Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 25. März 1972 zur Änderung des EinheitsÜbereinkommens von 1961 über Suchtstoffe—Drucksache 7/2071 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 7/2557 —Berichterstatter: Abgeordneter Braun
Von dem Herrn Berichterstatter wird das Wort zusätzlich nicht begehrt. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Wir treten in die zweite Beratung ein. — Das Wort wird in der Aussprache nicht begehrt. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung und in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben.
— Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf verabschiedet.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 29. November 1969 über Maßnahmen auf Hoher See bei Ölverschmutzungs-Unfällen— Drucksache 7/2109 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 7/2559 —Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Schulte (Erste Beratung 106. Sitzung)Der Herr Berichterstatter, Dr. Schulte , wünscht keine Ergänzung des Berichtes. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Das Wort wird in der Aussprache nicht begehrt.Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung und Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Verabschiedung fest.Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Lenz , Kunz (Berlin), Frau Berger (Berlin), Vogel (Ennepetal) und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen— Drucksache 7/1882 —Bericht und Antrag des Rechtsausschusses
— Drucksache 7/2590 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Arndt Abgeordneter Kunz (Berlin)
Von den Herren Berichterstattern wird keine Ergänzung des Schriftlichen Berichtes gewünscht. Ich danke den Herren Berichterstattern.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle in der zweiten Beratung einstimmige Annahme fest.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben.
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8108 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen— Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf in der dritten Beratung einstimmig verabschiedet.Ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 16. Mai 1973 zum Abkommen über den Handelsverkehr und die technische Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den Mitgliedstaaten einerseits und der Libanesischen Republik andererseits— Drucksache 7/2110 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/2573 —Berichterstatter: Abgeordneter Springorum
Das Wort wird von dem Herrn Berichterstatter zur Ergänzung nicht begehrt. Ich danke dem Herrn Berichterstatter.Wir treten in die Aussprache ein. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung und Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig gebilligt.Ich rufe den Punkt 6 der heutigen Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 5. Oktober 1973 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Finnland andererseits— Drucksache 7/1778 —Bericht und Antrag des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 7/2574 —Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram
Das Wort zur Ergänzung des Berichts wird nicht begehrt. Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen. Bericht.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe Artikel 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung und in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Ich frage, ob Gegenstimmen abgegeben werden. — Stimmenthaltungen? — Das ist nicht der Fall, so daß auch diese Vorlage einstimmig gebilligt worden ist.Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 7 der Tagesordnung auf:a) Große Anfrage der Abgeordneten Bewerunge, Eigen, Kiechle, Dr. Ritz, Susset, Solke, Freiherr von Kühlmann-Stumm und der Fraktion der CDU/CSUbetr. Lage der deutschen Landwirtschaft — Drucksachen 7/2497, 7/2586b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Agrarberichterstattung
— Drucksache 7/1990 —aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache 7/2615 — Berichterstatter: Abgeordneter Löfflerbb) Bericht und Antrag des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache 7/2576 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Ritgen
Zunächst hat zur Begründung der Großen Anfrage der Herr Abgeordnete Bewerunge das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorrangig agrarpolitische Aspekte haben uns bewogen, am 23. August 1974 die Große Anfrage zur Lage der deutschen Landwirtschaft einzubringen. Natürlich haben uns auch damals schon die europapolitischen Gesichtspunkte beschäftigt, wie aus der Anfrage ersichtlich ist. Mit der inzwischen stattgefundenen Entwicklung verlegt sich die Problematik nunmehr vorrangig auf die Europapolitik.Die Lage der deutschen Landwirtschaft hat sich seit dem Frühjahr 1974 krisenhaft zugespitzt. Für viele Betriebe ist eine existenzbedrohende Lage dadurch entstanden, daß die Erzeugerpreise in wichtigsten Sektoren erheblich absanken, während die Betriebsmittelpreise mit der allgemeinen Inflationsrate Schritt hielten. Preissteigerungen bei Betriebsmitteln von 4,6 "/o stehen einem Absinken der Erzeugerpreise von 6,2 °/o im Vergleich zum Vorjahre gegenüber. Ohne diese rückläufige Entwicklung der Erzeugerpreise hätte sich der Lebenshaltungskostenindex in der Bundesrepublik noch erheblich stärker angehoben.
Auch die nächste Zukunft läßt für die Menschen auf dem Land nicht etwa rosige Zeiten erwarten. Beispielsweise sei nur auf die vermutlichen Kostensteigerungen bei Düngemitteln und Futtermitteln von bis zu 30% hingewiesen. Parallel zu dieser Entwicklung mußte die Regierung ihre Einkommensvor-
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Bewerungeausschätzungen für das gerade abgelaufene Wirtschaftsjahr laufend revidieren. Meine Fraktion kann für sich in Anspruch nehmen, darauf schon im März dieses Jahres anläßlich der Agrardebatte hingewiesen zu haben.Im Zusammenhang mit diesen Vorgängen trat eine schwere Krise der EG in Erscheinung, aus der vor allen Dingen ein schwerwiegender Mangel an Solidarität der Mitgliedsländer zu erkennen war. Auf die inzwischen eingetretenen Wettbewerbsverzerrungen, die unserer Landwirtschaft das Leben enorm erschweren, wird in der folgenden Debatte noch ausführlich eingegangen werden. Herr Minister Ertl hat vor kurzem erklärt, der Agrarmarkt in seiner bisherigen Form sei gescheitert. Ähnlich hat Minister Apel die Funktionsfähigkeit der EG-Agrarpolitik in Frage gestellt. Andererseits setzen SPD und FDP alles daran, die wahre Situation der deutschen Landwirtschaft zu verschleiern und zu beschönigen.Angesichts dieser Lage ist für dieses Hohe Haus ein Eingreifen in Form einer Debatte — so meine ich — dringend geboten. Die Große Anfrage meiner Fraktion zur Lage der Landwirtschaft und zur Europapolitik war und ist notwendig. Sie hat ohne jeden Zweifel auch einen Druck in Richtung auf schnellere Entscheidungen dieser Bundesregierung zur Verbesserung der Lage der Landwirtschaft ausgeübt. Aber die völlig nichtssagenden Antworten auf die Frage nach der Weiterentwicklung der europäischen Belange zeigen deutlich, daß die Regierung bis heute kein agrarpolitisches, europapolitisches Konzept hat.Nun zu den Preisbeschlüssen und den jüngsten Vorgängen um die EG. Auch wenn wir schon in der Aktuellen Stunde am 26. September über den Beschluß der Bundesregierung, die Beschlüsse des Agrarministerrats vom 20. September zunächst abzulehnen, diskutiert haben, so bleibt doch hierzu noch Wichtiges zu sagen, insbesondere weil durch die jüngsten Beschlüsse wieder eine neue Lage geschaffen worden ist. Lassen Sie mich kurz den Standpunkt meiner Fraktion zu den Vorgängen am 20. und 25. September noch einmal skizzieren:Die CDU/CSU ist keineswegs der Ansicht, daß Maßnahmen der Bundesregierung zum Abbau der Wettbewerbsverzerrungen in der EG und zu Korrekturen des Agrarmarktsystems verfehlt sind. Wir halten allerdings den Zeitpunkt für den Beginn dieser Versuche für verspätet.
ich habe in meinem Beitrag zur Aktuellen Stunde klarzulegen versucht, daß es wahrlich geeignetere Termine für den Ansatz zur Neugestaltung bzw. Verbesserung gegeben hätte.Ein solcher Zeitpunkt war z. B. die EG-Gipfelkonferenz vom 1. und 2. Dezember 1969, nachdem die Übergangsphase der EG vorbei war und entsprechend den Verträgen der Eintritt in die endgültige Phase formuliert werden mußte.
Damals hat Willy Brandt sein europapolitischesHandeln in der ihm eigenen Weise ausgiebig in diesem Hohen Hause gefeiert. Schon damals aber hat ihm Dr. Barzel in der ersten Debatte dazu erklärt, daß uns das neu beschlossene Verfahren der EG-Agrarfinanzierung noch schwere Kopfschmerzen bereiten würde.
Ohne jegliche Gegenleistung hat der damalige Kanzler eine Finanzregelung eingeleitet, die den deutschen Beitrag von 28% im Jahre 1969 auf zirka 37 % bis 1978 steigen lassen wird, obwohl in der Zwischenzeit drei weitere Länder der EG beigetreten sind. Mit dieser Politik des fröhlichen Einstandes wurde die Chance zu einer entscheidenden Weichenstellung vertan.Ein ähnliches Datum war die Verlegung der strukturpolitischen Kompetenz mit finanziellen Auswirkungen für den Agrarbereich nach Brüssel. Entgegen dem einstimmigen Beschluß des Bundestages vom 8. Mai 1968, Herr Minister Ertl, haben Sie dieser Verlegung 1972 aus kurzsichtigem Opportunismus zugestimmt. Ich habe gestern gelesen, daß der Herr Bundeskanzler sagt: „Ich bin für Europa, aber nicht für eine europapolitische Wurstelei." Das ist die Einleitung der Wurstelei gewesen!Darüber hinaus sind wir der Überzeugung, daß auch der Anlaß zu einer Korrektur der EG-Politik verfehlt gewesen ist; denn immerhin hatte sich die Regierung, nachdem sie ursprünglich gegen jede Agrarpreiserhöhung innerhalb des Wirtschaftsjahres war, schon mit einer Agrarpreiserhöhung von 4 °/o abgefunden. Der Theaterdonner setzte an der minimalen Differenz von 1% ein. Gerade das konnte bei unseren Nachbarn den Eindruck hervorrufen, daß es weniger darum ging, an diesem Prozentpunkt Anstoß zu nehmen, als vielmehr darum, vor aller Welt einmal den „strammen Max" zu demonstrieren.
— Lesen Sie die Zeitungen dazu!Ein wichtiger Gesichtspunkt lag für uns besonders darin, daß die Ablehnung der Beschlüsse vom 20. September auf Grund von Überlegungen erfolgt ist, die alle — ich betone: alle — schon vorher hätten angestellt werden können, was beweist, mit welcher beispiellosen Sorglosigkeit oder mit welchem beispiellosen Dilettantismus die Regierung der Entwicklung in den letzten Monaten tatenlos zugesehen hat
und den verantwortlichen Minister in die Verhandlung geschickt hat. Das wird nicht nur von weiten Teilen der Presse ebenso gesehen, ich kann hier sogar Herrn Conrad Ahlers, unseren Kollegen, aus der „Wirtschaftswoche" dazu zitieren.Die Oberflächlichkeit und die Kraftmeierei des Kanzlers haben letztlich den Hut des Herrn Ertl, so meine ich, bedenklich ins Rutschen gebracht. Ich kann nicht verstehen, wie sich ein Minister zunächst für seine hervorragende Verhandlungsführung in Brüssel loben und sodann den ganzen Inhalt und
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Bewerungedas Ergebnis der Verhandlungsführung zunichte machen lassen kann.
Wie der Minister mit seinem fast verlorenen Gesicht vor den Kollegen in Brüssel die Interessen der deutschen Seite weiterhin mit Erfolg vertreten soll, kann nicht nur seine eigene Sache sein; denn von der Stärke seiner Position hängen in unserem Lande zu viele Existenzen ab. Mittelbar und unmittelbar sind immerhin 10 Millionen Menschen von der Qualität dieser Vertretung berührt.Ich stelle fest, daß selbst Herr Bangemann zu der Einsicht gekommen ist, Europapolitik könne nicht von zwei Metternichen am flackernden Kamin des Elysee-Palastes gemacht werden.
Was nützt es dem europäischen Gedanken, wenn sich die Regierungschefs zweier Länder gut verstehen, wenn aber in der Bevölkerung und in dem Regierungsapparat durch unbedachte Handlungsweisen wieder neue Ressentiments hervorgerufen werden? Selbst wenn die brüskierende Maßnahme vom 25. September, wie einige Zeitungen spekuliert haben, zuvor mit Giscard d'Estaing abgesprochen sein sollte, so halten wir es doch für mehr als fragwürdig, wenn die deutsche Haltung vor den französischen Bauern als Alibi benutzt werden würde, um weitere nationale Zuwendungen zu verhindern. Europa kann nicht gelingen, wenn statt gemeinsamer Solidarität der eine Partner als Buhmann mißbraucht wird.
Wir begrüßen es selbstverständlich, wenn durch die jüngste Ministerratssitzung von Luxemburg die offenen Streitpunkte ausgeräumt worden sind. Es bleibt aber zu betonen, daß das, was die Bundesregierung hierbei erreicht hat, lediglich eine Attrappe zur Wahrung des Gesichts ist. Die gegenwärtigen Wettbewerbsverzerrungen wurden nicht abgebaut; siehe auch die Erklärung von Regierungssprecher Bölling dazu. Allenfalls mag es gelingen, eine verfeinerte Form der Wettbewerbsverzerrungen herbeizuführen, solcher Wettbewerbsverzerrungen nämlich, die als Hilfe für die eigene Landwirtschaft nicht unmittelbar ins Auge stechen.Außerdem ist zu betonen, daß zur Zeit bei weitem nicht alle Wettbewerbsverzerrungen vertragswidrig sind. Vertragskonforme Wettbewerbsverzerrungen hat z. B. der verantwortliche Minister Ertl mit beschlossen. Ich erinnere hier auch an das schlechte Beispiel des Unter-Glas-Anbaus; hier steht die deutsche Seite in einer ruinösen Wettbewerbslage.Die als Erfolg gefeierte Anrechnung der Preisbeschlüsse auf die notwendige Neufestsetzung für das nächste Wirtschaftsjahr ist ein Beschluß, so meine ich, der bei dem Beobachter eine wahrhaft monumentale Schlichtheit voraussetzen muß. Wer würde denn annehmen, daß man bei der künftigen Neufestsetzung die 5 %ige Anhebung innerhalb dieses Wirtschaftsjahres vergessen würde?Die bezeichnenderweise schon beim Pariser Treffen der Regierungschefs von Bundeskanzler Schmidtvorgetragene Forderung nach einer Bestandsaufnahme über die bisher in der europäischen Agrarpolitik erzielten Ergebnisse, die man auch am 20. September hätte durchsetzen können, wertet die Bundesregierung heute als einen der Erfolge ihrer Intervention vom 25. September.Die Bundesregierung ist auch von ihrer ursprünglich erhobenen Forderung insofern abgewichen, als danach eine Beschlußfassung überhaupt erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt möglich gewesen wäre; denn in Punkt 4 Abs. 2 ihres Beschlusses vom 25. September werden Verhandlungen und Ergebnisse gefordert, die Voraussetzung für eine Beschlußfassung sein sollten und die noch nicht stattgefunden haben bzw. erreicht worden sind.Die Krisen der EG und insbesondere des Agrarmarktes waren — das haben meine Parteifreunde und ich oft betont — schon lange. vorherzusehen. Statt aber den Blick, Herr Minister Ertl, konsequent in die Zukunft zu lenken, haben Sie immer mit Vorliebe auf die Vergangenheit geblickt.
Noch heute glaubt er, die Wurzel allen Übels liege in dem Tun früherer CDU/CSU-Regierungen. Die großen Probleme sind aber erst nach dem Herbst 1969 aufgetreten, als die Währungsparitäten der Gemeinschaft durch nationale Entscheidungen immer mehr auseinanderrückten.
Lassen Sie mich, bevor ich zu dem grundsätzlichen Standpunkt meiner Fraktion in Sachen Europa und Agrarpolitik komme, noch mit einer irreführenden Legende aufräumen, der offenbar auch der Bundeskanzler mit einer seiner Erklärungen anhängt und die auch in einer mir sehr sympathischen Zeitung immer wiederholt wird, der Behauptung endlich, durch Preisanhebungen würden die Reichen reicher und die Armen ärmer. Dazu ist festzuhalten, daß noch nicht einmal 0,5 % aller deutschen landwirtschaftlichen Betriebe über 100 Hektar und weniger als 3 °/o aller Betriebe über 50 Hektar groß sind. Wir sollten diese realen Zahlen immer für uns sprechen lassen.Nun zur Position der CDU/CSU. Für die CDU/CSU ist das Bekenntnis zur europäischen Integration eines der Hauptmomente ihrer politischen Grundüberzeugung. Es sei mir gestattet, darauf hinzuweisen, daß wir diese Neuorientierung damals in der deutschen Politik gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokratischen Partei haben durchsetzen müssen.Die drei Grundlagen für die gemeinschaftliche Agrarpolitik waren und sind: Erstens: Gemeinschaftspräferenz, zweitens: freier Warenverkehr, drittens: finanzielle Solidarität. Diese Grundlagen können und dürfen nicht in Frage gestellt werden, wenn nicht die gesamte Agrarpolitik in Frage gestellt werden soll.Die Bundesregierung wird erst noch durch Taten beweisen müssen, daß sie dem Europagedanken unverbrüchlich treu bleiben wird.
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BewerungeDer Sozialist Mansholt und auch der Freie Demokrat Dahrendorf haben ihr bisher keine guten Zeugnisse ausgestellt. Anlehnend an Professor Dahrendorf läßt sich sagen: Diese Regierung läßt nicht nur keine Europakonzeption erkennen, sie hat auch keine. Wer das nicht wissen sollte, kann die Antwort auf diese Große Anfrage daraufhin einmal überprüfen.Der Start der EG mit der Integration des Agrarsektors kann nur aus der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Gründungszeit dieser Gemeinschaft verständlich gemacht werden. Wir können uns heute ohne Zögern dazu bekennen, daß der Beginn mit der Integration des Agrarbereichs gerade von deutscher Seite große Vorleistungen mit sich gebracht hat. Aber diese Vorleistungen haben sich— anders als diejenigen bei der Ostpolitik — längst bezahlt gemacht. Immerhin gehen 65 % unseres heutigen Gesamtexports in die EG-Länder. Eine Marktöffnung konnte stattfinden, weil für den weniger entwickelten Bereich der Landwirtschaft die finanzielle Solidarität aller eingetreten ist.Die viel verketzerten Marktordnungen haben sich— das wird oft leider nur durch reine Unkenntnis übersehen — weitestgehend bewährt. Fehlgeschlagen ist keineswegs die ursprünglich konzipierte Agrarintegration, fehlgeschlagen ist vielmehr der Versuch, einen gewissen wirtschaftlichen Gleichklang beizubehalten, wie er Gott sei Dank bis 1969 schon in besten Ansätzen vorhanden war. Nicht die gemeinsame Agrarpolitik ist gescheitert, sondern die Währungs- und Wirtschaftspolitik.
Die völlige Zerrüttung unserer Währungsordnung, verursacht durch die nicht rechtzeitig bekämpfte Inflation, führt heute dazu, daß die allermeisten EG-Verordnungen die Grenzausgleichssätze neu regeln müssen. Dies kann man nicht, wie es der Kanzler aus Unkenntnis oder Ignoranz tut, der EG-Kommission anlasten.Nach unserer Überzeugung sind gerade die europäischen Institutionen zu stärken und nicht durch politisch unkluge Erklärungen des Kanzlers zu schwächen. Wer ist nicht gegen einen Wasserkopf Europas, wer kann diesen bürokratischen Apparat wollen? Ursache und Wirkung müssen aber immer miteinander in Einklang gebracht werden. Versagt hat eindeutig der Agrarministerrat, den Helmut Schmidt gegenüber der Kommission stärken möchte. Nicht gegenüber der Kommission muß er gestärkt werden, sondern er bedarf der ausdrücklichen Beeinflussung dahin gehend, daß er beschließt, wozu er ohnehin verpflichtet ist.
Das ist eine Beeinflussung, zu der sich der Kanzler wohl besser bekennen würde.Die öffentliche Diskussion um die gemeinsame Agrarpolitik wird immer wieder durch die Frage der sinnlosen Überproduktion belastet. Die Bestandsaufnahme und Fortentwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik machen eine realistische und nüchterneBetrachtung der Welternährungslage wie der Versorgung in der EG notwendig.Während Hunderte von Millionen Menschen an Hunger leiden, während uns in der nächsten Zukunft ein akuter Mangel an pflanzlichem Eiweiß — besonders infolge der Ernteausfälle in den USA — bedroht, leisten wir uns den Luxus, gewisse, relativ kleine Überschüsse, die überhaupt nicht geleugnet werden sollen, zu verabsolvieren. Präsident Ford hat gerade in diesen Tagen den Export von 3,4 Millionen Tonnen Getreide in die Sowjetunion untersagt, weil er selbst für die USA eine schwierige Versorgungslage heraufziehen sieht.Die Ölkrise, die Rohstoffversorgung allgemein und das Problem ausreichender Düngemittel berühren auch die EG so hautnah, daß es fast unverständlich ist, wie sehr wir die Vorteile unserer Lage, die einschneidend gerade durch die Marktordnung zustande gekommen sind, verkennen. Im Interesse einer allgemeinen Vorratshaltung agrarischer Güter auf dieser Welt muß die industriell weitgehend hockentwickelte EWG einen Teil der Verantwortung mit übernehmen, wie es die USA bereits in der Nixon-Runde gefordert haben.Wir alle, gerade die Politiker, haben die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, daß die Kosten der gemeinsamen EG-Agrarpolitik in ihrer Wertung objektiviert werden. Unsere Agrarpolitik hat den Verbrauchern in der EG eine langfristig gesicherte Versorgung zu Preisen garantiert, die sich in einer vernünftigen Relation zu dem lange angestiegenen Einkommen der Bevölkerung gehalten haben. So ist der Anteil der Aufwendungen für Nahrungsmittel beim Vierpersonenhaushalt von etwa 40% im Jahre 1967 inzwischen unter die Linie von 30 % gesunken.Der Stabilitätsbeitrag der EG-Landwirtschaft ist unbestreitbar und von hohem Verantwortungsbewußtsein gekennzeichnet. Mit unserer langfristigen Sicherung der Versorgung der Verbraucher haben wir nicht zuletzt gegenüber den planwirtschaftlichen Systemen eine Überlegenheit erreicht, die für die Erhaltung unserer Freiheit nicht unerheblich ist.Meine grundsätzlichen Überlegungen sollen aber auf keinen Fall einer Stellungnahme zu gewissen Überschußproblemen aus dem Wege gehen.Bei Getreide haben wir zur Zeit bei Weichweizen ein Zuviel an Produktion, wenn wir vom eigenen Bedarf ausgehen. Aber angesichts hoher Weltmarktpreise sind wir genötigt, durch Abschöpfungen sicherzustellen, daß nicht die heimische Produktion in vollem Umfang auf den Weltmarkt abfließt. Die Entlastung der Gemeinschaftskasse durch solche Abschöpfungen, also Einnahmen, ist nicht gering.Bei Zucker hat uns das Quotensystem der Gemeinschaft eine so stabile Lage gebracht, daß wir sogar in der Lage sind, das noch vom Weltmarkt abhängige England soweit zu versorgen, daß die extrem hohen Weltmarktpreise dort nicht uneingeschränkt durchschlagen. Nach einem Hinweis durch EG-Kommissar Lardinois hätte die Versorgung der EG mit Zucker zu Weltmarktpreisen im Jahre 1973 5 Milliarden Rechnungseinheiten, das sind 18,3 Milliarden DM, mehr gekostet. Das ist, meine Damen
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Bewerungeund Herren, ebensoviel, wie uns die ganze EG-Agrarpolitik gekostet hat.
Gerade diese Gesichtspunkte müssen uns dazu führen, nicht der Versuchung zu erliegen, mit unserer Diskussion das Kind mit dem Bade auszuschütten. Damit meine ich auch Erklärungen wie die von Herrn Ertl, die EG-Agrarpolitik in ihrer bisherigen Form sei gescheitert. Der Minister sollte es nun wirklich besser wissen.Sorgen bereiten uns zur Zeit die Überschüsse im Fleischsektor, von denen aber noch nicht zu erkennen ist, ob sie auf einen saisonalen Fleischberg zurückzuführen sind oder gar auf Dauer bestehen werden. Aber wenn wir schon zur Stützung unseres Fleischmarktes gewisse Geldausgaben nicht umgehen können, dann meine ich allerdings, daß diese Geldzahlungen nicht in unwirksame Kanäle wie etwa zu hohe Kühlhauskosten fließen sollten; sie sollten vielmehr sozial schwachen Bürgern in allen Ländern der EG, also auch der Bundesrepublik, unmittelbar zugute kommen.
Ich verurteile die Fehlentscheidung der Regierung, die von solchen Maßnahmen Abstand genommen hat, auf das entschiedenste. Uns allen ist das Buttergeschäft mit Rußland noch zu sehr in Erinnerung, als daß wir solchen Gedankengängen nicht endlich einmal folgen sollten.Natürlich bereiten uns auch die Strukturprobleme des Milchmarktes mit den Überschüssen an Butterfett und teilweise auch an Magermilchpulver Sorge. Ich kann es nicht verstehen, daß die Regierung die zweite, verbilligte Buttersorte nicht längst wieder eingeführt hat. Hier wäre wieder die Wirkung für die sozial Schwächeren deutlich geworden.Darüber hinaus ist zu betonen, daß sich die CDU/ CSU selbst einer Mengensteuerung nicht entziehen würde. Dabei muß aber sichergestellt sein, daß nicht England und Italien aus rein devisenpolitischen Gründen mithelfen, die Produktion zu steigern. Für dieses Mehr an Produktion hat die Gemeinschaftskasse einzustehen. Der Spielraum für nationale Maßnahmen dieser Art ist — das kann nicht deutlich genug gesagt werden — im Bereich der Aufstallungsprämie von dem verantwortlichen Minister Ertl selbst gutgeheißen worden. Dies ist eine der Maßnahmen, Herr Minister, mit denen Sie die Wettbewerbsverzerrung sogar noch selbst unterstützt haben.
Die EG steckt in einer schwierigen und entscheidenden Zwischenphase, von der wir nicht erkennen können, wie lange sie noch dauern wird. Eben deshalb kann die Frage nach den notwendigen Instrumenten zur Bewältigung des Übergangs nicht in aller Klarheit und Schärfe beantwortet werden. Sollte die gegenwärtige Zeitplanung nur annähernd eingehalten werden können, wäre besonders das Instrument des erweiterten Grenzausgleichs die beste Lösung und auch weiterhin voll gerechtfertigt. Nur so läßt sich die bestehende Disparität bewältigen.Die Übergangsphase kann sicher nicht nur durch Kamingespräche gesichert werden. Es bedarf besonders: a) der Stärkung des Europäischen Parlaments, b) der Stärkung der Kommission, c) der Stärkung dei Entscheidungsbefugnisse im Ministerrat. Die Union fordert immer wieder politische Impulse, damit dieses Europa als die einzig zukunftsträchtige Idee für unser Überleben gelingt. Sie fordert eine Neubelebung des Gemeinschaftsgedankens unter den Völkern Europas und besonders bei seiner Jugend.Setzen Sie, Herr Minister — das ist auch dem Herrn Bundeskanzler zu empfehlen —, Europa nicht aufs Spiel, auch um unserer Bauern willen, die schon so viele Vorleistungen im Sinne Europas gebracht haben.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Saxowski.
Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Es ist wieder an der Zeit in diesem Hohen Hause, über die Lage der Landwirtschaft zu debattieren. Die aktuelle Stunde in der vorvergangenen Woche war zu kurz, als daß sie dem Thema hätte gerecht werden können. Hoffen wir aber, daß Sie sich als Opposition von den rhetorischen Entgleisungen dieser aktuellen Stunde er- holt haben.
Dem Ernst der Lage angemessen sollten Sie sich, meine Damen und Herren in der Opposition, der billigen Vorwürfe von Schönfärberei enthalten. Wir werden dann von unserer Seite aus ganz gern den Vorwurf der Schwarzmalerei zurücknehmen.Die Opposition sucht Auskunft über die Lage der deutschen Landwirtschaft; wohlgemerkt: der deutschen Landwirtschaft. Das entspricht ihrem Bewußtseinsstand von Ende August bei Einbringung der Anfrage. Glaubt man ihren Erklärungen der letzten drei Wochen, so ist das Wort deutsch durch europäisch zu ersetzen; denn die Opposition hat in Wort und Schrift ihr sonst so hautnahes deutsches Hemd kurzerhand mit dem europäischen Rock vertauscht. Ihr oppositionelles Sein bestimmt ihr agrarpolitisches Bewußtsein. Das ist leider so.Die Widersprüche, in die Sie und die Ihnen eng verbundenen Oberen eines bestimmten Verbandes sich hineingeritten haben, sind nicht geschenkt; die werden hier heute aufgedeckt.
— So ist es doch, nicht wahr. Das darf man doch wohl sagen. Sie können doch denken, Herr Eigen. Sie sind doch sonst so klug. Mit Läusen werden Sie doch auch fertig.
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SaxowskiDie Probleme der deutschen Landwirtschaft stehen in engem Zusammenhang mit der Gesamtsituation auf dem europäischen Agrarmarkt.
— Das kann man nicht wegleugnen. — Nach zwei fetten Jahren mit erheblichen Gewinnen durch gute Ernten und günstige Preise ist die Landwirtschaft heute in eine Krise geraten, die hauptsächlich durch zwei Faktoren bestimmt ist.
— Ach, hören Sie mal, Herr Niegel: Lassen Sie uns doch auch ausreden. Was haben wir doch eben andächtig dem Herrn Bewerunge gelauscht. Warum denn die Unruhe bei Ihnen, wenn andere einmal dran sind?
— Wir sagen j a auch etwas. Einerseits steigen dieBetriebsmittelkosten durch Verteuerung der Dienstleistungen, die die Landwirte in Anspruch nehmen müssen, durch Verteuerung von Diesel, durch steigende Preise bei Futtermitteln. Andererseits fallen die Erzeugerpreise, weil das Angebot die Nachfrage übersteigt. Inflation, die sich bei uns in einem mehr als erträglichen Rahmen bewegt, und Überproduktion haben die Gewinnerwartungen der europäischen Bauern geschmälert. Viele sind sogar in Not geraten; das verkennen wir nicht. Die Preis-KostenSchere, die sich öffnet, weckt wieder Zukunftsangst; dagegen ist leider schwer anzudiskutieren. Das ge-) ben wir zu. Angestiftet oder spontan, begründet oder nicht, schuldlos oder selbstverschuldet, die europäischen Landwirte sind auf die Straße gezogen, haben ihre Proteste vor Ministertüren gekippt oder auf die Zäune von Präfekturen gespießt. Protest und Einsicht haben die Regierenden in Europa zum Handeln bewegt.Nationale Alleingänge gefährden den Gemeinsamen Markt. Mit einseitigen Maßnahmen rücken die europäischen Partner ihren nationalen Agrarproblemen zu Leibe. Eine schwere Krise wird sichtbar. Dem europäischen Krisenmanagement gelingt es mit Mühe, die italienischen Importrestriktionen, die vertragswidrig sind, aus dem Weg zu räumen. Mitte Juli versucht ein dubioser Beschluß der Agrarminister, den zerfallenen Rindfleischmarkt zu retten. In voller Kenntnis der ökonomischen Sinnwidrigkeit beschließt Europa ein Prämiensystem, um das Rindfleischangebot zu drosseln. Hier subventionierter Abbau von Überschüssen, da staatlich geförderte Überschußproduktion.Kaum hatten die Agrarminister Brüssel im Hochgefühl verlassen, sich noch einmal auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner getroffen zu haben, da wurden in einigen Ländern Subventionsbomben gezündet, die Europa vollends zu sprengen drohten. Frankreich und die Beneluxstaaten warten mit langen Listen von Sondermaßnahmen auf, 'die gegen Geist und Buchstaben der Römischen Verträge verstoßen. Mitten im Überfluß werden Preisgarantien für Mastverträge erweitert; Kuhprämien fördern die Milchproduktion; Prämien für Zuchtsauen heizen die Produktion von Ferkeln an. Vor einigen Tagen ist ja auch gesagt worden, daß allein in Niedersachsen heute 491 000 tragende Sauen mehr als im Vorjahr stehen. Es wird interessant sein, was da wieder auf uns zukommt. Daran ist aber nicht die Regierung schuld. Mitten im Überfluß wird zur Erzeugungsschlacht geblasen.Die Zeche zahlt der Steuerzahler; denn er muß das Milliardenspiel in Ordnung bringen.
Die Zeche zahlt der deutsche Bauer; denn er gerät in den Strudel eines hemmungslosen Verdrängungswettbewerbs. Mehr und mehr Marktanteile müssen verlorengehen, zumal die anderen über Markt- und Marketinginstrumente verfügen, gegen die sich der einzelne hierzulande nicht zu wehren vermag.Vor diesem Hintergrund und nur davor ist zu bewerten, was am 20. September in Brüssel, danach in Bonn und schließlich in Luxemburg geschehen ist. Ich habe weit ausgeholt, da man den Hintergrund kennen muß. Sollte die Bundesregierung etwa mitmachen, Gleiches mit Gleichem vergelten, ihrerseits Produktionskräfte entfesseln, damit der ökonomische Wahnsinn zum System erhoben wird? Oder sollte die Bundesregierung aus der Rechtschaffenheit des Vertragstreuen heraus versuchen, dem Chaos Einhalt zu gebieten, zu retten, was zu retten ist, den deutschen Landwirten zu helfen, sich aus der Schlinge der Wettbewerbsverzerrungen zu befreien. Die Bundesregierung ist den Weg der Vernunft gegangen. Dafür danken wir und beglückwünschen Sie, Herr Minister.
Nun haben die Landwirte ihre Preisanhebungen, die sie wollen. Ob sie etwas bringen, steht auf einem anderen Blatt.
Wir jedoch haben das Bewußtsein, daß der gemeinsame Agrarmarkt in einer tiefen Krise steckt und nur über eine vollständige Bestandsaufnahme der Weg zu finden ist, der zu den Grundlagen der Römischen Verträge führt. Mehr will die Regierung nicht, und dem stimmen Sie ja auch zu.
— Ich kann doch auch lesen; schließlich habe ich eine Brille, die vergrößert. Da kann ich die Buchstaben noch besser erfassen.
- Man sieht damit einen kleinen Mann groß, Herr Rawe. Das ist doch schön, nicht?Die Regierungen sind nun bereit, dafür zu sorgen, daß die Regeln des EWG-Vertrages in bezug auf die
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8114 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Saxowskibestehenden und künftigen Beihilfen streng eingehalten werden. Dies ist ein Erfolg, den niemand unterschätzen darf. Das möchte ich Ihnen einmal in aller Bescheidenheit ausdrücklich sagen.
Mit der Formel, die in Luxemburg gefunden wurde, läßt sich leben, bis das europäische Haus auf höchster Ebene geordnet ist.In dieser Zeit, in der die Bundesregierung zäh und standhaft gegen den europäischen Schlendrian zu Felde zieht, haben Opposition und Bauernverband nichts weiter im Sinn, als sich in negativer Kritik zu ergehen. Statt die Regierung zu unterstützen, im Interesse der deutschen Landwirte die Wettbewerbsverzerrungen zu bekämpfen, tönen Union und Verband unisono, die Bundesregierung habe einen Affront gegen die Interessen Europas begangen. Ich weiß gar nicht, wo der Affront ist. Präsident Heereman — mit Ambitionen eigener Art — und sein Präsidium
nutzen jede Gelegenheit, der Regierung öffentlich Unverantwortlichkeit, Leichtfertigkeit, Instinktlosigkeit vorzuwerfen. Dieses Verhalten ist bodenlos und beispiellos leichtfertig.
Sonst bedacht, als Prokurist deutscher Agrarinteressen aufzutreten, versuchen diese Herren plötzlich in die Rolle der europäischen Mustermänner zu schlüpfen, führen sich wie Gouvernanten auf, die eine deutsche Regierung, die mutig das heiße Eisen der Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Landwirte anfaßt, zur Ordnung rufen wollen. Das werden wir uns merken; das wird so schnell nicht vergessen.
Jahrelang hat der DBV, der Deutsche Bauernverband gefordert, die Wettbewerbsverzerrungen müssen weg, notfalls solle die EWG zum Teufel gehen. Auf einmal geht's anders rum, da spielen sie die großen Europäer. Dahinter steckt Methode, meine Damen und Herren, im Hinblick auf Bayern und Hessen.
Sonst verbindlich und mit offener Hand, wird zugeschlagen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Ausschließlich und unverblümt das Geschäft der Opposition zu betreiben, das liegt nicht im Interesse der Landwirte, vor allem nicht derer, die auf die helfende Hand des Staates hoffen und darauf angewiesen sind.Sehr wohl wissen die Herren, daß eine 5%ige Preisanhebung wenig bringt und daß das Wettbewerbsproblem mit Vorrang zu behandeln ist. Man muß dem Präsidenten nochmals vorhalten, daß erum des psychologischen Effektes willen vor Wochen sogar bereit war, sich mit 4 °/o zufriedenzugeben. Machen wir doch die Rechnung auf: Im März 8,5 % bis 12 % und nun am 7. Oktober weitere 5 %! Da haben wir Klunckers Lohnforderungen noch erheblich übertroffen; so sieht's doch aus!
— Natürlich, in den Prozenten sieht es so aus, das muß man sehen; zwei Anhebungen in einem Jahr.
Die Beschlüsse von Luxemburg machen deutlich, daß sich die Bundesregierung mit den am 25. September erhobenen Forderungen, die formal in Ordnung und sachlich begründet waren, weitgehend durchgesetzt hat. Da es erklärter Wille ist, über eine Bestandsaufnahme hinaus zu einer echten Fortentwicklung des Gemeinsamen Marktes auf der Grundlage der Römischen Verträge zu kommen, wird die Bundesregierung nunmehr daran gehen müssen, eigene Ideen und Initiativen zur Überwindung der sachlichen und institutionellen Probleme zu entwickeln. Wir, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sind bereit, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.Das Einkommen der deutschen Landwirte, wonach die Opposition mit Recht zuerst fragt, ist in den letzten Monaten Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen gewesen. Da gab es Institute, die mit statistischen Werten Ergebnisse errechnet haben, die einmal zutreffend waren, aber nicht in diesem und dem nächsten Jahr zutreffen werden. Das landwirtschaftliche Einkommen hat unter dem Kostendruck fürwahr gelitten. Dennoch werden wir im Wirtschaftsjahr 1973/74 ein Ansteigen verzeichnen, das im vergangenen Herbst angesichts der Rohstoffkrise niemand für möglich gehalten hätte.Und auch im laufenden Wirtschaftsjahr stehen die Zeichen gar nicht so schlecht. Schließlich gab es eine gute Ernte und inzwischen auch auf dem Fleischsektor steigende Marktpreise; das können Sie nicht leugnen! Die nun beschlossenen Brüsseler Preisanhebungen und die Anhebung der Vorsteuerpauschale hinzugerechnet, die immerhin 410 Millionen DM in bäuerliche Taschen fließen läßt,
werden wir am Ende dieses Wirtschaftsjahres auf ein Ergebnis zurückschauen können, das sich sehen lassen kann.Zum Thema Steuern! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, zu Ihrem Ärger ist es uns gelungen, die Bundesregierung zur 1%igen Anhebung der Vorsteuerpauschale zu bewegen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8115
SaxowskiWenn so etwas, meine Damen und Herren, in die Geschichte eingeht, dann sicher nicht als Ritz-Prozent, sondern als Schmidt-Prozent.Über Steuern reden heißt, daß eine große Zahl von Steuergesetzen im Rahmen der Steuerreform zugunsten der Landwirtschaft geändert worden sind. Dabei soll vor allen Dingen nicht vergessen werden, daß insbesondere durch die Neuregelung des Kindergeldes der Landwirtschaft erhebliche Vorteile erwachsen. Während die Kinderfreibeträge bisher bei geringem Einkommen gar nicht oder nur wenig zu Steuersenkungen geführt haben, ist der Übergang zu absoluten Beträgen — unabhängig von der Einkommenshöhe — mit Vorteilen gegenüber dem bisherigen Zustand verbunden.
Ein Landwirt, der verheiratet ist und drei Kinder hat, wird nach der Neuregelung pro Jahr 1860 DM mehr haben als bislang; das ist auch eine ganz hübsche Summe.
— Der hat ja auch keine Ausgaben!
— Dann soll er sich befleißigen, welche in die Welt zu setzen, dann kriegt er es auch. Auch die Anhebung des Grundfreibetrages auf je 3 000 DM für jeden Ehegatten wirkt sich als eine Vergünstigung für den Landwirt aus. Für Altenteiler ist eine Neuregelung von Bedeutung, wonach als Altersentlastungsbeitrag 40 % der Bezüge des Altenteilers abgesetzt werden können. Der Zufluß von Leibrenten und das Altersgeld aus der Alterskasse werden darüber hinaus wie bei allen gesetzlichen Krankenversicherungen mit dem Ertragsteil angesetzt.Das Thema Agrarsozialpolitik hat die Opposition in ihrer Großen Anfrage bezeichnenderweise völlig außer acht gelassen. Da scheint es nach Ihrer Auffassung offenbar keine Probleme zu geben dank einer guten sozialdemokratischen und freidemokratischen Sozialpolitik, die wir auf diesem Sektor betrieben haben.
Altershilfe, Unfallversicherung, Krankenversicherung, die neue Zusatzversorgungskasse für Land-und Forstarbeiter und einiges mehr sind teure Errungenschaften, um die wir gekämpft haben. Das System der sozialen Sicherung der Landwirtschaft und der Menschen im ländlichen Raum ist ziemlich abgeschlossen; es macht heute immerhin den stolzen Betrag von 2,4 Milliarden DM aus, was Sie auch nicht vergessen sollten.Was bleibt, haben wir bereits in unserem Wahlprogramm 1972 zur Forderung erhoben: Die Marktstellung unserer Landwirte muß gestärkt werden, dies insbesondere deshalb, weil in anderen Ländern schlagkräftige Instrumente eingesetzt und entwickelt werden. Deshalb sind wir gezwungen, sobald wie möglich geeignete eigene Instrumente zu schaffen, was nicht gegeneinander, sondern miteinander geschehen sollte. Es sollte auch nicht gegen den Deutschen Bauernverband, sondern mit ihm gemeinsam begonnen werden. Nur wenn das gelingt, werden wir den immer schärfer werdenden Wettbewerbsdruck innerhalb der EWG bestehen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit einem aufmunternden Wort an die Opposition schließen! Ich habe Ihre Beiträge und Stellungnahmen in letzter Zeit mit besonderer Aufmerksamkeit gelesen. Daraus folgt für mich: Sie als Opposition dürfen alles. Sie dürfen europäische Agrarpolitik im nationalen Interesse entwerfen, dürfen Agrarkataloge vorlegen, auch wenn sie 2 Milliarden DM zusätzlich kosten, und dürfen damit den Bauern Sand in die Augen streuen. Sie dürfen auch das Gras wachsen hören, weil Sie den Rasen nicht zu pflegen haben, und last not least darf der verehrte Herr Kollege Karl Eigen weiter Leute mit seinen Visionen von Läusen und Menschen erschrecken. Nur eines dürfen Sie nicht: Anspruch darauf erheben, immer ganz ernst genommen zu werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätte ich geglaubt, daß die Opposition heute ihren ersten Agrarsprecher, Herrn Bewerunge, gar nicht mehr aufs Rednerpult läßt, nach dem, was er sich in der Aktuellen Stunde tatsächlich sozusagen im „positiven Sinne" zuschulden hat kommen lassen. Bei seiner Geisterbeschwörung, die er stets in bezug auf die Agrarpolitik, die wir betreiben, vollzieht, ist er nun doch einmal zum Kronzeugen dafür geworden, was die Opposition zu jener Zeit, als sie agrarpolitische Verantwortung zu tragen hatte, zu leisten in der Lage war. Er hat nämlich wörtlich gesagt— ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Protokoll —:Da sitzt unser damaliger Landwirtschaftsminister Höcherl. Er hat mir oft aus Kabinettssitzungen berichtet. Auch damals wollten wir Preiserhöhungen haben. Nicht einmal hat ein Minister der SPD Ja zu Preiserhöhungen gesagt, weil das nicht in Ihr Bild paßt, meine Damen und Herren.
— Ja, so war es, daß Sie sich als ganz großer Koalitionspartner der SPD gegenüber nicht durchsetzen konnten.
— Nicht durchsetzen konnten. Das ist das Eingeständnis, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Sie hier, Herr Bewerunge, selbst aktenkundig vollzogen haben.
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8116 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
GallusIch bin der Meinung, daß bei einem Vergleich zwischen der Zeit, in der Sie agrarpolitische Verantwortung getragen haben, und den Jahren, in denen unser Bundeslandwirtschaftsminister Ertl die Verantwortung getragen hat, bei einem Vergleich der Jahre 1965 bis 1969 und 1970 bis 1974 insgesamt gesehen, sehr wohl die Waage zu unseren Gunsten ausschlägt.
— Sie können es nachlesen!Ich stehe nicht hier, meine Damen und Herren von der Opposition, um vor Ihnen darzulegen, daß wir im Augenblick nicht in einer schwierigen agrarpolitischen Situation wären. Aber es ist einfach fair, wenn man gerade in bezug auf die Agrar- und Wirtschaftspolitik wenigstens einen größeren Zeitraum in die Überlegungen mit einbezieht. Wir alle wissen doch, daß wir es in wirtschafts- und agrarpolitischer Hinsicht sehr stark mit Wellenbewegungen zu tun haben, von denen wir bis jetzt noch nicht heruntergekommen sind.
In diesem Zusammenhang halte ich es sogar für unredlich, wenn draußen im Landtagswahlkampf in Bayern verbeitet wird,
— da war ich bei den Bauern noch nicht —,
in den letzten zehn Jahren hätten die Agrarpreise um drei, die Kosten aber um 30 % zugenommen. Meine Damen und Herren von der Opposition, so einfach machen Sie es sich.
Sie verschweigen — jedenfalls tun es Ihre Partei-freunde in Bayern; ich weiß nicht, Herr Kiechle, oh Sie die Information weitergegeben haben —,
daß ja gerade in dieser Zeit die Entscheidung fiel — das war damals 1964 unter Schmücker und Schwarz —, den Getreidepreis zu senken, damit überhaupt der Eintritt in die Weiterentwicklung der EWG vollzogen werden konnte.
Bitte sagen Sie das den Landwirten draußen. Sagen Sie ihnen auch, daß aus dieser schwierigen Situation heraus zum ersten Mal Ertl die Bresche schlagen mußte, weil Höcherl sie nicht geschlagen hat.
— Ja sicher, er mußte es tun, um die Preise in Europa für die deutsche Landwirtschaft wieder in Bewegung zu bringen.
Daß im letzten Jahr die Kosten für die Landwirtschaft ganz erheblich gestiegen sind,
wird von uns nicht bestritten.
Wir sind der Auffassung, daß man so fair sein sollte, die Gründe für die Steigerung der Kosten in den wesentlichen Bereichen anzuerkennen
— darauf komme ich noch zu sprechen —, die mehr weltwirtschaftlich bedingt ist und nicht der Bundesregierung angelastet werden kann. Immerhin hat unser Land gegenüber allen anderen westlichen Staaten die niedrigste Preissteigerungsrate insgesamt aufzuweisen. Mit dieser Realität machen wir Politik.
Nun komme ich zum Rückgang der Preise.
— Auch das wird von uns nicht bestritten.
Der Rückgang dieser Preise steht zum Teil in engem Zusammenhang mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Viele Verbraucher — das stellen wir seit Monaten fest — waren gerade bei den hochentwickelten Nahrungsmitteln nicht mehr bereit, in gleichem Maße Geld auszugeben, wie das früher der Fall war.
Tatsache ist, daß der Fleischverbrauch pro Kopf im Kalenderjahr 1973 um 1,6 kg zurückgegangen ist. Früher hatten wir einen Zuwachs im Fleischverbrauch von 2 kg pro Jahr.
Man muß auch hier einmal erkennen, daß gewisse natürliche Grenzen gegeben sind. Es hat den Anschein, als ob gerade im Verbrauch von Fleisch eine solche Grenze im großen und ganzen erreicht ist. Was weniger an Steigerung und weniger an Verbrauch vorhanden war, also weniger am Markt in Erscheinung trat, macht insgesamt einen Bestand von 960 000 Rindern oder 2,3 Millionen Schweinen aus. Vergleichen Sie damit einmal die Überstände an Veredelungsprodukten im Fleischsektor in der EWG und der Bundesrepublik! Dann kommen Sie
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8117
Gallusnämlich beinahe auf die gleichen Zahlen. Der Grund für die gesamte Entwicklung der Preise ist also insbesondere darin zu suchen, daß der Verbrauch stagnierte bzw. zurückgegangen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Susset?
Herr Kollege Gallus, sind Sie bereit, vor diesem Hause zu bestätigen, daß diese Zahl für 1973 zwar stimmt, aber für das Jahr 1974 unter Berücksichtigung des Rückgangs der Preise für Fleisch eine Verbrauchssteigerung festzustellen ist? Das können Sie übrigens aus den Berichten einer Organisation entnehmen, der auch Sie angehören.
Herr Kollege Susset, Sie nehmen mir Dinge vorweg, die ich hier alle noch feststellen wollte. Sie dürfen nicht annehmen, daß ich das nicht wüßte und nicht gelesen hätte.Zunächst einmal möchte ich etwas zu den Lösungsvorschlägen sagen, die uns in diesen schwierigen Monaten zum Teil angeboten worden sind. Da hat es doch in verschiedenen Bereichen Agrarpolitiker gegeben, die angesichts der Schwierigkeiten mit dem Bardepot in Italien, welche die Situation noch verschärft haben, in diesem Sommer den Vorschlag gemacht haben, hier nach dem Motto zu handeln, wie es im Alten Testament geschrieben steht: Auge um Auge — Zahn um Zahn.
Machen die ihre Grenzen dicht, machen wir sie auch dicht. — Schlechte Propheten haben sich hier unterstanden, uns Empfehlungen zu geben, weil sie natürlich wissen mußten, daß, wenn wir mit gleicher Münze heimgezahlt hätten, das insgesamt gesehen in Europa eine gesamtwirtschaftlich schwierige Situation herbeigeführt hätte.Ich bin der Meinung, daß der Weg, den Minister Ertl über den Ministerrat beschritten hat, der allein richtige war, nämlich über Verhandlungen den Versuch zu unternehmen — der zudem gelungen ist —, hier das Bardepot weitgehend zu beseitigen.Es hat in den schwierigen Monaten um die Jahresmitte an Kritik nicht gefehlt. Landwirtschaftsminister wie Dr. Brunner aus Baden-Württemberg haben während der schwierigsten Wochen, wo wir die schlechten Preise gehabt haben, schon wieder Hochrechnungen der Agrarpreise für die nächsten zwei, drei, vier, fünf Jahre gemacht, um damit eine Situation an den Horizont zu malen, als ob in der Bundesrepublik der Untergang der Landwirtschaft bevorstünde. In dem Moment aber — das haben wir vor zweieinhalb Jahren feststellen können , wo die Preise aus dem Tal wieder herauskommen, machen Ihre CDU-Landwirtschaftsminister keine Hochrechnungen mehr; da ist das alles eine ganz natürliche Selbstverständlichkeit.
Nun, wo stehen wir im Augenblick? Wenn wir die Agrarmärkte objektiv betrachten, können wir feststellen, daß sich seit Wochen eine gewisse Stabilisierung der Märkte abzeichnet. Wir brechen darüber zwar nicht in Freudentränen aus, sehen darin aber den Beweis, daß es zum Teil gelungen ist, die Preise über eine Entlastung der Märkte anzuheben. Wir sind der Auffassung, daß mit den neuen Preisfestsetzungen der EWG und mit der Regelung der Frage der Mehrwertsteuer auch eine Entlastung der deutschen Landwirtschaft in bezug auf die Mehrkosten, die sie unweigerlich hat, einhergehen wird.Wir als FDP sind der Meinung, daß es, so wie die Dinge in bezug auf die Festsetzungen der neuen Preise in Brüssel und zuletzt in Luxemburg gelaufen sind, gar nicht so schlecht war, daß man hier gleichzeitig die Forderung in den Raum gestellt hat, einmal eine Bestandsaufnahme über die Wettbewerbsverzerrungen in der EWG vorzulegen. Wir können heute eines schon ahnen. Wenn diese Bestandsaufnahme vollzogen ist, wird die Kommission in Brüssel feststellen: Sie sind allzumal Sünder. Wir werden dann — falls wir auch darunter fallen sollten — sicher den Beweis antreten, daß das, was wir getan haben und tun mußten, nicht zur Wettbewerbsverzerrung, sondern zur Wettbewerbsentzerrung beigetragen hat.
Herr Kollege Bewerunge, Sie sprechen gerade im Zusammenhang mit der EWG-Agrarpolitik davon, diese Politik sei dadurch gekennzeichnet, daß die Gemeinsamkeit darauf beruhe, daß gemeinsame Präferenz, freier Warenverkehr und finanzielle Solidarität gewahrt werden müßten. Die Entscheidung, die auf diese drei Schwerpunkte abgehoben hat, bringt natürlich die Schwierigkeit mit sich, die EWG-Agrarpolitik überhaupt beweglich genug zu machen, um der heutigen Situation gerecht zu werden. So sehe ich die damalige Entscheidung. Lesen Sie einmal das Interview von Edgar Faure in„Agra-Europ" nach. Er sagte — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Ich kann Herrn Schmidt durchaus verstehen. Nach seiner Meinung kostet der Gemeinsame Markt die Bundesrepublik zu viel. Aber das bringt das normale Spiel des Gemeinsamen Marktes nun einmal mit sich.Jetzt kommt das Entscheidende:Als ich seinerzeit in Brüssel der Abschaffung der Zölle und dem freien Markt zugestimmt habe, haben wir bewußt Nachteile für unser Land in Kauf genommen, da wir als Gegenleistung einige Vorteile im landwirtschaftlichen Bereich erhielten.Deshalb, Herr Bewerunge, kann ich es nicht verstehen, wenn Sie nun sagen, daß Europa heute deshalb nicht in Gefahr gebracht werden darf, weil 75 % unseres Industrieexports nach Europa gehen. Wenn Sie das sagen, müssen Sie hier auch zugestehen, daß das nur auf der Basis der Zugeständ-
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8118 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Gallusnisse an Frankreich im Agrarbereich geschehen konnnte. Das ist die Realität. Das ist eine Tatsache.
Herr Bewerunge, man kann nicht alles für sich in Anspruch nehmen.Jetzt habe ich schon zwei Kronzeugen für meine Auffassung von der derzeitigen Agrarpolitik. Der erste sind Sie, daß Sie vor uns in dieser Hinsicht nichts fertiggebracht haben, und der zweite ist Edgar Faure. Die Weichen sind mit Ihrer Hilfe so gestellt worden, daß die Agrarpolitik gar nicht anders laufen konnte, als sie in Wirklichkeit gelaufen ist.
Ich sage Ihnen: Angesichts der Schwierigkeiten, die wir haben, beschwöre ich nicht den dritten Pfeiler der gemeinsamen Agrarpolitik, nämlich die finanzielle Solidarität, und zwar deshalb nicht, damit die anderen nicht Erzeugungsschlachten schlagen können, die wir auf Grund der Tatsache der finanziellen Solidarität bezahlen müssen. Meine Damen und Herren von der Opposition, genau über diese Fragen müssen wir reden, weil die Dinge nicht so einfach sind.
Wenn wir noch etwas tiefer in die Gesamtproblematik der EWG-Agrarpolitik einsteigen, sehe ich allerdings insofern einen gewissen Lichtblick, als nicht nur unser Minister Ertl, die Bundesregierung, sondern auch gewisse Kräfte im Deutschen Bauernverband heute schon wissen, daß man sich nicht nur über gemeinsame Preisforderungen, die zum Teil nur auf dem Papier stehen können, weil die Märkte in Bezug auf die Einkommen der Landwirtschaft solche Erhöhungen gar nicht hergeben, unterhalten darf, sondern daß man sich — das wird in der Zukunft das Entscheidende sein — auch darüber unterhalten muß, ob es gelingt, das Problem der Produktion der Mengen, die sich am Verbrauch zu orientieren haben, halbwegs in den Griff zu bekommen. Das dürfte die entscheidende Frage der Zukunft für die EG-Agrarpolitik sein.Den Vorschlag, den Edgar Faure gemacht hat, eine Indexpreisregelung in den EG-Agrarpreisen mit einer Quantenregelung, muß man vor diesem Hintergrund sehr vorsichtig bewerten. Er kann ebenfalls nur in bezug auf die finanzielle Solidarität gesehen werden. Mir steht es nicht zu, von dieser Stelle aus als Abgeordneter des Deutschen Bundestages Frankreich Vorschläge zu machen, was dort zu geschehen hat.
Vielleicht kann das im Europäischen Parlament geschehen. Aber ich bin auch der Auffassung, daß nun endgültig der Zeitpunkt gekommen ist, wo man von der Vorstellung Abschied nehmen muß -das gilt in erster Linie für weite Teile von Frankreich —, daß man die nicht stattfindende Struktur-und Regionalpolitik mit Agrarpolitik und mit der Agrarpreispolitik in der EG vollziehen kann.
Das ist ein Ding der Unmöglichkeit; darüber muß gesprochen werden, darüber muß man sich unterhalten.
Weil ich von dieser Tatsache so überzeugt bin, war ich auch stets ein Befürworter des Regionalfonds in Europa. Sie können selbst bestätigen, daß ich als einer der wenigen im Ernährungsausschuß diesen Standpunkt vertreten habe.
Herr Finanzminister, Sie mögen anderer Auffassung sein.
Aber auch Sie kommen, zusammen mit allen Finanz- ministern Europas, um diese entscheidende Frage, ob sie gelöst wird oder nicht gelöst wird, nicht herum. Ich behaupte sogar, daß dieser Weg einer Trennung von Agrarpreispolitik und Struktur- und Regionalpolitik am Ende billiger werden wird, als Struktur- und Regionalpolitik über Agrarpreise in Europa machen zu wollen.
— Ich würde sagen: die Freude lasse ich Ihnen, der Ernst kommt sowieso.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun gestatten Sie mir, einige Ausführungen zur gesamtsteuerlichen Situation zu machen! Sie haben die Mehrwertsteuer in Ihrer Anfrage angesprochen. Diese Dinge sind in Bälde geregelt.
Aber Sie haben natürlich bewußt verschwiegen — das ist ja auch gar nicht Aufgabe der Opposition, das will ich zugestehen —, daß es über diese Mehrwertsteuer hinaus noch einen allgemeinen steuerlichen Bereich gibt, den wir jetzt im Zusammenhang mit der Steuerreform geregelt haben. Hiervon möchte ich einmal in aller Deutlichkeit die einheitswertbezogenen Steuern ansprechen, weil sie für die Landwirtschaft von ganz erheblicher Bedeutung waren, sind und auch in der Zukunft sein werden. Wir haben jahrelang den Vorwurf von Ihnen und von anderen draußen entgegennehmen müssen, daß diese „Linkskoalition" in Bonn — und das feiert ja jetzt alles in Bayern seine fröhliche Urständ —
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8119
•Gallusdas Eigentum in Gefahr bringen wolle, insbesondere über die Steuergesetzgebung.
— Ich komme gleich darauf zu sprechen. Ich glaube, Sie haben selber eigentlich nicht geglaubt, daß wir die Fragen der Grundsteuer, der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer, insbesondere im mittleren Vermögensbereich, in einer hervorragenden Weise gelöst haben.
Wir haben auch unser Versprechen voll eingelöst, daß vom Gesetz her die Landwirtschaft nicht stärker belastet werden soll, auch wenn die Einheitswerte für die Landwirtschaft zwischen 1935 und 1964 mit der Neufestsetzung um 25% gestiegen waren. Dafür wurde die Ertragsmeßzahl im Gesetz um 25% gesenkt, nämlich von 8 auf 6 Promille. Gerade diese Tatsache und die Heraufsetzung der Freigrenze bei der Erbschaftsteuer und Vermögensteuer wird nämlich von unseren Landwirten draußen sehr positiv bewertet, und zwar deshalb, weil sie wissen, daß das, was wir heute an Schwierigkeiten im preislichen Bereich haben, eine vorübergehende Angelegenheit ist und sein wird, der übrige Steuerbereich aber eine Angelegenheit ist, die über Jahre hinweggeht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!
Herr Kollege Gallus, ist Ihnen bekannt, daß die Verbesserungen, die Sie eben aufgeführt haben, insbesondere die Erhöhung der Freibeträge bei Erbschaft- und Vermögensteuer, erst im Vermittlungsverfahren durch Eingreifen der CDU entstanden sind?
Herr Kollege, dazu muß ich aber in aller Deutlichkeit feststellen, daß die Freibeträge, die bereits im Gesetz waren, für die Landwirtschaft durchaus genügt hätten. Für Ihre Klientel, die weiter oben liegt, haben sie aber wahrscheinlich nicht genügt.
Ich darf dazu noch sagen: Wenn Sie schon, Herr Kollege, bei der Gesamtsteuerreform sind — —
— Nein, jetzt nicht, jetzt möchte ich diesen Punkt abhandeln.
— Ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen!Wenn Sie schon bei der Gesamtsteuerreform sind und hier mit großem Lamentieren, auch was GroßeAnfragen anbetrifft, nun bedauern, daß dieses oder jenes nicht möglich ist, da es natürlich auf der anderen Seite auch entsprechende Steuerausfälle bringt, hätten Sie sich bei der Steuerreform etwas klüger verhalten müssen. Ich meine, mir persönlich sind Sie nicht so lieb, daß Sie mir drei Milliarden DM wert gewesen wären. Das muß ich hier ganz offen sagen. Es war der Zwang der Verhältnisse, daß Sie in der Steuerreform hier nun um drei Milliarden DM über-I zogen haben.
— Um drei Milliarden! — Sie müssen zur Kenntnisnehmen, daß das insgesamt verkraftet werden muß und letzten Endes auch zu Lasten mancher Leistungen geht, die für die Landwirtschaft hätten erbracht werden können. Das will ich hier einmal sagen.
Und nun zu meinem letzten Thema, dem Bodenrecht.
— Das steht nicht drin.
Ich möchte es aber in diesem Zusammenhang erwähnen, weil Sie das in Ihrer Anfrage vergessen mußten, weil Sie nicht geglaubt haben, daß in der Zwischenzeit eine vernünftige Lösung zwischen den beiden Koalitionspartnern auf diesem Sektor zustande kommen würde.
Ich muß Ihnen eines sagen: Gerade während dieser Verhandlungen, in denen es um das Bodenrecht ging, hat die CSU in Bayern sich in diesen Fragen an die Rockschöße der SPD geklammert.
— Ja, und zwar hat sie den Planungswertausgleich auf ihrem Parteitag beschlossen und nichts anderes. Und bis zu dem Herrn Minister Eisenmann — man höre und staune; ich möchte jetzt noch etwas Aufklärung treiben —
ist noch gar nicht durchgedrungen, daß wir in dem Zusammenhang auf keinerlei Kompromiß in bezug auf eine Aufspaltung beim Eigentum in Nutzungs-und Verfügungsrecht eingegangen sind. Trotzdem erzählt der Herr Eisenmann in Bayern landauf, landab, die FDP habe beim Eigentum der Aufspaltung in Nutzungs- und Verfügungsrecht zugestimmt.
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8120 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
GallusWeil Sie eine so christliche Partei sind, würde ich Ihnen jetzt empfehlen, auch während des Wahlkampfes ab und zu die Bibel zu lesen.
In dieser Frage des Bodenrechts brauchen Sie sich nur eines zu Herzen zu nehmen, nämlich das Gebot: Du sollst kein falsch' Zeugnis reden wider deinen Nächsten!
Das sage ich — und ich wiederhole es noch einmal von dieser Stelle aus — auch an die Adresse eines Staatsministers in Bayern, denn ein Staatsminister in Bayern
scheint hauptsächlich, wenn er bei der CSU ist,
mehr zu sein als ein König.
Ich habe aber keine Angst.Gestatten Sie mir nun, daß ich noch einige Ausführungen mache
zu der Alternative,
die Sie agrarpolitisch mit Ihrem CDU-Agrarprogramm geboten haben. Ich kann nur sagen -- in Details will ich nicht einsteigen; ich habe es gelesen —, es verdient die Überschrift „Eine Olympiade der Wünsche", eine Olympiade der Wünsche, die noch nicht einmal Ihre Gesamtfraktion zu tragen bereit ist.
Das beweise ich Ihnen an einem kleinen Beispiel.
Unter anderem steht da drin, daß die Grundsteuer für die Landwirtschaft abgeschafft werden soll. Haben Sie Ihre übrigen Kollegen gefragt, wie Sie es dann halten wollen mit den Arbeitern, die ein Einfamilienhaus besitzen?
Wollen Sie da die Grundsteuer auch abschaffen?
— Ja glauben Sie, daß es möglich ist, die Grund-steuer für die Landwirtschaft abzuschaffen, ohnenicht gleichzeitig die Grundsteuer für die Einfamilienhäuser der Arbeiter abzuschaffen?
Sie sind doch im Irrtum, wenn Sie glauben, hier der Landwirtschaft Vorschläge machen zu können, die in Wirklichkeit — und mögen sie von noch so vielen agrarpolitischen Gruppen unterstützt werden -nicht realisiert werden können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Gallus, kennen Sie den Unterschied zwischen Grundsteuer A und B?
Auf diese Frage, Herr Kollege Eigen, gebe ich keine Antwort.
Ich bin 15 Jahre Gemeinderat gewesen. — Herr Kollege, angesichts der Tatsache, daß Herr Eigen eine so hervorragende Frage gestellt hat und ich Angst haben muß, daß noch mehr solche aus Ihren Reihen kommen, möchte ich jetzt meine Ausführungen zu Ende führen.
Wenn wir uns in diesem Zusammenhang das CDU-Agrarprogramm vergegenwärtigen, dann müssen wir uns fragen: Wieso hat diese große Partei nicht den Mut gehabt, auch einmal zu sagen, daß die Frage der Produktionsmenge in der Agrarpolitik eine große Rolle spielen wird? Wenn ich mir noch einmal vergegenwärtige, was Sie zur Milchproduktion und zum Milchpreis gesagt haben einerseits sei festzustellen, daß wir zuviel davon haben, und gleichzeitig sei festzustellen, daß natürlich in gar keiner Weise in der Zukunft in das eingegriffen werden soll, was hier zu geschehen hat —, so ist das auf keinen Nenner zu bringen.
Ich bin der Meinung, daß wir einiges dafür getan haben, daß die Veredelungsproduktion für die bäuerliche Landwirtschaft erhalten bleibt. Ich mache heute den zusätzlichen Vorschlag, daß die FDP der Auffassung ist, in bezug auf die Überproduktion der Schweine seien die Dinge dahin gehend in Europa in den Griff zu bekommen, daß man in Europa anstreben soll, die Schweinebestände pro Produktionseinheit im einzelnen Betrieb auf 1 000 Liegeplätze zu beschränken. Wenn wir Agrarpolitik und Umweltpolitik auf einen Nenner bringen wollen,
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8121
Gallusdann müssen wir ganz konsequent diesen Weg gehen.Meine Damen und Herren, ich erspare es mir, noch auf wesentliche Probleme einzugehen. Sie sind bereits angesprochen worden, z. B. die Frage der Mengenregulierung in Zusammenhang mit der Vorratshaltung, die unweigerlich gemacht werden muß angesichts des Hungers in der Welt. Aber eines möchte ich hier noch zurückweisen, nämlich die Tatsache, daß alles, was wir tun — und vieles braucht eine entsprechende Anlaufzeit —, von Ihnen so dargestellt wird, als ob das nichts sei, meine Damen und Herren. Dagegen wehre ich mich, denn die Agrarpolitik Europas wird sich nach wie vor mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, daß die Agrarproduktion schneller steigt als der Verbrauch, daß das weitere Problem auf uns zukommen wird, daß wir schlechte Gebiete haben, wo nur über Direktzuwendungen überhaupt Bauern erhalten werden können. Das sind Probleme, um deren Lösung wir nicht herumkommen.Wir sind der Meinung, daß wir für unsere Agrarpolitik von Ihnen und vielen anderen Kreisen kein Lob erwarten können. Aber wir sind gleichzeitig der Auffassung, daß es in zunehmendem Maße draußen in der Landwirtschaft eine bäuerliche Jugend, Frauen und Männer gibt, die das Bemühen anerkennen, das wir bisher in der Agrarpolitik gezeigt haben und das wir mit unserem Bundeslandwirtschaftsminister Ertl auch in der Zukunft fortsetzen werden.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Bundesminister Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nochmals betonen, daß ich der Opposition sehr dankbar bin, daß sie uns diese agrarpolitische Aussprache hier und heute vermittelt hat. Sie gibt mir vor allem Gelegenheit, die Dinge richtigzustellen.In dieser Großen Anfrage — das war wohl auch die Absicht — steckt natürlich auch ein Stück Wahlkampf. Das will ich aber nicht global unterstellen. Da war auch Sorge dabei. Aber natürlich ist es das gute Recht der Opposition, zu sagen: Es sind auch noch Wahlen; warum sollen wir das Geschäft nicht nutzen? Das ist ganz legitim!Nur eines, verehrter Kollege Bewerunge: Die Kritik der Opposition ist notwendig, weil die Regierung sich daran orientieren muß. Aber nur Kritik ohne Alternative ist zu wenig, um für sich überhaupt in Anspruch nehmen zu können, eine Alternative zu sein.
Das habe ich in dem bisherigen Beitrag der Opposition vermißt.Ich will aber zunächst einige Dinge — weil ich mich nachher mehr grundsätzlichen Fragen widmen möchte — richtigstellen. Zunächst lassen Sie mich hier, weil mir das zur Objektivierung der Tatbestände der letzten Wochen geradezu als eine Notwendigkeit erscheint, auf folgendes hinweisen: Der Herr Bundeskanzler hat auf Grund eines Telefonanrufs von mir, den ich Ende August noch vom Krankenbett aus machte, unverzüglich zugestimmt, daß wir, bevor wir unsere Position im Agrarkabinett, das der Vorbereitung der Brüsseler Verhandlungen diente, festlegen, ein Gespräch mit dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes führen. Dieses Gespräch ist dann geführt worden. Zur Vorbereitung dieses Gesprächs hat der Herr Präsident Heereman — das ist sein Recht und seine Pflicht — an den Herrn Bundeskanzler mit Datum vom 26. August 1974 — hier ist das Original — einen Brief geschrieben. In diesem Brief heißt es unter 4.1.1.:Revision der EG-Agrarpreisbeschlüsse vom 23. März 1974 für das laufende Wirtschaftsjahr. Wenigstens die ursprüngliche COPA-Forderung nach einer Erhöhung der gemeinsamen Agrarpreise für das Wirtschaftsjahr 1974/75 um durchschnittlich 12,5 %.Nachdem 8,5 % im März beschlossen wurden, bedeutet das die konkrete Forderung von 4 %. Dasselbe hat auch der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes in einem Brief an mich am 1. August gefordert.Dennoch wird im bayerischen Wahlkampf behauptet, dies würde nicht zutreffen. Wer das noch behauptet, spricht wider besseres Wissen. Ich bedauere das sehr; denn ich schätze die Loyalität von Herrn von Heereman. Ich weiß aber auch, daß es andere gibt, die ihre politische Stellung — möglicherweise, I weil sie Zusagen haben, Landwirtschaftsminister zu werden — ausschließlich für parteipolitische Zwecke zum Schaden der deutschen Landwirtschaft mißbrauchen.
— Ich zitiere mittelbayerische Zeitungen, Kollege Stücklen. Ich sammle alles; Sie können sich darauf verlassen. Ich bin im Sammeln von Briefen sehr penibel — was sonst gar nicht meine Art ist —, weil ich weiß, daß man mir sonst das Wort im Munde umdreht.Lassen Sie mich hier ein Weiteres feststellen. Ich habe in der Aktuellen Stunde erklärt: Der Beschluß der Bundesregierung — wer ihn gelesen hat, konnte zu gar keiner anderen Schlußfolgerung kommen — bedeutet „ja, aber". Ich habe weiter erklärt: Ich fühle mich an meine Ad-referendum-Zustimmung gebunden, aber in der Sache — nämlich in den drei Punkten: Mitverrechnung bei dem neuen Preispaket, Abschaffung oder Stopp produktbezogener Beihilfen und Bestandsaufnahme — stehe ich voll hinter dem Kabinettsbeschluß.Ich kann nur sagen: Wir haben uns in diesen drei Punkten voll durchgesetzt. Erstens ist es so, daß die belgische Regierung in der letzten Ministerratssitzung erklärt hat, eine von ihr beabsichtigte produktbezogene Beihilfe für Zuchtschweine werde auf Grund der Intervention der Bundesregierung gestoppt und nicht ausbezahlt.
