem Personalvorgang, den Sie in jeder Weise falsch behandelt und entschieden haben, geschichtliche Perspektiven und damit verbunden völlig andere Fragen heranzuziehen. Wer
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 489
Dr. Kohldie Geschichte der Republik von Weimar kennt, weiß ganz genau, daß das, was einige in der Debatte erwähnten, u. a. einer der Gründe für das Scheitern dieser ersten Republik war: nämlich der tiefe Zwiespalt und die Zwietracht zwischen weiten Teilen der Arbeiterschaft und der bewaffneten Macht, die Unfähigkeit der Weimarer Institutionen, die bewaffnete Macht im Sinne einer freiheitlichen Demokratie wirklich zu integrieren. Nun, Herr Kollege Leber, das ist ganz und gar unbestritten. Und ich erweise Ihnen und jedem anderen aus der deutschen Gewerkschaftsbewegung, der sich in den letzten 20, 25 Jahren daran beteiligt hat, um diesen Zwiespalt nie wieder aufkommen zu lassen und die Bundeswehr zur Bundeswehr der ganzen deutschen Nation zu machen, im Namen meiner Freunde, der CDU/CSU, den vollen Respekt.
Aber Herr Kollege Leber, das ist doch nicht die Frage. Sie werden doch im Ernst nicht sagen können, daß das, was ich eben aussprach, erst seit Ihrer Amtseinführung im Jahre 1972 gilt.
Korrekterweise müßten Sie dann 'doch wenigstens sagen, daß auch Ihr unmittelbarer Vorgänger — ich will ihm das gern unterstellen und bestätigen — in der Zeit von 1969 bis 1972 in diesem Sinne gewirkt hat. Und jetzt frage ich Sie: Da war beispielsweise vor Ihnen Gerhard Schröder. Hat der nicht in diesem Sinne gewirkt?
Da war Theo Blank, da war Kai-Uwe von Hassel, da war Franz Josef Strauß —
sie alle haben in diesem Sinne gewirkt.
Das war doch eigentlich das ausgezeichnete Ergebnis der ersten 15, 20 Jahre Bundesrepublik Deutschland: daß wir uns alle, die Demokraten in diesem Hause und im Lande, völlig darüber im klaren waren, mit der bewaffneten Macht keinen Staat im Staate schaffen zu wollen, aber auch nicht Bürger zweiten Grades bzw. zweiten Ranges in der Bundeswehr, sondern daß „Bürger in Uniform" heißt, daß dort selbstbewußte, ihrer Rechte und ihrer Pflichten bewußte Bürger ihren Dienst für uns alle tun. Das war doch die Konsequenz der Geschichte von Weimar, die wir gezogen haben.
Deswegen haben diese geschichtlichen Perspektiven mit dem Vorgang der Entlassung der Generale überhaupt nichts zu tun, sondern sie werden jetzt nur zur Vernebelung der offensichtlichen Fehlentscheidung des verantwortlichen Ministers herangezogen.Nur in den Hirnen einiger versponnener linker Ideologen ist in den letzten Jahren der Gedanke aufgekommen, daß in der Bundeswehr — wo immer das sein soll — potentielle Kräfte des Umsturzes am Werke seien. Jeder, der die Lage in diesem Land kennt, weiß, daß das barer Unsinn ist und für diejenigen, die so denken und so sprechen, nur ein billiges Vehikel ist, um ganz andere politische Ideen in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen.
An diesem Morgen sprach einer, den ich aus vielen Veröffentlichungen kenne. Herr Kollege Leber, wie war Ihnen denn wohl zumute, als dieser Repräsentant Ihres Parteiverbandes Hessen-Süd, der mit anderen dazu beigetragen hat, daß Sie dort Ihr Direktmandat verloren haben, in scheinheiligster Weise die Lobpreisungen auf Sie gehalten hat?
Wir in der CDU/CSU — die Kollegen, die damit ganz unmittelbar zu tun hatten, beispielsweise mein Freund Manfred Wörner, aber auch ich schließe mich hier voll ein — sind in den vergangenen Jahren oft gefragt worden, ob es denn parteipolitisch richtig sei, in der Frage der Verteidigungspolitik — und damit auch im parlamentarischen und öffentlichen Umgang und in der Diskussion mit dem Bundesverteidigungsminister Georg Leber — ein solch hohes Maß an selbstverständlichem Miteinander, an so selbstverständlicher Offenheit in der Gesamtverantwortung für unser Vaterland deutlich werden zu lassen.Herr Kollege Leber, wir haben auch in diesem Wahlkampf wieder deutlich gesagt, daß es Felder der Politik gibt, wo es bei aller Schärfe der notwendigen Auseinandersetzung im Parteipolitischen nötig ist, sich ein richtiges Stück Gemeinsamkeit zu erhalten. Und wir haben uns danach verhalten.
— Meine Damen und Herren, Sie brauchen doch nur die letzten drei Jahre der Amtszeit dieses Ministers zu betrachten: Die Schwierigkeiten hat er doch bei Ihnen. Er hat es doch oft genug in Wort und Schrift deutlich gemacht.
Herr Minister Leber, Sie haben hier in einer sehr persönlichen Weise, in einem sehr persönlichen Wort Ihren eigenen Lebensweg angesprochen. Ich habe davor allen Respekt; nur füge ich hinzu: Sie sind jetzt in einer Lage — und die Verantwortung tragen jene, die Sie in Ihrer eigenen Partei all die Jahre hindurch gejagt haben —, daß Sie offensichtlich auf Grund von Fehlentscheidungen von Fehlurteil zu Fehlurteil kommen; denn das, was wir heute hier erlebt haben, entspricht nicht dem Bild jenes Georg Leber, der einmal aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht hat, der da stand und — Sie haben sich darauf bezogen — rundherum seine Meinung sagte, ob es gefiel oder nicht.
Sie können für diese Entwicklung nicht unseren Beifall erwarten.Wir haben nicht zur Jagd auf den Bundesminister Georg Leber geblasen. Aber wir sind als parlamen-
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490 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Dr. Kohltarische Opposition in diesem Hause auch nicht jene, die die Aufgabe und die Funktion haben, einen Minister mühsam im Amt zu halten, wenn in der eigenen Partei die Jagd freigegeben wurde.
Es gehört nicht zu den erhebenden Schauspielen in der Parlamentsgeschichte,
was wir heute früh an Heuchelei auf diesem Feld erlebt haben.
Die Fraktion der CDU/CSU spricht Ihnen ihre Mißbilligung aus aus den Gründen, die ich soeben und die meine Freunde zuvor genannt haben. Wir würdigen Ihren Weg, Ihren ganzen Weg, aber wir sehen, daß Sie jetzt durch Ihre eigene Partei und Ihre Freunde in eine Situation gebracht werden, in der Sie offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, die Geschäfte so zu führen, daß Sie unser Vertrauen verdienen.
Meine Damen und Herren, ich möchte den Mitgliedern des Ältestenrates sagen, daß der Ältestenrat nach der Abstimmung zusammentritt.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum einen, weil die Darlegungen des Bundesministers der Verteidigung nur ganz kleine Ergänzungen brauchen, zum anderen, weil einige Minister und auch ich in relativ kurzer Zeit zu den auf der Grundlage des deutsch-französischen Vertrages heute in Paris stattfindenden Konsultationen reisen müssen, bemühe ich mich, ganz kurz und in einem Ton zu sprechen, von dem ich hoffe, daß er eine neue Runde nicht auslösen muß.Ich habe bei diesem Stand der Debatte für die Bundesregierung fünf kurze Feststellungen zu treffen.Erstens. Die parlamentarische Kontrolle der Bundeswehr und ihres grundgesetzlichen Oberbefehlshabers ist jederzeit notwendig. Das war früher so; das muß heute so sein; das muß in Zukunft auch so bleiben. Dabei ist eine ungeschriebene Regel für alle Redner der jeweiligen Opposition und für alle Redner der jeweiligen Regierungskoalition oder der jeweiligen Regierung — ich weiß das aus eigener Erfahrung, die ich im Laufe der Jahrzehnte auf beiden Seiten gemacht habe — sehr schwer einzuhalten. Es ist schwierig, die Regel einzuhalten, daß jeder Redner auf der einen Seite natürlicherweise auch seine parteilichen Interessen vertreten will und muß und daß er zugleich die Bundeswehr und die Loyalität ihrer Soldaten und ihrer zivilen Angehörigen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland nicht in die eine oder in die andere parteiliche Richtung drängen darf. Dies beides miteinander zu vereinigen, ist in jeder Wehrdebatte des Bundestages für jeden, der sich ernsthaft an ihr beteiligt, immer wieder ein Problem.Ich will in diesem Punkte, was die heutige Debatte angeht, niemanden bewerten, sondern nur feststellen, daß die Bundesregierung und der Bundesminister der Verteidigung sich auch in solchen Auseinandersetzungen der dringenden Notwendigkeit, die Bundeswehr und ihre Angehörigen und deren Loyalität nicht in eine parteiliche Richtung zu drängen, jeden Tag bewußt sind. Ich bitte das ganze Haus, sich dieser Notwendigkeit bei all solchen Debatten immer bewußt zu bleiben.
Zum Zweiten: Herr Abgeordneter Kohl, Sie haben die personalpolitischen Entscheidungen, die dieser Debatte und Ihrem Mißbilligungsantrag zugrunde liegen, soeben eine Ungerechtigkeit genannt. Ich möchte für die Bundesregierung dazu feststellen — ich stütze mich hierbei auf sehr sorgfältige Abwägungen des gesamten Kabinetts, die schon Monate zurückliegen —: Die Bundesregierung hat keinerlei Zweifel, daß die Entlassung der beiden Generale aus dem Dienst richtig war und daß sie in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz steht.
Meine dritte Bemerkung richtet sich an die Adresse des Herrn Abgeordneten Zimmermann, der gemeint hat, die Bundesregierung habe mit keinem Wort von den Besorgnissen, die der Zustand der gemeinsamen Verteidigung des Westens auslösen müsse — Herr Abgeordneter Zimmermann, Sie haben heute erneut einige dieser Besorgnisse dargelegt —, gesprochen. Sie haben dann gesagt, von der Erklärung der Bundesregierung — Sie haben es heute auf die Person des Bundeskanzlers bezogen — würde es abhängen, ob die CDU/CSU in Zukunft, über diese Debatte und die ihr zugrunde liegende Personalentscheidung hinaus, die Verteidigungs- und Bündnispolitik der Bundesregierung mißbilligen müsse. Ich muß darauf hinweisen, Herr Abgeordneter Zimmermann, daß die Besorgnisse, von denen Sie sprachen, in der Regierungserklärung vom 16. Dezember — allerdings in anderer Betonung und in anderer Gewichtung; das werden Sie verstehen und als Tatsache akzeptieren — ausdrücklich dargelegt wurden und daß am darauffolgenden Tage, am 17. Dezember, hier darüber von seiten des Abgeordneten Strauß und von anderen — später auch von Herrn Barzel — debattiert worden ist und daß Herr Minister Genscher und auch ich — um nur zwei aus meiner Erinnerung zu nennen; andere haben auch geantwortet — darauf geantwortet haben. Über diesen Teil der Regierungserklärung ist also debattiert worden. Es gab im Januar dann noch zweieinhalb weitere Debattentage. Es gab somit viel Gelegenheit, über diese Besorgnisse zu debattieren. Daß wir diese Besorgnisse mit keinem Wort berüht hätten, ist unwahr, Herr Abgeordneter. Ich will hinzufügen, daß die Bundesregierung und, wie ich annehme, auch die beiden sie tragenden Koalitionsfraktionen jederzeit zur erneuten Debatte über den Stand und die zukünftig sich ergebenden Notwendigkeiten hinsichtlich der
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 491
Bundeskanzler Schmidtgemeinsamen Sicherheit der im Atlantischen Bündnis zusammengeschlossenen Partner bereit sind.
Die Begründung Ihres heutigen Mißbilligungsantrags scheint mir allerdings keine richtige Gelegenheit zu sein, jetzt in eine breite Debatte des Bündnisses und seiner Notwendigkeiten einzutreten.Eine vierte Bemerkung möchte ich zur Person des Bundesministers der Verteidigung machen, der nach dem Grundgesetz die Befehls- und die Kommandogewalt über die deutschen Streitkräfte ausübt. Das Ansehen dieses Mannes ist im Bündnis insgesamt, aber auch bei unseren eigenen deutschen Streitkräften sehr hoch.
— Sie sprechen offensichtlich nur für sich.
Ich darf Ihnen zur Kenntnis bringen, was der amerikanische Verteidigungsminister im Dezember in Abwesenheit des erkrankten deutschen Verteididigungsministers im Verteidigungsplanungsausschuß des Bündnisses, im DPC, über Herrn Leber gesagt hat: Gerade wegen der Erhaltung der Verteidigungskraft der NATO brauchen wir den deutschen Verteidigungsminister. Dies ist auch die Meinung der Bundesregierung. Ich möchte dies ganz ausdrücklich zu Protokoll des Deutschen Bundestages feststellen.
Eine fünfte und letzte Feststellung: Herr Abgeordneter Kohl hat soeben ausgeführt, es sei nicht die CDU gewesen, die zur Jagd auf den Kollegen Leber geblasen habe. Sie haben, durch den Gang der Debatte in die Defensive gedrängt, wie es mir schien, versucht, vergessen zu machen, daß der Mißbilligungsantrag von Ihnen stammt, und so getan, als ob Sie den von Ihnen mißbilligten Verteidigungsminister gegen seine eigene Partei in Schutz nehmen müßten.
Das kommt mir so ähnlich vor wie das öffentliche Verlangen einer Ihrer Stellvertreter in der Führung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einigen Tagen, der Bundeskanzler solle sich vor den Bundesminister des Auswärtigen stellen. Heute sollen wir uns vor Leber stellen, gleichzeitig wollen Sie uns aber dazu bewegen, sein Verhalten zu mißbilligen.Ich möchte Ihnen dazu folgendes sagen. Hinsichtlich der äußeren Politik und hinsichtlich der Verteidigungspolitik hat die sozialliberale Koalition eine im Laufe von Jahren erarbeitete und ausgearbeitete, verfeinerte und am Gang der Ereignisse jeweils erneut gemessene und jeweils erneut vervollständigte Gesamtvorstellung. Auf der Basis dieser Gesamtvorstellung, wie sie von zwei Bundestagsfraktionen getragen wird, handelt die Bundesregierung. Sie werden vergeblich versuchen, zwischen außenpolitische und verteidigungspolitische Äußerungen der ganzen Bundesregierung oder des Bundesministers des Auswärtigen oder des Bundesministers der Verteidigung oder des Bundeskanzlers einen Keil zu treiben; denn dies ist eine Einheit.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe im Zusammenhang mit dem Vorgang, dessentwegen ein Mißbilligungsantrag gegen den Herrn Bundesminister der Verteidigung eingebracht ist, über den heute hier zu entscheiden ist, zweimal, nämlich am 10. und am 11. November vergangenen Jahres aus gegebenen Anlässen öffentlich erklärt, daß ich mich lediglich im Parlament zum Vorgang und zu der Rolle äußern werde, die mir dabei zugeschrieben oder zugedacht worden ist.Ich habe an dem Tag, an dem eigentlich hier im Plenum des Parlaments der Bericht des Bundesministers der Verteidigung hätte vorgetragen und debattiert werden sollen, öffentlich geschrieben, bevor dies dann stattfand und leider durch den Krankheitsfall des Ministers damals eben die Debatte nicht stattfinden konnte:Im Parlament und durch das Parlament ist heute Gelegenheit gegeben, die Rolle der Bundeswehr in unserem Staat eindeutig zu würdigen. Vom Parlament hängt es ab, ob die Debatte klärend und heilend wirken kann.Das habe ich am 10. geschrieben, es wurde veröffentlicht in der Zeitung, die mir jeden Monat 50 Zeilen zur Verfügung stellt — als dem dort direkt gewählten Abgeordneten.Ich habe damals hinzugefügt:Vor nunmehr zwölf Jahren hat die SPD durch eine Entschließung ihres Karlsruher Parteitages zur Lage der Bundeswehr erklärt: die öffentliche Meinung und alle Bürger schlechthin müssen wissen, daß die Bundeswehr nicht mit Schlagwortdiskussionen geholfen werden kann. Vor allem kommt es darauf an, den Soldaten Vertrauen entgegenzubringen und ihnen dort, wo es nötig ist, beim Aufsuchen besserer Wege Hilfsbereitschaft zu bezeigen. Die Bürger müssen wissen, daß eine in ihrer Grundgesinnung demokratische Armee auf die Dauer nur dann möglich ist, wenn sie von einem in seiner Grundgesinnung demokratischen Volk akzeptiert wird, und dazu müssen die Bürger den Auftrag der Bundeswehr kennen und verstehen.So im Zusammenhang mit dieser meiner Stellungnahme damals.Am 11. habe ich, nachdem die Debatte ja nicht gehalten werden konnte, öffentlich geschrieben — nachzulesen in der „Esslinger Zeitung" und einer Veröffentlichung der Pressestelle meiner Bundestagsfraktion —:Mir selbst wurde mein bisheriges Schweigenzum Vorwurf gemacht. Doch ich „kneife" nicht.
