Protokoll:
7110

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 7

  • date_rangeSitzungsnummer: 110

  • date_rangeDatum: 20. Juni 1974

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:46 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 110. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 7439 A Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik — Drucksache 7/1832 —, Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses — Drucksache 7/2270 —Fortsetzung der zweiten Beratung und Schlußabstimmung Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) 7439 B Wehner (SPD) 7447 A Dr. h. c. Kiesinger (CDU/CSU) . . 7448 D Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 7449 B Dr. Marx (CDU/CSU) 7452 A Mattick (SPD) . . . . . . . . 7454 D Dr. Götz (CDU/CSU) zur Abstimmung 7458 D Namentliche Abstimmung . . . 7459 A Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) — Drucksache 7/2172 — Erste Beratung Arendt, Bundesminister (BMA) . . . 7460 D von Hassel, Vizepräsident . . . . 7468 A Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) . . 7468 B Rappe (Hildesheim) (SPD) . . . . 7496 B Spitzmüller (FDP) 7501 D Graf Stauffenberg (CDU/CSU) . . . 7506 B Schmidt (Wattenscheid) (SPD) . . . 7512 D Hölscher (FDP) . . . . . . . . 3517 D Dr. Blüm (CDU/CSU) . . . . . . 7522 C Dr. Farthmann (SPD) . . . . . . 7527 D Dr. von Bismarck (CDU/CSU) . . . 7534 A Dr. Ehrenberg (SPD) 7541 A Hoffie (FDP) . . . . . . . . 7543 A Fragestunde — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — Fragen A 8 und 9 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Niegel (CDU/ CSU) : Beurteilung der Verleihung des Leninordens an den Chef des Ministeriums für Staatssicherheit der „DDR", Generaloberst Mielke, für besondere Informationen aus dem Bereich der Bundesrepublik Deutschland; Bewertung der Feststellungen des BND, wonach zur Vorbereitung des Breschnew-Besuchs in der Bundesrepublik Deutschland Geheiminformationen über das Ministerium für Staatssicherheit der „DDR" an das sowjetische KGB gegangen sind Frau Schlei, Parl. Staatssekretär (BK) 7476 A, B Niegel (CDU/CSU) . . 7475 D, 7476 A, B II Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 Fragen A 12 und 13 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Nordlohne (CDU/CSU) : Äußerung von Bundeskanzler Schmidt im „Stern" bezüglich seiner Antwort an die CDU-Abgeordnete Lieselotte Berger in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 6. Juni 1974; Bereitschaft des Bundeskanzlers zur Konkretisierung und Zurücknahme dieses Vorwurf s Frau Schlei, Parl. Staatssekretär (BK) 7476 C, D, 7477 A, B, C, D, 7478 A, B, C, D Nordlohne (CDU/CSU) . 7476 D, 7477 A, 7478 B, C Frau Berger (Berlin) (CDU/CSU) . . 7477 B, 7478 D Dr. Kliesing (CDU/CSU) . . . . . 7477 B Mattick (SPD) . . . . . . . . . 7477 C Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) . . 7477 D Seiters (CDU/CSU) . . . . . . . 3477 D Dr. Czaja (CDU/CSU) . . . . . . 7478 A Frau Funcke, Vizepräsident . 7478 A Heyen (SPD) . . . . . . . . . 3478 D Fragen A 27 und 28 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Dr. Czaja (CDU/ CSU) : Verbindlichkeit des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31. Juli 1973 Dr. de With, Parl. Staatssekretär (BMJ) . . 7479 A, B, C, D, 7480 A, B, C Dr. Czaja (CDU/CSU) . 7479 C, D, 7480 A Kunz (Berlin) (CDU/CSU) . . . 7480 B Mattick (SPD) 7480 B Frage A 17 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Kunz (Berlin) (CDU/ CSU) : Beurteilung der Abwertung des Bundesverfassungsgerichts durch die Sowjetunion und die DDR als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland und als Beeinträchtigung der Entspannungsbemühungen Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 7480 D, 7481 A, B, C, D, 7482 A Kunz (Berlin) (CDU/CSU) . 7480 D, 7481 A Dr. Hupka (CDU/CSU) 7481 B Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) 7481 C Dr. Czaja (CDU/CSU) 7481 D Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . 7481 D Frage A 18 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Kunz (Berlin) (CDU/ CSU) Bedeutung der Äußerungen Jefremows für die Politik der Bundesregierung Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 7482 A, B, C Kunz (Berlin) (CDU/CSU) . . . 7482 B, C Fragen A 21 und 22 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) : Verhinderung der Ansprache von Botschafter Sahm im sowjetischen Fernsehen aus Anlaß des 25. Jahrestags des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 7482 D, 7483 B, C, D Dr. Mertes (Gerolstein) (CDU/CSU) 7483 B, C, D Fragen A 23 und 24 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Dr. Kliesing (CDU/CSU) : Forderung der Konsularabteilung der polnischen Botschaft bei Visaerteilung und ihre Vereinbarkeit mit Geist und Buchstaben des Warschauer Vertrags und dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1973 Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 7483 D, 7484 A, B, C, D, 7485 A, B Dr. Kliesing (CDU/CSU) . . 7484 A, B, D, 7485 A Dr. Hupka (CDU/CSU) 7484 B Dr. Czaja (CDU/CSU) . . 7484 C, 7485 A Frage A 25 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Dr. Hupka (CDU/ CSU) : Ostverträge und Aussiedlungsaussichten Moersch, Parl. Staatssekretär (AA) 7485 B, C, D, 7486 A, B Dr. Hupka (CDU/CSU) . . . . . 7485 C, D Friedrich (SPD) . . . . . . . . 7486 A Dr. Czaja (CDU/CSU) . . . . . . 7486 A Fragen A 57 und 58 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Dr. Ritz (CDU/ CSU) : Schlechterstellung von Walzmagermilchpulver bei der Gestaltung der Intervention gegenüber Sprühmager- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 III milchpulver und Nichterreichen des Interventionspreises für Walzmagermilchpulver bei marktfernen Molkereien Logemann, Parl. Staatssekretär (BML) 7486 C, 7487 A, B Dr. Ritz (CDU/CSU) . . . 7486 D, 7487 .A Frage A 59 Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) : Äußerung des Bundesernährungsministers zur Situation der deutschen Landwirtschaft Logemann, Parl. Staatssekretär (BML) 7487 B, D, 7488 A, B Dr. Kunz (Weiden) (CDU/CSU) . 7487 C, D Eigen (CDU/CSU) . . . . . . . 7488 A Ey (CDU/CSU) . . . . . . . . 7488 A Frage A 61 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Eigen (CDU/CSU) : Arbeitszeit der Landwirte Logemann, Parl. Staatssekretär (BML) 3488 B, D, 3489 A, B Eigen (CDU/CSU) . 7488 D, 7489 A Sauter (Epfendorf) (CDU/CSU) . . 7489 A Opitz (FDP) 7489 B Frage A 62 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 des Abg. Eigen (CDU/CSU) : Äußerung des Bundeskanzlers zu Bauerndemonstrationen Logemann, Parl. Staatssekretär (BML) 7489 C, D Eigen (CDU/CSU) 7489 D Frage A 63 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Ey (CDU/CSU) : Marktgeschehen bei Maisstärke und Maisquellmehl Logemann, Parl. Staatssekretär (BML) 7489 D, 7490 B Ey (CDU/CSU) 7490 B Frage A 5 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Hoffie (FDP) : Maßnahmen der Bundesregierung zur Erreichung einer Zusammenarbeit der Firmen ERNO und MBB bei der Abwicklung des Spacelab-Auftrages der ESRO Dr. Hauff, Parl. Staatssekretär (BMFT) 7490 C Fragen A 88 und 89 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU) : Anteil deutscher Consulting-Firmen an Weltbankprojekten Brück, Parl. Staatssekretär (BMZ) 7490 D, 7491 A, B, C, D Dr. Köhler (Wolfsburg) (CDU/CSU) 7491 A, B, C Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Genscher, Bundesminister (AA) . . 7491 D Dr. Schröder (Düsseldorf) (CDU/CSU) 7493 C Dr. Corterier (SPD) . . . . . . 7494 B Ronneburger (FDP) . . . . . . . 7495 C Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Diätengesetzes 1968 (Antrag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP) — Drucksache 7/2285 — Erste Beratung Entwurf eines Gesetzes über Konkursausfallgeld (Drittes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes) — Drucksache 7/1750 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/2260 — Zweite und dritte Beratung Urbaniak (SPD) . . . . 7545 A, 7548 B Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . . 7545 D Hölscher (FDP) . . . . . . . . 7546 D Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 7547 C Entwurf eines Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation — Drucksache 7/1237 —, Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO — Drucksache 7/2246 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung — Drucksachen 7/2245, 7/2256 — Zweite und dritte Beratung Glombig (SPD) . . . . . . . 7548 D Frau Hürland (CDU/CSU) . . . 7551 B Christ (FDP) 7553 B Arendt, Bundesminister (BMA) . 7555 A Entwurf eines Sechsten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Sechstes Anpassungsgesetz-KOV) — Drucksache 7/2121 — Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO — Drucksache 7/2209 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für IV Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 Arbeit und Sozialordnung — Drucksache 7/2208 — Zweite und dritte Beratung Jaschke (SPD) . . . . . . . 7556 D Maucher (CDU/CSU) 7558 A Hölscher (FDP) 7559 D Arendt, Bundesminister (BMA) . . 7560 C Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (Parl-StG) — Drucksache 7/820 —, Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO — Drucksache 7/1900 —, Bericht und Antrag des Innenausschusses — Drucksache 7/1899 — Zweite und dritte Beratung Dr. h. c. Wagner (Günzburg) (CDU/ CSU) 7561 D Liedtke (SPD) 7563 A Dr. Hirsch (FDP) . . . . . . . 7563 C Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Diätengesetzes 1968 (Antrag der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP) — Drucksache 7/2285 —, Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO — Drucksache 7/2297 — Zweite und dritte Beratung 7564 C Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften — Drucksache 7/2204 — Erste Beratung in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes (Antrag des Bundesrates) — Drucksache 7/1643 — Erste Beratung in Verbindung mit Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes — Drucksache 7/2203 — Erste Beratung in Verbindung mit Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes — Drucksache 7/2205 — Erste Beratung Schäfer (Appenweier) (SPD) . . 7564 D Berger (CDU) . . . . . . . . . 7565 C Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) . . 7566 D Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 7567 B Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes — Drucksache 7/1618 —, Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr — Drucksache 7/2226 — Zweite und dritte Beratung Ollesch (FDP) . . . . . 7568 A, 7571 C Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) 7569 B Wrede (SPD) . . . . . 7570 B, 7572 C Dürr (SPD) 7570 D Tillmann (CDU/CSU) . 7571 A, 7572 D Wehner (SPD) . . . . . . . . . 572 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. April 1972 über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts — Drucksache 7/1657 —, Bericht des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO — Drucksache 7/2290 —, Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses — Drucksache 7/2278 — Zweite Beratung und Schlußabstimmung 7573 B Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der von der Bundesregierung erlassenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 8/74 — Angleichungszoll für Trinkweine griechischer Herkunft) — Drucksachen 7/1759, 7/2202 — 7573 D Nächste Sitzung 7573 D Anlagen Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 7575* A Anlage 2 Erklärung der Abg. Baier, Dr. Becher (Pullach), Dr. Götz, Dr. Klepsch, Kunz (Berlin), Dr. Riedl (München), Werner, Dr. Wittmann (München), Zoglmann zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik — Druck sache 7/1832 — 7575* D Anlage 3 Erklärung des Abg. Dr. Wörner zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Dezember Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 V 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik — Drucksache 7/1832 — 7578* B Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung (BMP) auf die Frage B 30 — Drucksache 7/2197 vom 6. 6. 74 — des Abg. Baron von Wrangel (CDU/CSU) : Annulierung von Posthilfsstellen im südlichen Teil des Kreises Herzogtum Lauenburg 7578* B Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung (BMP) auf die Fragen B 31 und 32 — Drucksache 7/2197 vom 6.6.74 — des Abg. Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/ CSU) : Behauptung des Personalrats des FA 2 München betreffend Personalmangel bei der Deutschen Bundespost; Aussage des früheren Bundespostministers Ehmke über die Einsparung von 28 000 Stellen 7578* D Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung (BMP) auf die Frage B 33 — Drucksache 7/2197 vom 6. 6. 74 — des Abg. Pfeffermann (CDU/CSU) : Einrichtung von Studiengängen der Fachrichtung Betriebswirtschaft bzw. Wirtschaft und Verwaltung an der Fachhochschule Berlin durch die Deutsche Bundespost . . . . . . . . 7579* D Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Schlei (BK) auf die Fragen A 10 und 11 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6.74 — des Abg. Dr. Dollinger (CDU/CSU) : Pressemeldungen über eine Anregung von Bundeskanzler Schmidt an den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, bei einem Preis von 2 Francs für 1 DM französische Francs anzukaufen; angebliche Äußerung des Bundeskanzlers über eine „rundweg anomale Inflationsempfindlichkeit" der Deutschen 7580* A Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Schlei (BK) auf die Frage A 14 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) : Aufgaben und Bezahlung des „Büros Harpprecht" nach dem Kanzlerwechsel 7580* B Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Fragen A 15 und 16 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU) : Beurteilung der Ausführungen des sowjetischen Botschafters Jefremow gegegenüber dem „Neuen Deutschland" vom 10. Juni 1974; Reaktion der Bundesregierung; Bereitschaft der Bundesregierung zur förmlichen Mitteilung an die DDR über die Verbindlichkeit des Grundvertrages für die Bundesrepublik Deutschland in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1973 7580* D Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Fragen A 19 und 20 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Straßmeir (CDU/CSU) : Einseitige Interpretation des Viermächteabkommens durch die Sowjetunion 7581* A Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch (AA) auf die Frage A 26 — Drucksache 7/2268 vom 14.6.74 — des Abg. Gerlach (Obernau) (CDU/CSU) : Eingriffe der Sowjetunion in den Beitrag aus der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin zur internationalen Ausstellung „Gesundheitswesen — 74" in Moskau . . 