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8122 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Bundesminister ErtlZweitens: Die Kommission hat erklärt --- das ist im Ratsprotokoll festgehalten —, sie werde die im Vertrag vorgesehene Prüfung der bereits eingeleiteten produktbezogenen Beihilfen unverzüglich fortsetzen und auch darauf bestehen, daß diese Beihilfen abgebaut werden.Drittens: Die französische Regierung hat erklärt, sie werde keine weiteren produktbezogenen vertragswidrigen Beihilfen in Kraft setzen.Viertens: Alle Länder haben erklärt, ihre Beihilfen bis Ende dieses Jahres zu melden.Ich kann nur feststellen: Die Bundesregierung hat sich mit ihren Punkten voll durchgesetzt, und sie hat die volle Zustimmung von Kommission und Rat erhalten.
Damit habe ich dieses Problem abgehakt.Lassen Sie mich jetzt, bevor ich wiederum zu grundsätzlichen Fragen zurückkomme, auf ein weiteres Problem eingehen, nämlich auf die Einkommensentwicklung der Landwirtschaft. Daß die Einkommensentwicklung in der Landwirtschaft in den ersten sieben, acht Monaten dieses Jahres nicht erfreulich war, hat niemand bestritten. Wir haben deshalb als allererstes 208 Millionen DM für die Landwirtschaft zur Verfügung gestellt. Weitere 40 Millionen DM stehen noch in diesem Jahr im Rahmen des Bergbauernprogramms bereit, auch mit der Möglichkeit der Ausgleichszulagen. Dies war auch dank der guten Zusammenarbeit mit den Ländern möglich, für die ich mich hier ausdrücklich bedanken möchte. Weitere Hilfen sind den Gärtnern zuteil geworden. Es handelt sich insgesamt — unter Einschluß der Fischerei — um 400 Millionen DM.Wir haben diesen Tatsachen im Kabinett auch mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale Rechnung getragen.Zum Brüsseler Kompromiß darf ich Ihnen sagen, daß ich auch heute noch sachliche Bedenken habe. Ich bin aber sehr dankbar dafür, daß einige Firmen jetzt erklärt haben, sie wollten einen Teil nachzahlen; alles können sie allerdings gar nicht nachzahlen. Wir kannten ja die Problematik bei Getreide. Ich will auf das Thema der Aktuellen Stunde hier nicht näher eingehen.Wir haben uns mit unserem grundsätzlichen Petitum durchgesetzt und dennoch die fünfprozentige Erhöhung beschlossen — ein Prozent mehr, als am 26. August der Deutsche Bauernverband in seinem Brief an den Bundeskanzler gefordert hatte.Meine sehr verehrten Damen und Herren, da die Indexzahlen eine so große Rolle spielen, lassen Sie mich folgendes sagen: Die Zahlen, die Herr Bewerunge genannt hat, stimmen. Man muß aber auch so objektiv und fair sein, daß man sagt: Indexzahlen sind sicherlich ein Indiz, aber sie sind nicht das ausschließliche Indiz für die Einkommensentwicklung, weil das Produkt aus Menge mal Preis — beeinflußt durch eine höhere Produktivität; das muß dankbar anerkannt werden — die Ertragslage bestimmt.
Nun einige Zahlen, wie es wirklich ausschaut, und zwar immer im Vergleich 1965/66 zu 1968/69 und 1969/70 zu 1972/73 und auch der Versuch, 1973/74 durch eine Hochrechnung mit einzubeziehen. In den vier Jahren vor der sozialliberalen Koalition betrug der durchschnittliche jährliche Einkommenszuwachs in den Marktfruchtbetrieben insgesamt nur 7,2 %; in der Zeit, in der wir die Verantwortung tragen, in diesen fünf Jahren, dagegen plus 10,8 %. Die Futterbaubetriebe plus 6,8 % in der Zeit, als Sie die Verantwortung trugen; als die sozialliberale Koalition die Verantwortung trug, plus 15,0 %. Alle Betriebe insgesamt in den vier Jahren, als Sie die Verantwortung trugen — die Opposition, Sie, meine Herren! —, plus 7,2 %, seitdem diese Regierung die Verantwortung trägt, plus 13,3 % jährlich.Das sind die ganz nüchternen Zahlen, die Sie auch alle kennen, die man nur nicht gerne wahrhaben will. Daher begrüße ich diese Debatte so sehr, damit diese Tatsachen nun endlich der Öffentlichkeit bekannt werden.Ich kann dabei auch hinzufügen, warum bei alleiniger Betrachtung der Preisindices das zustande kommt, meine verehrten Kollegen: weil natürlich bei den Preisindices produktbezogene Leistungen, wie wir sie im Aufwertungsausgleich gezahlt haben, und die Mehrwertsteuer keine Berücksichtigung finden. Ich appelliere jetzt an alle, die Verantwortung tragen, endlich einmal fairerweise objektiv miteinander zu diskutieren und nicht einfach durch Unterschlagung gewisser Fakten ein optisch falsches Bild darstellen zu wollen.Dazu — zum Ausgleich durch die Mehrwertsteuer — muß ich Ihnen sagen — ich tue das nicht zum Renommieren; aber ich bin durch die Opposition gefordert, und deshalb werde ich der Öffentlichkeit diese Zahlen bekanntgeben —: Ausgleich durch Mehrwertsteuer 1970: 734,0 Millionen DM, 1971: 806,6 Millionen DM, 1972: 890,0 Millionen DM, 1973: 956,0 Millionen DM, 1974: geschätzt 1 000 Millionen DM; ergibt insgesamt von 1970 bis 1974 4 386,6 Millionen DM, die voll einkommenswirksam wurden, die aber in keiner Indexrechnung berücksichtigt werden.
— Das haben sie gar nicht am Markt verloren! Machen Sie es sich doch nicht so einfach. Aber der Herr Kollege Friderichs kommt gleich hierher, der wird Ihnen erklären, wie das ausschaut. Insbesondere beim Wein haben wir schon gar nichts verloren. Das behauptet noch nicht einmal der Winzer, verehrter Kollege. Das können Sie möglicherweise noch bei Getreide sagen, wo der Preis sehr interventionsabhängig ist, nicht aber bei Produkten, die nicht so interventionsabhängig sind. Deshalb gehört der Wein schon gar nicht dazu. Da wollen wir schon sachkundig bleiben.
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Bundesminister ErtlUnd nun zum Flächenausgleich: 1970: 920,7 Millionen DM, 1971: 934,7 Millionen DM, 1972: 793,6 Millionen DM, 1973: 591 Millionen DM; ergibt 3 240 Millionen DM, ergibt mit dem Ausgleich über die Mehrwertsteuer zusammen 7 626,6 Millionen DM. Das sind echte Tatbestände der Einkommenssituation der deutschen Landwirtschaft, die durch keine Indexzahlen belegt werden; aber diese Beträge sind direkt in die Taschen — und wir sagen: Gott sei Dank und mit Recht — der. deutschen Landwirtschaft geflossen.
Dazu eine weitere Bemerkung. Wie schaut's bei den Preisen aus? Kollege Gallus hat mit Recht auf unsere Maßnahmen, die gemeinschaftlichen und auch die nationalen, hingewiesen und auf die Interventionen. Ich halte das für gerechtfertigt, weil so, wie die Weltmarktlage ist — ich bin Herrn Bewerunge sehr dankbar, daß er auf die Weltmarktlage hingewiesen hat; auch ich kann noch gar nicht wissen, ob wir das Fleisch, das wir jetzt in den Kühlhäusern haben, nicht nächstes Jahr im Herbst notwendig brauchen können, damit wir nicht wiederum den anderen Pendelausschlag bekommen —, eine vorratsorientierte Agrarpolitik geradezu auch im Interesse der Verbraucher notwendig ist. Hier sind wir uns voll einig, und ich kann nur sagen: ich stimme dem voll zu.Aber wie haben sich die Preise im September 1974 gegenüber September 1973 entwickelt? Weizen plus 1,3, Roggen plus 6,4, Braugerste plus 8,4, Futtergerste plus 5,5, Rinder, Durchschnitt alle Klassen, plus 5,0, Bullen A plus 8,5, Kühe B plus 7,4, Schweine, Durchschnitt alle Klassen, minus 19,8 Schweine minus 20, Milch plus 5,8 N. Das sind die realen Zahlen. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß wir zur Zeit eben nach wie vor Probleme vorwiegend in der Schweinehaltung haben, obwohl sich da — zumindest jetzt — ein Zwischenhoch bemerkbar macht. Sie kennen die neuesten Marktschätzungen. Es wäre unreell und auch unlauter, einfach zu sagen, daß das zyklische Tief, das wir haben, möglicherweise nicht bis zum nächsten Mai andauert. Dieses Problem muß dann gemeinsam gelöst werden.Ein letztes Wort — dann komme ich zu den grundsätzlichen Bemerkungen — zur Finanzierung. Auch hier scheint die Opposition nicht ganz richtig informiert zu sein. Von Ihnen, Herr Kollege Bewerunge, wurde behauptet, daß unser Anteil am EG-Haushalt bis 1978 auf 37% steigt. Dazu kann ich Ihnen nur folgendes sagen. Der Deutsche Bundestag hat, wie Sie im Protokoll nachlesen können, die Finanzregelung einstimmig beschlossen. Das heißt, daß auch Sie ihr zugestimmt haben. Das gilt übrigens auch für das Aufwertungsausgleichsgesetz; aber das ist jetzt gar nicht so wichtig.Die deutsche Verhandlungsposition im Jahr 1970 war natürlich durch das im Rahmen des EWG-Vertrages festgelegte System der Agrarmarktordnungen unter Koppelung mit der EG-Finanzierung bestimmt. Aber nach unseren Mitteilungen — meine Mitarbeiter wissen das, und die Mitarbeiter desFinanzministers, glaube ich, wissen es noch besser — kann ich über unseren Anteil sagen, daß die 37 % nicht richtig sein können. Ich war selbst in dieser Aushandlungsphase dabei, verehrter Herr Kollege Bewerunge. Da wollten die anderen zunächst 36 % und haben sich dabei sogar auf Zusagen früherer Regierungen berufen. Wir haben jedoch als äußerste Marge 32,2 °/o genannt.
— Hier sind Sie falsch informiert; ich will gerne darauf eingehen.Nach dem bisherigen Verlauf werden wir bis 1978 einen Anteil von ungefähr 28 bis 30 % haben, wobei, wie Sie wissen, gerade die Franzosen nicht zu Unrecht sagen, daß die Deutschen im Augenblick größere finanzielle Nutznießer als sie sind. Denn die Franzosen tragen gegenwärtig zur Finanzierung der EG-Marktmaßnahmen durch Exportabgaben infolge hoher Weltmarktpreise für Zucker und für Getreide erheblich mehr bei. Sie bringen größere Opfer, als wir sie bringen, und zwar im Interesse der Verbraucher der Gemeinschaft. Sie bringen aber auch materielle Opfer, weil sie auf diese höheren Außenhandelseinnahmen verzichten.Das ist eine ganz veränderte Situation, und aus diesem Grund wird sich möglicherweise eines Tages eine ganz andere Bestandsaufnahme ergeben. Die Fronten verschieben sich im Augenblick sehr. Deshalb ist es für mich auch so wichtig, darauf hinzuweisen.Sie haben dann noch auf die „Wettbewerbsbeschlüsse unter Glas" hingewiesen, Herr Bewerunge. Das hat weiß Gott nichts mit Beschlüssen zu tun, sondern das hat etwas damit zu tun, daß die Holländer billigeres Erdgas haben und daß ich in der Zwangslage war, etwas zu tun. Und Ihr Kollege Eigen stellt ja schon wieder einen neuen Antrag in der Richtung, etwas Vertragswidriges zu tun. Da müssen Sie einmal untereinander prüfen, ob Sie von der Opposition von der Regierung verlangen, vertragswidriges Verhalten zu zeigen, oder ob Sie von der Regierung verlangen, sich vertragskonform zu verhalten. Beides zusammen kann man nicht fordern.
Im übrigen können Sie sich darüber auch von Herrn Narjes ein klein wenig informieren lassen. Ich schlage Ihnen vor, einmal ein Privatgespräch mit Herrn Narjes über das Problem des vollen Grenzausgleichs zu führen. Sprechen Sie einmal mit Herrn Narjes! Der kann Ihnen das aus berufenem Mund erklären, weil er die Dinge von Haus aus kennt. Außerdem hat er, wie ich weiß, eine ganz andere Auffassung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich dann noch den Punkt „Sozialfleisch" abhandeln. Hier will man uns unterstellen, wir hätten kein soziales Herz. Ich habe allerdings im CDU-Agrarprogramm, das ich aufmerksam studiert habe, kein einziges Wort über Verbraucher gelesen. Natürlich kommt man vor Wahlen auch auf die Verbraucher zu sprechen.
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8124 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Bundesminister ErtlIch gebe gerne zu, daß ich nichts dafür übrig habe, nun auch Sozialfleisch in Form von Bezugsscheinen einzuführen, weil der Verwaltungsaufwand dafür viel zu groß ist. Da ist unsere Methode, Konserven herzustellen und sie sozial Schwachen kontinuierlich zur Verfügung zu stellen, viel unkomplizierter, für den Verbraucher aber ebenso nützlich.
Darüber hinaus berücksichtigen wir, wie Sie wissen, Gemeinschaftseinrichtungen, Altersheime, Krankenhäuser, Schulen usw. Das läßt sich verwaltungsmäßig machen; aber ich kann doch nicht Zwei-MarkGutscheine zum Einkauf von billigem Sozialfleisch ausstellen. Das wäre für uns einfach zuviel Verwaltungsaufwand. Dafür sind uns unsere Beamten zu teuer. Dashalb haben wir den einfacheren, unkomplizierteren Weg gefunden.Sozialbutter gibt es. Außerdem haben Sie noch eine zweite Buttersorte angeschnitten. Wissen Sie, einerseits — ich komme jetzt zu den grundsätzlichen Bemerkungen zu Europa — kritisieren Sie, wir unterstützten die Kommission zu wenig. Dann beschließt die Kommission etwas, und Sie sagen: Diesen Kommissionsbeschluß dürft ihr in Deutschland aber nicht durchführen. Auch das geht nicht. Wenn ich auch sehr dafür eintrete — ich bin durchaus dafür —, daß die Kommission den ihr zustehenden Stellenwert hat, so bin ich doch auch der Auffassung — ich sage Ihnen das in aller Deutlichkeit —, daß in einer Zeit, in der die gesamte wirtschaftliche Situation in Europa so diffus ist, so auseinanderläuft, die Kommission — das können Sie auch in einem Vortrag nachlesen, den ich in der Akademie Tutzing gehalten habe — mehr die Funktion der Koordinierung als die der Legislative zu übernehmen hat; ich komme da auf einige grundsätzliche Dinge noch zu sprechen.Aus diesem Grunde können Sie der Regierung ihr vertragskonformes Verhalten nicht vorwerfen. Ebenso brauchen wir uns auch gar nicht über das Thema Fleischprämie zu unterhalten. Ich bin selber der Meinung, daß wir das Interventionsverfahren bei uns zu stark ausgedehnt haben; ich bin ein Gegner der permanenten Intervention. Ich werde bei der Bestandsaufnahme darauf dringen, daß diese permanente Intervention abgeschafft wird, weil sie den Markt verfälscht und weder dem Erzeuger noch dem Verbraucher nutzt; da machen nur andere Leute ihre Geschäfte.
Ich werde diesen Punkt der permanenten Intervention sehr stark herausstellen. Aber es ist nun einmal so, daß unter Neun nie einer mit dem Kopf wird durch die Wand gehen können, da wird es immer Kompromisse geben müssen. Und die Briten haben auf Grund der Beitrittsakte das Recht, diese Prämien für eine gewisse Zeit beizubehalten; daraus haben wir dann eine kommunitäre Aktion gemacht. Insoweit partizipieren wir daran, ohne daß wir dabei unbedingt sehr glücklich sind.Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, habe ich diese aktuellen Punkte, glaube ich, ab-gehandelt. Lassen Sie mich jetzt auf die grundsätzlichen Dinge zu sprechen kommen. Zwei Sätze kann ich, Herr Kollege Bewerunge, aufrechterhalten! Sie sagen, Sie hätten zwei Sätze von mir zitiert, aber den zweiten haben Sie eben nicht zitiert: Erstens, die Agrarpolitik der ursprünglichen Konzeption ist gescheitert; ich werde auch begründen, warum. Zweitens, das liegt nicht so sehr daran, daß die Agrar konstruktion gescheitert ist — d i e ist nicht gescheitert —,
sondern weil die Agrarpolitik — ich habe das auch gesagt — nicht in die Wirtschafts- und Währungsunion eingebettet war.
Aber diesbezüglich, meine sehr verehrten Kollegen, können Sie doch dieser Bundesregierung nicht einen Vorwurf machen und behaupten, wir hätten alle diese Probleme vom Tisch! Wenn wir die Inflations- politik Frankreichs und Italiens mitgemacht hätten, dann wären wir zwar voll eingebettet, aber zum Schaden der deutschen Landwirtschaft und zum Schaden der deutschen Verbraucher.
— Herr Kollege Bewerunge, da brauchen wir uns gar nicht zu streiten, das bestätigt Ihnen sogar die Kommission in Brüssel. Lesen Sie die neuesten Konjunkturberichte des Jahres 1975 aus Brüssel! Da wird Ihnen das bestätigt, wie Ihnen das übrigens jeder Fachkundige bestätigen wird. Ich glaube nicht, daß wir uns hier darüber unterhalten sollten. Im übrigen gibt es auf der Regierungsbank noch andere Redner, die Ihnen das, wenn Sie mir keinen Glauben schenken, noch besser erläutern können.Wegen unserer Stabilitätspolitik ist natürlich die Kluft zu den inflationären Ländern größer geworden. Diese Kluft läßt sich doch gar nicht überbrücken — zumindest nicht in absehbarer Zeit —, vor allen Dingen dann nicht, wenn die anderen Länder nicht auf unseren Stabilitätskurs einschwenken. Daraus ergibt sich zwangsläufig, daß sich die Vorstellungen — und gleich werde ich über ein Erlebnis meiner ersten Nachtsitzung in Brüssel berichten —, die man — nicht zuletzt auch auf deutsches Drängen hin — hatte, nicht ohne weiteres durchsetzen ließen.An dieser Stelle muß ich auch die Beamten meines Hauses in Schutz nehmen. Denn ich habe meine Beamten oft kritisch gefragt: Habt ihr denn keine Bedenken gehabt? Sie haben darauf geantwortet: Wir haben große Bedenken gehabt, aber es gab da andere Ressorts — insbesondere das Kanzleramt —, die gesagt haben: Aus politischen Gründen muß hier alles getan werden, damit wir den Franzosen Genüge leisten.
Das muß doch hier einmal in aller Deutlichkeit ge-sagt werden. Dieselben Leute, die heute immer sa-gen: „Haut doch einmal mit der Faust auf den
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Bundesminister ErtlTisch!", haben noch nicht einmal mit dem kleinen Finger draufgeklopft.
Und wenn sie draufgeklopft hätten, dann hätten sie sich schon den Finger gebrochen.
Es gibt in dieser Regierung gar keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß wir Europa brauchen, daß wir eine Zusammenarbeit in Europa brauchen. Das ist für uns ebenso selbstverständlich wie für alle anderen. Im übrigen: Das Presseecho in der Welt war ursprünglich sehr kritisch und ist danach sehr wohlwollend geworden. Darüber hinaus kann ich Ihnen auch mitteilen, das Klima zwischen Frankreich und Deutschland war in der letzten Ratssitzung ausgesprochen gut. Die Spekulationen, hier sei europäisches Porzellan zerschlagen worden, treffen also nicht zu. Lesen Sie einmal nach, wie die jüngsten Meldungen über die Stimmung unter den Regierungen ausschauen. Aber das Entscheidende ist — und jetzt muß ich das Erlebnis der Brüsseler Nacht bekanntgeben — Als ich damals um den Aufwertungsausgleich rang, erklärte mir ein deutscher Kommissar: Führen Sie eine Zündholzsteuer ein, dann können Sie das Geld an Ihre Bauern verteilen. Das war seinerzeit die „Beihilfe" eines deutschen Kommissars. Ich habe nie die Würdelosigkeit vergessen, wie damals ein deutscher Kommissar seinen Landsmann und Minister vor allen anderen behandelte, die mich ausgelacht und gesagt haben, so etwas würde es bei ihnen nie geben.Dann aber hatte ich einen Dialog mit Herrn Mansholt — ich glaube, es war in der Früh um 1 oder 2 Uhr —, wobei ich Herrn Mansholt sagte: Glauben Sie denn wirklich, daß die Abwertung des Franc die erste und letzte war, und glauben Sie, daß unsere Aufwertung die erste und letzte war? — Ich sehe ihn heute noch vor mir — ich war ja damals noch ein unbekannter und zu belehrender junger Mann —, wie er mit innerer Überzeugung sagte: Das lassen wir nicht zu. Ich antwortete darauf: Herr Mansholt, das ist ein sehr starkes Wort; mich würde nur interessieren, auf Grund welcher ökonomischer Erkenntnisse und Fakten Sie zu dieser starken Behauptung kommen. Er sagte: Das lassen die Agrarmarktordnungen nicht zu. Meine Antwort — das können Sie nachlesen —: Eher werden die Agrarmarktordnungen zusammenbrechen, als daß Sie das verhindern können; denn die ökonomischen Fakten sind stärker, es sei denn, Sie machen eine ökonomisch widersinnige Politik.Natürlich ist das Pferd insoweit von hinten aufgezäumt worden. Man hätte den Anfang mit der Außen- und Sicherheitspolitik, mit der Wirtschafts-und Währungspolitik machen müssen und hätte erst zum Schluß mit der endgültigen Harmonisierung der Agrarpolitik beginnen dürfen.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es nutzt mir gar nichts — Herr Eigen hat ja da eine besondere Art, im Wahlkampf zu sagen, ich redenur über die Vergangenheit —, weil wir die Gemein- schaft nicht gefährden wollen und weil wir wissen, daß für unsere Partner die Agrarpolitik wesentliches Element ihres Verhältnisses zu Europa ist. Deshalb müssen wir notfalls Kompromisse schließen, auch wenn wir sie in der Sache nur ganz schwer vertragen können.Das ändert aber nichts daran, daß eine Bestandsaufnahme notwendig ist und ein Gesamtkonzept für Europa entwickelt werden muß. Es kann unmöglich sein, daß die Teilintegration des Agrarmarktes allein funktionsfähig bleibt. Es bedarf vielmehr der Gesamtharmonisierung aller Politiken. Erst dann kann — auf lange Sicht gesehen — eine funktionsfähige Agrarpolitik in eine funktionsfähige Wirtschafts-und Währungspolitik eingebettet werden. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß das in diesem Jahrzehnt nicht mehr zu erwarten ist. Daher geht es bei dieser Bestandsaufnahme auch darum, eine Interregnumsphase zu finden. Politik ist immer die Kunst des Möglichen und muß möglicherweise pragmatisch und sukzessive weiterentwickelt werden.Für die Bundesregierung wird es von großer Bedeutung sein, daß diese Bestandsaufnahme von den Zielen des Art. 39 des Vertrages ausgeht. Für uns steht auch nicht unser finanzieller Beitrag zur Disposition, aber ebensowenig die faire Partnerschaft und Chancengleichheit für alle Landwirtschaften in Europa.
Für uns geht es hier um die Frage: Brauchen wir denn alle diese Marktordnungen und in welcher Form brauchen wir sie? Wie können wir das Ziel I der Preiseinheit angesichts der Wirtschafts- und Währungssituation erreichen?Ein sehr wichtiger Punkt ist auch die Frage der Produktionsziele und die Mitverantwortung der Erzeuger. Es ist höchste Zeit, eine Form zu finden, in der die Erzeuger für diese Agrarpolitik mitverantwortlich gemacht werden. Das gilt für alle Länder. Nur so werden wir Marktstabilisierung erreichen können. Berücksichtigt werden müssen auch die Veränderungen am Weltagrarmarkt, der sehr labil geworden ist. Ich möchte mit allem Nachdruck sagen, wir haben in dieser Gemeinschaft im Augenblick — mit Ausnahme einiger Produkte — keinen Grund, die Produktion zu reduzieren, denn wir werden sie vielleicht in den nächsten Jahren brauchen, und der deutsche Verbraucher wird uns vielleicht dankbar sein, wenn es sie gibt. Aber ich kann auch nicht sagen, daß es für die nächsten zehn Jahre so sein wird; ich bin hier sehr vorsichtig geworden. Denn kein Markt ändert sich so schnell wie der Agrarmarkt — wie wir gesehen haben.Wir werden ferner die strukturelle Anpassung in eine gesamte regionale Verbesserung einpassen müssen. Herr Kollege Gallus hat betont, daß er für den Regionalfonds ist. Auch die Bundesregierung ist für den Regionalfonds. Nur muß ich eines sagen: Von Fonds allein als Töpfchen zum Verteilen durch Kommissare halte ich gar nichts. Fonds für konkrete Programme — ja! Daran liegt es doch! Wir haben gemeinsam eine Strukturpolitik konstruiert. Ich
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Bundesminister Ertlwerde von der Opposition dafür ja gescholten, daß wir das gewagt haben. Aber zwei Länder haben sie heute noch nicht angewandt, obwohl sie am ehesten Strukturverbesserungen brauchen. Ich befürchte leider, daß es uns beim Bergbauernprogramm auch so geht. Wir haben mit den Ländern den Beschluß gefaßt: Anmeldung ab 1. Oktober. Ich bin überzeugt, es wird ein Land geben, das sich wahrscheinlich erst in fünf Jahren anmelden wird, obwohl es dieses Programm ganz notwendig brauchte.
— Doch, die haben sehr hohe Berge. Das kommt davon, wenn man die Landkarte von Europa nicht kennt. Dann macht man auch eine falsche Europapolitik. Das ist möglicherweise auch in der Vergangenheit manchmal der Grund für Fehler gewesen.Kommen wir zur strukturellen Anpassung. Ich war in diesen Tagen gerade bei einem informellen Gespräch in Savoyen. Ich kann nur den deutschen Landwirten und dem Ernährungsausschuß raten, dort einmal hinzufahren. Erkundigen Sie sich nach dem dortigen Milchpreis. Und fragen Sie, was dort der Schlepper und der Handelsdünger kosten. Dann werden Sie sehen, daß die Landwirtschaft durch unsere Stabilitätspolitik nicht im Stich gelassen worden ist,
;) sondern im Punkt „Kostensteigerung" sogar Vorteile gehabt hat, gemessen an Frankreich und Italien. Gehen Sie mal hin und erkundigen Sie sich nach dem Milchpreis in Savoyen. Erkundigen Sie sich nach den Landmaschinenpreisen in Savoyen. Dann werden Sie vor allem eines merken — das sage ich wiederum nicht an die Adresse der Opposition, sondern an die der deutschen und europäischen Öffentlichkeit Agrarstrukturpolitik können Sie nur in einer umfassenden Raumordnungs-, Infrastruktur- und Sozialpolitik lösen.
Das geht nur in diesem Rahmen. Dieser Rahmen muß zuvor geschaffen werden. Wenn wir in diesen Landstrichen wie Savoyen keine außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätze und zusätzlichen Einkommenskombinationen schaffen, dann werden wir diese Probleme nicht lösen können. Deshalb haben wir auch unser Nebenerwerbsprogramm fortentwickelt, denn wir haben gesehen, daß hier noch einiges zu tun ist. Insoweit wird sich die Bestandsaufnahme hier nicht nur auf das erstrecken können, was bisher in Form von Marktordnungen geschehen ist, sondern sie muß auch die Lösung der menschlichen und sozialen Probleme der Landbevölkerung in ganz Europa umfassen.
Darauf wird die Bestandsaufnahme ausgerichtet werden. Sie können versichert sein, daß wir alles tun werden, was in unseren geistigen Kräften steht, um dazu einen konstruktiven Beitrag zu leisten.Ich halte allerdings nichts davon — das ist meine Erfahrung aus fünf Jahren Brüssel —, jetzt schon mit jedem Detail hausieren zu gehen. Aber ich habe, glaube ich, eine Grundkonzeption auf den Tisch gelegt, über die man durchaus diskutieren kann. Ich bin auch für jede Anregung, von wem auch immer sie kommt, sehr dankbar.Fest steht: die Krise der Agrarwirtschaft -- sie ist in anderen Ländern viel tiefgreifender als in Deutschland; das habe ich jetzt erst in Frankreich zu spüren bekommen — läßt sich nur lösen, wenn wir diese Agrarwirtschaft in den Rahmen unserer gesamten wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten einbetten, und zwar in dem Sinne, daß zwar nicht jeder Bauer Bauer bleiben kann, daß aber jeder Mensch auf dem Lande gleiche Chancen haben und sozial gleichberechtigt in dieser Gesellschaft behandelt werden muß.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiechle.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zwei, drei Vorbemerkungen. Zu dem, was der Herr Kollege Saxowski heute in seinem ersten Beitrag nach der Begründung der Großen Anfrage hier vorbrachte, will ich nichts sagen. Aber in einem Punkt, Herr Kollege Saxowski, möchte ich Ihnen widersprechen. Vielleicht war es doch nicht ganz der gute, diesem Hause angemessene Stil, wenn Sie von hier aus Drohungen im wahrsten Sinne des Wortes gegen einen immerhin wichtigen Berufsstand bzw. seinen Verband aussprechen.
Sie sagten dazu — das war Ihr Schlußwort — dieOpposition brauche in diesem Hause nicht ernst genommen zu werden. Wir können Ihnen nicht vorschreiben, das zu tun oder zu lassen. Dies hängt sich wohl an ein Wort Herbert Wehners an, der am Anfang der letzten Legislaturperiode meinte, er brauche die Opposition nicht. Das ist ein Stil, der eine gewisse konstruktive Auseinandersetzung natürlich nicht erleichtert. Ich hatte mir gewünscht, das gerade aus Ihrem Mund nicht hören zu müssen.
Zweitens. Herr Kollege Gallus, ich will weder auf das uns hinlänglich bekannte Evangelium, das Sie hier in jeder Rede verkünden,
eingehen, noch möchte ich einiges von den Dingen erwähnen, die hier im Hause nur zu etwas Schmunzeln veranlaßt haben. Aber zweierlei möchte ich korrigieren, was Sie hier bewußt falsch vorgebracht haben.Einmal haben Sie das Papier der CDU/CSU nicht gelesen, wenn Sie behaupten, wir wollten die Grundsteuer abschaffen. Wir haben in dem Papier der CDU/CSU erklärt, daß wir sie abbauen wollten. Damit ist gemeint — falls Sie nicht selber darauf kom-
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Kiechlemen —, daß wir es nicht für richtig halten, wenn es Gemeinden gibt, in denen Bauern 800 % des Meßbetrages zahlen müssen, und andere, wo sie nur 150 oder 200 % zahlen müssen.
Der Sinn ist, hier eine Höchstgrenze einzuführen.
Möglicherweise läßt auch die FDP einmal fünf Gedanken in der Richtung bei sich selbst zu.Herr Bundesminister, nur eine einzige Bemerkung zu dem, was Sie hier sagten. — Ihre Ausführungen über Sinn und Zweck einer Agrardebatte finde ich übrigens nicht ganz besonders überzeugend. — Sie haben hier Indexzahlen als Beweis dafür genannt, daß es der Landwirtschaft besser gehe, als es üblicherweise dargestellt werde, und haben dabei gleichzeitig mit bewegten Worten — wir kennen ja Ihren Stil sehr gut — an die Fairneß der Auseinandersetzung appelliert. Dann dürfen Sie aber nicht nur die Indexzahlen der Preissteigerungen von einem Jahr zum anderen, sondern müssen auch die Indexzahlen der Kostensteigerungen bringen.
Es ist ja gerade die Preis-Kosten-Klemme, die der Landwirtschaft die Schwierigkeiten macht, nicht etwa nur die Preise.Nun lassen Sie mich aber etwas zur Großen Anfrage sagen. Meine Damen und Herren, am 20. September dieses Jahres hat sich der Herr Bundeskanzler hier vor dem Plenum zu Fragen der Agrarpolitik geäußert. Er hat auf die Demonstrationen der Bauern mit folgenden Sätzen Bezug genommen:Die Tatsache, daß die Bauerndemonstrationen in allen sieben kontinentalen EG-Ländern gleichzeitig an den Grenzen stattfinden, ist doch wohl ein Zeichen dafür, daß die Geschäftsführer das organisiert haben und daß das nicht spontan war.Er fuhr etwas später fort:Die Regierung jedenfalls läßt sich in ihren agrarpolitischen Beschlüssen weder durch Zermürbungstaktik in Nachtsitzungen in Brüssel noch durch Grenzdemonstrationen der angeblich europäisch gesonnenen Landwirte von dem Konzept wegbringen, das sie für notwendig hält.Diese merkwürdige Beurteilung geordneter und regulärer Demonstrationen von Europas Bauern durch den deutschen Bundeskanzler ist bezeichnend. Kein Wort des Verständnisses etwa fur die Existenzsorgen dieser Menschen und Familien! Keine Zusicherung in der ganzen Haushaltsrede, das Anliegen etwa auf Berechtigung zu überprüfen und, wenn notwendig, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen! Lediglich die Bemerkung: Das war organisiert und daher unaufrichtig.Sollen die Bauern eigentlich wild demonstrieren, wenn sie von Ihnen ernst genommen werden wollen, etwa ohne Anmeldung und Genehmigung und eine gewisse Organisation durch die Behörden?Für uns jedenfalls waren Unruhe und Demonstrationen mitten in Erntezeiten — das muß man auch einmal dazu sagen — Grund genug, sich dieser Sorgen ernsthaft anzunehmen.
Wir erkennen seit langem, daß angesichts ständig steigender Produktionskosten und in dem in Rede stehenden Bereich stark sinkender Verkaufspreise die Sorgen um Haus und Hof mindestens berechtigt sind. Auch deswegen haben wir die Große Anfrage eingebracht, um die Lage der deutschen Landwirtschaft an Hand der Antwort der Bundesregierung ernsthaft diskutieren zu können, auch im Hinblick auf Lösungsmöglichkeiten.Meine Damen und Herren, die Antwort der Bundesregierung zeigt leider, daß dazu wenig Bereitschaft von seiten der Regierung besteht.
Teilweise weigert sie sich überhaupt, auf Fragen einzugehen. Teilweise umschreibt sie lediglich Tatbestände, die sehr genau bekannt sein müßten. Zum Teil verrät die Antwort — mit Verlaub gesagt —Hilflosigkeit, ja, sogar Unwissen. So antwortet die Bundesregierung beispielsweise auf die Frage nach der Mehrwertsteuer sehr ausweichend. Auf die Frage II. 4 wird gar keine Antwort gegeben, obwohl auf die Frage nach der halbjährigen Entlastung dann, wenn — laut Bundesregierung — die Jahressteuerentlastung 410 Millionen DM beträgt, eine Antwort möglich sein müßte. Wenn das der Computer nicht schafft, geht es vielleicht mit dem Hirn. Unter Einbeziehung der Tatsache, daß im Herbst normalerweise ein beträchtlicher Teil der Ernte verkauft wird, bedeutet das — ins Deutsche übersetzt —: Die Bundesregierung läßt die deutschen Landwirte in diesem halben Jahr rund 250 Millionen DM an Steuern weiterzahlen, obwohl das Mehrwertsteuergesetz das gar nicht verlangt.Die Behandlung der Frage der Mehrwertsteuer durch die Bundesregierung und die Koalition war in dieser Hinsicht ohnehin bezeichnend. Über sechs Monate des Jahres 1974 verweigert man den Bauern also Steuergerechtigkeit. Die Bürokratie legt — trotz laufender Ankündigungen durch Minister und Staatssekretär schon früh in diesem Jahr — die Zahlenunterlagen nur unvollständig vor. Die SPD-Fraktion weigert sich überhaupt, einen derartigen Gesetzentwurf einzubringen, und die FDP schließt sich dem dann wohl notgedrungen an. Als dann aber über ein sonst nicht gewähltes Verfahren der Gesetzentwurf schließlich doch eingebracht wird, zieht die Bundesregierung gleichzeitig auf den Sektor der Strukturverbesserung und Investitionen im ländlichen Raum 80 Millionen DM Bundesmittel — mit den Komplementärmitteln der Länder sind es zusammen rund 130 Millionen DM — für die Landwirtschaft ab. Das geschieht wohl nach dem Motto: Da die höhere Steuer nun nicht mehr eingeht, kriegt ihr weniger Flurbereinigung, Wege und ähnliches.
Meine Damen und Herren, wenn wir dies zu Helmut Schmidts, des Herrn Bundeskanzlers Ver-
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Kiechlehalten zur Agrarpolitik in den letzten drei Wochen in Beziehung setzen, ergibt sich für jeden objektiven Betrachter die Möglichkeit zu einer klaren Beurteilung der Lage. Möglicherweise spielt in der ganzen Angelegenheit auch die Zahl der Betroffenen eine Rolle. Das hätte dann leider mit seriöser Politik nichts zu tun. Ich habe den Eindruck, daß hier die Belange der Minderheiten bei der Koalition nur sehr begrenzt berücksichtigt werden. Ich fürchte fast, daß hier der Satz Anwendung findet: „Recht hat, wer zahlreich ist."Man muß in diesem Zusammenhang leider feststellen, daß der sinnlose Kraftakt Bonns, der wegen einer 5 %igen Erzeugerpreiserhöhung vollzogen worden ist — und letztlich auch auf dem Rücken der Bauern und gegen Europa —, auch nur unter dem Druck der Partner wieder zurückgenommen worden ist. Das war ja nicht von vornherein so beabsichtigt. Dieser Akt wurde übrigens unter Zurückziehung fast aller gestellten Bedingungen zurückgenommen. Ich meine, das gleiche Ergebnis hätte man durch Gespräche mit den Nachbarn auch erzielt, ohne daß man sie in einem wohl neuen Stil hätte quasi anbrüllen müssen. Die seltsame Rolle, die der Herr Bundesminister Ertl dabei gespielt hat, möchte ich nicht weiter erwähnen; sie spricht für sich selbst. In einem gewissen Sinn — ich bedaure das — war sie fast beschämend. Mir fällt hier die Beteuerung eines SPD-Abgeordneten ein, der in allerjüngster Zeit in einem Gespräch einmal erklärt hat: Mit der Kraft eines Ministerwortes ... Er fügte dann Weiteres hinzu. Ich frage: Herr Bundesminister, wo bleibt künftig die Kraft Ihres Ministerwortes gegenüber Brüssel, dem Parlament und den Bauern? Die Bauern jedenfalls sind von dieser Verhaltensweise eines Ministers, dem sie im voraus, sozusagen als Vorschuß sehr viel Vertrauen entgegengebracht haben, tief enttäuscht.
Zum Stil der Beantwortung der Großen Anfrage noch ein weiteres Beispiel. Die Frage unter III. 4 lautet: Welche Konsequenzen wurden aus einem bestimmten Gutachten gezogen? Die Antwort lautet sinngemäß: Die üblichen. Dies ist ja wohl keine Antwort. In meiner Heimat sagt man: Keine Antwort ist auch eine Antwort.Eine zentrale Bedeutung, meine Damen und Herren, für jede Planung in der Agrarpolitik kommt unserer Frage I Ziffer 3 zu, nämlich der Frage nach Erzeugungs- und Bedarfsschätzungen für die nächsten Jahre. Die Antwort der Bundesregierung — ich zitiere auszugsweise mit Genehmigung der Frau Präsidentin — sieht so aus: Erzeugung und Verbrauch von Lebensmitteln ist schwer überschaubar und kann nicht quantifiziert werden, Verbrauchergewohnheiten sind kaum vorauszuschätzen, kaum vorhersehbare Entwicklung der Weltagrarmärkte, nur schwer eine Aussage über die Erzeugerpreisentwicklung möglich, bei Getreide die Entwicklung nur schwer abzuschätzen. Allein dreimal in dieser Antwort finden wir das Wort „Unsicherheit".
Meine Damen und Herren, aber vom kleinen Bauern verlangen die Koalition, die Bundesregierung und auch ihr nahestehende Einrichtungen dauernd, er solle seine Produktion dem Bedarf anpassen.
Wollen Sie eine Zwischenfrage beantworten?
Gleich! — Die Bundesregierung wirft der Landwirtschaft in letzter Zeit verstärkt Überproduktion vor, obwohl sie selbst — siehe die offizielle Antwort — nicht in der Lage ist zu sagen, wo, wann, bei welchen Produkten sie auftreten wird und wo nicht. — Bitte schön!
Herr Abgeordneter Gallus, bitte!
Herr Kollege Kiechle, wollen Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß sich die Bundesregierung in der Beantwortung dieser Frage völlig korrekt verhalten hat angesichts der Unsicherheiten bei den Getreide-Welternten, wie wir es besonders in diesem Jahr erlebten, wo überall in der Welt die Ernteschwankungen größer sind als bei uns, was entsprechende Rückwirkungen auf die Situation in Europa hat?
Herr Kollege Gallus, ich habe nicht gesagt, daß das, was die Bundesregierung aussagt, falsch sei. Ich habe nur gesagt — ich schimpfe deswegen gar nicht —, daß sie nicht in der Lage ist, halbwegs vernünftige Zahlen für die nächsten Jahre zu präsentieren, auch mit dem ganzen Riesenapparat nicht. Aber den Bauern predigt sie, sie sollten ihre Produktion dem Bedarf anpassen. Das ist das Problem!
Ich kann nur sagen, meine Damen und Herren. Daß man die Forderung nach Mengensteuerung laut stellt — das ist ja nun wohl heute auch wieder offiziell angeklungen — und dabei so tut, als sei das leicht möglich und außerdem im großen und ganzen Sache der Landwirtschaft — siehe Selbstbeteiligung —, man aber selbst keine Ahnung von der künftigen Entwicklung hat, das ist eben nicht seriös.
Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich einmal eine verschlechterte Rahmenbedingung der Agrarpolitik anführen, die sich im Hinblick auf die gesunkene reale Kaufkraft mancher Bevölkerungskreise zeigt. Die Bundesregierung begnügt sich dann meist damit, von notwendigen strukturellen Anpassungen zu sprechen. Sie tut es seit Jahren bei der Agrarpolitik, sie tut es heute z. B. auch bei der Automobil- und der Textilindustrie. Das da auch andere als Strukturgründe eine Rolle spielen, möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen. Ich möchte dies gerade als Landwirt tun, weil ich ein sehr eindrucksvolles Schreiben eines Betriebsrats eines großen deutschen Textilwerks bekommen habe. In diesem Schreiben wird mir klar nachgewiesen, daß dieselbe Ostfirma mit demselben Produkt in übereinstimmen-
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Kiechleden Anzeigen in Ost- und West-Berlin um Absatz wirbt. Es handelt sich in dem Falle um eine Strumpfhose.
— Lachen Sie ruhig! In Ost-Berlin kostet sie 9,50 DM. Das Etikett war überklebt, sie hatte vorher 15 DM und soundsoviel gekostet. Und in West-Berlin kostet sie 75 Pfennig. Die Strumpfhose wurde von Leuten dieses Werks am selben Tag gekauft, sowohl in Ost- als auch in West-Berlin. Da kann man doch nun nicht mehr von Strukturanpassung reden. Meine Damen und Herren, das ist doch nicht mehr und nicht weniger als Existenzvernichtung durch Dumpingpreise. Hier hätte die Bundesregierung eine Schutzverpflichtung zugunsten solcher Zweige, hier geht es aber auch — und deswegen sage ich es in dem Zusammenhang von dieser Stelle aus — um Arbeitsplätze und um die Kaufkraft der Bevölkerung, die für uns als Landwirte sehr wohl eine große Rolle spielt.
Meine Damen und Herren, angesichts der allgemeinen Nahrungsmittelversorgung in der Welt stellt sich bei uns die Frage nach echten Überschüssen — davon war ja vorher die Rede —, wenn ich einmal von Butterfett absehe, fast nicht. Es stellt sich vielmehr die Verpflichtung der EG-Regierungen zu einer dauernden und nachhaltig gesicherten reichlichen Versorgung von 260 Millionen Menschen mit Lebensmitteln. Präsident Fords jüngste Maßnahme sollte jedem Einsichtigen zeigen, was auf der Welt los ist. Meine Damen und Herren, es ist nur eine ganz knappe Marge zwischen Zuviel und Zuwenig, innerhalb der wir leben. Wer jeden Tag genug und beliebig zu essen haben will, muß mehr produzieren, als er voraussichtlich braucht. So genau aufs Kilo, wie manche, ich muß schon sagen, engstirnige Verbandsinteressenten und Laien traurigerweise glauben, läßt sich das tägliche Brot nicht erzeugen.
Hier spricht, Ungläubigen und ähnlichen Leuten zum Trotz, auch der liebe Gott ein Wort mit.Es wäre für Verbraucher und Bauern gut, wenn die Agrarmarktkosten und so manche Hilfe für die Landwirtschaft künftig unter den Begriff „Vorsorge und Sicherheit für unsere Menschen" anstatt unter der diskriminerenden Bezeichnung „Subvention" liefen.
Nur zwei Industrieregionen dieser Erde sind überhaupt in der Lage, Lebensmittel über den eigenen Bedarf hinaus zu erzeugen und auf Vorrat zu halten: die USA und Kanada auf der einen Seite und die EG auf der anderen Seite. Niemand sonst, weder Rußland noch irgendwelche Staaten der dritten Welt, kann dies tun. Von uns also hängt damit die Sicherheit der Ernährung unserer Menschen wesentlich mit ab.Versetzen Sie sich doch bitte einmal in die psychologische Lage von Menschen, die ihrerseits beschimpft, zumindest aber kritisiert werden, wenn sie zuviel produzieren, andererseits dann aber von demHerrn Bundespräsidenten aufgefordert werden — unter dem Motto „Zu viele Menschen haben zuwenig zu essen" —, zu spenden. Es ist doch in der Öffentlichkeit fast nicht verkaufbar, daß wir uns hier dauernd über „entschieden zuviel zu essen" beklagen, auf der anderen Seite aber dann bei denselben sammeln, um anderen, die Hunger haben — und das wird doch wohl niemand bezweifeln — zu helfen.Lassen Sie mich ein paar Gedanken auf die Zukunftsentwicklung verwenden. Meine Damen und Herren, der Politologe Karl Deutsch hat dazu sinngemäß vor kurzer Zeit folgendes gesagt:Wir leben in einem hochindustrialisierten Land. In relativ kurzer Zeit, etwa 10 bis 15 Jahren, werden solche Länder in drei Bereichen vor ungeheuren Schwierigkeiten stehen. Der erste Bereich — er zeichnet sich bereits ab — ist die Energieversorgung. Der zweite Bereich — ebenfalls bereits erkennbar — ist die Versorgung mit Rohstoffen. In beiden Bereichen findet schon ein weltweiter Verteilungskampf statt.Meine Damen und Herren, die Auswirkungen dieses Verteilungskampfes sind ja spürbar, sowohl für Volkswirtschaften als auch für den einzelnen. Was da heute geleistet wird, ist wohl eine Art Vermögensabgabe der Industrieländer an die Rohstoffländer — von diesen übrigens erzwungen —, die im Vergleich zu unseren bisherigen freiwilligen Leistungen etwa im Rahmen der Entwicklungshilfe gigantische Ausmaße hat und noch annehmen kann. Dies gilt aber für Rohstoffe mindestens ebenso wie für Energie, denn wir haben außer Kohle kaum Rohstoffe zur Verfügung. Unsere Abhängigkeit kann zunehmen, und ich bin davon überzeugt, daß sie zunehmend steigen wird; sie kann bis an die Grenze der Erpreßbarkeit gehen.Karl Deutsch nennt einen dritten Bereich: die Verknappung der Lebensmittel. Er befürchtet, daß, wenn die Bevölkerung der Welt rapide weiter wächst, in wenigen Jahren auch in diesem Bereich Verteilungskonflikte weltweit auftreten werden. Diese Gefahr ist doch heute schon sichtbar. Die westliche Welt verschließt nur weitgehend, was den öffentlichen Bereich anbetrifft, noch die Augen davor. Aus einer Zeit des Überflusses würden dann auch wir in eine Zeit der Verknappung eintreten. Auch die Lieferländer von Rohstoffen zur Lebensmittelproduktion oder von Lebensmitteln selbst, werden aufhören, zu Billigstpreisen uns zu beliefern, um Industriegüter dafür zu erhalten. Mit dem Ausbau moderner Kommunikationsmittel wächst das Bewußtsein und das Wissen von zwei Drittel der Weltbevölkerung über die — verglichen mit uns — katastrophale eigene Lage. Es war doch das Nichtwissen über diesen Unterschied, der wesentlich zur Stabilität der bisherigen weltpolitischen Situation beigetragen hat, trotz der fast unerträglichen Ungleichheit. Diese Diskrepanz aber, meine Damen und Herren, läßt sich nicht länger aufrechterhalten. Es entwickelt sich ein politisches Klima, welches sich z. B. in der Welthandelskonferenz und anderen Bereichen niederschlagen kann, woraus sich dann Beschränkungen, Eingriffe und Boykottmaßnahmen gegen hochindustrialisierte Länder entwickeln können, von deren
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KiechleUmfang wir uns im Augenblick noch keine Rechenschaft ablegen.Hier spielt die Landwirtschaft eine erhebliche Rolle. Der entscheidende Konflikt, meine Damen und Herren, wird nicht darüber auftreten, warum bei uns jeder dritte oder zweite ein Auto fährt und beispielsweise in Indien fast keiner; er wird in dem Augenblick einsetzen, in dem der breiten Weltöffentlichkeit im Sinne von Völkern erkennbar wird, daß in einem Jahr 50 oder 100 oder 200 Millionen Menschen hungern oder verhungern müssen, während andere im Überfluß leben. Eine solche Situation kann man politisch kurzfristig durchstehen, langfristig aber nicht. Daran hat Agrarpolitik von heute zu denken, wenn sie den Namen „Politik", nämlich Gestaltung der Zukunft, wirklich verdienen will.
Dann darf man aber bei uns keinesfalls die Menschen, die das tägliche Brot erzeugen, wirtschaftlich am schlechtesten stellen. Dann darf man keine Einschränkungen eigener sicherer Nahrungsquellen systematisch betreiben und dabei noch — ich gebe zu: überzeugt — glauben, das sei modern. Dann darf man auch nicht die Bauern psychologisch unter Druck setzen — das gilt nicht nur für die deutschen —, indem man sie zu Kostgängern der Nation zu stempeln versucht
— ich erinnere an das berühmte Wort eines SPD-Abgeordneten von der „privilegiertesten Schicht in unserer Bevölkerung" —, indem man ihnen über das allen anderen zugemutete Maß hinaus Stabilitätsopfer zumutet und außerdem, Herr Bundesminister, mit schönfärberischen Broschüren ihnen in ihrem Versuch, die Öffentlichkeit auf ihre Lage aufmerksam zu machen, in den Rücken fällt.Dazu gehört auch die Behauptung, die Vorsteuerpauschale habe Subventionscharakter und die Kindergeldregelung sei ein zusätzlicher Einkommensbestandteil. Ich weiß nicht mehr, wer das heute gebracht hat.
Meine Damen und Herren, wenn doch jeder Bürger dieses Landes, ob Ministerialdirigent oder Sozialhilfeempfänger — natürlich, sofern er Kinder hat —, dieses Kindergeld bekommt, dann ist es nicht ganz redlich, das so darzustellen und den Bauern aufs Butterbrot zu schmieren, als ob sie da nun wieder eine Sonderleistung bekämen.
Ich stelle hier folgende Fragen an die Bundesregierung: Welche Mengen an Nahrungsmitteln — aufgegliedert nach den verschiedenen Produkten — stellen für 260 Millionen Menschen eine normale Vorratshaltung dar? Das muß doch einmal gesagt werden, damit man dann über Überschüsse reden kann.
Welche Mengen sind eine Sicherheitsreserve unter Berücksichtigung des labilen Welthandels und von Ernteschwankungen? Welche Mengen sollten von der EG für die hungernden Völker präventiv und kontinuierlich zur Verfügung gestellt werden? Bei welchen Produkten will die Bundesregierung eine Mengensteuerung einführen und wie, bei wem, mit welchem Ziel durchführen? Ist die Bundesregierung bereit, den deutschen Bauern ein Marktinstrument zu verschaffen ähnlich etwa der französischen FORMA? Hat der Bundeskanzler, als er von seiner Konzeption der Agrarpolitik hier im Hause sprach, nur in der damaligen 5 %-Kategorie gedacht oder etwa auch an die existentiellen Fragen wie Grenzausgleich und Folgen für die Bauern aus der laufenden Auseinanderentwicklung der Währungsparitäten sowie an die sich stark vermindernden Marktanteile der deutschen Landwirtschaft bei wichtigen Produkten?Meine Damen und Herren, Reform der Agrarpolitik ist also derzeit wieder einmal ein gängiges Schlagwort. Bundesregierung und auch ihr nahestehende Organisationen lassen es zu, daß der Bürger draußen darunter ausschließlich Verminderung der finanziellen Verbindlichkeiten für die Agrarpolitik, Beseitigung der sogenannten Überschüsse sowie Beschuldigungen gegenüber dem einzig echten, kompetenten Gemeinschaftsorgan versteht. Das ist aber keine Konzeption.Der zuständige Fachminister hat auf die Frage nach dem neuen Reformkonzept — er sprach heute auch wieder einiges dazu -- am 5. April 1974 wörtlich erklärt:Ich würde sagen, die Zielvorstellungen — des neuen Reformkonzepts —liegen ungefähr in Art. 39, d. h. angemessene Beteiligung der Landwirte an der allgemeinen Einkommensentwicklung, aber gleichzeitig auch ausreichende und preiswerte Versorgung der Verbraucher.Herr Bundesminister, wir stimmen Ihnen da zu. Aber das ist weder ein Reformkonzept noch ist es neu. Das ist der alte Art. 39 des EWG-Vertrages, von dem wir immer ausgingen.
Ist deswegen, so muß man sich schon fragen, das ganze Donnern, das ganze Spektakulum mit den eigenen Nachbarn und auch mit unseren Bauern erforderlich gewesen?Wir, die CDU/CSU, bekennen uns leidenschaftlich zu einem einigen Europa. Wir wissen, daß uns die Geschichte auch gar nicht mehr allzu viel Zeit lassen wird, uni zu verhindern, daß Europas Einzelstaaten zum bedeutungslosen Anhängsel von Machtblöcken werden. Wir waren und sind bereit — ich sage das ausdrücklich --, dafür Opfer zu bringen, aber gemeinsame. Der Weg zu einem einigen Europa mag länger dauern als ursprünglich angenommen. Er muß aber weitergegangen werden. Wenn längere Übergangszeiten geänderte Übergangsbedingungen erfordern, dann laßt uns miteinander darüber reden! Dies muß aber — wie unter Partnern üblich — von
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KiechlePartner zu Partner geschehen und nicht etwa in dem Ton, den die Bundesregierung im Sinne von Schulmeistern und Besserwissern hier zu spielen versucht.
Niemand kennt eben ein Patentrezept.
Deswegen ist diese Art der dauernden Belehrung in dieser wichtigen Frage auch unangebracht. Die gemeinsame Agrarpolitik sollten wir als gemeinsamen Beitrag zur Europa sehen und dabei auch die uns zufließenden Vorteile des gemeinsamen Marktes beachten. Insofern sind es doch wahrhaftig gemeinsame Kosten und keine Kosten für die Landwirtschaft allein.Meine Damen und Herren, ein neues Konzept von seiten der Bundesregierung ist nicht in Sicht, siehe Bundesminister Ertl. Laßt uns also wohl besser zur alten Zielsetzung stehen und dabei geduldig die Mängel der bisherigen Regularien verbessern.Für uns 60 Millionen Deutsche, auf engstem Raum lebend, von Energie und Rohstoffen bis zu 100% abhängend und auf Märkte unserer Nachbarn angewiesen, gilt noch mehr als für die meisten anderen das Gebot der Zusammenarbeit und des Miteinander nach innen und erst recht nach außen. Auch bei der Lebensmittelversorgung liegen heute — für jeden Einsichtigen sichtbar — Überfluß und Mangel enger beieinander als je zuvor. Ihre Sicherheit allein verhindert unmittelbare Abhängigkeit, ja, Erpreßbarkeit. Die Kosten dieser Sicherheit sind sehr wichtig, aber sie sind sekundär. Soweit es die eigene Produktion betrifft, sind sie außerdem kalkulierbar. Vergleicht man sie etwa mit unseren Mehrkosten für 01, dann sind sie sogar bescheiden. Das muß man alles im Zusammenhang sehen und richtig einordnen.In der Agrarpolitik und auf anderen Gebieten werden nicht diejenigen die richtigen Entscheidungen für morgen treffen, die über den Tellerrand des heutigen Tages nicht hinausblicken und sich mit Erkenntnissen von gestern an die Probleme von morgen wagen. Leider hat die Bundesregierung mit der Beantwortung der Großen Anfrage weder klare Antworten gegeben noch große Entwicklungsperspektiven aufgezeigt. Sie blieb am Tag hängen. Dabei hätte es sich für SPD und Bundeskanzler angeboten — aus aktuellem Anlaß übrigens —, „über den Tag hinaus" zu sehen und zu weisen. Wir wollen Ihnen mit unserem Entschließungsantrag eine Hilfe dazu bieten.Wer die politische Bedeutung der deutschen und europäischen Land- und Ernährungswirtschaft richtig einschätzen will, ihr auch den gebührenden Platz in unserer Gesellschaft und Wirtschaft zu geben bereit ist, der kann ihre Bedeutung nicht nur an der Zahl ihrer Wähler und dem Beitrag zum Bruttosozialprodukt messen, er muß ihre politische Bedeutung an der Anhäufung von technischem Wissen bei diesem Bevölkerungskreis messen, um Lebensmittelproduktion und Bodennutzung unter ungünstigen Umständen sicherzustellen. Er muß sie auch messen an demunter Umständen existentiellen Beitrag, den die Landwirtschaft in einer veränderten Welt für ein hochindustrialisiertes Land leisten muß, das nicht mehr wie bisher auf Kasten anderer, unterentwickelter Teile der restlichen Welt einen hohen Lebensstandard wie selbstverständlich genießen kann.
Das Wort hat Herr Bundesminister Friderichs.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen! Meine Herren! Ich möchte auf die weltpolitischen und weltphilosophischen Ausführungen des Abgeordneten Kiechle nicht eingehen, soweit sie die Rohstoffversorgung etc. betreffen. Dies ist anderen Gelegenheiten in diesem Hause vorbehalten.Ich möchte mich kurz zu dem Teil melden, der sich mit der Agrarpolitik befaßt; denn es handelt sich ja wohl um eine Große Anfrage der Oppositionsfraktion.
— Die angemeldeten Redezeiten sind kurz; Sie haben recht.Ich möchte mich zunächst nur einen Moment mit dem Herrn Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU befassen, der dieser Debatte nicht beiwohnt. Über die Motive wäre sicher zu diskutieren.
— Ich bitte um Entschuldigung, das ist mir nicht bekannt.
— Ich bitte um Entschuldigung. Wenn Sie mir gesagt hätten, daß Herr Professor Carstens verhindert ist —
— Ich bestreite das doch gar nicht. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich es nicht gewußt habe. Das kann doch vorkommen!
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich in seiner Abwesenheit gleichwohl mit ihm beschäftige. Dies wird doch wohl noch erlaubt sein!
Herr Professor Carstens hat nämlich in derletzten Debatte über diesen Gegenstand, in der
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Bundesminister Dr. FriderichsAktuellen Stunde, unter Ziff. 6 seiner aufgelisteten Ausführungen gesagt:Die weitere Begründung, man habe nationale Alleingänge in der Agrarpolitik zurückdrängen wollen, ist abwegig. Es ist im Gegenteil zu befürchten, daß die Entscheidung der Bundesregierung weitere nationale Alleingänge auslösen wird.Diese Behauptung ist unzutreffend, wie die Ratsentscheidung eindeutig gezeigt hat; denn Sie wissen ebensogut wie wir, daß in Frankreich weitere nationale Alleingänge bevorgestanden haben, und zwar genau zwei Tage nach der hier geführten Aktuellen Stunde. Diese sind nicht eingetreten.
Zweiter Punkt. Unter Ziff. 9 hat er behauptet, die deutschen Bauern gingen leer aus, denn „kein Mensch weiß, ob die Prophezeihung des Ernährungsministers, daß in Kürze ein Beschluß nach den Wünschen der Bundesregierung zustandekommen würde, in Erfüllung gehen wird" . Nun bitte ich um Verständnis, daß es außerhalb der Opposition auch noch Menschen gibt. Es haben nämlich einige gewußt, daß ein solcher Beschluß zustandekommt, weil wir ja wahrscheinlich so etwas nicht in den blauen Himmel hineinschreiben ohne Kontaktnahme mit unseren Nachbarn innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.Ich glaube aber, wir sollten bei einer Großen Anfrage die Stunde nutzen, um etwas mehr über den Gehalt von Agrarpolitik zu sagen. Niemand kann bestreiten, daß im Agrarbereich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft große Fortschritte erzielt worden sind, was die Menge des Warenaustauschs zwischen den Gemeinschaftsländern anlangt. Dies ist einfach festzustellen. Es kann aber zweitens auch niemand bestreiten, daß hier gravierende Fehlentwicklungen stattgefunden haben und daß bis jetzt nicht in der notwendigen Offenheit über die wunden Punkte gesprochen worden ist. Dies kann nicht einfach mit „Welternährungsproblemen" abgetan werden. Ihnen ist doch auch bekannt, daß — jedenfalls zu unseren Gestehungskosten — Europa die Welt kaum versorgen kann, es sei denn, wir subventionieren unsere Agrarprodukte in beachtlichem Ausmaß herunter. Man kann sicher darüber diskutieren, ob und in welchem Ausmaß das sinnvoll ist. Nur: So zu tun, als ob unseren Produkten der Weltmarkt als Markt ohne staatliche Intervention offenstünde, ist einfach an der Sache vorbeidiskutiert.
Wenn ich mich mit der Agrarpolitik beschäftige, will ich nur einige wenige Zahlen nennen. Seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaft steigt die Produktion von Agrargütern im Durchschnitt jährlich um 3%. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft steigt der Verbrauch im gleichen Zeitraum im Durchschnitt um 2%. An diesen beiden Fakten ist doch nicht vorbeizukommen. Meine Damen und Herren, glauben Sie ernsthaft, daß es in dieser Welt möglich sei, Europa zu einem der größten, ja sogar dem größten Exporteur industrieller Produkte undAnlagegüter zu entwickeln und gleichzeitig zum größten Exporteur von Agrargütern? Da muß ich Sie einmal fragen: Womit sollen eigentlich die Importländer dann unsere Ausfuhren noch bezahlen?
Eins ist doch wohl unbestritten: unser Überschuß ist notwendigerweise das Defizit der Nachbarn. Leider ist in der Ökonomie ja alles so klar berechenbar. Da liegen mit die Probleme. Ich hätte mir gewünscht, daß bei einer Großen Anfrage solche Fragen ernsthaft diskutiert werden und man hier nicht Fingerhakeln aus südlichen Landen oder auch aus dem Hessenlande im Bundestag aufführt.
— Es ist völlig richtig, daß diese Probleme mit zunehmender Dauer des Agrarmarktes an Gewicht zugenommen haben. Das, Herr Müller-Hermann, bestreite ich überhaupt nicht. Man sollte nur nicht so tun, als ob das die Folge von Regierungspolitik sei. Ich will Ihnen eins sagen: Völlig richtig ist, daß das Problem der europäischen Agrarmärkte — ich meine der regionalen Märkte — während der Amtszeit dieser Bundesregierung viel größer geworden ist. Das ist unbestritten; denn in dem Ausmaß, in dem sich die Wirtschaften der Gemeinschaft auseinanderentwickelt haben —
in der Währungspolitik, in der Wirtschaftspolitik —, nehmen die Probleme eines fiktiven gemeinsamen Marktes zu. Aber entschuldigen Sie: Ich bin nicht bereit, nur wegen des gemeinsamen Agrarmarktes in den europäischen Inflationsgleichschritt einzutreten.
— Nein, diese Konsequenz ziehe ich nicht. Das Problem des Grenzausgleichs besteht doch ganz einfach in der Tatsache, daß Sie heute Inflationsraten von 20 % in dem einen Land vorfinden und von 14 oder 15 % in einem anderen Land. Und Sie wissen ganz genau, daß sich unsere Preissteigerungsrate nicht mehr nur, wie es früher war, in zwei, drei Prozentpunkten oder auch zehn von denen in anderen Ländern unterscheidet, sondern daß die Differenz heute 100 % zu Frankreich, 200% zu Italien und außerhalb der Gemeinschaft bis zu 400 % beträgt.
Das ist doch das Faktum. Bitte, Sie können sagen: Du, Bundesregierung, hättest auch noch die französische und italienische Wirtschaftspolitik mit betreiben müssen. Aber ich glaube, das verlangt doch wohl ernsthaft niemand.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8133
Bundesminister Dr. FriderichsAber das ist eigentlich die Konsequenz der Forderungen, die hier gestellt werden.
Ich bin der Meinung — lassen Sie mich das einmal rein ökonomisch sehen —, daß die Agrarpreise in dieser Gemeinschaft zwei Funktionen eben nicht gleichzeitig erfüllen können, nämlich die Funktion der Marktstabilisierung und die Funktion angemessener Einkommenssicherung. Die Konzeption war so angelegt, daß die Preise diese beiden Funktionen erfüllen sollten. Herr Kollege Ertl hat, wie ich finde, in einer hervorragenden Weise dargelegt, daß das eben nicht gelungen ist und nach meiner Meinung nie gelingen kann.Die Preise können bei so unterschiedlichen Strukturen, so unterschiedlichen Produktionskosten — von Süditalien bis nach Dänemark über die Bundesrepublik Deutschland — diese beiden Funktionen nicht erfüllen. Hier liegt eine Fehlanlage des Gemeinsamen Marktes; denn die Anlage war doch so, daß ein regional nicht differenziertes Preissystem die Einkommensprobleme der Bauern lösen sollte. Das kann nicht gelingen. Entweder Sie konzentrieren sich bei der Preispolitik auf die Betriebe mit den schwächsten Einkommen und wollen hier eine soziale Komponente ausschließlich über den Preis einführen — mit dem Erfolg, daß Sie bei den anderen die Überproduktion stimulieren — oder aber Sie konzentrieren sich zur Vermeidung von Überproduktionen auf die einkommensstärkeren ;Betriebe. Dann schaffen Sie Sozialprobleme bei denen, die mit diesen Preisen nicht mithalten können.
Das ist doch einfach so. Und bei einer Großen Anfrage, die draußen hochstilisiert wird, müssen wir doch wohl über derartige Fragen, die ich für wichtig halte, sprechen.
Lassen Sie uns doch einmal deutlich sagen, worum es geht. Es geht doch nicht, wie in anderen Bereichen darum, 20 Millionen DM hinauf- oder hinunterzurechnen, die im Rahmen eines Bundeshaushalts viel, aber in der Relation wenig sind. Nein, meine Damen und Herren! Wie sieht es denn bei den Überschüssen aus? Nehmen Sie einmal den Teil „Garantie" des EAGFL, des Ausgleichs- und Garantiefonds! Dieser betrug im Jahre 1971 1,571 Milliarden Rechnungseinheiten, und er beträgt im Jahr 1974 — drei Jahre später, meine Damen und Herren! — 3,513 Milliarden Rechnungseinheiten. Das ist doch die Entwicklung. Tun wir doch nicht so, als ob wir daran vorbeidiskutieren könnten! Sie alle wissen doch, in welchen Ländern und in welchem Ausmaß die Dinge wirklich geschehen sind. Die Landwirte selbst sind doch mit dieser Überschußproduktion unzufrieden. Hier aber wird so getan, als ab es ein Problem der Welternährung wäre, Überschüsse zu produzieren. Nein, die Landwirte selbst wollen dies nicht, und zwar mit Recht nicht, weil ihnen in der Öffentlichkeit diese 31/2 Milliarden als Zuschuß angerechnet werden, obwohl, wie wir allemiteinander wissen, nur ein bestimmter Teil davon überhaupt unmittelbar in die Landwirtschaft fließt. Wollen wir also diese Dinge klar sehen und nicht so tun, als ginge es darum, was wann und wo und in welcher Form beschlossen wurde.Es geht um mehr: es geht um die Fortentwicklung einer agrarpolitischen Konzeption und nicht um das, was — ich werde mich dazu noch äußern — in bestimmten Anträgen hier auf den Tisch kommt. Anders ausgedrückt: Die Einkommen allein von garantierten Mindestpreisen abhängig zu machen, heißt, die Einkommensdisparität in der Landwirtschaft in einem Ausmaß zu steigern, daß Sie den Agrarmarkt in Europa jedenfalls nicht so haben können wie es anzustreben ist.Ihre Sektorpolitik ist doch geradezu merkwürdig. Als ob Sie nicht wüßten, was man in Ihrer eigenen Fraktion im Nachbarsektor Wirtschaft über diese Dinge denkt! Sie müssen doch eine konsistente Haltung an den Tag legen!
Diese Befriedigung von Gruppeninteressen unter Abschottung der anderen ist doch kein Ersatz für eine komplette Konzeption, die diese Bundesrepublik Deutschland erwarten kann.
Sie selbst wissen doch ganz genau, daß von dem gemeinsamen Agrarmarkt in Wahrheit nur ein Pfeiler total funktioniert, nämlich der gemeinsame Außenschutz. Das ist das, was wirklich funktioniert. Nicht einmal der freie Warenverkehr in der Gemeinschaft funktioniert so, wie er angelegt war. Wollen wir denn über das Bardepot der Italiener und all die Dinge hinwegdiskutieren? Sie kennen die Gründe, warum es eingeführt wurde oder nach Meinung der italienischen Regierung eingeführt werden mußte.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung entzieht sich nicht der finanziellen Solidarität, die sie im Rahmen der europäischen Verträge übernommen hat. Aber verstehen Sie bitte, daß wir wenigstens wissen wollen, für welchen politischen Inhalt wir diese politische Solidarität zu leisten haben!
Wir wissen auch, daß wir in diese Gemeinschaft als wirtschaftlich stärkste Nation hineingegangen sind. Wir wissen auch ganz genau, daß, wenn sich die Gesamtheit entwickeln muß, die wirtschaftlich Stärksten einen Beitrag zur Entwicklung der Schwächsten zu leisten haben. Aber wir müssen doch wenigstens wissen, wozu; denn nur finanzielle Transfers zwischen Staaten ist doch wohl nicht der Inhalt unserer Politik.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Bewerunge? — Bitte!
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8134 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Herr Minister, wenn ich unterstelle, daß damals nicht die letzte Weisheit gefunden wurde, sind Sie dann nicht mit mir der Meinung, daß 1969, als die vorläufige Phase zu Ende war, Korrekturen in dem Sinn anzubringen gewesen wären, daß wir eine Linie gefunden hätten, die uns alle heute zufriedenstellen würde, und daß das nicht geschehen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich teile völlig Ihre Meinung, daß eine Linie gefunden werden muß; darüber ob 1969 oder zwei Jahre früher oder später, können wir lange diskutieren.
— Entschuldigen Sie bitte, ich war ja auch einmal Staatssekretär in diesem Metier und in dieser Eigenschaft auch in Brüssel. Ich weiß, wie oft Herr Kollege Ertl versucht hat, eine Neuformulierung der Agrarpolitik unter Überwindung der wunden Punkte und der institutionalen Fehlerquellen herbeizuführen. Ich weiß aber auch, daß es offensichtlich anderer — ich hätte beinahe gesagt: — Eklats bedurfte, um die, die dort mit am Tisch sitzen, zu bewegen, nun endlich an die Dinge heranzugehen. Deswegen war der Beschluß vom 25. September nicht nur richtig; ich sage Ihnen: er war notwendig. Sonst wäre nichts passiert, überhaupt nichts.
Der französische Staatspräsident teilt diese Meinung auch, um das einmal ganz klar zu sagen.
Es ist keine Frage, daß alle Staaten von der Integration profitiert haben. Ich will auf die Prozentzahlen nicht mehr eingehen. Wenn Sie mich fragen: Wo sehen Sie denn Bedingungen für die Weiterentwicklung?, so muß ich Ihnen sagen: Eine Agrarpolitik muß, wenn sie weiter formuliert wird, eine größere Marktorientierung bringen. Wir sollten uns hier nicht hinter den vorgeschobenen Argumenten der Weltsituation verschanzen; die hat auch eine Rolle zu spielen und da ist zu definieren, wie der Beitrag der Gemeinschaft ist. Dann ist aber auch zu definieren, meine Damen und Herren, wie hoch die dafür entstehenden Kosten sind. Dann können Sie sich nicht ständig hier herstellen und sagen, der Bundeshaushalt steige zu sehr. Vielmehr müssen Sie dann auch einmal sagen, woher Sie das Geld nehmen, um das alles bezahlen zu wollen. Also: Marktorientierung, und zwar — das sage ich mit dem Kollegen Ertl — in Übereinstimmung mit der gesamtwirtschaftlichen Ordnung, weil es anders nicht geht. Denn der Geburtsfehler des Gemeinsamen Marktes ist doch der, daß man so getan hat, als könne man einen Sektor von Politik zu einem Gemeinsamen Markt mit einer gemeinsamen Währung machen — wissend, daß die übrigen Sektoren der Politik jedenfalls nicht einmal so koordiniert waren, daß sie sich nicht auseinanderentwickeln konnten.