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492 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
WehnerIn dieser so verwickelt wirkenden Kette von Ereignissen und Wertungen muß das Parlament zu Worte kommen. Mir geht es darum, der Rolle der Verfassungsorgane gerecht zu werden. Zusammen mit anderen Demokraten habe ich nach Kräften am Aufbau einer in den demokratischen Staat integrierten Bundeswehr mitgewirkt, nachdem die Entscheidung über einen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik zum westlichen Bündnis getroffen war.
Auch innerhalb der heutigen Opposition gibt es eine ganze Reihe von Politikern,— die sitzen nicht gerade dort, wo gerade geschrien wird, füge ich jetzt hinzu —die nicht vergessen haben, welche Anstrengungen damals aus den Erfahrungen insbesondere der Jahre 1933 bis 1945 heraus erforderlich waren, um die Streitkräfte im demokratisch verfaßten Teil des geteilten Deutschlands zu entwickeln. Das bedeutete auch beizutragen zu einem guten Verhältnis des Staates zur Bundeswehr und umgekehrt mit Blick auf das Atlantische Bündnis.Ich habe dann noch einmal in dieser Veröffentlichung vom 11. auf jene Entschließung abgehoben, die ich am Tag vorher bei anderer Gelegenheit zitiert hatte, und ich habe hinzugefügt:Dieser Erklärung liegt eine Summe von Erfahrungen und Einsichten zugrunde, die es wert sind, nicht völlig vergessen zu werden. Soldaten haben vor dem Parlament oder einzelnen Parlamentariern nicht strammzustehen. Sie sollen sich aber auch nicht als Angehörige eines Staates im Staat begreifen. Wechselseitiges Vertrauen und die allseitige Achtung demokratischer Grundregeln, damit die Achtung der Verfassungsorgane, bedingen einander. Es geht um das Demokratieverständnis aller Beteiligten.Ich hatte gesagt, daß ich diese Debatte nicht noch einmal beginnen will, kann und darf. Aber auf Grund der Rolle, die mir zugemessen und auferlegt worden ist — in dem Verfolg dieses Vorgangs — von mehreren Seiten, fühle ich mich verpflichtet, Ihnen noch folgendes zu sagen. Ich jedenfalls war einer von denen — der Herr Kollege Dr. Jaeger, den ich gerade sehe, wird sich möglicherweise daran noch erinnern —, der seinerzeit als der Sprecher — und nicht einfach als Sprecher zum Fenster hinaus — vis-à-vis dem eben erwähnten Theo Blank gestanden und gesessen hat, um alle Fragen gründlich, und zwar so, wie es unserem gemeinsamen Staat dient, auszusprechen und auszudiskutieren, in einer Zeit, ehe die Einrichtung Bundeswehr als solche bestand. Ich berufe mich nicht etwa darauf, nur weil hier heute mein Name auch einmal gefallen ist, sondern ich versuche, mit diesen Bemerkungen diejenigen daran zu erinnern, die das entweder nicht vergessen haben oder in ihre Erinnerung zurückbringen lassen können.Ich habe vor — und das soll meine letzte Bemerkung dieser Art sein —, Ihnen heute die Drucksache 7/5481 — also aus dem 7. Deutschen Bundestag — vom 24. 6. 1976 in Erinnerung zu rufen, nämlich einen von den Vorsitzenden der beiden Fraktionen der Koalition, von SPD und FDP, unterzeichneten Entschließungsantrag zur Beratung des Berichts und des Antrags des Verteidigungsausschusses zum Weißbuch 1975/76 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr. Das ist bei Ihnen vielleicht auch noch aufzutreiben. Notfalls würden die Dienststellen des Bundestags denen, die dem 7. Bundestag nicht angehört haben, diese Drucksache geben. Ich will es Ihnen ersparen, jetzt daraus zu zitieren. Darin steht unser Verhältnis zur Bundeswehr, nicht nur seitdem wir in einer Koalition unmittelbar Regierungsverantwortung tragen, sondern überhaupt.Als letztes möchte ich Ihnen hier heute sagen, daß ich am 22. November 1976 — so war der Eingangsstempel — einen am 17. 11. 1976 datierten Brief von Herrn Walter Krupinski, Generalleutnant a. D., bekommen habe, den ich Ihnen jetzt hier vorlese, damit er auch in das Protokoll des Deutschen Bundestags kommt:Sehr geehrter Herr Abgeordneter Wehner!Am ersten etwas ruhigeren Tage im Ablauf der letzten drei Wochen fühle ich mich verpflichtet, Ihnen persönlich zu schreiben. Ich möchte Sie bitten, mir zu glauben, daß es zu keinem Zeitpunkt meine und — ich bin sicher aus vielen Gesprächen — auch Generalmajor Frankes Absicht war, irgendeine Institution oder Person unseres Staates oder Parlaments anzugreifen oder zu beleidigen.
— Wird es mir wenigstens erlaubt sein, das hier in Ruhe vorzulesen, Frau Präsidentin, oder ist auch das hier nicht möglich?
— Ich bitte Sie!
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Wehner.
Ich setzte dies fort:Was auch' immer gesagt oder verstanden oder interpretiert worden ist — sollten Sie sich persönlich beleidigt fühlen, darf ich Sie hiermit um Entschuldigung bitten.Sie werden verstehen, daß ich diesen Brief erst nach meiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst schreiben konnte. Als Soldat bin ich gewohnt, für meine Handlungen die Folgen zu tragen, auch wenn sie einem da oder dort nicht gerechtfertigt erscheinen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 493
WehnerIch kann Ihnen versichern, daß ich ohne Groll aus der Bundeswehr ausgeschieden bin. Ich hoffe, daß der Bundeswehr und unserem Volk kein Schaden entstanden ist, und wünsche Ihnen viel Erfolg und Glück bei Ihrer Arbeit.HochachtungsvollIhr Walter Krupinski
Es ist nicht meine Sache und auch nicht meine Absicht, diesem Schreiben etwas hinzuzufügen, ebensowenig wie ich etwas weggelassen habe. Der Schreiber des Briefes hat ihn meines Wissens nicht veröffentlicht. Ich halte mich für berechtigt und verpflichtet, ihn hier im Parlament zur Kenntnis gebracht zu haben. — Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen zur Beratung liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach § 35 der Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Sauer das Wort für eine persönliche Erklärung.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auf die rhetorische Frage des Herrn Bundesministers der Verteidigung „Wer ist schuld am Untergang der ersten Republik?" habe ich wörtlich den Zwischenruf „Auch Herr Wehner!" gemacht. Aus diesem Grunde bin ich vom amtierenden Präsidenten gerügt worden.
Ich möchte dazu eine persönliche Erklärung abgeben.
Mir liegt ein Artikel aus der Zeitschrift „Revolutionäre Tat" vom Mai 1926 vor. Darin schreibt Herr Wehner wörtlich:
Die erste Notwendigkeit ist die Zerstörung des Staates. Die Mittel hierzu bestehen nicht in der Eroberung der politischen Macht im bestehenden Staate. Dadurch setzt sich die Kette der Unfreiheit nur weiter fort. Die Arbeiter haben sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, die Betriebe zu übernehmen und mit bewaffneter Hand zu verteidigen. Der bewaffnete Aufstand ist unumgänglich notwendig, um ein Ende zu machen mit dem Bestehenden. Alle Kräfte gilt es zu sammeln zum Kampf gegen die Republik und den Staat überhaupt,
gegen das Parlament und alle anderen Institutionen, die Machtinstrumente sind in den Händen der Kapitalisten.
Herr Kollege Sauer, ich muß Sie daran erinnern, daß Sie nur eine persönliche Erklärung abgeben können auf — —
— Sie können aber keine Begründung für Ihren Zwischenruf geben, sonder lediglich eine persönliche Erklärung, wie Sie dazu stehen. Wir haben jetzt keine Sachdebatte.
Vor dem Hintergrund dieses mir bekannten Zitats und noch eines weiteren aus dem Sächsischen Landtag, um dessen Zitierung ich Sie bitten darf, Frau Präsidentin, wollte ich erklären, warum ich diesen Zwischenruf getan habe. Ich bitte, das Zitat aus dem Sächsischen Landtag noch vortragen zu dürfen.
Nein, Herr Kollege, das kann ich nicht zulassen.
Dann darf ich dazu erklären: Zu der Zeit, als Herr Wehner diese Äußerung gemacht hat, hat meine Familie in der Person des Prälaten Ulitzka im Deutschen Reichstag gegen Links und Rechts gekämpft; er hat später im KZ in Dachau gesessen, ebenso der hier im Hause bekannte spätere Bundesminister Hans Lukaschek.
Da ich im Jahre 1945 geboren bin, weiß ich nur, daß Kommunisten und Nationalsozialisten am Untergang der Weimarer Republik schuld sind,
und aus diesem Grunde, Herr Abgeordneter Wehner, bitte ich, meinen Zwischenruf zu verstehen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion in Drucksache 8/2. Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Ich bitte die Schriftführer, die Abstimmung durchzuführen.Meine Damen und Herren, das vorläufige Abstimmungsergebnis liegt vor. Es haben sich insgesamt 464 Abgeordnete an der Abstimmung beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 220, mit Nein 244.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 464; davon ja: 220nein: 243ungültig: 1JaCDU/CSUDr. Abelein Dr. ArnoldDr. BarzelBayhaDr. Becher Dr. Becker (Frankfurt) Frau BenedixBenz
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494 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Vizepräsident Frau FunckeBergerBiecheleBiehleDr. von BismarckDr. BlümDr. Bötsch BraunBreidbach BrollBühler
BurgerCarstens
Carstens
Conrad
Dr. Czaja DammDawekeDr. Dollinger Dr. Dregger DreyerEngelsbergerErhard ErnestiDr. Evers EyEymer
Dr. Eyrich Feinendegen Frau Fischer FrankeDr. FriedmannGeisenhoferDr. von GeldernDr. George Gerlach GersteinGierenstein GlosDr. Gölter Haase
Dr. Häfele Dr. HammansHandlosHanzHartmann Hasinger Hauser
Hauser
Helmrichvon der Heydt Freiherrvon MassenbachHöffkesHöpfinger HöslDr. HoffackerFrau Hoffmann
Dr. HornhuesHorstmeier Dr. Hubrig Frau HürlandDr. Hüsch Dr. Hupka Dr. Jaeger Jäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. Jentsch Dr. JobstJostenFrau KarwatzkiKatzerKiechleDr. h. c. KiesingerDr. Klein Klein (München)Dr. Köhler KösterDr. Kohl KrampeDr. Kraske KrausDr. Kreile KreyKroll-SchlüterFrau Krone-AppuhnDr. Kunz LagershausenLampersbachLandréDr. Langguth Dr. Langner Dr. LaufsLeichtLemmrichDr. Lenz
LenzerLinkLintnerLöherDr. LudaDr. Marx Dr. Mende MetzDr. Meyer zu BentrupDr. Mikat Dr. Möller Dr. Müller Müller
Dr. Narjes Neuhaus Frau Dr. NeumeisterNiegelNordlohneDr. NothhelferFrau Pack PetersenPfeffermann PfeiferPicardPierothDr. Pinger Pohlmann PrangenbergDr. Probst RainerRaweReddemann RegenspurgerDr. ReimersDr. Riedl
Dr. RiesenhuberDr. RitzRöhnerRüheRusseSauer
Sauter
Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. SchäubleSchartz
Frau Schleicher SchmidhuberSchmidt Schmitz (Baesweiler) SchmöleDr. SchneiderDr. Schröder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (SchwäbischGmünd) SchwarzDr. Schwarz-Schilling SeitersSickDr. Freiherr Spies von BüllesheimSpilkerSpranger Dr. Sprung Stahlberg Dr. Stark
Graf StauffenbergDr. Stavenhagen Dr. SterckenStommelStraußStücklenStutzerSussetde TerraTillmannDr. TodenhöferFrau TüblerDr. UnlandFrau Verhülsdonk Vogel Vogt (Duren)VolmerDr. VossDr. Waffenschmidt Dr. WaigelDr. WallmannDr. WarnkeDr. von Wartenberg Weber Weiskirch (Olpe) Dr. von Weizsäcker WernerFrau Dr. WexFrau Will-FeldFrau Dr. WilmsWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Dr. WörnerBaron von Wrangel WürzbachDr. WulffDr. ZeitelZeyerZieglerDr. ZimmermannZinkBerliner AbgeordneteAmrehnFrau Berger
Dr. GradlKittelmann LusterMüller
Frau Pieser Straßmeir WohlrabeNeinSPDAhlersDr. AhrensAmling Dr. ApelAugsteinBaack BahrDr. BardensBatzBecker BiermannBindig BlankDr. Böhme Frau von BothmerBrandtBrandt BrückBuchstallerBüchler
Büchner Dr. von BülowBuschfortDr. Bußmann ColletConradiCoppikDr. CorterierCurdtFrau Dr. Däubler-Gmelin DaubertshäuserDr. von DohnanyiDürrDr. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers
Dr. EmmerlichDr. Enders Engholm Frau Erler EstersEwenFiebigDr. Fischer Frau Dr. FockeFranke Friedrich (Würzburg) GanselGerstl
GertzenDr. Geßner Glombig Dr. Glotz Gobrecht Grobecker Grunenberg Gscheidle Dr. Haack HaarHaehserHansenFrau Dr. Hartenstein HauckDr. Hauff HenkeHevennHöhmannHofmann
Dr. Holtz HornFrau Huber Huonker IbrüggerImmer Jahn (Marburg)JaunichDr. Jens Junghans Jungmann JunkerKaffkaKirschnerKlein
KoblitzKonradKratzKretkowskiDr. KreutzmannKrockert Kühbacher Kuhlwein Lattmann Dr. LauritzenLeberLempLendersFrau Dr. LepsiusLiedtkeDr. Linde LutzMahneMarquardt Marschall Frau Dr. Martiny-Glotz
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 495
Vizepräsident Frau Funcke MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MeininghausMenzelMöhringMüller
Müller Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert MünteferingNagelNeumann Dr. Nöbel Offergeld OostergeteloPaternaPawelczyk PeiterDr. Penner PenskyPeterPolkehnPorznerRapp
Rappe RavensFrau Renger ReuschenbachRohdeRosenthal RothSaxowskiDr. SchachtschabelSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuSchirmer SchlagaSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (Hamburg) Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf)Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. SchöfbergerSchulte
Dr. Schwenke Dr. Schwenk (Stade)SielerFrau Simonis SimpfendörferDr. Sperling Dr. SpöriStahl
Dr. StegerFrau Steinhauer Stockleben StöcklSundSybertzFrau Dr. TimmTönjesTopmann Frau Traupe Ueberhorst UrbaniakDr. Vogel VogelsangVoigt Waltemathe WaltherDr. Weber
WehnerWeißkirchen WendtDr. WernitzWestphalWiefel WilhelmWimmer WischnewskiDr. de WithWittmann Wolfram (Recklinghausen) WredeWüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteBühlingDr. Diederich Dr. DübberEgertLöfflerMänningMattickFrau SchleiSchulze
FDPAngermeyerBaum CronenbergEimer
EngelhardErtlDr. FriderichsFrau FunckeGärtner Gallus GattermannGenscherGrünerFrau Dr. Hamm-Brücher HölscherHoffie JungDr.-Ing. Laermann LudewigDr. Dr. h. c. MaihoferFrau Matthäus-Maier MischnickMöllemannOllesch PaintnerPeters Schmidt (Kempten)von SchoelerFrau Schuchardt SpitzmüllerDr. VohrerDr. WendigWolfgramm WurbsZywietzBerliner Abgeordnete HoppeDamit ist der Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Platz nähmen.Ich bin gebeten worden, und zwar nicht im Namen der Ausschußvorsitzenden — die haben sich bei mir nicht gemeldet —, sondern im Namen der Geschäftsführer, bekanntzugeben, daß die Ausschußsitzungen eine Stunde später beginnen sollen. Ich sage das ohne Gewähr; denn für die Einberufung und die Verschiebung von Ausschußsitzungen sind ausschließlich die Ausschußvorsitzenden da. Insoweit bin ich in der glücklichen Lage, für den Finanzausschuß bereits feststellen zu können, daß er um 15.30 Uhr beginnt. Ansonsten scheint es so zu sein, daß eine Viertelstunde später als einberufen begonnen werden soll. Ich wäre dankbar, wenn die Ausschußvorsitzenden noch über die Hausrufanlage mitteilen würden, wann die einzelnen Ausschußsitzungen beginnen.Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache 8/66 —Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung Herr Staatsminister Wischnewski.Meine Damen und Herren, ich bitte die Türen zu schließen, und diejenigen, die hier stehen, doch ihren Platz aufzusuchen. Es läßt sich dann besser verhandeln und zuhören.