7581* B Anlage 12 Antwort des BMin Dr. Dr. h. c. Maihofer (BMI) auf die Frage A 29 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Suspendierung eines Personalratsmitgliedes des Statistischen Bundesamtes . 7581* C Anlage 13 Antwort des BMin Dr. Dr. h. c. Maihofer (BMI) auf die Frage A 30 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Besondere Behandlung von Ehegatten deutscher Staatsbürger bei der Einbürgerung 7582* A VI Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 Anlage 14 Antwort des PStSekr Grüner (BMWi) auf die Fragen A 48 und 49 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Schreiber (SPD) : Unterrichtung von Urlaubern durch die Reisegesellschaften über die Möglichkeiten und Bedingungen der ärztlichen und der Krankenhausversorgung in Urlaubsorten 7582* D Anlage 15 Antwort des PStSekr Grüner (BMWi) auf die Frage A 50 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Büchner (Speyer) (SPD) : Mondpreis-Empfehlungen 7583* C Anlage 16 Antwort des PStSekr Grüner (BMWi) auf die Frage A 55 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Höcherl (CDU/CSU) : Äußerungen des Vorstandsvorsitzen- den der Aral AG über Preiserhöhungen 7583* C Anlage 17 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 66 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Kiechle (CDU/ CSU) : Beförderung Schwerbehinderter im Nahverkehr 7583* D Anlage 18 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 67 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Pieroth (CDU/ CSU) : Informationsbroschüren über die „Mitbestimmungsbeschlüsse der Koalition vom 19. Januar" . . . . . . . . . 7584* A Anlage 19 Antwort des PStSekr Buschfort (BMA) auf die Frage A 70 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Rollmann (CDU/CSU) : Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz 7584* B Anlage 20 Antwort des PStSekr Zander (BMJFG) auf die Fragen A 74 und 75 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — des Abg. Kater (SPD) : Hexachlorbenzol in Milch und Butter; Überschreitungen der zulässigen Höchstwerte 3584* D Anlage 21 Antwort des PStSekr Brück (BMZ) auf die Frage A 87 — Drucksache 7/2268 vom 14. 6. 74 — der Abg. Frau von Bothmer (SPD) : Entschließung 563 des Europarats; Wirtschaftshilfe für Portugal . . . . 7585* C Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 7439 110. Sitzung Bonn, den 20. Juni 1974 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Adams * 20. 6. Dr. Ahrens *** 22. 6. Dr. Aigner * 21. 6. Alber *** 21. 6. Amrehn *** 21. 6. Baier 20. 6. Dr. Barzel 21. 6. Behrendt * 21. 6. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 21. 6. Blumenfeld *** 21. 6. Dr. Böger 20. 6. Frau von Bothmer *** 21. 6. Buchstaller 21. 6. Büchner (Speyer) *** 21. 6. Brandt (Grolsheim) 22. 6. Dr. Burgbacher * 21.6. Dr. Corterier * 21. 6. Dr. Dregger *** 21. 6. Dr. Enders *** 21. 6. Entrup 22. 6. Dr. Erhardt 20. 6. Flämig * 21.6. Frehsee * 21.6. Dr. Freiwald 22. 6. Dr. Früh * 21.6. Gerlach (Emsland) * 21. 6. Dr. Geßner *** 21. 6. Dr. Gradl 23. 6. Groß 21.6. Dr. Haenschke 22. 6. Härzschel * 20. 6. Dr. Holtz *** 2L 6. Jäger (Wangen) 23. 6. Dr. Jahn (Braunschweig) * 21.6. Kahn-Ackermann *** 21. 6. Kater * 21.6. Dr. Kempfler *** 21. 6. Kleinert 21. 6. Dr. Klepsch *** 21. 6. Krall * 21. 6. Freiherr von Kühlmann-Stumm 21. 6. Lagershausen *** 21. 6. Dr. Graf Lambsdorff 21. 6. Lautenschlager * 21. 6. Lemmrich *** 22. 6. Lenzer *** 21. 6. Dr. Lohmar 22. 6. Marquardt 21. 6. Memmel * 21. 6. Dr. Mende *** 21. 6. Dr. Müller (München) *** 21. 6. Pawelczyk *** 21. 6. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments *** Für die Teilnahme an Sitzungen der Versammlung der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) entschuldigt bis einschließlich Richter *** 21. 6. Dr. Schachtschabel * 21.6. Scheel 22. 6. Schirmer 21.6. Schmidt (Kempten) 21. 6. Schmidt (München) * 21. 6. Schmidt (Würgendorf) 22. 6. Schmöle 30. 6. Schonhofen 21. 6. Dr. Schulz (Berlin) * 21. 6. Schwabe * 21.6. Dr. Schwencke *** 21. 6. Dr. Schwörer * 21. 6. Seefeld * 20. 6. Sieglerschmidt *** 21. 6. Springorum * 21. 6. Dr. Starke (Franken) * 21. 6. Straßmeir 21. 6. Dr. Vohrer *** 21. 6. Walkhoff * 20. 6. Walther *** 21. 6. Frau Dr. Walz * 20. 6. Dr. Wendig 21. 6. Frau Dr. Wolf *** 21. 6. Wurbs 21.6. Anlage 2 Erklärung nach § 59 der Geschäftsordnung der Abgeordneten Baier, Dr. Becher (Pullach), Dr. Götz, Dr. Klepsch, Kunz (Berlin), Dr. Riedl (München), Werner, Dr. Wittmann (München), Zoglmann zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik - Drucksache 7/1832 - Gegen den Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik erheben wir Einspruch, weil er unserer Meinung nach weder der Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten, noch der Verständigung und Versöhnung mit dem tschechischen und slowakischen Volk dient. Der Sudetendeutsche Rat und die Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft haben als legitimierte Vertretungen der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Sudetendeutschen am 14. Juli 1973 nach der Paraphierung des Vertrages gegen ihn Rechtsverwahrung eingelegt, der wir uns anschließen, weil entscheidende Rechtspositionen der sudetendeutschen Volksgruppe gefährdet werden. Der Vertrag wird zudem den historischen Tatsachen nicht gerecht: 7576* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 — Das deutsch-tschechische Problem ist auf das engste mit dem Eintritt des demokratischen Gedankens in die mitteleuropäische Politik im Jahre 1848 verknüpft; zahlreiche sudetendeutsche Abgeordnete haben an der Nationalversammlung in Frankfurt teilgenommen. — Während das Frankfurter Beginnen scheiterte, ist sudetendeutschen und tschechischen Volksvertretern im österreichischen Reichstag von Kremsier 1849 ein beispielhafter Ausgleich gelungen. — Bei der Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918/19 wurden die sudetendeutschen Gebiete nicht nur unter Androhung von Gewalt, sondern durch Anwendung militärischer Gewalt dem tschechoslowakischen Staatsgebiet einverleibt. — Dies geschah, obwohl die deutschen Abgeordneten Böhmens sich am 29. Oktober 1918 in Wien zur „Sudetendeutschen Landesversammlung" konstituierten und das Sudetenland zu einer Provinz des Staates Deutsch-Österreich erklärten. --- Dies bedeutete eine Verweigerung des damals verkündeten Selbstbestimmungsrechtes der Völker. Diese Mißachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Sudetendeutschen hielt der österreichische Bundeskanzler Dr. Renner für die Ursache schwererer Verwicklungen, als sie die Annexion Elsaß/ Lothringens im Jahre 1871 zur Folge gehabt hatte. — Wie 1938 und 1973 wurden auch auf der Friedenskonferenz von St. Germain die Vertreter der Sudetendeutschen an der Abfassung des sie betreffenden Friedensvertrages nicht beteiligt, wenngleich eine sudetendeutsche Delegation unter Führung des Landeshauptmanns von Deutsch-Böhmen, Dr. Ritter Lodgman von Auen, und des sozialdemokratischen Politikers Josef Seliger am Rande der Friedenskonferenz die Verhandlungsergebnisse vor der endgültigen Paraphierung vorgelegt erhielt. — In der Folgezeit haben die sudetendeutschen Parteien auf der Basis der den Sudetendeutschen oktroyierten Verfassung der Tschechoslowakei versucht, im Rahmen dieses Staates, wenn auch vergeblich, einen Ausgleich von Volk zu Volk zu finden. — Im Sommer 1938 stellte der britische Vermittler Lord Runciman fest, daß die tschechoslowakische Regierung keine Bereitschaft zeigte, einen vernünftigen Ausgleich zu suchen, und er schlug die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich vor. — Die tschechoslowakische Regierung hat sich in ihren Noten vom 21. September 1938 an Frankreich und Großbritannien mit dieser Abtretung einverstanden erklärt. — Das Vier-Mächte-Abkommen vom 29. September 1938 (Münchener Abkommen) umschreibt nur den Vollzug dieser Abtretung, die den Westmächten zur Sicherung des Friedens auch deshalb vertretbar erschien, weil sie dem 1919 verweigerten Gedanken des Selbstbestimmungsrechts entsprach. — Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen aus ihrer angestammten Heimat im Jahre 1945 begann nicht nur ein neuer Leidensweg dieser Volksgruppe, sondern wurde auch das deutsch-tschechoslowakische Verhältnis erneut schwer belastet. — Im Lichte dieser Erfahrungen haben die Sudetendeutschen erkennen müssen, daß sie ebenso wie 1918/19, 1938 und 1945 nur Objekt machtpolitischer Ziele der Großmächte waren. — Gerade deshalb erwuchs erneut der Wille zur Versöhnung und unmittelbaren Verständigung mit dem tschechischen Volk, der sich in der Haltung der Sudetendeutschen im Jahre 1968 besonders manifestiert hat. — Der Verzicht auf Rache und Vergeltung sowie die Bereitschaft zu einem gutnachbarlichen Verhältnis kamen bisher unmißverständlich zum Ausdruck — in der Eichstätter Adventsdeklaration vom Dezember 1949 — in der Detmolder Erklärung vom 24. Januar 1950 und insbesondere — in dem Wiesbadener Abkommen zwischen den in Freiheit lebenden Tschechen und den Sudetendeutschen vom 4. August 1950 und bestimmte maßgeblich — die Charta der Heimatvertriebenen vom 5. August 1950, deren Bedeutung erst jüngst der Bundespräsident als Zeichen besonderer menschlicher Größe gewürdigt hat. — Das Verlangen der Sudetendeutschen nach einem Ausgleich mit dem tschechischen Volk auf der Grundlage des Heimat- und Selbstbestimmungsrechts fand in den Erklärungen der sudetendeutschen Parlamentarier am 8. Juni 1957 und — in den Zwanzig Punkten des Sudetendeutschen Rates vom 15. Januar 1961, die von der Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft am 7. Mai 1961 angenommen wurden, seinen sichtbarsten Ausdruck. — In Würdigung der Rechte und der Haltung der Sudetendeutschen hat ,der Deutsche Bundestag am 14. Juni 1950 feierlich gegen die Preisgabe des Heimatrechtes der in die Obhut der Bundesrepublik Deutschland gegebenen Deutschen aus der Tschechoslowakei durch die „DDR" protestiert und eine Friedensordnung gefordert, in der die natürlichen Rechte auch der Deutschen gewahrt sind. — Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien — die Christlich-Demokratische Union, — die Christlich-Soziale Union, — die Freie Demokratische Partei und — die Sozialdemokratische Partei haben sich diese Forderung ausdrücklich zu eigen gemacht und das Recht der sudetendeutschen Volksgruppe auf Selbstbestimmung bejaht. — Die Bundesregierungen haben das Recht auf die Heimat und das Selbstbestimmungsrecht als Vor- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 7577* aussetzungen für die Lösung des Schicksals der Vertreibung anerkannt und die Lösung der aus der unrechtmäßigen Vertreibung entstandenen Probleme als Sache des ganzen deutschen Volkes und seiner verfassungsmäßigen Organe bezeichnet. — Der Freistaat Bayern hat 1954 die Schirmherrschaft über die sudetendeutsche Volksgruppe übernommen und in einer Urkunde feierlich bekräftigt, daß sich die Bayerische Staatsregierung zum Heimat- und Selbstbestimmungsrecht des Vierten Bayerischen Stammes, der Sudetendeutschen, bekennt. II Ein Vertrag mit der Tschechoslowakei, der dem harmonischen Zusammenleben der Völker in Europa und der Schaffung dauerhafter Grundlagen für die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen dienen soll, muß alle wesentlichen Ereignisse und die Rechte und die Haltung der Sudetendeutschen berücksichtigen und bewerten. Die isolierte Betrachtung einzelner, wenn auch noch so bedeutender Geschehnisse, kann die Grundlage für einen dauerhaften Ausgleich nicht schaffen. Der Vertrag hat die am deutlichsten in den Karlsbader Beschlüssen der kommunistischen Parteien Europas vom 27. April 1967 niedergelegte sowjetische Konzeption übernommen und nicht den Gedanken des Gewaltverzichts, sondern eine nachträgliche Korrektur der Geschichte, nämlich des Münchener Abkommens vom 29. September 1938, zum Kernstück seiner Aussagen gemacht. Das in dem deutsch-tschechoslowakischen Vertrag behandelte Münchener Abkommen vom 29. September 1938 ist weder der Anfang noch das Ende der deutsch-tschechischen Beziehungen. Wir stellen fest, daß durch den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag vom 11. Dezember 1973 und die durch ihn bekräftigte Unverletzlichkeit der Grenzen der Tschechoslowakei das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Heimat der Sudetendeutschen nicht betroffen ist. Diese Rechte, die wir nicht preisgeben, werden durch Aussagen über das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 nicht berührt; sie stellen auch keine territorialen Forderungen der Bundesrepublik Deutschland dar. Wir befürchten, daß der Vertrag das hochgesteckte Ziel, „dauerhafte Grundlagen für die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen zu schaffen" nicht verwirklicht, da einzelne Vorschriften politisch unausgewogen und rechtlich mehrdeutig sind, so daß in vielen Bestimmungen der Keim zu neuem Zwist liegt. Der Vertrag ist zudem in Leistung und Gegenleistung nicht ausgewogen. Der Vertrag enthält eine einseitige historische und rechtliche Aussage zur Problematik des Münchener Abkommens vom 29. September 1938, das seinerzeit lediglich der Durchführung der von der Tschechoslowakei, England und Frankreich in einem Notenwechsel am 19./21. September 1938 zugestandenen Gebietsabtretung diente, die durch eine Reihe von Nachfolgeverträgen vollzogen wurde. Wir sind mit der Bundesregierung der Auffassung, daß dieses Münchener Abkommen gültig zustande gekommen ist und Rechtswirkungen entfaltet hat. Dem steht der Standpunkt der Tschechoslowakei gegenüber, wonach das Münchener Abkommen von Anfang an nichtig mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen sein soll. Wir würdigen den Standpunkt der Bundesregierung, sind jedoch der Meinung, daß die vertragliche Regelung die Gefahr in sich birgt, daß der tschechoslowakische Partner seine Auffassung, insbesondere wegen der Wortwahl „nichtig" für die künftige Behandlung des Münchener Abkommens in den gegenseitigen