Das ist es doch!
Und wir werden hier bei der Koordination der Wirtschaftspolitk noch miteinander sprechen müssen. Denn darüber müssen Sie sich im klaren sein: daß Sie dabei liebgewordene Dinge, die auch Sie für richtig halten — in Übereinstimmung mit mir —, wahrscheinlich gar nicht werden halten können. Warten wir doch einmal ab, wie es dann mit Autonomien, Notenbank, Tarifautonomie und ähnlichen Dingen ist, wenn es einmal um die Formulierung gemeinsamer Politik geht.
So einfach wird das ja wohl alles nicht, wie man das draußen in Wahlkämpfen zu verkünden glaubt.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was Herr Kollege Ertl angeschnitten hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller-Hermann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, ich habe ein Problem: ich sehe die Uhr, und ich weiß, daß meine Redezeit mitgestoppt wird.
Sie möchten in Ihrer Rede fortfahren, Herr Bundesminister?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn mir die Zeit für die Beantwortung meiner Fragen nicht auf die Redezeit angerechnet wird, bin ich bereit, so viele Fragen zu beantworten, wie gestellt werden.
Ich würde vom Herrn Minister doch gerne wissen, ob er sich nicht etwas konkreter darüber äußern kann, was in dieser mehr oder weniger langen Durststrecke geschehen soll, in der die Wirtschafts- und Währungspolitik auf das Niveau der gemeinsamen Agrarmarktpolitik angehoben werden soll?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe — ich muß es jetzt wegen der vorgerückten Zeit schlaglichtartig und abstrahiert sagen — folgende Möglichkeit,
solange eine Wirtschafts- und Währungsunion nicht da ist und noch in einer gewissen bzw. weiten Ferne liegt. Nicht alles, was man in der Tasche hat, ist für alle Beteiligten erkennbar. Sie haben mich nie danach gefragt, Herr Wagner. Ich wäre gern bereit, Ihnen meine Vorstellungen auch schriftlich zu geben, wenn Sie das wünschen.
Aber wenn ich Ihnen das in zwei Sätzen sagen darf:
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8135
Bundesminister Dr. FriderichsIn der Zwischenzeit genügt nicht eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken — Position Frankreich —, sondern nach meiner Meinung muß in der Zwischenzeit folgendes erreicht werden: erstens ein Abbau der Zieldisparitäten der Wirtschaftspolitiken der Gemeinschaftsländer, zweitens eine Annäherung der Zielprioritäten der Gemeinschaftsländer und drittens eine Angleichung der wirtschaftspolitischen Instrumentarien. Dies zu erreichen muß in der Zwischenzeit versucht werden.
Darüber gibt es klare, schriftlich formulierte Vorstellungen, die übrigens in einer Klausurtagung des Bundeskabinetts im Detail diskutiert worden sind, die unseren Partnern auch bekannt sind.Lassen Sie mich nur noch einen Punkt kurz anschneiden. Herr Kollege Ertl hat nach meiner Meinung mit Recht gesagt, Agrarpolitik sei nicht lösbar, ohne andere wirtschaftspolitische Sektoren dabei zu berücksichtigen. Wir haben mit unserer Regionalpolitik innerhalb der Bundesrepublik Deutschland — die stecke ich mir nicht an den Hut, um das gleich zu sagen; denn die Aktionsprogramme Gemeinschaftsaufgabe sind während der Großen Koalition von Herrn Professor Schiller als Wirtschaftsminister entwickelt und von Herrn Strauß als Finanzminister mitfinanziert worden; Sie kennen die Gründe, warum es zur Gemeinschaftsaufgabe kam; wir haben sie fortgesetzt, wir haben jetzt neue Kriterien entwickelt und die Gebiete neu abgegrenzt — von 1969 bis 1972 357 000 neue Arbeitsplätze geschaffen — in diesen Gebieten —, von 1969 bis 1973 sogar 513 000 neue Arbeitsplätze. Das ist mit ein Weg, der gegangen werden muß, wenn das alles funktionieren soll.Und nun kommt die Frage: Warum wart Ihr denn dann gegen den Europäischen Regionalfonds? Ich will Ihnen meine persönliche Meinung dazu ganz offen sagen. Das, was — nach der damaligen Vorlage —dort finanziert werden sollte, war eben keine europäische Regionalpolitik, sondern war unter der Bezeichnung „Regionalpolitik" ein internationales Transfersystem von monetären Ressourcen. Dafür zu zahlen ist diese Regierung eben nicht bereit.
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Ich lasse sogar über größere Beträge mit mir reden, wenn wirklich europäische Regionalpolitik betrieben wird. Denn darüber sind wir uns doch wohl hoffentlich einig: daß eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik auf der Basis so unterschiedlicher Regionalstrukturen, wie wir sie jetzt haben, ganz offensichtlich unmöglich ist. Daher kann niemand ein größeres Interesse an einer Angleichung der Regionalstrukturen haben als das in der Gemeinschaft wohl mit am besten strukturierte Land, die Bundesrepublik Deutschland. Aber Geld zur Verfügung stellen, um ein Finanzausgleichssystem zu schaffen, dem keine Regionalpolitik zur Seite steht, kann doch wohl nicht Aufgabe einer Regierung sein; Sie hätten uns dann mit Recht kritisiert.
Meine Damen und Herren, nur noch wenige Bemerkungen! Vor wenigen Tagen berichtete dpa, daß die Junge Union — da Sie sich sonst mit den Jusos und Judos beschäftigen, beschäftigte ich mich seit neuestem auch mit der Jungen Union,
— ich finde das wirklich gut, weil der Kongreß in Lahnstein sehr interessant war — dort gesagt hat: Mit der sachlichen Darstellung in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung sei die Junge Union unzufrieden; das bedeutet Kritik am Fraktionsvorsitzenden. Und dann geht es wörtlich weiter: „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion muß sich stärker darum bemühen, deutlich und differenziert die Regierung zu kritisieren" — also eine Aufforderung an Sie,
— „noch" ist falsch — „und klarzumachen, wie ihre eigenen Vorstellungen von der Verwirklichung der politischen Ziele aussehen".
Was ich Ihnen seit längerer Zeit vorhalte, sagt jetzt auch die Junge Union. Die Meldung ist vom 4 Oktober. Ich gebe Ihnen zu, daß Sie in unvorstellbarer Geschwindigkeit der Jungen Union gefolgt sind und einen Entschließungsantrag vorgelegt haben.
Sie fordern in diesem Antrag die Stärkung der europäischen Institutionen. Das ist unbestritten, auch wir wollen das. Auch ich bin der Meinung: Der Erfolg des Beschlusses vom 25. September, Kommission u n d Rat zur Bestandsaufnahme zu drängen, geht genau in die Richtung der Stärkung der Institutionen.
— Warten Sie mal ab.
In Ziffer 3 a sagen Sie, Sie wollten einen Grenzausgleich auf alle Produkte und auf den vollen Warenwert ausdehnen. Damit treten Sie für die Schaffung neuer Wettbewerbsverzerrungen ein, denn das Aufwertungsland Deutschland würde dann nicht aufwertungsbedingte Exportsubventionen und Einfuhrabgaben gegenüber seinen Partnerländern anstreben. Das würde bedeuten, daß wir unseren Markt lückenlos im Umfang des Grenzausgleichs gegenüber unseren Partnern abschotten.
— Entschuldigen Sie, das müssen Sie mal ökonomisch durchdeklinieren, dann werden Sie sehen, wohin Sie dann kommen. Es wäre ein eklatanter Verstoß gegen den freien Warenverkehr und damit gegen den gemeinsamen Agrarmarkt. Übrigens finde ich es nicht ungeschickt, daß Sie Ziffer 3 a auf die erste Seite schreiben und die dem widersprechende Ziffer 3 b auf die nächste Seite. Das widerspricht sich absolut.
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8136 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Bundesminister Dr. FriderichsSie hätten besser unten die Ziffer 3 a weggelassen, damit man nicht umblättert, denn auf der nächsten Seite wird es noch schöner. Sie sagen — in Verfolg der Aufforderungen der Jungen Union — Sie seien gegen die nationalen vertragswidrigen Maßnahmen der anderen. — Einverstanden; das haben wir beschlossen. Nun aber sagen Sie: Wenn die trotzdem solche Maßnahmen einführen, dann fordern wir die Bundesregierung selbst zum vertragswidrigen Verhalten auf. Dies steht in Ziffer 3 b expressis verbis. Da können Sie machen, was Sie wollen.
Ich bin froh darüber, daß der Professor für europäisches Recht, Herr Professor Carstens, sich dies nicht mit anhören muß.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Narjes.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Nach der Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers und einigen Bemerkungen des Herrn Bundesernährungsministers halte ich es für notwendig, einige Anmerkungen zu europapolitischen und handelspolitischen Partien dieser Debatte zu machen. Es ist richtig, daß man sich um eine Bestandsaufnahme mühen muß. Nur wird dies schon seit fünf oder sechs Jahren gefordert und ist keine Erfindung dieses Jahres. Infolgedessen können, meine Herren von der Bundesregierung, alle nachträglichen Entschuldigungen, die Sie jetzt eifrig und mit täglich wechselnden Schwerpunkten konstruieren, um die eklatante Blamage vom 5. September auszutarieren, nicht darüber hinweghelfen, daß Sie in der Art und Weise, wie Sie diese Entscheidung herbeigeführt haben, der Bundesrepublik schweren europapolitischen Schaden zugefügt haben.
Wenn eine Bestandsaufnahme kommt, dann sollten wir die Bestandsaufnahme auf all das erweitern, was bei dieser Gelegenheit zum Thema Brüssel teilweise mit unfairen, ja geradezu infamen Verunglimpfungen von Regierungsseite zur Kommission hin gesagt worden ist.
Die Kommission, die sich politisch nicht wehren kann, weil sie teilweise von Ihnen abhängig ist, muß sich hier zum Prügelknaben für etwas machen lassen, was allein der Ministerrat und in diesemauch die deutsche Regierung seit Jahren mit verschuldet haben.
Damit beginnt auch schon einer der größten Fehler in der Analyse, die offensichtlich die Bundesregierung zugrunde gelegt hat. Wenn sie von meterlangen Fernschreiben und von den komplizierten bürokratischen Mechanismen in Brüssel spricht, so gibt es darunter keinen einzigen, der nicht auch mit die Unterschrift eines deutschen Regierungsmitglieds trägt. Sie ergeben sich aus den jeweiligen Entscheidungen, die über die Marktordnung ergangen sind. Diese Entscheidungen haben einen ganz bestimmten praktischen Grund, der auch einsichtig ist. Als Europa die Agrarmarktpolitik begann, war es notwendig, in einem vertrauensbildenden Verfahren auch solche Dinge im Gesetzgebungsverfahren zu regeln, die normalerweise national nur im Wege von Verwaltungsanordnungen erlassen werden. Die Folge ist, daß die Gesetzgebungsmethode benutzt wurde, um eben überhaupt etwas regeln zu können. Das geschah in der Hoffnung, daß man nach einigen Jahren — wenn sich das eingefahren hat — zu anderen leichteren Verfahren der, wenn Sie so wollen, Ausführung der Marktordnung und ihrer Steuerung kommen könnte. Wenn man hier aber nun so tut, als ob dies alles aus der Mutwilligkeit der Kommission heraus geschehen sei und sie verdiene deshalb abgeschafft zu werden, so ist das aus dieser Entwicklung heraus schlicht Geschichtsfälschung.
— Ja.Eine zweite Frage ist mir nach den letzten Diskussionen nicht mehr ganz klar. Bleiben Sie nun eigentlich bei dem Ziel des gemeinschaftlichen Agrarmarktes, wie es einmal politisch die Grundlage der Europäischen Gemeinschaft war, oder nicht? Wenn das so ist, wenn Sie dabei bleiben, müssen Sie auch davon ausgehen, daß das, was heute existiert, geltendes Recht ist und, soweit es ein Vertrag ist, von dem Kanzler sogar als Verfassungsrecht qualifiziert worden ist. Dann können Sie das nur in der Form und in der Weise ändern, daß Sie die Zustimmung aller Beteiligten dafür bekommen. Von den Bemühungen, diese Zustimmung aller Beteiligten zu erringen und darüber, was Sie dazu in dieser Richtung zu unternehmen gedenken, habe ich bis jetzt in dieser Debatte wenig gehört. Dazu gibt es offenbar entweder in dem noch eine Lücke, was Sie aussagen wollen, oder in dem, was Sie bisher erkannt haben, um dieses Problem zu lösen.Dann kommt eine weitere Frage, meine Herren von der Bundesregierung. Bleibt das Ziel eines einheitlichen — nicht undifferenzierten; das war falsch, Herr Kollege Friderichs: es ist ein differenzierter Preis; nur sind die Grenzen, in denen differenziert werden kann, relativ klein; doch das nur zur Korrektur — Preises noch das Ziel der Bundes-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8137
Dr. Narjesregierung, oder möchte sie dieses Ziel nicht mehr aufrechterhalten? Dies ist eine erste und elementare Frage, die geklärt sein sollte, bevor man an Weiteres geht.Natürlich ist es schwierig und vielleicht sogar auf lange Sicht nicht möglich — ich sage das ohne Einschränkung —, die Einkommensprobleme über den Preis zu lösen. Aber mit welchem anderen Verfahren wollen Sie das erreichen, das insgesamt billiger ist? Wobei die Frage, ob das billig oder teuer ist, nicht allein eine Frage danach ist, was der Steuerzahler aufzubringen hat, sondern auch eine Frage danach, was Verbraucher plus Steuerzahler aufzubringen haben. Die Gesamtbilanz ist entscheidend.
Zu diesem Thema hat gerade kürzlich der Kommissar Lardinois — wenn ich ihn richtig verstanden habe — noch einmal wiederholt, daß der Übergang etwa zu einem englischen System der Direktsubventionen, der deficiency payments, genau das Doppelte von dem für die Steuerzahler kosten würde, was im Augenblick zu bezahlen ist.
Wenn dies aber unter den denkbaren Möglichkeiten die bisher wahrscheinlichste ist, wenn ich das richtig sehe, so wüßte ich nicht, mit welch anderem Verfahren Sie billiger davonkommen wollten.Ein weiteres. Es könnte ja auch — das hat Herr Minister Ertl dankenswerterweise anklingen lassen — die Bestandsaufnahme zu einer neuen Sicht der Interessen führen, und zwar weil sich der Weltzuckerpreis in den letzten sechs Jahren verzwanzigfacht hat, so daß wir im Augenblick auf dem Weltmarkt das Dreifache des europäischen Preises zahlen; es könnte sein, daß die europäischen Zuckerrübenproduzenten eines guten Tages zu der Erkenntnis kommen werden, daß es sich gar nicht lohnt, ihren Zucker an die Deutschen zu „verschenken", weil sie statt dessen das Dreifache auf dem Weltmarkt ernten können. Dann hätten wir eine ganz andere Lage und ganz andere Bilanzen. Auch daran sollten wir denken.
Deshalb bitte ich auch insoweit um etwas mehr Nüchternheit und nicht zu viel Vergangenheitsbewältigung.Aber doch noch ein Stichwort zur Vergangenheitsbewältigung: der 31. 12. 1969. Das ist kein Tag, den die Opposition erfunden hat, sondern das ist das Ende der Übergangszeit gewesen. Zu diesem Ende der Übergangszeit war es nach dem Vertrag nötig und möglich — das ist in der Konferenz im Haag besprochen worden— zu prüfen, ob die Ziele der Übergangszeit erreicht worden sind oder nicht. Dies war die entscheidende Frage. Dies war die letzte Position, von der aus die Regierungen, die die Ziele der Übergangszeit als nicht erreicht angesehen haben, die ihre Interessen als nicht gewahrt angesehen haben, hätten sagen können: „Nein, verlängert um ein oder zwei Jahre, so wie der Vertrag es vorgesehen hat." Alles dies ist nicht ernsthaft geprüft worden. Ich habe schon bei anderer Gelegenheit, viel-leicht mit zu vorsichtigen Worten, hier ausgedrückt, das damals ohne Strategie gewurschtelt worden ist, nur um in Richtung Westen Scheinfrieden zu haben, damit man in Richtung Osten Geschenke machen kann.
Ich sollte auch ein Wort zum Grenzausgleich sagen. Ich glaube, Herr Bundesminister Friderichs, der Referent, der Sie auf die Ziffern 3 a) und b) hingewiesen hat, hat entweder das agrarpolitische Vokabular nicht gekannt oder hat sich irreführen lassen. Die Ziffer 3 a), so wie ich sie lese — aber ich bitte um Korrektur; das ist simple deutsche Sprache — zielt darauf ab, daß die durch ein Auseinanderfallen der Währungsparitäten entstehenden Ungleichgewichte grenzwirksam voll ausgeglichen werden. Von einem Abschotten der Grenze — wie Sie daraus folgern — ist also, wenn ich das richtig verstehe, mit keinem Wort die Rede gewesen.Dementsprechend ist der sogenannte Widerspruch zu Ziffer 3 b) auch nicht da. Denn die nationalen Maßnahmen, die unter Ziffer 3 b) angestrebt werden, sind vertragskonforme Maßnahmen. Vielleicht hätte man das anders sagen können; aber nichts anderes ist damit gemeint.
— Schön, Vertragsreformmaßnahmen; wobei ich als Fußnote hinzufügen sollte: die ganze Unterscheidung zwischen vertragskonformen und nicht vertragskonformen Maßnahmen hat sich zu einem Verschiebebahnhof für Subventionen entwickelt, der auch mit in die Bestandsaufnahme hineinkommen sollte. Denn alles in allem, meine ich, kommen wir da nicht sehr gut weg.
Dann haben Sie, Herr Bundesminister Friderichs, den Fraktionsvorsitzenden angesprochen und, wenn ich es richtig sehe, u. a. gemeint, er sei durch das Luxemburger Ergebnis mit seiner Behauptung, daß nationale Alleingänge zu befürchten seien, widerlegt worden. Nun, daß sie zu befürchten gewesen sind, können Sie schlechthin nicht bestreiten; erstens. Zweitens: Die Art der Reaktionen unserer Nachbarn, unserer Partner damals schon vorherzusehen, ab sie sich Ihrem Diktat beugen oder ob Sie inzwischen in anderer Form, weil Sie inzwischen Ihre Positionen weitgehend aufgegeben haben, deshalb bereit sind, den gesichtswahrenden Rückzug zu organisieren, — das sind doch zwei ganz andere Dinge, die nicht zuletzt deshalb ausgelöst sind, weil man sich auch hier im Hause, wie die öffentliche Meinung in Europa, so energisch dagegen ausgesprochen hat, daß Sie in so schurigelnder Weise mit den Partnern der Gemeinschaft umgehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Gern.
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8138 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Bitte, Herr Ehrenberg!
Herr Kollege Narjes, darf ich Ihre Interpretation der Ziffern 3 a) und 3 b) so verstehen, daß Sie es für richtig halten, daß die Bundesrepublik einen — wie es hier so schön steht — Ausgleich grenzwirksam voll durchführt und gleichzeitig nationale Maßnahmen oben drauflegt? Darf ich Sie so verstehen?
Davon ist doch keine Rede.
Herr Kollege Ehrenberg, der Grenzausgleich ist eine Folge von Währungsdisparitäten, die es im Augenblick des Zustandekommens der Marktordnung nicht gegeben hat. Wir warten auf den Tag, an dem eine europäische gemeinschaftliche Wirtschafts- und Währungspolitik diese Disparitäten wieder beendet, und dann ist der Grenzausgleich hinfällig.
Bis dahin aber muß der Grenzausgleich eben die Funktion erfüllen, die er zwangsläufig hat, weil die Disparitäten existieren.
— Nein, dafür ist er nicht zuständig.
) 3 h) bezieht sich auf den Fall, daß der deutschen Seite bei Wettbewerbsverzerrungen anderer Art kostenwirksame Nachteile entstehen. Das hat nichts mit dem Grenzausgleich zu tun.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Gerne, wenn es der Zeitablauf erlaubt.
Nur damit man nicht aneinander vorbeispricht, verehrter Herr Kollege Narjes: Es geht ja nicht darum, ob das irgendwo anders zu registrieren ist. Darf ich noch einmal von Ihnen eine Stellungnahme dazu erbitten, ob Sie es für richtig hielten, bei voll wirksamem Grenzausgleich obendrein noch nationale Maßnahmen zu ergreifen und nicht darauf hinzuwirken, daß die anderen Staaten ihre nationalen Maßnahmen abbauen?
Herr Kollege Ehrenberg, ich wiederhole: Es dreht sich in Ziffer 3 b) darum, wie sich die deutsche Seite im Blick auf die Bestandsaufnahme in Brüssel verhält, insbesondere auf den Katalog der Wettbewerbsverzerrungen und die Unklarheit, die heute darüber herrscht, oh die anderen Wettbewerbsverzerrungen abgebaut werden, wie sie abgebaut werden, wie lange es dauert,
bis sie abgebaut sind, und welche kostenwirksamen Verzerrungen es in dieser Zeit gibt. Ich könnte mir vorstellen, daß jeder Bundesernährungsminister mit einem solchen Text im Rücken am Ratstisch die anderen Verzerrungen wesentlich schneller abbaut, als wenn er ohne einen solchen Text dastünde. Sie müssen dies auch einmal unter dem Gesichtspunkt des Verhandelnden sehen.
Von seiten der Bundesregierung wurde mit Recht darauf hingewiesen — ich glaube, es war Minister Ertl, der dies tat —, daß sich der Welthandel für Agrarprodukte zunehmend labil entwickelt. Ich habe den bisherigen Ausführungen noch nicht entnehmen können, welche Konsequenzen Sie daraus zu ziehen gedenken. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang auf folgendes lenken. Es muß berücksichtigt werden — dies muß für jeden, der einer liberalen Handelspolitik verschrieben ist, besonders schmerzlich sein —, daß unsere Hauptversorgungsquellen im Ausland zunehmend einem System von Exportverboten, Exportkontrollen und exportstatistischen Maßnahmen, ,die als Vorstufen von Kontrollen gelten können, unterworfen werden. Wir müssen das Problem der Sicherheit unserer Versorgung dann unter Umständen anders sehen, als wir es vielleicht noch vor fünf, sechs Jahren getan haben. Wir haben es nicht allein mit dem Ausnahmefall Soja zu tun. Es sind auch der kürzliche Fall des Stopps der 3-Millionen-t-Lieferung an die Sowjetunion und andere in der inneramerikanischen Diskussion befindlichen Maßnahmen, auf die ich der Kürze halber hier nur verweisen möchte, zu registrieren, die wahrscheinlich ein Überdenken der Sicherheit unserer Versorgung und der sich daraus ergebenden handelspolitischen Konsequenzen unabweisbar machen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, irgendeiner der Redner — ich glaube, es war Herr Gallus — hat in bezug auf die Vergangenheit von Gewurstel gesprochen. Ich meine, dieses Gewurstel dauert an; es ist nur noch hektischer und lauter geworden. Von Alternativen war keine Rede.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frehsee.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Kiechle hat sich zu Beginn seiner Ausführungen darüber beklagt, daß mein Fraktionsfreund Saxowski seine Ausführungen mit der Feststellung geschlossen habe, die verschiedentlichen Beiträge und Äußerungen der Opposition aus der letzten Zeit zur europäischen Agrarpolitik und zu den Erklärungen und zu der Haltung der Bundesregierung würden nicht den Anspruch darauf erheben, immer ganz ernst genommen zu werden. So seine wörtliche Formulierung, die ich mir habe geben lassen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8139
FrehseeMeine Damen und Herren, Sie haben einen solchen Beitrag, wie ihn der Kollege Saxowski gemeint hat, heute auf den Tisch des Hauses gelegt. Ziffer 1 Ihres Entschließungsantrages enthält eine absolute Unterstellung, die, um mit Saxowski zu sprechen, nicht den Anspruch darauf erheben kann, ganz ernst genommen zu werden.
Ist Ihnen, Herr Kollege Narjes — —
— Nun, dann muß ich das etwas schärfer formulieren, als das der Bundeswirtschaftsminister zu Absatz 1 dieser Entschließung gesagt hat.
Herr Kollege Narjes, ist Ihnen denn nicht bekannt, ist Ihnen entgangen, daß sich der zuständige Kommissar, Herr Lardinois, am Tage nach diesem spektakulären Veto der Bundesrepublik vor dem Europäischen Parlament positiv und dankbar zu diesem Schritt der Bundesregierung geäußert hat? Ist Ihnen das entgangen? Ist Ihnen entgangen, Herr Kollege Narjes, daß nach der Beratung des Ministerrats am 2. Oktober eine ganze Reihe von Landwirtschaftsministern und auch einige Außenminister den Schritt der Bundesregierung als eine Stärkung der Institutionen Europas, insbesondere der Kommission, bezeichnet haben?
Ich als Mitglied des Europäischen Parlaments empfinde diese Entwicklung als eine Stärkung des Europäischen Parlaments und als eine Stärkung des Bemühens des Europäischen Parlaments, wieder zum EWG-Vertrag und zu der gemeinsamen Agrarpolitik zurückzuführen, wie sie in Art. 39 des EWG-Vertrags postuliert ist.
Im übrigen, meine Damen und Herren, will ich mich mit dieser Entschließung nicht weiter auseinandersetzen. Wir schließen uns, was die Punkte 2 und 3 betrifft, ganz und gar den Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers an. Ich darf, Frau Präsidentin, gleich im Namen der sozialdemokratischen Fraktion beantragen, diese Entschließung an die Ausschüsse zu überweisen, und zwar Ziffer 1 an den Auswärtigen Ausschuß und die Ziffern 2 und 3 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.Lassen Sie mich nun bitte auch noch etwas näher auf die gemeinsame Agrarpolitik eingehen, nach der in den Kapiteln 3, 4 und 5 dieser Großen Anfrage der Opposition gefragt wird! Der Ministerrat hat am 2. Oktober beschlossen — ich zitiere aus diesem Beschluß einmal wörtlich; denn dieser Beschluß hat es in sich, er ist wichtig —, die Kommission aufzufordern, vor dem 1. März 1975 — vor dem 1. März 1975, binnen vier Monaten! — nach Prüfung allerihr zur Verfügung gestellten Angaben eine vollständige Bestandsaufnahme der gemeinsamen Agrarpolitik zu erstellen, und zwar insbesondere nach Maßgabe der Ziele des Art. 39. Aber selbst wenn wir in vier Monaten eine bessere Grundlage für eine Grundsatzdiskussion haben werden, sollten wir, finde ich und finden meine Freunde, heute auf einige grundsätzliche Anmerkungen nicht verzichten.Die Bestimmungen des EWG-Vertrages über die gemeinsame Agrarpolitik sind, wie die bisherige Aussprache auch gezeigt hat, man kann sagen: das Schicksalsbuch auch unserer deutschen Landwirtschaft. Diese deutsche Landwirtschaft spielt in unserer Volkswirtschaft allen Zweifeln zum Trotz eine große Rolle, und sie wird sie mit Sicherheit auch in Zukunft spielen. Dies, meine Damen und Herren, ist der Ausgangspunkt, von dem aus die sozialdemokratische Bundestagsfraktion an die Probleme der nationalen wie der europäischen Agrarpolitik herangeht.Diese Agrarpolitik muß eine soziale sein, wobei das Adjektiv „sozial" nicht so gemeint ist, als ob es nur um soziale Regelungen für die in der Landwirtschaft Tätigen ginge. Die Agrarpolitik muß eine für die gesamte Volkswirtschaft und für die gesamte Bevölkerung soziale sein. Das heißt, sie muß den Wirtschaftszweig Landwirtschaft in die Volkswirtschaft integrieren und ihn ihr nutzbar machen. Wir werden angesichts der Entwicklung der Weltbevölkerung, angesichts der stark steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln — ich sage dies auch unter dem Eindruck der FAO-Konferenz, die gerade gewesen ist — und angesichts der weltweiten Sorge, die doch besteht, Herr Bundeswirtschaftsminister, eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten, auf eine bestimmte Menge Landwirtschaft hier bei uns in Deutschland, auf eine bestimmte Zahl von Menschen, die freiwillig bereit sind, Landwirtschaft zu betreiben, in überschaubarer Zukunft nicht verzichten können.
Der EWG-Vertrag enthält in seinem Art. 39 Grundbestimmungen für eine soziale Agrarpolitik. Dort heißt es, daß die Produktivität der Landwirtschaft gesteigert werden soll, um den in der Landwirtschaft tätigen Menschen eine angemessene Lebenshaltung zu gewähren, daß die Versorgung sichergestellt und für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge getragen werden soll. Es heißt dort allerdings auch, daß die Märkte stabilisiert werden sollen. Zu diesen Zielen des Art. 39 bekennt sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion heute wie vor 17 Jahren, als dieser Artikel, übrigens in Anlehnung an § 1 unseres Landwirtschaftsgesetzes, verwirklicht wurde.Nun wird allenthalben die Frage gestellt, ob sich dieser Art. 39 als undurchführbar erwiesen habe. Da haben wir vor einem halben Jahr für das laufende landwirtschaftliche Wirtschaftsjahr 1974/75 Agrarpreisanhebungen um durchschnittlich 8,3 %, bei Rindfleisch sogar um 12 % gehabt — Anhebungen
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8140 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Frehseedes Interventionspreisniveaus —, und jetzt, ein halbes Jahr danach, sind die Erzeugerpreise niedriger als vorher; dennoch liegen die Verbraucherpreise durchschnittlich um 6 % höher. Wir haben steigende Überschüsse, die bei einigen Produkten zu Bergen angewachsen sind. Wir haben steigende Kosten dieses gemeinsamen Agrarmarkts, und, was das Schlimmste ist, wir haben die nationalen Sondermaßnahmen.Es wird häufig gesagt, daß dieses Desaster — das muß man doch so nennen — darauf zurückzuführen sei, daß die gemeinsame Agrarpolitik isoliert sei, daß sie im luftleeren Raum betrieben werden müsse, daß jedoch Agrarpolitik ein Teil der Wirtschaftspolitik sei und daß sie nur funktionieren könne, wenn auch eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik betrieben werde. Dies ist sicherlich nicht unzutreffend. Aber es sollte nicht zu dem Fehlschluß führen, daß es keine agrarpolitischen Probleme mehr in der Gemeinschaft geben würde, wenn wir eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik hätten. Sicher gäbe es nicht diesen Grenzausgleich, aber genauso sicher gäbe es die gleichen Einkommensprobleme wie jetzt. Es bliebe die Divergenz, Herr Minister Friderichs — und das ist für meine Begriffe die Hauptkrux —, zwischen den planwirtschaftlichen Regeln, die wir auf der Basis des Art. 39 haben, auf der Erzeugerebene und den marktwirtschaftlichen Regeln auf der Verarbeitungs- und der Handelsstufe. Diese Divergenz ist es, die uns bei der Findung eines dementsprechenden Agrarmarktsystems soviel Sorgen bereitet.Aber diese gemeinsame Agrarpolitik ist neben der Zollunion eine der beiden Säulen der Europäischen Gemeinschaft. Auf keinem anderen Gebiet sind wir so weit gekommen wie auf dem Gebiet der Agrarpolitik. Diese Säule — eine der beiden Säulen — ist ins Wanken geraten. Wer sie wieder Instandsetzen will — und das wollen wir, und an den Grundsätzen des Art. 39 wollen wir nicht rütteln —, muß das System ergänzen oder verändern, das zur Durchführung der damit verbundenen Politik geschaffen wurde. Dies ist im Jahre nach der Unterzeichnung des EWG-Vertrages in Stresa geschaffen worden; dort hat man den Grünen Dollar, die sogenannte Rechnungseinheit, erfunden und gemeint, daß das Hauptinstrument der gemeinsamen Agrarpolitik die Preispolitik sein solle.Auch an dieser Stelle sollten wir uns an unser deutsches Landwirtschaftsgesetz erinnern. Mit Entrüstung hat die damalige Regierungsfraktion, die heutige Opposition, sozialdemokratische Anträge zurückgewiesen, den Katalog der Mittel, die in § 1 des Landwirtschaftsgesetzes aufgeführt sind, durch die Bereiche Finanzpolitik und Sozialpolitik zu ergänzen. Diese Fraktion hatte schon damals die Überzeugung, daß die Ziele des Art. 39 des Vertrages bei weitgehender Beschränkung auf die Preispolitik nicht erreichbar sein würden. Wir haben das damals — Sie können es nachlesen — bereits gesagt, vor 17 Jahren. Diese Fraktion hat nie gesagt, daß man auf die Preispolitik verzichten könne oder solle. Aber sie sah voraus, daß die konkurrierenden Ziele des Art. 39, ausreichende Erzeugereinkommen und angemessene Verbraucherpreise, mit der Preispolitik allein nicht zu realisieren sein würden.
Wir haben seitdem viele Beweise für die Richtigkeit dieser Überzeugung gehabt. Der letzte Beweis, ein besonders schlagender Beweis, ist uns nun in diesem Jahr geliefert worden.Der Preis genügt übrigens auch nicht als einziges Mittel zur Steuerung der Produktion. Neben die Steuerung der Produktion über den Preis muß nach unserer Überzeugung eine Mengensteuerung treten. Wir begrüßen es, daß sich dieser Gedanke jetzt endlich mehr und mehr durchsetzt. Ich habe mich gefreut, in Ihrer Äußerung auch einen positiven Akzent im Unterschied zur Äußerung des Kollegen Kiechle zu finden. Wir begrüßen es auch, daß dieser Gedanke jetzt auch vom Bauernverband immer stärker aufgenommen wird. Eine Mengensteuerung soll doch nicht etwa den Produktionsspielraum des landwirtschaftlichen Erzeugers grundsätzlich einengen, sie soll ihn flexibel gestalten, sie soll aber sicherstellen, daß Marktanteile erhalten werden und daß mörderische Erzeugungsschlachten zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unterbleiben.Es ist heute sicherlich nicht der Ort und auch nicht der Zeitpunkt, detaillierte Überlegungen über das System einer Mengensteuerung anzustellen. Darüber sollen sich die Agrarwissenschaftler noch die Köpfe zerbrechen, und der Bauernverband ist aufgerufen, seine Vorschläge zu machen. Es wird vermutlich von Produkt zu Produkt verschiedene Systeme geben. Wir kennen bisher drei: das gut funktionierende Quotensystem bei Zucker, das obligatorisch ist, das freiwillige Mengensteuerungssystem bei Schlachtgeflügel und Eiern, und das vorn Ministerrat im Winter in Aussicht genommene System der „Mitverantwortungsabgabe" bei Milcherzeugnissen.
Aber die Bundesregierung sollte hier heute einen Anstoß erhalten. Sie sollte nicht nur auf Vorschläge der Kommission warten. Sie sollte die Zurückhaltung, die sie sich bis zu diesem spektakulären und — allen Ihren Einwänden zum Trotz in der Tat so wirkungsvollen Veto vorn 25. September auferlegt hat, aufgeben, und sie sollte der Kommission selbst Vorschläge unterbreiten. Sie sollte beispielsweise auch jenen Vorschlag des Generalsekretärs des französischen Bauernverbandes prüfen, der doch auch ein Angebot darstellt, die landwirtschaftliche Erzeugung regional zu spezialisieren. Es ist doch ganz interessant, daß ein solches Angebot vorn Generalsekretär des französischen Bauernverbandes kommt, von dem doch gesagt wird, daß er für Erzeugungsschlacht sei wie seine Regierung. Solche und andere Ergänzungen des Systems des gemeinsamen Agrarmarkts werden sich mit Sicherheit als notwendig erweisen, wenn die Bestandsaufnahme vorliegt, die doch lediglich eine Kodifizierung dessen darstellt, was wir mehr oder weniger wissen, meine Damen und Herren.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8141
FrehseeDie Einkommenspolitik wird nicht mehr ausschließlich auf die Preispolitik gestützt werden können. Das ist schon von verschiedenen Rednern gesagt worden, auch vom Bundeswirtschaftsminister, und insofern stimme ich ihm voll zu. Einkommenspolitik muß sich auch auf Agrarstruktur- und regionale Strukturpolitik, auch auf Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze erstrecken. Wir machen das alles, aber das soll nicht nur bei uns geschehen. Das muß auch bei den anderen geschehen, wenn Einkommenspolitik gemacht wird. Wenn die anderen dies alles nicht tun, was wir auf dem Gebiete der regionalen Strukturpolitik, beispielsweise der Schaffung außerlandwirtschaftlicher Arbeitsplätze in ländlichen Gebieten, tun, dann sind sie auf dieses ausschließliche Mittel der Preispolitik angewiesen, dann gibt es solche Auswüchse, wie wir sie jetzt zu verzeichnen haben. Wo diese Bereiche nicht ausreichen, da wird geprüft werden müssen — wir sind uns darüber klar —, ob nicht direkte, aber produktneutrale Einkommensbeihilfen gegeben werden müssen, wie sie übrigens für Bergbauern in diesen Tagen in Kraft treten. Sie müssen natürlich im gesamten Gebiet der Gemeinschaft einheitlich sein, und sie müssen produktneutral sein. Die gegenwärtigen nationalen Sondermaßnahmen, die überwiegend produktgebundene Einkommensbeihilfen darstellen, haben die Einheit des Agrarmarkts zerstört.Die Entscheidung des Ministerrats vom 2. Oktober, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und keine neuen nationalen Sondermaßnahmen einzuführen, war ein großer Erfolg der Bundesregierung.
Daß die Opposition in diesem Haus dies nicht anerkennt, verwundert nicht. Es muß ihr überlassen bleiben, die deutsche Bundesregierung als den Buhmann der französischen Bauern darzustellen, wie das heute hier geschehen ist.
Aber es wird von der deutschen Öffentlichkeit und von allen anderen Mitgliedsländern der EG und nicht nur von Großbritannien anerkannt, daß dies ein Erfolg in Richtung auf wieder zurück zu Art. 39, wieder zurück zum Vertrag, Wiederherstellung der Grundlagen der gemeinsamen Agrarpolitik bedeutet. Es sind alle dafür, daß die Gemeinschaft erhalten bleibt. Es sind alle überzeugt, daß dazu die gemeinsame Agrarpolitik wieder instand gesetzt werden muß. Darum handelt es sich jetzt.Nachdem jene Voraussetzungen akzeptiert wurden, hat die Bundesregierung dann auch der generellen Preisanhebung um 5 °/o zugestimmt. Aber: nachdem ihre Voraussetzungen erfüllt worden sind, hat sie zugestimmt. Wir sind mit ihr nach wie vor der Überzeugung, daß diese Preisanhebung überwiegend politisch-psychologische Bedeutung hat, daß sie aber agrarpolitisch außerordentlich zweifelhaft ist. Sie wird nur bei Milch und Zucker voll wirksam werden. Bei Milch, diesem Volksnahrungsmittel, werden es dann in diesem Jahr 13 °/o sein; der Liter wird nun mehr als 1 DM kosten, und das halbe Pfund Butter wird wieder 2 DM kosten. DasGetreide haben die Bauern meist bereits verkauft. Bei Rindern und Schweinen haben sie von der pauschalen Preisheraufsetzung nichts.Nun aber hat Herr Kollege Bewerunge gesagt, wir seien uns alle einig, daß Kosten gespart werden müßten. Die Kosten steigern diese Beschlüsse natürlich, denn es wird bei Milch einen neuen Produktionsanreiz geben, und der Butterberg wird weiter anwachsen, über die 330 000 t hinauf, die er jetzt beträgt.Diese die tatsächlichen Bedürfnisse in keiner Weise berücksichtigenden ignoranten Preisbeschlüsse sind keine Großtat der gemeinsamen Agrarpolitik.Eine große Leistung der Bundesregierung ist jedoch die Erhaltung des Grenzausgleichs. Eingeweihte wissen, wie schwer es der deutsche Minister in dieser Frage gegenüber seinen Kollegen hat. Auch ich muß Ihnen als Mitglied des Europäischen Parlaments sagen, daß der Grenzausgleich der Stein des Anstoßes gegenüber den deutschen Mitgliedern im Europäischen Parlament ist. Unsere Bauern sollten diese Leistung honorieren. Sie sollten sich nicht von dieser bloßen Zahl 5 % täuschen lassen oder sich an ihr berauschen. Sie sollten sich nicht einreden lassen, nur der sei der wahre Freund der Landwirtschaft, der für Preiserhöhungen sei, selbst wenn sie weitgehend nur nomineller Natur sind. Diese Preiserhöhungen sind keine realen Preiserhöhungen. Sie sollten sich nicht an Zahlen berauschen, sie sollten die Realitäten sehen. Sie sollten nachrechnen, was ihnen beispielsweise dieser Grenzausgleich, was ihnen der Erfolg bei der Abwehr der italienischen Restriktionen gebracht hat, und nicht zuletzt, was sie in der Entwicklung der Kosten der landwirtschaftlichen Produktion hier bei uns in der Bundesrepublik — im Vergleich zu den anderen Bauern in der Gemeinschaft — der Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung zu verdanken haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat sich heute wieder einmal gezeigt, daß man auch über die Situation der deutschen Landwirtschaft nicht reden kann, ohne von Europa zu sprechen. Das hat bestimmte aktuelle Gründe in den Ereignissen der letzten Wochen, über die offenbar zwischen der Opposition und der Regierungskoalition und auch zwischen der Opposition und unseren europäischen Partnern unterschiedliche Auffassungen bestehen, — wenn sie sich nicht etwa, meine Damen und Herren von der Opposition, nur auf erste Pressemeldungen unmittelbar nach dem Beschluß des Bundeskabinetts beziehen würden, der sich nicht vordringlich mit den 5 und 4 °/o, sondern mit dem Abbau der nationalen Maßnahmen auseinandergesetzt hat.Wenn Sie die Reaktionen heute mit genügendem zeitlichen Abstand sehen, ist es gar keine Frage, daß dies ein Vorstoß für Europa und nicht gegen Europa gewesen ist.
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8142 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Bitte.
Herr Ronneburger, nur eine Frage, die vielleicht doch der Klärung dient: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das Ergebnis von Luxemburg, d. h. die Zustimmung, nur möglich geworden ist, weil die Bundesregierung ihrerseits auf eine der wichtigsten Bedingungen ihres Kabinettsbeschlusses vom 25. September, nämlich dem in Ziffer 4 Abs. 2, verzichtet hat, wonach sie erst zuzustimmen bereit ist, wenn zuvor die Vorschläge und die Ergebnisse über die Agrarpreisrunde 1975/76 vorliegen? Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß das Festhalten an dieser Bedingung einen Beschluß zu diesem Zeitpunkt unmöglich gemacht hätte und daß insofern das Fallenlassen überhaupt erst das Ergebnis von Luxemburg ermöglicht hat?
Die wesentliche Voraussetzung für die Zustimmung der Bundesregierung, Herr Kollege Dr. Ritz, war die Zusage zur Vorziehung der Preisbeschlüsse und war die vor allen Dingen entscheidende Frage der befriedigenden Erklärung der anderen zur Frage der nationalen Maßnahmen. Der Deutsche Bauernverband und wir alle, die wir agrarpolitisch unmittelbar engagiert und interessiert sind, haben in den letzten Jahren doch nicht umsonst immer wieder darauf hingewiesen, daß die schwerste Belastung der europäischen Agrarpolitik und auch die Entwicklung der Landwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland dadurch hervorgerufen werden, daß es diese Wettbewerbsverzerrungen gibt.
Hierin einen Vorstoß auf Kosten Europas zu sehen, halte ich nun wirklich für eine völlige Verkennung und Verdrehung der Tatsachen.
— Ich habe ausdrücklich auf Ihre Frage geantwortet und bin gern bereit, Herr Kollege Dr. Ritz, darauf noch einmal zurückzukommen.Ich meine, wir sollten uns, wenn wir die europäische Agrarpolitik sehen, nüchtern über eines im klaren sein. Mit dem, was ich jetzt sage, meine Damen und Herren, wende ich mich nicht etwa nur an die Opposition in diesem Hause, sondern damit möchte ich etwas Grundsätzliches all denen sagen, die immer wieder erklären, sie seien für Europa und für mehr Europa und für ein sich einigendes Europa. Herr Bundeslandwirtschaftsminister Ertl hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Agrarpolitik Europas erst dann vollständig funktionieren wird, wenn sie in eine Wirtschafts- und Währungsunion eingebettet ist. Wenn ich das aber in eine Forderung auf den heutigen Tag umsetze, an dem es diese Wirtschafts- und Währungsunion noch nicht gibt, dann muß ich all denen, die sich für Europa erklären, sagen, daß das eben Geld kostet und daß man nichtder Agrarpolitik Vorwürfe machen kann, die an die allgemeine Europapolitik und an die Bereitschaft der Partner im europäischen Markt, einer wirklich gemeinsamen Wirtschaftspolitik zuzustimmen, zu richten wären. Dieses Stück gemeinsamer Wirtschaftspolitik zu erhalten wird auch in Zukunft Geld kosten. Aber es darf nicht so sein, daß man dieses Stück Geld nicht als Vorleistung für Europa, sondern als Vorleistung für die Landwirtschaft in Europa oder der Bundesrepublik bezeichnet.
Das sollte an diesem Punkt einmal ganz deutlich gesagt werden.Wenn wir von der Integration des gemeinsamen Agrarmarkts ausgehen, sollten wir, so meine ich, auch einmal nüchtern sehen, in welcher Zwangssituation zum Teil auch unsere Partner sind, weil sich die Währungssituationen einfach auseinanderentwickeln. Auch darauf hat Herr Ertl vorhin mit einigen Worten hingewiesen. Ich möchte das mit einigen Zahlen untermauern, damit es hier völlig deutlich wird.Im vergangenen Jahr hat sich — das ist unbestreitbar und eine Belastung für die Landwirtschaft — das Verhältnis zwischen Kosten und Preisen in der Landwirtschaft zu ihren Ungunsten entwickelt. Aber wir haben in der Bundesrepublik Deutschland immer nur gesehen und immer nur gehört — Herr Kiechle, auch hier wäre ich dankbar gewesen, wenn Ihre Darstellung der Situation vollständig gewesen wäre --, daß die Kostenbelastung der Erzeuger in der Bundesrepublik gestiegen ist und daß wir zugleich ein Sinken der Preise für unsere Produkte gehabt haben. Das ist ein unbestreitbarer Zustand. Es wird auch nicht bestritten, daß dagegen etwas getan werden muß. Übrigens hat sich die Bundesregierung bis zum heutigen Tage, und zwar mit Erfolg, für diese Dinge eingesetzt.Aber seien wir uns darüber im klaren: Das Auseinanderwachsen der Prozentpunkte zwischen Erzeugerpreisen und Kostenbelastung hat im ersten Quartal 1974 gegenüber dem ersten Quartal 1973 in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Vergrößerung der Schere um 10,5 Prozentpunkte geführt, aber in Frankreich um 20,7 Prozentpunkte. Wenn wir also nationale Maßnahmen in Frankreich kritisieren und wenn wir uns gegen solche Maßnahmen wenden, sollten wir nicht übersehen, daß die Stabilitätspolitik der Bundesregierung durch das Zinsniveau nicht nur eine Belastung unserer Betriebe darstellt, die unbestreitbar ist — diejenigen, die investiert haben oder investieren müssen, sind durch diese Zinsen belastet —; daß wir durch ein weit geringeres Ansteigen der Kosten im Vergleich zu unseren Partnern — ich habe nur den einen Partner Frankreich genannt — auch in einem ganz erheblichen Vorteil sind, sollte ebenfalls nicht übersehen werden. Die Kosten haben sich in Frankreich doppelt so belastend entwickelt wie in der Bundesrepublik. Wir haben in Frankreich Steigerungen der Kosten um 26 %. Sie alle wissen — ich brauche Ihnen das nicht zu wiederholen —, um welchen Prozentsatz es in der Bundesrepublik geht.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8143
RonneburgerNun, meine Damen und Herren, wir sind uns darüber einig: Wir wollen Europa, und wir wollen eine gemeinsame europäische Agrarpolitik. Nur, Herr Kiechle, Sie haben von der Überproduktion gesprochen. Sie haben diese Überproduktion bagatellisiert. Ich kann Ihnen diesen Vorwurf nicht ersparen; denn Sie haben gesagt, so genau ließe sich das tägliche Brot nun nicht produzieren, um 1 Kilo hin und her. Wir sind uns aus praktischer Erfahrung sicher darüber einig, daß es tatsächlich nicht um 1 Kilo hin und her geht. Aber Herr Friderichs hat vorhin auf die Zahlen — Garantieanteil im EAGFL — hingewiesen.Ich will das noch etwas deutlicher sagen. Es geht ja nicht um das Hin- und Herschieben des einen Kilos, das man nicht berechnen kann, sondern es geht um die Frage, ob die notwendige Bevorratung, die ja bei Überproduktion immer als ein Polster vorhanden sein kann und unbestrittenermaßen vorhanden sein muß, nicht das tragbare Maß überschreitet. Hier ist nicht etwa von seiten der Bundesregierung das schulmeisterliche Verlangen an die Landwirtschaft gerichtet worden, sie möge ihre Überproduktion einstellen, sondern von der Bundesregierung ist vernünftigerweise nicht mehr und nicht weniger getan worden, als darauf hinzuweisen, daß wir auf Dauer um eine Mengensteuerung nicht herumkommen.330 000 Tonnen Butter Gesamteinlage in der EG sind im Augenblick sicher mehr, als irgend jemand für vernünftig halten wird.
— Dann will ich — damit diese Bemerkung nicht unwidersprochen bleibt —, Herr Kiechle, auch auf die Frage des Rindfleisches hinweisen und Ihnen einfach sagen: Das, was auf Butter zutrifft, kann heute für Rindfleisch ja zweifellos auch nicht aus der Welt geredet werden.
— Herr Dr. Ritz, ich glaube, wir sind uns darüber einig, daß gerade das Verhältnis zwischen Milch-und Rindfleischproduktion eines der Gebiete ist, an dem die Frage einer Marktlenkung, einer Produktionslenkung am meisten in Verdrückung geraten ist — mit Recht , weil es nun offenbar doch schwerer ist, Herr Kiechle, Produktion und Verbrauch vorherzuschätzen.Wenn in der Antwort der Bundesregierung von „kaum vorherschätzbar" und „schwer erfaßbar" die Rede ist, dann ist dieses Gebiet ja gerade der Beweis dafür, wie schwer das ist. Übrigens haben wir hier einen Punkt — Herr Eigen, ich bin immer dankbar, wenn Sie mir einmal zustimmend zunicken; ich habe dieses Vergnügen nicht oft —, bei dem auch unsere Berufsvertretung, auch unsere Landwirtschaftskammern, alle miteinander in Europa und in der Bundesrepublik Deutschland gesagt haben: Umstellung von Milch- auf Rindfleischproduktion ist notwendig.Aber daß es einfach notwendig ist, Mengensteuerung einzubauen mit der gleichzeitigen Verpflichtung des Staates, nun allerdings überproduzierte Mengen auf Grund von solchen Empfehlungen dann auch dem Erzeuger abzunehmen — das gehört zu den Kosten, von denen ich einleitend für die gesamte Europapolitik gesprochen habe.Nun ist es natürlich eine gefühlsmäßige Belastung für uns alle, die wir in der Landwirtschaft tätig sind, wenn wir auf der einen Seite — in diesem Punkt gebe ich Ihnen, Herr Kiechle, völlig recht — vom Hunger in der Welt hören und uns auf der anderen Seite darüber im klaren sind, daß wir, im Grunde genommen, gezwungen sind, Produktionen einzuschränken, auf einem bestimmten Punkt — zumindest bei bestimmten Produkten — festzuhalten. Wenn Sie jedoch darauf hingewiesen haben, es sei unverständlich, daß man auf der einen Seite von Produktionslenkung, -einschränkung spreche und auf der anderen Seite zu Spenden für die Hungernden in der Welt auffordere, dann muß ich Ihnen sagen, daß ich diesen Widerspruch nicht sehe. Denn die Unterstützung der Hungernden in der Welt kann eben nur dann erfolgen, wenn irgend jemand diese Spenden bezahlt. Wir sind uns auch sicher darüber einig, daß das nicht ein Berufsstand allein tun kann. Um helfen zu können, besteht deswegen einfach die Notwendigkeit, zu Spenden aufzurufen, während der europäische Markt zugleich die Schwierigkeit hat, mit gewissen Überproduktionen fertig zu werden. Ich meine, wir sollten diese Dinge sehr nüchtern sehen.Wenn ich den Text Ihrer ursprünglichen Anfrage, meine Damen und Herren in der Opposition, mit dem Inhalt Ihrer Ausführungen in der heutigen Debatte vergleiche, dann stelle ich, im Grunde genommen, eine mich befriedigende Änderung des Themas fest. Ich glaube, es ist gut, daß wir die gesamte Debatte weniger darauf abgestellt haben, was man möglicherweise der Bundesregierung vorwerfen kann. Herr Dr. Narjes hat freundlicherweise zugegeben, daß früher gewurstelt worden sei; er hat das allerdings mit der Feststellung verbunden, es würde weiter gewurstelt.
— Er hat gesagt, es würde weiter gewurstelt. Darin sehe ich das Eingeständnis, daß zumindest früher auch gewurstelt worden ist.
— Dann hätten Sie ihm genauer zuhören müssen, Herr Kollege! Ich bestreite mit allem Nachdruck, daß der Vorwurf, den Herr Dr. Narjes im zweiten Teil seiner Aussage erhoben hat, der tatsächlichen Situation der Agrarpolitik entspricht.
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8144 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
RonneburgerWir müssen uns jedoch darüber klar sein, was hier noch nationale Agrarpolitik ist.Es wurde immer wieder gefordert, ab 1969 hätte die neue Konzeption kommen müssen; ich verweise hier auf das, was Herr Frehsee gesagt hat. Wie oft hat Herr Ertl in Brüssel diesen Versuch wieder unternommen! Er sitzt doch nicht allein in Brüssel. Er trifft doch nicht allein die Entscheidungen über die Konzeption der europäischen Agrarpolitik. Ausgerechnet in dem Moment, meine Damen und Herren von der Opposition, in dem die Bundesregierung einmal mit Nachdruck auf eine solche neue Konzeption abstellt, machen Sie ihr nun den Vorwurf, das sei zu hart.
Ich glaube, wir sollten uns gemeinsam um diese neue Konzeption bemühen. Wir sollten uns auch darüber im klaren sein, daß die Bundesregierung nur im Rahmen der vertragskonformen nationalen agrarpolitischen Maßnahmen in der Lage ist, das zu erreichen, was ihr das Landwirtschaftsgesetz mit Recht vorschreibt.Zum Schluß nur eine Bitte, meine Damen und Herren von der Opposition. Ich kann das wegen der zeitlichen Begrenzung nicht näher ausführen. Warum reden Sie eigentlich nie von der Agrarsozialpolitik? Warum reden Sie eigentlich nie von jenem Bereich, der sich einfach in den Ertragszahlen des Grünen Berichtes nicht niederschlägt, der aber für die soziale Sicherung und für die Gesamtsituation der Landwirtschaft von nicht zu übersehender Bedeutung ist?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Herr Ronneburger, ist Ihnen nicht bekannt, daß wir im vorigen Jahr --- --
Herr Kollege, Moment! Der Redner war zu Ende, und wir sind so knapp mit der Zeit, daß ich Sie doch bitten möchte, das zu respektieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Früh.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn eine kurze Anmerkung zu der finanziellen Solidarität der Gemeinschaft machen, die schon verschiedentlich angesprochen worden ist. Ich glaube, wenn sich alle zu diesem Grundsatz bekennen — und das ist sehr deutlich geworden — und wenn auch das feststeht, was hier verschiedentlich, auch vom Herrn Bundeswirtschaftsminister gesagt worden ist, nämlich daß die Bundesrepublik Deutschland einen Anteil von 28% zu den Einrichtungen des europäischen Agrarmarktes zahlt, dann sollten wir uns auch endlich darauf einigen — das wäre schon ein ganz wesentlicher Fortschritt —, daß das Wort vom „Zahlmeister Europas" allmählich aus unserer Diskussion verschwindet; denn es bringt viel Unstimmigkeit und Ärger in die Diskussion.
Wir sollten uns ferner einmal darauf einigen, davon zu sprechen, wieviel Geld wieder nach Deutschland zurückfließt, das die Vorratshaltung und Ausrichtung ermöglicht. Dann sehen wir einmal klar, daß der Nettobetrag ganz anders ist als derjenige, von dem immer gesprochen wird.
Dann darf ich hier ein weiteres hinzufügen. Ich bin nicht glücklich, Herr Minister, und nicht ganz sicher, ob es so gut ist, wenn wir die besonderen Bedingungen oder Maßnahmen, was den Flächenausgleich und die Mehrwertsteuer angeht, hier so darlegen und uns dieser Dinge besonders rühmen. Ich habe Bedenken, daß, wenn es einmal an die Aufrechnung der Beihilfen, der Sondermaßnahmen und all dieser Dinge geht, wir in diesem europäischen Aufrechnungsmechanismus Gefahr laufen und dann sehen werden, daß wir nicht mehr — so wird es mindestens von den anderen Partnern dann dargelegt werden — die weiße Weste haben, auf die wir uns dauernd berufen.
Ganz bedauerlich ist, Herr Gallus, daß nämlich einige Maßnahmen, die längst schon hätten durchgeführt werden sollen und jetzt immer noch nicht realisiert sind, in diese Sondermaßnahmen hineingezogen werden. In diesem Zusammenhang meine ich vor allem die Vorsteuerpauschale. Sie wird uns, weil sie zu einem zu späten Zeitpunkt kommt, jetzt im Zusammenhang mit den Sondermaßnahmen sicherlich angekreidet werden.Ich will hierzu noch kurz ein letztes ausführen. Wenn vom Herrn Bundeswirtschaftsminister gesagt worden ist, daß sich die Garantieausgaben in kurzer Zeit verdoppelt haben, dann sollte dazu auch ausgeführt werden, daß es sich jetzt um neun Länder gegenüber früher sechs Ländern gehandelt hat. Das darf ja nicht außer acht gelassen und unterschlagen werden.Lassen Sie mich nach diesen Vorbemerkungen noch ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Frehsee, sagen. Sie haben ja deutlich zu machen versucht, wie stark durch diesen Kabinettsbeschluß und die Ereignisse, die bei uns geschehen sind, gerade die europäischen Einrichtungen an Bedeutung gewonnen haben. Sie wissen ganz sicherlich, wie die Stimmung im Europäischen Parlament im ersten Moment war; wir waren dort beieinander. Es ist gar keine Frage, daß dort die Deutschen mit schlimmen Beinamen verbunden wurden; auch der Bundeskanzler wurde entsprechend mit Beinamen bedacht. — Herr Lange, Sie nicken mir zu. Es war für uns eine schlimme Situation. Entsprechend zum Ausdruck kam die Reaktion der Partner auch in der am nächsten Tag erschienenen Überschrift des „Figaro": „Ist dies die Depesche von Ems?" Wir wissen, wie das bei unseren europäischen Partnern eingeschlagen hat. Und eines ist
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8145
Dr. Frühganz sicher: Eine solche Zeitungsberichterstattung wirkt in den Völkern lange nach und weckt wieder vieles an europäischen Emotionen aus der Vergangenheit, von denen wir geglaubt haben, daß sie überwunden wären.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lange?
Herr Früh, sollten Sie nicht billigerweise hinzufügen, daß nach dem ersten Schock, der bei den anderen eingetreten ist, diese Antistimmung am nächsten Morgen restlos vorbei war?
Herr Lange, ich muß Ihnen hier zugeben, daß wir uns alle am anderen Morgen sehr bemüht haben, in einer gemeinsamen Entschließung die Dinge wieder einigermaßen ins Lot zu bringen. Ich lege hier Wert darauf, daß durch Berichterstattung, Zeitungsüberschriften und -artikel in die Völker hinein eine so nachteilige Stimmung getragen worden ist.
Lassen Sie mich nun zu Ihrem Kabinettsbeschluß kommen, der hier so groß gerühmt worden ist. Hier steht zu lesen, daß der Ministerratsbeschluß vom 20. September nur bestätigt werden könnte, wenn Erklärungen über den Abbau der Sondermaßnahme und außerdem Verhandlungsergebnisse über die erneute Agrarpreisfestsetzung vorlägen. Es ist unbestritten, daß Sie von dieser wichtigsten und entscheidendsten Bedingung abgegangen sind, abgehen mußten, weil Sie sonst den Beschluß am 2. Oktober gar nicht hätten fassen können.
Herr Minister, ich möchte mich direkt an Sie wenden: Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang fragen, ob es nicht möglich gewesen wäre, in dieser, wie man sagt, so harmonischen Runde mindestens zwei Sachfragen dringender anzusprechen, die uns hier vor allem berühren: Erstens, ob die doch horrenden Wettbewerbsnachteile der deutschen Unterglasbaubetriebe gegenüber der holländischen Konkurrenz nicht alsbald einem befriedigenden Kompromiß zugeführt werden könnten, da unter den gegebenen Umständen auf diesem Gebiet höchste Eile geboten ist. Zweitens, hat es wirklich keine Chance gegeben, die EG-Maßnahme „Rinderprämie", die von den Ländern durchgeführt wird, so zu harmonisieren, daß sie nicht Monat für Monat die deutsche Landwirtschaft benachteiligt und daß nicht durch den Winter hindurch im Fell verpacktes, subventioniertes Rindfleisch im Frühjahr auf unsere Märkte zurückdrängt? Ich meine, es wäre dringend notwendig gewesen, in diesen beiden Fragen unmittelbar aus der Sitzung heraus einen Erfolg zu bringen.
Herr Minister, ich habe in diesem Zusammenhang eine weitere Frage: Hat es Sie nicht ein wenig mißtrauisch oder zumindest stutzig gemacht, daß diese
Aktion eigentlich am meisten Beifall bei dem Partner in der EG gefunden hat, der ihr bisher am kritischsten gegenübersteht und der in seinem gestern beendeten Wahlkampf die EG zum wichtigsten Thema hochstilisiert hat, zu einem Thema, mit dem er sowieso noch in eine Volksabstimmung gehen will? Und ist es nicht für die weitere Entwicklung der EG bedauerlich, wenn nicht gar gefährlich, den Beifall gerade dieses Partners zu bekommen, der mit dem Thema EG innerlich wirklich noch nicht fertig ist? Ich hoffe nicht, daß dieser Partner aus der letzten Sitzung in seinem Lande im letzten Moment auch noch Wahlkampfmunition bezogen hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Herr Kollege, wollen Sie dem besagten Partner politisch nicht zugestehen, daß sich seine Einstellung zu Europa wandeln und daß er seine Haltung ändern kann.
Doch, ich würde ihm das gern zugestehen. Ich bedaure nur, daß er der EG beigetreten ist und trotzdem die jetzt noch verantwortliche Regierung diesen Beitritt einer Volksabstimmung unterziehen will, sich also nicht durchringen konnte, den vollzogenen EG-Beitritt zu akzeptieren.Lassen Sie mich nun noch auf einen anderen ent- scheidenden Punkt hinweisen, wenn es um die Kritik an der europäischen Agrarpolitik geht. Wir alle wissen, daß die Kommission schon am 31. Oktober 1973 ein Memorandum zur gemeinsamen Agrarpolitik vorgelegt hat. Sie hat darin sehr deutlich die Ungleichgewichte auf einigen Agrarmärkten, die es zu regulieren gilt, den Mechanismus der Marktorganisation, der zu vereinfachen ist, und die Ausgaben der Abteilung „Garantie" des EAGFL, die zu verringerte sind, angesprochen. Dieses Memorandum ist im Europäischen Parlament intensiv beraten worden und auch mit einer im ganzen zustimmenden Empfehlung an den Ministerrat gegangen. Es war eigentlich während Ihrer Präsidentschaft, Herr Bundesernährungsminister, als dieses Memorandum vorgelegen hat und nach diesem Memorandum die Agrarpolitik hätte entscheidend beeinflußt werden müssen.Sicherlich sind in den Preisverhandlungen einige positive Dinge, Veränderungen in den Preisrelationen bei Getreide, dabei herausgekommen. Auch einige zusätzliche Vorschläge, was die Eiweißversorgung der EG angeht, wenn wir an Soja und Trockenfutter denken, wurden realisiert; aber dennoch sind Kernpunkte dieses Memorandums bislang nicht in die Wirklichkeit umgesetzt worden. Ich meine, hier war eine Grundlage und auch ein Ansatzpunkt der Kommission für eine Anpassung der Agrarpolitik gegeben.Deshalb halte ich es für wenig sinnvoll und keineswegs für konstruktiv was in jüngster Zeit auch in Zwischentönen und dann wiederum sehr
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8146 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Dr. Frühdeutlich geschehen ist —, daß man die europäischen Einrichtungen und ihren Bürokratismus attackierte. Wir alle wissen — es ist hier schon einmal angesprochen worden —, woher die meterlangen Fernschreiben kommen. Es ist nicht einfach Freude und Spaß am Bürokratismus, sondern es hängt damit zusammen, daß diese europäische Agrarpolitik auf dem Weg nach Europa alleingelassen worden ist. Solange wir keinen besseren Weg über die auseinanderfallenden Währungsparitäten haben, müssen wir uns mit diesem Übel abfinden.Wenn jedoch hinter dieser Stimmungsmache — das muß deutlich gesagt und gefragt werden — gegen europäische Einrichtungen etwa der Versuch steckt, sie auszuhöhlen und Europapolitik künftig mehr in Gipfel- oder Telefongesprächen machen zu wollen und den Schwerpunkt dorthin zu verlagern, dann müssen wir dieser Methode deutlich widersprechen.
Denn eines ist sicher: diese europäische mühsame Kärrnerarbeit — niemand weiß das sicherlich besser als auch der Herr Minister — kann nur im Detail von diesen europäischen Einrichtungen geleistet werden, oder sie wird überhaupt nicht getan. Diese Agrarpolitik ist eine solche Kärrnerarbeit. Erst wenn man auch auf anderen Gebieten einmal so weit vorgedrungen wäre, würde man voll anerkennen und würdigen, welche Schwierigkeiten in dieser Agrarpolitik stecken.Um so bedauerlicher finde ich es, daß diese Agrarpolitik kaum mehr ein gutes Wort findet. Dazu darf ich Sie, Herr Minister, mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitieren. Sie sagten anläßlich Ihrer Ernte-dankrede: „eine Politik, welche gleichermaßen Erzeuger, Verbraucher, Steuerzahler und auch noch den internationalen Handel stört." Da muß ich sagen: da ist ja alles drin, und niemand ist damit zufrieden. Das ist ein vernichtendes Urteil über diese Politik.
— In den Informationen des Bundesernährungsministeriums vom 7. 10. 1974, Herr Minister.
— Aber ich darf Sie doch zitieren, wenn es in Ihrer Erntedankrede steht.
Und das ist doch ein vernichtendes Urteil, nachdem wir uns da hier dazu bekannt haben. Gleichzeitig aber lese ich in der FAZ, daß Sie in Ihrer auf der Ikofa in München verlesenen Rede die europäische Agrarpolitik verteidigt haben,
weil sie zum Wohlstand in Europa beitragen
und bei den Grundnahrungsmitteln zu einer relativen Preisstabilität geführt hat.
Ich würde sagen: diese Wechselbäder sind nicht zu verstehen. Sie sind vor allem nicht zu verstehen von den Menschen draußen, die diese Politik doch tragen sollen, sich überzeugt für eine europäische Politik einsetzen sollen.
Ich kann mir diese Wechselbäder nur dadurch erklären, daß man sich unterschiedlich äußert je nachdem, vor welchem Publikum man spricht.Diese Agrarpolitik — lassen Sie es mich kurz machen, ich sehe die rote Lampe — hat zwei Seiten. Die eine ist ausreichend beklagt worden, Herr Frehsee, wir kennen die Sorgen. Es ist unsere große Aufgabe, hier ständig zu verbessern. Das wird eine Daueraufgabe sein.Aber die Kehrseite dieser Agrarpolitik kommt leider zu kurz. Da müssen wir uns genauso mühen, einmal klarzulegen, daß diese Agrarpolitik der Schlüssel zur Wirtschaftsgemeinschaft gewesen ist und damit auch der Schlüssel zum Wohlstand der europäischen Völker — Herr Minister, da darf ich mich auf Sie berufen —, daß diese Agrarpolitik für den Verbraucher ein breites Angebot an Nahrungsmitteln geschaffen hat, und zwar bei sinkendem Anteil der Nahrungsmittelausgaben am Lebenshaltungsindex, und daß die Einfuhren aus den Drittländern von 1963 bis 1972 um 48 % gestiegen sind; so laut Memorandum. Diese Agrarpolitik hat auch eine Strukturverbesserung in der Landwirtschaft auf Grund der volkswirtschaftlichen Entwicklung ermöglicht, die bei uns ohne soziale Spannung verlaufen ist.
Herr Abgeordneter, würden Sie Ihr Versprechen halten? Die Redezeit ist zu Ende.
— Danke!
Sie ist zum Motor der europäischen Entwicklung geworden, wird aber zu ihrem Hemmschuh gestempelt. Niemand kann sie dafür verantwortlich machen, daß dieser Motor fast nur auf einem Kolben läuft und auf den anderen Zylindern — der Regionalpolitik, der Währungspolitik, der Steuerpolitik — allenfalls mühsam stottert.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Wir sollten dieser europäischen Agrarpolitik auch in der Öffentlichkeit mehr und überzeugenden Beistand leisten, bei aller Kritik und bei aller notwendigen Verbesserung, um die wir uns gemeinsam ständig bemühen müssen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Müller .
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8147
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin kein Agrarexperte, aber nach der Beurteilung, die ich treffen kann, die mir als Großstadtbürger zusteht, kann man, glaube ich, feststellen, daß „auf die Dauer auch der Landwirtschaft nicht Erzeugerpreise unter den Produktionskosten aufgezwungen werden können". Meine Damen und Herren, diese Feststellung trifft der Jahresbericht der Verwaltung der städtischen Güter der Landeshauptstadt München. Es wird damit begründet, daß im vergangenen Wirtschaftsjahr 60 000 DM Verlust angefallen sind, während im Vorjahr noch 296 000 DM Gewinn waren. Dies sei die Folge der Verschlechterung der Erzeugerpreise und der laufend steigenden Aufwendungen bei den Betriebsmitteln.
Wenn das die Verwaltung von städtischen Gütern einer Stadt mit absoluter SPD-Mehrheit feststellt, die ja sicher unter dem Doktor Vogel „hervorragend" verwaltet worden ist, dann kann man dieser objektiven Feststellung über den Zustand unserer Landwirtschaft nichts mehr hinzufügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zu dem, was der Kollege Müller hier aus einem Bericht zitiert hat, nicht äußern.
— Na, doch! Man kann es natürlich. Ein Wirtschaftsbericht einer Abteilung einer Stadt kann diese Anmerkungen machen. Warum nicht? Das hat nichts mit der Politik und der Führung der Stadt als solche zu tun.
Darf ich vielleicht zum Abschluß dieser Debatte doch noch einige Bemerkungen machen, die, so meine ich, hier ausgesprochen werden müßten. Wir sind der Opposition eigentlich sehr dankbar und auch sehr verbunden, daß sie uns immer wieder Gelegenheit gibt, unsere Agrarpolitik der Landwirtschaft und der breiten Bevölkerung darzustellen und zu verdeutlichen. Wir haben leider — auch das darf ich hier sagen — nicht die diversen Kanäle wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, um bestimmte agrarpolitische Auffassungen nun ganz nahe an den Bauern heranzubringen.
— Zum Schaden der Landwirtschaft, ich gebe Ihnen sehr recht, verehrter Herr Kollege. Manchmal wären diese Kanäle aber doch sehr angebracht, und sei es nur, um den einzelnen Landwirt darüber zu informieren, wie die Tatsachen in der Agrarpolitik aussehen und was von dem Krisengerede verschiedener Oppositionspolitiker zu halten ist.Aber, ich meine, es geht auch so. Alle paar Wochen eine Agrardebatte garantiert auch, daß unsere Agrarpolitik an den Mann kommt, zu den Landwirten dringt. Sie haben doch Ihr Waterloo bei der letzten Aktuellen Stunde hier im Bundestag erlebt, Herr Ritz. Darüber ist man sich doch draußen in der Landwirtschaft einig geworden. Die Stimmung ist seither auch etwas umgeschlagen. Auch dies ist eine Tatsache, die man feststellen kann. Sie werden sich — so möchte ich sagen — verdammt hart tun, im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen bei den Bauern glaubhaft zu bleiben.