Wird die Bundesregierung den von Ost-Berlin förmlich erhobenen Protest gegen die Erteilung von Auskünften durch die Ständige Vertretung an Deutsche im Herrschaftsbereich des SED- Regimes in der gleichen Form zurückweisen sowie gegen die Kontrolle von Besuchern der Vertretung nach dem Verlassen des Gebäudes in aller Form scharf protestieren, und wie rechtfertigt die Bundesregierung, gegebenenfalls, eine verneinende Antwort mit der Schutz- und Fürsorgepflicht, die ihr nach dem Grundgesetz gegenüber allen Deutschen obliegt?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz wie folgt.Die Bundesregierung hat gegen die Kontrollen der Besucher der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland sowohl durch den Staaatssekretär Gaus gegenüber der DDR-Führung wie auch durch mich gegenüber dem Leiter der Ständigen Vertretung der DDR, Dr. Kohl, in scharfer Form protestiert. Sie hat die mündlichen Proteste der DDR gegen die Tätigkeit unserer Ständigen Vertretung ebenfalls durch Staatssekretär Gaus und mich mit allem Nachdruck zurückgewiesen. Herr Gaus und ich haben in diesem Zusammenhang auf die sehr deutlichen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers vom 19. Januar 1977 vor dem Deutschen Bundestag in der Aussprache über die Regierungserklärung verwiesen.Gegen die in dem Aide-mémoire der DDR vom 27. Januar 1977 erneut erhobenen Vorwürfe haben sowohl Staatssekretär Gaus als auch der zuständige Abteilungsleiter des Bundeskanzleramts entschieden Verwahrung eingelegt und eine weitere Stel-
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496 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Staatsminister Wischnewskilungnahme der Bundesregierung vorbehalten. Das Aide-mémoire wird von der Bundesregierung sorgfältig geprüft. Nach dieser Prüfung wird die Bundesregierung über Art und Weise ihrer Antwort entscheiden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß jeder Deutsche die Hilfe der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin in Anspruch nehmen kann, und reicht das aus, was die Bundesregierung bisher unternommen hat, um sicherzustellen, daß jeder Deutsche die Ständige Vertretung unkontrolliert und unbespitzelt betreten und verlassen kann?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat — abgesehen von einer Beantwortung des Aidemémoire, ich habe bereits darauf hingewiesen, daß das einer sehr genauen und gründlichen Prüfung bedarf — alle notwendigen Schritte unternommen, um die ihr nach dem Grundgesetz obliegenden Pflichten gebührend zu berücksichtigen.
Die zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, reicht das aus, um sicherzustellen — ich wiederhole meine Frage —, daß jeder Deutsche, der die Ständige Vertretung aufsuchen will, diese unkontrolliert und unbespitzelt betreten und verlassen kann?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat alles Notwendige unternommen und wird auch weiterhin alles Notwendige unternehmen, um die Funktionsfähigkeit der Ständigen Vertretung in vollem Umfange zu gewährleisten.
Hinter Ihnen steht bereits jemand, der Ihnen die Frage wahrscheinlich abnehmen wird.
Herr Dr. Wittmann, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es in der Geschichte der Beziehungen zu anderen Staaten Fälle, in denen sich diese Staaten in gleicher Weise dagegen verwahrt haben, daß unsere Vertretungen an Auskunftsuchende Auskünfte erteilt haben?
Wischnewski, Staatsminister: Die Regelung dieser Frage ist in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich. Ich bin gern bereit, im Ausschuß einen überblick darüber zu geben, wie unterschiedlich diese Fragen in verschiedenen Ländern gehandhabt werden.
Eine Zusatzfrage hat der Herr Abgeordnete Schmude.
Herr Staatsminister, da die Bundesregierung in früheren Fragestunden schon zweimal dargelegt hat, daß es den Interessen der Menschen nicht dienen könne, hier über Einzelheiten des Verfahrens zu berichten, das dann ansteht, wenn sich Schutzsuchende und Ratsuchende an die Vertretung wenden, frage ich Sie, ob es nicht mindestens angezeigt wäre — im Interesse der betroffenen Menschen —, diese Dinge in den Ausschüssen, vor allem im zuständigen Innerdeutschen Ausschuß, ausführlicher zu behandeln, anstatt sie hier im Plenum in der Öffentlichkeit auszubreiten.
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung teilt Ihre Auffassung in vollem Umfang.
Keine weitere Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Hat die Bundesregierung den nicht begründbaren Vorwurf der DDR, unsere Ständige Vertretung in Ost-Berlin „mische sich in die inneren Angelegenheiten der DDR ein", durch eine notifizierte Erklärung zurückgewiesen, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, über den mündlichen Protest hinaus eine förmliche Erklärung gegenüber der DDR-Regierung abzugeben?
Wischnewski, Staatsminister: Herr Kollege, ich darf auf meine Antwort auf die entsprechende Frage des Kollegen Dr. Kunz verweisen.
Herr Kollege Kunz , Sie haben eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, könnten Sie mir zustimmen, daß es angesichts der Tragweite und der völligen Unbegründetheit des Vorwurfs der Einmischung dringend geboten ist, den Protest durch eine notifizierte Erklärung zurückzuweisen?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe bereits vorhin darauf hingewiesen, daß das Aide-mémoire, das sich mit solchen Fragen beschäftigt, mit allen beteiligten Ressorts im Augenblick sehr genau geprüft wird und daß dann die Bundesregierung ihre Entscheidung fällen wird, wie sie auf dieses Aidemémoire eingehen wird.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, würden Sie gegebenenfalls dem Innerdeutschen Ausschuß für eine Begründung zur Verfügung stehen, aus der hervorgeht, aus welchem Grunde Sie welche Form des Protests gewählt haben und welche Form nicht?
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 497
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung steht dem Innerdeutschen Ausschuß jederzeit und gern zur Verfügung.
Keine Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 97 des Herrn Abgeordneten Kunz auf:
Kann die Bundesregierung den Standpunkt teilen, daß ein förmlicher Protest erforderlich ist, da die DDR durch ihr Verhalten gegenüber unserer Ständigen Vertretung innerdeutsche Vereinbarungen verletzt?
Wischnewski, Staatsminister: In meiner Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Kunz habe ich bereits ausgeführt, daß die Bundesregierung gegen das Verhalten der DDR auf verschiedenen Ebenen in scharfer Weise protestiert hat. Ich habe hinzugefügt, daß die Bundesregierung das von der DDR überreichte Aide-mémoire gegenwärtig prüft. Vom Ergebnis dieser Prüfung wird die Entscheidung über die Reaktion der Bundesregierung abhängen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung bei den mündlichen Protesten die Bestimmungen innerdeutscher Vereinbarungen im einzelnen genannt, die durch den unbegründeten Vorwurf der DDR verletzt worden sind?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat in ihrem mündlichen Protest alles das getan, was sie zu diesem Zeitpunkt für notwendig gehalten hat.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, können Sie auch hier auf eine entsprechende Bitte des Innerdeutschen Ausschusses diesem im einzelnen darlegen, welche Bestimmungen Ihrer Ansicht nach verletzt worden sind, indem die DDR solche unbegründeten Vorwürfe erhoben hat, wie Sie unter namentlicher Nennung einzelner Bestimmungen diesen Protest zurückgewiesen haben und wie Sie insbesondere Ihre Formulierung, daß die Bundesregierung das Notwendige in der üblichen Weise und richtig getan habe, spezifizieren?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung steht dem Innerdeutschen Ausschuß zur Verfügung.
Keine Zusatzfrage mehr?
Ich rufe die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Ist zudem ein förmlicher Protest nicht auch aus Gründen der Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern der Ständigen Vertretung geboten?
Wischnewski, Staatsminister: Wie ich bereits dargelegt habe, wird die Frage der Reaktion gegenüber der DDR in die Prüfung des Aide-mémoires der DDR einbezogen. Auch der von Ihnen genannte Aspekt wird hierbei berücksichtigt werden.
Im übrigen darf ich darauf hinweisen, daß bereits der Herr Bundeskanzler in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 19. Januar 1977 anläßlich der Aussprache über die Regierungserklärung mit großer Deutlichkeit erklärt hat, daß sich die Mitarbeiter unserer Ständigen Vertretung in ihrer Arbeit strikt innerhalb der ihnen gezogenen Grenzen halten und sich nicht in die inneren Angelegenheiten der DDR einmischen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie eine Mitteilung darüber machen, ob die von Ihnen bisher gewählten Formen des Protestes irgendeine Auswirkung in positiver Hinsicht hatten?
Wischnewski, Staatsminister: Ich darf feststellen, daß die Kontrollen, die es gegenüber den Besuchern vor der Ständigen Vertretung gegeben hat, nach einem Tag nicht mehr durchgeführt worden sind.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Jäger.
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung die Auffassung teilt, daß die Erteilung von Auskünften durch die Angehörigen der Ständigen Vertretung an Deutsche in der DDR kein Verstoß gegen die Bestimmungen über die Errichtung der Ständigen Vertretung, die von beiden deutschen Staaten vereinbart wurden, darstellt?
Wischnewski, Staatsminister: Die Arbeitsmethode der Ständigen Vertretung steht in gar keiner Weise im Widerspruch zu den vertraglichen Vereinbarungen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 99 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf:
Muß die Bundesregierung nicht befürchten, daß durch die Unterlassung von Maßnahmen gegen die neuesten Willkürakte die DDR ständig versuchen wird, den Besuchsverkehr mit unserer Vertretung einzugrenzen oder gar abzuschneiden?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat alles Erforderliche getan. Durch ihren scharfen und nachdrücklichen Protest hat sie der DDR-Regierung deutlich zu verstehen gegeben, daß sie jeden Versuch, die Tätigkeit unserer Ständigen Vertretung einzuschränken, sehr ernst nimmt. Die DDR hat daraufhin die Besuchskontrollen vor dem Betreten unserer Ständigen Vertretung wieder eingestellt. Die Bundesregierung wird auch in Zukunft alles tun, um Einschränkungen der Tätigkeit unserer Ständigen Vertretung zu verhindern.
Eine Zusatzfrage.
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498 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Herr Staatsminister, wie interpretiert denn die Bundesregierung ihre Bemerkungen, daß sie solche Schritte sehr ernst nehme?
Wischnewski, Staatsminister: In der Weise — wie in diesem Falle geschehen —, daß sie in dem notwendigen Maße protestiert. Daraufhin ist ja auch am nächsten Tag eine Änderung eingetreten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sind Sie der Meinung, daß durch diese Art des Vorgehens die Wiederholungsgefahr ausgeschlossen ist?
Wischnewski, Staatsminister: Ich kann keine Erklärungen abgeben, die für alle Zukunft Gültigkeit haben. Aber ich kann für die Bundesregierung eindeutig erklären, daß sie alles aus ihrer Sicht und von ihren Möglichkeiten her Notwendige unternehmen wird, um eine solche Situation für die Zukunft zu verhindern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, hat die DDR-Regierung irgendwelche Erklärungen darüber abgegeben, ob sie ihre Begründung, mit der sie das Aufstellen der Posten vor der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt hat, weiterhin als gültig und rechtlich bindend erachtet, oder hat sie die Posten nur stillschweigend wieder abgezogen, ohne der Bundesregierung irgendwelche Auskünfte zu geben?
Wischnewski, Staatsminister: Diese Frage wird dann behandelt werden, wenn die Prüfung des Aide-mémoires abgeschlossen ist und die Entscheidung gefällt wird, in welcher Form darauf reagiert wird.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 100 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Liegen der Bundesregierung Informationen vor, daß der Ständige Vertreter der DDR-Regierung in Bonn, Michael Kohl, im Auftrag der sowjetischen Geheimpolizei an der Zerschlagung freiheitlicher Regungen in der Universität Jena beteiligt war?
Wischnewski, Staatsminister: Frau Präsidentin, ich würde gerne beide Fragen im Zusammenhang beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Reddemann auf:
Handelt es sich bei dem Ständigen Vertreter der DDR-Regierung in Bonn, Michael Kohl, um jenen Michael Kohl, der Anfang der 50er Jahre offizieller Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit bei der Landesleitung des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Landesverband Thüringen, Weimar, Friedrich-Engels-Ring 63, war?
Wischnewski, Staatsminister: Der Leiter der Ständigen Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik, Dr. Michael Kohl, ist offizieller Vertreter der DDR in der Bundesrepublik Deutschland. Es entspricht nicht den Gepflogenheiten, über die Person des offiziellen Vertreters eines anderen Staates im Parlament des Empfangsstaates zu diskutieren. Die Bundesregierung gedenkt, sich daran zu halten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gäbe mir die Bundesregierung recht, wenn ich feststellte, daß es nicht nur ein unfreundlicher, sondern ein beleidigender Akt ist, wenn eine Regierung einer anderen Regierung einen Ständigen Vertreter schickt, der nicht nur allgemein an der Sowjetisierung Mitteldeutschlands teilgenommen hat, sondern speziell als sowjetischer Polizeispitzel tätig gewesen ist?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe bereits zum Ausdruck gebracht, daß sich die Bundesregierung an dieser öffentlichen Diskussion nicht beteiligt.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, soll das bedeuten, daß sich die Bundesregierung nicht vergewissert hat, wen die DDR-Regierung als Zeichen ihres guten Willens als Ständigen Vertreter hierher gesandt hat?
Wischnewski, Staatsminister: Die Bundesregierung hat das getan, was in solchen Fällen üblich ist. Ich habe dem, was ich zu Beginn gesagt habe, nichts hinzuzufügen.
Bitte schön, noch eine Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung dann wenigstens nichtöffentlich die behaupteten Vorgänge um Michael Kohl klären?