Beziehungen, bestätigt sieht. Die tschechoslowakische Auffassung, derzufolge das Münchener Abkommen „niemals existent" und unwirksam war, ist nicht ausgeräumt. Nach ihr gehörten die Sudetengebiete zwischen 1938 und 1945 zur tschechoslowakischen Republik, die Sudetendeutschen waren illoyale tschechoslowakische Staatsbürger, die man 1945 ausbürgerte. Nach dieser Auffassung war die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen dann nicht nur eine „gerechte Strafe" für ihr Verhalten, sondern auch eine rein innertschechoslowakische Angelegenheit. Wir bedauern deshalb, daß das Verbrechen der Vertreibung in dem Text des Vertrages nicht ebenso verurteilt wurde wie die Gewalttaten Hitlers. Eine Begründung für dieses Unterlassen, die Untaten des Nationalsozialismus seien schrecklicher gewesen als die an den Vertriebenen begangenen Verbrechen, ist deshalb unmoralisch, weil einerseits Unrecht darauffolgendes Unrecht nicht zu rechtfertigen vermag, andererseits die Unschuld der Opfer auf beiden Seiten eine Wertung nicht zuläßt. Wir weisen eine solche Haltung daher als moralische Diskriminierung der deutschen Vertreibungsopfer entschieden zurück. Wir tun dies auch deshalb, weil der Vertrag in seinem Gesamtzusammenhang als einseitiges Schuldanerkenntnis der deutschen Seite gewertet werden könnte, obwohl zur Bereinigung des deutschtschechoslowakischen Verhältnisses auch die Aufarbeitung jener Vergangenheit gehört, die vielen deutschen Menschen Leid und Unrecht gebracht haben. Noch leben viele Millionen dieser Menschen unter uns. Sie haben dem tschechischen Volk die Hand zur Versöhnung gereicht in den zitierten Dokumenten. Sie würden es jedoch mit Trauer empfinden, nach dem Schicksal der Vertreibung, der noterfüllten Nachkriegszeit und der Fehlinterpretation durch eigene deutsche Landsleute nun auch noch Rechtsverluste dadurch erleiden zu müssen, daß der deutsche Standpunkt nicht genügend abgesichert ist. Wir fühlen uns auch jenen Sudetendeutschen verantwortlich, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland leben, jedoch von den Folgen einer deutsch-tschechoslowakischen Einigung über die Vergangenheit betroffen werden können. Es handelt sich hierbei zu einem großen Teil um Menschen, die 1938 vor nationalsozialistischer Verfolgung in das freie Ausland geflohen sind und denen nach Beendigung des Krieges die Rückkehr in ihre Heimat als Deutsche verwehrt war, so daß sie in ihren Gastländern verblieben sind. Die Sicherung ihrer Rechte hätte ebenfalls bedacht werden müssen. Wir bedauern es im Interesse einer anzustrebenden guten Nachbarschaft, daß der Briefwechsel über 7578* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 die Regelung humanitärer Fragen nur allgemeine Absichtserklärungen enthält, nichts aussagt über den Austausch von Gedanken und Meinungen sowie über eine wirkliche Freizügigkeit und über die Betreuung der Deutschen, die noch in ihrer Heimat leben. Wir gehen davon aus, daß ,die Sudetendeutschen nach wie vor in die Obhut der Bundesrepublik Deutschland mit all ihren Rechten gegeben sind. Wir erwarten, daß weder jetzt, noch später der vorliegende deutsch-tschechoslowakische Vertrag oder andere Handlungen als Legitimierung d. h. Rechtfertigung, oder Legalisierung, d. h. endgültige Regelung, der Vertreibung oder ihrer Folgen angesehen werden können. Ein anderes Verhalten würde nicht nur gegen die Bestimmungen der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, insbesondere ihres 4. Zusatzprotokolls, sondern auch gegen den Grundgedanken der Freizügigkeitsbestimmungen des internationalen Paktes vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen, deren Partner die Bundesrepublik Deutschland ist, verstoßen. Wir vertreten die Auffassung, daß mit diesem Vertrag das Sudetenproblem als Anruf an Menschenrechte, menschliche Solidarität und Ausgleich zwischen Volksgruppen nicht erledigt ist. Wir sind bereit zum Ausgleich auf der Basis der Wahrung der Menschenrechte für alle, auch für die Deutschen und Tschechen aus Böhmen, Mähren und Schlesien. Die Sudetendeutschen werden Partner einer guten Nachbarschaft zu dem tschechischen und slowakischen Volk sein. Anlage 3 Erklärung nach § 59 der Geschäftsordnung des Abgeordneten Dr. Wörner zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 11. Dezember 1973 über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik — Drucksache 7/1832 — Ich kann — obwohl anwesend — an der Schlußabstimmung über den Vertrag nicht teilnehmen, da ich durch Pairing mit dem auf einer Sitzung der WEU in Paris weilenden Abgeordneten Pawelczyk (SPD) daran gehindert bin. Daher möchte ich auf diesem Wege erklären, daß ich den Vertrag ablehne. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung vom 12. Juni 1974 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Baron von Wrangel (CDU/CSU) (Drucksache 7/2197 Frage B 30) : Trifft es zu, daß die Deutsche Bundespost, vor allem im südlichen Teil des Kreises Herzogtum Lauenburg, in größerem Umfange Posthilfsstellen annulliert? Von insgesamt 8 früher im Kreis Herzogtum Lauenburg eingerichteten Posthilfsstellen wurden 6 mit Ablauf des 28. Februar bzw. 31. März 1974 geschlossen. Es handelt sich um folgende Posthilfsstellen? 2419 Göldenitz (Postamtsbereich Ratzeburg) 2053 Grabau 2053 Kollow 2054 Wiershop (alle Postamtsbereich Hamburg 80) 2059 Kankelau 2059 Langenlehsten (beide Postamtsbereich Lauenburg) . Die Dienste dieser Posthilfsstellen wurden von der Bevölkerung in so geringem Umfang in Anspruch genommen, daß es betrieblich und wirtschaftlich nicht mehr zu vertreten war, sie weiterhin für den Kundendienst offenzuhalten. Der Rückgang des Verkehrsaufkommens bei Posthilfsstellen ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß der Kundendienst in ländlichen Gebieten durch den Einsatz motorisierter Landzusteller verbessert wurde. Die motorisierten Landzusteller verfügen während ihres Zustellganges im Landzustellbereich — dazu gehören auch Orte mit Posthilfsstellen — über volle Annahmebefugnisse. Die Bevölkerung macht von dem angebotenen Service regen Gebrauch, weil sie dadurch die Wege zu den Posthilfsstellen vermeiden kann. Auch in allen anderen Teilen der Bundesrepublik wurden Posthilfsstellen wegen mangelnder Nachfrage nach ihren Diensten geschlossen, so daß sich die Zahl von 1 380 Posthilfsstellen Ende des Jahres 1963 auf 171 Posthilfsstellen Ende des Jahres 1973 verringerte. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung vom 12. Juni 1974 auf die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2197 Fragen B 31 und 32) : Trifft die Behauptung des Personalrats des FA 2 München, dargelegt in einem Schreiben vom 28. März 1974 an die Mitglieder des Deutschen Bundestages, zu, daß bei der Deutschen Bundespost ein großer Personalmangel herrsche und dadurch eine ungerechte Besoldung vieler Mitarbeiter des einfachen Dienstes ausgelöst werde, während der frühere Bundespostminister Ehmke noch kürzlich erklärte, daß die Post kurzfristig rund 28 000 Stellen einsparen wolle? Handelt es sich bei den rund 28 000 Stellen, die eingespart werden sollen, vielleicht um solche, die z. Z. gar nicht besetzt sind und deren Einsparung deswegen auch keinen Kostenminderungseffekt bringen kann? Zu Frage B 31: Dem Schreiben des Personalrats des Fernmeldeamtes 2 München vom 28. März 1974 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: 1. Die Bewertung eines Dienstpostens, d. h. seine Zuordnung zu einer bestimmten Besoldungsgruppe, orientiert sich an dem Inhalt der Tätigkeit, die der Dienstposteninhaber wahrnimmt. Der personalwirt- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 7579* schaftliche Begriff „Dienstposten" entspricht etwa dem Begriff „Arbeitsplatz". Die für die Beförderung der Beamten notwendigen Planstellen einer Besoldungsgruppe ergeben sich dagegen aus dem Stellenplan (Haushalt der Deutschen Bundespost) unter Anwendung der jeweiligen Stellenschlüssel, sie sind also nicht abhängig von der Zahl der entsprechend bewerteten Dienstposten. 2. Ein regional und örtlich unterschiedlicher Personalmangel in einigen Bereichen des mittleren Dienstes machte es notwendig, Beamte des einfachen Dienstes — insbesondere der Besoldungsgruppe A 5 — auf Dienstposten des mittleren Dienstes einzusetzen. Diese Beamten machen in einem solchen Falle zwar einen Dienstposten des einfachen Dienstes — besonders A 5 — frei, der im Wege des Aufrückens wieder besetzt wird, letztlich ggf. durch den Einsatz von Tarifkräften auf den niedriger bewerteten Dienstposten. Sie behalten jedoch ihre Planstelle aus dem Stellenplan des einfachen Dienstes, da ihnen aus haushaltsrechtlichen Gründen keine Planstelle des mittleren Dienstes zugewiesen werden kann. Die entsprechende Planstelle geht also dem einfachen Dienst verloren, d. h. es tritt eine deutliche Differenz zwischen den vorhandenen SpitzenDienstposten des einfachen Dienstes und den dafür noch verfügbaren Planstellen ein. Die zur Aufrechterhaltung eines geordneten Betriebsablaufs notwendige Einsatz von Beamten dies einfachen Dienstes im Bereich des mittleren Dienstes hat zur Folge, daß — der Personalmangel in den betreffenden Bereichen zwar verschwindet, — die auf den Spitzen-Dienstposten des einfachen Dienstes eingesetzten Beamten wegen des o. a. zahlenmäßigen Unterschiedes zwischen vorhandenen Dienstposten und noch verfügbaren Planstellen u. U. aber erst nach sehr langen Wartezeiten befördert werden können. 3. Das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen bemüht sich z. Z., die Planstellenrelationen und damit die Beförderungssituation der betroffenen Beamten des einfachen Dienstes durch die Anwendung der Verordnung zu § 5 Abs. 6 Satz 3 des Bundesbesoldungsgesetzes, der sogenannten Funktionsgruppen-Verordnung, zu verbessern. 4. Nach dem geschilderten Sachverhalt besteht demnach kein sachlicher Zusammenhang zwischen den Ausführungen des Personalrats des Fernmeldeamtes 2 München und der vom ehemaligen Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen Ehmke angekündigten Stelleneinsparung. Zu Frage B 32: Es trifft nicht zu, daß die vorn früheren Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen Ehmke angekündigte Einsparung von ca. 26 000 „Stellen" keinen Kostenminderungseffekt hat. Dafür gibt es folgende Gründe: 1. Die Zahl der z. Z. unbesetzten Dienstposten liegt deutlich unter 28 000. 2. Diese unbesetzten Dienstposten. konzentrieren sich regional im wesentlichen auf wenige Ballungsgebiete, während die eingeleiteten Rationalisierungsmaßnahmen gleichmäßig im ganzen Bundesgebiet — also auch in Bezirken ohne Personalfehlbestand — durchgreifen. 3. Die derzeit günstige Arbeitsmarktlage würde es ermöglichen, vorhandene Personalfehlbestände sofort oder kurzfristig aufzufüllen. Insofern muß auch die „Wegrationalisierung" von z. Z. unbesetzten Dienstposten als eine kostenmindernde Maßnahme angesehen werden. Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat jedoch durch geeignete personalwirtschaftliche Übergangsregelungen im Vorgriff auf die eingeleiteten Rationalisierungsmaßnahmen sichergestellt, daß Personalfehlbestände nur in nachweisbar notwendigen Fällen und innerhalb genau vorgeschriebener Grenzen aufgefüllt werden können. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jung vom 12. Juni 1974 auf die Schriftliche Frage des Abgeordneten Pfeffer- mann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2197 Frage B 33) : Kann der Antwort des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen vom 17. Mai 1974 über die Einrichtung von Studiengängen der Fachrichtung Betriebswirtschaft bzw. Wirtschaft und Verwaltung entnommen werden, daß die Deutsche Bundespost nicht beabsichtigt, einen solchen Studiengang auch an der Fachhochschule Berlin einzurichten und wenn ja, warum nicht? In der Antwort der Bundesregierung vom 17. Mai 1974 ist erklärt worden, daß eine Entscheidung, ob an der Fachhochschule der Deutschen Bundespost in Dieburg Studiengänge der Fachrichtung Betriebswirtschaft oder eine Fachrichtung Wirtschaft und Verwaltung zur Heranbildung des Nachwuchses für den gehobenen nichttechnischen Dienst bei der Deutschen Bundespost eingerichtet werden sollen, noch nicht getroffen worden sei. Diese Entscheidung hänge vom Ergebnis der Planungen und Entscheidungen zur Errichtung einer ressortübergreifenden besonderen Fachhochschule für die Bundesverwaltung und von der Möglichkeit ab, als Nachwuchskräfte Absolventen geeigneter Studiengänge (z. B. graduierte Betriebswirte) von allgemeinen staatlichen Fachhochschulen zu gewinnen. Es ist bisher weder für die Fachhochschule in Die-burg noch für die Fachhochschule in Berlin entschieden worden, ob dort ein solcher Studiengang eingerichtet wird. Erst wenn die grundsätzliche Entscheidung über die Einrichtung eines solchen Studienganges getroffen worden und geklärt ist, wie viele Nachwuchskräfte herangebildet werden müssen, ist zu prüfen, wo die besten Voraussetzungen dafür gegeben oder am leichtesten zu schaffen sind. 7580* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Schlei auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Dr. Dollinger (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2268 Fragen A 10 und 11) : Treffen Pressemeldungen zu, wonach Bundeskanzler Schmidt den Präsidenten der Deutschen Bundesbank angeregt habe, bei einem Preis von 2 Francs für 1 DM französische Francs aufzukaufen, und wie hat — gegebenenfalls — der Bundesbankpräsident hierauf reagiert? Treffen Pressemeldungen zu, wonach Bundeskanzler Schmidt von einer „rundweg anormalen Inflationsempfindlichheit" der Deutschen gesprochen hat, und wenn nicht, welches war der genaue Wortlaut, und welche Maßnahmen wurden unternommen, um eine eventuell falsche Übersetzung oder Falschmeldung richtigzustellen? Zu Frage A 10: Zum ersten Teil der Frage: Diese Pressemeldungen treffen nicht zu. Deshalb erübrigt sich eine Beantwortung des zweiten Teils Ihrer Frage. Zu Frage A 11: Ich nehme an, daß sich Ihre Frage auf das Interview des Herrn Bundeskanzlers bezieht, das am 11. Juni 1974 in „Le Monde" abgedruckt wurde. Um den Zusammenhang der von Ihnen zitierten Äußerung des Herrn Bundeskanzler deutlich zu machen, möchte ich die Sätze wiedergeben, die dieser Äußerung in dem Interview unmittelbar vorangehen. In deutscher Übersetzung lauten sie: „Die Preisraten, die in anderen Ländern ohne Protest hingenommen werden, würden es hier solange nicht, wie wir, nach sechs Jahren Überbeschäftigung, jetzt mehr oder weniger Vollbeschäftigung haben. Die öffentliche Meinung hier betrachtet die Inflationsrate als Problem Nr. 1. Selbst 7 Prozent werden von vielen, besonders bei der Opposition, als unheilvoll betrachtet . . . (Und die Presse wiederholt die schwere Verantwortlichkeit der Regierung dafür, daß diese enorme Inflationsrate von 7 Prozent sich entwickeln konnte, ohne gleichzeitig zu sagen, daß es in anderen Ländern 14 Prozent, 21 Prozent oder noch mehr sind.) Dann kommt der von Ihnen zitierte Satz, der vollständig lautet: „Folglich muß eine deutsche Regierung, solange sie die Vollbeschäftigung wahren kann, diese rundweg anormale Inflationsempfindlichkeit der Bevölkerung berücksichtigen." Der Herr Bundeskanzler hat damit um Verständnis für die deutsche Stabilitätspolitik geworben bei einem Publikum, das sich mit viel höheren Inflationsraten abfinden muß. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Frau Schlei auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Schröder (Lüneburg) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2268 Frage A 14) : Welche Aufgaben nimmt nach dem Wechsel im Kanzleramt das „Büro Harpprecht" wahr, und ist für dieses „Büro" weiterhin eine Jahresdotation von 180 000 DM vorgesehen? Zum Inhalt des Vertragsverhältnisses von Klaus Harpprecht hat die Bundesregierung bereits am 9. Mai 1974 auf die mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Kunz Stellung genommen. Ich darf darauf verweisen und — wiederholend — wörtlich zitieren: „Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, hat mit der Firma Klaus Harpprecht einen Vertrag abgeschlossen, durch den die Firma verpflichtet wird, a) die Bundesregierung bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere in den USA, zu beraten, b) Reden, Aufsätze und Interviews, insbesondere für den Bundeskanzler, zu entwerfen sowie c) Manuskripte anderer Autoren redaktionell zu bearbeiten." Soweit die Antwort der Bundesregierung vom 9. Mai 1974. Bis zum Wechsel im Amt des Bundeskanzlers im Mai 1974 stand der innenpolitische Teil des Gesamtauftrages im Vordergrund. Nunmehr verlagert sich das Schwergewicht auf die Öffentlichkeitsarbeit Ausland. Der Vertrag wird im gegenseitigen Einvernehmen zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich zum 31. Dezember dieses Jahres gelöst. Bis zum Ablauf des Vertrages ist monatlich eine Pauschale in Höhe von 15 000 DM zu zahlen. Herr Harpprecht ist verpflichtet, mit diesem Betrag alle Aufwendungen für sein Büro abzudecken, nämlich Honorar für Mitarbeiter, insbesondere Schreibkräfte, Arbeitsräume, Telefon, Büromaterial, Kraftfahrzeugkosten sowie Steuern und Abgaben, auch Beiträge zu Versicherungen. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Sauer (Salzgitter) (CDU/CSU) (Drucksache 7/2268 Fragen A 15 und 16) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Ausführungen des sowjetischen Botschafters in Ost-Berlin, Jefremow, gegenüber dem „Neuen Deutschland" vom 10. Juni 1974 zum Grundvertrag, und hält sie die Stellungnahme des Regierungssprechers darauf für eine zureichende Reaktion? Ist die Bundesregierung bereit, nunmehr der Sowjetunion und auch der DDR förmlich mitzuteilen, daß der Grundvertrag ausschließlich in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom Juli 1973 für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich ist? Zu Frage A 15: Der Sprecher der Bundesregierung hat am 10. 6. u. a. festgestellt: „Die Bundesregierung ist erstaunt darüber, daß der Botschafter der UdSSR in Ostberlin sich öffentlich über das Bundesverfassungsgericht geäußert hat. Die Bundesregierung stellt sich selbstverständlich, wie sie das vorher getan hat, vor das höchste Gericht." Die Bundesregierung hat dem nichts hinzuzufügen. Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 7581* Zu Frage A 16: Die Gründe, weshalb es die Bundesregierung für unangebracht hält, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. 7. 1973 anderen Staaten zu notifizieren, sind in den Fragestunden am 19. Oktober und 6. Dezember 1973 hier eingehend dargelegt und erörtert worden. Ich darf darauf verweisen. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Straßmeir (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2268 Fragen A 19 und 20) : Ist die Bundesregierung bereit, aus Anlaß des Jefremow-Interviews die Sowjetunion nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß „strikte Einhaltung und volle Anwendung" des Viermächteabkommens nicht darin bestehen kann, daß sich die Sowjetunion durch einseitige Interpretationen ihren Verpflichtungen aus dem Abkommen entzieht? Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, der Sowjetunion zu verdeutlichen, daß im Viermächteabkommen nicht nur die Bedingung enthalten ist, wonach Berlin weiterhin kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist, sondern auch und gerade jene Bestimmung von der weiteren Entwicklung der Bindungen Berlins an den Bund? Die Bundesregierung hat die sowjetische Seite wiederholt, auch bei Gesprächen auf hoher Ebene, darauf hingewiesen, daß die Formel von der strikten Einhaltung und vollen Anwendung des Viermächte-Abkommens insbesondere bedeutet, daß der Aussage über die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen zwischen Berlin und der Bundesrepublik Deutschland Rechnung getragen wird. Unser Standpunkt ist der sowjetischen Regierung also bekannt. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Moersch auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Gerlach (Obernau) (CDU/ CSU) (Drucksache 7/2268 Frage A 26) : Trifft die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Juni 1974 zu, die Sowjets hätten durch Eingriffe in den Beitrag aus der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin zur internationalen Ausstellung „Gesundheitswesen — 74" in Moskau den Eindruck zu erwecken versucht, West-Berlin sei ein selbständiges Teilnehmerland, und hätten durchgesetzt, daß Druckvermerke „Printed in Germany” durch handschriftliche Hinweise ergänzt und Laborgeräte mit der Aufschrift „Jena Glas" durch solche ohne Aufdruck ersetzt werden mußten, und was hat die Bundesregierung — bejahendenfalls — zum Schutz der deutschen Aussteller vor diesen Schikanen und zur Wahrung des deutschen Rechtsstandpunktes betreffend die Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin sowie die rechtliche Fortexistenz des Deutschen Reiches (Deutschland als Ganzes) unternommen? Es trifft zu, daß bei der Ausstellung „Gesundheitswesen 74" in Moskau von der sowjetischen Ausstellungsleitung die Berliner Fahne aufgezogen und Berlin in der Reihe der Teilnehmerländer aufgeführt wurde. Die Bundesregierung hat hiergegen bei der sowjetischen Regierung Vorstellungen erhoben. Diese machte darauf aufmerksam, daß die Fahne und die besondere Aufführung einer Berliner Firma gegolten habe, die außerhalb des Gemeinschaftsstandes der Bundesrepublik Deutschland ausgestellt habe. Die Bundesregierung wird im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vorsorge treffen, daß sich Fälle dieser Art in Zukunft nicht wiederholen und die Einbeziehung von Berliner Firmen in Ausstellungen der Bundesrepublik Deutschland in der Sowjetunion nach den einschlägigen Bestimmungen des Viermächte-Abkommens vom 3. 9. 1971 erfolgt. Was die sowjetischen Beschwerden hinsichtlich der Ursprungs-Bezeichnungen „Printed in Germany" und „Jenaer Glas" betrifft, so haben die betroffenen Aussteller die gewünschten Korrekturen ohne Beteiligung unserer Botschaft von sich aus vorgenommen. In früheren Fällen hat sich allerdings die Bundesregierung erfolgreich für die Beibehaltung der auch von der DDR verwandten Bezeichnungen „printed in Germany" oder „made in Germany" eingesetzt. Die Beanstandung der Bezeichnung „Jenaer Glas" auf den Produkten der Firma Schott, Mainz, geht darauf zurück, daß die Hersteller in Jena in allen Ländern des Ostblocks Exklusivrechte auf diesen Marken-Namen beanspruchen. Es ist primär Sache des Herstellers in der Bundesrepublik Deutschland, ob und gegebenenfalls wie er seine Markenbezeichnung in der Sowjetunion schützt. Anlage 12 Antwort des Bundesministers Dr. Dr. h. c. Maihofer auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. SchmittVockenhausen (SPD) (Drucksache 7/2268 Frage A 29) : Wie lange wird nach zwei für ihn günstigen Gerichtsentscheidungen das Personalratsmitglied des Statistischen Bundesamts, das den Fragenkomplex Amtskantine durch die ihm übertragene Prüfung ins Rollen gebracht hat, außer Dienst bleiben? Der Fragenkomplex Amtskantine war im Herbst 1967 vom Bundesrechnungshof ins Rollen gebracht worden, der aufgrund einer Prüfung begründete Bedenken gegen die Richtigkeit der Kantinenrechnung erhoben hatte. Das Statistische Bundesamt hatte daraufhin eine Prüfgruppe gebildet und mit der Untersuchung der Kantinenangelegenheit beauftragt. Der mit der Frage gemeinte frühere Angestellte des Statistischen Bundesamtes, der auch dem dortigen Gesamtpersonalrat angehörte, wurde zum Leiter der Prüfgruppe bestellt. Ihm wurde wesentlich später, am 30. März 1973 und unabhängig von seiner früheren Prüftätigkeit, aus wichtigem Grund gekündigt. Eine zweite Kündigung aus wichtigem Grund wurde Anfang Juli 1973 wegen eines weiteren inzwischen bekanntgewordenen selbständigen Tatbestandes ausgesprochen. Hinsichtlich des ersten Kündigungstatbestandes hat der frühere Angestellte in erster und am 2. Mai 1974 in zweiter Instanz obsiegt. Die Begründung des Berufungsurteils liegt noch nicht vor, so daß über die Fortsetzung dieses Arbeitsrechtsstreites noch nicht entschieden werden kann. Wegen der zweiten Kündigung aus wichtigem Grund ist noch ein Rechtsstreit in erster Instanz anhängig. Über die Wiederbeschäftigung des Gekündigten kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt ebenfalls noch nicht entschieden werden. 7582* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 Anlage 13 Antwort des Bundesministers Dr. Dr. h. c. Maihofer auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. SchmittVockenhausen (SPD) (Drucksache 7/2268 Frage A 30) : Ist die Bundesregierung bereit, erforderlichenfalls über eine Gesetzesänderung, dafür zu sorgen, daß auch Ehegatten deutscher Staatsbürger, die beruflich nur oder aber in großem Umfang außerhalb der Bundesrepublik Deutschland tätig sind, zur Vermeidung menschlich schwer vertretbarer Probleme bei der Einbürgerung eine besondere Behandlung erfahren, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das bei öffentlichen Bediensteten mögliche Entgegenkommen auch auf andere Personenkreise auszuweiten? Die Einbürgerung von Ausländern, die sich nicht im Inland niedergelassen haben, unterliegt völkerrechtlichen Beschränkungen. Das Völkerrecht der Staatsangehörigkeit verlangt für die Verleihung der Staatsangehörigkeit bestimmte Anknüpfungsmerkmale, z. B. Zugehörigkeit zur Wohnbevölkerung. Die Ehe mit einem deutschen Ehegatten allein reicht danach nicht aus, die Verleihung der Staatsangehörigkeit an im Ausland ansässige Ausländer ohne weiteres zu rechtfertigen. Dem trägt § 9 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes Rechnung, der die Einbürgerung ausländischer Ehegatten Deutscher nur begünstigt, wenn der Einzubürgernde sich auf Dauer im Inland niedergelassen hat. Das Völkerrecht der Staatsangehörigkeit läßt für die Verleihung der Staatsangehörigkeit zwar Vergünstigungen für die ausländische Ehefrau eines staatsangehörigen Mannes zu, nicht aber schlechthin auch für die Einbürgerung des ausländischen Ehemannes. Eine derartige Ungleichbehandlung würde aber nach unserer Rechtsauffassung mit dem Grundsatz gleichen Rechts für Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 GG) nicht zu vereinbaren sein, der allerdings in den Rechtsordnungen anderer Staaten vielfach noch nicht verankert ist. Das bedeutet indes nicht, daß in Ausnahmefällen gleichwohl eine Einbürgerung nicht auch dann erfolgen könnte, wenn sich der Bewerber auf Dauer im Ausland aufhält. Das wird in der Regel dann der Fall sein, wenn die Verleihung der Staatsangehörigkeit eine sonst bestehende Schutzlosigkeit beseitigt und bestimmte Anknüpfungsmerkmale besonders enge Bindungen an den die Staatsangehörigkeit verleihenden Staat erkennen lassen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 1 der Verordnung vom 20. Januar 1942 (RGBl I S. 40). Hierauf ist schon in der Beantwortung auf Ihre früheren Fragen hingewiesen worden (vgl. Fragen B 4, 5 BT-Drucksache VI/1253; Anlage 39 zur Niederschrift über die 74. Sitzung des Deutschen Bundestages am 16. Oktober 1970). Die Möglichkeit, in Ausnahmefällen auf § 1 der Verordnung vom 20. Januar 1942 zurückzugreifen und eine Einbürgerung trotz fehlender Inlandsniederlassung zu vollziehen, besteht auch für ausländische Ehegatten Deutscher. Diese Vorschrift hat bisher ausgereicht, in Härtefällen zu helfen. Sie kommt auch bei Einbürgerungen der ausländischen Ehegatten von Angehörigen des Auswärtigen Dienstes zur Anwendung, wenn Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt sind und ein herausragendes öffentliches Interesse an der Einbürgerung bestätigt wird. In diesen Fällen soll die Einbürgerung Konflikten vorbeugen, die sich aus dem Nichtbesitz der deutschen Staatsangehörigkeit für den ausländischen Ehegatten, den deutschen Bediensteten oder den Dienstherren ergeben könnten. Die Situation anderer Deutscher, die aus beruflichen oder sonstigen Gründen mit ihren Familien im Ausland leben, ist hiermit nicht ohne weiteres vergleichbar. Bei der Einbürgerung dieser Ausländer kommt es zunächst darauf an, die tatsächlichen persönlichen Verhältnisse und das öffentliche Interesse unter Berücksichtigung der sich aus völkerrechtlichen Bindungen ergebenden Einschränkung abzuwägen. Stellt sich dabei heraus, daß der Einbürgerung keine die Einbürgerungsbefugnis beinträchtigenden Gründe entgegenstehen, kann die Staatsangehörigkeit verliehen werden. Unter diesen Voraussetzungen wird — wie bisher schon — auch künftig in begründeten Einzelfällen geholfen werden können. Aus den dargelegten Gründen hält es die Bundesregierung deshalb nicht für angängig, eine Gesetzesänderung zu erwägen, um auch dem im Ausland lebenden Ehegatten deutscher Staatsangehöriger bei der Einbürgerung Vergünstigungen wie bei einer Inlandsniederlassung nach § 9 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes zukommen zu lassen. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner sauf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Schreiber (SPD) (Drucksache 7/2268 Fragen A 48 und 49) : Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß Urlauber von den Reisegesellschaften ausreichend über die Möglichkeiten und Bedingungen der ärztlichen und Krankenhausversorgung in Urlaubsgebieten unterrichtet sind? Wenn nicht, welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Reisegesellschaften zu verpflichten, ihre Kunden eingehend über die Möglichkeiten und Bedingungen der ärztlichen und Krankenhausversorgung in Urlaubsorten zu unterrichten? Für die Inlandsurlauber wirft die gegenwärtige Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Dienstleistungen sicherlich keine besonderen Probleme hinsichtlich ihrer Versorgung in Notlagen auf. Ähnlich dürfte die Situation auch in den meisten mitteleuropäischen Staaten sein. Ihre Frage habe ich deshalb so verstanden, daß es Ihnen in erster Linie um die Unterrichtung der Urlauber geht, die ihren Urlaub außerhalb der vorgenannten Reisegebiete verbringen wollen. Diese Urlauber haben allerdings ein verständliches Interesse zu wissen, wie sie sich in einer plötzlichen Notlage — Unfall oder Krankheit — verhalten müssen, an wen sie sich wenden können und was sie tun müssen, um Hilfe zu erlangen. Die allgemei- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 7583* nen Hinweise, die die Reiseveranstalter in ihren Katalogen geben, dürften in Notfällen nicht ausreichen. Ich habe deshalb beim Deutschen Reisebüro-Verband nachfragen lassen, welche entsprechenden weiteren Informationen dem Auslandsurlauber gegeben werden. Vom Deutschen Reisebüro-Verband wurde mir mitgeteilt, daß die Reisenden mit der Übermittlung der Buchungsunterlagen einen ausführlichen „Ärztlichen Ratgeber", der über wünschenswerte Verhaltensweisen aufklärt sowie eine Fülle von Indikationen bei denkbaren spezifischen Krankheitssymptomen anführt, erhalten. Bei Gruppenpauschalreisen sei eine ärztliche Versorgung an den Zielorten praktisch in jedem Falle gewährleistet. Die Reiseleitungen am Urlaubsort seien in der Lage, einen nach Möglichkeit ,deutschsprachigen Arzt zu vermitteln. An allen Urlaubsorten, zu denen Gruppenpauschalreisen durchgeführt werden, hätten die deutschen Reiseveranstalter-Büros in eigener Regie oder im Vertragsverhältnis, an die sich die Urlauber mit ihren Informationswünschen wenden können. Auch kleinere Reiseveranstalter verfügen auf Grund von Kooperationsverträgen zwischen den Reiseveranstaltern über eine örtliche Reiseleitung. Probleme können sich allerdings, was die ärztliche Versorgung angeht, bei Fernreisen ergeben, besonders, wenn sie als Individualreisen durchgeführt werden. Bei der besonderen Art dieser Reisen können die Reiseveranstalter nicht in jedem Fall eine ärztliche Betreuung sicherstellen. Im Rahmen ihrer vertraglichen Sorgfaltspflicht müssen die Reiseveranstalter das ihnen Mögliche dazu beitragen, um den Reiseteilnehmer während der Reise vor Schaden zu bewahren. Das ist von den Gerichten wiederholt herausgestellt worden. Dazu gehört auch, daß der Reisende bereits vor Buchung der Reise hinreichend über Schwierigkeitsgrad und gesundheitliche Gefahren, die mit bestimmten Reisen verbunden sein können, unterrichtet wird. Durch diese bereits jetzt für den Reiseveranstalter bestehenden Pflichten werden allerdings nicht alle Informationswünsche der Urlauber abgedeckt. So insbesondere nicht die Frage nach dem Versicherungsschutz im Krankheitsfalle. Da die einzelnen Versicherungsträger die Leistungsansprüche zum Teil unterschiedlich geregelt haben, ist hier im allgemeinen nur eine individuelle Auskunft möglich. Die Prospekte der Reiseveranstalter enthalten häufig nur den Hinweis auf die Zweckmäßigkeit, eine Auslands-Krankenversicherung abzuschließen. Darüber hinaus empfehlen die Versicherungsträger meist, sich vor Antritt der Reise über den Leistungsumfang ihrer Krankenversicherung bei Auslandsreisen zu erkundigen. Ich werde Ihre Frage zum Anlaß nehmen, mit den beteiligten Wirtschaftsorganisationen, insbesondere mit dem Deutschen Reisebüro-Verband über die Problematik zu sprechen und dabei nach Möglichkeiten für eine weitere Verbesserung der Informationen der Urlaubsreisenden über die ärztliche und Krankenhausversorgung in Urlaubsgebieten suchen. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Büchner (Speyer) (SPD) (Drucksache 7/2268 Frage A 50) : . Liegt nach Auffassung der Bundesregierung eine Mondpreisempfehlung vor, wenn der empfohlene Preis eines Produkts im Einzelhandel um 20 % unterschritten werden kann? Durch die Kartellgesetznovelle vom 3. August 1973 ist die Mondpreisempfehlung ausdrücklich verboten worden. Die Mißbrauchsaufsicht über Preisempfehlungen wurde erheblich verschärft. Das Bundeskartellamt hat diese neuen Vorschriften aufgrund systematischer Überprüfung von Preisempfehlungen an Schwerpunktorten mit gutem Erfolg angewandt. Zwar läßt sich eine generelle Grenze für den Beginn der Mondpreisempfehlung nicht aufstellen, da die Verhältnisse auf den einzelnen Märkten sehr unterschiedlich sind. Eine Unterschreitung des empfohlenen Preises um 20 Prozent ist jedoch in aller Regel ein sehr starkes Indiz für einen Mißbrauch und ist bereits in einer Reihe von Fällen vom Bundeskartellamt als unzulässige Mondpreisempfehlung beanstandet worden. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Höcherl (CDU/CSU) (Drucksache 7/2268 Frage A 55) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerung des Vorstandsvorsitzenden der Aral AG, an der der Bund beteiligt ist, „die Tankstellenpreise müssen rauf" angesichts der vorausgegangenen Aktivitäten des Bundeskartellamts? Die ARAL AG hat mitgeteilt, ihr Vorstandsvorsitzender habe am 6. Juni 1974 lediglich darauf hinweisen wollen, daß die Erlössituation eine Anhebung der Preise erforderlich mache. Es hänge indessen von der Marktverfassung ab, ob oder wann dies durchsetzbar sei. Ein Alleingang der ARAL AG sei nicht beabsichtigt. Die Mißbrauchsverfahren gegen die Mineralölgesellschaften wegen Preiserhöhungen Anfang dieses Jahres sind noch nicht abgeschlossen. Falls es zu erneuten Preiserhöhungen kommen sollte, wird das Bundeskartellamt seine Prüfung auch darauf erstrecken. Anlage 17 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Kiechle (CDU/CSU) (Drucksache 7/2268 Frage A 66) : Wie weit sind die Vorbereitungen im Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im Nahverkehr gediehen, die in der Fragestunde des Deutschen Bundestags (Drucksache 7/1182) mit der Zielsetzung, jeden genehmigten Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen, auch den in ländlichen Gebieten, ohne Einschränkungen einzubeziehen, angekündigt wurden, und bis wann können die Behinderten in ländlichen Räumen mit der zugesagten Hilfe rechnen? 7584* Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 Im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ist inzwischen der Referentenentwurf eines Gesetzes erarbeitet worden, das an die Stelle des Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr treten soll. In ihm ist vorgesehen, daß der begünstigte Personenkreis praktisch alle Omnibuslinien auch in ländlichen Gebieten unentgeltlich benutzen kann. Der Gesetzentwurf wird z. Z. mit den hauptbeteiligten Bundesministerien abgestimmt. Er bedarf dann noch der Erörterung mit den Ländern sowie den Verbänden der Behinderten und der Verkehrsunternehmen. Die Bundesregierung ist bestrebt, den Gesetzentwurf noch im Laufe dieses Jahres den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung zuzuleiten. Es ist vorgesehen, daß das Gesetz drei Monate nach seiner Verkündung in Kraft tritt. Anlage 18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Pieroth (CDU/CSU) (Drucksache 7/2268 Frage A 67): Trifft es zu, daß die Bundesregierung im Landtagswahlkampf in Niedersachsen 50 000 Informationsbroschüren über die „Mitbestimmungsbeschlüsse der Koalition vom 19. Januar" verteilen ließ, obwohl diese bereits auf Grund erneuter Mitbestimmungsverhandlungen zwischen SPD und FDP von Februar 1974 inhaltlich überholt waren, und wenn ja, hält die Bundesregierung dieses Handeln gegebenenfalls mit den Grundsätzen einer „aufklärenden" Öffentlichkeitsarbeit für vereinbar? Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung im Landtagswahlkampf in Niedersachsen 50 000 Informationsbroschüren über die Mitbestimmungsbeschlüsse der Koalition vom 19. Januar verteilen ließ. Die Bundesregierung, hier das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, hat eine Broschüre zur Mitbestimmung erst nach der Verabschiedung des Regierungsentwurfs herausgegeben. Diese Broschüre enthält den Gesetzentwurf der Bundesregierung, wie er vom Bundeskabinett verabschiedet und dem Bundesrat zugeleitet worden ist. Anlage 19 Antwort des Parl. Staatssekretärs Buschfort auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Rollmann (CDU/CSU) (Drucksache 7/2268 Frage A 70): In welchem Umfang wurde in den Jahren 1972 und 1973 gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz (insbesondere gegen das Verbot der Kinderarbeit) verstoßen, wie wurden diese Verstöße geahndet, und in welchem Umfang wurden die Betriebe auf die Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes überprüft? Nach den Jahresberichten der Gewerbeaufsicht der Länder sind im Jahre 1972 53 321 im Jahre 1973 34 742 Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz festgestellt worden. Davon waren im Jahre 1972 942 im Jahre 1973 682 Verstöße gegen das Verbot der Kinderarbeit. Die Aufsichtsbehörden der Länder haben im Jahre 1972 2 913 und im Jahre 1973 1 665 Verwarnungen erteilt. Sie haben im Jahre 1972 4 511 und im Jahre 1973 3 568 Bußgeldbescheide erlassen. Sie haben ferner im Jahre 1972 144 und im Jahre 1973 132 Strafanzeigen erstattet. Gerichtliche Strafen sind im Jahre 1972 in 65 und im Jahre 1973 in 78 Fällen verhängt worden. Eine Statistik über die Zahl der Besichtigungen zur Überprüfung der Einhaltung eines bestimmten Gesetzes wird von der Gewerbeaufsicht nicht geführt. Die von den Ländern mitgeteilte Gesamtzahl der Besichtigungen beträgt für das Jahr 1972 351 165 (ohne die Länder Niedersachsen und Hessen), für das Jahr 1973 425 505 (ohne die Länder Niedersachsen und Saarland). Von diesen Besichtigungen wurden im Jahr 1972 181 825 (ohne Niedersachsen und Hessen), im Jahr 1973 278 597 (ohne Niedersachsen und Saarland) Betriebe erfaßt. Anlage 20 Antwort des Parl. Staatssekretärs Zander auf die Mündlichen Fragen des Abgeordneten Kater (SPD) (Drucksache 7/2268 Fragen A 74 und 75): Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, wonach Untersuchungen der vergangenen Jahre ergeben haben sollen, daß besonders Milch und Butter Mengen von Hexachlorbenzol (HCB) aufweisen, die in bestimmten Molkereieinzugsgebieten über dem zulässigen Höchstwert liegen? In welchen Molkereieinzugsgebieten, mit welchen Ergebnissen und mit welchen Konsequenzen sind Überschreitungen der zulässigen Höchstwerte von HCB in Milch und Butter festgestellt worden? Dem Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit liegen Berichte über HCB-Gehalte in Milch und Butter aus bestimmten Molkereieinzugsgebieten nicht var. Ich wäre deshalb dankbar, wenn Sie mir diesbezügliche Informationen zugänglich machen würden. Einer Mitteilung des Chemischen Landesuntersuchungsamtes Münster und des Instituts für Lebensmittelchemie, Münster, zufolge liegen die Rückstände an HCB in Milch, bezogen auf Fett, im Mittel bei 0,15 ppm, in Butter bei 0,17 ppm. Nach Untersuchungen des Instituts für Hygiene der Bundesanstalt für Milchforschung, Kiel, wurde Hexachlorbenzol in 159 Trinkmilchproben aus der Bundesrepublik Deutschland mit 0,16 ppm bei Schwankungen zwischen 0,02 und 0,64 ppm nachge- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 7585* wiesen. Der überhöhte Wert von 0,64 ppm wurde nur in einer Probe festgestellt. Im Rahmen einer Schwerpunktuntersuchung konnte das Institut in 69 Proben von Milch und Milchprodukten folgende HCB-Werte — angegeben in ppm, bezogen auf den Fettgehalt — feststellen: Butter 0,181 Trinkmilch 0,167. Eine Überschreitung des zulässigen HCB-Gehaltes konnte somit nicht festgestellt werden. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit läßt im Rahmen eines seit mehreren Jahren laufenden Forschungsvorhabens durch das Institut für Hygiene der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel die Entwicklung der Rückstandssituation bei Milch und Milcherzeugnissen, insbesondere hinsichtlich der Rückstände an Pestiziden, beobachten. Dabei hat sich gezeigt, daß die Gehalte an Pestizidrückständen insgesamt gesehen rückläufig sind. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Brück auf die Mündliche Frage der Abgeordneten Frau von Bothmer (SPD) (Drucksache 7/2268 Frage A 87) : Ist die Bundesrepublik Deutschland bereit, im Sinne der Entschließung 563 der Beratenden Versammlung des Europarats, Portugal Wirtschaftshilfe zu gewähren, sofern in diesem Land ungelöste Wirtschaftsprobleme eine direkte Bedrohung der neuerrungenen Freiheit darstellen könnten? Die Bundesregierung prüft, in welcher Weise die wirtschaftlichen Beziehungen zu Portugal gestaltet werden können. Sie verfolgt die Bemühungen Portugals, einen neuen Modus im Verhältnis zu seinen überseeischen Gebieten zu finden, mit Sympathie und Solidarität. Zur Zeit erscheint es jedoch schwierig, Portugal selbst, das nach der international anerkannten OECD-Liste der Entwicklungsländer (DAC-Liste) kein Entwicklungsland ist, Entwicklungshilfe zu gewähren.
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711000000
Die Sitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um eine Erklärung der Bundesregierung erweitert werden. — Das Haus ist damit einverstanden. Es ist so beschlossen. Die Erklärung wird nach der ersten Beratung des Entwurfs eines Mitbestimmungsgesetzes aufgerufen.
Wir fahren nun in der Behandlung von Punkt 8 unserer Tagesordnung — Beratung des Gesetzentwurfs zum Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik — fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mertes (Gerolstein).