— Ich bin gerne bereit, bei Ihnen auf das Podium zu gehen. Sie brauchen sich da wirklich nichts auszurechnen.Weil wir bei der Glaubwürdigkeit in der Agrarpolitik sind, möchte ich auch ein Wort zu Ihrem Programm, das heute am Rande erwähnt worden ist, sagen. In diesem Gemeinschaftsprogramm der CDU/ CSU sind alle Elemente der Vorstellungen beider Parteien auf einen kleinstmöglichen Nenner gebracht. Das muß man auch sagen. In die Präambel ist bereits so ungefähr alles hineingepackt, was dort überhaupt hineinzupacken ist. Aber Sie haben etwas vergessen. Das ist die Preispolitik. Scheinbar ist die Preispolitik kein primäres Ziel Ihrer Agrarpolitik mehr. Wir nehmen das zur Kenntnis.
— Das steht nicht in der Präambel. Aber sagen Sie es auch bitte draußen den Bauern. Ich habe es dort liegen.Ich bin bei genauem Studium Ihres Programms, meine Damen und Herren von der Opposition, zu folgendem Ergebnis gekommen: Im Westen nichts Neues! Dies darf doch wohl gesagt werden.Sie haben einen riesigen Warenhauskatalog aufgestellt, in dem fast alle Sätze wie folgt beginnen— fast alle, sage ich, daß Sie mich jetzt nicht festlegen —: Erhebliche Anhebung, Verbesserung, verstärkte Unterstützung, Prämien für gezielte Maßnahmen, Abbau der Grundsteuer. So, wie es dort steht, Herr Kollege Kiechle, ist der totale Abbau gemeint. Hier hat der Kollege Gallus vollkommen recht gehabt; das ist gar keine Frage.
— Er hat es gesagt. Der Herr Kiechle hat das hier in der Debatte nur bestritten, aber es steht so drin, und mit Recht hat Herr Gallus ihn auf die Probleme, auf andere Kreise hingewiesen. Was Ihr Programm kostet, das steht wohl in den Sternen. Das darf man vielleicht auch sagen.Es gibt ein paar Punkte, bei denen wir grundsätzlich anderer Auffassung sind, so z. B. das Bodenrecht. Wir nehmen Ihnen diese Auffassung nicht ab, viel-
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8148 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
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leicht die Junge Union und die Sozialausschüsse. Das könnte natürlich passieren.
Dann gibt es natürlich noch die Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Wie Sie den Bogen von Ihrem Berliner Papier jetzt hierher erwischt haben, ist mir natürlich auch rätselhaft, aber lassen wir das. Ansonsten kann man feststellen, daß keine Alternativen vorhanden sind.Wir alle sind gespannt und neugierig — und das ist nun wirklich die Kernfrage —, wie der zukünftige Kanzlerkandidat der Union — falls wir überhaupt einen bis 1976 zu Gesicht bekommen werden — dieses Programm aufnimmt.
— Einen brauchen wir doch! — Denn er muß ja schließlich, Herr Kollege, draußen in der Landbevölkerung glaubwürdig bleiben, er muß ja die Stimmen der Wähler gewinnen.Besonders angetan sind wir von dem Satz in Ihrem Programm, die CDU/CSU überlasse jedem Landwirt die freie Entscheidung, ob er seinen Betrieb im Haupt- oder im Nebenerwerb weiterführen will. Ich möchte sagen: Das ist einfach komisch. Demagogisch wird die Angelegenheit erst, wennI) festgestellt wird: Die CDU/CSU will keinen behördlich verordneten Strukturwandel. Wer will denn das eigentlich?, möchte ich fragen.
— Ach hören Sie doch auf! Wir müssen uns — der Herr Minister wird dazu sicher noch einiges sagen — über einige Tatsachen der Agrarpolitik klarwerden. Die Bundesregierung hat sich — auch das darf man doch sagen — um das Problem der Zu- und Nebenerwerbslandwirtschaft gekümmert. Von dieser Bundesregierung wurde die Nebenerwerbslandwirtschaft erstmals in den Agrarbericht aufgenommen und von Jahr zu Jahr kommt in den Agrarberichten der Nebenerwerbslandwirtschaft mehr Bedeutung zu. Damit wird die Bundesregierung den Entwicklungen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum gerecht. Wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie die Frage der Nebenerwerbsbetriebe in der Landwirtschaft nicht zu einer Ideologie gemacht hat, wie das in Bayern geschehen ist. Nichts anderes ist doch diese Formel von der Partnerschaft zwischen Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben, nichts anderes ist doch darunter zu verstehen. Es steckt auch in Wirklichkeit nichts dahinter, wenn man etwas nachfaßt.
Die Bundesregierung hat sich also mit Sorgfalt um diese Nebenerwerbslandwirtschaft gekümmert. Ein sichtbares Zeichen ist das anstehende und nun anlaufende spezielle Förderungsprogramm für diesen Bereich der Landwirtschaft. Ich meine, um esmit einem Satz zu sagen, daß damit neben der hauptberuflichen Landbewirtschaftung auch die Nebenerwerbslandwirtschaft ihren Platz in der Agrarpolitik gefunden hat. Wir alle wissen ja, daß über die Hälfte der Betriebe in naher Zukunft im Nebenerwerb betrieben wird. Das ist also keine Nebensächlichkeit, sondern schon ein wichtiger Gesichtspunkt und ein wichtiger Pfeiler der Agrarpolitik, vor allem wenn man die Vorteile, die Einordnung des Zu- und Nebenerwerbs oder der Nebenerwerbslandwirtschaft überhaupt anspricht, wie z. B., daß sie der Verödung der Landwirtschaft entgegenwirkt. Darüber hinaus ist sie natürlich eine Ergänzung des Familieneinkommens, vor allem in den landwirtschaftlichen Gebieten, in denen sich das industrielle Einkommen nicht allzu hoch darstellt, wo es bedauerlicherweise noch nicht so hoch ist. Man betrachte auch die betriebswirtschaftliche Seite, das Ausnutzen des vorhandenen Betriebskapitals und die Weiterbewirtschaftung der vorhandenen Fläche. Der wichtigste Punkt, so meine ich, ist die Erhaltung der Kulturlandschaft in diesem Bereich. Wir wollen also diese Tätigkeit unterstützen.Wir wollen in dem Zusammenhang auch erwähnen, daß die nebenberufliche Landwirtschaft sicher ein wichtiger Teil im Rahmen des Strukturwandels in der Landwirtschaft ist und daß sie die Funktion des Strukturwandels erfüllt. Darüber hinaus gibt es dünn besiedelte Regionen, die natürlich durch diese Nebenerwerbslandwirtschaft in ihrer Existenz erhalten und auch besiedelt bleiben.Aber es gibt auch einige Fragen, die näher untersucht werden müssen, weil sie noch nicht eindeutig genug geklärt sind. So geht es auch darum, endgültig zu klären, inwieweit die Doppelbelastung durch die landwirtschaftliche Tätigkeit und den zusätzlichen Beruf zu einer frühen Verrentung und zu einer erhöhten Unfallgefahr führt. Diese bei den Betroffenen weit verbreitete Ansicht, die sicher auch begründbar ist, hat wahrscheinlich auch einen reellen Hintergrund. Deshalb muß der Gesamtkomplex gründlich untersucht werden, damit wir in der Politik die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen können. Die Landbewirtschaftung muß unter der Maxime stehen, daß die landwirtschaftliche Tätigkeit nicht den qualifizierten Aufstieg im außerlandwirtschaftlichen Beruf behindert, daß keine Überlastung der Familie, insbesondere der Ehefrau stattfindet und daß nur solche Investitionen gefördert werden, die Arbeit sparen und arbeitserleichternd wirken, und daß, noch ein weiterer Punkt, hauptsächlich extensive Bewirtschaftungsformen gefördert werden, die gleichzeitig auch eine Marktentlastung bringen. Wenn man das Programm sieht, das am 18. September 1974 im Kabinett beschlossen wurde, kann man mit Befriedigung feststellen, daß es realistischerweise diese Voraussetzungen erfüllt.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang — Sie haben es ja auch in Ihren Fragen angeschnitten — auch noch etwas zu dem Problem der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" sagen. Soweit man das heute beurteilen kann, bewährt sich diese Gemeinschaftsaufgabe. Erstens. Es gibt end-
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lich eine klare Abgrenzung und Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern und zwischen dem, was gemeinsam durchgeführt wird. Zweitens. Die Programme können langfristig angelegt werden und sind leichter in ihrer Wirkung zu kontrollieren. Drittens. Es ist besser möglich, Prioritäten nach sachlichen und räumlichen Schwerpunkten zu setzen. Damit sind nur einige positive Punkte herausgegriffen.Der Kampf im Planungsausschuß um Länderanteile wird auch in Zukunft weitergehen. Erfahrungsgemäß fühlt sich jedes Land benachteiligt, vor allem vor jeweiligen Landtagswahlen. Das dürfen wir hier ruhig feststellen. Im Zweifelsfalle ist wie immer der Bund schuld. Bayern hat es auf diese Art und Weise zu wahren Meisterwürden gebracht. Gegenbeweise der Bundesregierung werden einfach nicht zur Kenntnis genommen, das müssen wir hier auch feststellen. Vielleicht sei es mir in diesem Zusammenhang gestattet, Herr Minister, darauf hinzuweisen, daß wir in unserem Fachausschuß die Rahmenpläne gerne vor der Beschlußfassung durch den Planungsausschuß diskutiert hätten und in Zukunft diskutieren würden.Ein nächster Meilenstein in der Fortentwicklung der Agrarpolitik als ein Teil der Gesellschaftspolitik ist das sogenannte Bergbauernprogramm. Man hätte sich, so meine ich, eine Einengung der Förderungsfläche wünschen können, aber mit der Einteilung in zwei Gebietsklassen wird doch garantiert, daß die Gebiete mit den größten Problemen besser gefördert werden. Es wäre schlimm — leider sind schon Bestrebungen vorhanden —, wenn die sogenannten Kerngebiete, die die höchste Förderungspräferenz und die höchsten Ausgleichszulagen haben sollen, noch weiter ausgedehnt würden. Das Programm wird im nächsten Jahr hoffentlich in allen Ländern voll anlaufen können. Die Förderungssätze in diesem Programm sind beachtlich. Ich will der Landwirtschaft hier nicht vorrechnen, was sie in Zukunft zu erwarten hat, aber dennoch sei es mir gestattet, hier zu sagen, daß mit diesem Programm eine echte Hilfe für die gefährdeten Gebiete geleistet wird; denn dieses Programm reicht weit über die Förderung der Landwirtschaft hinaus. Es gilt, für die Bevölkerung eine Kulturlandschaft zu erhalten, die neben ihrer Erholungsfunktion große wasserwirtschaftliche und umweltpolitische Aufgaben erfüllt.Zu diesen drei Programmen müßte man eigentlich noch, um das Bild abzurunden, die regionale Wirtschaftsförderung und die Raumordnung mit erwähnen, damit ganz klar wird, daß der ländliche Raum und seine Bewohner bei der sozialliberalen Koalition in besten Händen sind.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Ertl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst allen Diskussionsrednern sehr herzlich danken. Es war ja ganz interessant, die Vielfalt der Meinungen, auch die Pluralität innerhalb der CDU, zu hören.Wenn ich mir vor Augen führe: Bewerunge, Früh, Narjes, Müller, muß ich sagen: Sie sind wirklich die pluralistischste agrarpolitische Gemeinschaft, die es an diesem Tag gibt. Ich gratuliere Ihnen!
Vielleicht kommt noch mein alter Freund Knut als neue Pluralität hinzu. Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an. Es fehlt auch noch ein Landesvorsitzender, nämlich Franz Josef Strauß. Es wurde ja hier so viel davon gesprochen, daß Butterberge bagatellisiert und dramatisiert werden. Ich denke nur an die Agrartagung mit Franz Josef Strauß in Bad Windsheim, Wahlkampf! Draußen redet man eben anders als drinnen! Das kennen wir! Neben dem Butterberg ein Weinsee! Das kommt übrigens von einer Melodie, daran hat er wohl gedacht. Dann heißt es weiter:Seiner Meinung nach ist der Agrarzusammenschluß in der EWG zu früh erfolgt. Milliarden, die bisher in den EWG-Topf flossen, hätten seiner Meinung nach zunächst in die heimische Landwirtschaft fließen müssen.Ich muß sagen: Franz Josef Strauß war damals Regierungsmitglied, als der Agrarmarkt beschlossen wurde. Das muß man doch einmal sagen; so geht es ja nicht.Aber lassen Sie mich nun zu einigen Fragen, die an mich gerichtet worden sind, Stellung nehmen.Verehrter Herr Kollege Büchler, Ihren Wunsch, die Rahmenpläne für die Gemeinschaftsaufgabe rechtzeitig vorzulegen, erfülle ich gern, soweit ich das kann. Nur muß ich sagen: im Gesetz ist festgelegt, daß sie rechtsgültig erst dann sind, wenn sie der Planungsausschuß verabschiedet hat. Das ist nicht meine Schuld. Ich kann nur sagen: Lesen Sie im Bundestagsprotokoll meine Rede nach, und im übrigen erinnere ich an die letzte Fernsehsendung der Landesvorsitzenden der drei Parteien in Bayern. Dazu hat der Finanzminister Strauß eine sehr interessante Bemerkung gemacht. Er hat gesagt, das sei der Wunsch — ich muß es hier einmal sagen; Sie können es dann vielleicht sogar rechtfertigen — der Sozialdemokraten gewesen und er hätte sich gegen sie nicht durchsetzen können. So im Fernsehen nachzuhören, weil ich ihm vorgehalten habe, daß das Verfahren sehr schwerfällig ist.Nun ist ein Punkt offengeblieben, Herr Kollege Ritz. Ich will wegen der Kürze der Zeit nur noch einmal auf Punkt 4 unserer Beschlüsse hinweisen. Nachdem wir diese veröffentlicht haben, erlassen Sie mir; zu wiederholen. was wir unter Punkt 4 im Kabinettsbeschluß vom 25. September gesagt haben. Da heißt es nämlich: „erst dann zuzustimmen, wenn vertragswidrige nationale Maßnahmen abgebaut werden."
Es ist alles veröffentlicht. Ich weiß, Sie sind ein guter Leser, und wegen der Kürze der Zeit will ich das nicht zitieren. Ich habe da nichts zu verheimlichen; ich schreibe Ihnen ja über alles Briefe.
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8150 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Bundesminister ErtlGenau dieser Punkt ist erfüllt worden; ich betone das noch einmal. Es hat übrigens die ganze deutsche Presse mit Ausnahme eines einzigen Agrardienstes richtig berichtet, und dieser berichtet permanent mit Absicht falsch.
Das sei hier gesagt, daß dies Absicht ist. Aber ich werde dafür sorgen, daß eine Richtigstellung erfolgt. Ich werde das aus der Welt schaffen.Die Kommission hat ausdrücklich erklärt, sie werde das Prüfungsverfahren gegen die bereits eingeleiteten Maßnahmen der Franzosen fortsetzen. Die französische Regierung hat erklärt, sie werde keine weiteren produktbezogenen Maßnahmen ergreifen. Die belgische Regierung hat erklärt, sie werde die beabsichtigten Beihilfen für Zuchtschweine einstellen. Alle Länder haben sich verpflichtet, ihre Beihilfen zu melden; wir natürlich auch!Das war auch sehr interessant: Kollege Bewerunge wies hier auf die Punkte 3 a und 3 b des Entschließungsantrags hin; ich will auf dieses Thema nicht näher eingehen. Kollege Früh sagt aber: Geben wir einmal Obacht, wie es dann mit der Vorsteuerpauschale ausschauen wird. An all dem ist etwas richtig; aber ich würde Ihnen wirklich einmal raten, in diesem Punkt eine einheitliche Meinung zu vertreten, denn ich weiß heute nicht, mit welcher Rückendeckung von seiten der Opposition ich bei welchem Sektor und in welchem Punkt gegebenenfalls in Brüssel rechnen könnte. Ich habe das aus dieser Diskussion nicht entnehmen können. Ich habe auch bisher außer kritischen Bemerkungen, die sehr wohl berechtigt sind, die sogar verpflichtend sind, keinen konstruktiven Beitrag im Sinne einer Alternative gehört.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte, Herr Früh!
Herr Minister, darf ich noch einmal darauf aufmerksam machen, daß ich nicht die Tatsache der Vorsteuerpauschale angesprochen habe, sondern den Zeitpunkt, daß sie jetzt mit diesen übrigen Sondermaßnahmen zeitlich zusammenfällt und nicht schon längst über die Bühne gezogen worden ist, so daß dieser zeitliche Zusammenhang nicht gegeben gewesen wäre?
Am zeitlichen Zusammenfall kann es doch nicht liegen. Bei diesem Problem kann es doch nur in der Sache liegen. Herr Früh, ich meine, das, was Sie sagen, können Sie doch nicht vertreten! Entweder ist die Sache vertragskonform, dann ist der Zeitpunkt unwichtig, oder es ist der Sache nach nicht vertragskonform, dann wird die Kommission handeln. Das müssen Sie wirklich einsehen. Ich muß Ihnen sagen: solche Fragen sollten Sie dem Bundesminister nicht stellen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ja, bitte, Herr Sauter!
Herr Bundesminister, können Sie mir, wenn diese Entscheidungen des Kabinetts so positiv gewesen sind, sagen, weshalb Sie in jenen kritischen Tagen beim Bundespräsidenten gewesen sind?
Erstens ist dies mein gutes Recht. Sie wissen, die Frau Bundespräsident ist Röntgenärztin, sie hat sich nach meinem Fuß erkundigt.
— Ja, Sie müssen aufpassen!
Bei der Gelegenheit haben wir zwei uns auch unterhalten. Natürlich unterhalten wir uns dabei. Frau Scheel hat sich nach meinem Fuß erkundigt. Das ist eine ganz normale Angelegenheit. Da müssen Sie sich bessere Fragen einfallen lassen.
Letzter Punkt! Herr Müller ist — wie immer — wieder verschwunden.
— Ist er da? — Ich bestreite gar nicht, daß möglicherweise die städtischen Güter in München, die ich sehr gut kenne, die eine starke Mastwirtschaft haben, Schweinemastbetriebe, heute in die roten Zahlen kommen. Aber er hat gesagt, im Vorjahr hätten sie 296 000 DM Gewinn erzielt. Und von einer unternehmerischen Landwirtschaft erwarte ich, daß sie, wenn sie in einem Jahr 296 000 Gewinn hat, auch einmal ,ein Jahr mit 60 000 Mark Verlust durchhält. Da bleiben nämlich insgesamt für zwei Jahre noch 230 000 Mark übrig.
Das ist natürlich was für Ökonomen, nicht für Historiker.
Einen behördlichen Strukturwandel hat niemand in diesem Lande verordnet und wird niemand verordnen. Das sind immer die uralten Unterstellungen. Das haben inzwischen die Bauern auch gemerkt. Aber eine Gießkannenförderung wie in den früheren Jahren hat zu vielen Fehlinvestitionen in der deutschen Landwirtschaft geführt. Heute differenzieren wir zwischen der Förderung des Vollerwerbsbetriebs und der Förderung des Nebenerwerbsbetriebs. Das empfinden auch die Bauern inzwischen als einen Fortschritt. Alle, die bisher kritisierten, haben kein einziges brauchbares Gegenkonzept vorlegen können.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8151
Bundesminister ErtlAls ich mein Amt übernahm, gab es einen Mansholt-Vorschlag mit MLU, und wie das alles hieß, und ähnliches mehr. Anstelle der Mansholtschen Vorstellungen, die ich weil sie nur betriebsgrößenspezifisch gedacht waren — ablehne, ist mein Konzept das differenzierte, einzelbetriebliche Programm, ,das Konzept der Strukturpolitik für Europa geworden. Das bestätigen mir auch alle anderen Fachleute in allen Ländern. Die einzigen, die das möglicherweise bisher noch nicht akzeptierten, sind in der Opposition.
Lassen Sie mich noch ein letztes Wort dazu sagen, ob wir nicht den falschen Beifall bekommen haben wegen der Briten. Herr Frerichs, ich würde sehr warnen, eine Europapolitik zu betreiben, die zwischen Freunden ersten und zweiten Grades unterscheidet. Das ist der Anfang vom Ende einer europäischen Zusammenarbeit.
Im übrigen kann ich Ihnen nur sagen, Herr Frerichs — — jetzt wäre ich wirklich dankbar, wenn Sie jetzt vielleicht aufpassen würden. Ich schreib mir ja alles auf und mache mir die Muhe, zu antworten, und dann paßt man nicht auf! Ich kann ja aufhören. Aber das geht ja so nicht. Das kann auch der Saaldiener nicht machen ,da muß er warten.Ich will Ihnen nur eines sagen. Wenn Sie die seriösen britischen Zeitungen gelesen haben, „Times", „Guardian", dann haben die alle geschrieben: Der Kompromiß von Brüssel wird Wilsons Position beeinflussen. Sie haben nämlich so unterschwellig auf Wahlhilfe angespielt. Ich habe das sehr wohl registriert. Das ist auch Ihr gutes Recht. Die Opposition darf alles tun. Dafür dürfen wir ja auch auf alles antworten. Man hat geschrieben: Es wird Herrn Wilson angesichts des Kompromisses von Brüssel und der offensichtlichen Vorteile auch für die britischen Verbraucher einschließlich der britischen Farmer sehr schwerfallen, eine absolut negative Haltung zur Gemeinschaft beizubehalten. Ich halte das für eine bedeutende Sache. Wer glaubt — dieses Problem steht auch heute in einem Magazin und dazu hat sich auch ein französischer Politiker geäußert —, daß man Europa wieder aufteilen kann in ein SechserFünfer- oder Vierer-Europa, dem sage ich: Das wäre der Anfang vom Ende. Entweder können wir die Gemeinschaft halten und erweitern, oder wir werden die Gemeinschaft reduzieren bis auf Null, was zum Schaden Gesamteuropas wäre.
Ich kann auf die Rinderprämien und einige andere Punkte in der ganzen Eile nicht näher eingehen. Ich bitte um Entschuldigung. Aber die Rinderprämie ist natürlich auch ein Kompromiß. Da gibt es gar keinen Zweifel. Die Briten haben ein Recht auf diese Prämie. Dafür intervenieren sie nicht. Weil andere Länder auch ein Interesse an dieser Prämie hatten, haben wir dann diesen Kompromiß beschlossen. Hätte man ihn nicht beschlossen, wäre möglicherweise Deutschland ganz leer ausgegangen. Das wollte ich wiederum nicht.Lassen Sie mich stichwortartig noch einige Punkte abhaken. Herr Kollege Kiechle, ich werde alle Ihre Fragen noch einmal im Protokoll nachlesen. Wenn ich es für richtig halte und glaube, daß es sinnvoll ist, noch einmal den Dialog aufzunehmen, werde ich Ihnen einen Brief schreiben.Lassen Sie mich noch folgenden Punkt erwähnen: Wollen Sie einen Fonds machen? Meine Herren, wir haben doch ein Absatzfondsgesetz, und Ihre Vertreter sind die Stellvertreter des Kollegen Schmidt . Da gibt es auch Geld, da gibt es jährlich Einnahmen. Es liegt an Ihnen, z. B. besondere Absatzförderungsmaßnahmen durchzuführen. Die CMA unterliegt nur der Oberaufsicht des Ministers, ist aber in der absoluten Kontrolle der Selbstverwaltung des Berufsstands, so wie der Berufsstand auch verankert ist bei den Einfuhr- und Vorratsstellen; dies gilt auch für die Genossenschaften, den Handel und die Verbraucher.Herr Kiechle, diese Frage richtet sich also nicht an den Minister, sondern an den Gesetzgeber, ob er das Absatzfondsgesetz ändern will, oder sie richtet sich an den Berufsstand, inwieweit er bereit ist, selbst etwas zu machen. Das ist doch eine klare Situation!
Dieser Minister hat den Eier-Stabilisierungsfonds geschaffen. Den gab es vorher nicht. Das ging, weil er jetzt einen Berufsstand gefunden hat, nämlich die Eier- und Geflügelerzeuger, der freiwillig mitmachte, und dafür bekam er auch subsidiär staatliche Hilfen. Aber ohne Mitwirkung des Berufsstands geht es nicht, wird es nicht gehen und wird es unter diesem Minister nie gehen.
Ich habe vor drei Jahren dem Berufsstand angeboten, sich zur Steuerung des Schweinezyklus Gedanken zu machen, wie man — ähnlich wie bei Eiern und Geflügel — durch einen Stabilisierungsfonds mit Beteiligung der Erzeuger vielleicht eine gewisse Korrekturmöglichkeit in die Hand bekommt. Die Problematik des Schweinemarktes ist viel größer als bei Eiern: größeres und differenziertes Angebot, Überproduktion in den Niederlanden usw. Aber, meine Freunde, ich frage mich: Ist man in der COPA nur beisammen, um Prozentzahlen für Preiserhöhungen zu fordern, oder diskutiert man nicht auch einmal grundsätzliche Fragen der Gestaltung der Agrarmarkt- und Strukturpolitik?
Das muß ich hier einmal in aller Deutlichkeit sagen, weil ich ohne Mitwirkung des Berufsstands auch in puncto Mengensteuerung nichts tun kann. Ich will mich ja gar nicht festlegen. Sie kennen meine Haltung. Ich bejahe die Quoten bei den Zuckerrüben. Bei Milch kann ich Ihnen gleich sagen: Sosehr das wünschenswert ist — die Italiener sagen: „Wir sind ein großes Importland, warum sollen wir Mengensteuerung machen?" — hier gibt es eben politische Sachzwänge, die dafür verantwortlich sind, daß sich möglicherweise wünschenswerte Dinge gar nicht durchführen lassen.
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8152 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Bundesminister ErtlZu den Marktanteilen möchte ich folgendes sagen. Wenn Sie die Prozentzahlen lesen, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie sehen: So toll ist das gar nicht. Wenn Sie dann noch addieren, was wir an Export gewonnen haben, schaut die Diskussion schon anders aus.Leider kann ich auf Herrn Narjes nicht mehr eingehen. Es ist ihm ja nicht gelungen, Herrn Friderichs zu widerlegen. Ich meine den Widerspruch zwischen 3 a und 3 b. Dieser Widerspruch bleibt. Diese Entschließung hätte mehr konsequentes Denken erfordert. Ich muß Ihnen sagen: Eine Alternative für die Agrarpolitik steckt darin nicht, sondern nur viele Widersprüche sind darin enthalten. Allerdings ist es für mich insofern sehr nützlich, als ich das jetzt immer in meinen Wahlveranstaltungen verlesen werde. Ich bin sehr dankbar, daß Sie das interpretiert haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein letztes Wort zur Finanzierungsregelung, damit hier nicht eine neue Mär entsteht. Tatsache ist, daß am 31. Dezember 1969 laut Vertrag die Übergangszeit zu Ende war. Diese Regierung hat ihre Aufgabe Mitte November 1969 übernommen. Aber viel wichtiger war, daß am 30. Juni 1968 die Zollunion mit dem vorgezogenen Abbau der Zölle in Kraft getreten ist. Damit waren auch die Weichen gestellt — Sie wissen ganz genau: Getreidepreissenkung 1967für die totale Inkraftsetzung der Marktordnungen. Dies wollte ich nur der historischen Wahrheit willen gesagt haben.Ich meine, heute früh bezüglich der grundsätzlichen Probleme einen gewissen Rahmen abgesteckt zu haben. Wir sind national heute Gott sei Dank so weit, daß wir durch das Bergbauernprogramm — ichbin allen Diskussionsrednern sehr dankbar einenwichtigen Einstieg in eine weitere wie ich meine:nützliche — regionale Differenzierung gefunden haben. Wir haben, wie wir von Anfang an erklärten, das einzelbetriebliche Förderungsprogramm für den Nebenerwerbssektor so fortentwickelt, daß es in Zukunft eine Hilfe bei der Umstellung von der hauptauf die nebenberufliche Landbewirtschaftung gibt, daß es eine Anpassungshilfe für arbeitserleichternde Investitionen in Nebenerwerbsbetrieben geben wird und die Beteiligung der Nebenerwerbsbetriebe an allen Kooperationen mit Ausnahme der bodenunabhängigen Veredelung ermöglicht wird. Auch das ist ein Schritt nach vorn.Worum es geht, ist letzten Endes, daß es uns gelingt, die Agrarpolitik aus einem Zustand der Sackgasse herauszuführen — das gelingt mit agrarpolitischen Maßnahmen allein nicht — und sie für die Zeit des Übergangs und der damit verbundenen Schwierigkeiten auf dem wirtschaftlichen Sektor so flexibel zu gestalten, daß die Chancengleichheit einigermaßen für alle gewahrt bleibt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ritz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige Schlußbemerkungen zu dieser Debatte. Lassen Sie mich zusammenfassen.Erstens. Der Beschluß von Luxemburg am 2. Oktober war nur möglich, weil die Bundesregierung eine der entscheidenden Konditionen ihres Kabinettsbeschlusses vom 25. September hat fallenlassen. Wir halten das für richtig. Nur sollte man jetzt nicht überall etwas als großen Erfolg feiern, was nur möglich wurde, weil man im Grunde bei der Zustimmung einen entscheidenden Teil des Kabinettsbeschlusses eliminiert hat.
Zweitens. Nach wie vor besteht zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Politik dieser Regierung ein tiefer Bruch. Ich habe mit einiger Freude noch heute nacht das Bulletin vom 9. August zur Hand genommen,
in dem die Bundesregierung ein Resümee ihrer Präsidentschaft im Ministerrat von sich gibt. Meine Damen und Herren, ich kann hier gar nicht bestreiten und weiß es im Detail auch nicht, wieweit die Bundesregierung in den vergangenen Jahren in internen Verhandlungen auf gewisse Revisionen in der gemeinsamen Agrarpolitik gedrängt hat. Nur, wenn ich in diesem Resümee, das veröffentlicht ist, lese, der Bestand der Gemeinschaft und die Verteidigung des Erreichten seien am Ende der deutschen Präsidentschaft gesicherter als noch zuvor, ein Ausufern der Krise habe verhindert, die Tendenz zu nationalen Alleingängen der Partner habe aufgefangen und trotz außergewöhnlicher Belastung der Agrarmarkt funktionsfähig gehalten werden können, dann frage ich mich, was nun eigentlich stimmt, ob das stimmt, was Staatssekretär Bölling sagt, daß nämlich dieser Agrarmarkt eine Karikatur sei, oder ob das stimmt, was hier die Bundesregierung in ihrer amtlichen Mitteilung von sich gibt.
Sie dürfen es doch niemandem draußen in Europa verargen, wenn gesagt wird: Das mit den Deutschen läuft ganz gut; denn schaut euch die offizielle Regierungsmitteilung an; danach ist der gemeinsame Agrarmarkt intakt. Dies war nicht irgendwann im vorigen Jahr, sondern am 9. August dieses Jahres. Anspruch und Wirklichkeit fallen hier weit auseinander.Drittens. Was die Alternative betrifft, so muß ich Ihnen, verehrter Herr Minister Ertl, ehrlich sagen, daß diese die Möglichkeit voraussetzt, auf Vorschläge zu antworten. Mit anderen Worten: Ich kann keine Alternative entwickeln, wenn ich nicht einmal weiß, was die Regierung konkret will.
Ich muß Ihnen offen gestehen: Natürlich wird man nicht alle Detailvorschläge für Teilkorrekturen oder Revisionen der EG-Agrarpolitik schon auf den offenen Markt oder auch nur in dieses Parlament tragen können. Aber diese Anfrage hätte durchaus die Mög-
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Dr. Ritzlichkeit geboten, sehr konkret die Zielrichtung der deutschen Politik bei der auch von uns als notwendig erkannten Revision und Fortentwicklung gemeinsamer Agrarpolitik einzuleiten. Ich muß Ihnen sagen: Dazu hat nun weder Herr Minister Ertl noch Herr Minister Friderichs auch nur einen konkreten Vorschlag gemacht.
Meine Damen und Herren, in der Bestandsaufnahme sind wir uns doch vergleichsweise schnell einig. Dieser EG-Agrarmarkt leidet darunter, daß die Währungs- und Wirtschaftsunion ausgeblieben ist.
Die Kunst der nächsten Jahre besteht also darin, in dieser Übergangsphase die Instrumente so zu gestalten, daß wir ein Höchstmaß an gemeinsamer Agrarpolitik halten, ohne daß die Grundlagen in Frage gestellt werden. Ich glaube, so weit besteht doch Einmütigkeit.
Darum stellt sich doch konkret die Frage: Was machen wir denn, wenn wir hier ständig an der Rechnungseinheit als einem europäischen Instrument der Agrarpolitik herumkritisieren,
ohne zu sagen, wie wir konkret die Alternative ausgestalten?Ich stelle fest, daß die Antwort der Bundesregierung sagt: Na ja, gut ist die Rechnungseinheit nicht— ich vereinfache jetzt —; aber etwas Besseres gibt es im Augenblick nicht.
— Herr Kollege Gallus, ich bitte um Nachsicht. Ich habe der Frau Präsidentin zugesagt, mich auf fünf Minuten zu begrenzen. Ich glaube, wir sind es den Fragestellern auch schuldig, uns an diese Terminzusage zu halten.Mit anderen Worten, meine Damen und Herren, es fehlt für die sehr konkreten zu entscheidenden Probleme jede Anregung der Bundesregierung. Nichts anderes bedeutet es, wenn wir in Ziffer 3 a sagen, daß sichergestellt werden muß, daß durch währungspolitische Entscheidungen entstehende Ungleichgewichte grenzwirksam voll ausgeglichen werden müssen. Wir lassen Ihnen ja sogar den Spielraum, dann mit diesen Instrumenten möglicherweise zu variieren.
Wir haben das Wort „Grenzausgleich" in seiner Totalität noch nicht einmal drin.Ich habe jedoch die Sorge, daß das, was Herr Minister Friderichs heute sagte, der Beginn eines Rückzugs der Bundesregierung von dieser bisher von uns allen unbestrittenen Position war. Wenn das so wäre, schiene es mir in der Tat sehr gefährlich.Der nächste Punkt: Mengensteuerung. Meine Damen und Herren, ich sage auch hier, daß es zu diesem Problem kein verdammenswertes Ja und kein kategorisches Nein gibt. Solange jedoch — hier geben wir Herrn Minister Ertl gern recht — Länder der Gemeinschaft aus devisenpolitischen Gründen — und nicht aus agrarpolitischen — glauben, sie müßten mit hohen nationalen Aufwendungen ihre spefizische Produktion, etwa bei Milch, steigern, so ist es doch eine Illusion, hier Erwartungen zu wecken, wir könnten mit Mengensteuerung alle Probleme lösen.
Daß wir an das Problem herangehen müssen, ist unbestritten.
— Doch, meine Herren, wir müssen darüber offen sprechen.Nun zum letzten, zur angeblichen Meinungsverschiedenheit bei Punkt b, nationale Maßnahmen. Ich bleibe dabei, daß Wettbewerbsverzerrungen im gemeinsamen Markt nicht nur durch vertragswidrige nationale Maßnahmen, sondern auch durch vertragskonforme nationale Maßnahmen entstehen.Hier ist eben der Unter-Glas-Gartenbau das klassische Beispiel. Es reicht nicht aus, wenn die Bundesregierung sagt: Aus der finanzpolitischen Lage unseres Landes heraus weigern wir uns jetzt, eine zusätzliche Beihilfe für die Unter-Glas-Gärtner zu zahlen. Da muß man fragen, wie dann in diesem wichtigen Wettbewerbsbereich für unsere Produzenten überhaupt noch die Möglichkeit besteht, zu annehmbaren Bedingungen zu erzeugen. Das sind die Kernfragen, auf die es leider keine Antwort gegeben hat, meine Damen und Herren.
Nun kann ich mir denken, daß es vor allem außerhalb dieses Innenraumes, sicher auch auf der Pressetribüne, manche Enttäuschung über die Debatte gibt, weil man eben vielleicht gehofft oder erwartet hatte,
daß nun große, neue Vorschläge entwickelt werden würden. Nun, meine Damen und Herren, vielleicht ist diese Enttäuschung noch früh genug aufgekommen — auch für die Bundesregierung —, um zu erkennen, daß es über Luxemburg hinaus jetzt vor allem darauf ankommt, konkrete Vorschläge über den Tag hinaus zu entwickeln, die gewährleisten, daß wir im nächsten Jahrzehnt ohne Vollzug der Währungs- und Wirtschaftsunion ein Minimum an Gemeinschaft in diesem Europa erhalten können.Ich meine, daß die Debatte dann, wenn diese Enttäuschung zu diesem Ergebnis führt, trotz allem ein Erfolg war, und wir sind froh, daß wir sie durch unsere Große Anfrage ermöglicht haben.
Ich darf Sie anschließend bitten, die Entschließung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur weiteren Beratung zu überweisen.
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8154 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Was den Entschließungsantrag angeht, so ist mir mitgeteilt worden, daß der Punkt 1 an den Auswärtigen Ausschuß,
die Punkte 2 und 3 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden sollen. Besteht Einigkeit? — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wir kommen nun zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Agrarberichterstattung. Ich nehme an, die Aussprache darüber ist erfolgt. Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht.
Ich rufe die §§ 1 bis 17 — Einleitung und Überschrift — auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir kommen nun zur
Fragestunde
— Drucksachen 7/2584, 7/2604 —
Ich rufe die Dringlichkeitsfragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Collet auf:
Trifft es zu, daß in dieser Woche das US-Hauptquartier in Europa über Pläne entscheidet, nach denen mehrere hundert Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer in der Süd- und Westpfalz verlorengehen sollen?
Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen wegen ihres engen Sachzusammenhangs zusammen beantworten dürfte.
Gut, ich rufe also auch die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Collet auf:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, um einem dadurch verursachten Anstieg der Arbeitslosenquote in dieser Region abzuhelfen?
Herr Kollege Collet, nach Auskunft des US-Hauptquartiers in Heidelberg trifft es nicht zu, daß in dieser Woche über Pläne entschieden wird, nach denen mehrere hundert Arbeitsplätze für deutsche Arbeitnehmer in der Süd- und Westpfalz verlorengehen sollen.
Tatsache ist, daß zwischen einzelnen US-Hauptquartieren Studien über eine Veränderung der Depot-Struktur im Raume Pirmasens besprochen
werden. Erst nach Abschluß dieser Studien wird sich zeigen, ob — und gegebenenfalls welche — Maßnahmen auch hinsichtlich eventueller Personalverschiebungen in Betracht zu ziehen sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es beim Bundesverteidigungsministerium Informationen dahin gehend gibt, daß eine wesentliche Reduzierung der deutschen Zivilbeschäftigten bei den US-Streitkräften vorgesehen ist?
Herr Kollege Collet, mir ist bekannt, daß es keine Informationen gibt, die über die hinausgehen, die ich Ihnen gegeben habe.
Ich füge aber hinzu, daß das US-Hauptquartier beabsichtigt, in Pirmasens eine Presseverlautbarung herauszugeben, um Gerüchten über einen bevorstehenden Personalabbau größeren Umfangs entgegenzutreten.
Eine Zusatzfrage.
Wären Sie trotzdem bereit, sich hinsichtlich meiner letzten Frage noch einmal beim Bundesverteidigungsministerium zu informieren?
Allzeit bereit, Herr Kollege!
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie darüber hinaus fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß, unabhängig von der Ihnen durch das US-Hauptquartier erteilten Antwort, im internen Dienstverkehr bereits die Anweisung gegeben wurde, die Aufgaben, die dem Depot Pirmasens und anderen Depots — Bollenbach und Germersheim nenne ich als Beispiele — übertragen wurden, zum großen Teil in andere Bereiche zu verlagern.
Nun, Herr Kollege Collet, wenn Sie sich Ihre eigenen Fragen ansehen — ich gehe davon aus, daß das der Fall gewesen ist —, dann müssen Sie mir zugeben, daß ich sie beantwortet habe.
Noch eine Zusatzfrage.
Da ich ja eine Antwort nicht werten kann, aber weiß, daß das US-Hauptquartier Ihnen keine korrekte Antwort gegeben hat, mußte ich diese Frage stellen.Ich darf jetzt die zweite Frage, deren Beantwortung Sie offengelassen haben, für den Fall wiederholen, daß weitere Informationen vom US-Hauptquartier an Sie gegeben werden.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8155
Ich habe das nicht ganz verstanden, Herr Kollege Collet. Was wünschen Sie von mir beantwortet zu wissen?
Sie haben meine zweite Frage deswegen nicht beantwortet, weil Sie die erste negativ beantwortet haben.
Gut, jetzt habe ich Sie verstanden. — Ich hatte die zweite Frage insoweit doch beantwortet, als ich Ihnen sagte, daß die Besorgnis, die in Ihrer zweiten Frage zum Ausdruck kommt, vom US-Hauptquartier offensichtlich nicht geteilt wird. Eben aus diesem Grunde gibt das US-Hauptquartier oder eine untere zuständige Instanz in Pirmasens eine Presseverlautbarung heraus.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Marx.
Herr Staatssekretär, da wir annehmen, die befürchteten Verluste an Arbeitsplätzen für deutsche Arbeitnehmer hingen mi i einem vorhergehenden Beschluß der Amerikaner zusammen, sich aus bestimmten Bereichen zurückzuziehen oder sich zu konzentrieren, möchte ich gern fragen, ob die von Ihnen erwähnten Studien für geänderte Depotstrukturen und ähnliche Dinge mit innerhalb und außerhalb dieses Hauses oft laut gewordenen Wünschen zusammenhängen — entweder im Zusammenhang mit MBFR oder einseitig —, weitere Rückzüge der Amerikaner und ihrer Pioniereinheiten aus Europa und aus der Bundesrepublik Deutschland zu sehen.
Ich kann diesen Zusammenhang nicht sehen, Herr Abgeordneter Marx.
Keine weitere Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ich muß Sie bitten, wegen der späteren Fragen noch zu warten. Wir fahren jetzt in der vorgesehenen Reihenfolge fort. Vielen Dank zunächst.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schmude zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Kollegen Dr. Kunz auf:
ist die Bundesregierung bereit, eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag zu geben, um festzustellen, wie groß der Informationsstand der deutschen Jugend über den Komplex „Verbrechen an Deutschen" tatsächlich ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Kunz, mit der Formulierung „Verbrechen an Deutschen" ist der von Ihnen angesprochene Bereich sehr weit gefaßt. Ihn überhaupt einzugrenzen, dürfte kaum überwindbaren Schwierigkeiten begegnen, wenn man etwa
die Fragen prüft, auf welchen Zeitraum die Betrachtung zu beschränken ist und welche unter deutscher Verantwortlichkeit erfolgten Handlungen einzubeziehen sind.
Mit diesem Vorbehalt ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die Jugend in der Bundesrepublik Deutschland durch Geschichts- und Gemeinschaftskundeunterricht an den Schulen in erheblichem Umfang über den Komplex „Verbrechen an Deutschen" informiert ist. Diese Fragen sind so umfassend mit den einzelnen Phasen der jüngeren europäischen Geschichte verwoben, daß sie nicht losgelöst von den zeitgeschichtlichen Zusammenhängen betrachtet und behandelt werden können.
Deshalb erscheint es außerordentlich fragwürdig, ob bei der Breite dieses Themas, der unübersehbaren Fülle der Geschehnisse und der unsicheren Quellenlage von einer wissenschaftlichen Untersuchung, wie sie mit der Frage angeregt wird, ein fundiertes Ergebnis zu erwarten ist, das zudem in einem angemessenen Verhältnis zu dem beträchtlichen Aufwand steht, den ein solches Forschungsvorhaben erfordern würde.
Die Bundesregierung würde es aber im übrigen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten für nicht unbedenklich halten, wenn von ihr ein Forschungsauftrag vergeben würde, der praktisch eine Erfolgskontrolle des Geschichtsunterrichts und des gemeinschaftskundlichen Unterrichts, eines Bereiches, der in die Schulhoheit der Länder fällt, zum Gegenstand hätte.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, auf Grund welcher gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse kann die Bundesregierung die soeben vorgetragene Meinung vertreten, daß der Wissensstand der Jugend hinreichend groß sei? Ist überhaupt geeignetes Schulmaterial vorhanden?
Herr Kollege Kunz, die Bundesregierung verfügt nicht über etwaige Gutachtensergebnisse oder ähnliches, was sie hier als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisquelle benennen könnte. Sie geht von der Vielzahl der ihr vorliegenden Informationen aus, wenn sie hier die Auffassung vertritt, daß über diesen Komplex Informationen in erheblichem Umfang auch bei den von Ihnen angesprochenen Kreisen vorliegen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie überhaupt den Widerspruch aufklären, der nach Ihren Äußerungen darin liegt, daß die Bundesregierung einerseits der Auffassung ist, eine annähernde wissenschaftlichen Maßstäben genügende Darstellung dieses Komplexes wäre nicht möglich, andererseits aber behauptet, die junge Generation sei hinreichend informiert?
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8156 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Herr Kollege Kunz, ich habe schon bei der Beantwortung Ihrer ursprünglichen Frage deutlich gemacht, daß die Bundesregierung ihre Auffassung zum Informationsstand der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland hier mit erheblichen Vorbehalten äußert, die sich aus den eingangs gemachten Einschränkungen im Blick auf die Abgrenzung des von Ihnen angesprochenen Themas ergeben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.
Herr Staatssekretär, würden Sie nicht die Auffassung teilen, daß wenigstens nach dem Legalitätsprinzip eine Beweissicherung hinsichtlich der Verbrechen an Deutschen notwendig ist, dies um so mehr, als der Vizekanzler und Bundesaußenminister Willy Brandt am 25. April 1969 der Meinung zugestimmt hat, daß die objektive Darstellung von Verbrechen und Vergehen gegen die Menschenrechte, die an Deutschen begangen wurden, in einer maßvollen Form auch zur Reinigung der Atmosphäre beitragen kann, wenn dies zum richtigen Zeitpunkt und in entsprechender Weise erfolgt?
Herr Kollege Dr. Czaja, ich darf Sie wegen der Beantwortung dieser Frage auf die sehr ausführliche Erörterung dieses Themas in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 25. September 1974 verweisen, in der es in der Tat um die Frage gegangen ist, wie weit hier Feststellungen zu treffen sind. Heute geht es darum, ob untersucht werden soll und kann, wie weit der Informationsstand der deutschen Jugend zu diesem Thema reicht. Meines Erachtens geht es damit also um eine andere Frage.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Kirche und Staat auf der Grundlage des Artikels 140 des Grundgesetzes in Verbindung ruit Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vorn 11. August 1919, insbesondere der Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, bewährt hat und daher keine Veranlassung besteht, die bestehende Rechtsstellung der Kirchen ins Grundgesetz zu verändern?
Herr Kollege Gerster, auf eine entsprechende Frage des Kollegen Möllemann hat die Bundesregierung im November 1973 hier erklärt, daß das im Grundgesetz geregelte Verhältnis zwischen Staat und Kirchen partnerschaftlich gestaltet ist und gleichzeitig genügend Spielraum für eine Diskussion der Beziehungen zwischen Staat und Kirchen bietet.
An dieser Meinung der Bundesregierung hat sich nichts geändert. Wie Ihnen sicher bekannt ist, werden sowohl im kirchlichen wie im politischen Bereich
die von Ihnen angesprochenen Themen seit längerem diskutiert. Im Zuge der Diskussion hat eine der Koalitionsparteien, die FDP, auf ihrem Hamburger Parteitag Thesen zum Thema „Freie Kirche im freien Staat" beschlossen, auf die Sie sich mit Ihrer Frage offensichtlich beziehen. Die Bundesregierung sieht es allerdings nicht als ihre Aufgabe an, zu Parteitagsbeschlüssen hier Stellung zu nehmen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß über das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Kirche und Staat diskutiert werden soll oder sogar werden müßte, so frage ich Sie konkret, ob sich nach Meinung der Bundesregierung etwas — wenn ja: welcher Teil — an diesem bisher bestehenden Verhältnis nicht bewährt hat.
Herr Kollege Gerster, zunächst darf ich richtigstellen, daß ich nicht gesagt habe, es müßte oder sollte diskutiert werden, sondern daß ich darauf verwiesen habe, daß das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen bei uns einen freien Spielraum für diese Diskussion läßt. Ob dieser Spielraum genutzt wird oder nicht, ist eine andere Frage.
Im übrigen kann ich auf Ihre Zusatzfrage nur erklären, daß es bisher bei der Bundesregierung weder den formellen Beginn eines Meinungsbildungsprozesses noch etwa Beschlüsse oder sonstige Entscheidungen gegeben hat, aus denen ich Ihnen hier über eine Änderung der früheren Auffassung berichten könnte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß bei der Bundesregierung keine Pläne bestehen und auch nicht die Erarbeitung von Plänen ins Auge gefaßt ist, um dieses partnerschaftliche Verhältnis, wie es im Grundgesetz festgelegt ist, zu verändern?
Sie können meiner Antwort entnehmen, daß derartige Pläne nicht bestehen und daß auch mit irgendeiner Vorbereitung der Erarbeitung derartiger Pläne nicht begonnen worden ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist der für diese Frage federführend verantwortliche Minister als Mitglied des Kabinetts bereit, die von Ihnen gemachten Aussagen in aller Öffentlichkeit und mit der gleichen Deutlichkeit zu bestätigen und damit dieses Kirchenpapier oder
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8157
Roserdieses sogenannte Kirchenpapier als für ihn irrelevant und gegenstandslos zu bezeichnen?
Herr Kollege, Sie können zunächst davon ausgehen, daß die von mir hier abgegebene Erklärung mit dem von Ihnen genannten Minister in vollem Umfang abgestimmt ist und somit so anzusehen ist, als hätte er sie hier abgegeben.
Die von Ihnen daraus gezogene Folgerung, daß da-
mit ein Parteitagsbeschluß irrelevant sei, vermag
ich aber in gar keiner Weise als schlüssig anzusehen.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Gerster auf:
Will din Bundesregierung ein neues Verhaltnis zwischen Staat
und Kirche schaffen z. B. durch die Aufhebung des öffentlich-rechtlichen Status der Kirchen, den Fortfall der Kirchensteuer zugunsten eines kircheneigenen Beitragssystems und durch die Aufhebung von Verträgen und Konkordaten?
Herr Kollege Gerster, die Bundesregierung hat nicht die in Ihrer Frage angesprochene Absicht. Gleichwohl verfolgt sie aufmerksam die öffentliche Erörterung der von Ihnen angesprochenen Themen, mögen die Beiträge dazu aus dem politischen oder aus dem kirchlichen Bereich kommen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung die Kirchen aus dem gesundheitspolitischen, sozialpolitischen und kulturpolitischen Bereich zurückzudrängen, oder ist nach ihrer Auffassung der derzeitige Zustand eines sehr starken und umfangreichen Engagements der Kirchen zufriedenstellend?
Herr Kollege Gerster, die Bundesregierung hat, wie ich bereits erklärt habe, nicht die Absicht, irgendeine dieser Maßnahmen, die Sie hier angesprochen haben, zu treffen.
Sie ist in der Tat der Auffassung, daß der bisherige Zustand sich bewährt hat, daß dieser Zustand aber nicht ausschließt, auch weiterentwickelte Vorstellungen zu bilden und zu diskutieren.
Eine zweite Zusatzfrage.
Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß das hohe Maß des Engagements der Kirchen in diesen Bereichen gerade unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips erhalten und ausgebaut werden sollte?
Die Bundesregierung hat mehrfach Gelegenheit genommen, das soziale Engagement der Kirchen in besonderer Weise zu würdigen und seinen Nutzen für unsere Gesellschaft herauszustellen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, bedeuten die Antworten, die Sie dem Kollegen Gerster soeben gegeben haben, daß die Bundesregierung nur bislang aus Mangel an Beschäftigung mit den neuen Plänen des Hamburger Parteitages der FDP noch nicht zu dieser Absicht gelangt ist, oder beruht diese Auffassung der Bundesregierung, die Sie vorgetragen haben, auf einer bereits getroffenen Entscheidung, in der sich die in Hamburg anwesend gewesenen Mitglieder der Bundesregierung nicht durchsetzen konnten?
Herr Kollege Jäger, zunächst: Sie können in der Tat davon ausgehen, daß die in Hamburg gefaßten Beschlüsse noch nicht Gegenstand einer Erörterung oder gar Entscheidung innerhalb der Bundesregierung sein konnten. Zudem wird auch Ihnen bekannt sein, daß zwischen den die Bundesregierung tragenden Koalitionsparteien hier keine völlige Übereinstimmung der Meinungen besteht.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung ist Frau Parlamentarischer Staatssekretär Schlei hier.
Ich rufe Frage 107 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf.
Welche disziplinaren Schritte sind gegen diejenigen Angehörigen des Bundesnachrichtendienstes eingeleitet worden, die sich nach der Erklärung der Parlamentarischen Staatssekretärin des Bundeskanzleramtes vol dein Deutschen Bundestag am 19. September 1974 ohne Auftrag vorschriftswidrige Aufgaben gemacht haben?
Herr Kollege Dr. Kunz, es sind keine disziplinaren Schritte eingeleitet worden. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im April 1968 hat der derzeit amtierende Präsident des Bundesnachrichtendienstes eine interne Weisung erteilt, daß jede Aufklärungstätigkeit des Bundesnachrichtendienstes im innenpolitischen Raum zu unterbleiben habe.
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8158 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Parl. Staatssekretär Frau SchleiDiese Weisung war notwendig, weil der Bundesnachrichtendienst unter der Leitung seines früheren Präsidenten Gehlen auch Daten über wichtige Persönlichkeiten in der Bundesrepublik Deutschland gesammelt hatte Es konnte in diesem Fall gar nicht in Betracht kommen, einzelne Beamte des Bundesnachrichtendienstes, die am Zustandekommen dieser Dossiers beteiligt waren, für eine Tätigkeit disziplinarrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, die wahrscheinlich auf Weisung, zumindest aber mit Billigung des früheren Dienstvorgesetzten erfolgte.Ich darf Sie, verehrter Herr Kollege Dr. Kunz, im übrigen darauf hinweisen, daß am 14. März 1972 das parlamentarische Vertrauensmännergremium über die Haltung der Bundesregierung und der neuen Leitung des Bundesnachrichtendienstes zur früheren Inlandstätigkeit des Bundesnachrichtendienstes eingehend unterrichtet wurde.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben in der Beantwortung der Frage von einem pflichtwidrigen Verhalten gesprochen. Worin liegt denn dieses pflichtwidrige Verhalten der Angehörigen des Bundesnachrichtendienstes in diesem Zusammenhang?
Das pflichtwidrige Verhalten lag darin, daß über Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, besonders im Bereich der Politik, Nachrichten gesammelt wurden — systematisch gesammelt wurden —, was nach der Dienstanweisung nicht zulässig ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es nicht für logisch, daß Personen, die im Ausland aus bestimmten Gründen observiert werden, auch im Inland vor derselben Dienststelle observiert werden?
Nein, Herr Kollege, es ist nicht zulässig, über Persönlichkeiten des öffentlichen Dienstes in dem hier gemeinten Sinne systematisch Nachrichten zu sammeln. Es ist auch nicht erlaubt, daß in der Auslandsbeobachtung eventuell anfallende Daten so systematisch geordnet werden, daß darüber Personenakten entstehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Hansen.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Auffassung, daß, wenn hier schon etwas zu ahnden ist, dies dann doch eher die damals politisch Verantwortlichen betrifft?
Sicherlich. Wenn wir davon ausgehen, daß vielleicht überlegt wird, daß dann Herrn Gehlen disziplinarische Schritte hätten treffen müssen, müßte sich die Frage allerdings nicht an diese Bundesregierung, sondern auf die Amtsführung des vormaligen Chefs des Bundeskanzleramtes, Herrn Professor Carstens, richten; denn zur Zeit der Amtsführung von Herrn Professor Carstens amtierte Herr Präsident Gehlen, trat Herr Gehlen in den Ruhestand, folgte Präsident Wessel nach und wurde von Präsident Wessel die Weisung erteilt, die Inlandsaufklärung einzustellen. Erst seit Herbst 1969 ist, wie Sie wissen, Herr Kollege, dann die sozialliberale Regierung anzusprechen gewesen. Hier ist inzwischen auch allen klargemacht worden — auch in den Fragestunden durch Herrn Professor Ehmke —, daß der damalige Chef des Bundeskanzleramtes, Herr Professor Ehmke, in verantwortlicher Handhabung seines gemäß § 3 der Bundesdiziplinarordnung gegebenen Ermessens davon abgesehen hat, disziplinarrechtliche Schritte gegen Herrn Gehlen zu unternehmen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Frau Staatssekretärin, welche hellseherischen Fähigkeiten haben Sie in den Stand gesetzt, die Zusatzfrage des Kollegen Hansen aus einem Blatt heraus zu beantworten?
Herr Jäger, da Sie eifrig die Fragestunden verfolgen, müßten Sie wissen, daß wir uns auf die konstruktive Phantasie des gesamten Plenums einstellen.
Bitte schön, eine Zusatzfrage!
Frau Staatssekretärin, glauben Sie ernsthaft, daß bei einer qualifizierten Aufgabenerfüllung eines Nachrichtendienstes In- und Auslandsaufgaben streng getrennt werden können?
Ja. Erstens glaube ich immer ernsthaft, und zweitens ist dies nicht eine Frage des Glaubens, sondern eine Frage der korrekten Dienstanweisung — und diese ist nachzulesen.
Keine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8159
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 108 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:Teilt die Bundesregierung die Befürchtung, daß Verlautbarungen, in denen von Gesprächen des Leiters der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin mit dem SED-Chef und dem stellvertretenden "DDR"-Außenminister über ein „Paket" die Rede ist, in dem auch die Frage der Rücknahme der widerrechtlichen Erhöhung des Zwangsumtauschsatzes enthalten sein soll, in derÖffentlichkeit wie bei den Gesprächspartnern den Eindruck erwecken, die Rücknahme könne Gegenstand von Absprachen und Gegenleistungen sein, und worauf gründet die Bundesregierung ihre Hoffnung, Ost-Berlin werde diese rechtswidrige Maßnahme vollständig zurücknehmen?Bitte schön, Frau Staatssekretärin!
Auf Ihre Frage, Herr Kollege Dr. Wittmann, erteile ich die Antwort, daß die Bundesregierung Ihre Befürchtungen nicht teilt. Sie hat immer wieder klar zum Ausdruck gebracht, daß die Rücknahme der Verdoppelung des Mindestumtauschsatzes allein Sache der DDR ist und daß es, von uns her gesehen und von uns her gegeben, keine Gegenleistungen dafür geben kann. Die Bundesregierung wird an dieser Auffassung auch weiterhin festhalten. Sie hat in allen Gesprächen über diese Frage gegenüber der DDR diesen Standpunkt vertreten.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, glauben Sie nicht, daß der anderen Seite geradezu der Appetit kommt, Leistung und Gegenleistung gegenüberzustellen und eine der im „Paket" befindlichen möglichen Leistungen der Bundesrepublik als Gegenleistung für die Rücknahme der Verdoppelung des Zwangsumtauschsatzes anzusehen?
Herr Kollege Dr. Wittmann, über den Appetit und die Größe des Appetits will ich hier kein Urteil fällen. Wir werden aber bei unserer bewährten Haltung bleiben, die wir wohl als eine gemeinsame Haltung ansehen können.
Frau Staatssekretärin, Sie haben mir den zweiten Teil meiner Frage nicht beantwortet. Könnten Sie mir noch Tatsachen nennen, auf denen die Hoffnung der Bundesregierung gegründet ist, daß die Verdoppelung des Zwangsumtauschsatzes nun endgültig und vollständig zurückgenommen wird?
Die Bundesregierung hat — wie auch der Senat von Berlin — die Erwartung, daß zur Geschäftsgrundlage zurückgekehrt wird — und zur Erwartung gehört selbstverständlich auch die Hoffnung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.
Frau Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause etwas über den Stand der Bemühungen mitteilen? Sie berichteten von Gesprächen mit dem Ziel, diesen Umtauschsatz wieder auf den ursprünglichen Stand zurückzuführen. Welchen Stand meinten Sie, und was haben Sie in der Zwischenzeit dabei erreicht?
Wenn Sie hier auf einen Briefwechsel abstellen, Herr Kollege Müller: dieser gilt noch als nicht zu veröffentlichen. Das betrifft dann auch Ihre Frage. Im übrigen wurde gestern im Innerdeutschen Ausschuß über dieses Thema gesprochen. Ich nehme an, Sie waren anwesend.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, können Sie uns eine Auskunft darüber geben, welche Tatsachen der eben von Ihnen angesprochenen Erwartung zugrunde liegen?
Hier ist nicht über Tatsachen zu philosophieren.
Wir können nur darauf hinweisen, daß wir in jedem Gespräch die Gelegenheit nehmen, auf unsere Auffassung hinzuweisen. Sie kennen die Situation genau und wissen daher, daß eine andere Möglichkeit nicht besteht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 109 ist zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Sauter auf:
Stehen die Bundesregierung, einzelne Bundesministerien oder nachgeordnete Behörden in irgendeiner Verbindung finanzieller Art mit unabhängig firmierenden Pressediensten, und erhalten gegebenenfalls derartige Pressedienste in irgendeiner Form finanzielle Zuwendungen aus Bundesmitteln für die Verbreitung — auch regierungsgenehmer — Informationen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Sauter, ich darf Ihnen möglichst gründlich auf Ihre Frage antworten. Da es kaum Pressedienste gibt, die im Titel oder im Impressum ausdrücklich als unabhängig firmieren, geht die Bundesregierung davon aus, daß Ihr Interesse an dieser Auskunft mehr prinzipieller Natur ist.Zum ersten Teil Ihrer Frage ist zu sagen, daß das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und andere Ressorts schon dadurch in finanziellen Verbindungen zu Pressediensten stehen, daß sie für abonnierte Exemplare die Abonnementgebühren zahlen. Die Zahl der bezogenen Pressedienste und der Abonnements schwankt natürlich je nach Aufgabenstellung und Informationsbedürfnis der Ressorts. Gelegentlich werden von Ressorts auch andere Stellen oder Personen mit abonnierten Exemplaren beliefert, z. B. auch die Fraktionen und einzelne Abgeordnete dieses Hohen Hauses.
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8160 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Staatssekretär BöllingIn Ausnahmefällen kann eine Gewährung von Zuwendungen an Pressedienste zur Erfüllung ihrer Aufgabe in Frage kommen. So erhalten z. B. zwei Pressedienste Zuwendungen in einer jährlichen Gesamthöhe von 26 900 DM, um die Verbreitung von Pressemeldungen aus der DDR und aus den Zonenrandgebieten zu unterstützen.Zum zweiten Teil der Frage ist festzustellen, daß es nach den Vorschriften der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und den Vorbemerkungen zu Kap. 04 03 des Haushaltsplanes Aufgabe des Presse- und Informationsamtes ist, die Nachrichtenträger, die anderen Organe der öffentlichen Meinungsbildung und die Bevölkerung über — so heißt es im Text — „über die politischen Ziele und die Arbeit der Bundesregierung zu unterrichten". Im Ressortbereich wird dies natürlich durch die Pressestellen ergänzt. Bei der Erfüllung ihrer Informationsaufgabe halten das Presse- und Informationsamt und einige Ressorts in bescheidenem Umfang auch vertraglich vergütete Verbindungen zu Pressediensten, z. B. das Presse- und Informationsamt im Bereich der Entspannungs-, Sicherheits- und Wehrpolitik sowie im Bildungs- und Wissenschaftsbereich, das Bundesministerium des Innern in seinem Aufgabenbereich, das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes, vor allem zum Schutz gegen Alkohol-, Nikotin- und Medikamentenmißbrauch, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik, das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen auf dem Gebiet der innerdeutschen Thematik.Über einige vertragliche Kontakte zu Pressediensten kann ich — und auf diese Antwort sind Sie vorbereitet — hier aus Gründen der Vertraulichkeit keine Angaben machen. Der Haushaltsplan sieht eben aus diesen Gründen der Vertraulichkeit in bestimmten Fällen ein besonderes, Ihnen bekanntes Verfahren zur Unterrichtung des Bundestages vor, z. B. bei dem Tit. 53 101 im Etat des Presse- und Informationsamtes. Danach unterrichtet der Bundesrechnungshof einen Unterausschuß des Haushaltsausschusses über das Ergebnis seiner Prüfung. In diesem Unterausschuß sind, wie Sie wissen, alle Fraktionen vertreten. Ein ähnliches Verfahren besteht im Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Für den Tit. 685 01 gibt es dort einen auf das Jahr 1949 zurückgehenden Ausschuß von acht Mitgliedern, dem ebenfalls Vertreter aller Fraktionen dieses Hauses angehören und dem regelmäßig über diesen Titel Bericht erstattet wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie nur auf die Zuwendungen abgestellt haben, die nach der Haushaltsordnung ausgewiesen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, von anderen ist mir nichts bekannt. Sie wissen selbst, daß
es unter diesen vertraulichen Titeln einige solcher Pressedienste gibt. Dieses ist von Anbeginn an die Übung gewesen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir Auskunft darüber geben, ob die Bundesregierung oder eine nachgeordnete Dienststelle in irgendeiner Verbindung zu dem Bundesdienst für Heimatfragen Peter Schultze-Moderow in Wiesbaden-Bierstadt steht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieses ist mir nicht bekannt, aber ich will mich, wenn es nicht unter dieses Kapitel fällt, das ich vorhin beschrieben habe, Herr Abgeordneter Sauter, gern kundig machen und Sie darüber informieren.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, werden Sie für den Fall, daß dieses Organ unter diesen Titel fällt, den Sie vorhin angeführt haben, dem Vertrauensmännergremium darüber berichten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube nicht, daß dem irgend etwas entgegensteht, Herr Abgeordneter.
— Sie meinen mit „Vertrauensmännergremium" sicherlich den Unterausschuß.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus dem Bereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes beantwortet. Ich danke auch Ihnen, Herr Staatssekretär Bölling.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Moersch zur Verfügung. Die Frage 111 stellt der Herr Abgeordnete Hansen:
Welche Hindernisse gibt es im einzelnen für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den selbständigen Staaten, die die Bundesregierung bisher nicht anerkannt hat?
Herr Abgeordneter, es ist bekannt, daß die Bundesregierung bereit ist, mit allen Staaten diplomatische Beziehungen aufzunehmen, die das wünschen. Wenn dies in einigen wenigen Fällen noch nicht geschehen ist, so liegen dem auf der einen oder der anderen Seite — Hindernisse zugrunde, deren Natur ich als „politisch" im eigentlichen Sinne bezeichnen möchte.
Eine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8161
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, Ihre sehr knappe Antwort durch die Nennung dieser Staaten zu ergänzen?
Herr Abgeordneter, ich frage, welche Staaten Sie meinen. Ich bin dann gerne bereit, im einzelnen, auch mit den Gründen, hierzu Stellung zu nehmen.
Die Staaten, nach denen ich in meiner Frage gefragt habe.
Sie haben nach keinen bestimmten Staaten gefragt, deswegen habe ich keinen bestimmten Staat in der Antwort nennen können. Sie wissen aber, daß wir zu Albanien und zu Kuba keine diplomatischen Beziehungen haben, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ebensowenig übrigens seit einiger Zeit mit dem Tschad.
Vizepräsident' Frau Funcke: Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist unter den zuletzt genannten Staaten einer, bei dem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen
: Das ist ja wie ein
Kreuzworträtsel!)
aus Rücksichtnahme auf die Interessen eines anderen Staates verhindert wird?
Herr Abgeordneter, ich habe umfassend geantwortet. Ich habe auf politische Interessen im eigentlichen Sinne des Wortes hingewiesen.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß beispielsweise zu der Volksrepublik Kuba keine Beziehungen aufgenommen worden sind, weil man Rücksicht auf die Interessen der Vereinigten Staaten nimmt?
Sie können aus dem, was ich gesagt habe, dieses nicht schließen. Sie können nur demnächst erfahren, daß über solche Beziehungen verhandelt werden wird.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 112 des Abgeordneten Dr. h. c. Wagner wie auch die Frage 113 des Abgeordneten Höcherl werden auf Bitte des jeweiligen Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 114 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß sich die Stellungnahme des Botschaftsrats Valentin a. Koptelzew auf einer Tagung in Loccum dahin, die „Träume" von einer Wiedervereinigung seien nicht mehr real , mit Artikel 41 Abs. 1 der Wiener Diplomatenkonvention vom 18. April 1961 vereinbaren lasse, wonach „Diplomaten verpflichtet sind, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Empfangsstaates einzumischen", und was beabsichtigt sie zu tun, um die Beachtung auch dieser von der Sowjetunion feierlich übernommenen Verpflichtung durchzusetzen?
Herr Abgeordneter, der Text des Vortrages von Botschaftsrat Koptelzew liegt der Bundesregierung nicht vor. Dieser Vortrag wurde auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Loccum, also in einem nicht-offiziellen Rahmen, gehalten. Es handelte sich demnach nicht um eine offizielle Stellungnahme der sowjetischen Botschaft, sondern, dem Zweck der Tagungen in Loccum entsprechend — den ich hier in diesem Gremium als bekannt voraussetze — um einen persönlichen Diskussionsbeitrag von Herrn Koptelzew.
Im übrigen hatte die einladende Evangelische Akademie in Loccum wohl die sicherlich nicht falsche Meinung, daß das Thema Wiedervereinigung nicht als eine innere Angelegenheit zu betrachten sei, sondern auch die Vier Mächte berühre, was mir jedenfalls auch aus der Auswahl des Referenten hervorzugehen scheint. Aus diesen Gründen sieht die Bundesregierung in den Ausführungen des Botschaftsrats keinen Verstoß gegen die Wiener Konvention von 1961.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, trifft I es zu, daß nach Art. 41 Abs. 1 dieser Konvention Diplomaten verpflichtet sind, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Empfangsstaates einzumischen, und zwar in offiziellen und inoffiziellen Erklärungen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dies durchzusetzen, da alle Verfassungsorgane, auch die Bundesregierung, verpflichtet sind, in ihrer Politik auf die Erreichung der Wiedervereinigung und des Wiedervereinigungsanspruchs hinzuwirken, diesen im Inneren wachzuhalten und nach außen beharrlich zu vertreten?
Herr Abgeordneter, das in Ihrer Frage angeführte Zitat aus der Wiener Konvention trifft im Wesentlichen zu. Aber ich kann nicht einsehen, daß die Wiedervereinigung nur eine innere Angelegenheit sein soll, denn sonst stände es wohl anders um sie. Ich nehme doch an, daß Ihnen bekannt ist, welche Mächte hier mitzureden haben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da Sie der Auffassung sind, daß der grundgesetzlich festgelegte Auftrag aller Verfassungsorgane, die Wiedervereinigung in rechtlicher Weise zu vertreten, keine innerdeutsche Angelegenheit ist, möchte ich Sie fragen, wie dies Ihrer Auffassung nach mit der Präambel des Grundgesetzes und mit dem Bun-
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8162 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Dr. Czajadesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1973 zu vereinbaren ist.
Herr Abgeordneter, ich vermag überhaupt nicht zu erkennen, inwiefern Sie das meiner Äußerung entnehmen. Das habe ich nicht gesagt. Deswegen verstehe ich auch Ihre Frage in diesem Zusammenhang nicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Äußerungen des Herrn Koptelzew in innerem Zusammenhang mit der Verlautbarung der regierungsamtlichen sowjetischen Iswestija steht, die in Radio Moskau am 3. Oktober wiedergegeben wurde, wonach die deutsche Frage von der Geschichte abgeschlossen und erledigt sei, und daß hierin eine einheitliche sowjetische Kampagne zu sehen ist, der die Bundesregierung entgegentreten müßte?
Herr Abgeordneter, einen Zusammenhang herzustellen zwischen den Äußerungen des Botschaftsrats bei der Evangelischen Akademie in Loccum und dem sowjetischen Regierungsorgan ist jedermann unbenommen, auch Ihnen, Herr Abgeordneter. Die Bundesregierung kann darüber keine Urteile abgeben, zumal ich Ihnen soeben gesagt habe, daß ich den Vortrag im Wortlaut nicht kenne und daß die Evangelische Akademie auch keine Stellungnahme der Bundesregierung erbeten hat, sondern einen Botschaftsrat eingeladen hat, um eine Meinung zu hören und darüber zu diskutieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann.