Wischnewski, Staatsminister: Ich habe dem, was ich zu Beginn gesagt habe, nichts hinzuzufügen.
Ich darf mich bei Herrn Staatsminister Wischnewski bedanken.Ich rufe die Frage 104 des Herrn Abgeordneten Schäfer aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf.Welche „politischen, technischen und wirtschaftlichen" Gründe im einzelnen haben die Bundesregierung bewogen, bis heute nicht in Verhandlungen mit der Regierung der Vereinigten Staaten über die Möglichkeiten einer Entsorgung deutscher Kernkraftwerke in den USA einzutreten?Zur Beantwortung dieser aufgerufenen Frage steht Herr Staatsminister von Dohnanyi aus dem Auswärtigen Amt zur Verfügung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 499
Herr Kollege, die Überlegungen über die mit der Entsorgung zusammenhängenden Fragen sind weder in der Bundesrepublik noch in den Vereinigten Staaten abgeschlossen. Die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten kann deswegen erst im Rahmen des Gesamtkonzepts behandelt werden.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, Herr Staatsminister, daß die in der ursprünglichen Frage angesprochene Entscheidung, in Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten einzutreten, von der Bundesregierung bislang nicht getroffen worden ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich will wiederholen: Erst muß das Konzept der Entsorgung sowohl in den Vereinigten Staaten als auch hier klar genug sein, um eine entsprechende Behandlung überhaupt zu ermöglichen.
Weitere Zusatzfrage.
Bezieht die Bundesregierung in ihre diesbezüglichen Überlegungen ein, daß dem Weißen Haus seit einigen Monaten in dem sogenannten Free Report vorgeschlagen wird, auch abgebrannte Brennelemente aus anderen Ländern in den Vereinigten Staaten zu lagern?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, dies ist bekannt. Aber es ist ebenso bekannt, daß es zu diesen Vorschlägen auch in den Vereinigten Staaten unterschiedliche Auffassungen gibt. Die Verhandlungen werden erst sinnvoll, wenn sich auch dort das Konzept geklärt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung über ein solches Gesamtkonzept für die Entsorgungsproblematik verfügen kann?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die zuständigen Ressorts und die Bundesregierung haben zu dieser Frage an verschiedenen Stellen Auskunft gegeben. Wie Sie wissen, handelt es sich um ein äußerst kompliziertes Problem. Ich glaube, man kann zu diesem Zeitpunkt keinen endgültigen Termin nennen, bis zu dem diese sehr schwierige Frage befriedigend beantwortet sein wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatsminister, darf ich aus Ihren Ausführungen schließen, daß auch innerhalb der Bundesregierung keine Einheitlichkeit in der Auffassung zu dieser Frage besteht?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, diesen Schluß dürfen Sie auf keinen Fall ziehen. Die Tatsache, daß zu bestimmten Fragen auch in der Bundesregierung noch diskutiert wird, bedeutet nicht, daß es Meinungsverschiedenheiten gibt, sondern, wie ich dem Kollegen eben sagte, daß diese Frage eine komplizierte Frage ist und ein endgültiges Konzept noch nicht vorliegt.
Herr Kollege Hasinger, eine Zusatzfrage.
Zuvor möchte ich aber Sie alle bitten, sich jeweils rechtzeitig an ein Mikrophon zu begeben; denn es ist sehr schwer, plötzlich aufspringende Kollegen zu berücksichtigen.
Herr Staatsminister, wäre es nicht sinnvoll, die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also schon jetzt, zu beginnen, bevor sich dort drüben Verfestigungen ergeben?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, bezüglich des frühestmöglichen Zeitpunkts könnte ich Ihnen zustimmen, wenn man solche Verhandlungen führen will. Aber der frühestmögliche Zeitpunkt sollte eben der sein, zu dem die Konzeptionen — ich unterstreiche: auf beiden Seiten, insbesondere auch auf der amerikanischen Seite — klar genug sind, um solche Gespräche sinnvoll erscheinen zu lassen.
Die Fragen 105 und 106 werden auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten Gierenstein auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird ebenso wie Frage 108 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Fragen 109, 110 und 111 werden auf Bitten der Fragesteller ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe nunmehr die Frage 112 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:Trifft es zu, daß Ost-Berlin die Internationale Konvention über zivile und politische Rechte — die auch für die „DDR" verbindlich geworden ist — so interpretiert, daß sie keinen völkerrechtswirksamen Anspruch auf Auswanderungsfreiheit begründet, und welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung gegebenenfalls für ihre künftige Vertragspolitik aus einer Auffassung, die die völkerrechtliche Möglichkeit zur Begründung individueller Rechte leugnet?Bitte schön, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es trifft zu, daß die DDR den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, der am 23. März 1976 in Kraft getreten und auch von der DDR ratifiziert worden ist, restriktiv interpretiert. Dies gilt auch für die Auswanderungsfreiheit.Die Auffassung der DDR läuft offenbar darauf hinaus, daß internationale Vereinbarungen wie der er-
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500 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Staatsminister Dr. von Dohnanyiwähnte Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht direkt Menschenrechte als subjektive Rechte gegenüber dem Staat begründen, sondern daß Individualrechte des einzelnen Bürgers gegenüber dem Staat erst auf Grund entsprechender innerstaatlicher Gesetze entstehen.Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das materielle Ziel des internationalen Pakts über die bürgerlichen und politischen Rechte allerdings nicht erreicht werden kann, wenn bei dieser Umsetzung in innerstataliches Recht die subjektiven Rechte des einzelnen unangemessen eingeschränkt werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, läßt sich diese Haltung nach Ansicht der Bundesregierung mit Geist und Buchstaben der KSZE-Dokumente von Helsinki in Einklang bringen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte Ihre Frage etwas differenzieren. Mit dem Geist, so meinen wir, nein. In der Frage des Buchstaben beruft sich die DDR — da liegen uns Unterlagen vor — auf den Artikel 19 des Paktes, der hinsichtlich der Umsetzung in innerstaatliches Recht eine Reihe von Detailvorgaben gibt. Wir meinen allerdings, daß dies eben mit dem Geist des Paktes so nicht vereinbar ist.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, was wird die Bundesregierung tun, um die Identität des Verhaltens der DDR mit dem Geist von Helsinki herzustellen, und wird sie insbesondere in Belgrad dieses Problem zur Sprache bringen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bundesregierung wird wie bisher alle ihre politischen Möglichkeiten einsetzen, um die Verwirklichung von Menschenrechten zu ermöglichen. Sie wird sich dabei — wie in der Vergangenheit — in erster Linie von der Wirksamkeit des Handelns bestimmen lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben hier das restriktive Verhalten der DDR noch einmal interpretiert und bestätigt. Gibt es Parallelfälle, in denen sich andere Staaten genauso restriktiv verhalten wie die DDR angesichts der Ratifizierung des Inkrafttretens der Menschenrechtspakte nach dem 23. März 1976?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, Sie haben eben selber das Datum des 23. März 1976 noch einmal genannt. Die Frist ist kurz, und ich kann hier im Augenblick nicht feststellen, wie diese Interpretation und die innerstaatliche Umsetzung in den übrigen Teilnehmerstaaten erfolgt ist. Ich bin aber gerne bereit, Herr Kollege, Ihnen darüber zu einem späteren Zeitpunkt Auskunft zu geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger .
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung angesichts der ihr bekannten Haltung der DDR, daß die Bestimmung dieses Paktes keine unmittelbare Rechtswirkung zwischen dem Bürger und seinem Staat erzeuge, meine Auffassung, daß dann — jedenfalls nach den Bestimmungen des Paktes und nach den Abschlüssen von Helsinki — eine Pflicht der DDR besteht, diese Pakte durch geeignete Schritte in der Weise in innerstaatliches Recht umzusetzen, daß dann tatsächlich Rechtsansprüche des Bürgers gegen seinen Staat entstehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, ich habe zuvor gesagt, daß die Bundesregierung der Auffassung ist, daß eine Umsetzung des Paktes in innerstaatliches Recht natürlich im Sinne des Geistes dieses Paktes geschehen sollte, so daß dadurch auch entsprechende innerstaatliche Rechte hergestellt werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wittmann.
Stellt diese Ihnen von der DDR gegebene Interpretation des Paktes nicht eine völkerrechtliche Verletzung im Sinne des Paktes über zivile und politische Rechte dar, wobei ich nicht auf das innerstaatliche Recht der DDR abstelle?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte mich hier nicht zum Anwalt und juristischen Interpreten einer möglichen anderen Rechtsauffassung machen. Aber — um es so auszudrükken — es gibt auch hierüber Meinungsverschiedenheiten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß seit der Ratifizierung des Weltpaktes für bürgerliche und politische Rechte die Menschenrechte und deren Verletzung keinesfalls nur Angelegenheiten innerstaatlicher Souveränität sind?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich habe darauf hingewiesen, daß auf Grund des Paktes nach Auffassung der DDR eine innerstaatliche Umsetzung die Voraussetzung für die Schaffung subjektiven Rechts ist. Es geht um diese Umsetzung der völkerrechtlichen Vereinbarungen in innerstaatliches Recht, die erst dann subjektives Recht des einzelnen Bürgers der DDR herstellen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 501
Staatsminister Dr. von Dohnanyiwürden. Dies ist die Kernfrage, und zur juristischen Implikation habe ich soeben bereits eingehend geantwortet.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 113 und 114 des Herrn Abgeordneten Fuchs werden, da der Fragesteller nicht im Saal ist, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Coppik auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele deutsche Staatsbürger seit dem Militärputsch vom 24. März 1976 in Argentinien inhaftiert wurden, wie viele bisher wieder freigelassen wurden, gegen wie viele in der Zwischenzeit ein Gerichtsverfahren mit welchen Anklagen eröffnet wurde?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Frau Präsidentin, darf ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten?
Wenn der Herr Abgeordnete damit einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 116 auf:
Welche diplomatischen Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um die im Zuge des Militärputsches in Argentinien verhafteten Deutschen wieder auf freien Fuß setzen zu lassen, und in wie viel Fällen hat sie damit Erfolg gehabt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Der Bundesregierung sind diese Zahlen bekannt. Ich möchte vorschlagen, daß ich Ihnen, Herr Kollege, die Einzelheiten schriftlich übergebe, weil sie länger sind. Ich habe einen entsprechenden Brief für Sie in der Sache geschrieben; die Zahlen liegen also vor.
Wie Sie wissen, erfolgt die Betreuung deutscher Staatsangehöriger im Ausland und die Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber dem jeweiligen Aufenthaltsstaat durch die Auslandsvertretungen im Rahmen der beiden Wiener Übereinkommen von 1961 und 1963, nach dem Konsulargesetz und den dazu erlassenen Dienstvorschriften und, wenn nötig, auf Grund von Einzelanweisungen des Auswärtigen Amtes, z. B. durch Verbalnoten, persönliche Demarchen des Missionschefs oder anderer Missionsangehöriger im Außenministerium oder durch Kontaktaufnahme mit anderen Stellen bzw. entsprechenden Persönlichkeiten. Dies geschieht auch bei den in Argentinien inhaftierten deutschen Staatsangehörigen. Deswegen habe ich hier eine ausführliche Liste vorgetragen. In zehn Fällen ist die Entlassung inhaftierter Deutscher weitgehend auf die Intervention unserer Botschaft in Buenos Aires zurückzuführen; aber auch in weiteren sechs Fällen war ihre Aktivität in starkem Maße Ursache für die Freilassung der betreffenden Deutschen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, auch wenn Sie die Zahlen jetzt nicht ausdrücklich nennen können,
frage ich, ob Sie mir dann wenigstens sagen können, in wieviel Fällen eine Intervention seitens der deutschen Botschaft erfolgte, ohne daß eine Freilassung der Inhaftierten die Folge war.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Coppik, diese Zahl liegt mir nicht vor. Wir haben nicht überprüft, in wieviel Einzelfällen tatsächlich Interventionen erfolgt sind. Ich nannte die verschiedenen Anlaufstellen in Buenos Aires, die in Frage kommen. Ich fürchte auch, daß eine Zählung dieser Vorgänge schwierig sein wird; ich will mich bemühen, die Zahl für Sie zu ermitteln.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 117 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 118 des Herrn Abgeordneten Hupka auf:
Treffen Meldungen zu, daß im Januar 1977 ausreisewillige Deutsche in der Sowjetunion verhaftet worden sind, ihren Arbeitsplatz verloren haben oder am Betreten der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland gewaltsam gehindert worden sind, und, wenn ja, um wie viele Deutsche handelt es sich?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich darf annehmen, daß sich Ihre Anfrage auf eine dpa-Meldung vom 7. Januar 1977 bezieht, und ich möchte Sie bitten, mir zu erlauben, da ich dieselbe Frage schon einmal Ihrem Fraktionskollegen Graf Stauffenberg beantwortet habe, daß ich Sie auf diese Antwort verweise. Ich übergebe Ihnen gern die schriftliche Antwort, um diese hier nicht noch einmal verlesen zu müssen.
Eine Zusatzfrage.
Es tut mir leid, daß ich gegen die Praxis Einwendungen erheben muß; denn Graf Stauffenberg ist nicht da. Also konnte seine Frage nicht beantwortet werden. Da ich nicht von den Gaben des Heiligen Geistes erleuchtet bin, kenne ich den Text nicht.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, die Frage wurde am 20. Januar 1977 schriftlich beantwortet. Wenn ich richtig informiert bin, Frau Präsidentin, so ist die Antwort inzwischen abgedruckt. Der Heilige Geist mag zwar für manche Vorgänge notwendig sein, aber nicht für die Lesung von Bundestagsdrucksachen, Herr Kollege Hupka.
Herr Kollege, es steht Ihnen frei, zur nächsten Fragestunde nach Kenntnis der früheren Beantwortung erneut eine Frage zu stellen.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich kann Ihnen den Brief gerne geben. Ich bin auch bereit, ihn hier nochmal zu verlesen. Aber er datiert vom 20. Januar, als schriftliche Beantwortung an den Grafen Stauffenberg zum selben Vorgang.
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502 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Ich bitte um Entschuldigung. Aber das ist eine Frage vom Grafen Stauffenberg, die sich auf diesen Vorgang bezieht. Die kann doch nicht vor der Einreichung der Frage beantwortet worden sein. Das sind Fragen für den 2. und 3. Februar. Hier muß irgendwie jemand auf der Leitung stehen.
Herr Staatsminister, haben Sie die Antwort da? Dann wäre es die einfachste Methode, sie hier zu verlesen.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich bedanke mich. Herr Kollege Hupka, ich habe mit Datum vom 20. Januar an den Kollegen Graf Stauffenberg geschrieben:
Von den in der dpa-Meldung angeführten Namen sind der Botschaft bisher die Ausreisebemühungen von zwei der Betroffenen zur Kenntnis gekommen.
— Inzwischen sind, wenn ich das nachtragen darf, alle vier bekannt. —
Aus der Gegend um Alma-Ata liegen uns seit Jahren Meldungen vor, wonach eine größere Anzahl von deutschstämmigen Familien sich um eine Ausreise bemühen. Verschiedentlich wurde auch bekannt, daß diese Familien, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, ihre Pässe sowjetischen Behörden zurückgeben. Diese haben in einigen wenigen Fällen dem Ausreisebegehren stattgegeben, in anderen uns bekannten Fällen jedoch verhalten sie sich restriktiv und ablehnend.
Die Botschaft Moskau hat bisher die ihr bekannten Ausreisebemühungen der Betroffenen mit Beratung und Hilfe unterstützt und wird auch in Zukunft alle Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen, nutzen. Unsere Vertretung legt dabei auch besonderes Gewicht auf die einschlägigen Aussagen der Schlußakte von Helsinki.