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711000100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Ronneburger hat gestern mit lobenden Worten auf ein Zitat unseres Kollegen Richard von Weizsäcker vom Mai 1974 hingewiesen und gefragt, was denn nun die Meinung der CDU sei: die Einstellung des Kollegen von Weizsäcker oder eine andere. Dieses Zitat ist so gut, daß ich es zunächst wiederholen möchte:
Fortschritte in der Europapolitik sind und bleiben Voraussetzung für eine Ostpolitik, die wir um des Friedens, um der Menschen und um der deutschlandpolitischen Zielsetzungen willen anstreben und festhalten werden, die aber ohne Gleichgewicht und mithin ohne Atlantisches Bündnis und ohne ein zusammenwachsendes Europa zum Scheitern verurteilt wären.
Wir haben die Frage des Kollegen Ronneburger überhaupt nicht verstanden. Ich kann Ihnen namens der CDU/CSU-Fraktion versichern, daß wir alle diese Auffassungen Wort für Wort teilen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nach dem bekannten Gaus-Interview von Egon Bahr vom Sommer 1972 und auf Grund anderer Eindrücke hatten wir allerdings den Eindruck, daß in der Bundesregierung nicht alle dieser Auffassung sind — zumindest in der letzten nicht waren. Auch möchte ich hinzufügen, daß der Begriff „Gleichgewicht" auch die Elemente der politischen Willensstärke und der Widerstandsfähigkeit aufweisen muß. Wenn wir sehen, wie nach den Ostverträgen Schritt für Schritt jene nachgiebige Entwicklung weitergeht, von der gestern unser Kollege Leisler Kiep gesprochen hat und auf die ich Herrn Wehner nachher noch ansprechen werde, haben wir berechtigte Sorgen, daß sich die Gewichte in Europa zugunsten des sowjetischen Machtbereichs verlagern, ob Sie nun an die KSZE in Genf denken, an Berlin, an die schwache Sicherung unseres innerdeutschen Vorbehalts am heutigen Vormittag bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens des Ständigen DDR-Vertreters beim Herrn Bundespräsidenten, an die Entwicklung der militärischen Machtverhältnisse in Osteuropa oder an die eindrucksvolle geduldige Zähigkeit der sowjetischen Diplomatie.
Unverständlich aber ist mir auch das Argument des Kollegen Ronneburger, die Voraussetzung für erfolgreiche europäische und atlantische Politik sei die Fortsetzung der Ostpolitik der Regierung Brandt/ Scheel, denn diese Politik beseitige akute Spannungen. In der Tat ist es so, daß die Westmächte, insbesondere Frankreich, immer gesagt haben: wenn es zu einem gesamtdeutschen Friedensvertrag kommt, dann sind wir dafür, daß die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie endgültig polnisch sind. Aber mir ist in meiner langjährigen beruflichen Erfahrung kein verantwortlicher Vertreter der Westmächte begegnet, der gesagt hätte, wir sollten auf unsere nationale Option verzichten, die Deutschlandfrage solle rechtlich und in der politischen Substanz geschlossen werden. Im Gegenteil, ich habe festgestellt, daß die Westmächte immer klar erkannt haben, daß unsere intakte gesamtdeutsche Rechtsposition die Grundlage auch ihrer Rechtsposition in Berlin ist.
Hier muß ich aber daran erinnern, daß die Westmächte ihrerseits von der Regierung Brandt /Scheel vor vollendete Tatsachen gestellt worden sind. Der kapitale Vorgang der Erfüllung der sowjetischen Zweistaatenforderung in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ist ohne vorherige Konsultationen mit den Westmächten erfolgt. Bis dahin hatten erst zehn kommunistische Staaten, fünf arabische Staaten und Kambodscha diplomatische Beziehungen zur DDR aufgenommen. Danach erfolgten die Verhandlungen von Herrn Bahr in Moskau, nach außen verschleiert als Meinungsaustausch; und wiederum war das Ergebnis dieser Gespräche, das Bahr-