Herr Staatsminister, sind Sie im Ernst der Meinung, daß ein Botschaftsrat einmal als Privatmann irgendwo sprechen kann und ein anderes Mal als Botschaftsrat? Unterliegen nicht alle Äußerungen — so habe ich es wenigstens im Völkerrecht gelernt —, die ein Diplomat auf fremdem Boden tut, dem Interventionsverbot, und gilt das nicht für alle diese Äußerungen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, wir reden hier völlig an der Sache vorbei. Sie müßten doch die Frage stellen, ob wir es für richtig halten, daß künftig evangelische Akademien sowjetische Diplomaten einladen oder nicht. Die evangelischen Akademien haben sich dafür entschieden, alle Gesprächspartner einzuladen, die ihnen zur Verfügung stehen, und sie gehen sicherlich davon aus, daß ein sowjetischer Botschaftsrat nichts sagt, was seiner Regierung nicht gefällt. Ich hoffe, auch ein deutscher würde das im Ausland nicht tun.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 115 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Hat die Bundesregierung die zwangsweise Trennung aus den Oder-Neiße-Gebieten ausreisender deutscher Familien in der Weise „jeweils dem polnischen Außenministerium gegenüber zur Sprache gebracht" , daß sie gemäß Merkblatt 5 der GO für die Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland mit den Richtlinien für den diplomatischen Verkehr eine „Verbalnote" oder ein „Memorandum" — die auch als diplomatische Interventionen gegenüber dem polnischen Außenministerium ausdrücklich bezeichnet wurden —überreichte, und hat sie dabei darauf verwiesen, daß sie in Wahrnehmung der Verfassungspflicht zum Schutz der deutschen Familien im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen handle und sie die Zerreißung der Familien bei der Ausreise als Erschütterung der in der „Information" niedergelegten Vertragsgrundlage behandeln müsse?
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat die in Ihrer Frage erwähnten Fälle in der Form zur Sprache gebracht, die ihr unter den gegebenen Umständen geeignet erschien und erscheint. Sie hat dabei darauf hingewiesen, daß die ungleiche Behandlung der Ausreiseanträge von Angehörigen einer in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Familie weder dem Wortlaut noch dem Sinn der „Information" entspricht. Im übrigen bitte ich um Ihr Verständnis dafür, daß es der Bundesregierung angesichts der laufenden Kontakte mit der polnischen Regierung in der Frage der Umsiedlung und des Umfangs des Problems sowie der großen Zahl von Einzelfällen, die dabei erörtert werden, nicht möglich ist, jeweils detailliert über Wortlaut und Form von Interventionen Auskunft zu erteilen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem Sie mir am 19. Oktober 1973 hier ausdrücklich erklärt haben, daß die Bundesrepublik verpflichtet sei, in jedem Einzelfall diplomatischen Schutz für deutsche Staatsangehörige auszuüben, auch in den Oder-Neiße-Gebieten, frage ich Sie, ob bei der Intervention der Bundesrepublik Deutschland sichtbar wurde, daß die Vertretung namens der Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt interveniert?
Herr Abgeordneter, diese Interventionsnotizen beruhen wie die gesamte Tätigkeit der Botschaften auf internationalem Recht. Ich darf Sie im übrigen daran erinnern, welchen Vorbehalt die Bundesregierung 1970 gegenüber dem Vertragspartner gemacht hat. Sie hat nämlich ausdrücklich klargestellt, daß durch diesen Vertrag niemandem Rechte verlorengehen, die ihm auf Grund deutscher Gesetze zustehen. Das ist der polnischen Seite notifiziert worden. Hierüber ist auch hier wiederholt gesprochen worden. Ich glaube nicht, daß ich zu dem Thema heute noch etwas Neues beitragen kann.
Weitere Zusatzfrage?
Herr Staatsminister, nachdem die Notizen bisher nur als Bekanntgabe von
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8163
Dr. CzajaWünschen von Familien bekanntgeworden sind, frage ich Sie noch einmal, ob in den nach der Geschäftsordnung für die auswärtigen Vertretungen geltenden Richtlinien Verbalnoten oder Memoranden oder mündliche Demarchen eingebracht wurden, die sichtbar machten, daß die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt für deutsche Staatsangehörige handelt.
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß Ihrer Frage eine mißverständliche Auffassung über den Wert von Überschriften im diplomatischen Verkehr zugrunde liegt. Schriftliche Interventionen in Einzelfällen werden nach der von unserer Botschaft in Warschau geübten Praxis in der Regel als „Notizen" gekennzeichnet. Die Wahl der Überschrift, Herr Abgeordneter — das möchte ich hier einmal klarstellen —, hat keinerlei Einfluß auf den Wirkungsgrad einer solchen Intervention.
— Herr Abgeordneter, wir haben eine Geschäftsordnung, und wir haben Botschafter, die eine entsprechende Praxis ausüben. Es kommt darauf an, daß von dieser Geschäftsordnung in einer Weise Gebrauch gemacht wird, die im Interesse der Betroffenen liegt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wittmann.
Herr Moersch, in welcher Form hat die polnische Regierung denn auf diese sogenannten Interventionsnotizen, die im diplomatischen Verkehr in dieser Form völlig unüblich sind, geantwortet, und in welchem Verhältnis zu den bisherigen Formen des diplomatischen Verkehrs — Memorandum, Demarche usw. — steht eine solche Interventionsnotiz?
Herr Abgeordneter, das ist kürzlich im Auswärtigen Ausschuß eingehend dargelegt worden.
Keine Zusatzfrage. — Dann danke ich Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung: Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With.
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
Was tut die Bundesregierung, um die 3,3 Millionen junger Menschen, die am 1. Januar 1975 das 18. Lebensjahr vollendet haben und volljährig werden, im Sinne des Berichts des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 6. März 1974 auf die mit der Volljährigkeit verbundenen Rechte und Pflichten vorzubereiten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung führt eineReihe von Aufklärungsmaßnahmen durch, um die am 1. Januar 1975 volljährig werdenden jungen Bürger über ihre neuen Rechte und Pflichten zu informieren. Der Bundesminister der Justiz gibt seit Anfang September das Faltblatt „Mit 18 volljährig" heraus, das eine Startauflage von 500 000 Exemplaren hat und in Text und Gestaltung bewußt auf die Gruppe der 18- bis 21jährigen abgestellt ist. Dieses Faltblatt soll den jungen Bürgern in einfacher und plastischer Form einen Überblick über ihre neue Rechtsstellung ab 1. Januar 1975 geben. Das Faltblatt wird vom Bundesjustizministerium aus direkt an Schulen, Fachschulen, Berufsaufbauschulen, Volkshochschulen, Jugendämter und Betriebe mit Lehrwerkstätten versandt, so daß eine gezielte Information der 18- bis 21jährigen möglich ist.Außerdem wird das Faltblatt auch allen Organisationen, die sich mit der Jugendarbeit, Jugendhilfe oder Jugenderziehung beschäftigen, zur Verfügung gestellt. Wegen der großen Nachfrage bereitet das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung einen Nachdruck des Faltblattes in einer Auflage von 1 Million Exemplaren vor. Dieser Nachdruck wird etwa Ende Oktober verfügbar sein und auch Hinweise mit Adressen auf die Bundeszentrale und dic Landeszentralen für politische Bildung sowie die Verbraucherorganisationen enthalten.Neben dem Faltblatt gibt das Bundesministerium der Justiz eine weitere, ausführlichere Information über das neue Volljährigkeitsgesetz heraus — Auflage 30 000 —, die besonders für diejenigen gedacht ist, die das neue Volljährigkeitsgesetz an die jungen Bürger herantragen können, also z. B. für Lehrer, Eltern und Erzieher.Ich darf, Herr Kollege, in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Gesamtkosten für die Aufklärungsaktion „Mit 18 volljährig" rund 40% der disponiblen Masse der Mittel des Bundesjustizministeriums im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit für 1974 in Anspruch nehmen. Diese Zahl sollte zugleich geeignet sein, die Bedeutung der für die Öffentlichkeitsarbeit aufgewandten Mittel zu unterstreichen und gewisse in der Öffentlichkeit immer wieder lautwerdende Vorwürfe hinsichtlich der Verwendung solcher Mittel zu entkräften.Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bereitet darüber hinaus folgende Aufklärungsmaßnahmen vor:Erstens. Herausgabe einer Jugendzeitung, in der unter anderem auch die Rechte und Pflichten nach Herabsetzung des Volljährigkeitsalters dargestellt werden; Auflage 500 000, Erscheinen: Mitte Oktober.
Zweitens. Produktion eines Kino-Kurzfilms zum Einsatz in Beiprogrammen der Lichtspieltheater und zum nichtgewerblichen Einsatz über die Landesfilmdienste etc.Drittens. In Absprache mit Wochenschauen sollen die wesentlichsten Auswirkungen gezielt zum Jahreswechsel in „Spots" dargestellt werden.
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8164 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Parl. Staatssekretär Dr. de WithViertens. Unterstützung von Informationsmaßnahmen anderer Stellen durch Bereitstellung von Informationsmaterial. Derartige Unterstützungen nehmen nicht nur Jugendorganisationen, sondern auch z. B. öffentlich-rechtliche Kreditanstalten für ihre Informationsschriften in Anspruch.Fünftens. Herausgabe von Pressemitteilungen mit Informationen über die Änderung der Rechtslage; gezielt wiederum zum Jahreswechsel.Sechstens. Den Redaktionen von Funk und Fernsehen, die das Thema behandeln wollen, stehen die zuständigen Referate sowohl im Bundesministerium der Justiz als auch im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung mit Informationen zur Verfügung.Siebtens. Außerdem wird das Thema „Volljährigkeit" auch im größeren Zusammenhang behandelt, z. B. in den vom BPA herausgegebenen „109 Tips für die Frau" . Ferner plant die Bundeszentrale für politische Bildung eine Sonderseite in der Informationsschrift „Parlament", in der das Thema „Herabsetzung des Volljährigkeitsalters" behandelt werden soll.Neben all diesen vielseitigen Aufklärungsmaßnahmen darf nicht übersehen werden, daß die Aufklärung der jungen Bürger über ihre neuen Rechte und Pflichten nicht allein Aufgabe der Bundesregierung sein kann. Vor allem sind hier die Schulen und Ausbildungsstätten sowie alle Institutionen der Gesellschaft, die mit der Erziehung und Ausbildung von jungen Menschen in irgendeiner Form betraut sind, aufgerufen. Hierauf hat der Bundesminister der Justiz von der Bundespressekonferenz am 2. September 1974 deutlich hingewiesen. Auch die Organisationen und Verbände der Wirtschaft sollten überlegen, ob und welche Maßnahmen in ihrem speziellen Bereich in Frage kommen, um zu einer Aufklärung der volljährig werdenden jungen Bürger beizutragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, nachdem der Bundestag das Volljährigkeitsalter ja bereits im Frühjahr dieses Jahres auf das 18. Lebensjahr herabgesetzt hat, frage ich: Warum setzen die Maßnahmen der Bundesregierung zur Aufklärung der 3,3 Millionen betroffenen jungen Bürger erst im Herbst dieses Jahres ein?
Ich gehe davon aus, daß es auf einem entsprechenden „timing" beruht, wenn die Information mindestens drei Monate vor dem Zeitpunkt beginnt. Zudem haben wir im Sommer mit den Ferien zu rechnen, was zum Teil für die Aufklärung hinderlich ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie eben von der notwendigen Mitarbeit der Verbände der Wirtschaft gesprochen haben, frage ich Sie: Was hat die Bundesregierung bisher getan, um die Verbände und Organisationen der Wirtschaft dazu zu veranlassen, die jungen Bürger auf die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters mit vorzubereiten?
Wie ich eben ausführte, hat der Bundesminister der Justiz eine Bundespressekonferenz abgehalten, wodurch, wie ich meine, hinreichend zum Ausdruck kommt und kam, was alles von seiten dieses Hauses und des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung zur Verfügung steht.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:
Welche Verhandlungen hat die Bundesregierung im Sinne des Berichts des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 6. März 1974 mit den Bundesländern geführt, damit „der rechtskundliche Unterricht an den Schulen verstärkt wird"?
Im Zusammenhang mit den von der Bundesregierung eingeleiteten Aufklärungsaktionen über die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters ist der Bundesminister der Justiz auch an die Kultusminister der Länder herangetreten und hat sie gebeten, durch geeignete Maßnahmen — hierzu gehört sicherlich auch der Rechtskundeunterricht — mit dazu beizutragen, daß die am 1. Januar 1975 volljährig werdenden jungen Bürger über ihre neuen Rechte und Pflichten informiert werden.
Das Thema „Rechtskundeunterricht" ist außerdem auf der Konferenz der Justizminister und -senatoren der Länder am 6. und 7. Mai 1974 in Karlsruhe eingehend behandelt worden. Die Konferenz hat eine Entschließung verabschiedet, in der sie ihre Bereitschaft erklärt, bei der Förderung des rechtskundlichen Unterrichts weiterhin mitzuwirken, und in der sie empfiehlt, daß die einzelnen Landesjustizverwaltungen mit den Kultusverwaltungen ihrer Länder in einen Meinungsaustausch zur Überwindung von Schwierigkeiten eintreten. Der Vorsitzende der Justizministerkonferenz ist gebeten worden, diese Fragen mit dem Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz zu besprechen.
Eine Zusatzfrage.
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, wann der Bundesjustizminister an die Kultusminister der Länder herangetreten ist und mit welchem Resultat?
Ich kann Ihnen nicht das genaue Datum sagen. Aber ich meine, aus meiner Antwort ging hervor, daß der Bundesjustizminister all das getan hat, was in seinen Kräften steht. Schließlich hat er keine Kompetenz gegenüber den Kultusministern. Er kann nur die Bitte an sie herantragen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8165
Parl. Staatssekretär Dr. de WithDas wird dadurch unterstrichen, daß dieses Thema auf der Konferenz der Justizminister und -senatoren Gegenstand der Tagesordnung war.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich frage konkret: Wann ist der Bundesjustizminister an die Kultusminister der Länder herangetreten? Das muß sich doch wohl aus Ihren Unterlagen ergeben. Oder findet das vielleicht erst übermorgen statt?
Nein. Ich kann Ihnen das genaue Datum im Moment nicht sagen. Aber ich bin sehr gerne bereit, es Ihnen schriftlich mitzuteilen. Im Zusammenhang mit Ihrer ersten Frage war nicht ersichtlich, daß Sie diese Frage nun auf den Tag genau beantwortet wissen wollten.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Unter welchen Voraussetzungen können Rechtsanwälte der Deutschen Demokratischen Republik als Verteidiger an Straf-
und Zivilprozessen in der Bundesrepublik Deutschland teilneh men?
Dürfen die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Becher im Zusammenhang beantwortet werden?
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Dr. Becher auf:
Können Rechtsanwälte aus der Bundesrepublik Deutschland Mandanten in Straf- und Zivilprozessen in der Deutschen Demokratischen Republik vertreten?
Bei der Beantwortung Ihrer Anfrage, Herr Abgeordneter, ist zu unterscheiden zwischen einer sehr geringen Zahl von Rechtsanwälten aus Berlin und Berlin (Ost), die aus früherer Zeit noch eine Zulassung im anderen Teil Berlins haben, und der ganz überwiegenden Zahl aller anderen Rechtsanwälte. Zunächst gehe ich auf den in der Regel geltenden Zustand ein, der für die Bundesrepublik Deutschland wie folgt zu beschreiben ist.
In Strafsachen ist heute herrschende Auffassung, daß nur im Geltungsbereich der Strafprozeßordnung zugelassene Rechtsanwälte frei nach § 138 Abs. 1 StPO als Verteidiger gewählt werden können. Andere Anwälte, auch solche aus der DDR, können nur nach § 138 Abs. 2 StPO mit Genehmigung des Gerichts als Verteidiger zugelassen werden.
Im Zivilprozeß vor einem Landgericht oder einem höheren Gericht muß sich die Partei durch einen bei dem betreffenden Gericht zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Ein Rechtsanwalt aus der DDR kommt dafür nicht in Betracht.
Die Regelung der Zivilprozeßordnung vor dem Amtsgericht ist komplizierter. Man kann sie auf die kurze Formel bringen: Rechtsanwälte — gleich, bei welchem Gericht sie zugelassen sind — dürfen eine Partei immer vertreten; andere geschäftsmäßige Rechtsberater nur, wenn sie besonders als Prozeßagent zugelassen sind; Privatpersonen, wenn sie die nötige Fähigkeit zum geeigneten Vortrag haben. Es muß der Entscheidung des Gerichts im Einzelfall überlassen werden, ob es Rechtsanwälte aus der DDR zuläßt.
Nach der Entwicklung der Rechtsprechung und der Kommentarliteratur im Strafprozeß dürfte es naheliegen, daß unter einem Rechtsanwalt in der Zivilprozeßordnung ein Rechtsanwalt verstanden wird, der im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen ist. Ob das Auftreten eines Anwalts aus der DDR, der demnach nicht die Befugnisse eines Rechtsanwalts im Sinne der Zivilprozeßordnung hätte, als geschäftsmäßig anzusehen ist — mit der Folge der Zurückweisung nach § 157 Abs. i ZPO —, wird im Einzelfall von den Gerichten zu entscheiden sein.
Nach dem Rechtszustand in der DDR ist eine Verteidigung in Strafsachen oder eine Vertretung im Zivilprozeß durch einen Rechtsanwalt aus der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich.
Zu der eingangs angesprochenen sehr kleinen Gruppe von Rechtsanwälten in Berlin, die jeweils noch eine Zulassung im anderen Teil der Stadt haben, ist folgendes zu bemerken:
Noch drei Rechtsanwälte mit Sitz in Berlin sind in Berlin (Ost) zugelassen. Diese Rechtsanwälte können ihrer Berufstätigkeit in Berlin (Ost) nachgehen. Allerdings haben sich in einem Fall Schwierigkeiten bei der Einreiseerlaubnis gezeigt.
Umgekehrt gibt es noch 11 Rechtsanwälte mit Sitz in Berlin , die aus früherer Zeit in Berlin (West) zugelassen sind. Diese Rechtsanwälte sind Mitglieder der Anwaltskammer Berlin. Sie haben die Rechte — auch im Hinblick auf verfahrensrechtliche Befugnisse —, die einem im Geltungsbereich der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassenen Rechtsanwalt zustehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie ungefähr die Anzahl der Rechtsanwälte aus der DDR angeben, die in den letzten Jahren in der Bundesrepublik Vertretungen oder Mandate übernommen haben?
Das kann ich nicht sagen. Ich bin aber gern bereit, es Ihnen schriftlich mitzuteilen. Auf Grund Ihrer Fragen war nicht zu erwarten, daß Sie diese Zahl wissen wollten. Zahlenmäßig angegeben habe ich lediglich die Anwälte, die von hüben und drüben jeweils zugelassen sind. Das waren drei bzw. elf.
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8166 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Auf Grund welcher der von Ihnen angeführten Tatbestände ist etwa eine Figur wie Herr Kaul, der hier als Staranwalt und Nebenkläger auftrat und eine ganze Reihe von prozessualen Funktionen übernommen hatte, die er zum großen Teil für Propaganda gegen die Bundesrepublik Deutschland ausnutzte, hier zugelassen gewesen oder zugelassen?
Ich dachte, dies hätte ich ausgeführt. Das stammt noch aus der Zeit, als es in Berlin eine Anwaltskammer gab und lediglich die für alle gültigen Voraussetzungen zur Zulassung bestanden. Dieser Zustand besteht fort und betrifft die genannten Zahlen von drei bzw. elf Anwälten.
Noch eine Frage.
Hat sich die Bundesregierung darum bemüht, daß in der letzten Zeit etwa bei den Fluchthelferprozessen Rechtsanwälte aus der Bundesrepublik die Angeklagten in der DDR vertreten konnten?
Ich vermag insoweit einen Zusammenhang nicht mehr zu erkennen. Ich glaube, dies sollte einer eigenen Frage vorbehalten bleiben.
Ich glaube, daß meine zweite Frage ganz genau darauf hinzielt. Eigentlich habe ich meine Fragen nur deshalb gestellt. Das liegt doch nahe. Ich darf noch einmal fragen: Wenn Rechtsanwälte wie Herr Kaul bei uns pausenlos Vertretungen übernehmen können, wo ist dann der Grundsatz der Gleichheit gewahrt, wenn wir von der Bundesregierung aus nicht dafür Sorge tragen können, daß Rechtsanwälte aus der Bundesrepublik Deutschland bei den Fluchthelferprozessen Verteidigungsfunktionen übernehmen können? Warum ist das nicht möglich?
Ich meine, ich habe die Antwort bereits klar und präzise gegeben, indem ich auf die Geschichte verwiesen und dargelegt habe, wer von welcher Seite in welcher Zahl noch wie zugelassen ist, welche Möglichkeiten für die jeweiligen Anwälte bestehen und welche Möglichkeiten es nicht gibt, allerdings für die Vertretung in der DDR.
Auf einem ganz anderen Blatt steht es allerdings, inwieweit nach Abschnitt II Ziffer 4 des Zusatzprotokolls zum Grundlagenvertrag die Möglichkeit besteht, in gegenseitigen Verhandlungen einen Weg zu finden.
Die letzte Zusatzfrage.
Ich darf auf Grund des letzten Hinweises und Ihrer Antwort auf eine Anfrage meines Kollegen Spranger vom September fragen: Wird die Bundesregierung wenigstens bei kommenden Verhandlungen über diese Problematik dafür Sorge tragen, daß der Grundsatz der Gegenseitigkeit in Zukunft gewahrt wird?
Die Bundesregierung ist bestrebt, zunächst zu Vereinbarungen über die gegenseitige Rechtshilfe in Zivil- und Strafsachen zu gelangen, weil das als vordringlich angesehen wird. Der von Ihnen angesprochene Fragenkreis wird nicht zu den vordringlich zu erörternden Problemen zu rechnen sein.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Marx.
Herr Kollege de With, ich möchte gern noch einmal auf eine Ihrer anderen Antworten eingehen. Ich habe sie nicht ganz verstanden; deshalb frage ich hier. Sie sagten, aus Berlin-Ost seien in Berlin-West noch elf Anwälte zugelassen.
Und Sie sagten, sie seien Mitglieder der Anwaltskammer Berlin.
Würden Sie uns bitte sagen, wo im Augenblick der Sitz dieser Anwaltskammer ist?
Der Sitz der Anwaltskammer, so meine ich, ist jetzt in West-Berlin. Aber ich sage das unter Vorbehalt. Ich bin gern bereit, es Ihnen schriftlich genau zu fixieren.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage 52 des Abgeordneten Spranger wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär de With.
Wir kehren nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen zurück. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haehser zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 53 und 54 des Abgeordneten Dr. Althammer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß wegen des verstärkten Andrangs von in der Bundesrepublik Deutschland lebenden amerikanischen Staatsangehörigen zum zivilen Dienst bei den amerikanischen Truppen am 8. Mai 1974 eine Verfügung des Headquarters European Exchange System erging, wonach bei der Einstellung Angehörige der amerikanischen Armee und Zivilamerikaner die erste Priorität haben, deutsche Staatsangehörige aber nur die zweite Priorität?
Entspricht die damit verbundene Verdrängung deutscher Staatsangehöriger den vertraglichen Abmachungen aus dem Truppenvertrag und den ergänzenden Vereinbarungen?
Herr Kollege Dr. Althammer, bei
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8167
Pari. Staatssekretär Haehserder Verfügung des von Ihnen erwähnten Hauptquartiers vom 8. Mai 1974 handelt es sich nach Auskunft des Hauptquartiers der amerikanischen Streitkräfte in der Bundesrepublik um ein Rundschreiben, das auf die bestehenden Grundsätze der Personalpolitik der amerikanischen Streitkräfte hinweist, wonach auf freien Stellen für zivile Arbeitnehmer bevorzugt Angehörige amerikanischer Soldaten, ehemalige Soldaten und amerikanische Touristen zu beschäftigen sind. Eine Verdrängung deutscher Arbeitnehmer von ihrem Arbeitsplatz findet nicht statt.Die Bundesregierung verhandelt bereits seit Ende 1973 mit dem Hauptquartier der amerikanischen Armee mit dem Ziel, die US-Streitkräfte zu veranlassen, ihre Personalpolitik in Einklang mit dem NATO-Truppenstatut zu bringen. Diese Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. Deswegen bitte ich Sie um Verständnis, daß ich Ihnen im Augenblick keine weitere Auskunft geben kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekietär, bedeutet Ihre letzte Auskunft, daß die bisherige Handhabung nicht im Einvernehmen mit dem NATO-Statut steht, weil nämlich dort die Zuständigkeit der deutschen Seite für das deutsche Zivilpersonal festgelegt ist?
Gerade das, Herr Kollege Dr. Althammer, soll durch die Verhandlungen, die im Gange sind und deren Abschluß wir für die nächste Zeit erhoffen, geklärt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie sagten, daß eine Benachteiligung deutscher Angehöriger nicht zu sehen sei, möchte ich Sie fragen, ob Sie sich auch bei den deutschen Stellen, insbesondere bei den Betroffenen, darüber erkundigt haben, ob diese Verfügung in der Sache durch irgendwelche Beeinflussungen eben doch dazu führt, daß deutsche Angehörige veranlaßt werden, ihre Posten aufzugeben?
Es ist so, Herr Kollege Dr. Althammer, daß das Rundschreiben, das ich erwähnte, amerikanische Personen zum Einrücken in freie Stellen bevorzugt. Da es sich um freie Stellen und nicht um durch deutsches Personal besetzte Stellen handelt, sehe ich die Benachteiligung der Deutschen nicht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, auch nachzuprüfen, wie solche Stellen frei werden.
Denn das ist genau der Punkt, auf den es hier ankommt.
Ich bin dazu im Rahmen unserer Möglichkeiten gern bereit, Herr Kollege Dr. Althammer.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Däubler-Gmelin.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, in Ihre Nachprüfungen auch die Beförderungsstellen aufzunehmen, die ja, wenn ich nicht irre, nach diesem Rundschreiben ebenfalls als freie Stellen gewertet werden, und sind Sie damit auch bereit, die Benachteiligung auch unter diesem Gesichtspunkt nachzuprüfen?
Ich bin auch dazu gerne bereit, Frau Kollegin.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Geldner auf:
In welchem Ausmaß sind Personalkosten am neuen Rekordhaushaltsentwurf der EG beteiligt, und ist die Bundesregierung bereit, auf die Brüsseler Institutionen im Sinne einer restriktiven Personalpolitik hinzuwirken, wenn schon eine koordinierte Haushaltspolitik geringer Zuwachsraten nicht erreichbar ist?
Herr Kollege Geldner, die Personalkosten von rund 915 Millionen DM sind an dem Haushaltsentwurf der Europäischen Gemeinschaft, der am 23. September 1974 vom Ministerrat beschlossen wurde und der sich auf rund 20,5 Milliarden DM beläuft, mit rund 4,5 % beteiligt.
Von insgesamt 729 beantragten neuen Stellen wurden 159 Stellen gestrichen. Die Gesamtsteigerungsrate des Gemeinschaftshaushaltes von rund 37 % im Vorentwurf wurde auf rund 9,4 % in dem vom Ministerrat aufgestellten Entwurf gesenkt. Dies war insbesondere dadurch möglich, daß für alle nur dem Grunde nach beschlossenen und daher noch nicht etatreifen politischen Bereiche Leertitel ausgebracht wurden.
Aus den bisherigen Mitteilungen ergibt sich, daß sich die Bundesregierung und ihre Partner gemeinschaftlich um eine restriktive Haushaltspolitik mit Erfolg bemüht haben.
Eine Zusatzfrage? — Keine Zusatzfragen.Dann rufe ich die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Geldner auf:
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8168 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Vizepräsident Frau FunckeIn welchem Umfang gedenkt die Bundesregierung, den landwirtschaftlichen Sektor an den konjunkturellen Förderungsmaßnahmen für benachteiligte Regionen und Sektoren in Höhe von 900 Millionen DM zu beteiligen, und an welche agrarischen Bereiche ist dabei gedacht?
Herr Kollege Geldner, zur Absicherung der Stabilitätspolitik und um zu verhindern, daß die notwendige Anpassung der Bauwirtschaft ein unerwünschtes Ausmaß annimmt, hat die Bundesregierung ein Sonderprogramm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung mit einem Volumen von 950 Millionen DM beschlossen. Das Sonderprogramm hat dem Konjunkturrat für die öffentliche Hand und dem Finanzplanungsrat, in dem Bund, Länder und Gemeinden vertreten sind, vorgelegen. Beide Gremien haben dem Sonderprogramm zugestimmt.
Auf Maßnahmen zur Abstützung der Beschäftigung, die den Sektor Landwirtschaft berühren, entfallen fast 50 Millionen DM. Im Programmteil A bringen Bund und Länder je 20 Millionen DM für diesen Zweck auf. Damit werden gefördert: Wohnungen in landwirtschaftlichen Betrieben und in der Fischerei, die Verbesserung der Marktstruktur sowie wasserwirtschaftliche und kulturbautechnische Hochbaumaßnahmen.
Im Programmteil B, der vom Bund, wie Sie wissen, Herr Kollege Geldner, allein getragen wird, sind im Einzelplan 10 des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 7,3 Millionen DM veranschlagt. Hier werden Hochbaumaßnahmen im Bereich der Forschung gefördert. Darüber hinaus fließen auch Mittel aus anderen Teilen des Programms, zum Beispiel bei kommunalen Infrastrukturinvestitionen, in ländliche Gebiete, und kommen damit auch indirekt der Landwirtschaft zugute.
Keine Zusatzfrage. — Die Fragen 57 und 58 sollen auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe auf Frage 59 des Abgeordneten Walkhoff:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß kostenlos erworbene Brennrechte zur Zeit zu einem Preis von 500 DM hl bis 600 DM/hl gehandelt werden, so daß landwirtschaftliche Kornbrennereien, die his zu 400 hl Brennrecht erwerben können, mindestens 200 000 DM Gewinn und Inhaber eines Kartoffelbrennrechts bis zu I 500 hl 750 000 DM bis 900 000 DM Gewinn erlangen können, und hält es die Bundesregierung für richtig, derartige Spekulationsgewinne zukünftig dadurch auszuschließen, daß landwirtschaftliche und gewerbliche Brennrechte nicht mehr verkauft werden können, sondern bei Betriebsaufgabe an den Staat zurückfallen?
Herr Kollege Walkhoff, es ist der Bundesregierung bekannt, daß für die Übertragung von Brennrechten Preise in der von Ihnen genannten Höhe bezahlt werden. Es ist aber nicht so, daß man für Brennrechte nichts aufzuwenden bräuchte. Brenner erhalten nämlich nur dann ein Brennrecht, wenn sie zuvor eine Brennerei betriebsfähig hergerichtet haben. Dies erfordert regelmäßig hohe Aufwendungen.
Nach den im Bundesfinanzministerium vorliegenden
Unterlagen betrugen die Kosten bei der Brennrechtveranlagung 1972/73 für eine neue 400-hl-Brennerei etwa rund 0,3 Millionen DM, für eine 1 500-hl-Brennerei etwa 0,8 bis 1,2 Millionen DM. Die seit 1967 gesetzlich zugelassenen Brennrechtübertragungen sollen aus Strukturgründen beibehalten werden.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die Brennereibesitzer bzw. Besitzer von Brennrechten sich für die Aufwendungen, die sie zur Einrichtung einer Brennerei erbracht haben, neben den Brennrechten entschädigen lassen, wenn sie eine Brennerei bzw. Brennrechte abgeben, so daß eben doch diese, wie ich meine, nicht rechtmäßigen Gewinne in sehr hohe Zahlen gehen können?
Dies mag im Einzelfall so sein, Herr Kollege Walkhoff, aber Sie werden das nicht generalisieren können.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kunz.
Herr Staatssekretär, unter welchen Bedingungen können die von Ihnen genannten Übertragungen von Brennrechten die aus strukturellen Gründen beibehalten werden sollen, künftig in Anspruch genommen werden.
Ich bin nach diesem Problem nicht gefragt worden in der Anfrage, bin aber gern bereit, Ihnen, Herr Kollege, dazu etwas schriftlich mitzuteilen.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann rufe ich ,die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Wittmann auf:
Welchen Sinn haben die sogenannten Branntweineigenlager mit Bewachung durch Zollbeamte bei Branntwein-Verarbeitern, verursachen diese nicht unverhältnismäßig hohe Kosten und könnten diese nicht durch eine genaue Überprüfung der Wareneingangs- und Ausgangsbücher ersetzt werden?
Herr Kollege Wittmann, Branntweineigenlager sind unter zollamtlichem Mitverschluß stehende Steuerlager, in denen Branntwein unversteuert gelagert und verarbeitet werden kann. Die Branntweinsteuer wird erst dann erhoben, wenn die Ware aus dem Lager für den freien Verkehr entnommen wird. Der Zollmitverschluß führt dazu, daß bei jeder Lagerbewegung Zollbeamte mitwirken müssen. Er dient der Sicherung des Steueraufkommens. Die in der Anfrage angesprochene Alternative zu den Branntweineigenlagern des geltenden Rechts wäre das offene Steuerlager, das nur buchmäßig überwacht würde. Der Entwurf einer Richtlinie des Rates über die Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Alkohol sieht vor, daß offene Steuerlager allgemein in ,der EG wahlweise neben den Verschlußlagern einzuführen sind. Es wird zur Zeit geprüft, ob schon vor Wirksamwerden der
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8169
Parl. Staatssekretär HaehserRichtlinie offene Branntweinsteuerlager in Deutsch-land eingeführt werden sollen. Zu diesem Zwecklaufen schon praktische Versuche mit solchen Lagern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ergibt sich hinsichtlich der offenen Lager und Verschlußlager ein Unterschied, der die Wahl problematisch erscheinen läßt, so daß zum Beispiel aus Kostengründen jemand lieber das geschlossene Lager wählt?
Herr Kollege Dr. Wittmann, ich glaube, ich kann Ihrem Anliegen, das in Ihrer Frage enthalten ist, dienen, indem ich Ihnen sage: das Bundesministerium der Finanzen steht der Einführung offener Lager aufgeschlossen gegenüber. Wenn die Versuche, von denen ,ich sagte, daß sie im Augenblick laufen, keine schwerwiegenden Nachteile sichtbar machen, wird es offene Lager anstreben.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Spranger soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wie hoch sind gegenwärtig die kurz-, mittel- und langfristigen Forderungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen Staaten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Niegel, ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland nur auf dem Gebiet des Devisenausgleichs und auch hier nur in einem kleinen Teilbereich selbst Kredite vergibt, aus denen sie Forderungen gegenüber anderen Staaten hat. Forderungen aus Krediten stehen vielmehr der Bundesbank bzw. der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu. Bei Forderungen gegenüber anderen Staaten sind zu unterscheiden:
1. Forderungen aus Währungsstützungskrediten,
2. Forderungen durch Darlehen für Entwicklungsländer im Rahmen der Kapitalhilfe.
Forderungen aus Währungsstützungskrediten an andere Staaten sind seit dem 1. Januar 1969 in folgenden Fällen neu entstanden:
Erstens: Die Deutsche Bundesbank hat die gegenseitige Kreditvereinbarung mit dem US-Notenbanksystem von 1962 im Jahre 1973 auf 2 Milliarden US-Dollar erhöht. Zinssatz ist der Satz für US-Schatzwechsel. Die Kreditvereinbarung wird übrigens zur Zeit nicht in Anspruch genommen.
Zweitens: Die Deutsche Bundesbank hat der italienischen Notenbank im Rahmen des EG-Übereinkommens über den kurzfristigen Währungsbeistand
am 28. Juni 1973 einen kurzfristigen Kredit von 403 Millionen europäischer Währungsrechnungseinheiten gewährt. Die Fälligkeit dieses Kredits ist am 18. Dezember 1974. Der Zinssatz ist wieder derselbe, wie er für US-Schatzwechsel anfällt. Der Kredit ist voll in Anspruch genommen.
Drittens: Die Deutsche Bundesbank hat der italienischen Notenbank am 5. September 1974 einen goldgesicherten Kredit von 2 Milliarden US-Dollar gewährt. Der Zinssatz ist derselbe wie vorher genannt. Die Laufzeit beträgt zwei Jahre. Der Kredit ist voll in Anspruch genommen.
Schließlich viertens. Im Rahmen der Devisenausgleichsabkommen sind den USA und Großbritannien von Bundesregierung und Bundesbank weitere Kredite eingeräumt worden. Hierüber ist der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages mit Vorlagen der Bundesregierung im einzelnen unterrichtet worden. Die große Zahl der Darlehen für Entwicklungsländer im Rahmen der Kapitalhilfe und die somit entstandenen Forderungen kann ich Ihnen, wie Sie mir sicher zugeben werden, im Rahmen der Fragestunde nicht nennen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie stellt die Bundesregierung sich dazu, daß sie, wie Sie jetzt dargelegt haben, Geld an das Ausland ver- leiht, um andere Währungen zu sanieren, und auf der anderen Seite im Ausland mit Schuldscheinen wieder Geld einsammelt?
Herr Kollege Niegel, zum letzten Thema möchte ich Ihnen nichts sagen, weil der Herr Kollege Leicht gebeten hat, die Anfrage, die dieses Thema betrifft, schriftlich zu beantworten, und weil gestern im Finanzausschuß des Deutschen Bundestages ausgiebig darüber gesprochen worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage?
— Es tut mir leid. Keine Zusatzfrage.Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haehser.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Grüner zur Verfügung.Die Fragen 63 und 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Sauter auf:Hat die Bundesregierung bei der Verteilung der Mittel des Konjunktursonderprogramms die zu erwartende Entwicklung der Arbeitslosenzahlen zugrunde gelegt, um somit künftigen Auswirkungen entgegenzutreten?
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8170 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Herr Kollege Sauter, bei der Auswahl der Maßnahmen des Sonderprogramms zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung hat die Bundesregierung entscheidenden Wert darauf gelegt, die begrenzten Mittel schwerpunktmäßig und gezielt in solchen Gebieten einzusetzen, die von einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosigkeit betroffen sind. Da es sich entsprechend der konjunkturellen Situation ausschließlich um Baumaßnahmen handeln soll, war im besonderen auch auf die Beschäftigungslage im Baubereich zu achten. Um die Auswahl unter gleichzeitiger Berücksichtigung der konjunkturpolitisch gebotenen Schnelligkeit auf der Grundlage möglichst verläßlicher Unterlagen treffen zu können, wurden die jeweils jüngsten arbeitsmarktpolitischen Daten herangezogen. Sicherlich vermag kein Verfahren alle Beteiligten voll zu befriedigen. Streng logisch wäre es denkbar gewesen, die örtliche Beschäftigungslage im Zeitraum der Bauausführung, also in der Regel im Laufe des Jahres 1975, zugrunde zu legen. Es ist jedoch offenkundig, daß eine kurzfristige Prognose der Beschäftigungslage, noch dazu bezogen auf den örtlichen Arbeitsmarkt, nicht möglich ist. Es wäre sogar unverantwortlich, wenn Entscheidungen, die heute getroffen werden müssen, auf eine solch fragwürdige Basis gegründet werden, wie sie von der Regierung Baden-Württemberg als einzigem Bundesland vertreten worden ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß sich aus der heutigen Sicht, am 10. Oktober 1974, erweist, daß es sinnvoll und zweckmäßig und gerecht gewesen wäre, auch die zu erwartende Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeit in diese Überlegungen einzubeziehen, um zu verhindern, daß eine Verteilung des Konjunktursonderprogramms so vorgenommen wird, daß jenes Land, das 9% Arbeitslose und 15% der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes hat, nur 1,5 % der Sondermittel bekommt?
Herr Kollege Sauter, dieses Sonderprogramm mit seinem Verteilungsschlüssel ist eingehend mit den Bundesländern, mit denen es ja abgewickelt wird, besprochen und erörtert worden, und kein Land außer Baden-Württemberg hat an dem schließlich gefundenen Schlüssel Anstoß genommen. Es ist, wie ich noch einmal mit großem Nachdruck sagen muß, selbstverständlich denkbar, künftige Entwicklungen einem Schlüssel zugrunde zu legen. Nur muß man sich darüber im klaren sein, daß künftige Entwicklungen eben nicht exakt nachweisbar sind und deshalb keine exakte Grundlage für einen Verteilungsschlüssel abgeben können; übrigens auch kein Hinweis darauf, daß etwa für Baden-Württemberg eine günstigere Position dadurch hätte erreicht werden können.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich vorstellen, daß, wenn in Baden-Württemberg im Frühjahr 1975 auch Landtagswahlen angestanden hätten, wir dann eine andere Verteilung gefunden hätten?
Herr Kollege Sauter, das kann ich mir nicht vorstellen, weil ja die jetzt gefundene Verteilung der Mittel mit der Zustimmung aller übrigen zehn Bundesländer getroffen worden ist und weit überdurchschnittlich von diesen Mitteln etwa das Land Schleswig-Holstein — Ministerpräsident Stoltenberg — profitiert hat und auch die sonstige Verteilung sehr deutlich macht, daß hier keinerlei — ich betone: keinerlei — parteipolitische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben. Das ist im BundLänder-Verhältnis angesichts der Tatsache, daß die CDU-regierten Länder eine Mehrheit haben, auch von da her schon gar nicht möglich.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig dahin verstanden, daß alle Bundesländer mit Ausnahme von Baden-Württemberg diesem Verteilungsschlüssel zugestimmt haben?
Sie haben mich richtig verstanden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für ein ausreichendes Kriterium für die Gerechtigkeit eines Verteilungsmaßstabes, wenn alle Länder, die dadurch profitieren, daß Baden-Württemberg schlechter behandelt wird, zugestimmt haben und Baden-Württemberg nicht zugestimmt hat, weil es der Leidtragende dieses Beschlusses ist?
Ich bin der Meinung, daß es keinen Verteilungsschlüssel gibt, der immer alle zufriedenstellen kann. Ich meine aber, daß, wenn zehn Bundesländer der Meinung sind, daß der gefundene Verteilungsschlüssel tragbar ist, dies ein Hinweis darauf ist, daß es ein objektiver Verteilungsschlüssel ist, der im Sinne des kooperativen Föderalismus vertretbar ist.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 66 der Frau Abgeordneten Dr. Riede auf:Gibt es eine neue Ausbildungsordnung für Kunststoffwerker, und wenn nein, bis wann ist damit zu rechnen?
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8171
Frau Kollegin Dr. Riede, ein Ausbildungsberuf mit der Bezeichnung „Kunststoffwerker" ist bisher staatlich nicht anerkannt worden. Die Arbeitgeberseite hatte zwar ein Konzept einer gestuften Ausbildung für einen zweijährigen Ausbildungsberuf „Kunststoffwerker" mit einer darauf aufbauenden einjährigen Ausbildung zum Kunststofffacharbeiter entworfen. Diese Stufenausbildungsordnung fand jedoch nicht die Zustimmung der zuständigen Gewerkschaft. Der Plan wurde daher nicht weiter verfolgt.
In der Diskussion steht nunmehr die Konzeption einer ungestuften Berufsausbildung zum Kunststoffmechaniker. Der Entwurf einer entsprechenden Ausbildungsordnung, auf den sich die Sozialpartner geeinigt haben, liegt dem Bundesminister für Wirtschaft vor. Ob dieser Entwurf als Ausbildungsordnung nach § 25 des Berufsbildungsgesetzes erlassen werden kann, hängt davon ab, ob sich die beteiligten Bundesministerien und die für die Rahmenlehrpläne der Berufsschulen zuständigen Kultusminister der Länder diese Konzeption zu eigen machen.
Dem zur Abstimmung von Ausbildungsordnungen und Rahmenlehrplänen von Bund und Ländern eingerichteten Koordinierungsausschuß wird in Kürze ein entsprechender Projektantrag zur Entscheidung vorgelegt werden. Da das Abstimmungsverfahren zwischen Bund und Ländern neu ist und noch keine
I Ausbildungsordnung dieses Verfahren durchlaufen hat, kann noch keine Aussage gemacht werden, wann gegebenenfalls mit dem Erlaß der Ausbildungsordnung für Kunststoffmechaniker und mit der Einführung eines entsprechenden Rahmenlehrplans in den elf Ländern gerechnet werden kann.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist beabsichtigt — da es sich hier offensichtlich um Neuland handelt —, vor Festlegung dieser Ausbildungsordnung die Betroffenen in den Betrieben dazu zu hören?
Frau Kollegin, das ist im Rahmen der Abstimmung zwischen den Sozialpartnern natürlich schon geschehen. Es ist den Ländern selbstverständlich unbenommen, ihrerseits — etwa bei der Gestaltung der Rahmenlehrpläne — auf solche Erfahrungen zurückzugreifen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 67 wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Höcherl auf:
Besteht nicht ein Widerspruch zwischen der optimistischen Beurteilung der sogenannten Konzertierten Aktion durch den Bundeswirtschaftsminister und den neuen Lohnforderungen im Eisen- und Stahlbereich, und wie ist dieser bejahendenfalls zu erklären?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Höcherl, wie Ihnen bekannt sein dürfte, ist in der letzten Konzertierten Aktion vom 24. September 1974 an Hand der vom Bundesminister für Wirtschaft im Namen der Bundesregierung vorgelegten und erläuterten Orientierungsdaten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 1975 von den Beteiligten ein hohes Maß an Übereinstimmung in der Beurteilung dieser Daten erreicht worden. Das war jedenfalls der Eindruck aller Teilnehmer. Der Bundesminister für Wirtschaft hat seiner Zufriedenheit über den erzielten Konsens Ausdruck gegeben.
Daraus läßt sich jedoch keineswegs eine unmittelbare Stellungnahme zu bevorstehenden Tarifverhandlungen ableiten. Eine solche — in Ihrer Frage angeklungene — Haltung würde vielmehr die vorgelegten Orientierungsdaten wieder in die Nähe der sogenannten Lohnleitlinien rücken, von denen sich der Bundesminister für Wirtschaft mehrfach klar und unmißverständlich distanziert hat. Ich möchte hierzu auf seine Ausführungen hier im Bundestag am 19. September 1974 in der Haushaltsdebatte verweisen, in denen klargestellt wurde, daß Lohnleitlinien nicht Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung sind, weil sie nämlich in die Tarifpolitik hineinwirken, die ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht in diesem Lande ist.
Ob und inwieweit die Anerkennung gesamtwirtschaftlicher Orientierungsdaten zu entsprechenden Schlußfolgerungen bei den autonomen Entscheidungen der Tarifpartner führt, muß deren eigener Entscheidung überlassen bleiben. Aus bestimmten Forderungen für bestimmte Bereiche kann jedenfalls noch keineswegs ein Widerspruch zu der weitgehenden Übereinstimmung in der gesamtwirtschaftlichen Beurteilung hergeleitet werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stellt die Bundesregierung nicht zu bescheidene Ansprüche an die mit soviel Tamtam angekündigten Veranstaltungen? Ich meine die Konzertierte Aktion, die weder konzertiert ist noch eine Aktion darstellt.
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß wir hier zu hohe Erwartungen hegen. Ich glaube, es ist ein großer Fortschritt in diesem Lande, daß über die Ausgangsdaten, über die Grunddaten unserer wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den Beteiligten Übereinstimmung erzielt werden konnte. Das war nicht zu allen Zeiten so. Die sozialen und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen werden von dieser grundsätzlichen Übereinstimmung doch maßgeblich mitbestimmt.
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8172 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wer sollte denn mit dieser zweckoptimistischen Darstellung beruhigt werden?
Es handelt sich hier nicht um eine Beruhigung, und 'wir haben auch keinerlei Anlaß, hier etwa beruhigend zu wirken; denn die Entscheidungen, die die Tarifpartner zu treffen haben, stehen ja noch vor uns. Die Bundesregierung hat klargemacht, welche Bedeutung sie diesen Entscheidungen beimißt.
Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Welche Beteiligung des Zonenrandgebietes am Sonderprogramm zur Abstützung der Beschäftigung betrachtet die Bundesregierung unter Berücksichtigung des Zonenrandanteils von 45 % an den Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe für angemessen?
Herr Kollege Böhm, das Programm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung ist in erster Linie dafür geschaffen, in Gebieten mit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit eingesetzt zu werden. Das Zonenrandgebiet hat bei der Gewährung der Hilfen Priorität. So können für kommunale Infrastrukturmaßnahmen im Zonenrandgebiet im Durchschnitt Hilfen in Höhe von 90 %, in den übrigen Gebieten im Durchschnitt Hilfen in Höhe von 80 % der Investitionen gewährt werden. Die Zonenrandländer sind im übrigen gehalten, bei der Auswahl der Vorhaben das Zonenrandgebiet besonders zu bedenken. Die Aufteilung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe erfolgt unter ganz anderen Voraussetzungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatssekretär, würden Sie es für nicht richtig halten, wenn auch bei solchen konjunkturpolitisch bedingten Maßnahmen die strukturpolitischen und die politischen Notwendigkeiten der Zonenrandförderung mit bedacht würden?
Das ist bei dieser Aufteilung auch geschehen. Es besteht darüber hinaus selbstverständlich, allein auch auf Grund des gewählten Verteilerschlüssels, soweit nämlich überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und unterdurchschnittliche Beschäftigung in den Bauberufen in diesen Gebieten vorhanden ist, eine starke Konzentration dieser Mittel gerade auf das Zonenrandgebiet, wie wohl bei Beantwortung Ihrer zweiten Frage noch deutlich werden wird.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Böhm auf, die Frage 70:
Wie hoch ist der Anteil des Zonenrandgebietes bei Teil B des Sonderprogramms zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung?
Herr Staatssekretär!
Von den für den Teil B des Programms vorgesehenen Mitteln von 250 Millionen DM gehen in die Zonenrandländer rund 143 Millionen DM, das sind rund 57 % dieser Mittel. Es ist vorgesehen, im Zonenrandgebiet Vorhaben mit einem Mittelbedarf von rund 73 Millionen DM durchzuführen; das sind rund 51% der Mittel, die für die Zonenrandländer vorgesehen sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Staatssekretär, wie kommt es dann, daß bei der Verteilung der Mittel im Land Hessen das hessische Zonenrandgebiet von den nach Hessen fließenden 35,1 Millionen DM nur 9,7 Millionen DM erhält, was einem Anteil von 27,6% entspricht und was gleichzeitig bedeutet, daß 72,4 % der vorgesehenen Mittel in die Teile Hessens gehen, die nicht zum Zonenrandgebiet gehören?
Ich habe darauf hingewiesen, daß bei der Verteilung dieser Mittel überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und unterdurchschnittliche Beschäftigung im Baubereich eine der Voraussetzungen ist. Darüber hinaus spielt natürlich eine Rolle, welche Bundesinvestitionen überhaupt möglich sind, nämlich von den vorhandenen Projekten her, die Bundesressorts bedienen können. Entscheidend scheint mir aber doch die Zahl zu sein, die ich Ihnen eben für das gesamte Zonenrandgebiet genannt habe.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Böhm.
Herr Staatssekretär, darf ich aus dieser Antwort schließen, daß es z. B. im hessischen Zonenrandgebiet keine weiteren Möglichkeiten gegeben hätte, Bundesmittel aus diesem Programm einzusetzen?
Das müssen Sie daraus nicht schließen, sondern Sie können davon ausgehen, daß die Begrenztheit der Mittel hier eine natürliche Grenze gezogen hat.
Ich rufe die nächste Frage auf, Frage 71 des Herrn Abgeordneten Niegel:Wie setzt sich der innerdeutsche Handel nach Gütern absolut und relativ zusammen?Herr Staatssekretär!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8173
Herr Kollege Niegel, 1973 wurden im innerdeutschen Handel gewerbliche Waren im Werte von 4,28 Milliarden Verrechnungseinheiten — das sind 83 % — sowie Erzeugnisse der Ernährungs- und Landwirtschaft im Werte von 0,87 Milliarden Verrechnungseinheiten — das sind 17 % —geliefert und bezogen.
Im ersten Halbjahr 1974 belief sich der Wert der gewerblichen Waren auf 2,43 Milliarden Verrechnungseinheiten — gleich 86% —, der der landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf 0,4 Milliarden Verrechnungseinheiten — gleich 14%.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Möhring wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministers sind beantwortet.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Logemann zur Verfügung.
Die erste Frage, die Frage 72, ist von Herrn Abgeordneten Eigen eingebracht.
Liegt darin nicht ein Widerspruch, daß die Bundesregierung mit den Ländern gemeinsam 950 Millionen DM in strukturschwachen Räumen zur Konjunkturbelebung einsetzen will, andererseits aber im Einzelplan 10 des Bundeshaushaltsplans die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" um 133 Millionen DM zu senken gewillt ist?
Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung hat die Absicht, insgesamt 950 Millionen DM für ein Sonderprogramm zur regionalen und lokalen Abstützung der Beschäftigung zur Verfügung zu stellen. Ein Teil dieses Programms wird von Bund und Ländern zu gleichen Teilen finanziert. Die Zielsetzung des Programms ist weder in sektoraler noch in regionaler Hinsicht mit der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur vergleichbar. Daher können aus der finanziellen Ausstattung dieser beiden Maßnahmen auch keine Schlußfolgerungen der von Ihnen erwähnten Art gezogen werden. Über die von der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale angestellten Erwägungen, den im Einzelplan 10 des Haushaltsentwurfs 1975 für die Gemeinschaftsaufgabe vorgesehenen Ansatz um 80 Millionen DM zu senken, wird im übrigen im Rahmen der Haushaltsberatungen vom Parlament zu entscheiden sein.
Herr Kollege, bei den Zusatzfragen mache ich Sie darauf aufmerksam, daß die Fragestunde noch zweieinhalb Minuten dauert; nur, damit Ihre zweite Zusatzfrage auch noch an die Reihe kommt.
Ich stelle nur eine Frage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Beantwortung meiner Frage entnehmen, daß Sie nicht der Meinung sind, daß die Mittel, die im Strukturbereich der Landwirtschaft ausgegeben werden, auch im schwach strukturierten ländlichen Wirtschaftsraum von Bedeutung sind?
Durchaus, das habe ich auch nicht abgelehnt.
Dann rufe ich noch die Frage 73 des Abgeordneten Eigen auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Italien große Mengen Fleisch aus dem Ostblock einführt, und was gedenkt sie gegebenenfalls zum Schutze der deutschen und vor allem der bayerischen Landwirtschaft dagegen zu unternehmen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Der Bundesregierung liegen keine Angaben über Verstöße gegen das Einfuhrverbot auf dem Rindfleischsektor in Italien vor. Wie ich in meiner Antwort auf eine ähnlich lautende Anfrage des Kollegen Dr. Früh vom 2. September 1974 bereits zum Ausdruck gebracht habe, wird die Bundesregierung die Einhaltung der bestehenden EG-Vorschriften weiterhin mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln überwachen und bei etwaigen Verstößen in anderen Ländern bei den zuständigen EG-Gremien vorstellig werden.
Zusatzfrage.
Kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, Herr Staatssekretär, daß Sie zu den Parlamenten der acht weiteren Mitglieder der Gemeinschaft keinerlei Beziehung haben? Denn der Senator Demassy hat in Rom im Parlament gesagt, daß im Juli und August entgegen den Bestimmungen der Einfuhrsperre 10 000 Tonnen aus dem Ostblock eingeführt worden sind.
Ich kann von hier aus nicht sagen, ob diese Einfuhren, die Sie eben erwähnten, gegen die Bestimmungen des Vertrages oder der Importsperre erfolgt sind. Das müßte nachgeprüft werden. Wir stehen jedenfalls durchaus mit anderen Ländern in Verbindung und prüfen, wie gesagt, die Zufuhren ganz genau.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden Sie in Zukunft auch die Aussagen von Abgeordneten und Senatoren in den Parlamenten beachten, damit Sie wissen, was in den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft tatsächlich geschieht?
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8174 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Ich unterstelle, daß das bisher geschehen ist und auch künftig geschehen wird.
Herr Kollege Früh, ich gebe Ihnen noch die Zusatzfrage, weil Sie der nächste Fragesteller sind, der an die Reihe gekommen wäre.
Danke sehr, Herr Präsident.
Können Sie wirklich bestätigen, daß auch aus Jugoslawien keine Importe nach Italien gegangen sind? Dieses Gerücht hält sich nämlich hartnäckig.
Herr Dr. Früh, es ging eben um Zufuhren nach Italien aus anderen Ländern. Ich bin hier nicht auf Jugoslawien im einzelnen eingegangen. Ich kann Ihnen diese Frage nicht mündlich beantworten. Ich will sie lieber schriftlich beantworten.
Am Ende der Fragestunde darf ich noch folgendes bekanntgeben: Die Fragen A 75, 84, 85, 92, 93, 94, 101, 102, 103, 104 und 105 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit stehen wir am Ende der Fragestunde.
Entsprechend einer interfraktionellen Vereinbarung fahren wir fort mit der Beratung des Tagesordnungspunkts 13:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes
— Drucksache 7/2524 —
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung, Herr Leber.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 29. November 1973 habe ich namens der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag eine Erklärung zur neuen Wehrstruktur abgegeben. Ich habe damals im einzelnen darstellen können, welche Kriterien und welche Analysen uns bewogen haben, unserer Bundeswehr eine neue Struktur zu geben. Ich kann deshalb heute darauf verzichten, die gesamte Wehrstruktur noch einmal im einzelnen darzustellen.Diese erste Lesung des vorliegenden Gesetzentwurfs gibt mir jedoch Gelegenheit, einige Bemerkungen zum Gesamtzusammenhang und zur Einleitung zu machen.Zunächst komme ich zu der Frage: Warum eine neue Wehrstruktur. Die eingehende Untersuchung der heutigen Wehrstruktur hat klar ergeben, daß die Entwicklung der Kosten für Investitionen und für den Betrieb von Streitkräften dazu führen würde, daß sich der Investitionsanteil am Verteidigungshaushalt zunehmend verringert und damit die notwendige moderne Bewaffnung, die Modernisierung unserer Bundeswehr nicht mehr gewährleistet werden könnte.Es gibt in vielen Ländern der Welt Beispiele da- für, welche Wirkungen es hätte, wenn wir nicht rechtzeitig darauf reagieren würden. Es gibt auch in unserem Lande in anderen Institutionen bis hinein in die Wirtschaft genügend Beispiele für die Auswirkungen, wenn nicht auf steigende Personalkosten und deren Auswirkung auf den investiven Bereich rechtzeitig reagiert wird.Dieser Befund hat es notwendig gemacht, durch eine neue Wehrstruktur Betriebsmittel zugunsten von Investitionen frei zu machen. Damit wird auf einem Felde, das wir steuern können, ein Beitrag dazu geleistet, daß der Verteidigungshaushalt auch in der zweiten Hälfte der 70er und in den 80er Jahren eine moderne Ausrüstung unserer Streitkräfte ermöglicht.Manche Kritiker haben diesem Befund zwar zugestimmt, sie haben aber auch gemeint, es sei weder der richtige Zeitpunkt, noch sei angeraten, die Wehrstruktur so, wie es beabsichtigt ist, zu ändern. Zu beiden Fragen — warum jetzt eine neue Wehrstruktur, und warum so? — möchte ich gern folgendes bemerken.Erstens. Das Atlantische Bündnis bleibt Grundlage unserer Sicherheit. Aber ebenso, wie die politische Funktion des Bündnisses den Aufgaben der Zukunft angepaßt werden muß und permanent in der Diskussion ist, so sehr ist auch das Wie an optimaler Verteidigungsfähigkeit im militärischen Bereich in den einzelnen Ländern nicht starr, sondern muß sich immer wieder neu zu orientieren suchen an einer Umwelt, die in einer permanenten Veränderung begriffen ist. Zwar gelten die Grundprinzipien der Strategie der Flexiblen Reaktion unverändert fort; aber es hieße die Augen verschließen, wenn man verneinen wollte, daß sich die Handhabung dieser Strategie in den letzten Jahren gewandelt hat. Diese Wandlung ist gekennzeichnet durch das Gebot zur Präsenz, zu hoher Beweglichkeit, zu intensiver Feuerkraft vor allem im Bereich der Abwehr gegen gepanzerte Angriffskräfte. Moderne Streitkräfte müssen jederzeit ohne materielle und personelle Ergänzungen aus dem Stand eingesetzt werden können. Andernfalls haben sie nicht den Verteidigungswert, der abschreckend genug wirkt, damit der Verteidigungsfall erst gar nicht eintritt.Die heutige Bundeswehrstruktur wird diesen Anforderungen nach unserer Überzeugung nicht ausreichend gerecht. Es ist deshalb dringend geboten, sie jetzt zu verändern. Es erscheint aber auch günstig, daß wir uns die neue Wehrstruktur jetzt vornehmen. Überall in den modernen Industriegesellschaften Westeuropas wird über den Sinn der Ver-
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Bundesminister Leberteidigung nachgedacht; es werden praktische, zum Teil auch falsche Konsequenzen daraus gezogen.Im Zusammenhang mit der von der Bundesregierung beharrlich betriebenen Politik mit dem Versuch zur Entspannung möchte ich auf zwei Aspekte besonders hinweisen. Zum einen macht die neue Wehrstruktur deutlich, daß die Bundesrepublik Deutschland verteidigungswillig ist und daß sie verteidigungsfähig bleiben will; beides ist wichtig. Andererseits macht sie aber auch deutlich, daß es uns ausschließlich darum geht, uns wirklich und glaubhaft nur verteidigen zu können. Wir wollen nicht fähig sein, durch Offensivkraft irgend jemand anderen zu bedrohen.
Dieser Wille zur Verteidigung findet seinen augenfälligen Ausdruck in unserer Entschlossenheit, am Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten. Die Bundesregierung läßt keinen Zweifel daran, daß es notwendig ist, daß im Staat diejenigen Pflichten erfüllt werden, die ihn erst in die Lage versetzen, eine Politik der Entspannung zu betreiben. Die Wehrpflicht gehört zu diesen Pflichten. Sie macht deutlich, daß Verteidigung die Grundlage für Entspannungspolitik ist und auch bleiben muß. Die neue Wehrstruktur steht nicht im Widerspruch zu dieser Entspannungspolitik, sondern sie gibt dafür eine Basis ab und stützt sie geradezu.Insofern kann ich jene Kritiker nicht verstehen, die meinen, die neue Wehrstruktur dürfe jetzt wegen des Zusammenhangs mit MBFR nicht eingeführt werden, da sie eine einseitige Vorleistung auf MBFR darstelle. Ich kann diesen Kritikern versichern, daß es nicht den geringsten Gegensatz zwischen unserem Wehrstrukturkonzept und dem von uns mitentwickelten Bündniskonzept für die MBFR-Verhandlungen gibt. So sehen das auch unsere Bündnispartner, die ja wissen, was wir vorhaben. Das, was wir vorhaben, haben wir schon im Stadium der Entwicklung, lange bevor im Verteidigungsministerium eine Entscheidung darüber gefällt worden ist, Punkt für Punkt mit ihnen besprochen und gemeinsam erarbeitet. Wir haben dieses neue Wehrstrukturkonzept in voller Übereinstimmung mit den Partnern behandelt, mit denen wir auch an den Verhandlungstischen über MBFR sprechen.Es liegt aber im Interesse unseres Staates, nicht hier in aller Öffentlichkeit Verhandlungspositionen und Verhandlungstaktik zu erörtern. Ich möchte das mit sehr großer Deutlichkeit sagen. Ich sage deshalb dazu: wenn hier die Frage des Zusammenhangs zwischen MBFR und dem Inhalt dieses Gesetzes aufgeworfen werden sollte, dann kann und werde ich, auch wenn Sie mich hier provozieren sollten, nicht in aller Öffentlichkeit deutsche Verhandlungspositionen preisgeben, weil das schädlich wäre für diesen Staat.
Ich bin aber gern bereit — ich bin gern bereit, meine Damen und Herren —, im entsprechenden Kreis jede Auskunft auf Fragen zu geben, die sich bezüglich des Verhältnisses dessen, was hier zu behandeln ist, zu den MBFR-Verhandlungen für jeden stellen.Wir haben die Vorstellungen für eine neue Wehrstruktur im engen konsultativen Kontakt mit dem Bündnis entwickelt. Wir wissen, daß der Oberbefehlshaber der Bündnistruppen in Europa in vielen Reden in den Ländern des Bündnisses und auch in den Vereinigten Staaten von Amerika diese unsere neue Wehrstruktur als vorbildlich bezeichnet hat. Wenn die Opposition uns oder mir nicht zugeben will, daß die neue Wehrstruktur eine Verbesserung ist, dann sollte die Opposition wenigstens den höchsten Soldaten der Allianz und seine Stäbe, deren Urteilsfähigkeit und deren Verantwortungsbewußtsein nicht gering einzuschätzen sind, nicht falsch interpretieren und in unserem Lande Angstgefühle und im Bündnis Mißtrauen erzeugen, nur weil das vielleicht parteitaktisch nützlich sein könnte.
Zusammengefaßt ergibt sich für mich, daß wir die Wehrstruktur jetzt ändern müssen, um die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte zu sichern und das Bündnis durch unseren angemessenen Beitrag auch in der Zukunft zu festigen, und um der Entspannungspolitik durch eine gute Verteidigungsfähigkeit unseres Landes ein solides Fundament zu erhalten.Nun zu der Frage: warum diese Wehrstruktur, und warum keine andere? Unsere Verfassung gebietet, daß wir Streitkräfte zur Verteidigung aufstellen, zu keinem anderen Zweck als zur Verteidigung. Solange der Westen die Fähigkeit zu angemessener Verteidigung besitzt, bleibt das Gleichgewicht in der Welt ausreichend gewährleistet. Ich weiß, daß manche meinen, durch die neue Wehrstruktur werde das Gleichgewicht der Kräfte zu unseren Ungunsten verändert, und damit werde auch die Bedrohung größer. Diese Kritik irrt, weil sie auf einem falschen Gleichgewichtsbegriff beruht. Gleichgewicht bedeutet nicht, daß auf beiden Seiten eine numerisch gleiche Zahl an Soldaten und eine numerisch gleiche Zahl an Panzern oder Ausrüstungsgegenständen jedweder Art vorhanden sein muß. Gleichgewicht ist vielmehr dann gegeben, wenn unsere Verteidigungsfähigkeit deutlich macht, daß ein möglicher Gegner selbst bei zahlenmäßiger Überlegenheit keine Chancen hat, uns seine politischen Ziele mit Gewalt aufzuzwingen, weil wir unsere Fähigkeit zur Verteidigung so konkret, so nachhaltig und so ernst gestalten.Mit der neuen Wehrstruktur werden die Chancen, daß wir uns gegen die Aufzwingung eines fremden politischen Willens schützen können, größer, weil das Risiko für denjenigen wächst, der einen solchen Gedanken erwägen würde. Mit der neuen Wehrstruktur schaffen wir die Voraussetzungen, unsere Abwehrfähigkeit beträchtlich zu verbessern. Dies gilt vor allem für den Bereich der Panzerabwehr, aber auch für die Verteidigung in der Luft. Wir verbessern die Einsatzbereitschaft unserer Kampfverbände, indem wir ihre Mobilität erhöhen und sie von Ausbildungsaufgaben, aber auch von unnötigem Verwaltungsballast befreien.Wir werden eine größere Kostenwirksamkeit in der Verteidigung erreichen, weil die neuorganisierten Einheiten die Gewähr dafür bieten, daß durch entsprechend intensivere Ausbildung teure und leistungsfähige Abwehrwaffen wirklich beherrscht wer-
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Bundesminister Leberden und eine größere Effizienz der Streitkräfte erreicht wird.Mit der neuen Struktur erhalten wir aber auch größere politische Flexibilität. Dort, wo die Regierung bis jetzt nichts anderes tun konnte, als gegebenenfalls — wenn ein solcher Fall eingetreten wäre— den politisch aufwendigen Übergang aus der Friedenssituation zur Mobilmachung zu vollziehen, schaffen wir jetzt mit Hilfe der Verfügungsbereitschaft ein Instrument, das nicht die eskalierende Wirkung einer Mobilmachung hat, wohl aber in Zeiten einer Krise die Verteidigungsbereitschaft dieses Landes für jeden deutlich zu signalisieren in der Lage ist.
Gerade in einer Zeit, in der sich die Staaten unterschiedlicher Gesellschaftssysteme anschicken, Konflikte besser in den Griff zu bekommen, Konflikte künftig besser als bisher kontrollierbar zu machen und damit die Chancen für den Frieden zu verbessern, ist es bedeutsam, ein politisch handhabbares flexibles Instrument zu besitzen, wie es die Verfügungsbereitschaft darstellt.Mit anderen Worten: Die Verfügungsbereitschaft ist nicht Ersatz für irgend etwas, sondern sie ist ein zusätzliches Mittel und eröffnet zusätzlichen Spielraum zur Verteidigung unseres Landes für den Fall, daß wir jemals vor diese Frage gestellt werden würden.Mit der Einführung der Verfügungsbereitschaft wird auf Dienste verzichtet, die zur Erfüllung der Friedensfunktion unserer Bundeswehr nicht erforderlich sind, wird auf Funktionen verzichtet, die im Ernstfall nötig wären. Darunter befindet sich keine Dienstleistung, die den Dienst an der Waffe betrifft. Sie kennen alle die Beispiele, meine Herren. Ein Bataillon braucht im Ernstfall 12 Sanitäter; ein Bataillon muß im Ernstfall 12 Sanitäter zur Verfügung haben. Zur Erfüllung seiner Friedensfunktion braucht es nicht 12 Sanitäter. Deshalb verzichten wir darauf, im Frieden 12 Sanitäter Dienst tun zu lassen. Dies hat nichts mit dem Dienst an der Waffe zu tun.
— Sie wissen das besser als SACEUR, Herr Wörner, Sie wissen das besser als das ganze Bündnis, Sie wissen das besser als alle Soldaten der Bundeswehr, die diese Wehrstruktur erarbeitet haben.
— Sie haben ja nachher Gelegenheit, sich dazu zu äußern.
Herr Kollege Wörner, es gibt bei der Einbringung keine Zwischenfragen.
Ich bin bald fertig. Ich bin gern bereit, mit Ihnen zu diskutieren. Wir haben das eben gerade 50 Minuten vordem Fernsehen getan. Das können wir heute nachmittag auch noch fortsetzen.
Unter diesen Dienstleistungen befindet sich keine Dienstleistung an der Waffe, sondern es sind ausschließlich Dienste, die zur Erfüllung der Friedensfunktion der Bundeswehr nicht erforderlich sind. Mit dieser Lösung bleiben wir — dies ist entscheidend; sonst hätten wir das Siegel, die Abstimmung, das Ja und die gute Note der NATO nicht erhalten —unter den vollen Bedingungen der NATO-Regeln, die uns in bezug auf Präsenz auferlegt sind, und wir sparen Geld für Personal, das im Frieden nicht benötigt wird. „Gammeln" nennt man das draußen im Lande.Diese Mittel, die wir dort sparen an Diensten, die zur Erfüllung der Friedensfunktion nicht nötig sind, möchten wir in die Modernität der Streitkräfte und in eine Verbesserung ihrer Ausstattung mit Waffen stecken. Wenn ich die Wahl habe zwischen der Bezahlung von 30 000 Soldaten, die ich zur Erfüllung der Friedensfunktion nicht benötige, die aber jederzeit dasein werden, wenn es im Ernstfall nötig ist, und der Verwendung dieses Geldes zum Kauf moderner Waffen, entscheide ich mich für eine modernere Ausrüstung der Streitkräfte. Dann habe ich mit Sicherheit unseren Soldaten und unserem Lande einen größeren Dienst erwiesen.
Ich höre, das sei doch ein Klacks — ich kann das zitieren —, nur 360 Millionen DM kämen bei dem Spaß heraus.
— Und wenn es 350 Millionen DM wären, Herr Dr. Wörner! Das wissen Sie gar nicht.
Das ist der Stand, den Sie jeweils erreichen, wie schlecht Sie auch rechnen wollen oder welche Prämissen Sie unterstellen. Diese 360 Millionen DM sind vom Führungsstab der Streitkräfte errechnet worden. Der ist zwar nicht so voll im Bilde wie Sie, welche Auswirkungen das hat, aber das ist seine Rechnung, auf die der Verteidigungsminister sich einläßt.
Ich sage darauf: Wir sind verpflichtet, sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler umzugehen, mit jeder Mark sorgsam umzugehen und mit 360 Millionen DM erst recht, meine Damen und Herren!
Wenn Sie sagen, es sind ja nur 180 Millionen DM, dann sage ich Ihnen: mit einer Mark sorgsam und mit 180 Millionen DM auch sorgsam.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8177
Bundesminister LeberZweitens. Wer dieser Vorlage seine Zustimmung verweigert und nicht sagt, woher er dieses Geld — wieviel es auch immer ist, was diese 30 000 Soldaten kosten —, das wir einsparen wollen und werden, zusätzlich nehmen kann, der beschließt damit praktisch eine Verminderung der Investitionen zum Zwecke einer modernen Bewaffnung für unsere Soldaten. In dem Obligo sind Sie.
Um etwaige Irrtümer zu vermeiden, will ich zum Schluß aber auch auf die Frage antworten, was die neue Wehrstruktur nicht ist. Erstens. Sie ist kein Mittel, um unsere Verteidigung billiger zu machen, sondern ein Mittel, um sie besser zu machen. Wir gewinnen erst Anspruch darauf, den Steuerzahler um mehr Geld zu fragen für unsere Verteidigung, wenn wir vorher alles getan haben, was in unseren Kräften stand, um uns mit den Mitteln, die es gibt, so effektiv wie möglich verteidigen zu können.