Zusatzfrage?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Aussiedlungswillige gar nicht bis zu unserer Botschaft in Moskau vordringen können und daß sie, wenn sie einmal nach Moskau gefahren sind, nachher sehr bedenkliche Nachteile in Kauf nehmen müssen, weil sie die Reise nach Moskau angetreten haben, um unsere Botschaft zu betreten?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, Vorgänge dieser Art sind auch der Botschaft, sind auch der Bundesregierung berichtet worden. Auf der anderen Seite möchte ich unterstreichen, daß hinsichtlich der Familienzusammenführung z. B. gerade während des letzten Jahres ein ganz erheblicher Zuwachs zu verzeichnen war. Hier allerdings bemerken wir das restriktive Verhalten.
Weitere Zusatzfrage?
Sie haben, Herr Staatsminister, ich glaube auch zu Recht, auf die KSZE- Schlußakte abgehoben und darauf, daß das Verhalten der Sowjetunion dazu in Widerspruch stehe. Wie reagiert nun die Bundesregierung auf diesen Widerspruch zwischen Text und tatsächlichem Verhalten einer der Signatarmächte dieser Schlußakte?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung versucht, wie Sie wissen, Herr Kollege, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und mit dem Ziel, wirksam sein zu können, zu helfen. Sie wird das auch in diesen Fällen, wie ich gesagt habe, weiterhin tun.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatsminister, hält es die Bundesregierung nicht für erforderlich, im Laufe der nächsten Zeit einmal einen Bericht über die wachsende Dissonanz zwischen Geist und Wirklichkeit der Ausführung der Verträge vorzulegen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, wir werden ja im Laufe des Sommers bzw. des Herbstes dieses Jahres in Belgrad eine Überprüfungskonferenz über die Ergebnisse von Helsinki haben. Diese Konferenz wird Gelegenheit geben, die Standpunkte aller Seiten zu hören und vorzutragen. Bei der Gelegenheit wird sicherlich auch über solche Fälle gesprochen werden.
Keine weitere Frage. Dann rufe ich Frage 119 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:Wird die Bundesregierung eine Demarche bei der Regierung der CSSR dahin gehend erheben, die nach Artikel 19 des Weltpakts für bürgerliche und politische Rechte menschenrechtswidrigen Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Unterzeichner der „Charta 77" zu unterlassen, nachdem die Bundesregierung willens ist, die Bestimmungen des Weltpakts „in vollem Umfang zur Anwendung zu bringen" und es Recht eines jeden Vertragsstaats ist — das nicht durch die besondere Regelung der Staatenbeschwerde nach Artikel 41 des Pakts ausgeschlossen wird —, die Beendigung von Vertragsverletzungen auch im zweiseitigen Verhältnis zu fordern (Antwort auf meine Frage vom 10. Dezember 1976)?Bitte, Herr Staatsminister.Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Die Bundesregierung ist der Meinung, daß das Verhalten der Regierung der CSSR gegenüber den Unterzeichnern der Charta 77 mit dem Geist des internationalen Paktes für bürgerliche und politische Rechte nicht vereinbar ist.Die Bundesregierung teilt jedoch nicht Ihre Auffassung, Herr Kollege, daß dieser Tatbestand bereits zwingend eine Rechtsgrundlage für die von Ihnen vorgeschlagenen Schritte darstellen würde. Die Bundesregierung ist in erster Linie an der Wirksamkeit ihres Handelns für die Menschenrechte interessiert, und sie wird die ihr zur Verfügung stehenden politischen Möglichkeiten auch zukünftig ausschöpfen, um Entwicklungen für Meinungsfrei-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 503
Staatsminister Dr. von Dohnanyiheit und zur Verwirklichung der Menschenrechte zu unterstützen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, welche rechtlichen oder politischen Hindernisse sieht die Bundesregierung dagegen, daß sie ähnlich wie ihr verbündete freiheitliche Staaten reagiert, beispielsweise wie Großbritannien, das den tschechoslowakischen Botschafter einbestellte und eine Demarche gegen die Verletzung des Menschenrechtspaktes der UNO und der feierlichen Erklärung von Helsinki erhob, oder das amerikanische Außenamt, das diese Unterdrückung öffentlich scharf mißbilligte, oder wie die norwegische und andere Regierungen, und halten Sie das nicht für wirksam?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich habe eben an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß nach unserer Auffassung das Verhalten der Regierung der CSSR nicht in Übereinstimmung mit den von Ihnen genannten Grundlagen ist. Ich habe also in dieser Beziehung für die Bundesregierung eindeutig Stellung genommen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, nachdem die Bundesregierung in einer früheren Fragestunde erklärt hatte, daß sie alle zulässigen Maßnahmen gegen die Verletzung des Menschenrechtspaktes der UNO in vollem Umfang zur Anwendung bringt, frage ich, warum sie die Möglichkeiten des Völkerrechts — Einzeldemarchen, Kollektivdemarchen, Schadenersatzansprüche, sonstige friedliche und zulässige Retorsionsmaßnahmen — nicht anwenden will, nachdem sich das Auswärtige Amt in einer Fragestunde ausdrücklich zu der Pflicht bekannt hat, auf Grund des Weltpaktes im zweiseitigen Verhältnis die Unterlassung der Durchführung von Maßnahmen zum Schutze der Menschenrechte zu rügen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, ich will noch einmal unterstreichen: das ist es, was auch an dieser Stelle eben geschehen ist. Aber es ist fraglich, ob die von Ihnen vorgeschlagenen Schritte wirklich die Rechtsgrundlage geben, von der Sie meinen, daß sie besteht. Ich hielte es nicht für zweckmäßig, mich jetzt hier darüber auszubreiten, welche völkerrechtlichen Gegenargumente eventuell vorgebracht werden könnten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, Sie haben in der Antwort vorhin gesagt, daß die Bundesregierung bezüglich der Charta 77 — wörtlich — ihre „politischen Möglichkeiten ausschöpfen" wird. Könnten Sie das ein bißchen mit Inhalt ausstatten und sagen, was Sie unter „politische Möglichkeiten ausschöpfen" verstehen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Möglichkeiten der Bundesregierung sind hier in erster Linie politische. Darauf wies ich soeben hin. Wir werden unter anderem im Zusammenhang mit der bereits angesprochenen Konferenz den einzelnen Tatbeständen nachgehen. Im übrigen hat die Bundesregierung zu dem Sachverhalt auch hier eine eindeutige Position bezogen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß durch den Pakt über politische und zivile Rechte das humanitäre Interventionsrecht praktisch über das Schutzrecht für eigene Staatsangehörige hinaus erweitert worden ist, daß also unter Hinweis auf diesen Pakt auch für nichtdeutsche Staatsangehörige interveniert werden kann?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, Sie haben eben Ihre Interpretation des Völkerrechts gegeben. Ich habe vorhin schon darauf hingewiesen, daß von anderer Seite auch andere Interpretationen vorliegen. Ich möchte an dieser Stelle nicht eine Debatte über die Möglichkeiten rechtswissenschaftlicher Positionen in der einen oder anderen Form führen. Wichtig ist die eindeutige politische Stellungnahme, und die habe ich hier abgegeben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, nachdem Sie die Frage des Kollegen Czaja nach einer Erklärung der Bundesregierung damit beantwortet haben, Sie hätten diese Erklärung namens der Bundesregierung jetzt in Ihrer Antwort auf seine Frage abgegeben, möchte ich gerne wissen, ob Sie meine Auffassung teilen, daß die Opposition durch ihre Frage der Bundesregierung eine wirkungsvolle Unterstützung insofern gegeben hat, als sie Ihnen die Möglichkeit eröffnete, diese Erklärung hier abzugeben.
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, wenn ich mich richtig erinnere, habe ich „auch" hier gesagt: Es ist an verschiedener Stelle bereits auf unsere Auffassung in diesen Menschenrechtsfragen, auch hinsichtlich der Charta 77, hingewiesen worden. So sehr ich Ihre Unterstützung begrüße — sie ist nicht Ursache für unsere Position.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 120 des Herrn Abgeordneten Jäger auf:Muß aus der Antwort der Bundesregierung auf meine Frage nach konkreten Schritten zur Vorbereitung der KSZE-Prüfungskonferenz in Belgrad der Schluß gezogen werden, daß es solche
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504 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Vizepräsident Frau Funckekonkreten Schritte bislang nicht gegeben hat, und um welche Schritte handelt es sich verneinendenfalls im einzelnen?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es hat selbstverständlich derartige Vorbereitungen gegeben. Ich nenne u. a. Schritte im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, in der NATO, im Europarat, im Wirtschaftsausschuß der Vereinten Nationen in Genf, aber auch in bilateralen Gesprächen mit den Teilnehmerstaaten in West und Ost.Die Bundesregierung wird also auch für die Konferenz in diesem Jahr das im Ergebnis von Helsinki erprobte Verfahren enger Konsultationen insbesondere mit unseren Freunden und Verbündeten praktizieren.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hat die Bundesregierung, um nur einen besonders wichtigen Fall herauszugreifen, mit der DDR oder mit osteuropäischen Nachbarstaaten — z. B. in Gesprächen über das in Helsinki in Korb III der Schlußakte niedergelegte Recht auf Reisen aus beruflichen oder persönlichen Gründen von Staatsangehörigen aller Unterzeichnerstaaten — Verhandlungen mit dem konkreten Ziel geführt, dieses Recht nun in praktische Taten dieser Staaten umzusetzen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Jäger, in allen diesen Gesprächen oder Konsultationen werden alle Vorgänge dieser Art angesprochen. Aber ich glaube nicht, daß es gut wäre, an dieser Stelle dem Ergebnis der Konsultationen und Gespräche vorzugreifen.
Eine weitere Frage, Herr Jäger.
Darf ich noch einmal präzisierend fragen, Herr Staatsminister: Mit welchen Staaten, bei denen dieses Recht nun für uns im Interesse der Menschen besonders erstrebenswert wäre, sind bisher schon über diesen bestimmten Punkt des Korbes III der Schlußakte Gespräche und Verhandlungen geführt worden?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Ich hatte vorhin gesagt, Herr Kollege Jäger: mit Staaten in West und Ost. Es ist mit einer Reihe von Staaten in Osteuropa, auch übrigens mit der DDR, über Vorgänge dieser Art gesprochen worden. Aber ich möchte, wie gesagt, hier nicht dem Ergebnis der Konsultationen und Gespräche und damit auch der Position, die bei der Konferenz einzunehmen sein wird, vorgreifen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lenz.
Herr Staatsminister, würde die Bundesregierung den Nichterlaß von innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die den Inhalt des Korbes III in innerstaatliches Recht transformieren, als eine Verletzung der dort eingegangenen Verpflichtungen ansehen, und würde sie einen solchen Sachverhalt auf der KSZE-Prüfungskonferenz in Belgrad zur Sprache bringen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Soweit innerstaatliches Recht notwendig ist, Herr Kollege, um diesen Inhalt umzusetzen — das ist ja nicht überall und nicht für alle Vorgänge der Fall —, würden wir in der Tat die Erfüllung der Vereinbarungen darin sehen, daß derartiges innerstaatliches Recht geschaffen wird.
Und würde sie die Nichterfüllung bis zum Augenblick der KSZE- Prüfungskonferenz zum Anlaß nehmen, diesen Sachverhalt zur Sprache zu bringen?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Diese Sachverhalte, Herr Kollege Lenz, sind zur Sprache gebracht worden. Es kommt allerdings der Bundesregierung in erster Linie auf die Wirksamkeit für die Menschen und nicht auf politische Deklarationen an.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, ich will Ihr Wort, daß es auf die Wirksamkeit für die Menschen ankommt, gleich aufgreifen: Kann die Bundesregierung der Öffentlichkeit auch schon den kleinsten Erfolg mitteilen, nachdem sie seit dem 1. August 1975 ständig in Konsultation mit den anderen Signatarmächten der Schlußakte von Helsinki ist?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege Hupka, ich kann an dieser Stelle nicht die ganze Bilanz ausbreiten, aber ich habe vorhin schon u. a. auf die Familienzusammenführung und auch auf die Reisen Bezug genommen, und ich glaube, Frau Präsidentin, wenn die Zahlen hier im einzelnen verlangt werden, müßte man dazu eine gesonderte Frage stellen.
Keine weitere Frage.Ich rufe Frage 121 des Herrn Abgeordneten Dr. Schwenke auf:Trifft es zu, daß — wie in der polnischen Zeitung „Zycie Warszawy" vom Anfang Dezember 1976 gemeldet wurde — drei polnischen Persönlichkeiten, dem Sejm-Abgeordneten Osmanczyk, Prof. Dr. Pilichowski und dem Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften Markiewicz, die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht gestattet wurde, und wenn ja, welche Überlegungen haben die Bundesregierung zu dieser Maßnahme bestimmt?Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Es trifft nicht zu, daß dem polnischen Abgeordneten Edmund Osmanczyk, dem polnischen Professor Pilichowski und Herrn Markiewicz die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht gestattet worden ist. Vielmehr war die Prüfung der Sichtvermerksanträge bis zum Zeitpunkt der Nürnberger Verhandlungen ge-
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Staatsminister Dr. von Dohnanyigen die Verbrecher der Militärjunta in Chile in Nürnberg und Bonn am 24. und 26. November 1976 nicht abgeschlossen.Die Notwendigkeit einer eingehenden Prüfung der Sichtvermerksanträge hat nicht in der Person der Antragsteller gelegen. Im Rahmen der bilateralen Beziehungen mit Polen steht einer Einreise der genannten Persönlichkeiten nichts im Wege. Sie sind uns — ich unterstreiche das — ganz im Gegenteil willkommen.
Eine Zusatzfrage.
Danke, Herr Staatsminister. Ist damit gesichert, daß der nächste Antrag, der meines Wissens schon läuft, umgehend beantwortet wird, ohne daß wieder eine solche große Verzögerung eintritt?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, die Bearbeitung der Sichtvermerke ist jeweils ein besonderer Vorgang. Aber ich unterstreiche noch einmal, daß die genannten Herren uns willkommen sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatsminister, beziehen sich Ihre Erklärungen über das Willkommensein des Herrn Osmanczyk auch auf seine von ihm selbst in einem Buch veröffentlichten Maßnahmen völkerrechtswidriger Art gegen die deutsche Bevölkerung, an denen er 1945/46 beteiligt war?
Dr. von Dohnanyi, Staatsminister: Herr Kollege, ich wiederhole, was ich sagte: Die Verzögerung bei den Sichtvermerken hat nichts mit der Person der Betroffenen zu tun. Die Herren sind uns willkommen.
Keine weitere Frage. Dann sind wir am Ende der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister von Dohnanyi.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Die Fragen 34 und 35 werden auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen dann zur Frage 36 des Abgeordneten Ziegler. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 37 des Abgeordneten Schedl auf. — Da der Abgeordnete nicht im Saal ist, wird diese Frage ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Zu Frage 38 des Abgeordneten Löher hat der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Zu den Fragen 39 und 40 des Abgeordneten Dr. Evers hat der Fragesteller ebenfalls um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit rufe ich die Frage 41 des Abgeordneten Hasinger auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach dem Gesetz über die betriebliche Altersversorgung für die Ermittlung von Beiträgen an Pensionsversicherungsvereine unverhältnismäßig kostspielige mathematische Gutachten nötig sind, und wenn ja, welche Konsequenzen wird sie daraus ziehen?
Bitte schön.
Herr Kollege Hasinger, die in Ihrer Frage enthaltene Feststellung, die Ermittlung von Beiträgen an Pensionsversicherungsvereine erfordere — ich verdeutliche jetzt: im allgemeinen — unverhältnismäßig kostspielige mathematische Gutachten, ist in dieser Form nicht zutreffend. Die Ermittlung der Beiträge zur Insolvenzsicherung erfolgt vielmehr im wesentlichen reibungslos. Nur in wenigen Einzelfällen ist der Aufwand beanstandet worden, der für mathematische Gutachten gemacht worden ist.