Dr. Mertes (Gerolstein)

Papier, eine vollendete Tatsache. Hier sind wesentliche Dinge, die bis 1969 in diesem Hause gemeinsam waren, schlicht und einfach auf dem Umweg über eine Regierungserklärung und einen Meinungsaustausch grundlegend verändert worden. Dies ist das Entscheidende.
In der Tat haben dann die Westmächte, nachdem es soweit war und nachdem durch die SPD-FDPRegierung wesentliche Positionen auch zu ihren Lasten — ich denke an die gesamtdeutsche Grundlage ihrer Präsenz in Berlin — preisgegeben, zumindest aber erheblich geschwächt worden waren, dafür gesorgt, daß nun die wirkliche Konsultation wieder in Gang komme, damit wesentliche westliche Interessen gewahrt würden. Ich kann also dem Kollegen Ronneburger einfach nicht zustimmen, wenn er sagt, die Ostpolitik der Regierung Brandt /Scheel sei die Voraussetzung für eine erfolgreiche deutsche Westpolitik.
Hinzufügen möchte ich noch folgendes. In der Zeit, in der das Atlantische Bündnis geschaffen worden ist und in der der Integrationsvorgang in Europa am intensivsten war, genau in diesem Augenblick haben wir den Deutschland-Vertrag abgeschlossen, auf dessen Weitergeltung die Bundesregierung — so sagt sie jedenfalls dem Parlament — größten Wert legt und von dem Herr Bahr gesagt hat, daß insbesondere er durch den Moskauer Vertrag nicht berührt werde. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Zeit der Entstehung der Atlantischen Gemeinschaft, in der Zeit des Beginns der europäischen Einigung sind die Deutschlandpositionen vom Westen zu unseren Gunsten mit übernommen worden.
Der Herr Bundeskanzler hat gestern etwas getan, was eigentlich hier nicht passieren sollte. Er hat den Kompromiß mit dem Dissens verwechselt. Ich komme auf das Wesen der Ostvertragsdissense, die uns immer wieder befassen werden, noch zurück. Als ob es jemanden in der CDU/CSU-Fraktion gäbe, der nicht wüßte, daß Politik auch die Kunst des möglichst guten Kompromisses ist, daß man nachgeben können muß, wenn auch der andere genauso oder mindestens vergleichbar nachgibt, daß es aber auch Dinge gibt, bei denen man nicht nachgeben kann. Ich erinnere an Namen der deutschen Geschichte wie Otto Wels, Heinrich Brüning, Andreas Hermer, Kurt Schumacher, Ernst Reuter, Jakob Kaiser. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, daß der dissensbelastete Formelkompromiß eine legitime Institution im Vertragswesen ist, dann nämlich, wenn man sich in wesentlichen Streitfragen einigt und die Nichteinigung — sie muß dann aber im Innenverhältnis der Vertragspartner eindeutig protokolliert sein — durch einen Formelkompromiß verdeckt.