Das zweite. Sie entläßt uns und unsere europäischen Partner im Atlantischen Bündnis nicht aus der Pflicht zur Rationalisierung und zur Standardisierung auch auf anderen Gebieten. .Sie vermindert nicht die nukleare Verantwortung der Vereinigten Staaten von Amerika; allenfalls könnte sie diese Verantwortung erleichtern helfen. Sie kann nicht die politische und militärische Präsenz der Vereinigten Staaten von Europa ersetzen.Meine Damen und Herren, ich bitte das Hohe Haus um Beratung und um Zustimmung zu diesem Gesetz.
Meine Damen und Herren, damit ist die Vorlage begründet.
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ernesti.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werte die Aufregung des Ministers bei der Einbringung dieses Gesetzes
als Unsicherheit seiner eigenen Vorschläge.
Herr Minister, auch die Drohung, die Sie ausgesprochen haben gegenüber der Opposition — sie sollte dieses und jenes unterlassen und nicht sagen —, wird mich nicht davon abschrecken, das zu sagen, was die Opposition für richtig hält.
Namens meiner Fraktion habe ich heute Stellung nehmen zu dem Gesetzentwurf der Bundesregie-rung hinsichtlich eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes. Die Drucksache liegtIhnen vor: 7/2524. Es handelt sich um die Einführungeines Wehrdienstes in der Verfügungsbereitschaft.Dieser Entwurf gehört zu einem umfangreichen Paket weiterer Maßnahmen, das noch mit sehr vie- len Unbekannten behaftet ist und unter dem Stich- wort „Änderung der Wehrstruktur" mit großem Auf- wand angekündigt wurde.
Die Bundesregierung, insbesondere der Verteidigungsminister, weiß ganz genau, daß sie immer davon ausgehen kann, auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik unsere uneingeschränkte Zustimmung zu allen Maßnahmen zu erhalten, sofern diese der sicherheitspolitischen Lage gerecht werden, unserer äußeren Sicherheit dienen und die Bundesregierung hierbei ihre wichtige Aufgabe wahrnimmt, unserem Volke in der gebotenen Deutlichkeit und ohne Schönfärberei die Tatsachen klarzumachen.
Wir wenden uns daher auch nicht gegen einen Modernisierungsprozeß in den Streitkräften, den wir als einen entscheidenden Beitrag zur Qualität der Abschreckung ansehen. Uns ist bewußt, daß auf die Dauer bei einem Fest- halten am Umfang unserer Bundeswehr und bei gleichzeitiger Modernisierung die Mittel, die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden, nicht mehr ausreichen werden. Knappe Haushalts- mittel, steigende Personalkasten sowie anhaltende Kostenexplosionen der Waffensysteme — ein aktuelles Beispiel ist das MRCA — sind die Ursachen, die zu weiterführenden Überlegungen zwingen.Indessen helfen hier keine halben Maßnahmen oder Notlösungen mehr, die das eigentliche Problem nur sehr kurzfristig vor sich herschieben. Wir würden daher einer Änderung der Wehrstruktur zustimmen, wenn diese einen wirksamen Beitrag zur Gewährleistung unserer äußeren Sicherheit darstellt. Dies trifft jedoch für die vorgesehenen Maßnahmen, insbesondere für die Einführung einer Verfügungsbereitschaft, nach unserer Einschätzung nicht zu.
Was wir grundsätzlich an diesem Gesetzentwurf auszusetzen haben, möchte ich vorab in drei wesentlichen Punkten kurz zusammenfassen: erstens die großen Versprechungen, zweitens die sicherheitspolitische Lage und drittens nicht abgeschlossene Untersuchungen.Zum ersten Punkt. Wie in manchen anderen Be- reichen der Politik ist auch hier in großen Ankündigungen wieder mehr versprochen und dem staunenden Bürger in Aussicht gestellt worden, als gehalten wurde. Ich will das an zwei Beispielen verdeutlichen.Nach dem ersten Bericht der unabhängigen Wehrstrukturkommission, „Wehrgerechtigkeit in derg Bundesrepublik Deutschland", am 3. Februar 1971vorgelegt, die zu dem Entschluß der Herabsetzungder Wehrdienstzeit von 18 Lauf 15 Monate führte,t rechnete man allenthalben mit 'der Herstellung einesg Maximums an Wehrgerechtigkeit. Hierbei darf andie vielversprechenden Erklärungen des damaligen
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ErnestiVerteidigungsministers und heutigen Bundeskanzlers — das ist ja auch im Weißbuch nachzulesen — hingewiesen werden. Er hat damals im Weißbuch geschrieben: „Die Erreichung größerer Wehrgerechtigkeit bei der Durchführung der Wehrpflicht ist zum Kernproblem und Prüfstein des derzeitigen Wehrsystems geworden." Oder ich darf an die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 erinnern, in der es noch hieß: „Wir wollen ein Maximum an Gerechtigkeit durch Gleichbehandlung der wehrpflichtigen jungen Männer schaffen." Der große Wurf des damaligen Verteidigungsministers zur Erreichung eines Maximums an Wehrgerechtigkeit erwies sich indessen meines Erachtens als ein Schlag ins Wasser. Man hatte viel versprochen, aber nur wenig gehalten; denn was allen Kennern der Sachlage — wir haben häufig genug darauf hingewiesen — vorher bekannt war, wurde bereits im nächsten Wehrstrukturkommissionsbericht zugegeben. Und zwar hieß es in diesem Bericht — „Die Wehrstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, Analyse und Optionen" —, der dann am 28. November 1972, also nach knapp zwei Jahren, vorgelegt wurde, auf Seite 26: „Die Zahl der wehrpflichtigen Bürger steigt in den nächsten Jahren so, daß Wehrgerechtigkeit durch Heranziehen aller Wehrdienstfähigen bei 15 Monaten Grundwehrdienst und gleichbleibendem Umfang der Bundeswehr nicht mehr erreicht werden kann."Meine Damen und Herren, die Bankrotterklärung des Verteidigungsministers ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten. Inzwischen ist bekannt, daß die Frage der Wehrgerechtigkeit durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zu lösen ist. So jedenfalls lesen wir es in dem vorliegenden Gesetzentwurf, der ausdrücklich bestätigt, daß Wehrgerechtigkeit allein durch Maßnahmen der Bundeswehr nicht zu erreichen ist.Dann ging man seitens der Regierungsparteien — hier muß ich ausdrücklich den Verteidigungsminister ausnehmen — im Lande herum und kündigte große Wehrstrukturreformen an. Das Bild eines kreißenden Berges wurde entworfen, eine Maus wurde geboren.Beide Beispiele erklärten dem staunenden Laien, daß bei Verkürzung der Wehrdienstzeit bzw. bei Verminderung der Zahl der präsenten Soldaten die Einsatzbereitschaft erhöht würde. Das hört sich, meine Damen und Herren, etwa so an wie die Behauptung, man brauche die Spieler einer Bundesligamannschaft nur weniger trainieren zu lassen und die Mannschaft um einen Spieler schlanker zu machen, um sich den Titel eines deutschen Meisters zu sichern.
Nicht selten — das müssen wir leider auch an dieser Stelle beklagen — wird der militärische Sachverstand oft im parteipolitischen Interesse vergewaltigt.
Oder sollte es reiner Zufall sein, daß z. B. die Maßnahme zur Verringerung der Wehrdienstzeit ausgerechnet vor den letzten Bundestagswahlen zur Auswirkung kam?
-- Herr Kollege, ich bin Ihnen dafür dankbar, daß Sie den Zwischenruf gemacht haben. Ich habe darauf gewartet, um Ihnen an dieser Stelle endlich einmal zu sagen,
wie der Vorgang eigentlich gewesen ist, damit Sie mit dem Märchen draußen aufhören.
Wir haben den 15 Monaten nur deswegen zugestimmt, weil — vielleicht nehmen Sie auch einmal die Begründung dafür entgegen, Herr Kollege —
der Verteidigungsminister am Rande der Legalität, ohne eine gesetzliche Handhabe zu haben,
organisatorisch die Bundeswehr bereits auf 15 Monate umgestellt hatte und uns alle Fachleute sagten, daß ein Zurückdrehen jetzt wieder auf 18 Monate größeres Unheil bewirkte, als wenn wir den 15 Monaten zustimmten.
Nur deswegen haben wir den 15 Monaten zugestimmt.Ich sage noch einmal, daß es sicherlich kein reiner Zufall war, daß die Verringerung der Wehrdienstzeit ausgerechnet vor den letzten Bundestagswahlen zur Auswirkung kam
und die Presseberichten zufolge in Aussicht gestellte Wahlfreiheit bezüglich der Ableistung des Ersatzdienstes bei abgelehntem Wehrdienst — ich erinnere hier an die Erklärung des Verteidigungsministers — gerade zum Zeitpunkt zweier wichtiger Landtagswahlen veröffentlicht wurde und im Wahljahr 1976 Wirklichkeit werden soll. Ich glaube nicht an den Zufall, meine Damen und Herren.Zu Punkt 2. Die sicherheitspolitische Lage wird durch die gegenläufige Entwicklung in Ost und West entscheidend gefährdet: dort wachsendes Militärpotential der Sowjets und hier Nachlassen der Verteidigungsanstrengungen in den europäischen Staaten einschließlich der Bundesrepublik. Wir steuern unaufhaltsam einem Punkt zu, an dem Verteidigung und Abschreckung nicht mehr wirksam sein werden. Dies ist genau der erwähnte gefährliche Punkt. Von der Bundesregierung muß erwartet werden, fortlaufend mit ungeschminkter Deutlichkeit die Gefährdung unserer Sicherheit aufzuzeigen. Wir leben eben nicht in einer ruhigen und sicheren Landschaft. Die Gefährdung, durch militärisches Übergewicht politischem Druck ausgesetzt zu werden, ist im Wachsen. Hier hilft weder Euphorie noch Beschwichtigung.
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ErnestiDie gewaltige Rüstung des Ostblocks kann doch nur einem politischen Zweck dienen. Es ist noch nicht lange her — es war im April 1974 —, daß der sowjetische Verteidigungsminister Gretschkow einen Artikel in der ideologisch-sowjetischen Zeitschrift „Kommunist" über Lenin und die Streitkräfte der Sowjetstaaten veröffentlichte. Hier ist, in eine verständliche Sprache übersetzt, zu lesen, daß Lenin als unübertroffener Heerführer geistiger Vater aller Doktrin der Roten Armee und die Rote Armee Wächter und Treuhänder der Gedanken Lenins zu allen militärpolitischen Fragen seien. Weiter ist zu lesen, daß es sehr wohl auch künftig gerechte und fortschrittliche Kriege geben werde und daß die Kriegsgefahr weiter bestehe, nicht nur weil reaktionäre Kreise im Westen den Erdball zum kalten Krieg zurückführen wollten, sondern auch weil die Tendenz der materiellen Vorbereitung eines Weltkrieges erkennbar sei.In diesem Zusammenhang darf ich auch aus einem Artikel von Dieter Cycon in der „Welt" vom 3. April 1974 hinweisen. Ich zitiere sinngemäß: Keine Macht nimmt dies alles in Kauf, nur um Generalen Spielzeuge in die Hand zu drücken; denn Rüstungen kosten viel Geld, haben wirtschaftliche Umwalzungen aller Art zur Folge, erfordern Entbehrungen und Opfer der Bevölkerung und schwören gefährliche innenpolitische Entwicklungen herauf; sie entschließt sich zu solchen Anstrengungen nur, wenn sie davon einen politischen Gewinn erwartet; und nur die Hoffnung auf einen enormen politischen Gewinn kann die enormen militärischen Anstrengungen des Sowjetstaats rechtfertigen.
Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund einer solchen Lage müssen wir nachhaltig vor Maß- nahmen warnen, die letzten Endes unsere Verteidigungsbereitschaft auf lange Sicht schwächen.
Es hätte dem Bundesminister der Verteidigung besser angestanden, zu erklären, daß man gezwungen wurde, aus der Not eine Tugend zu machen,
und nicht die Öffentlichkeit in dem Glauben zu lassen, es handle sich z. B. bei der Einführung der Verfügungsbereitschaft, die das Kernstück der neuen Wehrstruktur darstellt, um eine Stärkung der Kampfkraft unserer Streitkräfte.Zu Punkt 3. Der Gesetzentwurf wird vorgelegt, ohne daß zu einer Fülle im Zusammenhang mit dem Gesamtpaket „Wehrstruktur" aufgeworfener Fragen erschöpfend Stellung bezogen wurde. An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, daß, nachdem am 5. Dezember 1973 in der 17. Sitzung des Verteidigungsausschusses seine Mitglieder über die neue Struktur der Bundeswehr unterrichtet wurden, nahezu vier Monate vergingen, bis eine Anzahl dort vorgelegter Fragen — und diese auch nur unvollständig — beantwortet wurden.Darüber hinaus sind auch noch laufende Untersuchungen abzuschließen, deren Ergebnisse vor einer umfangreichen Stellungnahme vorliegen sollten. Es sind Untersuchungen, die nicht vor Ende 1974 und zu einem Teil erst 1975 abgeschlossen sein werden. Ich erinnere nur an die Untersuchungen bezüglich der Organisation der neuen Kommandostruktur des Heeres, detaillierter Stellenpläne für alle Truppenteile und den Schülerumfang, insbesondere auch detaillierter Aufgabenstellung der einzelnen Dienstposten der 30 000 Angehörigen der Verfügungsbereitschaft in den einzelnen Einheiten. Bleiben Sie uns doch endlich mit den Sanitätern und den Kraftfahrern weg! Das haben wir jetzt oft genug gehört. Wir wollen genau wissen, welche 30 000 Stellen in die Verfügungsbereitschaft hineingenommen werden.
Weiter sind nicht untersucht: streitkräftegemeinsame Aufgaben, die viel Geld einsparen können, ein raumdeckendes System des Sanitätsdienstes, eine neue logistische Konzeption, die Anpassung der Bundeswehrverwaltung an die neue Bundeswehrstruktur und Möglichkeiten der Aufgabenteilung im Bündnis.Alle diese Tatsachen, meine Damen und Herren, drängen doch die Frage auf, warum ein solcher Gesetzentwurf mit dieser Eile vorgelegt wird, zumal, wie auch der Haushalt 1975 erkennen läßt, das Verhältnis von Betriebskosten zum Investitionsanteil bei 68 bzw. 32 % liegt. Im zweiten Bericht der Wehrstrukturkommission wird eine Grenze von 70 zu 30 % gefordert.Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund werden wir heute gezwungen, in dieser ersten Lesung Stellung zu nehmen. Es muß ausdrücklich festgestellt werden, daß ein großer Teil unserer Bedenken trotz vieler beruhigend klingender Behauptungen in der Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates bestehenbleiben. Ich fasse diese wie folgt zusammen:Erstens. Mit der Einführung eines Wehrdienstes in der Verfügungsbereitschaft wird meines Erachtens ein fragwürdiger Präsenzbegriff vorausgesetzt. Er berücksichtigt nicht, daß die Truppen des Warschauer Paktes fähig sind, in einer Phase ängstlicher Zurückhaltung der politisch Verantwortlichen aus dem Stand zum Angriff anzutreten. Ebenso ist die Gefahr einer überraschenden Gewaltanwendung gerade in einer vermeintlichen Entspannungsphase nicht auszuschließen, wie das grausame Beispiel des Einmarsches in die CSSR lehrt; dem Überfall gingen immerhin ausdrückliche Freundschaftsbeteuerungen voraus.
General Rall schrieb am 29. März dieses Jahres in der „Rheinischen Post" :Der Warschauer Pakt ist ohne große Vorbereitung fähig, aus dem Stand anzugreifen, mit einer für uns nur sehr kurzen Vorwarnzeit.Hier muß auch darauf hingewiesen werden, daß die Manöver der Warschauer Paktstaaten in den
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Ernestiletzten Jahren Blitzkriegcharakter trugen und auf weitgreifenden Raumgewinn hin konzipiert waren. In diesem Zusammenhang ist eine fachmännische Auswertung des letzten Nahostkrieges interessant. Er hat unter anderem gelehrt, daß es selbst einem qualifizierten Nachrichtendienst nicht immer möglich ist, die tatsächlichen Absichten eines Gegners genau vorauszusagen.Machen wir uns doch nichts vor, meine Damen und Herren. Wenn in dem vorliegenden Gesetzentwurf zu lesen ist, mit den erhöhten Pflichten der Wehrpflichtigen im Rahmen der Wehrüberwachung, nämlich der Pflicht zur Mitteilung von bevorstehenden Anschriftenänderungen, ist sichergestellt, daß auch die formlose Mitteilung die Angehörigen der Verfügungsbereitschaft in allen Situationen erreicht, und außerdem durch eine standortnahe Einplanung gewährleistet sein soll, daß die Angehörigen der Verfügungsbereitschaft rechtzeitig zu ihrer Einheit gelangen, so kann damit doch nur eine auf dem Papier stehende Präsenz gemeint sein. Die Schwierigkeiten der Rückberufung der Soldaten aus der Verfügungsbereitschaft zur Truppe sind zu vielschichtig, als daß man sich mit beruhigenden Erklärungen zufrieden geben sollte. Vor allem die lange Dauer von 12 Monaten Verfügungsbereitschaft garantiert keinesfalls das reibungslose Funktionieren.Zweitens. Auch wenn behauptet wird, daß die in Übungen durchgeführte Einberufung von Teilen dieser Verfügungsbereitschaft ein normaler und routinemäßiger Vorgang im Frieden sei, liegt es doch auf der Hand, Herr Minister, daß die plötzliche Einberufung von 30 000 Mann einen spektakulären Effekt zur Folge hat, der sich um so gravierender auswirken muß, je ernster sich die Krise entwickelt.
Hieraus müssen sich unweigerlich konfliktverschärfende Folgen ergeben. Die Einberufung in der in § 23 Abs. 3 des Gesetzentwurfes vorgesehenen Form durch Aufruf in Funk und Fernsehen kann im In-und Ausland doch nur als Maßnahme einer Mobilmachung wenn auch unter anderen Vorzeichen, verstanden werden.
Abgesehen von diesen Komplikationen gehört im geeigneten Augenblick vor allen Dingen eine mutige Regierung dazu, die die Verfügungsbereitschaft rechtzeitig ausrufen wird.
Bemerkenswerterweise wurde vor einiger Zeit noch in einer Sitzung der WEU offen die Befürchtung ausgesprochen, ob in Krisenzeiten von einer Regierung entsprechende Maßnahmen überhaupt noch getroffen werden können.Drittens. Die Einführung eines zusätzlichen Wehrdienstes in der Verfügungsbereitschaft sowie die Auswahl bestimmter Wehrpflichtiger für diese Art des Wehrdienstes verschärft die Wehrungerechtigkeit.
Wir werden das Problem der Wehrungerechtigkeit — von der Bundesregierung wird es dagegen oft nur im Rahmen der Wahlpropaganda benutzt — nicht aus dem Auge verlieren.Von dieser Stelle wird so häufig nach Alternativen gefragt. Meine Fraktion hat am Ende der letzten Legislaturperiode anläßlich der Erörterung der dritten Novelle zum Ersatzdienstgesetz einen Entschließungsantrag zur Wehrgerechtigkeit eingebracht. In diesem Entschließungsantrag, an den immer wieder erinnert werden soll, wird vorgeschlagen, daß auf der Grundlage des Art. 12 a des Grundgesetzes die herkömmlichen, allgemeinen öffentlichen Dienstleistungspflichten im Wehrdienst, die Dienste des Bundesgrenzschutzes sowie die Dienste in Einheiten und Einrichtungen des Zivilschutzes und die Dienste in einem Ersatzdienst auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts neu zu ordnen sind.Nun komme ich zu einem Punkt, Herr Minister, bei dem Sie gewarnt haben, wir sollten ihn nicht aufgreifen. Ich sage nichts Geheimes, Sie brauchen auch nichts Geheimes zu sagen. Was Sie uns zu sagen haben, können Sie uns in den vertraulichen Sitzungen des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses sagen. Trotzdem melde ich größte Bedenken hinsichtlich des Charakters des Verzichts auf 30 000 Soldaten in Vollpräsenz als Vorleistung im Hinblick auf die MBFR-Verhandlungen an,
die durch die in Ziffer 6 vorgelegten Gesetzentwurfes aufgeführte Feststellung nicht ausgeräumt werden können. Der Gesetzentwurf sagt hierzu zwar unter anderem: „Die neue Struktur der Bundeswehr bedeutet keine Vorleistung im Hinblick auf die MBFR-Verhandlungen." An einer anderen Stelle heißt es: „Allerdings trifft es zu, daß sowohl die Wehrstrukturreform als Maßnahme für eine effektive Organisation von Streitkräften als auch MBFR als ein Instrument der Entspannungspolitik unmittelbar auf die Streitkräfte einwirken. Daher wird auch die Bundesregierung bei der Realisierung der Wehrstrukturreform den Stand der MBFR-Verhandlungen gebührend berücksichtigen." Natürlich ist das so; aber Sie bekommen von uns nicht ohne weiteres eine Vollmacht dafür. Wir möchten als Parlament eingeschaltet bleiben.Wenn man aber davon ausgeht, daß das Ziel der Verhandlungen ein stabiles Gleichgewicht in Zentraleuropa auf niedrigem Rüstungsniveau sein soll und dazu angestrebt wird, den grundlegenden Asymetrien zwischen den beiden Blöcken Rechnung zu tragen, muß jede Verringerung der Präsenz unserer Truppen, die aus Kostenersparnisgründen heute um 30 000 und logischerweise bei weiteren Kostensteigerungen morgen oder übermorgen um eine noch höhere Zahl der Verfügungsbereiten praktisch gekürzt werden kann, die Verteidigungskraft schwächen.
Das wird als eine einseitige Vorleistung angesehen. Eine solche Vorleistung wird dann nicht mehr in den noch gegenseitig auszutragenden Verhandlungen zur Disposition gestellt werden können. Es
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Ernestiist offenkundig und geht aus vielen Beobachtungen hervor, daß zwar die östliche Seite Interesse daran zeigt, bestehende Differenzen zu überbrücken, aber nicht genügend Flexibilität gezeigt hat, um solche Ansätze zu Lösungen erkennen zu lassen. Woher nimmt man also den Optimismus, daß Vorleistungen wie die der Verfügungsbereitschaft nach ihrem Inkrafttreten noch Gegenstand von Verhandlungen sein können?Generalsekretär Breschnew hat am 26. Oktober 1973 öffentlich dargelegt — die Vertreter der östlichen Seite haben dies in der Eröffnungserklärung vom 30. und 31. Oktober in Genf unterstrichen —, daß ganze Einheiten reduziert werden sollen und die Reduzierung der Streitkräfte in prozentual oder summarisch gleichen Schritten vor sich gehen soll. Wir wissen, daß mit solchen Zielvorstellungen in erster Linie auch die Bundeswehr gemeint ist.Vor diesem Hintergrund — dies sei nochmals betont — muß im Rahmen der neuen Wehrstruktur die vorgesehene Verfügungsbereitschaft zwangsläufig als Vorleistung angesehen werden. Bei den MBFR-Besprechungen sollte man davon ausgehen, daß man das Ganze stets vor seinen Teilen sehen muß. Es geht heute und in Zukunft nicht urn Teilregionen der NATO, es geht um die Funktionsfähigkeit des Bündnisses schlechthin. Hier sollten wir kein schlechtes Beispiel geben, das sich als Signalwirkung für andere NATO-Partner auswirken könnte.Der von Bundesminister Leber wohl sehr voreilig angekündigte Plan der Auflösung der Wehrbereichskommandos scheint vorerst zurückgestellt zu sein und im Augenblick nicht weiter verfolgt zu werden. Dieser Plan zählt jedoch zum Gesamtkonzept der sogenannten Wehrstrukturreform, und daher muß an dieser Stelle — nur hier haben wir Gelegenheit, das öffentlich zu sagen — kurz auch einiges hierzu gesagt werden.Der beabsichtigten Lösung werden wir unsere Zustimmung aus folgenden Gründen versagen müssen. Erstens. Die weitere Fusion der nationalen militärischen Verteidigung in NATO-integrierte Kommandobehörden verstößt klar gegen den auch im Weißbuch 1973/74 Ziffer 85 aufgeführten Grundsatz, daß die Friedensstruktur der Verteidigungsstruktur entsprechen muß. Daher muß unter Berücksichtigung aller bündnispolitischen und militärischen Faktoren eine Trennung zwischen NATO-Truppen und nationaler militärischer Struktur bestehen bleiben.Zweitens. Wir werden darauf bestehen, daß die Führung und Organisation der territorialen Verteidigung auf ein regionales System ausgerichtet sein muß, das der Verwaltungsstruktur der Bundesländer anzupassen ist, wie dies übrigens auch im Weißbuch 1971/72 von Ihnen vertreten wurde. Wir bestehen daher ausdrücklich auf dem Verbleiben der Stäbe am Sitz der Landesregierung, da wir der zivilmilitärischen Zusammenarbeit insbesondere im Spannungsfall ganz besondere Bedeutung beimessen. Eine raumdeckende militärische Regionalorganisation stellt in Angleichung an den föderativen Aufbau der Bundesrepublik und unter besonderer Berücksichtigung der Organisation der zivilen Verteidigung eine wichtige Voraussetzung für ein funktionierendes Verteidigungssystem und die Wahrnehmung der legitimen nationalen Sicherungs- und Uberlebensinteressen dar.Was indessen unsere Einwendungen gegen die Verfügungsbereitschaft im besonderen Maße verstärkt, ist das Mißverhältnis zwischen den angeblich eingesparten Mitteln. Endgültig liegen noch keine detaillierten Angaben über echte Mehrkosten oder Einsparungen vor. Vorhin hat sich ja schon der Streit darüber, wie man nun rechnet, erneut ent- wickelt. Eines steht jedenfalls fest: daß hier keine Abklärung erfolgt ist, wieviel wirklich eingespart werden. Insbesondere muß man darauf achten, daß, wenn Mittel eingespart werden, sie im Verhältnis zu dem Verzicht auf 30 000 präsente Soldaten stehen müssen.Wir verschließen uns aus den bekannten Gründen — wie schon gesagt — nicht der Forderung nach Kosteneinsparung. Nicht einzusehen ist aber, daß ausgerechnet an der unwirtschaftlichsten Stelle gespart werden soll. Warum ausgerechnet bei den Wehrpflichtigen, Herr Minister?
Wie bekannt, besteht die Bundeswehr aus drei, in ihrer Stärke einigermaßen gleichen Säulen: den Wehrpflichtigen, den Berufs- und Zeitsoldaten und den Zivilbediensteten. Das Weißbuch 1973/74 weist die durchschnittlichen Personalkosten z. B. im Soldatenbereich folgendermaßen aus: Offiziere 36300 DM, Unteroffiziere 23 570 DM und Wehrpflichtige 11 660 DM pro Jahr. Ich meine, wenn Einsparungen erforderlich sind, dann sollte für keinen Bereich ein „tabu" gelten.Sie werden nach der Alternative fragen; das haben Sie auch schon wieder getan. Ich will gern einige Dinge nennen, die Sie untersuchen sollten.Vordringlich sehe ich in der Straffung z. B. der Führungsstäbe großen, wenn Sie wollen, doppelten Gewinn. Erstens besitzen wir eine der kopflastigsten Streitkräfte in Ost und West. Hier darf noch einmal an Parkinson erinnert werden: „Jeder Beamte wünscht die Zahl seiner Untergebenen, nicht aber die Zahl seiner Rivalen zu vergrößern" und „Beamte (also Soldaten) oder Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit." In diesem Sinn erinnert man sich beim Betreten eines so eindrucksvollen Gebäudes wie des Bundesministeriums der Verteidigung oder auch des Heeresamtes — um nur einige zu nennen — an das Beispiel Parkinsons, daß die Entwicklung der Zu- und Abnahme der Großkampfschiffe der britischen Flotte zu der Zahl der Offiziere und Beamten der Admiralität sich in einem absurden, völlig gegensätzlichen Verhältnis bewegte.Die Straffung der Führungsstäbe, meine Damen und Herren, dürfte nicht nur eine Erhöhung der Schlagkraft, sondern auch, nämlich durch die Zusammenlegung von auf dem gleichen Sachgebiet doppelt und teilweise dreifach arbeitenden Dienststellen mit gleichzeitiger Rationalisierung, erhebliche Einsparungen bringen.
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ErnestiWeitere bedeutende Einsparungen könnten auf lange Sicht durch Schrumpfung oder Wegfall ganzer Stäbe erreicht werden. Ich könnte sofort einen nennen, bei dessen Wegfall man eine Einsparung von rund 50 Dienstposten erzielte. Wir werden in der Haushaltsberatung darauf zurückkommen.Im Bereich der Zivilbediensteten der Teilstreitkräfte lassen sich — Sie alle wissen, daß die Zahl nicht nur gegriffen ist 8 000 bis 9 000 Dienstposten nachweisen, die mit Wehrpflichtigen besetzt werden könnten. Ich meine natürlich nur solche Dienstposten, die der Durchführung des Auftrages der Streitkräfte unmittelbar dienen. Allein diese Maßnahme könnte eine Ersparnis von rund 250 Millionen DM im Jahr erbringen. Dies könnte über Jahre durch Gesundschrumpfen erreicht werden, ohne daß auch nur ein einziger Bediensteter entlassen werden müßte.
Im Interesse von notwendigen Einsparungen sollte auch noch einmal an das Wort des Herrn Verteidigungsministers erinnert werden dürfen, mit dem er vor einiger Zeit in Frankfurt feststellte: „Die Sowjetunion braucht für ihre Rüstung einen großen Teil des russischen Sozialproduktes. Sie kann nicht erwarten, daß der Westen diese Lücke in ihrem Kapitalbedarf durch Kapitalexport schließt und die eigene Verteidigungsfähigkeit vernachlässigt."
Dieses Gebiet sollte durchaus in die Überlegungen wirksamer Einsparungen einbezogen werden.
Zusammenfassend stelle ich fest: Wir sind bereit, im Interesse einer ausgewogenen Sicherheitspolitik, unsere Zustimmung zu allen geeigneten Maßnahmen zu geben, sofern diese der sicherheitspolitischen Lage gerecht werden. Dem vorliegenden Gesetzentwurf allerdings müssen wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt unsere Zustimmung versagen, weila) angesichts steigender Rüstungsanstrengungen des Warschauer Paktes eine Verringerung des Bundeswehrumfanges das Ungleichgewicht zu Lasten der NATO verstärkt;b) die Verringerung einheimischer Streitkräfte wesentlicher Verhandlungsgegenstand der MBFR-Verhandlungen in ihrer zweiten Phase sein wird und solchen Gesprächen nicht vorgegriffen werden darf;c) die Einberufung zur Verfügungsbereitschaft nach den Vorstellungen der Bundesregierung als Mobilmachungsmaßnahme verstanden werdenmüßte;d) die angekündigten Kosteneinsparungen in keinem Verhältnis zum Verlust an Präsenz stehen;e) in der Gesetzesvorlage eine Festschreibung der Zahl der Wehrpflichtigen in der Verfügungsbereitschaft fehlt und dieser Umstand befürchten läßt, daß diese — wenn das Gesetz erst einmal in Kraft ist — in Zukunft aus Gründen der Kostenersparnis zu La-sten der sofortigen Präsenz weiter erhöht werden kann;f) die neue Art des Wehrdienstes in der Verfügungsbereitschaft eine weitere Verschärfung der Wehrungerechtigkeit mit sich bringt undg) andere Möglichkeiten der Einsparung an Betriebskosten zugunsten des investiven Teils nicht ausreichend untersucht worden sind.Meine Damen und Herren, wir werden während der Ausschußberatungen über die Einzelheiten zu sprechen haben. Herr Minister, Sie können davon ausgehen, daß die CDU/CSU-Fraktion an einer neuen Struktur der Bundeswehr konstruktiv mitarbeiten wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich im Zusammenhang mit den Darstellungen des Kollegen Ernesti drei Vorbemerkungen mache. Herr Kollege Ernesti, es scheint mir ein bißchen mager zu sein, wenn Sie mittels Straffung der Führungsstäbe die gesamten zusätzlichen Investitionskosten aufbringen wollen.
Seien Sie aber davon überzeugt, wenn Sie von 250 Millionen DM sprechen: Das kann eine ergänzende Maßnahme sein. Die SPD-Fraktion wird in jedem Falle mit Ihnen gemeinsam, wenn Sie konkrete positive Vorschläge machen, die Angelegenheit prüfen. Seien Sie davon überzeugt, daß wir uns Vorschlägen nicht verschließen werden, die die Sache wirklich vorantragen. Eine Alternative scheint mir das aber nicht zu sein.Zweitens. Herr Ernesti hat darauf hingewiesen, daß Sie der 15monatigen Dienstpflicht nur deshalb zugestimmt haben, weil man gehört habe, daß der frühere Minister der Verteidigung sich in dieser Hinsicht am Rande der Legalität bewegt habe, weil er die Dinge schon zu weit vorangetrieben habe. Sehr verehrter Herr Kollege Ernesti, ich muß Ihnen sagen: Suchen Sie sich das nächste Mal einen besseren Informanten aus. Ich kann mir keinen verantwortlichen Mann auf der Hardthöhe vorstellen, der so etwas sagt.Der nächste Punkt: Herr Kollege Ernesti, Sie haben gesagt, ähnlich wie damals die Verkürzung der Wehrdienstzeit vor einer Bundestagswahl erfolgt sei, so komme die jetzige Vorlage nun vor zwei wichtigen Landtagswahlen auf den Tisch. Dazu möchte ich einmal ein offenes Wort sagen.
— Herr Kollege Damm, seien Sie davon überzeugt: Der Verteidigungsminister Georg Leber ist nicht der Mann, sich kurzfristiger Popularität auf Kosten der Wahrheit zu beugen. Er kann es gar nicht, denn er will und soll auch weiterhin unser Verteidigungs-
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Hornminister sein, der seine Politik langfristig verantworten muß.
— Seien Sie doch nicht so aufgeregt. Wenn Sie etwas dazu sagen wollen, können Sie nachher dazu Stellung nehmen.
Die SPD-Fraktion begrüßt jedenfalls den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes, weil hiermit die Möglichkeit einer notwendigen Anpassung an Strukturen einer zeitgerechten Bundeswehr für uns gegeben ist. Wir stimmen mit Zielsetzung und Lösung der bevorstehenden Aufgabe überein. Ich freue mich besonders über die Ehrlichkeit auch in der Begründung. Hier wird nüchtern und sachlich hinsichtlich der Kostenentwicklungen in der Bundeswehr Bilanz gezogen. Es werden auch die notwendigen Konsequenzen aufgezeigt.Bei der inneren Reform der Bundeswehr hatte sich die sozialliberale Koalition drei Aufgaben gestellt. Ich erinnere nur an die Neuordnung des Rüstungswesens, wobei ich auch noch einmal auf die verdienstvolle Arbeit des früheren Staatssekretärs Mommsen hinweisen möchte. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Neuordnung des Bildungs-und Ausbildungswesens. Die dritte Aufgabe ist die Wehrstrukturreform. Auf die negative Geisterbeschwörung der CDU/CSU gerade im Bereich der Bildungspolitik brauche ich hier nicht einzugehen. Dies ist ja Ihre Methode: Erst sperren Sie sich gegen alle vernünftigen Reformen, erschweren die Durchführung von Veränderungen; wenn die Reformen und Veränderungen dann vollzogen wurden, stellt sich die CDU/CSU auf das hohe Podest und klagt uns an, warum wir diese Reformen und Veränderungen nicht frühzeitiger und gründlicher vollzogen haben.
Genau auf demselben Wege befindet sich auch jetzt wieder die Opposition bei der Behandlung des dritten Schwerpunkts der sozialliberaten Koalition im Bereich der inneren Reform der Bundeswehr, nämlich bei der Änderung der Wehrstruktur. Man kann heute schon darauf gespannt sein, wann die CDU für diese Reform, die sie jetzt noch bekämpft, nach einer gewissen Schamfrist ihr Urheberrecht reklamiert. Ich habe mir die Bundestagsreden der Kollegen der CDT und auch ihre anderen Äußerungen einmal eingehend angesehen. Aber zu dem eigentlichen Ausgangspunkt dieses Gesetzes, zur Notwendigkeit einer Anpassung der bestehenden Wehrstruktur an die heutigen Verhältnisse, ist nirgendwo gesprochen worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Biehle.
Herr Kollege, würden Sie mir nicht bestätigen an Hand der Erfahrungen bei Truppenbesuchen, die Sie sicherlich auch gemacht haben, daß nach all den wunderbaren Darstellungen, die in den Ausschüssen und im Parlament bei der Verkürzung des Grundwehrdienstes von 18 auf 15 Monate gegeben worden sind, heute in der Truppe übereinstimmend festgestellt wird, daß die Kürzung im Hinblick auf die Ausbildung und die Effizienz der Truppe eine schlechte Entscheidung war?
Nein, das trifft keineswegs in dieser pauschalen Weise zu.
Selbstverständlich gibt es, meine Damen und Herren, Problem- und Eckpunkte gerade in der Bundeswehr, auch gerade in den unteren Bereichen. Aber das ist nicht allein auf die Reduzierung der Dienstzeit um drei Monate zurückzuführen, sondern hier liegen zum Teil auch manche Strukturmängel vor, die auf längst behebbare Mängel der Vergangenheit zurückzuführen sind.Herr Wörner stellte beispielsweise in seiner Reds vom 29. November Maßstäbe für eine Reform der Wehrstruktur auf, Maßstäbe in zehn Zeilen, ohne eine einzige inhaltliche Aussage zu diesem Thema, ohne Anregung, ohne Alternative. Das ist eben zuwenig. Da hat doch bereits die Wehrstrukturkommission zwei entscheidende Mängel der gegenwärtigen Struktur herausgestellt, und darauf müssen wir antworten. Hiervon können wir uns in der Inhaltsdarstellung nicht drücken.Wir haben seit über einem Jahrzehnt ein unverhältnismäßiges Ansteigen der Betriebskosten zu verzeichnen. Sie fressen geradezu einen immer größer werdenden Teil des Verteidigungsetats auf und verkürzen damit laufend den zur Beschaffung von modernen Waffen und Geräten übrig bleibenden Investitionsanteil. Neue Waffen und Geräte sind oft um ein vielfaches teurer als ihre Vorgänger. Auf Einzelheiten brauche ich in dem Zusammenhang nicht hinzuweisen.In Hinsicht auf die oft beschworene Relation zwischen Betriebs- und Investitionskosten: Bleiben wir bei den alten Modellen in der Bewaffnung der Bundeswehr, so werden Wartung, Instandsetzung und Erhaltung dieser kostspieligen Waffen und Geräte immer teurer. Entschließen wir uns zu Neuanschaffungen, so müssen wir davon ausgehen, daß die Neuanschaffungspreise jeweils ein Vielfaches der alten Waffensysteme betragen. Erhaltung, Wartung und Instandsetzung kosten auch entsprechend mehr. Das heißt aber in der Konsequenz: überdimensionale Ausdehnung des Verteidigungshaushalts in absehbarer Zeit, Verzicht auf notwendige Modernisierung im Investitionsbereich oder konsequente Ausgabenersparnis, vor allem im Personalsektor. Ich weiß, daß dies die Dinge sehr offen beim Namen nennt. Aber diese Ehrlichkeit müssen wir auch gegenüber der Bevölkerung und auch gegenüber der Bundeswehr haben. Der kritische Punkt in der Ko-
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Hornstenentwicklung wird mit einem Verhältnis von 70% Betriebsausgaben zu 30% Investitionsausgaben von allen Fachleuten markiert. Wenn die jetzige Entwicklung unkorrigiert so weiterläuft, dann ergibt eine Projektion des bestehenden Trends in die Zukunft, daß bei gleichbleibender Wehrstruktur Anfang der 80er Jahre nur noch 7,3% des Verteidigungshaushalts für Investitionen übrigbleiben. Das dürfte gerade noch ausreichen, wie Hans Schüler in der „Zeit" ironisch sagt, um das Heer mit neuen Lastkraftwagen zu versehen, die Luftwaffe auf Sportflugzeuge und die Marine auf Segelboote umzurüsten.Übrigens, vor diesem Problem stehen wir ja nicht zum erstenmal in der Geschichte der Bundeswehr. Im Rezessionsjahr 1967 machte der damalige Verteidigungsminister, Ihr Parteifreund Dr. Schröder, dem damaligen Bundeskanzler Kiesinger das Angebot, die Bundeswehr auf 407 000 Mann zu reduzieren. Es war der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, der heutige Bundeskanzler Helmut Schmidt, der eine Gesamtstärke, einschließlich Reservisten von 460 000 Mann durchsetzte. Dieser Tatbestand wurde damals mit dem Begriff der abgestuften Präsenz beschrieben. Meine Damen und Herren von der CDU, heute wollen Sie angesichts der Einführung von 30 000 Mann Verfügungsreserve hier in Weltuntergangsstimmung machen. Ich sage das in allem Freimut: Auch die Haushaltsmittel für den Verteidigungsetat sind nicht beliebig zu steigern.Gerade die Opposition treibt hier ein falsches Spiel, wenn sie in ihren Regierungszeiten notwendige Erneuerungen unterließ und jetzt als Opposition ständig neue Forderungen stellt. Machen Sie sich doch selbst einmal die einfache Rechnung auf: 1967 bietet Herr Schröder dem damaligen Kanzler eine Gesamtstärke von 407 000 Mann an. 1969, zur Zeit des letzten CDU-Verteidigungsministers, beträgt die Stärke der Bundeswehr 460 000 Mann, heute dagegen 495 000 Mann. Selbst, wenn Sie diese 30 000 Mann Verfügungsreserve abziehen — was nicht legitim ist —, ist die absolute Stärke der Bundeswehr immer noch größer als zur Zeit des letzten CDU-Verteidigungsministers.
Sie wollen doch nicht ehrlich die Probleme der Bundeswehr gemeinsam mit uns in den Griff bekommen, sondern Sie wollen hier nur Ideologieverdacht nähren, als ob Sozialdemokraten die Sicherheit der Bundesrepublik aufs Spiel setzen wollten. Das ist doch Ihre Methode!
Die Personaleinsparungen werden bei der Verabschiedung dieses Gesetzes jährlich 370 Millionen DM betragen. Die weiteren Betriebskosteneinsparungen durch die vorgesehene Wehrstrukturreform werden noch einmal zusätzlich 200 Millionen DM betragen. Das ist dann eine Bandbreite, innerhalb derer wir uns echt bewegen können, mit der wir auch die Bundeswehr mit den nötigen Waffen und Geräten ausstatten können, damit sie ihrem politischen Auf-trag gerecht werden kann, nämlich Sicherheit durch Abschreckung zu erzeugen.Die neue Wehrstruktur soll und darf nicht den Auftrag der Bundeswehr einschränken. Die Bundeswehr wird diesem Auftrag bei nicht verminderter, sondern erhöhter Effizienz gerecht. Bei den 30 000 Mann Verfügungsreserve — und das hat auch der Verteidigungsminister eben klar gesagt — handelt es sich eindeutig um nicht waffentragende Dienstposten, die außerdem auch nicht ständig besetzt werden müssen. Die Präsenzkraft wird im .men der gesamten Strukturreform nicht gemindert worden, sondern erhöht. Bei der Luftwaffe und Marine werden so 100 "A der Mob-Stellen in Dienstposten für verfügungsbereite Soldaten umgewandelt, beim Heer werden es künftig 60% sein.Deshalb ist es auch falsch, wenn Vertreter der CDU ständig davon sprechen, die Verfügungsbereitschaft wäre eine Art Reservistenstatus. Hier handelt es sich doch um eine ganz andere Qualität. Das kann doch keiner leugnen, der um die Dinge Bescheid weiß. Das wissen Sie doch besser, als Sie es hier zum Ausdruck bringen.
Die Verbände, Brigaden, Bataillone, Kompanien werden alle drei Monate mit Soldaten aufgefüllt — das wissen Sie —, die die Grundausbildung hinter sich haben. Das bedeutet aber im Ergebnis doch, daß in der Kompanie Soldaten mit durchaus unterschiedlichem Ausbildungsniveau zusammen sind, Soldaten mit drei-, sechs- oder zwölfmonatiger Dienstzeit. Die Soldaten der Verfügungsbereitschaft haben 15 Monate Wehrdienst bereits abgeleistet. Da sie nur 12 Monate verfügungsbereit sind, ist ihr Wissen für den soldatischen Bereich keineswegs veraltet, zumal sie entsprechend ihrer Qualifikation in zugeordnete Dienstposten kommen.Aus alldem ist doch der Schluß erlaubt, daß sie leistungsfähiger sind als viele ihrer Kameraden, die nur drei oder sechs Monate gedient haben. Sie werden nur in den Funktionen verwendet, in denen sie ausgebildet und auch während ihrer regulären Dienstzeit verwendet wurden.Herr Dr. Wörner, Sie haben einmal die Frage gestellt, ob die neue Wehrstruktur der internationalen Lage, der vorhersehbaren sicherheits- und verteidigungspolitischen Entwicklung entspricht. Die Verkleinerung bei gleichzeitiger Vermehrung der Anzahl der Einheiten führt zu einem beweglicheren und unmittelbareren Führungsstil. Die Kompaniechefs werden von viel unnützer Arbeit entlastet und damit freier für ihre eigentliche Aufgabe, nämlich die Ausbildung der Soldaten. Die Zahl der Brigaden wird entsprechend einer NATO-Forderung auf 36 erhöht. Auch dies wird man einmal sagen dürfen: In den aktiven Brigaden werden wir zirka 700 Kampfpanzer mehr haben als bisher und außerdem fast doppelt soviel Panzerabwehrwaffen von der Panzerfaust bis zur Panzerabwehrrakete, und dann kann man nicht sagen, wir würden die äußere
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HornSicherheitspolitik unserer Bundeswehr vernachlässigen.
Die neue Wehrstruktur ordnet sich fugenlos in das militärstrategische Konzept ein. Die Bundeswehr wird niemanden bedrohen, aber sie wird ihren Auftrag, zu verhindern, daß uns Gewaltlösungen von fremder Seite aufgezwungen werden, noch besser durchführen als bisher. Die Präsenz und somit die Verteidigungsfähigkeit wird nicht verringert, sondern sie wird erhöht. Dies geht allein daraus hervor, daß die Änderung des Verhältnisses zwischen der sogleich fechtenden und der zunächst reservierten Truppe von der klassischen Relation von 2 : 1 auf eine Relation von 3 : 1 erfolgt. Hier werden doch alle Theoriebehauptungen der CDU widerlegt, die Bundesregierung treibe ein frevelhaftes Spiel mit der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Das Gegenteil ist der Fall. Sicherheitsgefühl und Vertrauen der Bürger in unserem Land wachsen immer mehr, und da die CDU keine klare und ehrliche Alternative aufzuweisen hat, flüchtet sie in die Unterstellung und versucht, mit albernem Ideologieverdacht Regierung und Koalition herunterzusetzen.
Wunschvorstellung der CDU und die Wirklichkeit sind Gott sei Dank sehr weit auseinander.
Da wird auch bei Ihnen mit dem Begriff der Signalwirkung gearbeitet. Mit dieser Verfügungsbereitschaft reihe sich die Bundesrepublik Deutschland ein in eine Reihe europäischer Länder, welche im isolierten Alleingang eine restriktive Verteidigungspolitik betrieben.
Dazu darf ich nur eines vermerken. Auch Herr Wörner und einige der Kollegen der CDU kennen diese Stellungnahme führender Offiziere der NATO. Die Stellungnahme auch von Luns und auch von Goodpaster hinsichtlich der Reform unserer Wehrstruktur ist nicht nur eindeutig positiv.
Sie haben auch eindeutig die Konzeption der deutschen Wehrstruktur befürwortet und als vorbildlich bezeichnet.
Wenn Herr Wörner im vorigen Jahr und die CDU/CSU-Fraktion nach einem Bericht der „FAZ" vom 9. Oktober eine Signalwirkung durch die deutschen Maßnahmen befürchtet, so ist dies geradezu grotesk. Jawohl, wir Sozialdemokraten hofften, daß von dieser Strukturreform eine Signalwirkung ausgeht, nämlich eine Signalwirkung im Sinne unserer Verbündeten in der NATO, daß sie gleiche Anstrengungen unternehmen, und auch im Sinne unserer Bündnis- und Entspannungspolitik.
Herr Kollege Wörner, ich möchte keine unnötigen Gräben aufreißen,
aber auch Ihnen müßte es 'zu denken geben, daß immerhin in 14 Jahren der Aufbau der Bundeswehr sich unter der politischen Führung der CDU vollzogen hat.
Ich will keine Bewertung der Vergangenheit machen, aber sehen Sie nicht auch einen Niedergang konzeptioneller Verteidigungspolitik im Augenblick in den Reihen der CDU?
An der Stelle meines Parteifreundes Georg Leber waren früher Leute wie Theodor Blank. wie Strauß, wie Herr von Hassel, wie Gerhard Schröder.
Was ich als junger Bundestagsabgeordneter in fünf Jahren von Ihnen als Opposition an Impulsen, Anregungen, Hinweisen und Überlegungen erfahren habe, war niederschmetternd gering. Viele Soldaten fühlen sich den von mir erwähnten Verteidigungsministern noch verbunden; das ist legitim und übrigens auch eine notwendige Kontinuität. Wo aber bleibt in der CDU der Ansporn, der Impuls und die richtungweisende Markierung für die Regierung und auch als Element des Wettbewerbs für uns hier innerhalb der einzelnen Fraktionen?Heute und jetzt sind Sie sicher des Nachdenkens nicht fähig, weil Sie sich einfach in einer Abwehrstellung befinden. Die CDU kann doch nicht bei dem verharren, was Sie hier ständig wie eine tibetanische Gebetsmühle herunterplappert, höchstens noch übertroffen vom „Deutschland-Magazin" und einigen anderen suspekten Zeitschriften. 'Da bringen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, nachweislich die neue Wehrstrukturreform in den Verdacht einer Vorleistung gegenüber den Sowjets.
Nicht nur, daß dieses Vokabular abgegriffen ist; eben jene, welche die erste deutsche Republik verrieten mit der Harzburger Front, gebrauchten auch das Wort von den Vorleistungen, vom Verzicht und vom Verschenken. Das reiht sich ein in eine sehr unheilvolle Ahnengalerie, wo der Nationalismus unser Volk erst im Innern spaltete und dann im Äußeren zur Katastrophe führte. Die Unterstellungen der CDU, mit dieser Strukturänderung der Bundeswehr werde eine Vorleistung für MBFR erbracht, gehört in diese Reihe hinein.
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8186 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
HornSo proklamierte die CDU die Unterstellung, daß eine SPD-Regierung den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO vollziehe.
— Herr Dr. Jaeger, ja, die CSU prophezeite doch bereits 1969, daß schon ein Vierteljahr nach Bildung der sozialliberalen Koalition die sowjetischen Panzer hier einrücken würden. Der Deutschland-UnionDienst ließ vor zwei Jahren verlauten, die geplanten Bundeswehrhochschulen würden zu Einrichtungen, um die Bundeswehr überhaupt abzuschaffen. Jetzt jammern Sie, die neue Wehrstruktur sei eine Vorleistung gegenüber den Sowjets bei MBFR.Der „Bayernkurier" lamentiert sogar, dies sei der Anfang vom Ende der Bundeswehr.
Ich habe zwar Verständnis dafür, daß Sie uns Ihr politisches Vertrauen entziehen. Ich habe auch Ihnen gegenüber keines, das sage ich offen.
Sie sollten uns doch wenigstens für klug genug halten, meine Damen und Herren, daß wir nicht gegen fundamentale Grundsätze unserer eigenen Politik verstoßen, d. h. daß wir unsere eigene Politik torpedieren. Ostpolitik, KSZE und MBFR waren nur möglich unter der Voraussetzung eines funktionierenden Bündnisses. Diese erfolgreiche Politik wäre uns niemals möglich gewesen, wenn wir isoliert gehandelt hätten, wenn wir aus dem Bündnis ausgetreten wären und die Löffel hingeworfen hätten.
Diese Politik war nur erfolgreich, weil sie vom Bündnis her mit getragen wurde und weil wir in diesem NATO-Bündnis partnerschaftliche Mitsteuerungsfunktion hatten. Deshalb war es nur möglich.
Die Bundesregierung hat durch ihre Politik KSZE und MBFR wesentlich initiiert und beeinflußt. Es wäre doch geradezu schizophren, wenn eine solche Regierung sich selbst um die Ergebnisse ihrer Arbeit brächte. Es gehört schon die vereinte Logik der „National- und Soldatenzeitung" und des vom Land Bayern geförderten „Deutschland-Magazins" dazu, einen solchen ausgesprochenen Unsinn zu verbreiten.
Verteidigung und Entspannung sind die Prämissen der sozialliberalen Politik. Die Veränderung der Wehrstruktur geht von drei Grundbedingungen aus. Erstens. Die neue Wehrstruktur soll insgesamt eine Anpassung an die NATO-Konzeption vornehmen. Zweitens. Die finanzielle Situation gebietet eine Kostenverlagerung. Deshalb handelt es sich hier nicht um eine Einsparung, sondern um eine Kostenverlagerung innerhalb der Bundeswehr, damit die Streitkräfte auch in den 80er Jahren entsprechendihrem politischen Auftrag ihre militärische Aufgabe erfüllen können. Drittens. Die neue Wehrstruktur muß eine Antwort auf die Herausforderung der 80er Jahre hinsichtlich der technologischen Entwicklung geben. Wir werden ein quantitativ und qualitativ verändertes Angebot technischer Systeme in den 80er Jahren haben. Das gesamte Bündel der Maßnahmen zur Veränderung der Wehrstruktur dient auch dem Ziel, die Bundeswehr darauf vorzubereiten.Deshalb ist es kleinlich und widersprüchlich, wenn Sie heute nach Ausreden und Ausflüchten suchen, um Ihr von vornherein festgelegtes Nein nur noch nachträglich dann mit Ausflüchten zu begründen. Da kommen dann solche widersprüchlichen Aussagen zustande, daß einerseits die Verfügungsbereitschaft als eine Art Reservistenstatus bezeichnet wird und daß andererseits das drohende Bild an die Wand gemalt wird, die Verfügungsbereitschaft würde als ein Akt Teilmobilisierung mißverstanden werden. Das Gegenteil ist doch der Fall. Gerade in einer Krisenzeit wird der politische Handlungsspielraum des Verteidigungsministers dadurch erheblich ausgeweitet.
— Wieso denn? Er kann nämlich die Sicherheit unseres Landes durch höhere Präsenzkraft ohne das eskalierende Mittel einer Mobilmachung besser gewährleisten. Das ist der Punkt.
Die vorhergesehene Wehrstrukturänderung bringt keine Vorleistung gegenüber MBFR. Allerdings verhindert sie auch auf keinen Fall die internationalen Entspannungsbemühungen. Sie ist MBFR-offen und fügt sich in diese gesamtpolitischen Rahmenbedingungen systematisch ein.
— Herr Damm, Sie kommen gleich dran. — Aber da stellt sich ja gleich die Frage gegenüber der CDU, ob sie den Sack der Wehrstruktur schlagen will, um den vermeintlichen Esel der Entspannung zu treffen. Von dem Signal von Reykjavik bis zu den jetzigen MBFR-Verhandlungen kommt jedenfalls von der CDU/CSU kein einziger Impuls für eine aktive Entspannungspolitik.
Hier müssen die Positionen geklärt werden, ob die CDU etwa den Auffassungen ihres Fraktionsgeschäftsführers Herrn von Wrangel folgt, wie sie übrigens in ähnlicher Weise auch Dr. Schröder einmal formulierte, oder ob sie ein anderes Sicherheitskonzept hat. Auf der Internationalen Wehrkundetagung in München sagte Herr von Wrangel beispielsweise:In der Vergangenheit hat die NATO immer dann im Bereich der politischen Konsultationen Fortschritte gemacht, wenn die Sowjetunion durch Unrechtsaktionen den nichtkommunistischen Teil der Welt schockierte. Wenn solche Schockwirkungen ausblieben, dann ließ in der
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HornRegel auch die Bereitschaft nach, etwas für die eigene Verteidigung im politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereich zu tun.Er fährt fort:Wir befinden uns heute nicht zuletzt durch die deutsche Ostpolitik in einer solchen Phase.Diese These blieb allerdings nicht unwidersprochen. Es war ausgerechnet ein Franzose, der gaullistische Abgeordnete Michel l'Abib de Loncle, der leidenschaftlich für die Entspannungspolitik Stellung nahm. „Ihr Bericht", so sagte er zu Herrn von Wrangel, „nimmt die politischen Veränderungen in der Welt nicht zur Kenntnis".Wenn ich Sie hier so höre, habe ich den Eindruck, daß auch Sie die weltpolitischen Veränderungen nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
— Das kriegen Sie gleich gesagt.„Die Konsequenz der Nichtratifizierung der Ostverträge", so sagte er, „wäre eine Erneuerung der Spannungen in Europa und damit eine Verschärfung und eine Erschwerung des NATO-Auftrags".In gleicher Weise wandte sich vor wenigen Tagen Außenminister Kissinger gegen solche Gedanken. Kissinger sagte:Das Entstehen normaler Beziehungen zur Sowjetunion darf nicht unsere Entschlossenheit untergraben, unsere nationale Verteidigung aufrechtzuerhalten.Dem stimmen wir Sozialdemokraten vorbehaltlos zu,aber auch in der gleichen Entschiedenheit den nach-folgenden Ausführungen von Kissinger, als er sagte:Auf der anderen Seite teilen wir nicht die Auffassung, daß es der Krise bedürfe, um unsere Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Eine Gesellschaft, die künstlich Krisen braucht, um das zu tun, was für ihr Überleben notwendig ist, wird sich bald in tödlicher Gefahr befinden.Die gefährliche Verlegenheit der Opposition auch in diesem Bereich dokumentiert sich darin, daß sie hier eine Politik der Widersprüche und der Konzeptionslosigkeit proklamiert. Eine solche Politik bietet keine Alternativen und hat keine reelle Chance zur Verwirklichung.Wir Sozialdemokraten wissen auch, daß Strukturänderungen dieser Art nicht gerade populär sind. Das betrifft übrigens nicht nur die Frage der Verfügungsbereitschaft; das betrifft auch die neu zu verändernde Truppenstruktur von den Kompanien über die Bataillone bis zu den Brigaden. Da ist selbstverständlich manche Neueinstellung zu den Dingen notwendig. Aber diese Probleme kommen ja nicht von ungefähr. Jeder Sachkundige weiß, daß die Schere zwischen Investitionskosten und Betriebskosten seit Jahren immer weiter auseinanderläuft. Es ist nun an der Zeit, eine Neuorganisation der Bundeswehr durchzuführen. Wir haben dabei allerdings auch das Vertrauen in die Soldaten, daß siein gleicher Weise wie bei der Reform des Bildungs-und Ausbildungswesens in der Bundeswehr auch diese Strukturveränderungen mittragen.Aber auch die Opposition kann hier nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Sie müssen dem Bürger draußen im Lande drei grundsätzliche Fragen beantworten. Erstens. Welche Form der Wehrstruktur will die CDU angesichts des immer stärker werdenden Kostendrucks? Ihr Parteifreund Woller hat in seinem Buch „Der unwahrscheinliche Krieg" — meiner Auffassung nach völlig zu Recht — die These vertreten ,daß eine Rüstungsexpansion nicht die Substanz einer Volkswirtschaft treffen dürfe, sonst würde man eben auf diesem Wege das gefährden, was man gerade verteidigen will. Er kommt zu einer Konzeption, mit der ich zwar inhaltlich nicht übereinstimme, die aber im Unterschied zu Ihren bruchstückhaften und widersprüchlichen Äußerungen zu diesem Thema eine in sich geschlossene und diskussionswürdige Konzeption darstellt.Zweitens. Wie stellt sich die CDU eine über den jetzt vorliegenden Rahmen hinausgehende Ausgabenerhöhung für den Verteidigungshaushalt vor, wenn allein die Sprecher der CSU in Ihrer Fraktion wie Herr Strauß, Herr Höcherl und andere verschiedene Gruppen unseres Landes und unseres Volkes Sondergeschenke machen, die eine Einnahmenminderung für den Bundeshaushalt von neun Milliarden DM zur Folge hätten? Wenn zugleich andere Sprecher Ihrer Fraktion, von der Landwirtschaft bis zum Straßenbau hin, Mehrausgaben fordern, die unseren Haushalt um 53 Milliarden DM erhöhen würden? Mein Freund Wilhelm Nölling kommentierte schlicht: Da sind Finanzchaoten am Werk.Drittens. Sollen nach Ihrer Auffassung Haushaltserhöhungen nur zur Verbesserung der Lage der Bundeswehr vorgenommen werden, oder ist die CDU auch bereit, notwendige Strukturreformen durchzuführen? Dann muß sie aber auch sagen, welche sie durchführen will und wie sie es will.Die jetzige Vorlage und die Gesamtkonzeption, Herr Minister, sind — bei aller Wertschätzung — sicherlich nicht nur das Ergebnis rein ministerieller Eingebungen, bezogen auf Ihre Person. Das ist sicherlich das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Zusammenarbeit der politischen und der militärischen Führung Ihres Ministeriums. Wir wissen, daß alle Gruppen unserer Gesellschaft an das Parlament mit Wünschen herantreten. Welcher Inspekteur, welcher General möchte nicht auch einen wesentlich breiteren finanziellen Spielraum haben? Daß bei dieser Vorlage das Wissen um die finanziellen Grenzen und zugleich auch die Verantwortung gegenüber dem gesamten Staat im Vordergrund gestanden haben, verdient besonderen Dank und Anerkennung. Ihnen, Herr Minister, gegenüber und auch Ihren Mitarbeitern gegenüber.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, auch hier wieder nach Ihrem alten Motto verfahren: „So nicht und jetzt nicht", so setze
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Hornich dem entgegen: Es ist an der Zeit, es ist notwendig, so und jetzt.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Graaff.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf für meine Fraktion zu den heutigen Diskussionen zur Vorlage des Bundesministers der Verteidigung folgendes feststellen. Meine Partei hat sich seit Jahren in den Arbeitskreisen intensiv mit den Problemen der Wehrstruktur beschäftigt, und sie hat auch eigene Vorstellungen entwickelt, die in die Überlegungen des Bundesministers der Verteidigung eingeführt worden sind.Ich möchte dabei eindeutig feststellen, daß wir an der Einsatzbereitschaft und der Verteidigungskraft der Bundeswehr festhalten, da wir sie als eine unabdingbare Voraussetzung für die konsequente Fortsetzung der Ost- und Entspannungspolitik dieser Regierung ansehen. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir die Vorkehrungen zur Sicherung und Bewahrung unseres freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates gegenüber äußerer Gewalt voll unterstützen und dafür eintreten.Solange Gewalt und Drohung mit Gewalt als3) Mittel der politischen Auseinandersetzung noch nicht weltweit geächtet und aus der Realität dieser Welt verbannt sind, so lange wird auch die Bundesrepublik Deutschland zu ihrem Schutz auf Streitkräfte angewiesen sein. Je besser die Bundeswehr ist, je glaubhafter sie innerhalb des Bündnisses ihren Sicherungs- und Abschreckungsauftrag wahrnehmen kann, desto unwahrscheinlicher ist der heiße Konflikt.Bei allen Überlegungen zur Wehrstruktur ist es die entscheidende Frage, wie mit den verfügbaren finanziellen Mitteln ein Optimum an Abwehrkraft und Einsatzbereitschaft gesichert werden kann. Das Dilemma, auf das sich das Gesamtproblem immer wieder zurückführen läßt, besteht darin, daß sich die Betriebsausgaben — und hier vor allem die Personalausgaben — in den Streitkräften geradezu explosionsartig nach oben entwickelt haben. Diese Verteuerung des Faktors Personal ist im übrigen nicht nur bei Militärorganisationen zu beobachten, sondern gilt ebenso für Wirtschaftsunternehmen und für den gesamten Bereich des öffentlichen Dienstes. Andererseits, meine Damen und Herren, steigen auch die Investitionskosten. Immer kompliziertere und damit aufwendigere Waffensysteme verursachen höhere Kosten. Es ist eine Faustregel, daß ein neues Waffensystem etwa das Doppelte des Systems kostet, das es ablösen soll. Es kommt also darauf an, den erforderlichen Anteil der Investitionskosten unbedingt aufrechtzuerhalten. Unter den internationalen Militärexperten besteht Einigkeit darüber, daß die Sicherung der erforderlichen Investitionsmittel, vor allem die erforderliche Beschaffung modernerWaffensysteme, und damit die Aufrechterhaltung einer wirksamen Verteidigung nur durch eine Begrenzung der Personalstärken möglich sind.Dieses Kernproblem, nämlich einerseits eine ausreichende Anzahl präsenter Sreitkräfte zu unterhalten und andererseits diese Streitkräfte modern auszurüsten und zu bewaffnen, erfordert einen Kompromiß zwischen beiden Zielsetzungen. Daher muß ein Weg gesucht werden, der auf dem Personalsektor Kosten einspart, ohne die Schlagkraft der Streitkräfte zu beeinträchtigen.Dieser Kompromiß ist nach unserer Auffassung die Verfügungsbereitschaft. Nach unserer Auffassung kommt zur Gewährleistung unserer Sicherheit im Rahmen des NATO-Bündnisses präsenten Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland eine überragende Bedeutung zu.Diese Präsenz bedeutet jedoch nicht, daß wir alles, was wir an militärischen Kräften besitzen, auch ständig im Dienst halten müssen. In dieser Hinsicht gelten für die Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, deren Soldaten im eigenen Lande stationiert sind und ihre Verteidigungsbereitschaft hier zu erfüllen haben, nicht die Maßstäbe, die für ein Expeditionskorps gelten müßten.Wie sich die Verfügungsbereitschaft, die nur ein Teil der neuen Wehrstruktur ist, im einzelnen darstellt, ist an dieser Stelle im November des vorigen Jahres von Verteidigungsminister Leber sowie den Sprechern der Koalition und der Opposition ausführlich behandelt worden. Ich will das heute nicht im einzelnen wiederholen.Die Verfügungsbereitschaft erlaubt, die Forderungen nach präsenten Streitkräften im erforderlichen Umfang zu erfüllen. Nach dem eingebrachten Gesetzentwurf sollen alle Angehörigen der Verfügungsbereitschaft ausschließlich voll ausgebildete Soldaten sein. Die Verfügungsbereitschaft erstreckt sich auf das im Anschluß an die Dienstzeit folgende Jahr und gewährleistet damit, daß die Angehörigen der Verfügungsbereitschaft mit den Waffensystemen, an denen sie ausgebildet wurden, voll vertraut sind.Durch die vorgesehenen Meldepflichten und Heranziehungsmöglichkeiten ist sichergestellt, daß alle Angehörigen der Verfügungsbereitschaft ebenso wie beurlaubte Soldaten oder Soldaten im Wochenendausgang im Bedarfsfall unverzüglich zu ihren Einheiten und Verbänden zurückgerufen werden können.Die Fraktion der FDP ist zugleich der Meinung, daß diese Form der Ergänzung des Friedensumfangs unserer Streitkräfte geübt und der politische Wille dokumentiert werden muß, daß diese neue Form des Wehrdienstes eine vollwertige Komponente des präsenten Friedensumfanges unserer Streitkräfte ist. Die Freien Demokraten sind außerdem über die bisherigen Vorstellungen der Verfügungsbereitschaft hinaus der Auffassung, daß hier ein Instrument geschaffen wird, das zumindest auch für einen Teil der heute nur durch Mobilmachung zu erreichenden Auffüllung von Verbänden, vor allen Dingen des Territorialheeres, benutzt werden kann.