Der Gesetzgeber hat gerade deshalb, um neue aufwendige Berechnungen zum Zweck der Insolvenzsicherung zu vermeiden, auf die Werte zurückgegriffen, die ohnehin für die Steuerveranlagung ermittelt und nachgewiesen werden müssen. So ist bei unmittelbaren Versorgungszusagen des Arbeitgebers der Teilwert der Pensionsverpflichtung nach dem Einkommensteuergesetz maßgebend. Die für die Steuerveranlagung angestellten Berechnungen können daher auch im Beitragsverfahren der Insolvenzversicherung weitgehend verwendet werden.
Das Gesetz schreibt ferner nicht vor, daß die Ermittlung der Beitragsbemessungsgrundlagen von einem selbständigen versicherungsmathematischen Sachverständigen erfolgen müßte. Vielmehr kann auch der Arbeitgeber selbst die Beitragsbemessungsgrundlage ermitteln, wenn ihm für steuerliche Zwecke bereits ein versicherungsmathematisches Gutachten vorliegt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, halten Sie es mit Ihrer Antwort für vereinbar, wenn in einem Einzelfall 601 DM Kosten für ein versicherungsmathematisches Gutachten angefallen sind, um einen Beitrag an die Pensionskasse von 215 DM auszurechnen, oder ist es hier nicht vielmehr so, daß Vernunft, Unsinn und Wohltat Plage wird?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Hasinger, hier geht es auch darum, inwieweit eine Beitragsgerechtigkeit herbeigeführt werden kann. Ich will nicht auschließen, daß es solche Einzelfälle
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Parl. Staatssekretär Buschfortgibt. Uns ist bekannt, daß sie insbesondere in gemeinnützigen Bereichen vorkommen können.Das ändert aber nichts daran, daß wir im großen und ganzen mit der bisherigen Handhabung zurechtkommen. In manchen Einzelfällen wäre sicherlich auch zu prüfen gewesen, ob diese Firma oder jene Organisation ein solches Gutachten nicht auch von der steuerlichen Seite her hätte ableiten können.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung wenigstens insofern eine Vereinfachung des Gesetzes für möglich, daß ein derartiges Gutachten, ob aus steuerlichen Gründen oder aus Gründen der betrieblichen Altersversorgung — nicht jede Firma verfügt über einen Versicherungsmathematiker und kann es selbst machen —, nur dann erforderlich ist, wenn sich die Zahl der bezugsberechtigten Arbeitnehmer verändert?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann die Erfahrungswerte, die die Insolvenzkasse gemacht hat, nicht jetzt hier ausbreiten. Meine Informationen gehen allerdings dahin, daß die Beitragsermittlung im wesentlichen reibungslos läuft. Ich bin gern bereit, das Beispiel, das Sie angeführt haben, noch einmal prüfen zu lassen und Ihnen dann eine Mitteilung zu machen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Horstmeier auf.
Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, die durchschnittlichen Arbeitsverdienste für die Berechnung der Verletzten- und Hinterbliebenenrenten in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, bisher 9 000 DM, anzuheben und gegebenenfalls wann und in welcher Höhe?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, die Festsetzung durchschnittlicher Jahresarbeitsverdienste in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung ist Aufgabe eines Ausschusses der Selbstverwaltung jeder landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft. Kraft Gesetzes hat eine Neufeststellung alle vier Jahre zu erfolgen. Dies bedeutet, daß die Ausschüsse für die ab 1. Januar dieses Jahres geltenden Durchschnittssätze neue Beschlüsse fassen müssen. Nach meinen Informationen ist davon auszugehen, daß die Vorarbeiten für die Neufestsetzung in vollem Gange sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung, wenn sie eine Anhebung auf Grund des Abstands zu den gewerblichen Renten für nötig hält, bereit und in der Lage, zusätzliche Bundesmittel in den Haushalt einzuplanen, damit dies möglich wird?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Horstmeier, dies ist nicht Bestandteil der Frage, und ich habe natürlich keine haushaltsplanmäßigen Überlegungen angestellt, sondern nur prüfen lassen, wer jetzt diese Neufestsetzung vorzunehmen hat. Ich gehe davon aus, daß zunächst einmal das eine getan und dann sicher auch die finanzielle Seite geprüft werden muß.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage 43 soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 44 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz auf.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Schwierigkeiten bei der Einführung eines einheitlichen Sicherheitszeichens für Prüfungen nach dem Maschinenschutzgesetz, über die die Zeitschrift „test" berichtet, und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um die Verbraucher über die Sicherheit von Maschinen, Geräten und Spielzeug durch die Hersteller ausreichend informieren zu lassen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, wenn es gestattet ist, würde ich die Fragen 44 und 45 gern zusammenhängend beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 45 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz auf.Wann beabsichtigt die Bundesregierung eine Überarbeitung des Maschinenschutzgesetzes mit dem Ziel, den Handel in das Gesetz einzubeziehen und damit der Gewerbeaufsicht zu ermöglichen, unsichere Maschinen, Geräte und Spielzeug, die vom Handel angeboten werden, aus dem Verkehr zu ziehen?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin! Die im Januar-Heft der Zeitschrift „test" erschienene Darstellung betreffend die Einführung eines einheitlichen Sicherheitszeichens ist zutreffend. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat im Hinblick auf die von Ihnen genannten Schwierigkeiten ein neues aussagefähiges Sicherheitszeichen „GS" = geprüfte Sicherheit entwikkeln lassen, das in Zukunft allen Prüfstellen nach dem Maschinenschutzgesetz zur Vergabe für geprüfte Geräte zur Verfügung stehen wird.Die Mehrheit der in der Trägergemeinschaft Sicherheitszeichen e. V. vertretenen Stellen ist bereit, den neuen Anlauf zur allgemeinen Einführung eines einheitlichen Sicherheitszeichens zu unterstützen. Verhandlungen mit der Trägergemeinschaft über Kombinationsmöglichkeiten bestehender Zeichen mit dem neuen Sicherheitszeichen sowie über neue Vergabemodalitäten stehen unmittelbar vor ihrem Abschluß.Als weiterer Schritt zur besseren Verbraucherinformation wird bei den zuständigen Landesverwaltungen erwogen, in gravierenden Fällen sicherheitstechnischer Beanstandungen die behördlichen Untersagungsverfügungen öffentlich bekanntzumachen.Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgendes bemerken:
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Parl. Staatssekretär BuschfortBei der Durchführung des Maschinenschutzgesetzes hat es sich in der Tat als Mangel herausgestellt, daß bereits beim Händler befindliche, als besonders gefährlich erkannte Geräte nicht aus dem Verkehr gezogen werden können. Im Unfallverhütungsbericht 1973 wurde hierüber bereits berichtet. Aus diesem Grund werden auf Anregung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur Zeit zwischen den Spitzenverbänden des Handels und der Industrie Vereinbarungen beraten, die auf eine stärkere Beachtung des Maschinenschutzgesetzes hinauslaufen.Durch die Verbände des Handels werden die Mitgliedsfirmen auf die Wichtigkeit des Maschinenschutzgesetzes für die Sicherheit der Verbraucher hingewiesen.Durch Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sollen die Lieferanten verpflichtet werden, die Bestimmungen des Maschinenschutzgesetzes einzuhalten und die Erzeugnisse möglichst durch die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung anerkannten Prüfstellen auf Sicherheit prüfen zu lassen. Schließlich soll in den neuen Einkaufsbedingungen ein Rückgaberecht eingeführt werden, nach dem die Handelsfirmen von der Aufsicht wegen Sicherheitsmängeln beanstandete Geräte an Hersteller oder Einführer zurückgeben können.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die Unterstützung durch die Bundesländer auf diesem dornenreichen Feld, für das die Bundesländer ja gewisse Durchführungszuständigkeiten haben?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich sagte bereits vorhin, daß wir hoffen, nun bald zu einem Abschluß kommen zu können. Es ist richtig: hier sind viele Interessen berührt; die Länder sind beteiligt, und die einzelnen Verbände und Organisationen sind beteiligt. Wir dürfen aber davon ausgehen, daß die Beratungen trotz aller Schwierigkeiten, die uns über lange Zeit begleitet haben, nun zu einem Abschluß geführt werden können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hält die Bundesregierung Befürchtungen des Zentralverbandes der Elektroindustrie für berechtigt, daß das Streben nach einem einheitlichen Sicherheitszeichen zu einer Fülle von Sicherheitszeichen führen wird, die dann von den einzelnen Handelsorganisationen in Kraft gesetzt werden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, gerade zur Beseitigung des bestehenden Zeichenwirrwarrs hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Initiative ergriffen, um ein einheitliches, aussagekräftiges Sicherheitszeichen einzuführen. Ich will gern eingestehen, daß hier noch eine kleine Überschneidung mit dem „VDE"-
Zeichen erkennbar ist. Wir streben aber an, daß das Sicherheitszeichen „GS" und das gut eingeführte „VDE"-Zeichen in eine vernünftige Verbindung gebracht werden. Wir sind der Auffassung, daß der zum Teil aus geschäftlichen Gründen herbeigeführte Wirrwarr abzubauen ist, und wir wollen uns ganz darauf konzentrieren, daß alle Prüfstellen, auch die bei den Versandhäusern, darauf festgelegt werden, zukünftig ein einheitliches Prüfungszeichen zu verwenden.
Eine weitere Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Angesichts der Tatsache, daß jährlich 10 000 bis 12 000 Unfälle in Haushalten durch schadhafte Haushaltsmaschinen, schadhaftes oder ungeeignetes Kinderspielzeug und ähnliches passieren, frage ich Sie: Welchen zeitlichen Rahmen setzt sich die Bundesregierung, um ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir gehen davon aus, daß diese Verhandlungen sehr bald abgeschlossen werden können. Ich will aber auch hier deutlich sagen: das ist immer noch eine Spekulation. Sollte sich herausstellen, daß wir nicht zügig zu einem Abschluß kommen, werden wir wohl doch gehalten sein, dann eine gesetzliche Initiative herbeizuführen, die genau diese Unfallträchtigkeit und diesen Wirrwarr unterbindet.
Letzte Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun nützt gerade auf dem Verbraucherschutzfeld das beste Gesetz nichts, Herr Staatssekretär, wenn man nicht die Durchführung gewährleisten kann. Ist daran gedacht, die Gewerbeaufsichtsämter und die Bundesländer zur Unterstützung eines solchen Verfahrens heranzuziehen und hierfür ein bißchen die Werbetrommel zu rühren?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, wir sind bei der gesamten Unfallbekämpfung auf die Mithilfe der Länder, der Gewerbeaufsichtsämter, der Berufsgenossenschaften usw. angewiesen. Ich gehe davon aus, daß auch die Länder daran interessiert sind, interessiert sein müssen, unfallverhütend tätig zu werden. Sicherlich werden die Arbeits- und Sozialminister der Länder jeweils darauf hinwirken, daß sich die Gewerbeaufsichtsämter dieser Frage besonders annehmen.
Keine weitere Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Lampersbach auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Zweckmäßigkeit des § 1249 RVO unter dem Gesichtspunkt, daß den Versicherten die Versicherungszeiten, die sie vor dem 1. Januar 1924 erbracht haben, unter bestimmten Voraussetzungen aberkannt werden und den Sozialgerichten eine Umgehung der bestehenden Rege-
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Vizepräsident Frau FunckeLungen nicht möglich ist, zumal der Kreis der davon Betroffenen immer kleiner wird, und ist die Bundesregierung bereit, den § 1249 RVO in absehbarer Zeit ganz zu streichen, und was spricht dagegen?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, die von Ihnen angesprochene Regelung des § 1249 der Reichsversicherungsordnung und die entsprechenden Regelungen in den anderen Rentengesetzen sehen gewisse Einschränkungen bei der Anrechnung von Versicherungszeiten vor 1924 vor. Betroffen hiervon sind Personen, die insgesamt keine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt und in der Zeit vom 1. Januar 1924 bis zum 30. November 1948 keinen Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet haben.Personen, denen auf Grund dieser Regelung die Versicherungszeiten vor 1924 nicht angerechnet werden, können nunmehr schon seit über 50 Jahren nicht damit rechnen, aus den vor 1924 zurückgelegten Versicherungszeiten eine Leistung zu erhalten. Ich meine, daß schon dieser Gesichtspunkt gegen eine Rechtsänderung spricht, zumal die Leistungen, die sich hierdurch ergeben würden, immer nur aus einer Versicherungszeit von weniger als 180 Monaten berechnet würden und damit nur gering wären.Hinzu kommt, daß auf Grund des Rentenreformgesetzes des Jahres 1972 jeder die Möglichkeit hatte, durch Entrichtung von zusätzlichen Beiträgen die vor 1924 zurückgelegten Versicherungszeiten wirksam zu machen. Wer von dieser ihm gebotenen Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, sollte vom Gesetzgeber heute nicht erwarten dürfen, denen gleichgestellt zu werden, die durch Beitragszahlung ihre Versicherungszeiten vor 1924 anrechenbar gemacht haben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie groß ist etwa der Kreis der Betroffenen, die auf Grund dieses Paragraphen eine bestimmte Zeit aberkannt bekommen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich kenne diese Zahl nicht. Aber angesichts der Zeitdifferenz von mehr als 50 Jahren kann man sicherlich sagen, daß es sich nur um einen relativ kleinen Personenkreis handeln kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie, ungeachtet dessen, was Sie soeben gesagt haben, so freundlich sein, einmal nachzuprüfen, da des öfteren Beschwerden von Beisitzern an Sozialgerichten an mich herangetragen werden, die sich dahin äußern, daß dieser Paragraph bei der Ermittlung und bei der Festlegung derartiger Fälle für den Verlauf der Prozesse sehr hinderlich ist. Die Beisitzer sind der Meinung, daß man diese Paragraphen in irgendeiner Form abändern sollte, um die Arbeit zu erleichtern.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich will dieser Frage gern noch einmal nachgehen. Dies erscheint vielleicht auch deshalb sinnvoll, weil es sich um einen so kleinen Personenkreis handelt. Obwohl alle die Möglichkeit gehabt haben, selber korrigierend einzugreifen, will ich gerne noch einmal überprüfen lassen, ob es sozialpolitisch gerechtfertigt wäre, diesen Paragraphen aufzuheben. Aber ich muß hinzufügen, daß ich im Augenblick nicht sagen kann, daß das nur so sein könne. Ich sage Ihnen gern die Prüfung zu.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.
Herr Staatssekretär, über welche Erfahrungen verfügt die Bundesregierung im Hinblick auf eine Rücksprache mit den Rentenversicherungsträgern bezüglich der Tatsache, daß eine Fülle von Versicherten glaubhaft nachzuweisen versuchen, daß nach dem 1. Januar 1924 Beiträge entrichtet wurden, die Belege aber durch Kriegseinwirkungen vielfach bei den Versicherungsämtern bzw. Versicherungsanstalten nicht mehr vorliegen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Nordlohne, ich erkenne zwar den Zusammenhang nicht, weil es sich eben um eine Zeit handelte, die vor 1924 lag. Aber zu Ihrer Frage will ich trotzdem gerne folgendes sagen. Die Rentenversicherungsträger bemühen sich sehr, wenn nur die Möglichkeit besteht, dem einzelnen Bürger zu helfen, und wenn er seine Angaben glaubhaft macht und ein wenig selber mithilft, die Zeiten anzuerkennen, in denen er gearbeitet hat, sofern es sich um Versicherungszeiten handelt. Ich habe immer wieder den Eindruck gewonnen, daß die Rentenversicherungsträger im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten hierbei sehr behilflich sind. Es kommt allerdings auch darauf an, daß sich auch die Einzelperson bemüht, diese Zeiten glaubhaft darzustellen.