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GraaffMeine Damen und Herren, selbst wenn die Zielsetzung der neuen Verfügungsbereitschaft in der Praxis voll realisiert sein wird, werden der Fortgang und ein denkbares Ergebnis der laufenden Verhandlungen über beiderseitige ausgewogene Truppenreduzierungen in Wien, sprich MBFR, sorgfältig zu beobachten und zu berücksichtigen sein.Aber selbst unter der Voraussetzung einer Truppenreduzierung wird die Zahl der ständig im Dienst befindlichen Soldaten der Bundeswehr im Friedensumfang höher sein als bis zum Jahre 1968, also in der Zeit — meine Damen und Herren von der Opposition, das geht Sie an —, in der Sie die Bundesminister der Verteidigung laufend gestellt haben. Der damalige Höchststand an Soldaten hat maximal 455 000 betragen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus der Sicht meiner Partei noch folgende ergänzende Bemerkungen machen. Die gesamte neue Wehrstruktur, von der die Verfügungsbereitschaft nur einen kleinen, wenn auch wichtigen Abschnitt darstellt, realisiert im wesentlichen auch die Vorstellungen und Forderungen unserer politischen Freunde. So finden wir im neuen Reorganisationsplan darüber hinaus Gedanken wie erstens: endgültige Verschmelzung der Territorialverteidigung mit dem Heer; zweitens: die Bundeswehr verfügt dann erstmals Tiber die von der NATO geforderten 36 Brigaden; drittens: die Kampfverbände werden besser führbar und damit effektiver, obwohl sie „schlanker" werden; viertens: die Einheiten werden von Verwaltungsarbeit entlastet; fünftens: Kommandoebenen werden eingespart.Andere, nach unserer Auffassung notwendige Regelungen im Zuge einer ernsthaft betriebenen Reorganisation der Wehrstruktur fehlen allerdings nach unserer Ansicht noch. So fehlt unserer Meinung nach erstens noch eine im Prinzip klare Antwort auf die Frage der Wehrgerechtigkeit. Es fehlt zweitens noch die ganz unvermeidlich notwendige Ergänzung zur neuen Struktur, nämlich die neue Spitzengliederung der Bundeswehr und der Teilstreitkräfte. Drittens sind Luftwaffe und Marine sowohl insgesamt als auch besonders in ihren Führungsstäben vorerst noch weitgehend aus der Reorganisation herausgehalten. Viertens ist die ganz grundsätzliche Herausformung von bundeswehrgemeinsamen Aufgaben, die in einem Teilstreitkraftbereich der Bundeswehr wahrgenommen werden, noch kaum vorangetrieben.Meine Damen und Herren, hier sehen wir Ansatzpunkte für eine Verstärkung und Vervollständigung eines Reformkonzepts, das in den Ansätzen stimmt, den angedeuteten Rahmen jedoch ganz ausfüllen sollte. Wir werden uns in Kürze in diesem Hohen Hause mit weiteren aktuellen Fragen der Sicherheitspolitik beschäftigen müssen, die in engem Zusammenhang mit dem heutigen Thema stehen. Es wird das Problem der Kriegsdienstverweigerung und der Abschaffung des Prüfungsverfahrens anstehen.Ich will dem hier und heute nicht vorgreifen und abschließend zur Frage der Verfügungsbereitschaftfeststellen, daß ich für meine Fraktion der Überweisung des Gesetzentwurfes zustimme.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Verteidigungsausschuß — federführend —sowie an den Innenausschuß und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 8 auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln
- Drucksache 7/2271 —b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer
— Drucksache 7/2272 —c) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ CSUbetr. Schutz vor den Gefahren radioaktiver Strahlen— Drucksache 7/2369 —d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lemmrich, Gierenstein, Dr. Gruhl, Dr. Althammer, Dr. Hauser , Gerster (Mainz), Sick, Dr. Riedl (München) und Genossenbetr. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm— Drucksache 7/2263 —e) Beratung des Berichts und des Antrags des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Zusammensetzung von Benzin — Probleme über den Bleigehalt von Benzin-— Drucksachen 7/1520, 7/2560 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GruhlAbgeordneter Konradf) Beratung des Antrags des Innenausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung über die Durchführung des Benzinbleigesetzes und über die zur Erfüllung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 24. Juni 1971 zum Benzinbleigesetz getroffenen Maßnahmen— Drucksachen 7/854, 7/2561 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. GruhlAbgeordneter Konrad
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8190 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenDas Wort zur Begründung der Punkte 8 a und 8 b hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Abwasserabgabengesetz und dem Waschmittelgesetz legt Ihnen die Bundesregierung zwei weitere bedeutsame Gesetze zur Verwirklichung des Umweltprogramms vor. Sie stehen in engem sachlichen Zusammenhang mit zwei anderen Gesetzentwürfen der Bundesregierung: mit den bereits in der vergangenen Legislaturperiode und 1973 erneut eingebrachten Entwürfen zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes und zur Änderung des Grundgesetzes. Letzteres soll die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Wasserhaushalt begründen.Gestatten Sie mir, zunächst zur Einleitung der heutigen Umweltdebatte dieses Hohen Hauses auf die allen diesen gesetzgeberischen Initiativen, auch den heute zur Beratung anstehenden, zugrunde liegende wasserwirtschaftliche Konzeption der Bundesregierung einzugehen. Das Lebensgut „Sauberes Wasser" ist zunehmend knapper geworden, was den Bürgern in unserem Lande erschreckend bewußt wird. Die Belastung der Gewässer hat in den letzten Jahren ständig zugenommen. Die Schere zwischen zunehmendem Schmutzwasseranfall und der Reinigungsleistung klafft immer weiter auseinander. Die von den Bundesländern kürzlich vorgelegte Gewässergütekarte bestätigt: Ein großer Teil der Gewässer ist stark, zum Teil sogar übermäßig stark ver-schmutzt. Dazu zählen wesentliche Teile des Rheines, der Donau und der Weser, aber auch des Nekkars und des Mains.Diese schon für sich genommen besorgniserregende Entwicklung muß vor dem Hintergrund eines zugleich steigenden Wasserbedarfs gesehen werden. Das Batelle-Institut hat 1972 in seinem Gutachten über den Wasserbedarf in Industrie und Haushalten, in öffentlichen Einrichtungen sowie in der Landwirtschaft festgestellt: der gesamte Wasserbedarf in der Bundesrepublik wird von etwa 27 Milliarden Kubikmetern im Jahre 1969 auf rund 44 Milliarden Kubikmeter im Jahre 2000 ansteigen. In gleichem Maße wird die Abwassermenge ansteigen. Die schon jetzt als unerträglich empfundene Verschmutzung droht damit noch weiter zuzunehmen, wenn nicht beschleunigt und wirkungsvoll gehandelt wird.Ziel der Wasserwirtschaft muß es daher sein, den Wasserhaushalt insgesamt neu zu ordnen. Dabei ist sicherzustellen: 1. den Gewässern müssen Stoffe ferngehalten werden, die die Gesundheit des Menschen bedrohen und die die belebte Umwelt zerstören; 2. die einwandfreie Wasserversorgung der Bevölkerung und der Wirtschaft muß durch langfristige Planungen gesichert werden.Die Gewässerreinhaltung beinhaltet danach nicht nur, daß die bisher nur unerheblich verschmutzten Gewässer in diesem Zustand erhalten bleiben, sondern vor allem auch, daß der Zustand der erheblich verschmutzten Gewässer nachhaltig verbessert wird. Mit dem vorhandenen juristischen Instrumentarium ist dies zur Zeit nicht zu erreichen. Einleitebedingungen und Reinhalteauflagen reichen nicht aus, um die Einhaltung der vorgegebenen Normen für die Güte unserer Gewässer sicherzustellen. Zudem fehlen vor allem einheitliche Kriterien für die Gewässergüte bei der Trinkwasserversorgung überhaupt.Ebenso mangelt es an einem wirtschaftlichen Anreiz für die Abwassereinleiter, die Schädlichkeit des Abwassers zu verringern. Ein Kostenausgleich für eine Belastung unserer Gewässer durch schädliche Abwassereinleitungen findet derzeit nicht statt.Mit der 1973 wieder eingebrachten vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz hat die Bundesregierung einen ersten Schritt getan, um diesen unbefriedigenden Zustand abzustellen. Die Novelle enthält, wie Sie sich erinnern werden, Bestimmungen über einen auf die Trinkwasserversorgung ausgerichteten Gewässergütestandard, über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser, über das Lagern wassergefährdender Stoffe, über Bewirtschaftungspläne und die Sanierung verschmutzter Gewässer und schließlich über erweiterte Straf- und Bußgeldvorschriften.Solche präventiven Maßnahmen sind nicht nur für den Umweltschutz, wie manche meinen, sondern auch für die Trinkwasserversorgung unerläßlich. Nicht zuletzt hängt doch die sichere und ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit gutem Trinkwasser davon ab, daß bereits das Rohwasser gewissen qualitativen Mindestanforderungen genügt. Die für unsere Trinkwasserversorgung genutzten Gewässer, also ein großer Teil unserer Flüsse und Seen, können schon aus diesem Grunde auf Dauer nicht so verunreinigt wie heute bleiben. Das heißt im Fachjargon: sie müssen mindestens die Gewässergüte 2 haben. Davon kann heute keine Rede sein, wenn Sie sich einmal die Gewässergütekarte anschauen. Der zunehmenden Verschmutzung einfach ihren Lauf zu lassen, um sich im nachhinein auf die Verbesserung der Trinkwasseraufbereitungsverfahren zu beschränken, ist so schon für die Trinkwasserversorgung, ganz abgesehen vom Umweltschutz, keine realistische Alternative, wie Sie mir zugeben werden müssen.Das juristische Instrumentarium des Wasserhaushaltsgesetzes soll nunmehr ergänzt werden durch die Bestimmungen des Waschmittelgesetzes über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln, um die schädlichen Einwirkungen von Wasch- und Reinigungsmitteln auf die Flüsse und Seen längerfristig zu verhindern und kurzfristig jedenfalls zu vermindern. Zwar ließe sich mit Abwasserbehandlungsanlagen, wie sie auf Grund des Wasserhaushaltsgesetzes vorgeschrieben werden können, jeglicher Phosphateintrag von den freien Gewässern fernhalten. Solche Abwasserbehandlungsanlagen wären jedoch nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand und mit zeitlicher Verzögerung zu errichten. Das Waschmittelgesetz dagegen schafft hier sofortige Abhilfe.Neben der Möglichkeit, die Zusammensetzung der auf dem Markt befindlichen Wasch- und Reinigungs-
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofermittel zu beeinflussen, stellt das Waschmittelgesetz eine frühzeitige und umfassende Kenntnis auch der neu entwickelten Stoffe sicher. Der Erfolg dieses Gesetzes hängt dabei entscheidend von der Mitwirkung der Bürger ab. Auch hier ist erfolgreicher Umweltschutz auf das Mittun jedes einzelnen angewiesen. Daher zielt das Gesetz nicht zuletzt auf den Verbraucher der Wasch- und Reinigungsmittel ab. Es will ihn dazu anhalten, diese für seine Wäsche zwar nützlichen — wenn ich es einmal so sagen darf —, für die Umwelt jedoch schädlichen Stoffe bewußt umweltfreundlich zu verwenden.Zugleich enthält das Waschmittelgesetz Ermächtigungen für die Festlegung von Höchstmengen für den Phosphatgehalt in Wasch- und Reinigungsmitteln und zu einem künftigen Verbot phosphathaltiger Wasch- und Reinigungsmittel überhaupt, sobald geeignete Ersatzstoffe entwickelt sind. Leider kann die Verwendung von Phosphat in Wasch- und Reinigungsmitteln derzeit noch nicht grundsätzlich untersagt werden, denn es ist der bisherigen Forschung trotz erheblicher Anstrengungen nicht gelungen, ein Phosphatsubstitut bis zur Produktionsreife zu entwickeln, das allen Anforderungen, auch den ökologischen. in jeder Hinsicht genügt, So bleibt uns derzeit kein anderer Weg als der, durch eine stufenweise Verminderung des Phosphatanteils die von Eutrophierung bedrohten Gewässer beschleunigt von Schadstoffen zu entlasten. Dies wird zugleich auch die bei der Trinkwasseraufbereitung derzeit auftretenden Schwierigkeiten erheblich verringern. Aber nicht nur der Einsatz von Phosphat, sondern auch die Verwendung anderer gewässergefährdender Stoffe, insbesondere noch unbekannter Austauschstoffe, kann auf Grund des Waschmittelgesetzes beschränkt oder verboten werden. Die möglichst frühzeitige und umfassende Kenntnis auch all dieser Stoffe wird durch die gesetzliche Verpflichtung gewährleistet, die Rahmenrezepturen nebst allen Änderungen einer Bundesbehörde laufend mitzuteilen.Die Mitwirkung des Verbrauchers, von der ich sprach, läßt sich in unserem freiheitlichen Rechtsstaat durch gesetzliche Verpflichtungen dagegen nicht erzwingen. Sie baut vielmehr auf dem Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen, daß eine umfassende Information jedes Bürgers über die Probleme des Gewässerschutzes voraussetzt. Mit seinen Bestimmungen über die Beschriftung der Verpackung wird das Waschmittelgesetz dazu beitragen. Danach — das ist eine praktisch wichtige Sache — müssen die Hauptinhaltsstoffe eines Reinigungsprodukts und nach Wasserhärten abgestimmte Dosierungsvorschriften künftig auf jeder Waschmittelpackung aufgedruckt sein. Entsprechend werden die Wasserversorgungsunternehmen verpflichtet, die Wasserhärten regelmäßig der Bevölkerung mitzuteilen. Diese Informationen sagen dem Verbraucher — um es einmal zusammenfassend so zu formulieren —, wie er mit geringstmöglichem Verbrauch an Wasch- und Reinigungsmitteln einen bestmöglichen Reinigungserfolg erzielt.Während die Bundesregierung mit dem Waschmittelgesetz für die Produktion Daten setzt, bemüht sie sich mit dem Abwasserabgabengesetz, u. a. auchden Produktionsprozeß selbst zu beeinflussen. Unsere Gewässer sind nicht zuletzt deshalb verunreinigt, weil der Reinigungs- oder Vermeidungsaufwand vielfach entweder gar nicht oder nur teilweise in die Produktionskosten einbezogen wird.Hier setzt die Bundesregierung nun den ökonomischen Hebel an. Auch hier muß man ja den Menschen als homo oeconomicus voraussetzen, der nach Gewinn und Verlust rechnet. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die Einleiter von Abwasser eine Abgabe nach Maßgabe der Schädlichkeit des eingeleiteten Abwassers zu leisten haben.Es kann sich also in der Zukunft nun für den Einleiter lohnen, die Schädlichkeit des Abwassers durch eigene Investitionen drastisch zu verringern. Das ist ja die Logik dieses ganzen Konzepts. Die Abgabe schafft so einen wirtschaftlichen Anreiz, mehr Kläranlagen als bisher zu bauen, die Technik der Abwasserreinigung zu verbessern, verstärkt abwasserarme oder abwasserlose Produktionsverfahren einzuführen und abwasserintensive Güter sparsam zu verwenden.Die Bundesregierung hat bei der Bemessungsgrundlage der Abgabe die schwer abbaubaren, besonders die für die Trinkwasserversorgung gefährlichen Stoffe und die Giftigkeit der Abwässer angemessen bewertet. Dieser Schritt wird richtungweisend für die künftige Entwicklung des Gewässerschutzes wie der Trinkwasserversorgung sein. Es wird dabei weder Vorzugstarife noch weitgehende Freistellungen für die Verunreinigungen geben, die nach Reinigung des Abwassers nach dem jeweiligen Stand der Technik verbleiben; würden Vorzugstarife I oder Freigrenzen doch den mit der Abwasserabgabe bezweckten Anreiz zur Weiterentwicklung der Reinigungstechnik und zur Einführung abwasserarmer oder gar abwasserloser Produktionsverfahren verringern. Von diesem Grundgedanken gehen nicht nur die vergleichbaren Regelungen in anderen westeuropäischen Ländern, sondern auch der CDU/CSU-Entwurf aus.Die hiermit vorgeschlagene Abwasserabgabe ist, worauf auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen hinweist, ein für uns unverzichtbares Mittel, die allseits anerkannten Ziele des Umweltprogramms ökonomisch optimal zu erreichen. Sie reizt vor allem da zur Abwasserreinigung an, wo sich mit geringen Mitteln die Schädlichkeit erheblich verringern läßt.Daß die Einführung einer neuen Abgabe, wie sie das Abwasserabgabengesetz vorsieht, von den Betroffenen, insbesondere in der Wirtschaft, nicht mit ungeteilter Freude betrachtet wird, liegt auf der Hand. Die Bundesregierung weiß sehr wohl, daß die Abwasserabgabe für die Betroffenen eine Belastung darstellt. Dies ist gewollt, weil nur so die Absicht des Gesetzes zu verwirklichen ist. Wir sind uns auch bewußt, daß die Belastung durch die Abwasserabgabe für Betriebe, die auf Grund produktionstechnischer Gegebenheiten oder wegen fehlender moderner Abwasserreinigungsanlagen sehr abwasserintensiv sind, empfindliche Ausmaße annehmen kann, vor allem dort, wo bisher praktisch nichts für die Abwasserreinigung getan worden ist. Aber auch
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferin hier besonders betroffenen Industriezweigen gibt es Betriebe, die die Schädlichkeit ihrer Abwassereinleitung bereits aus eigenem Antrieb so erheblich reduziert haben, daß sie durch die Abgabe nur relativ geringfügig belastet werden. So beträgt, um nur ein Beispiel herauszuheben, nach eigenen Berechnungen des Verbandes Deutscher Papierfabriken die Abgabebelastung für den Betrieb der Zellstoffindustrie, der die bisher größten Anstrengungen zur Verminderung der Abwasserschädlichkeit unternommen hat, nur etwa ein Zehntel der durchschnittlichen Belastung dieser Branche. Die Bundesregierung hat gerade der Frage der Belastbarkeit besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Sie hat die zahlreichen Stellungnahmen der Betroffenen sorgfältig verarbeitet, in der von meinem Hause durchgeführten Anhörung erörtert und hierzu ein Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen eingeholt.Die Bundesregierung trägt im Einzelfall auftretenden Schwierigkeiten durch Übergangsregelungen Rechnung, die den Betroffenen die Einstellung auf das Gesetz und die Anpassung an die durch das Gesetz eintretenden Änderungen erleichtern. Dazu gehört vor allem eine Abgabe in geringerer Höhe für eine Übergangszeit bis zum 1. Januar 1980. Ferner zählt dazu die erhöhte Berücksichtigung der Reinigungsleistung bereits bestehender Abwasserbehandlungsanlagen. Sie kann eine zusätzliche Verminderung der Abgabe bis auf die Hälfte bewirken. Neben der Regelung, wonach die Abgabe während der Bauzeit einer Abwasserbehandlungsanlage gestundet und weitgehend erlassen werden kann, gibt es eine weitere besonders wichtige Möglichkeit, wonach die Länder aus dem Aufkommen der Abwasserabgabe und aus anderen Förderungsprogrammen die durch die Abwasserabgabe besonders empfindlich getroffenen Betriebe gezielt fördern können, um ihnen die Durchführung von Investitionen zur Verminderung der Schädlichkeit ihrer Abwässer zu erleichtern. Für dann noch verbleibende Härtefälle kommt die Einführung einer zeitlich begrenzten und an strenge Voraussetzungen gebundenen Härteklausel in Betracht.Diesen auf einen zeitgemäßen Gewässerschutz ausgerichteten Gesetzentwürfen sollte auch die Opposition ihre Zustimmung nicht verweigern. Der von ihr vorgelegte Gesetzentwurf zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes reicht trotz einiger erfreulicher gemeinsamer Ansatzpunkte nach meiner Überzeugung dazu nicht aus. Er ist aus den folgenden Gründen für uns keine realistische politische Alternative:Erstens. Es fehlen insbesondere Vorschriften über einen Gewässergütestandard. Im Konzept der CDU für Umweltvorsorge vom 27. Oktober 1972 dagegen waren sie ausdrücklich vorgesehen.Zweitens. Es fehlen ausreichende Vorschriften über das Lagern und Abfüllen wassergefährdender Flüssigkeiten.Drittens. Durch die Anbindung der Einleitungstandards an die allgemeinen Regeln der Abwassertechnik orientiert sich der CDU/CSU-Entwurf an konventionellen Verfahren der Abwasserreinigungstechnik und bleibt damit hinter den Erfordernissen eines neuzeitlichen Gewässerschutzes zurück.Viertens. Bei ihrer Reinhalteabgabe hat die Opposition — ich begrüße das ausdrücklich zwar den Ansatz der Bundesregierung für eine Abwasserabgabe übernommen. Der Oppositionsentwurf weist jedoch so erhebliche Mängel auf, daß er die Reinhaltung unserer Gewässer nicht im erforderlichen Umfang gewährleisten könnte. Denn der Oppositionsentwurf bewertet, obwohl er zur Bestimmung des biochemischen Sauerstoffbedarfs ein aufwendiges Verfahren vorsieht, die schwer abbaubaren, insbesondere die für die Trinkwasserversorgung gefährlichen Stoffe nicht hinreichend und die Giftigkeit des Abwassers überhaupt nicht.Fünftens. Der Oppositionsentwurf sieht bei der Abgabenhöhe keine zweite Stufe vor wie der Regierungsentwurf. Eine ausreichend kräftige Anreizwirkung läßt sich aber nur dann erzielen, wenn bereits heute die volle Abgabenbelastung auch für die Zukunft festgelegt ist.Sechstens. Der Oppositionsentwurf erfaßt das sehr schädliche und zudem ständig zunehmende verschmutzte Niederschlagswasser von bebauten Flächen überhaupt nicht.Siebentens und letztens. Ein weiterer entscheidender Mangel des Oppositionsentwurfs: Er enthält keine einheitlichen Vorschriften zur Ermittlung der Schädlichkeit des Abwassers. Mithin ist auch nicht sichergestellt, daß für gleich schädliches Abwasser in allen Bundesländern eine gleich hohe Abgabe zu leisten ist.Diese Mängel des Oppositionsentwurfs, auch des in ihm enthaltenen juristischen Instrumentariums resultieren — bei aller Anerkennung der Gemeinsamkeiten — nicht zuletzt daraus, daß die Opposition allein mit rahmenrechtlichen Regelungen auszukommen sucht. Hier zeigt sich einmal mehr, wie unhaltbar es ist, dem Bund die volle Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet des Wasserhaushalts zu verweigern.Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, auch zu dieser verfassungsrechtlichen Lage einige abschließende Bemerkungen zu machen. Mit dem Entwurf eines Abwasserabgabengesetzes und dem Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, der bereits in den Ausschüssen des Bundestages beraten wird, entsteht für den Bundesgesetzgeber die Schwierigkeit, daß Art. 75 Nr. 4 GG bisher nur den Erlaß von Rahmenvorschriften für den Wasserhaushalt zuläßt, wie Sie alle wissen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Grenzen der Rahmengesetzgebung in seiner Rechtsprechung dahin umschrieben:1. Die Rahmenvorschriften des Bundes müssen als Ganzes für die Landesgesetzgebung ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig, jedenfalls auf eine solche Ausfüllung hin angelegt sein.2. Sie müssen dem Landesgesetzgeber Raum für Willensentscheidungen in der sachlichen Rechtsgestaltung lassen.3. Was den Ländern zu regeln bleibt, muß von substantiellem Gewicht sein.
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Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihofer4. Rahmenvorschriften dürfen ihre Zweckbestimmung nicht überschreiten, nur eine Grenze für landesgesetzliche Eigenregelungen zu bilden.5. Soweit der Bund eine Materie selbst unmittelbar rechtlich ordnet, müssen die Vorschriften des Bundesrechts wiederum so gestaltet sein, daß Bundesgesetz und Landesgesetz nebeneinander wirksam werden müssen, um die gewollte gesetzliche Ordnung zu erreichen und anwendbares Recht zu schaffen.Diese rahmengesetzlichen Grenzbestimmungen lassen zureichende Bundesregelungen für die Kernbereiche des Gewässerschutzes, beispielsweise für die Anforderungen an das Lagern wassergefährdender Stoffe, für die Bestimmung eines auf die Trinkwasserversorgung ausgerichteten Gewässergütestandards, für die Anforderungen an Abwassereinleitungen und auch für Meßverfahren und Pauschaltabellen bei der Abwasserabgabe nicht zu oder belasten sie zumindest mit einem erheblichen Geltungsrisiko. Solche Regelungen, die vorwiegend technisches Recht darstellen, müssen aber in der Bundesrepublik unmittelbar und einheitlich gelten. Ja, sie sollten auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus so bald wie möglich vereinheitlicht werden. Die Initiativen dazu im Europarat und in den Europäischen Gemeinschaften sind Ihnen bekannt.Meine Damen und Herren, die Gewässerschutzpolitik der Bundesregierung ist auf eine föderative Kooperation von Bund und Ländern zum Nutzen aller Bürger angelegt. Auch mit einer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Wasserhaushalt wird den Ländern ein erheblicher Spielraum für eigenverantwortliche Tätigkeit bleiben. Nicht nur bleibt dabei das bisherige landesrechtliche Instrumentarium größtenteils erhalten, sondern die präventive Planung wird gegenüber der klassischen Gesetzgebung für die Länder sogar noch an Bedeutung gewinnen.Als Schwerpunkte werden auch nach einer sachangemessenen Verfassungsänderung bei den Ländern verbleiben — es ist wichtig, sich das einmal zu vergegenwärtigen —:1. die Bestimmung des Güteziels bei Gewässern, die nicht der Trinkwasserversorgung dienen,2. die wasserwirtschaftliche Rahmenplanung und die Aufstellung von Bewirtschaftungsplänen für Gewässer,3. die Aufstellung von Sanierungsplänen für übermäßig belastete Gewässer,4. die Aufstellung von Abwasserbeseitigungsplänen und5. die Verwendung der Mittel aus der zukünftigen Abwasserabgabe.Das ist genug, vielleicht sogar übergenug.Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit den vorliegenden Gesetzentwürfen, wie wir glauben, einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Umweltbedingungen in dem besonders notleidenden Bereich des Gewässerschutzesgeleistet. Die Bürger in unserem Lande werden kein Verständnis dafür aufbringen, falls die von allen als notwendig erkannte Sanierung unserer Gewässer an Kompetenzquerelen zwischen Bund und Ländern scheitern sollte. Sie erwarten vielmehr von uns allen beschleunigte und durchgreifende Lösungen. Ich appelliere daher in dieser Stunde nochmals auchund gerade — an die Opposition, den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwürfen zuzustimmen und damit den Weg freizumachen für eine zeitgemäße, zukunftsoffene Wassergesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biechele.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wasser ist unentbehrlich für alles menschliche, tierische und pflanzliche Leben. Es bildet unmittelbar oder mittelbar die Grundlage für die gewerbliche und industrielle Produktion. Die Besonderheit dieses überragend wichtigen Gemeinschaftsguts besteht darin, daß seine nutzbaren Vorräte begrenzt, unvermehrbar und unersetzbar sind. Die Inanspruchnahme des uns zur Verfügung stehenden Wasserschatzes zur Deckung des Wasserbedarfs hat in den letzten Jahrzehnten nicht erwartete Ausmaße angenommen. Allein in den letzten 50 Jahren ist der Wasserbedarf durch das gesteigerte Hygienebewußtsein im weitesten Sinne, durch das veränderte Konsumverhalten des Menschen und vor allem durch die Ausweitung der industriellen Produktion auf das Zwanzigfache gestiegen. Gleichzeitig hat sich die Bevölkerung verdoppelt, so daß der gesamte Wasserbedarf um das Vierzigfache zugenommen hat. Diese Entwicklung wird sich in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich überproportional fortsetzen.Die Kehrseite dieser Entwicklung: Der Wasserschatz unseres Landes ist, wie in anderen hochindustrialisierten Staaten, in vielfacher Weise gefährdet. Dies gilt sowohl für die Oberflächengewässer wie auch für das Grund- und Quellwasser. Der Abwasseranfall ist sprunghaft gestiegen. Die Schmutzfracht unserer Gewässer hat sich erheblich vergrößert.Es ist sicher gut, wenn wir den ökologischen Hintergrund skizzieren, vor dem wir heute unsere Debatte führen. Von 1957 bis 1969 ist die Schmutzfracht der aus öffentlichen Kanalisationen abgeleiteten Abwässer um fast 50 % gestiegen. Selbst die absolute Menge des ungereinigt eingeleiteten Abwassers hat zugenommen, nämlich von 1963 bis 1969 um rund 20 %. Hochrechnungen auf die Gegenwart zeigen noch keine Umkehrung dieses Trends an.Weitere und nachhaltige Anstrengungen müssen zusätzlich unternommen werden, um einen gesunden und leistungsfähigen Wasserhaushalt zu sichern. Diesem Ziel dient die Novelle zum Wasserhaushalts-
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BiecheleBesetz, für die die Bundesregierung und die CDU/ CSU-Fraktion Gesetzentwürfe vorgelegt haben. Wir haben sie in der ersten Beratung in der 57. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18. Oktober 1973 diskutiert. Diesem Ziel dienen auch die uns heute vorliegenden Gesetzentwürfe der Bundesregierung: der Entwurf eines Gesetzes über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln und der Entwurf eines Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz). Die Fraktion der CDU/CSU hat in ihrem Entwurf einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz im 6. Teil — Gewässerbenutzungsabgabe — die sogenannte Reinhalteabgabe vorgeschlagen. Sie entspricht im Prinzip der Abwasserabgabe des Abwasserabgabengesetzes. Herr Bundesminister, Sie haben darauf hingewiesen.Bevor ich zur Reinhalteabgabe, zur Abwasserabgabe grundsätzliche Bemerkungen mache, möchte ich einige Hinweise zum Entwurf eines Waschmittelgesetzes geben. Auch dieses Gesetz soll der Reinhaltung der Gewässer und damit der Sicherung der Wasserversorgung dienen. Durch eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen sollen die von Wasch-und Reinigungsmitteln ausgehenden Einwirkungen auf die Gewässer verhindert werden. Es soll das Detergentiengesetz aus dem Jahre 1961 ablösen und fortentwickeln, das als erstes Gesetz dieser Art strenge Anforderungen an die Abbaubarkeit der in Wasch- und Reinigungsmitteln enthaltenen waschaktiven Substanzen stellte. Diese Vorlage wird auch an die einschlägige EG-Richtlinie von 1973 angepaßt.Wasch- und Reinigungsmittel gehören zu den Umweltchemikalien, die die Gewässer besonders belasten. Über das Waschen im Haushalt werden sie mit dem Abwasser in die Gewässer transportiert. In Rechtsverordnungen sollen bestimmte Anforderungen an die in Wasch- und Reinigungsmitteln enthaltenen Stoffe festgesetzt werden. Rahmenrezepturen und deren Änderungen für alle Wasch- und Reinigungsmittel müssen dem Umweltbundesamt angezeigt werden.Stehende und langsam fließende Gewässer müssen vor allem vor überhöhter Phosphatzufuhr geschützt werden. Sie führt zur bekannten Überdüngung, Eutrophierung der Gewässer, die das „Umkippen" eines Gewässers bewirken kann. Ein wesentlicher Teil der Phosphatzufuhr stammt vom Phosphatanteil moderner Waschmittel. Da es der Forschung bisher noch nicht gelungen ist, für das Phosphat einen auch ökologisch geeigneten Ersatzstoff zu finden, kann diese gefährliche Phosphatbelastung wenigstens teilweise durch die im Gesetzentwurf festgelegten Bestimmungen — Dosierungsempfehlungen nach Härtegraden des Wassers, die auf Verpackungen und Umhüllungen deutlich sichtbar und gut lesbar angebracht sein müssen — vermindert werden. Allerdings hängt der Erfolg dieser Empfehlungen von der Mitwirkung des umwelt-, also wasserbewußten Bürgers ab.Obwohl dieses Instrumentarium des Waschmittelgesetzes schnell zur Verfügung stehen und beachtliche Ergebnisse erzielen kann, benötigen wir bei der wachsenden Zahl eutrophierungsgefährdeter Gewässer eine zusätzliche Phosphatfällung in den Kläranlagen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf den Bodensee verweisen. Als größter Trinkwasserspeicher und Trinkwasserspender in Europa hat er eine besondere, ja einzigartige Bedeutung. Über 3 Millionen Menschen beziehen heute ihr Trinkwasser aus dem Bodensee. In Ihrer Rede, Herr Bundesminister, vor der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen in Bonn am 27. September 1974 haben Sie ausgeführt:Der Bodensee, der Rhein und die Küstengewässer sind in den letzten Jahren hierund dort nicht nur nicht sauberer, sondernnoch schmutziger geworden.Herr Bundesminister, diese Aussage stimmt für den Bodensee nicht. Die Gewässergüte des Bodensees hat sich verbessert. Die besonderen Anstrengungen des Landes Baden-Württemberg im Schwerpunktprogramm Bodensee und die zusätzlichen Hilfen des Bundes machten und machen sich bezahlt.
Bis Ende 1975 werden alle bedeutenden Kläranlagen im Einzugsgebiet des Bodensees, insbesondere alle Kläranlagen am See, in Betrieb sein, vor allem jene, die die Hauptverschmutzer — Untere Radolfzeller Aach und Schussen — sanieren. Alle diese Kläranlagen werden wegen der Eutrophierungsgefahr mit der dritten Reinigungsstufe zur Phosphatfällung ausgestattet.Allerdings erträgt der Bodensee, dessen Zustand immer noch labil ist, keine gefährlichen Experimente wie etwa die Hochrhein-Kanalisierung in den Bodensee, regulierende Stauwehre, die den vielbeschworenen Neckarstollen ermöglichen würden, um mit gutem Bodenseewasser den Neckar aufzufrischen, technische Großprojekte im Rheintal; Öldestillationsanlagen, die die Petrochemieindustrie nach sich ziehen werden, und ein Kernkraftwerk in Seenähe,
weil davon nicht zu unterschätzende Gefahren für die Reinhaltung des Bodensees ausgehen können. — Herr Kollege Professor Schäfer, selbstverständlich ist hier auch die Landesregierung von Baden-Württemberg in die Verantwortung genommen. Trotzdem bitte ich die Bundesregierung — denn auch die Bundesregierung hat in diesem Felde Einwirkungsmöglichkeiten, Herr Bundesminister —, Ihre Möglichkeiten zur Abwehr dieser Gefahren einzusetzen.
Wir werden die Beratungen des Waschmittelgesetzes nachdrücklich fördern.Ich wende mich nun der Regierungsvorlage eines Abwasserabgabengesetzes zu. Die Fraktion der CDU/CSU hat, wie ich schon erwähnt habe, in ihrem Entwurf einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz im 6. Teil ihre Vorstellungen zu einer Gewässerbenutzungsabgabe formuliert. Wir treten dafür ein, daß die Länder eine Gewässerbenutzungs-
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Biecheleabgabe für die Benutzung der Gewässer erheben können. Wir werden in den Ausschußberatungen darauf zurückkommen.Unser Konzept einer Reinhalteabgabe entspricht, wie ich schon gesagt habe, dem Prinzip der Abwasserabgabe des Regierungsentwurfs. Trotz der Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes und der Landeswassergesetze, die die Einleitung schädlicher Abwässer verbieten oder unter Festsetzung von Auflagen an die Beschaffenheit des Abwassers zulassen, haben die Wasserbehörden erhebliche Schwierigkeiten, die zur Reinhaltung der Gewässer erforderlichen Maßnahmen durchzusetzen. Auch die Regelungen in den Entwürfen einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz reichen nicht aus, solange das Interesse der Gewässerverschmutzer fortbesteht, so wenig wie möglich an Kosten für die Verringerung der Schädlichkeit ihres Abwassers aufzuwenden.Die durch die Gewässerverschmutzung entstehenden Schäden treten im allgemeinen nicht bei denjenigen auf, die sie verursachen, sondern sie fallen der Allgemeinheit oder nicht an der Verschmutzung Beteiligten zur Last. Sie schlagen sich somit in den Ko- sten der Abwassereinleiter nicht nieder. Das ist ein unerträglicher Sachverhalt. Wenn man das Verursacherprinzip ernst nimmt, nach dem die Kosten der Umweltschädigungen den Verursachern angelastet werden — und die Fraktion der CDU/CSU nimmt es ernst —, dann muß man hier für eine wirkungsvolle Abhilfe sorgen. Sowohl die Reinhalteabgabe als auch die Abwasserabgabe sind ein neues und eigenständiges Instrument einer modernen Gewässerschutzpolitik.
Die Höhe der Abgabe ist so zu bemessen, daß von ihr ein kräftiger wirtschaftlicher Anreiz ausgeht, in stärkerem Umfang als bisher Kläranlagen zu bauen, den Stand der Abwassertechnik zu verbessern, abwasserarme oder abwasserlose Produktionsverfahren zu entwickeln und einzuführen und abwasserintensiv hergestellte Güter sparsam zu verwenden. In diesen grundsätzlichen Überlegungen stimmt die Fraktion der CDU/CSU mit der Regierungsvorlage überein. Wir wissen sehr wohl, daß unsere auf das Wesentliche beschränkten Vorstellungen einer Reinhalteabgabe ergänzungsfähig und ergänzungsbedürftig sind. Das gilt sicher für die Berechnungsformel.Unsere Möglichkeiten als parlamentarische Opposition bei der gesetzgeberischen Vorbereitung schwieriger Materien sind begrenzt. Trotzdem muß ich die einigermaßen globale Bewertung, daß es keine reale Alternative zur Abwasserabgabe der Bundesregierung gebe, zurückweisen. Die Regierungsvorlage eines Abwasserabgabengesetzes macht hinreichend deutlich, daß es sich hier um eine schwierige Gesetzesmaterie handelt. Neuland mußte betreten werden.Nach gründlichem und kritischem Studium bin ich zu der Auffassung gekommen, daß die Bundesregierung mit dieser Vorlage die Schwierigkeiten nicht bewältigt hat.
Der Gesetzentwurf ist in seiner Konsequenz nicht zu Ende gedacht und damit auch nicht überzeugend formuliert. Er hat nicht jenen Grad von Reife, den wir gerade von einem solchen Gesetzentwurf erwarten müssen. Dies wird recht deutlich, wenn wir die umfangreiche Begründung lesen. Ich verweise vor allem auf den Schlußteil des Abschnittes C.Angesichts dieses Sachverhaltes ergeben sich aus unserer Sicht ungelöste Probleme von zentraler Bedeutung.Erstens. Die Bundesregierung wollte in ihrem Umweltprogramm von 1971 durch die Abwasserabgabe den Vorteil ausgleichen, den öffentliche oder private Einleiter gegenüber denjenigen Einleitern haben, die schon jetzt ihre Abwässer ausreichend reinigen. Jetzt will sie jede Abwassereinleitung mit einer Abgabe belasten, bei der das eingeleitete Abwasser nicht so weit gereinigt ist, daß sein Reinheitsgrad der Gewässergüteklasse II — leicht verschmutzt — entspricht. Dadurch werden selbst die Einleiter belastet, die schon heute ihr Abwasser nach dem Stand der Technik reinigen. Auch kann der unterschiedliche Stand der Abwassertechnik nicht berücksichtigt werden. Damit ist der Grundgedanke des Vorteilsausgleichs aufgegeben worden, der in unserer Konzeption sicher entwicklungsfähig — enthalten ist. Die Übergangsregelungen, die Unausgewogenheiten heilen sollen, bleiben problematisch. Warum hat die Bundesregierung, so müssen wir fragen, weitere Übergangsregelungen, die sie andeutet und wohl für notwendig hält, nicht jetzt schon vorgelegt?Zweitens. Die Bundesregierung räumt ein, daß durch die Abgabenhöhe erhebliche Belastungen für die Abgabepflichtigen gegeben sind, daß sich Betriebsteile oder Unternehmen möglicherweise nicht mehr behaupten können. Sie schließt auch inter- nationale Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft nicht aus. Warum hat die Bundesregierung, so müssen wir fragen, nicht eine genaue Untersuchung der wirtschaftlichen Auswirkungen vorgelegt, damit das rechte Maß zwischen den unterschiedlichen legitimen Interessen gefunden werden kann?Drittens. Die Bundesregierung hat keine verläßlichen Unterlagen über die mit der Erhebung der Abwasserabgabe verbundenen Personal- und Sachkosten vorgelegt. Sind Befürchtungen zutreffend — so müssen wir auch hier fragen —, daß das Aufkommen aus der Abwasserabgabe in unverhältnismäßiger Weise durch die Verwaltungskosten aufgezehrt wird?Es ließen sich noch mehr Fragen und Bedenken zum Gesetzentwurf formulieren, auf die wir keine Antwort bekommen.Bevor ich zum Schluß komme, darf ich noch eine heitere Note anschlagen. In einem bekannten Nachrichtenmagazin fand ich folgenden Satz:Hierbei handelt es sich regelmäßig um Fälle aus Teilursachen zusammengesetzter kumulativer Kausalität, die nach den üblichen Kausalitätsformeln der conditio sine qua non unserer Bedingungstheorie, aber auch der Adäquanz-
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Biecheletheorie nicht einem bestimmten Verursacher zugerechnet werden können.— Herr Bundesminister, Sie lachen. Dieser Satz ist von Ihnen, Herr Bundesminister,
und er steht in dem von mir schon einmal zitierten Referat, das Sie vor kurzem vor der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen in Bonn gehalten haben. Ich kenne den Zusammenhang, in dem Sie diesen Satz formuliert haben. Er ist arg juristisch geraten. Herr Bundesminister, das mit den Verursachern und dem Verursacherprinzip, von denen heute vielfach die Rede ist, ist doch eine schwierige Sache. Wer soll sich da zurechtfinden?Wir — das gilt für die CDU/CSU-Fraktion — sind davon überzeugt, daß wir mit den Möglichkeiten unseres Gesetzentwurfes einer Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz auch im Hinblick auf die Reinhalteabgabe die Sanierung und Reinhaltung der Gewässer schneller, sachgerechter und wirksamer fördern und sicherstellen können, und zwar mit den Regelungen des Rahmenrechts, als dies die Regierungsvorlagen der Vierten Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz und eines Abwassergesetzes versprechen.Ich möchte dabei darauf hinweisen, daß das gilt, was wir in der Debatte im Oktober vergangenen Jahres zur Kompetenzfrage gesagt haben, was vor allem der Kollege Vogel gesagt hat. Wir gehen mit aller Aufgeschlossenheit auch in die Beratungen des Abwasserabgabengesetzes, obwohl sie wegen der dargelegten schwerwiegenden Unzulänglichkeiten sicher sehr schwierig werden. Wir werden neue Gesichtspunkte unvoreingenommen und sachgerecht prüfen.Die CDU/CSU-Fraktion — damit möchte ich schließen — läßt sich in der Sorge für eine menschenwürdige Umwelt von niemandem übertreffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist mir eine Herzensfreude, mit einem Glückwunsch an den Herrn Kollegen Biechele beginnen zu können. Er hat sehr schnell die Bedeutung erkannt, die den Äußerungen des Bundeskanzlers über Professoren allgemein und professorale Äußerungen im besonderen beizumessen ist, und hat sich diesem stilbildenden Vorbild angeglichen. Herr Professor Maihofer hat gute Miene zum guten Spiel gemacht.Das Abwasserabgabengesetz und das Waschmittelgesetz — zwei vorn Ursprung, vom Inhalt und von der Auswirkung her betrachtet höchst unterschiedliche Gesetze, sind kennzeichnend für die Weite des Bogens, mit dem die Bundesregierung erneut und zukunftsträchtig das Feld des Umweltschutzes überspannt.Der Entwurf des Waschmittelgesetzes baut auf den bewährten Bestimmungen des Detergentiengesetzes von 1961 auf und paßt sie der Rahmenrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften von 1973 an. Es gehört in die Reihe der Gesetze, die mit ordnungsrechtlichen Mitteln zum verbesserten Schutz der Umwelt beitragen. Verursachungsgrundsatz und verstärkte Vorsorge vor weiterer Gewässerverschmutzung kommen in seinen Paragraphen zum Tragen.Der Entwurf des Abwasserabgabengesetzes läßt schon beim ersten Blick auf die vollständige Überschrift erkennen, daß eine nach Menge und Schädlichkeit des Abwassers bemessene Abgabe als Verursacher zu zahlen hat, wer solches in Gewässer einleitet. Hier eröffnet sich in der strikten Anwendung des Verursachergrundsatzes für den Gesetzgeber insoweit Neuland, als die wirtschaftlichen Gesichtspunkte des Anreizes zu umweltfreundlichem Verhalten und des Vorteilsausgleichs im Vordergrund stehen.Die Regierung hat die Entwürfe eingebracht, nachdem ein ausgiebiges Anhörverfahren für beide durchgeführt worden ist. Ich möchte für die SPD-Fraktion der Regierung und den beteiligten Beamten dafür danken, daß die Gesetze so sorgfältig vorbereitet worden sind.Diese Entwürfe runden das Gesetzgebungsprogramm der sozialliberalen Koalition im Bereich des Gewässerschutzes ab und ergänzen, was hauptsächlich für das Abwasserabgabengesetz gilt, das Vierte Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, das der Bundestag etwa vor Jahresfrist in erster Lesung beraten hat. Wie nötig es ist, mit allen Kräften das Ziel anzustreben, das Lebensgut „sauberes Wasser" zu bewahren oder wiederherzustellen und es sparsam zu bewirtschaften, ist schon an den Tatsachen und Zahlen abzulesen, die sowohl der Herr Bundesminister als auch der Herr Kollege Biechele vorgetragen haben. Ich kann sie mir ersparen.Nur auf die Gewässergütekarte möchte ich verweisen. Da hat schon im Jahre 1971 bei dem Anhörungsverfahren, das der Innenausschuß des Bundestages gemeinsam mit dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit veranstaltet hat, Herr Professor Salzwedel als Sachverständiger auf die damals vorliegende Gewässergütekarte aufmerksam gemacht. Sie muß in ihm apokalyptische Visionen geweckt haben. Die jetzt erstellte neue Gewässergütekarte ist keineswegs besser. Sie verdeutlicht in bedenklicher, wenn nicht sogar in erschreckender Weise, daß ein großer Teil der Gewässer — vom „Vater Rhein" über die „schöne blaue Donau" und den „Blanken Hans" in meiner engeren Heimat bis zu sagenumwobenen Seen und kleinen Flußläufen —stark bis übermäßig verschmutzt ist. Dazu kommt der steigende Wasserbedarf über den wir Zahlen gehört haben. Mit ihm steigt die Abwassermenge entsprechend an. Deshalb geht es darum, in den gemeinsamen Bemühungen von Bund und Ländern, Gemeinden und großen industriellen Einleitern bei der Ordnung des Wasserhaushalts nicht nachzulassen, sondern sie noch zu verstärken. Dabei wäre es ungerecht zu übersehen, daß nicht nur von umwelt-
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Konradbewußten Bürgern und kritischen Massenmedien der Wert sauberen Wassers und die Notwendigkeit seiner Erhaltung erkannt werden, sondern daß sich auch das Bewußtsein der großen Wasserverschmutzer und -verbraucher gewandelt hat.Aber da nun heute — anders als an den Wassern Babyions — an unseren Gewässern nicht geweint, sondern gesiedelt, produziert und gekühlt wird, wobei es eben auch jene gibt, die allzumal Sünder sind und des Ruhms mangeln, den sie haben sollten, geht es nicht ohne gesetzliche Regeln und ohne zu Buch schlagende Kosten und Abgaben.Das Waschmittelgesetz trägt dem Umstand Rechnung, daß beim Waschen beträchtliche Mengen chemischer Substanzen — zur Zeit überwiegend Phosphat, das auch noch nicht ersetzt werden kann — mit dem häuslichen Abwasser entfernt werden. Abwasserbehandlungsanlagen und Ringkanalisation würden das Phosphat aus dieser Quelle wie auch aus den beiden anderen, aus den menschlichen Fäkalien und der landwirtschaftlichen Düngung, den Gewässern fernhalten können. Doch muß aus finanziellen und zeitlichen Gründen auf die sofort zur Verfügung stehenden Maßnahmen des Waschmittelgesetzes zurückgegriffen werden.Es sieht vor, durch Rechtsverordnungen auf die Zusammensetzung der Wasch- und Reinigungsmittel Einfluß zu nehmen und dem Umweltbundesamt umfassend und frühzeitig Kenntnis von allen, auch den neu entwickelten Stoffen, die in ihnen verwendet werden, zu verschaffen.Am wichtigsten aber ist der gesetzgeberische Appell an die Verbraucher, durch sachgemäßen Verbrauch von Wasch- und Reinigungsmitteln persönlich zum Verbraucherschutz beizutragen. Die Pflichten für die Hersteller, ihre Erzeugnisse mit Bestandsangaben und Dosierungsempfehlungen zu versehen, und für die Wasserversorgungsunternehmen, den Wasserhärtegrad anzugeben, sind die Grundlagen für die Information der Verbraucher.Den Frauen wird mit diesen Bestimmungen des Waschmittelgesetzes viel Vertrauen entgegengebracht. Sie erhalten im Gewässerschutz einen eigenen, großen Handlungs- und Bewährungsraum. In diesen können sie natürlich nicht gezwungen werden, was ohnehin ein Verstoß gegen die Emanzipation wäre. Deshalb sind die Hilfen für ihre freiwillige Mitwirkung an der Verminderung der Wasserverschmutzung ausführlich ausgestaltet. Ich bin sehr froh darüber, daß noch zwei Kolleginnen im Saal sind und damit gehört haben, wie hoch ich den Wert weiblicher Mitarbeit veranschlage.
Weil wir gerade mal bei denen sind, die da sind, möchte ich eigentlich auch einen Gedanken jenen zuwenden, die nicht da sind. Sonderlich berufen bin ich dazu nicht; ich bin kein fleißiger Plenumsbesucher. Aber was ich über die Abwesenden sage, geschieht zu deren höherem Ruhm; denn ein großer Teil von ihnen widmet sich ja in diesem Augenblick dem Kult des reinen Bieres, was, nachdem wir uns um reines Wasser bemühen, doch zumindest ein konkurrenzwürdiges und zu billigendes Unternehmen ist.Dann möchte ich noch meinen, daß der Inhalt des Entwurfs, wie ich den Ausführungen des Kollegen Biechele entnommen habe, hier im Haus kaum Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten bieten wird. Auch über die Notwendigkeit einer Novelle bestand nach der vom Bundesinnenministerium im Februar 1973 durchgeführten Anhörung kein Zweifel. Es scheint mir aber ein Gebot der Gerechtigkeit zu sein, auf die vielfachen und von besonderer Sachkunde getragenen Bemühungen meines Fraktionskollegen Dr. Haenschke zu verweisen, der auf eine baldige Novellierung ständig gedrängt hat und dessen Bemühungen im politischen Raum nicht unbemerkt geblieben sind.Das Abwasserabgabengesetz ist die zwingende und logische Schlußfolgerung aus der Tatsache, daß die bisherigen, gewissermaßen klassischen Maßnahmen der Einleitebedingungen und der Reinhaltemaßnahmen keinen durchgehenden Einfluß auf die Wassergüte gehabt haben. Aus dem vom Innenausschuß durchgeführten Anhörverfahren des Jahres 1971 zum Wasserhaushalt wären die Feststellungen des von mir bereits erwähnten Professor Dr. Salzwedel in Erinnerung zu rufen, daß bei der Wassereinleitung das Verursacherprinzip praktisch gescheitert sei und daß es deshalb darauf ankomme — so Salzwedel wörtlich —,die unterschiedliche Auflagenpraxis durch Abwassergebühren auszugleichen, die den einleitenden Gemeinden und der Industrie einen Anreiz geben, den Verschmutzungsgrad ihrer Abwässer von sich aus durch eine möglichst weitgehende Klärung zu vermindern und ihre Gebührenlasten auf diese Weise zu verhindern.Sehr einfach und verständlich hat er seiner Forderung, daß die Lasten gerecht verteilt werden müssen, hinzugefügt:Wer einen hohen Kläraufwand auferlegt bekommt, bezahlt wenig Abwassergebühren, wer nicht klärt, zahlt viel.Nun habe ich gewiß eine parlamentarische Unterlassungssünde begangen, weil ich mir die Zitiererlaubnis nicht eingeholt habe.
Die Frau Präsidentin wird sehr gnädig über dieses Vergehen hinwegsehen, weil ich ja aus einem Buch zitiert habe, für dessen Herausgabe — „Zur Sache" 3/71 — der Präsident des Bundestages verantwortlich ist. Die Ergebnisse der Anhörungsverfahren werden mühselig aufgeschrieben und gedruckt, so daß es doch eigentlich eine Ehrenpflicht für uns ist, uns auch einmal dieser Quelle zu bedienen, um eine Meinung zu belegen.
Niemand wird heute bestreiten, daß eine Abwasserabgabe gegenüber der sonst erforderlichen starren Verschärfung des bisher verwendeten Instrumentariums die günstigere Lösung ist. Die Ausein-
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8198 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Konradandersetzung beginnt erst bei der Ausgestaltung der Einzelheiten. Der Regierungsentwurf enthält Regelungen, die im allgemeinen zu billigen sind. Der Herr Bundesminister des Innern hat angedeutet, daß, unabhängig von den Übergangsvorschriften und einer Härteklausel, Vorschläge auf dem Tisch liegen, die im Gesetzgebungsverfahren zu erörtern wären. Der Herr Kollege Biechele hat das, wenn auch ein wenig kritisch, aufgegriffen. Aber eine Abwasserabgabe, wie sie in Ihrem Entwurf, Herr Biechele, enthalten ist, kann nicht in Frage kommen. Das, was Sie dort konstruiert haben, ist eigentlich nur mit einem Etikett versehen und wird dem, was Sie an Ihren eigenen Grundsätzen gemessen haben wollen, nicht gerecht. Und ich halte Sie persönlich für viel zu seriös, als daß ich Ihnen nachsagen möchte, Sie hätten hier einen verbalen Krafttakt begangen, als Sie uns Ihre strengen Maßstäbe vorgetragen haben.Sie müssen sich als Opposition den Vorwurf gefallen lassen, mit Ihrer Schädlichkeitsformel mehr an die finanzielle Belastung der Einleiter und weniger an die Belastung der Gewässer mit schwer abbaubaren Stoffen und Giften gedacht, außerdem die zweite Stufe mit einer Abgabenerhöhung weggelassen und für die Übergangszeit bis 1980 wasserwirtschaftlich bedenkliche Abzugswerte zugelassen zu haben.Außerdem ist ja Ihre in der Rahmenkompetenz liegende Möglichkeit, daß die Länder Abwasserabgaben nur einführen können — nicht müssen — und daß der Zeitpunkt auseinanderfallen kann, ein Verstoß gegen Gleichheit vor dem Gesetz und Gleichheit im Wettbewerb — ein Argument, das bei Ihnen als dem Angehörigen einer Unternehmerpartei doch hoffentlich nicht ungehört verhallen wird.
— Also, es wundert mich, daß Sie, da ich mich doch um ausgesprochene Sanftheit bemühe, nun plötzlich in Erregung geraten. Dabei habe ich nichts als die reine Wahrheit gesagt.
Lassen Sie mich noch einmal auf Ihre Wasserabgabe zurückkommen. Um im Bilde zu bleiben: Der Pelz soll zwar gewaschen, aber nicht naß gemacht werden. Demgegenüber entspricht der Regierungsentwurf wasserwirtschaftlichen Erfordernissen, der Lage und der Belastungsmöglichkeit der Gemeinden und der Wirtschaft und vor allem den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschungen und Untersuchungen. In der Höhe der Abgabe bleibt er, was wahrscheinlich nicht überall Beifall findet, hinter den Überlegungen des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen zurück. Dieser hat ab 1980 einen Gesamtanreiz von 70 DM pro Schadeinheit und Jahr errechnet. Nach dem Entwurf soll er mit einer Abgabe von 40 DM erreicht werden, wenn die aufgekommenen Mittel bestmöglich verwendet werden. Die Festsetzung der Abgabe auf nur 25 DM pro Schadeinheit und Jahr bis Ende 1979 trägt dem Gesichtspunkt Rechnung, daß zunächst dort zur Verminderung der Schädlichkeit angereizt werden soll, wo sie mit verhältnismäßig geringem Kostenaufwand möglich ist. Hier, Herr Kollege Biechele, muß ich Ihnen entgegenhalten, daß, wenn es um die Reinheit der Gewässer geht, es sich um Restverschmutzung handelt. Wer die Restverschmutzung nicht erfassen will und wer auch übermäßig den begünstigen will, der bereits reinigt, ohne ihn auch noch angemessen heranzuziehen, der muß mit der Abwasserabgabe Vorstellungen verbinden, die nicht dem entsprechen, was der Zustand unserer Gewässer erfordert. Für die Übergangszeit werden dadurch aber auch in Verbindung mit Stundungs- und Erlaßbestimmungen unter Berücksichtigung bereits erbrachter Reinigungsleistungen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Einleiter, die nicht übersehen werden sollen, gemildert. Die bereits seit mehr als einem halben Jahr in einer Arbeitsgruppe des Innenausschusses aufgenommenen Beratungen der vierten Wasserhaushaltsnovelle lassen erkennen, daß es am grundsätzlichen Willen aller Fraktionen, zu befriedigenden Regelungen zu kommen, nicht fehlt.
Auch was Herr Kollege Biechele gesagt hat, werden wir im Ohr behalten und im Herzen bewegen, ohne daß wir dazu immer das Protokoll vornehmen müßten. Denn Sie lassen ja erkennen, daß Sie sich in nichts übertreffen lassen wollen, und dann ist ja vom „Rahmen" bis zur „Konkurrenz" nur ein sehr kleiner Schritt, über den man doch noch einmal reden muß. Wir stoßen bei unseren Beratungen in der Berichterstattergruppe immer wieder an die Grenzen der dem Bund gegenwärtig gesetzten Kompetenz. Trotz der unzulänglichen, fast schon provozierend zu nennenden Behandlung, die das Abwasserabgabengesetz im Bundesrat durch die dortige Mehrheit von CDU und CSU gefunden hat, soll die Hoffnung auf bessere Einsicht und auf Einlenken,
und kämen sie auch erst mit den Iden des März 1975, nicht aufgegeben werden. Es hieße ja auch, die „Bayerische Wasserwacht" systemsprengend mißzuverstehen, wenn mit dieser Bezeichnung die Weigerung des Freistaates Bayern, an der Grundgesetzänderung mitzuwirken, umschrieben würde. Die CDU-regierten Länder sollten aber auch an die Interessen ihrer Bevölkerung und nicht nur an die einzelner Industriezweige denken. Der Preis für das Papier, auf dem die Lage der hierfür in Betracht kommenden Ursprungsindustrie geschildert wird, ist seit Jahresfrist auf das Dreifache gestiegen, was doch auf das Verhältnis von Umsatz und Abwasserabgabe nicht ohne Einfluß sein dürfte. Dabei werden wir Eingaben wie die der Sodaindustrie auf ihren Kerngehalt sorgfältg prüfen und nach gangbaren Wegen suchen, dort zu helfen, wo ersichtlich das Instrumentarium noch zu grob ist.Aber wenn Sie, Herr Kollege Biechele, gemeint haben, die Bundesregierung habe nicht genügend Berechnungen vorgelegt, so sollten Sie doch nicht
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Konradübersehen, daß die Bundesregierung auch Eingeständnisse dort macht, wo die Vorausschau schwierig ist. Hier soll Ihnen eben nicht Gelegenheit gegeben werden, wieder einmal von der Kluft zwischen Erwartung und Vollziehung zu sprechen, sondern hier wird vorsichtig zugegeben, was noch erörtert werden muß. Es geht der sozialdemokratischen Fraktion im Deutschen Bundestag um ein gutes Wasserhaushaltsrecht unter Einschluß der Abwasserabgabe. Wäre es mit der Rahmenkompetenz zu erreichen, was in der Arbeitsgruppe laufend geprüft wird, so würden wir uns mit ihr bescheiden. Kommt aber dabei nur ein Wechselbalg heraus, so sollte sich die Opposition der Änderung des Zeugungsvorganges nicht versagen; hier würde ein Stellungswechsel nicht anstößig sein.Auch bei konkurrierender Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Wasserhaushaltsrecht geht es den Ländern nicht ans Eingemachte. Ihnen verbleibt ein erheblicher Freiraum, den das Bundesverfassungsgericht als „Hausgut" bezeichnet hat, für eigenverantwortliche und politisch bedeutende Tätigkeiten im Gewässerschutz. Die heutige Aussprache über zwei Wassergesetze könnte zum Ergebnis führen, daß das gemeinsame Anliegen verbesserten Umweltschutzes nicht verwässert, sondern herzhaft und bekömmlich mit durchschlagender Wirkung vollendet wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem Beginn einer ganzen Serie umweltpolitischer Vorlagen scheint es richtig zu sein, einmal auch die Seite des Umweltschutzes zu beleuchten, die allen diesen Vorlagen gemeinsam ist. Herr Kollege Biechele, damit meine ich nicht die strafrechtliche Seite. Ihr etwas umfangreiches Zitat, das Sie gebracht haben, bezog sich — das konnte der Fachjurist spätestens bei dem Wort „Äquivalenztheorie" merken — eindeutig auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Verursachers. Das meine ich nicht, sondern ich meine den Zusammenhang von Umweltschutz mit den wirtschaftlichen Erfordernissen, mit denen wir es zu tun haben. Die Ziele des Umweltschutzes stoßen häufig auf heftigen Widerstand. Damit meine ich nicht nur den verbalen Widerstand, bei dem die Begriffe Umweltschutz und Umwelthysterie vertauscht werden, sondern die Geltendmachung wirtschaftlicher Interessen einzelner Betroffener oder Branchen.Das ist ebenso verständlich wie legitim. Das erfolgt aber, so meinen wir, häufig aus mangelnder Einsicht sowohl in das Ausmaß der Gefährdung unserer Umwelt als auch in einer falschen Abwägung zwischen den Einzel- und Gesamtinteressen, die wir miteinander abzuwägen haben. Wir beobachten mit Sorge die Versuche, in einer nach meinem Eindruck überflüssigen Weise Einzelinteressen in einen Gegensatz zu den Notwendigkeiten des Umweltschutzes zu bringen. Ich erinnere an unsere Debatte über die Regierungserklärung im Januar1973, in der wir gesagt haben, daß die Durchführung des Umweltprogramms der Bundesregierung mit Unterstützung der beteiligten Wirtschaft eine Bewährungsprobe unserer marktwirtschaftlichen Ordnung und gleichzeitig eine Chance ist, weil nämlich marktwirtschaftliche Antriebskräfte, wenn man sie benutzt, häufig wirksamer als administrative Maßnahmen sind.Wir können überall dort besonders nachteilige Verhältnisse im Umweltschutz feststellen, wo sich der Umweltschutz nicht lohnt, wo also dem Einzelunternehmen durch Umweltschutzmaßnahmen nicht vordergründige Vorteile, sondern Kosten entstehen, so daß ein gesamtwirtschaftlich richtiges Verhalten eines einzelnen Wirtschaftssubjektes mit einem Wettbewerbsnachteil verbunden war.Dasselbe Problem stellt sich im Vergleich des internationalen Wettbewerbs. Er kann kein alleiniger Maßstab für das Tempo sein, mit dem wir Umweltschutz betreiben müssen. Im europäischen Bereich muß an dem Grundsatz festgehalten werden, daß Umweltschutzmaßnahmen eines Staates nicht durch andere EG-Staaten behindert werden dürfen, die ein langsameres Tempo einschlagen wollen. Wollte man den Umweltschutz an europäische Übereinkommen binden, so wäre der Maßstab sowohl das am dünnsten besiedelte europäische Land als auch das Land mit der am wenigsten leistungsfähigen Wirtschaft, und das kann nicht richtig sein. Ich werde bei diesen Argumentationen immer an einen Gedanken von Bismarck erinnert, den er in den „Gedanken und Erinnerungen" niedergelegt hat, als er sich über die Abschaffung der Kinderarbeit geäußert und gesagt hat, er könne es nicht verantworten, so tief in das Erwerbsleben des deutschen Arbeiters einzugreifen, und im übrigen würde die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie leiden, wenn man sie abschaffe. Die Kinderarbeit ist abgeschafft worden, nicht durch ein europäisches Übereinkommen, sondern durch eine vorausschreitende Sozialgesetzgebung.Es ist keine Frage, daß die Existenzbedürfnisse unserer Gesellschaft durchgesetzt werden müssen, notfalls auch gegen wirtschaftliche Interessen. Je weniger leistungsfähig sich unser wirtschaftliches System bei dieser Aufgabe darstellt, um so stärker wird der Ruf nach immer tiefergreifenden administrativen Eingriffen werden. Sie sind heute schon beachtlich. Wer einmal in der Praxis des normalen Lebens mit einem Gewerbeaufsichtsamt über notwendige Investitionen oder Investitionsplanungen einer genehmigungspflichtigen Anlage unter dem Gesichtspunkt der Luftreinhaltung und Lärmabwehr verhandelt hat, der weiß, daß der Staat auf diesem Gebiet bereits jetzt in der Verwaltungspraxis Interventionsmöglichkeiten hat, die in das normale Denkschema unserer marktwirtschaftlichen Ordnung überhaupt nicht hineinpassen. Das hat sich unmerklich vollzogen. Die Notwendigkeit solcher Eingriffsmöglichkeiten wäre nicht gegeben, wenn wir nicht auf diesen Gebieten die Versäumnisse von 30 Jahren hätten aufholen müssen. Wir — damit meine ich nicht nur die Industrie, die zum Teil außerordentlich hohe Mittel investiert hat, sondern
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Dr. Hirschdie Gesamtheit haben in unserer Generation noch die Chance, Umweltprobleme mit marktkonformen Mitteln, das heißt ohne drastische Einschränkungen individueller Entscheidungsfreiheiten lösen zu können. Diese Chance sollte genutzt und nicht durch die Geltendmachung individueller Interessen verhindert werden. Das Problem der Wasserreinhaltung ist ein fast klassisches Beispiel für diesen Vorgang.Wir haben hier heute von den Vorrednern gehört, daß das Wachstum der Bevölkerung und der Industrieproduktion zu einem wachsenden Abwasseranfall als auch Wasserbedarf geführt hat, einem Abwasseranfall, dem der Bau von Kläranlagen nicht gewachsen war. Trotz aller Bemühungen um die Wasserreinhaltung hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur die Schmutzfracht ständig erhöht, sondern auch die absolute Menge des ungereinigten Abwassers hat zugenommen. Zahlreiche Seen sind in einem kritischen Zustand. Ganze Teile unseres Flußsystems sind biologisch nahezu tot. Der Investitionsaufwand für die Kanalisation und für Kläranlagen nach dem Kostenstand von 1971 für die nächsten zehn Jahre wird auf 65 Milliarden DM geschätzt, während — zum Vergleich in den neun Jahren von 1962 bis 1971 nur 17 Milliarden DM und davon 4 Milliarden DM für Kläranlagen investiert worden sind. Es bleibt für mich absolut unverständlich, daß es vor der Formulierung des Umweltprogramms dieser Bundesregierung überhaupt keine klar definierten oder zusammenhängenden politischen Zielvorstellungen über die zu erreichenden und notwendigen Gewässerverbesserungen gelte-ben hat.Nun muß man fragen, wie wir in diese Situation gekommen sind. Die Kommunen und die Betriebe sind daran interessiert, das Abwasser aus ihrem eigenen Bereich herauszuleiten. Die Reinigung der Abwässer bringt im Prinzip nicht Vorteile für sie selbst, sondern nur für die Unterlieger, nämlich diejenigen, auf die das Wasser dann zufließt. Soweit die durch die Gewässerverschmutzung anderen und der Allgemeinheit zugefügten Schäden nicht haftungsrechtlich geltend gemacht werden, gehen eben die externen Kosten nicht in die betriebswirtschaftliche Kalkulation des Verursachers ein. Daraus folgt auf der anderen Seite aber auch, daß von der Einführung der Abwasserabgabe nunmehr diejenigen am härtesten betroffen werden, die bisher am weitestgehenden zu ihrem eigenen Vorteil ihnen selbst zuzurechnende Kosten auf die Gemeinschaft abgewälzt haben.Das zweite ist: Bei den staatlichen Zuschüssen für den Bau von Kläranlagen durch die Kommunen sind verheerende Fehler gemacht worden. Die Zuschüsse richteten sich nach der Pro-Kopf-Belastung. Es wurden also damit die teuersten und die unrentabelsten kleineren Kläranlagen gefördert, während die Förderung der optimalen Großanlagen einen viel höheren Effekt für die Wasserreinhaltung gehabt hätte. Das ist eine der Ursachen dafür, daß der Anteil der vollbiologisch behandelten Abwässer unserer Großstädte heute noch unter 30 °/o liegt. Die systematische Vernachlässigung der kommunalen Großeinleiter ist eine der Hauptursachen für die Verschmutzung unserer großen Flußsysteme.Wir haben also nun die Grundentscheidung zu treffen, ob wir überhaupt bei diesem Kostenaufwand Gewässerreinigung betreiben oder uns darauf verlassen wollen, daß die Trinkwassergewinnungsverfahren verbessert werden könnten. Die Lösung ist klar: Wir wollen die Gewässerreinigung, und dieses geht nur mit der Abwasserabgabe. Sie bewirkt gleichzeitig die Erleichterung der Anwendung und die größere Wirksamkeit des klassischen Instrumentariums. Es wird sich in Zukunft eben nicht mehr bezahlt machen, die erforderlichen Einleitebedingungen oder -auflagen zu verhindern oder zu verzögern. Im Gegenteil, der größte Anreiz für den Bau von Kläranlagen wird dort eintreten, wo mit geringen Mitteln der größte Effekt erzielt werden kann.In diesen Zusammenhang gehört auch das Waschmittelgesetz, zu dem ich hier im einzelnen nichts mehr vortragen will, weil das bereits geschehen ist und wir ihm in dieser Form im wesentlichen glauben zustimmen zu können. Einige Einzelprobleme sind erwähnt worden. Es wurde die Frage der Schädlichkeitsformel angesprochen. Es ist einfach notwendig, die Giftigkeit und die schwer zu beseitigenden Stoffe besonders zu berücksichtigen. Das Problem liegt im Meßverfahren und in der Abschätzung der Belastung der einzelnen Betriebe.Das zweite Problem ist die Frage der Restverschmutzung. Wir sind der Meinung, daß die Restverschmutzung, auch wenn sie dem jeweiligen Stand der Technik entspricht, von der Belastung nicht freigestellt werden kann, weil wir sonst eine Bevorzugung der Großeinleiter bewirken werden.Das dritte Problem liegt in der Höhe der Reinhalteabgabe. Es ist darauf hingewiesen worden, daß der Sachverständigenrat eine Höhe von 40 DM für notwendig gehalten hat, um wirksame Anreize zu schaffen. Man muß sich freilich über die Frage der Straffelung unterhalten. Die Sachverständigen haben vorgeschlagen, ab 1976 eine Staffelung von plus 8 DM pro Jahr einzuführen. Allerdings kann man einem solchen Gedanken nur dann nähertreten, wenn man nicht etwa gleichzeitig auch noch die volle Härteklausel, Stundungen und Erlaßvorschriften haben will. Kumuliert geht dies nicht.Sowohl von Herrn Kollegen Konrad als auch von Minister Maihofer sind hier die Nachteile dargestellt worden, die die vierte WHG-Novelle in der Fassung des CDU/CSU-Entwurfes zweifellos beinhaltet: bei der Reinhalteabgabe die ungenügende Höhe; die Abzugswerte, auf die Herr Konrad hingewiesen hat, die für die Abwassereinleiter einen Anreiz bieten würden, ihr Abwasser zu verdünnen, um dadurch eine niedrigere Abgabe zahlen zu müssen, d. h. also geradezu sauberes Wasser zu verschwenden, um dadurch zu einer niedrigeren Abgabe zu gelangen. Ich will das im einzelnen nicht weiter aufzählen.Ein Problem, über das wir im Unterausschuß schon lange reden und mit dem wir wohl auch noch lange befaßt sein werden, ist die Frage der Rahmenkompetenz. Man kann auf das verweisen, was hier in der Debatte vom Oktober 1973 gesagt worden ist.
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Dr. HirschIch verstehe bei der Argumentation, daß man mit der Rahmengesetzgebung, also im wesentlichen mit der Länderzuständigkeit auskommen könne, nicht, wie man denn eigentlich die ständige Verschlechterung der Wasserqualität — trotz aller Bemühungen — anders erklären sollte als mit dem Versagen von Länderverwaltungen und Landtagen. Wenn das nicht so ist, zeigt das eben, daß hier die Grenzen einer partiellen Regelungsfähigkeit erreicht sind, daß unser gesetzgeberisches System nicht ausreicht, um die Wirkungen zu erzielen, die wir alle erzielen wollen und, wie ich meine, auch erzielen müssen.Bei den Einzelberatungen sind wir auch auf das Problem der Detailregelungen gestoßen, also auf den ganzen Bereich des technischen Rechts, die Notwendigkeit einheitlicher Lösungen bei der Lagerverordnung, bei den Gewässergütestandards, bei den Anforderungen an die Abwassereinleitungen. Wir können uns das nicht anders als bundeseinheitlich vorstellen. Ich frage mich, wenn die Christlich-Demokratische Union in dieser Frage eine andere Meinung vertritt, warum sie dann im Wahlkampf der Bevölkerung zugesagt hat, daß sie für eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes eintreten werde. Wir kennen Ihr Problem, daß Sie an den Ländern Bayern und Baden-Württemberg nur schwer vorbeikommen. Aber dies ist ein Problem, das den Bundesgesetzgeber eigentlich nicht daran hindern dürfte, das zu tun, was doch auch nach Ihrer eigenen Meinung, so wie Sie sie in der Öffentlichkeit vorgetragen haben, notwendig ist. Man muß sich fragen: Wie kommen wir darüber hinweg?Ich stelle zur Debatte, ob man z. B. ein Hearing unternehmen sollte, um durch die Meinungen von Fachleuten, von Sachverständigen, von Wissenschaftlern festzustellen, ob nicht doch die bundeseinheitliche Zuständigkeit, die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit notwendig ist, um in dem kurzen Zeitraum, den wir zur Verfügung haben, um die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung zu sichern, das zu erreichen, was notwendig ist. Die Durchführung der Wasserreinhaltung wird ohne die Zusammenarbeit von Bund und Ländern nicht gehen. Aber dies aufzuputzen als einen grundsätzlichen Streit über die Staatlichkeit oder, ich weiß nicht: Souveränität der Länder ist für uns wenig einfühlbar. Wir sollten uns nicht an solchen Theorien, sondern müßten uns an den Notwendigkeiten und Erfordernissen unserer Gesellschaft orientieren. Wir können an dieser Stelle nur an Sie appellieren, Ihre Position zu überdenken und nicht dem entgegenzustehen, was doch nach Ihrer eigenen geäußerten Meinung notwendig ist, um die Deckung des Wasserbedarfs der Bevölkerung zu sichern.
Das Wort zur Begründung des Antrags der CDU/CSU-Fraktion betreffend Schutz vor den Gefahren radioaktiver Strahlen — Drucksache 7/2369 — hat der Abgeordnete Dr. Gruhl.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die Fraktion der CDU/CSU den Antrag betreffend „Schutz vorGefahren radioaktiver Strahlen" im Juli einbrachte, lag das auslösende Moment in verschiedenen Vorfällen im Frühsommer dieses Jahres. Obgleich diese Ergebnisse keine gefährlichen Auswirkungen hatten, deckten sie doch ganz beträchtliche Mängel in folgenden Bereichen auf:1. Die Überwachung ist unzulänglich.2. Die bisherige Gesetzgebung wird verschieden ausgelegt.3. Die Sicherheitsvorkehrungen, z. B. bei Transporten, haben Lücken.4. Der Umgang mit radioaktivem Material wird offensichtlich zunehmend sorgloser.Inzwischen liegt uns der Bericht des Innenministers über das Gesamtproblem „Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und Strahlenschutz" vor. Für diese umfangreiche Ausarbeitung sei allen Beteiligten gedankt. Damit ergibt sich die gute Gelegenheit, die Erkenntnisse dieses Berichts mit den Absichten unseres Antrags zu verbinden. Außerdem hat der Präsident des Bundesrechnungshofs als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung eine gutachtliche Stellungnahme „zur Organisation des Bereichs ,kerntechnische Sicherheit und Strahlenschutz' beim Bund" vorgelegt. Im Bericht des Innenministers heißt es, daß eine politische Absicherung des angestrebten Sicherheitsstandards nach innen und außen unerläßlich ist. Damit sollte wohl die letztliche Verantwortung des Deutschen Bundestags festgestellt werden.Bei aller Kernenergienutzung muß die Sicherheit die erste Grundbedingung sein. Dazu gehören vor allem die Sicherheit der Anlagen und ihres Betriebs, die Beförderung der radioaktiven Stoffe und ihre Lagerung auf unvorstellbar lange Zeiten. Hier entstehen Probleme, mit denen Menschen bisher noch niemals konfrontiert wurden. Es hat keinen Zweck, daß wir uns hier selbst etwas vormachen. Es wird, solange Menschen leben, auch niemals eine absolute Sicherheit in der Technik geben, genausowenig wie es diese bisher gegeben hat. Es gibt nur eine „größtmögliche Sicherheit".Im Bericht heißt es wörtlich:Es muß jedoch bei der beabsichtigten raschen Expansion der Kerntechnik und den daraus erwachsenen Aufgaben allen Beteiligten klar sein, daß selbst der extrem umfangreiche Aufwand für sicherheitsorientierte Konstruktionen und Kontrollen mathematisch gesehen, Restrisiken verbleiben und nachteilige Folgen absolut nicht ausgeschlossen werden können. Letzten Endes erfordert jede Technologie zur Hebung oder Erhaltung der Daseinsvorsorge ihren Preis.Es bleibt also immer ein „Restrisiko", das in Beziehung zu dem Nutzen gesetzt werden muß, den wir haben, indem wir dieses Risiko eingehen. Dieser Nutzen kann in der Tat ungeheuer groß sein. Darum lechzen auch viele Länder geradezu nach Kernenergie.Der Bericht spricht von den „Vorteilen der Kernenergie, sofern das Gesamtrisiko hinreichend klein
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8202 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Dr. Gruhlgehalten werden kann". Diese Beziehungen und Abwägungen müssen in aller Öffentlichkeit erörtert und dargelegt werden. Es ist in einem demokratischen Staat ein hoffnungsloses Unterfangen, mit Verheimlichungen und Vertuschungen arbeiten zu wollen. Früher oder später kommen doch alle Sachverhalte ans Tageslicht. Nur der totalitäre Staat kann seinen Bürgern Risiken mit einiger Aussicht auf Erfolg verheimlichen.Das Innenministerium sollte sich hüten, seinen Kredit als neutraler Sachwalter zu verspielen, indem es eine unglaublich primitive Propaganda statt sachlicher Aufklärung betreibt, wie dies leider in den ersten beiden „Umwelt-Zeitungen" geschehen ist. Wenn man an das Problem mit der Überschrift herangeht „Den friedlichen Riesen gehört die Zukunft", dann ist das eine verhältnismäßig vereinfachende und simple Darstellung, die bei diesen Problemen nicht weiterhilft, sondern eher neues Mißtrauen weckt.Zwischen den Forderungen nach atomarer Energie und den Anforderungen an die Sicherheit sollte eigentlich gar kein Gegensatz bestehen. Alle müssen an größtmöglicher Sicherheit interessiert sein. Denn eines ist völlig klar: Sollte es bei uns zu einem schweren Schaden in einem Kernkraftwerk kommen, dann würde das nach dem Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung von Dr. Lindackers, jetzt stellvertretender Geschäftsführer des Technischen Überwachungsvereins Rheinland, einer, wie er sagt, „nationalen Katastrophe" gleichkommen. Wenn jemals ein solcher Fall in der Bundesrepublik Deutschland eintreten sollte, wäre ab diesem Tag jede weitere Nutzung der Kernenergie ausgeschlossen. Der erstrebte Vorteil, einen hohen Energieanteil aus Kernkraft zu beziehen, würde sich dann zu einem katastrophalen Nachteil umkehren, weil dieser hohe Anteil plötzlich ausfallen müßte.Das muß doch auch den Herstellern und Betreibern von Kernkraftwerken klar sein. Darum ist es schwer verständlich, wenn, wie es in dem Bericht heißt, die Hersteller und Betreiber kerntechnischer Anlagen dahin tendieren — wörtlich —, „über das Maß des für die rein betriebliche Zuverlässigkeit Gebotenen wesentlich hinausgehende Sicherheitsanforderungen aus Kostengründen sehr kritisch zu bewerten und nach Möglichkeit als unzumutbar, unnötig, übertrieben oder falsch zurückzuweisen."Von fachkundiger Seite wird der Sachverhalt in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit in einer Stellungnahme so beurteilt: In manchen Bundesländern werden nicht alle Sicherheitsaspekte überprüft, da die Betreiber erheblichen Druck hinsichtlich der Verkürzung der Verfahren ausüben. Die Betreiber sind nämlich zugleich Mitglieder bei der Prüfungsbehörde — TÜV — und meist auch in der Reaktorsicherheitskommission vertreten.Bei der Novellierung des Atomgesetzes, die wir bereits angekündigt erhalten haben, wird dieser Gesichtspunkt eine erhebliche Rolle spielen müssen.Auch von den anderen Seiten geht ein Druck auf die Sicherheits- und Umweltüberlegungen aus, wie man an vielen Stellen des Berichts des Innenministers nachlesen kann. Diese Forderungen gipfeln dann meistens in einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren und in einer Standardisierung der Kernkraftwerke. Die Forderung ist nicht neu, in den USA vielmehr seit langem im Gespräch, ohne daß sie dort bisher zu Ergebnissen geführt hätte. Ausführungen des Berichts an anderen Stellen sprechen auch gegen die Standardisierung, weil das bisherige Verfahren den Vorteil hatte, daß auf Grund neuer Erkenntnisse und auch auf Grund von leichteren Pannen wieder neue Sicherheitsvorschriften entwikkelt werden konnten, um die Sicherheit laufend zu verbessern. Das würde bei einer generellen Standardisierung nicht möglich sein.Die Standardisierung wird in nächster Zeit aus vielen Gründen nicht zweckmäßig sein. Wir befinden uns auf kerntechnischem Gebiet noch in einem sehr schnellen Wandel. Dieser hat folgende Ursachen:1. Die Wasserkühlung durch Flüsse ist am Ende der Möglichkeiten, und die Luftkühlung muß erst noch geprobt werden.2. Die begrenzten Uranvorräte zwingen zur besseren Ausnutzung des Urans. Darum wird in mehreren Ländern an „schnellen Brütern" gearbeitet. Sollte diese Entwicklung ein Fehlschlag werden, wie heute schon viele behaupten, dann ergeben sich daraus weitere Probleme.3. Der Hochtemperaturreaktor wird aber erprobt. Er bietet eine bessere Ausnutzung des Urans und die Möglichkeit, die lästige Abwärme für industrielle Zwecke und für die Raumbeheizung zu nutzen. Dieser Verbund würde bedeutende Energieeinsparungen mit sich bringen. Darum sollte man auch unter diesen Zukunftsaspekten eine Entwicklung nicht voreilig forcieren.Ein überstürzter Bau vieler Leichtwasserreaktoren beseitigt auch keineswegs die Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland von Energieimporten. Die Abhängigkeit vom Erdölimport wird lediglich durch die Abhängigkeit vom Uranimport ersetzt.Einige wichtige Probleme sind der Bundesregierung schon seit 1972, als der Entwurf eines vierten Atomprogramms veröffentlicht wurde, bekannt, ohne das bisher entsprechende Konsequenzen gezogen worden sind. Das betrifft: 1. Die stärkere Koordinierung der verschiedenen Genehmigungsverfahren für Wasser-, Energiewirtschaft- und Baurecht sowie für Natur- und Landschaftsschutz mit den atomrechtlichen Verfahren, die geprüft werden sollte. Was ist dabei herausgekommen? 2. Kerntechnische Regeln und Sicherheitskriterien sollten erarbeitet werden. Was ist in dieser Beziehung geschehen? 3. Die Verbesserung der Organisationsstrukturen im Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren sowie die rechtzeitige personalmäßige Ausrüstung der beteiligten Sachverständigen war vorgeschlagen worden. Was ist aber geschehen?Im Bericht des Innenministers ist an mehr als 15 Stellen von der Notwendigkeit die Rede, daß mehr und besser ausgebildetes Personal für die Überwachung der Betriebe, der Transporte und der Ablagerung radioaktiven Abfalls erforderlich ist.
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Dr. GruhlEbenfalls wird die Befürchtung ausgesprochen, daß das Personal der Werke wegen des großen wachsenden Bedarfs immer weniger gut ausgebildet sein wird.Eine im Juli dieses Jahres veröffentlichte Studie angesehener britischer Wissenschaftler führt aus, daß vor dem Ende dieses Jahrhunderts ein „schwerwiegender Zwischenfall" zu erwarten sei. Denn — wörtlich — „mit dem ständigen Wachsen der Zahl von Kernkraftwerken wird es bald nicht mehr möglich sein, alle Sicherheitsrisiken auszuschließen, zumal man die Wartung der Nuklearanlagen immer stärker weniger gut ausgebildetem Personal übertragen muß". Entsprechend heißt es im Bericht des Innenministers:Hinzu kommt die Gefahr, daß die bei den Genehmigungsinhabern Beschäftigten wegen des wachsenden Bedarfs an Spezialisten weniger gut ausgebildet sein können und die notwendigen Arbeiten weniger interessierten und engagierten Personen übertragen werden, je stärker die Anwendung der Kernenergie anwächst und entsprechendes Personal nicht rechtzeitig herangebildet und eingesetzt wird.Sehr ernst ist zur Zeit die mangelhafte Personalausstattung bei den verantwortlichen Behörden des Bundes und einiger Länder. Bei den Beratungen des Innenausschusses wurde über die unerlaubten Ablagerungen des Kernforschungszentrums Karlsruhe erklärt, daß das zur Zeit vorhandene Personal für die effektive Überwachung nicht ausreiche. Wenn das jetzt schon der Fall ist, wie soll dann die doppelte, dreifache, vierfache Zahl von Anlagen überwacht werden? Der Bericht des Innenministers weist an vielen Stellen auch auf die Verbindungen zur Qualifikation des Personals in der Überwachung hin und darauf, daß dies nur langfristig gebessert werden könne. Wie verträgt sich dann diese Feststellung des „Konzepts zur Beschleunigung der atomrechtlichen Genehmigungsverfahren der Kernkraftwerke" vom 4. Juni 1974 mit dem bisherigen Energieprogramm der Bundesregierung? Und wie vereinbart sich die vorgeschlagene Verlagerung der Überprüfung auf die Länder mit der völlig mangelhaften Personalausstattung der atomaren Genehmigungsbehörden einiger Bundesländer?Ein weiteres Bund-Länder-Problem ist die Frage der Standortwahl. Im Bericht heißt es sehr richtig, daß dafür Sorge zu Tragen ist, „daß bereits bei der Wahl von Standorten auf die Belange der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes Rücksicht genommen werden wird." Da die räumlichen Möglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland sehr gering sind, ist eine langfristige Standortvorsorge um so dringlicher. Es darf nicht zu Zusammenballungen kommen, wie sie sich zur Zeit am Oberrhein und an verschiedenen Ländergrenzen abzeichnen.Ich komme zum Schluß. Ein noch völlig unbeachtetes Problem wird sich bei der Beseitigung unbrauchbar gewordener Kernkraftwerke ergeben. Darum ist der Bundesregierung anzuraten, daß bei der angekündigten Novellierung des Atomgesetzes auch Regelungen getroffen werden, die die Betreiber zueiner anschließenden Beseitigung verpflichten. Dies ist ein viel dringenderes Problem als die Rekultivierung ehemaliger Sand- und Tongruben, die geregelt ist. Dort ist die Wiederherstellung des alten Zustandes gesetzlich geregelt, nicht aber bei den Kernkraftwerken, obwohl die Aufwendungen ein riesiges Ausmaß erreichen werden. Nach dem Verursacherprinzip sind diese den Stromerzeugern anzulasten und nicht der Allgemeinheit. Dafür müßten sie durch Gesetz vorzuschreibende Rücklagen bilden.Es ist unmöglich, in dieser kurzen Begründung alle Sicherheitsaspekte anzusprechen. Ich wollte nur einige Hinweise für die Novellierung des Atomgesetzes geben, bei dessen Beratung wir dann die Möglichkeit haben werden, weitere Notwendigkeiten gesetzlich zu regeln. In der Abwägung zwischen Energiebedarf und Sicherheit muß der Sicherheit die Priorität zukommen, da jede Unsicherheit die gesamte Energieversorgung aufs höchste gefährdet.Ich bitte für die CDU/CSU-Fraktion um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Wort in der Aussprache hat der Herr Abgeordnete Dr. Haenschke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 1961 sind in der Bundesrepublik Anlagen in Betrieb, deren Aufgabe es ist, die bei der Spaltung von Uranatomen freiwerdende Wärme in nutzbare Elektrizität umzuwandeln. Das Gesetz über die friedliche Nutzung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren ist seit Dezember 1959 in Kraft. Die erste Strahlenschutzverordnung wurde im darauffolgenden Jahr erlassen.Die bisherigen atomrechtlichen Regelungen, die im Prinzip noch heute gelten, haben einen doppelten Zweck: einmal die Sicherung von Leben, Gesundheit und Umwelt vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen, zum anderen aber auch die Förderung der Kernenergie.Man kann heute mit Befriedigung feststellen, daß das bei uns bestehende rechtliche und organisatorische System die Probleme der Kernenergie bisher im großen und ganzen sicher beherrscht hat. Das darf aber keinesfalls zu dem Glauben verführen, Kernkraftwerke seien nun so weit entwickelt, daß man sie sorglos als Spielzeug in Deutschlands Kinderstuben einführen könnte.
Allerdings wird eben dieser Eindruck allzu häufig in der Öffentlichkeit zu erwecken versucht. Das Geplapper von der „umweltfreundlichen" Kernenergie versetzt mir jedesmal einen Stich. Natürlich ist es verständlich und zweifellos auch volkswirtschaftlich sinnvoll, nun die Früchte jener 20 Milliarden DM, die Staat und Industrie bei uns bisher in die Entwicklung der Kernenergie gesteckt haben, ernten zu wollen.Zu den immensen Kapitalsummen, die für den Aufbau eines Netzes von Atomkraftwerken mit
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Dr. HaenschkeLeichtwasserreaktoren nötig wären und deren Herkunft noch zu klären ist, kommen die Kosten für den Brennstoffkreislauf und die bis jetzt kaum zu schätzenden Aufwendungen fur die Demontage von ausgedienten Kernenergieanlagen und den jahrhundertelangen hermetischen Einschluß radioaktiver Abfälle.Die Rechnung wird ohne den Steuerzahler gemacht, wenn man wie die „Welt" vom 13. August 1974 die Schlagzeile setzen läßt: „Wer keinen Atomstrom will, muß für Elektrizität tief in die Tasche greifen". Mit derselben Logik könnte man dem Verbraucher raten, dann eben einfach mehr Strom zu verbrauchen, weil er nach der heutigen Tarifgestaltung der Elektrizitätsversorger dann ja wieder billiger ist. Damit könnte man auch gleich noch auf einen paradoxen Zustand in einem Land hinweisen, das sich von der Energiekrise heimgesucht fühlt.Meine Damen und Herren, die Diskussion über die Gefährdung der Bevölkerung durch Radioaktivität darf nicht unter irgendeinem Zwang dieser augenblicklichen Energiekrise geführt werden. Es gibt keinen Zweifel an der Priorität der Sicherheit der Bevölkerung und des Schutzes der Umwelt gegenüber der Bequemlichkeit einer Überflußgesellschaft, die sich heute durch Verknappung auf dem Energiesektor und morgen durch den Mangel an Rohstoffen bedroht fühlt.Es muß hier ganz offen angesprochen werden: Uns bewegt ebenso wie die Briten, die Amerikaner und die Schweden die Frage, ob Sicherheit und Risikolosigkeit der Kernenergieanlagen bereits jene Schwelle überschritten haben, oberhalb derer die politische Entscheidung für die Atomenergie als eine der Hauptstützen zur Befriedigung des künftigen Energiebedarfs schon heute verantwortet werden kann. Wir wissen doch, daß bisher experimentell nicht bewiesen werden konnte, daß die Notkühlsysteme eines Kernreaktors im entscheidenden Moment auch funktionieren. Wir wissen doch, daß ein technisch machbarer und wirtschaftlich vertretbarer Weg erst gesucht wird, um bei den Wiederaufbereitungsanlagen für Kernbrennstoffe die viel zu hohen Dosen von Radiojod und Radiokrypton in der Abluft drastisch zu verringern. Wir wissen doch, daß die bisherige Erfahrung nicht ausreicht, um über die Materialermüdung durch jahrzehntelange radioaktive Bestrahlung befriedigende Erkenntnisse zu besitzen.Schließlich verdient wohl Aufmerksamkeit, daß es keinen hundertprozentigen Schutz gegen Terrorismus gibt und daß es einen potentiellen Angreifer interessieren könnte, durch ein paar konventionelle Raketen — deren Zielsicherheit seit dem Nahostkrieg ja bekannt ist — in einem mit Kernenergieanlagen übersäten Land das hunderttausendfach tödliche Strahleninventar freizusetzen.Wir befinden uns heute am Umbruch von der „Kernenergie im Versuch" zur rein kommerziellen Nutzung der Kernenergie. Innerhalb kurzer Zeit sind die Kraftwerkblöcke von wenigen Hundert auf über Tausend Megawatt gewachsen, und manche Schwierigkeit bei der Durchsetzung der von denElektrizitätsversorgungsunternehmen gewünschten Standorte bewirken eine Tendenz zu noch größeren Einheiten. Man sollte hier zunächst einmal kurz-treten.Es ist der Bundesregierung zu bescheinigen, daß sie die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt hat. 1969 wurden für die deutsche Reaktorsicherheitsforschung ganze 5 Millionen DM ausgegeben. Bis dahin hatte man es für ausreichend gehalten, selbst nur punktuell zu forschen und im übrigen die Sicherheitstechnik der amerikanischen Lizenzgeber zu übernehmen. Bereits 1970 kam dann die Erkenntnis — wohl ausgelöst durch den Antrag der BASF, mitten im Ballungsgebiet Ludwigshafen /Mannheim ein Kernkraftwerk zu errichten —, daß sich die US-Sicherheitsnormen nicht weiter bedenkenlos auf die Verhältnisse in unserem dicht besiedelten Lande übertragen lassen. 1971 wurden schon 16,25 Millionen DM für die Reaktorsicherheitsforschnug ausgegeben, und im laufenden Jahr sind es bereits 43,1 Millionen DM. Im Entwurf des Bundeshaushalts für 1975 sind 59 Millionen DM für diesen Zweck eingesetzt.Waren Anfang 1970 im zuständigen Bundesministerium 16 Planstellen für die Reaktorsicherheit und den Strahlenschutz besetzt, so erkennt man den Fortschritt, wenn man heute im Bundesinnenministerium dafür 45 Stellen vorweisen kann. Es ist zu hoffen, daß sich der Haushaltsausschuß erweichen läßt und dem im Gutachten des Bundesrechnungshofs für notwendig erachteten Ausbau auf 70 Stellen zustimmt.Zu den Kräften des Bundesinnenministers kommen noch 180 Mitarbeiter im Institut für Reaktorsicherheit der Technischen Überwachungsvereine in Köln und 60 Wissenschaftler im Laboratorium für Reaktorregelung und Anlagensicherung in München. Bei den Technischen Überwachungsvereinen der Bundesländer arbeiten etwa 230 Fachkräfte in den kerntechnischen Abteilungen. Angesichts der wachsenden Kontrollaufgaben — Herr Kollege Gruhl hat darauf hingewiesen — werden die Länder Anstrengungen machen müssen, um weiteres Personal auszubilden und einzustellen.Durch den Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 15. Dezember 1972 wurde die Zuständigkeit für die Sicherheit der Kernenergie einerseits und der Förderung der Kernenergie andererseits innerhalb der Bundesregierung getrennt. Ich kann heute feststellen, daß sich diese Trennung voll bewährt hat, und den Bundesländern nur empfehlen, zu überdenken, ob die Mitzuständigkeit der Wirtschaftsminister bei Genehmigung oder Kontrolle von Kernenergieanlagen noch zeitgemäß ist.In den etwa 20 Monaten ihrer Existenz hat die für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz zuständige Abteilung im Bundesinnenministerium eine große Aktivität entfaltet. Nach einer Reihe von Durchführungsrichtlinien, Verwaltungsanordnungen und organisatorisch-praktischen Maßnahmen wurde jetzt ein schonungslos offener Bericht über die Erfahrungen aus der Vergangenheit und die Vorstellungen über die notwendige Weiterentwicklung der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und den Strahlenschutz
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Dr. Haenschkevorgelegt. Auch die Opposition hat diesen Bericht als „gründliche und vielseitige Arbeit" bezeichnet.Der Innenausschuß des Deutschen Bundestages hat sich bereits gestern ausführlich mit diesem Bericht beschäftigt. Es ist der Beschluß gefaßt worden, sich weiterhin in diese Materie zu vertiefen. Dazu dient auch die Anhörung des Innenausschusses am 2. und 3. Dezember, die auf unseren Antrag hin gestern beschlossen wurde.Weiterhin wird in Kürze die dritte Novelle zum Atomgesetz beraten, die eine Verschärfung der Haftung für den Kernkraftwerkbetreiber und den Beitritt zu den internationalen Haftungsübereinkommen bringen wird. Ich darf hier nur erwähnen, daß ich das im „Sozialdemokratischen Pressedienst" bereits vor einem Jahr gefordert habe. Ich will von dieser Stelle aus die Bundesregierung nochmals ermuntern, alsbald die vierte Novelle zum Atomgesetz vorzulegen, um die fällige Anpassung des rechtlichen Rahmens an die kommerzielle Nutzung der Kernenergie zu vollziehen.Der vorliegende Antrag der CDU/CSU sollte die Bundesregierung offenbar auf einen Weg stoßen, auf dem sie sich längst befindet. Die verehrten Kollegen von der Opposition erinnern sich sicher auch daran, daß mein sozialdemokratischer Freund und Kollege Schäfer — in diesem Falle Appenweier — sofort nach den Vorkommnissen in Leopoldshafen und Obrigheim Sondersitzungen des Innenausschusses beantragt hatte, die am 6. und 20. Juni sowie am 10. Juli — dem Datum Ihres Antrags — stattfanden.Sie werden auch gestern im Ausschuß gemerkt haben, daß wir nicht bereit sind, hier Fünfe gerade sein zu lassen. Ich verstehe Ihren Antrag deshalb nur als nachträgliche Zustimmung der CDU/CSU zu sozialliberaler Politik. Das soll schon öfter vorgekommen sein. Vielen Dank!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße zunächst, daß unsere Kollegen von der CDU/CSU die jüngsten Vorfälle von Müllskandalen zum Anlaß eines Antrages nehmen, um den Schutz vor den Gefahren radioaktiver Strahlen zu verbessern. Ich begrüße allerdings noch mehr, daß das Bundesinnenministerium dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages mit Datum vom 12 September 1974 einen sehr ausführlichen Bericht zur Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und zum Strahlenschutz übermittelt hat; denn dieser Bericht gibt einen umfassenden Überblick über die Eignung des derzeitigen Schutz- und Kontrollsystems, aber auch seine kritischen Stellen beim Vollzug des Atom-und Strahlenschutzrechts, und er gibt Aufschluß über die Gesamtkonzeption für die Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen und den Strahlenschutz sowie auch über die geplanten Maßnahmen.Darüber hinausgehende Erkenntnisse und vor allem kritische Wertungen erwarten wir uns vonder öffentlichen Anhörung des Innenausschusses zu den Risiken der Kernenergie in etwa acht Wochen, bei der sehr viele anerkannte Fachleute, aber auch sozusagen anerkannte Gegner der Kernenergie zu Wort kommen werden. Schon deshalb möchte ich nicht den Versuch fortsetzen, hier in die reine Sach-und Fachdiskussion und in einzelne Bewertungen der Problematik einzusteigen. Ich glaube, daß wir nach der Auswertung der Sachverständigeneinlassungen möglicherweise zu neuen und hoffentlich gemeinsam getragenen Initiativen und Anregungen an die Regierung kommen werden, bevor wir uns hier eine Beschränkung auf Teilaspekte des Schutzes vor Gefahren radioaktiver Strahlen auferlegen, wie es ja in dem vorliegenden Antrag tatsächlich der Fall ist.Das Problem ist dabei nach Ansicht meiner Fraktion nicht in erster Linie die Verbesserung der gesetzlichen Voraussetzungen, von denen wir ja im Atomgesetz mit all seinen Ergänzungen und in der bevorstehenden Neufassung der Strahlenschutzverordnung schon sehr umfassende haben. Uns geht es vielmehr vor allem um eine effiziente Durchführung dieser Vorschriften im Zusammenwirken von Bund und Ländern, damit künftig auch Vorkommnisse wie die jetzt bekanntgewordenen ausgeschlossen werden können und damit ein wirklich optimaler Schutz der Bevölkerung vor den Gefahren, die die Kernenergie mit sich bringt, gewährleistet wird. Voraussetzung dafür ist eine bessere — auch personelle —Ausstattung aller Aufsichtsbehörden bei Bund und Ländern.Ich glaube, wir müssen unserer Bevölkerung ganz glaubhaft beweisen können, daß alle Fragen des Schutzes vor den Gefahren radioaktiver Strahlen von den politisch Verantwortlichen sehr ernst genommen werden. Denn nach unserem heutigen technischen Entwicklungsstand bleibt zu einer ausreichenden Energieversorgung kein anderer Weg als der Einsatz der Kernenergie.
In diesem Zusammenhang nur eine Bemerkung zu der Meinung der Opposition, die hier vorhin geäußert wurde: daß wir beim Ausbau der Kernenergie lediglich von einer Abhängigkeit — nämlich von der des Mineralöls — in eine neue nämlich die des Urans — hineingeraten würden. Hier muß einmal festgestellt werden, daß diese Abhängigkeit natürlich relativ geringer ist. Denn Uranvorkommen verteilen sich über alle Kontinente und viele Länder, so daß eine politische Abhängigkeit wie die von wenigen ölproduzierenden Ländern - mit allen Möglichkeiten, auch denen von Repressionen — sehr viel stärker eingeschränkt wird. Im übrigen würde man auch die bekannten Lagerungsprobleme, die man bisher im Mineralölbereich hat, um größere Vorräte halten zu können, bei der Uranversorgung in diesem Umfange natürlich nicht kennen.
Wir sollten aber dennoch alle Anstrengungen unternehmen, um durch eine rationelle Verwendung
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Hof fievon Energie den Verbrauch zu senken und damit dann unter Umständen auch den Anteil der Kernenergie nicht noch stärker wachsen zu lassen. Dabei müssen wir aber auch ganz nüchtern sehen — das ist vorhin schon einmal angedeutet worden —, daß es einen absoluten Schutz vor den Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie auch in Zukunft niemals geben wird.Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, hat bereits seit Oktober 1972 einen Maßnahmenkatalog zum Schutze vor Sabotage und Diebstahl des spaltbaren Materials verbindlich festgelegt und für den Bereich sonstiger radioaktiver Stoffe in Arbeit.Durch die Übertragung der Verantwortung für die Reaktorsicherheit auf das Innenministerium und die damit erfolgte Trennung von den Förderungsmaßnahmen zur Reaktortechnik im Forschungs- und im Wirtschaftsministerium wird nachdrücklich unterstrichen, wie ernst die Bundesregierung den Schutz vor radioaktiver Gefährdung nimmt.Die FDP-Fraktion unterstützt dieses Vorgehen.
Zu diesem Komplex meine Damen und Herren, gibt es jetzt keine Wortmeldungen mehr. Wir kommen nun zur Begründung des Antrags — Punkt 8 d — der CDU/CSU.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lemmrich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es handelt sich hier nicht um einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion, sondern um einen Gruppenantrag. Ich darf das vielleicht vorweg sagen.
Der Schutz des Bürgers vor Fluglärm ist in dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom März 1971 fixiert. Hiernach sollen auch Zuschüsse für bauliche Maßnahmen gegeben werden. Dadurch soll insbesondere den Menschen, die im Bereich der Flughäfen wohnen, geholfen werden. Dabei handelt es sich nicht nur um Zivil-, sondern auch um eine beträchtliche Anzahl von Militärflughäfen. Durch die Abgrenzung dieser Schutzzonen, die jetzt erfolgt, merken diese Bürger zur Zeit erst richtig, was auf sie zukommt.
In den dreieinhalb Jahren seit Bestehen dieses Gesetzes sind im Bereich der baulichen Schutzmaßnahmen Kostensteigerungen eingetreten. Es geht vor allem darum, daß entsprechende Fenster und Türen hergestellt werden, um die Bürger vor Fluglärm zu schützen. Dieser Sachverhalt der Möglichkeit der Kostenänderung von baulichen Schutzmaßnahmen war dem Gesetzgeber augenscheinlich schon von Anfang an gegenwärtig, denn er hat in § 9 Abs. 4 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm vorgesehen, daß die Bundesregierung ermächtigt wird, durch Verordnung den Höchstsatz für bauliche Schutzmaßnahmen, der 100 DM pro qm Wohnfläche beträgt, zu ändern.
Das Anliegen dieses Antrages ist es nun, in Anbetracht der von mir geschilderten Sachverhalte
jetzt diese Situation zu überprüfen und, wenn es sich als notwendig erweisen sollte, die Höchstgrenze zu ändern, damit sich die betroffenen Bürger entsprechend schützen können und sich die Kosten für sie in einem erträglichen Maß halten. Das ist das Anliegen des Antrages. Ich bitte Sie, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ihn zu unterstützen.
Das Wort in der Aussprache hat Herr Abgeordneter Schäfer .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lemmrich hat darauf hingewiesen, daß das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 bei Verkehrs-und militärischen Flughäfen, die von Strahlflugzeugen benutzt werden, Lärmschutzbereiche festlegt. Die Bundesregierung ist in diesem Gesetz ermächtigt, durch Rechtsverordnung Schallschutzanforderungen für Gebäude festzusetzen, die im Lärmschutzbereich liegen. Die Bundesregierung hat im Frühjahr dieses Jahres diese Verordnung erlassen.Den Eigentümern der betroffenen Grundstücke werden auf Antrag Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen — Herr Kollege Lemmrich hat auf Doppelfenster und ähnliches hingewiesen — erstattet, nach § 9 Abs. 3 Fluglärmgesetz freilich nur bis zu einem Betrag in Höhe von 100 DM pro qm Wohnfläche. Nach dem Verursacherprinzip hat im übrigen der Flugplatzhalter die Aufwendungen für diese Umweltbelastungen durch Fluglärm zu zahlen. In § 9 Abs. 4 des Gesetzes wird die Bundesregierung schließlich ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung ders Bundesrates den Höchstbetrag zu ändern, wenn sich die erforderlichen Aufwendungen wesentlich erhöht haben.Im Gegensatz zum Antrag hat Herr Kollege Lemmrich hier soeben festgestellt, daß sich die Kosten tatsächlich erhöht hätten, obwohl im zweiten Teil des Antrages erst die Überprüfung dieser Kosten verlangt wird.
— Herr Kollege Lemmrich, eine Zwischenfrage?
Nach Untersuchungen des Berliner Senators für Bau-und Wohnungswesen reicht der bisherige Beitrag aus; das sei vor allem auf das ständig gestiegene Angebot von Schallschutzmitteln zurückzuführen, das zu einer verstärkten Konkurrenzsituation auf dem Markt geführt habe. Das Bundesministerium des Innern hat im Rahmen der Arbeiten zum Erlaß einer Verordnung über bauliche Schallschutzanforderungen auch die Frage geprüft, ob der Erstattungsbetrag angemessen erhöht werden muß.Meine Damen und Herren, wir beraten heute Drucksache 7/2263 vom 20. Juni 1974. Die alte
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Schäfer
Drucksache ist nur acht Tage älter. Im ursprünglichen Antrag haben die Antragsteller die Erhöhung des maximalen Erstattungsbetrages für dringend geboten gehalten. Die im zweiten Absatz des Antrages geforderte Überprüfung der Höhe wurde im ursprünglichen Antrag vorweggenommen. Acht Tage später gibt es nur noch — ich zitiere — „Anhaltspunkte dafür, daß eine Erhöhung dieses Betrages geboten wäre". Der Konjunktiv zeigt die veränderte Auffassung der Antragsteller in dieser Frage, die einer vorsichtigeren und realistischeren Einschätzung entspricht.Der im Gruppenantrag geforderten Überprüfung der Höhe des Erstattungsbetrages stimmen wir zu. Im übrigen wäre der Opposition nur zu wünschen, daß sie sich insgesamt als ebenso lernfähig — und dazu noch in so kurzer Zeit — erwiese wie die Antragsteller des vorliegenden Antrags.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Der vorliegende Gruppenantrag der CDU/CSU auf Überprüfung der maximalen Erstattungsbeträge für Aufwendungen baulicher Schallschutzmaßnahmen spricht ein Problem an, mit dem sich die FDP-Fraktion bereits seit länger als einem Jahr ganz konkret beschäftigt; denn mein Kollege Dr. Hirsch hatte schon am 10. August des vergangenen Jahres das Bundesinnenministerium aufgefordert, den jetzigen und schon bei der ursprünglichen Festlegung sehr umstrittenen Erstattungshöchstbetrag von 100 DM pro Quadratmeter Wohnfläche zu überprüfen. Auf die sicher öffentlichkeitswirksamere Einbringung eines solchen Antrags im Deutschen Bundestag wurde allerdings verzichtet, da die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 des Fluglärmgesetzes ja ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates den Erstattungshöchstbetrag dann anzuheben — das wurde schon betont —, wenn sich die erforderlichen Aufwendungen allgemein wesentlich erhöht haben.Eine entsprechende Prüfung auf Anregung des Kollegen Dr. Hirsch ergab seinerzeit — federführend für solche Überprüfungen ist ja das Ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau —, daß eine Erhöhung als nicht gerechtfertigt oder notwendig anzusehen war. Mit dem Ergebnis einer neuerlichen, einer aktualisierten Überprüfung auf Grund einer in die gleiche Richtung zielenden Initiative des Bundesrates ist außerdem ja in Kürzt zu rechnen. Insofern könnte hier eigentlich der Oppositionsantrag bereits als erledigt angesehen werden. Aber ich meine, er sollte hier heute Anlaß genug sein, noch einmal zu den grundsätzlichen Problemen der Fluglärmbekämpfung kurz Stellung zu nehmen.Nach Auffassung der FDP-Fraktion bliebe selbst eine notwendige Erhöhung der Erstattungen tatsächlich nur ein Kurieren an den Symptomen, ohne daß wir einer wirklichen Problemlösung näherkämen. Das Fluglärmgesetz in der jetzigen Fassung istsicher unvollständig, nachdem wir schon nach kurzem Erfahrungszeitraum weitere Erkenntnisse gewonnen haben.Zunächst einmal sind wir der Meinung, daß sich der Geltungsbereich des Fluglärmgesetzes nicht nur auf solche Flughäfen beschränken dürfte, auf denen Luftlinienverkehr oder Militärluftfahrt betrieben wird. Es ist geradezu grotesk, daß sich z. B. die Anlieger von den etwa 280 Landeplätzen nur deshalb nicht vor nicht einmal geringerem Lärm schützen können, nur weil er von Hochleistungspropellern der Sportflugzeuge oder von Hubschraubern erzeugt wird. Hier muß, wie wir meinen, der Geltungsraum erweitert werden. Fluglärmprobleme beschränken sich eben nicht nur auf die Umgebung von zwölf Verkehrsflughäfen in diesem Land, sondern der Fluglärm beeinträchtigt etwa zwei Prozent unserer Bevölkerung, also rund eine Million Bundesbürger.Deshalb muß in diesem Bereich auch mehr Transparenz gefordert werden. Wir sind der Auffassung, daß die Grundsätze des Bundesimmissionsschutzgesetzes hinsichtlich der Auslegungsfrist bei den Planfeststellungsverfahren von zwei Wochen auf zwei Monate angeglichen werden müssen und daß die vom Gesetzgeber geforderten Lärmmessungen der Öffentlichkeit ganz allgemein zugänglich gemacht werden müssen.Die notwendigen vermehrten Anstrengungen des vorbeugenden Lärmschutzes sollten sich aber auch darauf richten zu verhindern, daß immer noch Schulen, Kindergärten oder Krankenhäuser im Nachhinein mitten in die Flugschneisen hineingebaut werden. Verstärkt werden müssen aber auch unsere Bemühungen, den Fluglärm direkt an der Quelle zu bekämpfen. Zwar müssen seit 1969 Musterzulassungen von Düsenflugzeugen den Lärmhöchstwerten des ICAO-Zulassungsverfahrens genügen. Aber ein verbindliches Umrüstungsprogramm für bereits im Einsatz befindliche Strahlflugzeuge auf geräuschärmere Triebwerke wurde bisher nur einzelstaatlicher Initiative empfohlen.Um so mehr begrüßen wir die Absicht des Bundesverkehrsministeriums, ganz konsequenterweise bis 1. 1. 1979 alle älteren Düsenflugzeuge mit deutscher Zulassung aus dem Verkehr zu ziehen, wenn nicht die lärmmindernden Umrüstungen erfolgt sind. Die notwendigen Umbausätze können nach Angaben der ICAO ab 1975 geliefert werden, was nach Berechnungen von Fachleuten bedeuten würde, daß bereits drei Jahre später 75 % aller im Weltluftverkehr eingesetzten Düsenflugzeuge den restriktiven Lärmforderungen entsprechen würden, wenn alle Luftverkehrsgesellschaften mit den notwendigen Umrüstungsarbeiten sofort beginnen könnten. Aber die Ertragslage zum Beispiel allein der Deutschen Lufthansa läßt es nicht zu, daß die erforderliche und von den Luftverkehrsgesellschaften schon 1973 im Rahmen der IATA selbst gewünschte Umrüstung mit fast 80 Millionen DM aus eigener Finanzkraft erfolgen kann, wenn schon die Folgekosten in noch einmal der gleichen Höhe erhebliche Belastungen darstellen.Im übrigen wird sich in dieser Frage der Grundsatz des Verursacherprinzips ohnehin nur schwer
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Hoffiehalten lassen, weil die einzelne Luftverkehrsgesellschaft, die ja für die Lärmverursachung zuständig wäre, ihre Preispolitik nicht frei gestalten kann und der Fluglärm auch bei all jenen Gebäuden zum Problem wird, die erst lange Jahre nach Anlage eines Flughafens in die direkten Flugzonen hineingebaut werden. Hier ist die Bundesregierung aufgefordert, schnell zu einer notwendigen finanziellen Regelung mit der nationalen deutschen Luftverkehrsgesellschaft zu kommen, die verständlicherweise den Hauptanteil des Flugverkehrs bei uns stellt. Nur wenn wir sicherstellen, daß alle Flugzeuge im kürzestmöglichen Zeitraum umgerüstet sind, wird es uns gelingen, die Lärmbelästigung schon in etwa drei Jahren um bis zu 50 °/o zu reduzieren.Sinnvoll ist ein solches Umrüstungsprogramm nach Auffassung meiner Fraktion letztlich aber nur dann, wenn sich alle international tätigen Gesellschaften in abgestimmten Fristen zu gleichen Maßnahmen verpflichten. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, mit aller Energie auch im internationalen Bereich dieses Ziel zu erreichen. Nur wenn die Fragen der Umrüstungskosten und des verpflichtenden Einsatzes jeweils neuester technologischer Entwicklungen gelöst werden können, wird es tatsächlich möglich werden, daß bereits Mitte der achtziger Jahre der Fluglärm in der Umgebung von Flughäfen niedriger ist als der Verkehrslärm auf unseren Straßen. Schon deshalb muß auch im Zusammenhang mit diesem Antrag die grundsätzliche Frage entschieden werden, ob die hohen Aufwendungen für lärmmindernde Baumaßnahmen, ob die flankierenden Maßnahmen allein — ich nenne als Beispiele Nachtflugbeschränkungen, verbesserte An- und Abflugverfahren, Lärmschutzhallen, gestaffelte Prämien für leisere Flugzeuge, die ja das Problem nur von einem auf den anderen Flughafen verlagern, je nachdem, welcher Flughafen hier mitmacht oder die Höchstpreise für Prämien aussetzt — sinnvoll sind, ob also insgesamt der Versuch, an Symptomen herumzukurieren, sinnvoller sein kann als eine Therapie, die an der Wurzel der Krankheit ansetzt, nämlich bei einer erzwungenen Verbesserung und dem verpflichtenden Einsatz solcher Triebwerke und Flugzeuge, die bewirken, daß Fluglärm schon in wenigen Jahren kein wirkliches Problem mehr darstellt.
Als Berichterstatter hat nunmehr der Herr Abgeordnete Dr. Gruhl zu Punkt 8 e) und f) der Tagesordnung das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Berichterstatter bitte ich zunächst zu protokollieren, daß in der Drucksache 7/2560 bei der Drucklegung ein Fehler entstanden ist. Im Antrag des Ausschusses ist eine ganze Zeile weggefallen. Unter 2 a) muß es heißen:Spätestens bis zum 1. Januar 1980 wird die Kommission Vorschläge für einen weiteren Schritt zur Lösung des Problems des Bleigehalts im Benzin vorlegen.Zum Bericht ist festzustellen, daß es heute nicht um eine Änderung der deutschen Gesetzgebung geht. Die erneute Beratung wurde veranlaßt durch den Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Zusammensetzung von Benzin, die in Brüssel zur Beratung ansteht. Die EG-Kommission bleibt hinter den deutschen Werten insofern zurück, als sie erst 1976 die Begrenzung des Bleigehalts auf 0,40 Gramm je Liter festlegen will, die wir heute schon haben. Zu diesem Zeitpunkt — 1. Januar 1976 — schreibt unser Gesetz bereits eine Begrenzung des Bleigehalts von 0,15 Gramm je Liter vor. Diese Begrenzung auf 0,15 Gramm je Liter soll in der Europäischen Gemeinschaft erst ab 1. Januar 1978 eingeführt werden. Gravierender bei dieser schlechteren Regelung ist aber, daß sie überhaupt nur für Normalbenzin gelten soll, während es bei Superbenzin auch dann noch bei der Begrenzung auf 0,40 Gramm je Liter bleiben soll.Nun befindet sich die Bundesrepublik Deutschland auch insofern in einer Ausnahmesituation, als bei uns in vielen Ballungsgebieten der Verkehr in stärkerer Massierung auftritt als z. B. in Frankreich oder in Italien. Die Bleikonzentrationen sind um ein Mehrfaches höher als der Wert, der von der „VDI-Kommission zur Reinhaltung der Luft" festgelegt worden ist. Die Werte übertreffen auch den von der amerikanischen Umweltschutzbehörde festgelegten Wert. Die USA führen ab 1976 einen Wert von 0,33 Gramm je Liter ein und verringern diesen ab 1979 auf 0,135 Gramm pro Liter, gehen also leicht unter den deutschen Wert. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß die 1976er-Automobilmodelle der Vereinigten Staaten bereits eine katalytische Nachverbrennung haben müssen, für die — gesetzlich vorgeschrieben — völlig bleifreies Benzin zur Verfügung stehen muß. Dies aus dem Grunde, weil die Anlagen zur Nachverbrennung das Blei nicht vertragen.In den letzten Jahren ist wiederholt von Schwierigkeiten der deutschen Mineralölindustrie berichtet worden, die deutschen Werte ab 1. Januar 1976 zu erfüllen. Der Innenausschuß hat bei seinen Beratungen diesen Gesichtspunkt stark berücksichtigt. Der vom Mineralölwirtschaftsverband bestätigte Sachverhalt sieht zur Zeit wie folgt aus: Für Normalbenzin werden die deutschen Raffinerien ab 1. Januar 1976 den Bedarf 100%ig mit Benzin mit 0,15 Gramm erfüllen können. Für Superbenzin werden sie einen Bedarf von über 7% erfüllen können. Für reichlich 20 % werden — im Gesetz vorgesehene — Übergangsregelungen eintreten müssen, bis dann ab etwa Mitte 1977 auch dieser Bedarf voll produziert werden kann.Die Importe an Superbenzin betrugen im Jahre 1973 14,5%. Für diesen Anteil können sich ab 1976 vorübergehend Schwierigkeiten ergeben, weil unbekannt ist, wie weit ausländische Raffinerien niedrig verbleites Superbenzin werden liefern können. Es gibt aber zumindest eine Raffinerie in Holland und eine in England, die auf eine entsprechende Umstellung bis 1976 vorbereitet sind. Eine Raffinerie in
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Dr. GruhlItalien kann schon jetzt allerdings nur kleine Mengen dieses niedrig verbleiten Benzins in der geforderten Qualität liefern.Die Schwierigkeit, diesen Rest in einer Übergangszeit zu decken, konnte für den Innenausschuß kein Grund sein, die deutsche Gesetzgebung in Frage zu stellen. Wenn man das täte, dann würde man gerade die Produzenten, die sich um Erfüllung der deutschen Gesetzgebung bemüht haben, in den April geschickt haben, während diejenigen, die in ihrer Umstellung säumiger waren, eine Belohnung erhielten. Es kann nicht der Sinn einer langfristigen Umweltgesetzgebung sein, solche Kehrtwendungen und Unsicherheiten bei der Industrie hervorzurufen. Im Gegenteil, die Wirtschaft wünscht langfristige Daten.Es liegt darum in der Konsequenz unserer gemeinsam betriebenen Umweltpolitik, daß die Bundesrepublik Deutschland entweder bei der EG die deutschen Werte durchsetzt oder, wenn das nicht gelingt, daß der Bundesrepublik Deutschland eine besondere nationale Regelung genehmigt wird. In der Folge der Entwicklung wird sich wahrscheinlich ergeben, daß die Europäische Gemeinschaft früher oder später zu gleichen Grenzwerten kommen wird. Der Sinn des Antrags des Innenausschusses ist der, alle Mittel auszuschöpfen und die Bundesregierung dazu aufzufordern, zu einer gemeinsamen europäischen Regelung zu kommen. Das kann aber nicht bedeuten, daß die riesigen Anstrengungen, die hier im Lande unternommen worden sind, dann wieder in Frage gestellt werden. Wir hoffen, daß die EG in dieser Beziehung kompromißbereit sein wird. Darum hat der Innenausschuß beschlossen, die Kommission aufzufordern, bis spätestens 1. Januar 1980 weitere Vorschläge vorzulegen, die dann eine Harmonisierung bringen könnten.Gerade in der letzten Zeit haben weitere Untersuchungen die Gefährlichkeit des Bleis in der Luft festgestellt, woraus der Innenausschuß die Schlußfolgerung ziehen durfte, daß die deutsche Umweltpolitik in diesem Bereich die richtige ist.Der Innenausschuß empfiehlt daraufhin dem Hohen Hause einstimmig, die Anträge Drucksachen 7/2560 und 7/2561 anzunehmen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Konrad.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Während der Bericht der Bundesregierung über die Durchführung des BenzinbleigesetzesGrund zur Zufriedenheit gibt, ist der Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie über den Bleigehalt von Benzin Anlaß zu einer gewissen Besorgnis. der Herr Kollege Dr. Gruhl hat als Berichterstatter hier die Daten vorgetragen, die nicht wiederholt zu werden brauchen. Wir wissen also, daß der Richtlinienvorschlag der EG-Kommission unserer Gesetzgebung nur teilweise entspricht. Auch hier kann ich mich auf den umfassenden Zahlenvortrag des Berichterstatters beziehen.Der Antrag des Innenausschusses greift hier ein, um der Bundesregierung eine Unterstützung in ihren Verhandlungen in Brüssel zu geben. Allerdings hat der Bundestag nur selten Gelegenheit, sich in einer Aussprache mit einer EG-Richtlinie zu beschäftigen.
Daß dies heute im Rahmen einer umfassenden Aussprache über Umweltschutz geschieht, beweist die Bedeutung dieses Bereichs gesetzgeberischer Tätigkeit im nationalen und im multinationalen Maßstab. Die Bundesregierung wird also mit unserer Unterstützung hoffentlich in besserer Position in Brüssel verhandeln können und dafür sorgen, daß der Vorsprung der Bundesrepublik in einem Teilbereich des Umweltschutzes nicht zu Lasten unserer Bürger durch einen Federstrich verlorengeht, sondern von unseren Partnerstaaten mit eigenen Anstrengungen aufgeholt wird.Es wäre eine denkbar schlechte und von der Öffentlichkeit gewiß nicht verstandene Lösung, wenn die für den 1. Januar 1976 anstehende zweite Stufe des Benzinbleigesetzes nicht verwirklicht würde.Über die Gefährlichkeit von Blei für den menschlichen Organismus sollte nichts mehr gesagt werden müssen. Es ist bemerkenswert, was der Herr Kollege Dr. Gruhl als Berichterstattung über das Vorgehen der Vereinigten Staaten von Amerika hier vorgetragen hat. Diese bemerkenswerte Verminderung des Bleigehalts in den Kraftstoffen geschieht zu einem Zeitpunkt, in dem die Amerikaner andere Umweltschutzmaßnahmen wegen der kritischen Energielage ausgesetzt haben.Es darf nicht vergessen werden, daß die Termine des Benzinbleigesetzes mit der deutschen Industrie abgestimmt sind. Eine im vergangenen Jahr in Frankfurt anläßlich der Autoausstellung geführte Diskussion hat zwar erkennen lassen, daß es bei der Mineralölindustrie nicht an Versuchen fehlt, eine gewisse Terminverschiebung zu erreichen, daß sie aber durchaus in der Lage ist, den Erfordernissen des Gesetzes zeitgerecht zu entsprechen. Dabei wird sie auf eine verständnisvolle Handhabung der Ausnahmemöglichkeiten durch den Bundesminister des Innern rechnen dürfen. Das ist vorwiegend zum Schutz mittelständischer Vertriebsunternehmen notwendig.Es wäre äußerst ungerecht und würde das Vertrauen der Industrie erschüttern, wenn den bereits im Hinblick auf den 1. Januar 1976 vorgenommenen Investitionen plötzlich die Grundlage entzogen würde. Ich finde es also in diesem Zusammenhang Ihrem literarischen Rang entsprechend, Herr Dr. Gruhl, wenn Sie hier scherzhaft den 1. April eingeführt haben. Das Wort wird in der Industrie, wo man ja auf Sie zu hören pflegt, nicht vergessen werden.Es wäre kein gutes Unterfangen, wenn die gesamte mit dem Kraftfahrzeug verbundene Industrie und wenn die Kraftfahrer durch unnötige Schwarzmalerei über die Zeit nach dem 1. Januar 1976 hinaus verunsichert würden. Die Erfahrungen mit der ersten Stufe des Benzinbleigesetzes bieten Gewähr dafür, daß sich die zweite Stufe durchsetzen läßt. Ohnehin bietet auch der Vertrieb von Kraftfahrzeugen mit Motoren für bleiarmen Kraftstoff positive Ansätze für
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Konradweitere Maßnahmen, die Luftverunreinigung durch Kraftfahrzeuge zu vermindern. Unumgängliche Anlaufschwierigkeiten müssen mit der richtigen Einstellung hingenommen werden.Soweit Schwierigkeiten dadurch aufgetreten sind, daß die Genehmigungsverfahren für neue Anlagen der Mineralölindustrie eine zu lange Dauer haben, greift der Antrag des Innenausschusses dieses Problem auf. Es muß von den Ländern bewältigt werden, verlangt aber auch sorgfältige Bearbeitung der Antragsunterlagen durch die betroffene Industrie.Das Benzinbleigesetz hat erfreuliche Auswirkungen im Umweltschutz gezeitigt. Wir alle sollten keinen Zweifel an unserer Entschlossenheit aufkommen lassen, dieses Gesetz auch weiterhin in der vorgesehenen Weise anzuwenden. Auf dem Weg nach Brüssel begleiten die Bundesregierung die besten Wünsche der SPD-Fraktion.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Meine beiden Vorredner haben es mir leicht gemacht, hier den inhaltlich gleichen Willen unserer gesamten Fraktion darzulegen. Über das Verhältnis zwischen den beteiligten oder berührten wirtschaftlichen Interessen zu einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung dieses Problems haben wir in anderem Zusammenhang schon ausführlich gesprochen. Es ist in keiner Weise die Leistungsfähigkeit der beteiligten Industrien zu bezweifeln, die natürlich in der Lage sind, das Problem zu lösen, wenn sie merken, daß wir in unseren Entscheidungen dabei bleiben.
Zu der Berührung der wirtschaftlichen Interessen tritt hier eine weitere Komponente, die der Herr Kollege Konrad angedeutet hat, nämlich die Tatsache, daß Blei nach Auskunft aller Sachverständigen zu den gefährlichsten Atemgiften gehört, die wir heute in den Großstädten haben. Schon heute wird in den Ballungszentren die von den Sachverständigen als Obergrenze betrachtete Konzentration um das Dreifache überschritten, und das Blei, das sich in der Atemluft befindet, wird zu 90 bis 95 % vom Menschen aufgenommen. Es verändert das Lungengewebe und das Knochenmark. Es wirkt als Depotgift, dessen Wirkungen wir langfristig überhaupt noch nicht abzuschätzen vermögen, und zwar insbesondere auf die Kinder.
Die Durchsetzung des Benzinbleigesetzes, das wir einstimmig beschlossen haben, war auch in der ersten Stufe nicht einfach. Wir müssen aber die Bereitschaft der Mineralölindustrie begrüßen, daran mitzuwirken, daß auch die Verwirklichung der zweiten Stufe erreicht werden kann, nämlich die Senkung auf 0,15 Gramm ab 1. Januar 1976. Es sind von der Industrie außerordentlich hohe Anstrengungen unternommen worden, durch neue Investitionen die Kapazitäten zu schaffen, die dafür erforderlich sind. Wir danken dabei auch der Bundesregierung, daß sie mit Erfolg dazu beigetragen hat, daß die dazu erforderlichen Genehmigungen durch die Behörden der Länder erteilt worden sind.
Nach allen Kenntnissen, die wir haben, liegt das Versorgungsproblem nur vorübergehend bei der Vollversorgung mit bleiarmem Superbenzin im Jahre 1976, ein Problem, das aber durch Importe gelöst werden kann. Dies ist hier ausgeführt worden.
Es erschiene uns denkbar, nun trotz dieses Sachverhaltes von unseren Zielsetzungen abzugehen. Angesichts der Investitionen würde ein nicht wiedergutzumachender Schaden für das Vertrauen in die Willensbildung und die Willensfestigkeit unserer Zielsetzungen bewirkt werden. Das hätte Auswirkungen auf die gesamte Umweltpolitik. Umweltschutz kostet Geld. Wenn hier von einer Mehrbelastung von zwei Pfennigen pro Liter gesprochen wird, dann scheint dies keine unzumutbare Mehrbelastung zu sein, zumal ja nicht klar ist, ob diese zwei Pfennige tatsächlich im Preis voll weitergegeben werden.
Zur EWG-Richtlinie ist hier gesagt worden, daß die zweite Stufe erst für den 1. Januar 1978 vorgesehen und das Superbenzin ausnimmt. Diese Richtlinie ist für uns und für eine moderne und vorausschauende Umweltpolitik nicht akzeptabel. Wir haben im Innenausschuß dazu einstimmig unsere Meinung festgehalten, daß die von diesem Bundestag beschlossenen Umweltziele nicht dadurch beeinträchtigt werden dürfen, daß die anderen EWG-Länder offenbar gewillt sind, das Problem nur in langsameren Schritten zu lösen. Ich möchte für die gesamte Fraktion der FDP erklären, daß wir aus diesen Gründen einmütig an den Zielsetzungen festhalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller-Hermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich zunächst feststellen, daß wir in vollem Umfange Inhalt, Sinn und Zweck des Benzinbleigesetzes noch einmal bejahen. Wir bedauern, daß leider wieder die Gefahr besteht, daß eine nationale Sonderregelung in einem Teilbereich erfolgt, was nachteilige Wirkungen nicht zuletzt möglicherweise für den Verbraucher haben kann, wenn beispielsweise nur deutsche Anbieter auf dem Markt in Erscheinung treten.
Wir bitten daher die Bundesregierung, nochmals alle Anstrengungen zu unternehmen — diese Bitte richtet sich natürlich in erster Linie an Sie, Herr Minister Maihofer —, um sicherzustellen, daß die Aufnahme der im deutschen Benzinbleigesetz enthaltenen Begrenzungen des Bleigehalts in die EG-Richtlinie erfolgt.
Das Wort hat Herr Bundesminister Maihofer.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren!
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974 8211
Bundesminister Dr. Dr. h. c. MaihoferEs ist so Vieles und Gutes gesagt worden, daß ich mir weitere Worte zur Durchführung des Benzinbleigesetzes hier ersparen kann. Ich will aber dem Hohen Hause danken für die einmütige Unterstützung bei der von der Bundesregierung unternommenen Anstrengung, den bei uns mit dem Benzinbleigesetz erreichten Fortschritt auch in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durchzusetzen. Ich bin sicher, daß dieses Votum die Resonanz für unseren Wunsch auch in jenem Bereich verstärken wird.Auch und gerade hier, meine ich, darf sich der Fortschritt nicht nach dem langsamsten Dampfer richten. Ich werde daher, auch durch die heutige Aussprache ermutigt, unbeirrt mit dem Vollzug des von diesem Hohen Hause einstimmig beschlossenen und eben wiederum bekräftigten Gesetzes fortfahren und bin davon überzeugt, daß unsere Nachbarn, so wie sie jetzt bereits dem Vollzug der ersten Stufe des Benzinbleigesetzes zuneigen, letztlich das gesamte technologische Programm übernehmen werden, so wie es in den Vereinigten Staaten, dem größten Automobilproduzenten der Welt, in diesem Frühjahr bereits geschehen ist. Ich glaube, hier leisten wir wirklich Schrittmacherdienste auch für Europa.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Aus der Tagesordnung ersehen Sie die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates für die Punkte 8 a), b), c) und d). Dazu ist interfraktionell noch vorgeschlagen worden, daß die Vorlage unter Punkt b) — Abwasserabgabengesetz
— zur Mitberatung auch dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zugewiesen werden sollte. Sind Sie mit dieser erweiterten Überweisung einverstanden? Dann bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Vorlage unter Punkt 8 e), Antrag des Innenausschusses zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Zusammensetzung von Benzin — Probleme über den Bleigehalt von Benzin. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlußfassung über die Vorlage unter Punkt 8 f), Antrag des Innenausschusses zu dem Bericht der Bundesregierung über die Durchführung des Benzinbleigesetzes und über die zur Erfüllung der Entschließung des Deutschen Bundestages vom 24. Juni 1971 zum Benzinbleigesetz getroffenen Maßnahmen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.
— Das ist 2561, jawohl. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Jenninger, Köster, Frau Dr. Neumeister, Dr. Hammans, Frau Schleicher, Braun und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung
— Drucksache 7/2373
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung
— Drucksache 7/2569 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hält eine Änderung des Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung für notwendig, um Vorschriften der von der Bundesregierung am 28. Oktober 1970 erlassenen Approbationsordnung den Realitäten anzupassen und zugleich unbillige Härten für Studierende der Medizin durch Neuformulierung der Übergangsvorschriften zu beseitigen.Studierende, die im Sommersemester 1970, im Wintersemester 1970/71 und im Sommersemester 1971 ihr Studium aufgenommen haben, müssen ihr Studium und das Staatsexamen nach der Bestallungsordnung von 1953 ableisten, dagegen entsprechend der neuen Approbationsordnung im letzten Studienjahr eine acht- bzw. zwölfmonatige praktische Ausbildung durchführen. Eine solche, lediglich in der Übergangszeit vorgesehene Vermischung unterschiedlicher Ausbildungssysteme hätte zur Folge, daß die Studenten der Tätigkeit in den Krankenhäusern wegen nicht ausreichend Zeit für die Vorbereitung zum alle Prüfungsfächer umfassenden Staatsexamen alter Ordnung zur Verfügung hätten.Die praktische Ausbildung am Krankenbett kann schwerlich Vorbereitung für die Prüfung in den theoretischen Fächern sein. Der Student wäre daher gezwungen, nach der praktischen Ausbildung, die zudem noch für einen größeren Teil der Studierenden in Lehrkrankenhäusern außerhalb der Hochschulorte durchgeführt worden wäre, sich auf das Examen vorzubereiten. Eine nicht unerhebliche Verlängerung des Studiums wäre die Folge.
Wohnungsschwierigkeiten, zusätzliche finanzielle Belastungen für die Studenten und vor allem ein Rückgang der Zahl ausgebildeter Ärzte wäre damit verbunden.
Eine ordnungsgemäße Ausbildung von Medizinstudenten in Lehrkrankenhäusern ist nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion bis zum 1. August 1975
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinnicht gewährleistet, weil weder die personellen und die materiellen noch die finanziellen und die strukturellen Voraussetzungen bis zu diesem Zeitpunkt geschaffen worden wären. Eine unzureichende Personalsituation vor allem an den Lehrkrankenhäusern hätte zudem zur Folge, daß das zur Ausbildung der Medizinstudenten erforderliche Lehrpersonal, also insbesondere Ärzte, für die Versorgung der, Patienten nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung stünde. Sowohl die Qualität der Ausbildung als auch die ärztliche Versorgung müßten gleichermaßen leiden.Es wäre voraussichtlich auch unmöglich gewesen, in dem noch zur Verfügung stehenden Zeitraum 500 bis 800 zusätzlich zur Ausbildung benötigte und befähigte Ärzte zu gewinnen, weil z. B. in den chirurgischen Fachabteilungen wie aber auch schon in anderen Krankenhausbereichen Engpässe zu beobachten sind. Wenn man dann noch weiß, daß in den chirurgischen Abteilungen jeder dritte Arzt schon ein Ausländer ist, erkennt man, daß eine solche Tatsache auch für die Ausbildung von Studierenden von besonderer Bedeutung ist.Nach unseren Feststellungen haben die Länder auch unterschiedlich und oft viel zu spät die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet, um die entsprechenden Einrichtungen für Lehrveranstaltungen und die Ausbildungsplätze zu planen und zu schaffen.Eine — zugegebenermaßen unvollständige — Überprüfung der Länderhaushalte hat gezeigt, daß die erforderlichen finanziellen Konsequenzen aus der beabsichtigten Neuordnung des Medizinstudiums für das Haushaltsjahr 1975 nicht gezogen worden sind.
Schließlich müssen auch zahlreiche Fragen hinsichtlich des Status des Medizinstudenten in der praktischen Ausbildung ausführlicher und befriedigender als bisher beantwortet werden Es kann einfach nicht hingenommen werden, daß der Student gewissermaßen ohne Netz und Boden arbeiten muß, weil man auf berechtigte Überlegungen und Anregungen etwa hinsichtlich zusätzlicher finanzieller Belastungen oder nicht ausreichenden Versicherungsschutzes während des praktischen Jahres einfach nicht eingeht, wie man es den Studenten, vor allem denen der ersten Ausbildungsgeneration, zugestehen müßte.Die von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagene Änderung der Bundesärzteordnung hat unseres Erachtens drei Vorzüge:Erstens. Medizinstudenten, die ihr Studium noch nach den Vorschriften der Bestallungsordnung begonnen und teilweise durchgeführt haben, beenden ihr Studium nach diesen Vorschriften und werden so vor unbilligen Härten geschützt.Zweitens. Bundesregierung und Länder erhalten die Möglichkeit, gründlicher und umfassender als bisher die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, die eine weitgehende gleichwertige Ausbildungder Medizinstudenten im praktischen Jahr garantieren können.Drittens. Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit erhält durch die Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Fraktion die Gelegenheit, alle mit der Approbationsordnung verbundenen, noch offenen Fragen zu erörtern, und auf Grund der dann gegebenen Auskünfte der Bundesregierung hoffentlich auch die Gelegenheit, diese Fragen besser als bisher zu erörtern.Die Beantwortung der Kleinen Anfragen der CDU/CSU vom 15. Juni 1973 und vom 24. Mai 1974, in denen wir uns nämlich kritisch mit den Vorarbeiten und der Durchführung der Approbationsordnung beschäftigten, durch die Regierung, hat gezeigt, daß die Regierung bis vor wenigen Wochen alle mit der Approbationsordnung zusammenhängenden Probleme entweder verharmlost, abgeleugnet oder falsch gesehen hat.
Anstatt die vielen Ungereimtheiten zu beseitigen und den verunsicherten Studenten eine zusätzliche Hilfe zu geben, hat man nichts anderes als zusätzlichen poliklinischen Unterricht in die Approbationsordnung eingeplant, um so auch politischen Forderungen der eigenen Partei nachzukommen. Daß die Einführung eines solchen poliklinischen Unterrichts unter Umständen nicht gerade die beste Möglichkeit ist, den jungen Medizinstudenten für die Allgemeinmedizin zu interessieren — wir wünschen doch alle, daß die Medizinstudenten diesem Teil der Ausübung des Arztberufs stärker als bisher zuwenden —, mag hier eben so erwähnt werden.Meine Damen und Herren, es steht fest: Noch im Juli lehnte die Regierung jegliche Änderung der Approbationsordnung bzw. der Bundesärzteordnung ab;
nachweislich tat es ebenso die SPD-Fraktion. Erst die Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Fraktion .hat Regierung und Koalitionsparteien veranlaßt, sich unserer Meinung anzuschließen, um schließlich im September einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Wenn Frau Bundesminister Focke noch vor wenigen Tagen in einem Fernsehinteview unserer Kollegin Frau Wex unterstellt hat, die CDU schreibe Gesetzesinitiativen der Koalitionsparteien ab, so haben wir hier ein ganz konkretes Beispiel dafür, daß es genau umgekehrt ist.
Die von SPD und FDP vorgetragene Begründung, die CDU/CSU-Gesetzesinitiative könne aus rechtsformalen Gründen nicht als Alternative angesehen werden, ist so schwach, daß es sich einfach nicht lohnt, heute darauf einzugehen.
Lediglich der Hinweis sei gestattet, daß die genannteBegründung im Widerspruch zu der in der Antwortauf unsere Kleine Anfrage vom 16. August 1974 vor-
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Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteingetragenen Auffassung der Regierung steht. Dort istausdrücklich von einer Übergangsregelung die Rede.Niemand, meine Damen und Herren, kann bestreiten, daß die bisherigen Planungen und Vorbereitungen zur Durchführung der Approbationsordnung keine ordnungsgemäße Durchführung des praktischen Jahres garantieren können. Inhalt, Verlauf und Qualität der Ausbildung werden nicht durch den optimistischen gesetzlichen Anspruch, sondern durch die reale sachliche und personelle Situation an den Lehrkrankenhäusern bestimmt.Unerläßlich ist, daß die mit der Ausbildung befaßten Ärzte besser auf ihre Lehrtätigkeit vorbereitet werden. Solange Gegenstandskataloge fehlen, kann kaum erwartet werden, daß die Ausbildung ausreichend auf das neue Prüfungsverfahren vorbereitet. Wenn keine zusätzlichen Stellen für Ärzte geschaffen und besetzt werden, geht die Ausbildung der Studenten zu Lasten der Patienten.
Es ist doch geradezu widersinnig, wenn die Regierung einerseits zur Zeit versucht, durch gesetzliche Regelungen die qualitative und quantitative ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu verbessern, andererseits aber durch unverständliches und stures Festhalten an längst nicht mehr zutreffenden Einschätzungen genau das Gegenteil bewirkt, nämlich eine schlechtere Ausbildung der Medizinstudenten und eine geringere Zahl die Hochschule verlassender Ärzte.
Der Bundestag bzw. der federführende Ausschuß muß von der Regierung und den zuständigen Ressortministern fordern, daß dieser Widerspruch beseitigt wird und die zahlreichen noch offenen Fragen im Interesse der Bevölkerung und der Medizinstudenten rückhaltlos beantwortet sowie offensichtliche Mängel in der Anwendung der Approbationsordnung beseitigt werden. Noch hat das Ministerium keine bündige Antwort auf die Frage, wie die akademischen Lehrkrankenhäuser finanziell, technisch und vor allem personell funktionieren sollen, gegeben. Meine Damen und Herren, wir sind auf diese Antwort gespannt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bardens.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir legen heute einen Entwurf zur Änderung eines Gesetzes vor, das wir gemeinsam, einstimmig, einmütig am 2. Juli 1969 in diesem Haus beschlossen haben. Wir sind damals gemeinsam davon ausgegangen — es gab weder Änderungsanträge noch irgendwelche Kritik , daß die ärztliche Ausbildung so geändert werden muß, wie es in der neuen Bundesärzteordnung vorgesehen war. Das war unsere gemeinsame Auffassung.Im übrigen wußten spätestens seit diesem Zeitpunkt, seit Juli 1969, die Länder, die ja ihrerseits Mitinitiatoren dieser Änderung der Bundesärzteordnung waren, welche Aufgaben auf sie zukommen würden und was sie an Vorbereitung zu leisten hätten, um im entsprechenden Zeitabstand auch wirklich die Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Ich will aber jetzt gar nicht die Länder angreifen und will auch nicht die Schuld irgendwohin verlagern. Festzustellen bleibt jedoch, daß seit Juli 1969 bekannt war, was getan werden müßte, und daß nicht eingewandt worden ist, daß dies nicht realisierbar sei.Wir haben damals also einmütig beschlossen. Wenn wir nun keine Spiegelfechterei und keine der Sache nicht angemessene Plänkelei vorführen wollen, müssen wir feststellen, daß auch die beiden Gesetzentwürfe, die heute zur Änderung der Bundesärzteordnung vorliegen, im materiellen Inhalt wieder gleich sind, nachdem sowohl Sie als auch wir die Schwierigkeiten gesehen haben, die draußen entstanden sind.Die Länder waren, ganz gleich, aus welchem Grunde, nicht imstande, rechtzeitig die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß vom nächsten Herbst an zum ersten mal das Internatsjahr praktiziert werden könnte. Sie haben die Einrichtungen der Lehrkrankenhäuser in dieser Zeit nicht so weit entwickeln können, daß dies ginge.Wir wollen deshalb aus zwei wesentlichen Gründen jetzt diese Änderung vorschlagen. Zum einen wollen wir den Auszubildenden, den Studenten nicht die Folgen dieser verzögerten Entwicklung auflasten, sondern dafür sorgen, daß sie ausreichend ausgebildet sind, wenn sie ins Examen nach der neuen Ärzteordnung und nach der neuen Approbationsordnung gehen.Zum zweiten wollen wir — darauf haben auch Sie, Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, schon hingewiesen — den Betrieb an den Krankenhäusern, die als akademische Lehrkrankenhäuser vorgesehen sind, nicht dadurch stören, daß sie zu einem Zeitpunkt mit der Ausbildung belastet werden, zu dein sie einfach technisch, personell und finanziell nicht präpariert sind. Dies ist unser gemeinsames Anliegen.Aber ich meine, man sollte sich zu diesem Zeitpunkt vor einem hüten: Sie haben davon gesprochen, daß man im Ausschuß nach der Überweisung die Approbationsordnung und die Ärzteordnung in ihrem Inhalt schlechthin diskutieren sollte. Ich glaube nicht, das wir das tun sollten. Selbstverständlich gibt es inzwischen schon von da und dort Bedenken gegen die neue Ärzteordnung, gegen die Approbationsordnung. Aber können wir denn das, was wir einmütig beschlossen haben, nun schon ändern, bevor wir die Ausbildung überhaupt nur einen einzigen Tag nach den Bedingungen dieses neuen Gesetzes praktiziert haben? Ich glaube, dadurch würden wir draußen — gerade dort, wo in den Lehrkrankenhäusern Ausbildung mitgetragen werden sollte — noch mehr Unsicherheit, noch mehr Schwierigkeiten erzeugen, und das sollten wir eben nicht tun!
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8214 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. Oktober 1974
Dr. BardensIch bin sicher, daß wir dann, wenn schließlich nach der Verzögerung, die wir jetzt selbst vorschlagen müssen, nach der neuen Ärzteordnung und der neuen Approbationsordnung ausgebildet wird, die Praxis kritisch beobachten müssen. Dann müssen wir uns wirklich überlegen, ob man korrigieren muß, ob man neue Inhalte hineinbringen muß, ob man neue Formen für die Ausbildung wählen muß dann, aber nicht, bevor diese Ordnung auch nur einen einzigen Tag praktiziert wurde.Ich will, wie ich vorhin sagte, den Ländern nicht die Schuld zuschieben. Wir können jetzt gar nicht untersuchen, welche Ursachen dazu geführt haben, daß der Zeitplan nicht eingehalten werden konnte; aber ich will die Länderregierungen und die Länderparlamente hier heute bitten, nun wirklich alles zu tun, damit zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelungen, um die es heute geht, in den akademischen Lehrkrankenhäusern auch tatsächlich ausgebildet werden kann. Wir wollen den Ländern helfen, aber wir bitten auch um die Kooperation der Bundesländer in dieser Frage.
Meine Damen und Herren, wird das Wort noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung beider Vorlagen an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit vor. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhaltung und Modernisierung kulturhistorisch und städtebaulich wertvoller Gebäude
— Drucksache 7/2552 —
Das Wort zur Begründung und zur Aussprache wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — sowie an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — mitberatend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 26 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 13. Dezember 1972 bis 31. August 1974 eingegangenen Petitionen
— Drucksache 7/2562 —
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Beschlußfassung über die Sammelübersicht. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Beratung der Ubersicht 9 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen
Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 7/2553 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lenz
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Beratung wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dieser Vorlage zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 und 19 zusammen auf:
18. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen
— Drucksachen 7/1669, 7/2566 — Berichterstatter: Abgeordneter Hölscher
19. Beratung des Berichts und des Antrags des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 9/74 — Zollpräferenzen 1974 gegenüber Entwicklungsländern — EGKS)
— Drucksachen 7/2282, 7/2572 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jens
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Beratung wird nicht gewünscht. Sind Sie damit einverstanden, daß wir darüber zusammen abstimmen? — Ich höre keinen Widerspruch. Wer den beiden Vorlagen zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 20 der Tagesordnung auf:
Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten zustimmungsbedürftigen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs
— Drucksache 7/2577 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat empfiehlt Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaft. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Meine Herren und Damen, damit sind wir am Ende der für heute vorgesehenen Tagesordnungspunkte. Ich kann damit die Beratungen schließen und berufe das Haus auf Freitag, den 11. Oktober, morgens 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.