Die Frage 48 des, Herrn Abgeordneten Nordlohne:Zu welchem Zeitpunkt hat die Bundesregierung eine verbindliche Entscheidung darüber getroffen, daß die allgemeine Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Neurenten ab 1. Januar 1978 nicht mehr aus dem allgemeinen Einkommensanstieg der Jahre 1974, 1975 und 1976 errechnet werden soll, sondern aus den Jahren 1975, 1976 und 1977 ?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Nordlohne, ein im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erarbeiteter Referentenentwurf sieht vor, die bruttolohnbezogene allgemeine Bemessungsgrundlage ein Jahr näher als bisher an die aktuelle Lohnentwicklung heranzuführen. Der unmittelbare Anlaß hierfür war der Vorschlag zur Hinausschiebung der 21. Rentenanpassung auf den 1. Januar 1979. Durch diese Maßnahme soll kurzfristig vermieden werden, daß im Jahre 1978 der Abstand zwischen den Zugangsrenten und Bestandsrenten zu groß wird. Langfristig soll erreicht werden, daß sich die Veränderungen bei den Löhnen und Gehältern bei Zugangsrenten und Bestandsrenten ein Jahr schneller auswirken als bisher.
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Parl. Staatssekretär BuschfortEine Entscheidung über diese Vorschläge wird die Bundesregierung voraussichtlich in ihrer Kabinettsitzung am 16. Februar 1977 treffen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welches sind die Gründe dafür gewesen, daß der Herr Bundeskanzler die jetzt beabsichtigte Änderung der Rentenformel für die Berechnung der Neurenten nicht zum Bestandteil seiner Regierungserklärung vom 16. Dezember 1976 gemacht hat?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie gehen jetzt bereits auf Ihre zweite Frage ein. Wenn es erlaubt ist, Frau Präsidentin, würde ich diese Frage jetzt gleich beantworten.
Ich rufe dann auch die Frage 49 des Abgeordneten Nordlohne auf:
Weshalb hat die Bundesregierung diese beabsichtigte Änderung der bisher geltenden Rentenformel den Mitgliedern des 8. Deutschen Bundestages in der dreitägigen Bundestagsdebatte über die Regierungserklärung vom 19. bis 21. Januar 1977 nicht genannt?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zu Ihrer zweiten Frage möchte ich vorab bemerken, daß man eine veränderte Fortschreibung der allgemeinen Bemessungsgrundlage mit der von mir soeben dargelegten Zielsetzung nicht als eine „Änderung der geltenden Rentenformel", wie Sie es nennen, charakterisieren kann. Das Wesentliche an der geltenden Rentenformel liegt in der Bruttolohnbezogenheit und in der Dynamik. Beides bleibt auch erhalten.
In der Aussprache über die Regierungserklärung im Deutschen Bundestag vom 19. bis 21. Januar 1977 hat sich die Bundesregierung bei der Erläuterung ihres Programms zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung auf die besonders finanzwirksamen Maßnahmen konzentriert. Dazu zählt die vorgesehene Aktualisierung der allgemeinen Bemessungsgrundlage nicht. Sie wird sich zunächst nur auf die Zugangsrenten auswirken und demzufolge vergleichsweise geringe finanzielle Auswirkungen haben.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß eine Änderung der Rentenformel bereits dadurch eintritt, daß man gegenüber dem bisherigen Zustand, wo feste Werte zugrunde gelegt wurden, in Zukunft von einem Schätzwert, mindestens des letzten Jahres, ausgeht?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir kommen doch durch die Verschiebung um ein halbes Jahr nicht weiter weg von der bisherigen Formel. Ich muß in diesem Zusammenhang noch sagen: Ihre Rechnung kann auch deshalb nicht aufgehen, weil auch die Rentner wieder schneller an die gestiegenen Einkommen der Arbeitnehmer herangeführt werden. Was also heute als möglicher
Nachteil angesehen wird, kann schon morgen ein Vorteil sein.
Ich will hinzufügen: Sie dürften gut in Erinnerung haben, daß dies nicht der erste Vorgang dieser Art ist. Denn 1958 hat die damalige Regierung eine Rentenanpassung für ein ganzes Jahr ausfallen lassen. Damals ist, wenn man so will, erstmals die Verlängerung der Frist eingeleitet worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin auf die bevorstehende Kabinettsentscheidung zu dem Gesamtpaket abhoben, darf ich Sie im Hinblick auf diese Rentenformeländerung fragen, ob die Bundesregierung zu dieser Stunde erklären kann, daß das Bundeskabinett in den bevorstehenden Kabinettsitzungen nicht noch neue, der Öffentlichkeit bisher unbekannte Änderungen vornehmen wird.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in dieser Frage ist zu keiner Zeit eine Änderung vorgenommen worden. Es ist doch Ihrem Wissensdurst überlassen, sich den Referentenentwurf, der ja Ihrer Fraktion zugeleitet worden ist, so gut und so intensiv wie möglich durchzulesen. Wenn Sie das getan haben, werden Sie alle Details erkennen. Wenn Ihnen allerdings morgen etwas Neues auffällt, das Sie bisher übersehen haben, dann kreiden Sie das bitte nicht uns an.
Eine letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung der deutschen Öffentlichkeit und auch mindestens eines Teils dieses Hauses, daß die Änderung der Rentenformel für die Berechnung der Neurenten politisch von solchem Gewicht ist, daß man sie in einer Bundestagsdebatte nicht einfach übergehen kann?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Nein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Meinung, daß ein Neurentner bei der von Ihnen angedeuteten Neufestsetzung der Bemessungsgrundlage in den nächsten 13 Jahren — von heute aus gerechnet — Einbußen in Höhe von 25 000 DM hinnehmen müßte?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage ist rein theoretischer Art. Denn auch der Rentner, der ein halbes Jahr später die Anpassung erhält, hat natürlich in 13 Jahren einen X-Betrag an Verlust. Auch derjenige, der vielleicht von anderen Teilen dieses Konsolidierungsprogrammes betroffen wird, hat seine Nachteile. Das ist es ja gerade: Alle sollen in angemessener Weise Betroffene oder Beteiligte sein. Das gilt, wenn Sie das ganze Programm nehmen, für die Rentner, das gilt für die Beschäftigten, das gilt für die Ärzte und
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510 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Parl. Staatssekretär Buschfortfür die Apotheker. Gerade darin, daß sich alle beklagen, liegt die Gerechtigkeit unseres Programms.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hasinger.
Herr Staatssekretär, da Sie vorhin im Zusammenhang mit der Neufestsetzung der Bemessungsgrundlage von beabsichtigten, langfristigen Entwicklungen gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung, über das Jetzige hinausgehend, an eine Aktualisierung der Rentenanpassungen denkt.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das vorgelegte Programm deckt den Zeitraum bis 1980 ab.
Keine weitere Zusatzfrage. — Damit sind wir am Ende Ihres Ressorts. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Buschfort.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär von Bülow zur Verfügung.
Die Frage 50 des Abgeordneten Dr. Hornhues ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Teilnehmer an Berufsförderungsmaßnahmen in Rehabilitationszentren während der Umschulung zur Ableistung von Wehrübungen und des Grundwehrdienstes einberufen werden, und hält sie dies für richtig, vor allem in Hinsicht auf die zusätzlichen Kosten, die dem sozialen Leistungsträger dadurch entstehen?
Frau Präsidentin, ich bitte um Ihre Genehmigung, die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Schlaga im -Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf:
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die Wiedereingliederung in das Berufsleben von erwachsenen Körperbehinderten erheblich erschwert wird, wenn die Umschulungsmaßnahmen unterbrochen werden bzw. das erworbene Wissen nicht zunächst durch praktische Anwendung im Beruf gefestigt werden kann, weil der Betroffene zur Ableistung des Wehrdienstes einberufen wird, und wie gedenkt die Bundesregierung hier grundsätzlich Abhilfe zu schaffen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schlaga, es trifft zu, daß nach dem Wehrpflichtgesetz auch der von Ihnen angesprochene Personenkreis zu Wehrübungen oder zum Grundwehrdienst eingezogen werden kann. Den Besonderheiten der Umschulung, der sich die Rehabilitanden zu unterziehen haben, ist jedoch im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen Rechnung zu tragen. So werden Wehrpflichtige stets vom Wehrdienst zurückgestellt, wenn infolge der Einberufung die Umschulung für den angestrebten Beruf überhaupt unmöglich würde, z. B. weil eine entsprechende Umschulungsmaßnahme nicht mehr durchgeführt werden könnte.
Herr Kollege Schlaga, ich gehe davon aus, daß der größte Teil der Rehabilitanden — ich möchte sagen: über 90 % — überhaupt nicht wehrdienstfähig ist. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, daß Rehabilitanden zu Wehrübungen oder zum Grundwehrdienst einberufen worden sind. Sofern Sie von derartigen Fällen wissen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir diese nennen würden. Ich werde ihnen dann unverzüglich nachgehen.
Zu Ihrer Frage zu den zusätzlichen Kosten, die dem Rehabilitationsträger durch eine Einberufung möglicherweise entstehen könnten, darf ich bemerken, daß sich der soziale Leistungsträger in der gleichen Lage wie andere Ausbildungsinstitutionen auch befände.
Herr Kollege Schlaga, dem Gedanken, die wehrdienstfähigen Rehabilitanden nach Abschluß der Umschulung vom Wehrdienst zurückzustellen, kann allerdings nicht nähergetreten werden. Aus Gleichheitsgründen müßte eine derartige Regelung nämlich für alle Wehrpflichtigen gelten; denn insoweit unterscheidet sich deren Situation nicht von der der Rehabilitanden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, mir ist eine Reihe solcher Fälle bekannt, und ich habe sie bisher auch jedesmal an zuständige Stellen beim Bund oder an die Fraktionen weitergegeben mit dem Ergebnis, das Sie soeben erwähnt haben. Aber sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß bei diesem relativ begrenzten Kreis von Betroffenen eine generelle Regelung herbeigeführt werden könnte, um a) diesen Betroffenen unnötige Gänge, unnötige bürokratische Hindernisse bei den Wehrverwaltungen zu ersparen und b) eben auch eine Belastung, die diesen Menschen in dem verkürzten, sehr knappen Umschulungskursus — ich kenne diese Programme — auferlegt wird, zu beseitigen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schlaga, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Fälle, die Sie bereits an den Bund herangetragen haben — wer auch immer das entgegengenommen haben mag —, einmal zusammengefaßt übergeben könnten, so daß wir überprüfen können, ob eine generelle Lösung in dem Sinne möglich ist, wie Sie sie anschneiden.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs, Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Bülow. Ich danke Ihnen.Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander zur Verfügung.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 511
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Picard auf:Was ist der Grund dafür, daß die Regierungserklärung mit keinem Wort zu einem gesundheitspolitischen Problem ersten Ranges Stellung nimmt, nämlich zur Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland, dem die vorhergehenden Bundesregierungen wie der Bundestag selbst hohe Bedeutung beigemessen haben?
Herr Kollege Picard, die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran gelassen, daß die Reform hinsichtlich der Behandlung psychisch Kranker unter Berücksichtigung der Empfehlungen, wie sie mit dem Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt worden sind, eine vordringliche gesundheitspolitische Aufgabe ist. Die damit verbundenen Aufgaben fallen jedoch nahezu ausschließlich in die Zuständigkeit der Länder. Die Bundesregierung -hat insbesondere aus diesem Grunde, aber auch im Hinblick auf die Fülle der übrigen anstehenden Probleme darauf verzichten müssen, diesen Problembereich in der Regierungserklärung anzusprechen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie ist es zu erklären, daß mindestens einem Teil der Presse ein Vorentwurf der Bundesregierung zugeleitet worden war, in dem ein Passus enthalten war — ich glaube unter der Ziffer 54 —, der die Enquete über die Lage der Psychiatrie betraf und in dem natürlich die Länder angesprochen waren?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Picard, ich kann mir das nur so erklären, daß bei der Vorbereitung der Regierungserklärung in den ursprünglichen Konzepten natürlich eine ganze Fülle von Problemen stehen und dann bei der Verdichtung und Reduzierung der Texte auf das, was dem Umfang nach zu einer Regierungserklärung gehören kann, das eine oder andere Problem in den Hintergrund treten muß. Sie dürfen aber daraus nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß dieses Thema, Reform der Psychiatrie, nicht ein sehr wichtiges ist. Die Tatsache, daß seine Aufnahme in die Regierungserklärung ursprünglich vorgesehen war, unterstreicht, daß die Bundesregierung diese Bedeutung sieht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Picard auf.
Wann wird die Bundesregierung voraussichtlich ihre Stellungnahme zum Bericht der Sachverständigenkommission über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland dem Deutschen Bundestag zuleiten, nachdem die Sachverständigenkommission den Bericht ihrerseits schon im Herbst 1975 der Bundesregierung überreicht hat?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Picard, die Bundesregierung kann ihre Stellungnahme zum Bericht der Sachverständigenkommission über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland erst abgeben, wenn sich die wegen der
Zuständigkeitsaufteilung vorrangig betroffenen Länder dazu geäußert haben. Die Länder sind gebeten worden, ihre Stellungnahme noch in der ersten Hälfte dieses Jahres dem Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zuzuleiten.
Zu der im Bericht der Sachverständigenkommission angekündigten Studie über Planung und Finanzierung der in der Psychiatrie-Enquete niedergelegten Empfehlungen, die nach Eingang im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit erst im Dezember 1976 den Ländern zugeleitet werden konnte, werden sich die Länder ebenfalls äußern. Die Bundesregierung wird bemüht sein, dem Deutschen Bundestag möglichst bald eine auf diesen Stellungnahmen aufbauende eigene Stellungnahme zuzuleiten.
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß die Arbeiten für die Planungs- und Entscheidungshilfen für Bund, Länder, Träger und Gemeinden unter Mithilfe von Mitgliedern der ehemaligen Sachverständigenkommission erfolgten und daß die angekündigten Modellvorhaben „Ambulante Psychiatrie" und „Psychotherapeutisch-psychosomatische Versorgung" in Angriff genommen worden sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man die Vermutung hegen, daß trotz der Beteiligung der Länder an den Arbeiten der Enquete-Kommission selbst — sie waren durch einige Vertreter ständig an der Erarbeitung beteiligt — eine gewisse — sagen wir — Zurückhaltung hinsichtlich der Realisierung der Vorschläge festzustellen ist, weil finanzielle Schwierigkeiten befürchtet werden?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich kann das so, wie Sie es dargestellt haben, Herr Kollege Picard, nicht bestätigen. Ich bin davon überzeugt, daß alle, die mit der Lösung dieses Problems befaßt sind — dazu bedarf es eines langen Zeitraums, insbesondere wegen der finanziellen Folgen, die diese Reform nach sich ziehen wird, darin drückt sich die Fülle der Versäumnisse aus der Vergangenheit aus —, das Ihre nach Maßgabe Ihrer finanziellen Möglichkeiten tun werden, um dieses wichtige gesundheitspolitische Thema entsprechend seiner Bedeutung für die betroffenen Menschen zu behandeln.
Eine weitere Zusatzfrage.
Da sie die Planungsstudie erwähnt haben, aus der Finanzierungsmöglichkeiten hervorgehen sollen, und da diese Planungsstudie, soweit ich informiert bin, inzwischen erstellt worden ist, frage ich: Ergeben sich nach Ihrem heutigen Erkenntnisstand daraus Schlüsse, die uns in die Lage versetzen, einen gewissen zeitlichen Ablauf der Realisierung der Empfehlungen der Enquete ins Auge zu fassen?Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Picard, darüber möchte ich mich zur Stunde nicht äußern.
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512 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Parl. Staatssekretär ZanderWie ich Ihnen sagte, haben wir im Dezember diese Planungsempfehlungen, die im Grunde ein Modell für die Umsetzung der Reformvorschläge beinhalten, den Ländern zugeleitet, die gebeten worden sind, das ihrerseits in ihrer Stellungnahme zu berücksichtigen. Ich kann hier schlecht über etwas disponieren, das letzten Endes im Verantwortungsbereich der Bundesländer liegt. Aber ich bin überzeugt, daß auch diese Dinge dort die Beachtung finden, die Sie und auch die Bundesregierung diesem Thema gern gewidmet sehen möchten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung, im Rahmen der Ausgestaltung des Adoptionsvermittlungsgesetzes die Zuordnung ärztlich-psychologischer Dienste zu gewährleisten, und wie sollen solche Stellen aussehen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, wenn der Herr Abgeordnete Kroll-Schlüter gestattet, würde ich gerne beide Fragen zusammen beantworten.
Gern.
Dann rufe ich auch die Frage 57 des Abgeordneten Kroll-Schlüter auf:
Wie sollen solche Stellen mit den lokalen Ämtern zusammenarbeiten, und wann werden sie eingerichtet?
Zander, Parl. Staatssekretär: Die zentralen Adoptionsstellen sind zu enger partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den örtlichen Adoptionsvermittlungsstellen der Jugendämter und der freien Träger verpflichtet. Das gilt insbesondere hinsichtlich der fachlichen Beratung und Unterstützung in schwierigen Einzelfällen.
Das Adoptionsvermittlungsgesetz hat den organisatorischen und personellen Rahmen für die Zuordnung ärztlich-psychologischer Dienste in der Adoptionsvermittlung und ihre Zusammenarbeit mit den örtlichen Adoptionsvermittlungsstellen vorgegeben. Hiernach soll jeder zentralen Adoptionsstelle ein interdisziplinäres Team von Fachleuten zur Verfügung stehen; und zwar mindestens ein Kinderarzt oder Kinderpsychiater, ein Psychologe mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Kinderpsychologie, ein Jurist und ein Sozialarbeiter oder Sozialpädagoge mit mehrjähriger Berufserfahrung.
Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich vorgegebene Organisationshoheit der Länder mußte sich der Bundesgesetzgeber auf die Regelung der Mindestvoraussetzungen beschränken. Die Ausfüllung des vorgegebenen Rahmens, d. h. die organisatorische Zuordnung der genannten Fachkräfte — hauptamtlich oder auf Honorarbasis —, muß daher dem jeweiligen Träger der zentralen Adoptionsstelle bzw. den zuständigen Landesbehörden ebenso vorbehalten bleiben wie die eventuelle Beteiligung weiterer Institutionen bei der Adoptionsvermittlung, wie z. B. die der Gesundheitsämter. Dies gilt auch für die örtlichen Adoptionsvermittlungsstellen.
Eine Zusatzfrage.
Weil wir als Gesetzgeber darauf zu achten haben, daß Gesetze so schnell wie möglich in die Tat umgesetzt werden, möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, wie viele dieser Adoptionsvermittlungsstellen nach dieser Vorstellung bis jetzt eingerichtet worden sind.
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das im Augenblick nicht sagen. Sie wissen ja selbst, daß das Gesetzgebungsvorhaben in der letzten Legislaturperiode relativ spät realisiert werden konnte. Ich bin aber gerne bereit, durch eine Umfrage bei den Ländern festzustellen, wie die Praxis ist, nach der Sie fragen und welche Zahlen hier zur Verfügung stehen.
Keine weitere Frage? — Dann rufe ich die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Schulte auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf Grund der Trinkwasser-Verordnung des Bundes selbstgenutzte Quellen jährlich untersucht werden und dabei Kosten von ca. 700 DM, in extremen Fällen von ca. 1 000 DM entstehen können, während der Wert des entnommenen Wassers pro Jahr nur einen Bruchteil der entstehenden Kosten ausmachen kann, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Zander, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, ich bitte, beide Fragen zusammenhängend beantworten zu dürfen.
Herr Kollege, sind Sie damit einverstanden? — Dann rufe ich auch die Frage 59 auf:
Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit zuzulassen, daß in begründeten Fällen und in bestimmten Gebieten nur Stichproben gemacht werden, nicht aber jede einzelne Quelle untersucht wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schulte, Ihre Berechnung könnte sich nur dann ergeben, wenn eine Anlage auf alle Stoffe, die von der Verordnung erfaßt sind, untersucht werden muß. Das wird jedoch in der Regel nicht der Fall sein, weil die Trinkwasser-Verordnung Ausnahmen dann zuläßt, wenn die einmal ermittelten Werte weniger als die Hälfte der in der Verordnung angegebenen Grenzwerte betragen. Für kleinere Anlagen kann die zuständige Behörde ferner zulassen, daß die Untersuchungen in größeren als jährlichen Abständen vorgenommen werden. Es ist also dafür Sorge getragen, daß nicht häufiger untersucht wird, als es aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderlich ist.
Die von Ihnen errechneten Beträge stellen daher für kleinere Quellen Höchstbeträge dar, die nur bei ganz ungünstigen, dann allerdings auch dringend überwachungsbedürftigen Anlagen in voller Höhe anfallen können. Da die Sicherung der menschlichen Gesundheit gegen mögliche Schäden in jedem Fall den Vorrang gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen besitzt, muß jede einzelne in die Trinkwasserversorgung einbezogene Quelle untersucht werden; Stichprobenuntersuchungen in einem bestimmten Gebiet tragen diesem Erfordernis keine Rechnung.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schulte, bitte.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977 513
Herr Staatssekretär, Sie gehen also davon aus, daß eine Erstuntersuchung auch dann erforderlich ist, wenn in einem bestimmten Gebiet jegliche Industrie fehlt, gute Böden und viel Wald vorhanden sind und überhaupt keine Gefährdung ersichtlich ist?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ja, wenn die in der Trinkwasser-Verordnung genannten Voraussetzungen erfüllt sind, d. h. die Verwendung des gewonnenen Wassers den dort genannten Zwecken zugeführt wird, dann ist das erforderlich. Im übrigen gehe ich davon aus, daß die Trinkwasser-Verordnung genügend Möglichkeiten für eine flexible Handhabung gibt. Die flexible Handhabung aber ist dann Sache der durchführenden Länderbehörden.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Ansicht, daß die Verweigerung von Stichproben und die Pflicht zu einer Erstuntersuchung für jede Quelle etwas überzogen ist?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, hier ist weniger die Ansicht der Bundesregierung als vielmehr die der mit der Durchführung befaßten Stellen der Länder gefragt. Wenn es Mängel auf diesem Gebiet gibt, wären sie auf dieser Ebene abzustellen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Die Praxis klagt über diese engen Bestimmungen. Deswegen frage ich, ob man aus der Praxis sagen kann, daß infolge der neuen Verordnung tatsächlich Schäden von Menschen abgewendet worden sind, im Vergleich zu dem, was vorher war.
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege KrollSchlüter, es ist immer sehr schwierig zu sagen, welche Schäden abgewendet werden, wenn man rechtzeitig Vorsorge trifft. Aber ich erinnere daran, daß wir in der Vergangenheit hier auch in der Fragestunde Fälle wie etwa Typhusbefall in größerem Umfange behandelt haben und hier deutlich wird, welche Bedeutung einer gründlichen, unter Gesundheitsgesichtspunkten vorbeugenden Untersuchung des Trinkwassers zukommt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kroll-Schlüter.
Ein Vergleich zwischen heute und dem Zeitpunkt vor den neuen Bestimmungen gibt es nicht?
Zander, Parl. Staatssekretär: Nein, die Verordnung, von der Sie eben selbst sagten, daß sie relativ kurz in Kraft ist, läuft einfach nicht so lange wie die Praxis vorher. Wir müssen also abwarten, wie sich die Entwicklung gestaltet.
Keine weitere Frage? — Dann rufe ich die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Fiebig auf:
Haben die Kritiker des Arzneimittelgesetzes — wie z. B. die sogenannte Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft — der Bundesregierung neues Erkenntnismaterial vorgelegt, wodurch mit statistisch und methodisch unumstrittenen und in der wissenschaftlichen Diskussion erhärteten Tatsachen nachgewiesen wird, daß der Wirksamkeitsnachweis von Arzneimitteln bei allen behandlungsbedürftigen Erkrankungen unter Berücksichtigung der in Tokio revidierten Deklaration von Helsinki und der Methodenlehre der klinischen Statistik durchgeführt werden kann, und wenn ja, welche Folgerungen wird die Bundesregierung daraus ziehen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, bisher haben keine Verbände oder Gesellschaften Material zum Nachweis der Wirksamkeit von Arzneimitteln gemäß Artikel 1 § 40 des Arzneimittelgesetzes von 1976 vorgelegt.
Die Bundesregierung vertritt unverändert die Auffassung, daß die im Arzneimittelgesetz gefundene Lösung ausgewogen und geeignet ist, die Arzneimittelsicherheit zu verbessern.
Eine Zusatzfrage.
Folgt die Bundesregierung den Kritikern des neuen Arzneimittelrechtes, die, wie z. B. der „Arzneimittelbrief" Nr. 12 vom Dezember 1976 auf Seite 73, behaupten, es seien ganze „Volksstämme" von Statistikern bekannt, welche die Wahrscheinlichkeit der Wirkung eines Arzneimittels in verläßlichen Zahlen errechnen können?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Fiebig, ich nehme an, daß sich die Bemerkung, die Sie soeben zitiert haben, auf die Ziffer 2 im letzten Absatz des § 25 des Gesetzes bezieht, wo geregelt ist, daß die Zulassung nicht deshalb versagt werden darf, weil therapeutische Ergebnisse nur in einer beschränkten Zahl von Fällen erzielt worden sind. Die Bundesregierung kann dieser Auffassung, die Sie zitiert haben, deswegen nicht folgen, weil es sich hierbei um eine Vorschrift handelt, die ausdrücklich auf die Zahl der Fälle und nicht auf die Zahl von Patienten abhebt. Diese Vorschrift brauchen wir, und der Gesetzgeber hat sie deshalb vorgesehen, weil es Erkrankungen gibt, die nur in sehr großen Abständen auftreten, also etwa drei oder vier Fälle in einem Jahrzehnt, und hier kann die Anwendung eines Arzneimittels bzw. seine Zulassung nicht davon abhängig gemacht werden, daß man ein Jahrhundert abwartet, um eine ausreichende Zahl von Fällen untersucht haben zu können. Hier muß man mit einer solchen Vorschrift schon früher ein Arzneimittel zur Anwendung am Patienten bereitstellen können. Daran ist gedacht, und so wird dieses Gesetz sicher auch gehandhabt. Deshalb ist die zitierte Behauptung abwegig.
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Ahrens auf:Teilt die Bundesregierung die im Gutachten der Vereinigung deutscher Wissenschaftler zur Arzneimittelversorgung in der Bundesrepublik Deutschland enthaltene Behauptung, daß es um die Arzneimittelsicherheit in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor schlecht bestellt sei und sich eine Katastrophe wie im Fall Contergan leicht wiederholen könne, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu tun?
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514 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 11. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 3. Februar 1977
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ahrens, die Bundesregierung hält die von Ihnen zitierte Behauptung für falsch. Bereits die im Jahre 1971 vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit erlassene Richtlinie über die Prüfung von Arzneimitteln hat die Vorschriften für die formelle Registrierung von Arzneimitteln verschärft. Mit dem Arzneimittelgesetz von 1976, auf das das von Ihnen zitierte Gutachten in keiner Weise eingeht, sind wesentliche Maßnahmen zur Arzneimittelsicherheit getroffen worden, z. B. durch das materielle Zulassungsverfahren, bei dem Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels nachgewiesen werden müssen, durch die Vorschrift zur umfassenden Aufklärung des Patienten über Nutzen und Risiken der Arzneimittel und durch die erhebliche Verbesserung der Beobachtung und Kontrolle der Arzneimittel auch nach der Zulassung.Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, daß es keine absolute Arzneimittelsicherheit geben kann und daß sich auch durch das beste Arzneimittelgesetz Unglücksfälle nicht mit absoluter Sicherheit vermeiden lassen. Aus diesem Grunde enthält das neue Arzneimittelgesetz auch Regelungen über die Entschädigung bei Arzneimittelschäden, die trotz aller denkbaren Vorsichtsmaßnahmen entstehen könnten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was hat die Bundesregierung unternommen, um den von mir zitierten, nach Ihrer Auffassung falschen Darstellungen, die wissenschaftlich erscheinen, die nach meinen Feststellungen eine weite Verbreitung in Tages- und Wochenzeitungen gefunden haben, in der Öffentlichkeit entgegenzutreten?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß vermuten, daß Sie sich auf eine Veröffentlichung in der Reihe „rororo aktuell" beziehen. Wie ich sehe, schütteln Sie den Kopf; dann ist die Antwort, die ich geben wollte, abwegig. Ich kenne die andere Quelle nicht und kann hier daher die Frage nicht beantworten, was dagegen unternommen wird. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Unterlagen zur Verfügung stellen; denn dann kann man den Dingen nachgehen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Brandt auf:
Ist die Information zutreffend, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine gesetzliche Regelung vorbereitet, die die selbständige Ausübung der Psychotherapie durch nichtärztliche Psychotherapeuten regeln wird, und, falls ja, wann ist hier mit einer Vorlage der Bundesregierung zu rechnen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Brandt, es trifft zu, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit den Entwurf für ein Gesetz über den Beruf des nichtärztlichen Psychotherapeuten vorbereitet. Die bundesgesetzliche Regelung soll die Zulassung zum Beruf durch eine Berufserlaubnis vorsehen, die zur Führung der Berufsbezeichnung und zur Ausübung der Psychotherapie berechtigt. Mit der Gesetzesvorlage der Bundesregierung ist frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres 1978 zu rechnen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß zu diesem Komplex in Ihrem Hause schon vor einiger Zeit Anhörungen von Sachverständigen, von Spitzenverbänden stattgefunden haben?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in unserem Haus werden eine ganze Reihe von Berufsgesetzen diskutiert oder sind in der Vorbereitung, so daß ich Ihnen nicht sagen kann, ob speziell zu diesem Entwurf jetzt schon Anhörungen von Verbänden stattgefunden haben. Nur ist natürlich die Anhörung von Verbänden ein ganz wesentlicher Teil gerade bei der Vorbereitung solcher Gesetze, weil man den Kreis der Betroffenen hier möglichst breit hören muß, um sich über die Wünsche der Betroffenen einerseits und die Kostenfolgen andererseits klarwerden zu können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich dann noch einmal nachfragen: woran liegt es denn nach Ihrer Beurteilung, daß, wie Sie sagen, frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres 1978 mit einem entsprechenden Entwurf zu rechnen ist? Sind dies finanzielle Überlegungen oder Fragen der Schwierigkeit der Materie?
Zander, Parl. Staatssekretär: Es liegt einerseits in der Schwierigkeit der Materie und selbstverständlich auch an der Zahl der Mitarbeiter, die ein solches Gebiet bearbeiten, aber auch an den umfangreichen Anhörungen einerseits von staatlichen Stellen, andererseits von Verbänden, die erforderlich sind.
Ich darf Ihnen sagen, daß in diesem Arbeitsfeld unseres Hauses eine ganze Reihe weiterer Gesetze für ähnliche Berufe ebenfalls in unterschiedlichen Stadien der Vorbereitung und Entwicklung sind. Daran sehen Sie, daß wir auf diesem Gebiet mit großem Nachdruck und mit Intensität arbeiten. Aber ich kann Ihnen keinen günstigeren Zeitpunkt in Aussicht stellen.
Es tut mir leid, Herr Kollege, daß Ihre zweite Frage nicht mehr drankommen kann. Wir sind am Ende der Fragestunde.
Von den nicht beantworteten Fragen sind die Fragen 78, 79 und 94 zurückgezogen. Die übrigen werden schriftlich beantwortet, weil diese Woche keine Fragestunde mehr stattfindet.
Wir sind am Ende unserer heutigen Sitzung. Ich berufe das Haus auf morgen, 4. Februar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.