(Abg. Dr. Marx: Sehr wahr! Eindeutig protokolliert!)

Aber im Fall der Ostverträge ist das ja alles ganz anders. Da ist man sich ja nicht einmal über die Rechtsnatur des Vertrages einig. Ist der Moskauer Vertrag nun nach Auffassung beider Partner ein Modus-vivendi-Vertrag und ein Gewaltverzichtsvertrag? Ist er ein Vertrag, der die deutsche Frage
in der Substanz zweifelsfrei offenhält? So legen Sie den Moskauer Vertrag aus, und wir haben Ihnen dies zu guter Letzt auch abgenommen. In der Gemeinsamen Entschließung haben wir diese Auslegung verbindlich festgehalten. Wir haben sie der UdSSR als Vertragspartner sowie als einer der Vier Mächte, die für Deutschland als Ganzes und seine Hauptstadt Rechte und Verantwortung haben, notifiziert, so daß die Entschließung ein völkerrechtlich wirksames und relevantes Dokument der Bundesrepublik Deutschland ist. Herr Wehner, hier ist nicht gefummelt worden!
Wie aber ist die Haltung der Sowjetunion — wir teilen ihre Auffassung zusammen mit der Bundesregierung nicht — zu werten, wie sie Außenminister Gromyko im April 1972 im Obersten Sowjet dargelegt hat, nämlich, daß dieser Vertrag keine Vorläufigkeitsregelung darstelle, daß er kein Modusvivendi-Vertrag, kein reiner Gewaltverzichtsvertrag sei? Genau diese Problematik finden wir heute im Prager Vertrag wieder, wo es in der Hauptstreitfrage keine Einigung gab, der Text draußen im Lande aber als Willenseinigung, als Ausbruch aus dem Teufelskreis, wie es der Bundeskanzler gestern gesagt hat, verstanden wird. Der einzige Unterschied ist dieses Mal nur, daß der Dissens offen ist. Die Bundesregierung hebt seine Existenz sogar hervor. Nochmals dazu: Wir schießen natürlich kein Eigentor zu Lasten unseres Staates und zu Lasten des Rechtes. Wir teilen die restriktive Auffassung der Bundesregierung, daß das Münchener Abkommen eine Zeitlang voll gültig war, bis Hitler es, wie Bundeskanzler Erhard sagte, zerriß.
Meine Damen und Herren, Herr Bahr hat gestern von den Dissensen in den Westverträgen gesprochen. Von auch nur annähernd vergleichbaren Dissensen kann hier überhaupt keine Rede sein. Er verwechselt die Ausfüllungsbedürftigkeit in konkreten Einzelfragen mit einem Dissens. In allen Ostverträgen gibt es freilich Dissense, und zwar deshalb, weil man sich zu den jeweils wesentlichen Punkten in der Sache nicht einigen konnte. Ich möchte diese politische Problematik, die natürlich nicht zu quantifizieren ist, einmal in ein plastisches Bild fassen. Wenn Herr Bahr und ich 20 Jahre lang miteinander Streit oder „kalten Krieg" darüber geführt haben, ob ich ihm 100 000 belgische Francs oder 100 000 Schweizer Francs — das heißt zwölfmal mehr — schulde und wir einigen uns dank eines diplomatischen Supermannes von seinem Format auf der Basis eines Vertrages, indem ich ihm eine Schuld von 100 000 Francs quittiere, ohne daß daraus zu lesen ist, ob es sich um belgische oder um Schweizer Francs handelt, so ist das natürlich nur eine Scheineinigung.

(Abg. Dr. Marx: Sehr gut!)

Auf den Moskauer Vertrag übertragen heißt das: Sie, Herr Bahr, und die Bundesregierung versicherten uns im Ratifizierungsverfahren immer wieder, das Gebot der Unverletzlichkeit der Grenzen und das Verbot des Antastens von Grenzen im Moskauer Vertrag als Voraussetzungen des Friedens bedeuteten lediglich konkreten Gewaltverzicht. Um beim Bild zu bleiben: Wir schulden dem Vertrags-



Dr. Mertes (Gerolstein)

partner 100 000 belgische Francs. Herr Gromyko, Ihr Kontrahent, sagt hingegen: „Nein, das ist eine falsche Interpretation, die sogar den Frieden gefährdet. Unverletzlichkeit ist erheblich mehr als Gewaltverzicht; es ist völkerrechtliche Endgültigkeit." Um beim Bild zu bleiben: „Sie haben sich zur Zahlung von 100 000 Schweizer Francs verpflichtet." Es liegt eben in der Hauptsache ein Dissens vor, die Nichtregelung des eigentlichen Streitpunktes. Dies gilt für alle Verträge, auch für den, über den wir gleich abstimmen.
Dann kam gestern eine tolle Argumentation von Herrn Bahr, die ich nicht vergessen kann. Er sagte, die CDU/CSU seien eigentlich die bequemeren Partner für die DDR

(Abg. Dr. Marx: Das war wirklich toll!) und die osteuropäischen Staaten.


(Abg. Dr. Marx: Das sieht man auch!)

Ist also in Wirklichkeit alles Lob, meine Damen und Herren, für die Ostvertragspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr in Wirklichkeit das Lob für eine Politik, der man am liebsten wegen ihrer Unbequemlichkeit den Garaus machen würde, um die angeblich so bequeme CDU/CSU-Politik wiederzuhaben? Steckt hinter den massiven Angriffen auf die angeblich aggressive, angeblich friedensgefährdende CDU/CSU, — Angriffen, denen sich Herr Wehner geschmackvollerweise angeschlossen hat —, steckt hinter den massiven Wahlhilfen Moskaus und Ostberlins im Jahre 1972, die doch der Regierung Brandt /Scheel zugute kamen, in Wirklichkeit die geheime Hoffnung, es doch baldmöglichst wieder mit der bequemen CDU/CSU haben zu können?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Bahr, wir sind schon allerhand an Dialektik und Verdrehung der Wirklichkeit aus Ihrem Munde — immer freundlich und ruhig vorgetragen — gewohnt, wobei ich den Eindruck habe, daß er sogar guten Glaubens an sich selber glaubt. Aber das Argument, das er da gestern gebracht hat, das ist nun wirklich einsame Spitzenklasse in den intellektuellen salti mortali, deren er fähig ist.
Dies Argument wird nur noch überboten von der Theorie einiger Entspannungsvisionäre, wir müßten dem Osten so viele einseitige Konzessionen auf den Rücken legen, daß er zum Schluß gar nicht mehr anders kann, als unter der Last unseres guten Willens und unserer Entspannungsopfer dann auch noch seine Vorstellung von der Einbahnentspannung verzweifelt aufzugeben, um anschließend jenem Prozeß der Entspannung zuzustimmen, von dem Sie seit Jahren schreiben und sprechen, Herr Kollege Bahr, und wohl auch manchmal visionär ganz ehrlich träumen.

( ist, an die eigentliche, an die menschenrechtliche Norm? Eine besondere Kostprobe des Denkens von Egon Bahr erhielten wir dann gestern noch, als er uns die große Konzessionsbereitschaft der Sowjetunion klarmachen wollte, die er im Laufe seines Meinungsaustausches mit Gromyko erreicht habe. Er erinnerte an die Maxilmalpositionen der Sowjetregierung, die statt „achten" stets das Wort „anerkennen" gefordert habe, die statt der von ihm mit Gromyko vereinbarten Formel über die volle Staatlichkeit der DDR früher die uneingeschränkte völkerrechtliche Anerkennung der DDR gefordert habe, die von uns nicht mehr die Übernahme der sowjetischen Formel für Westberlin verlangt habe. Welche Logik! Wenn die Sowjetunion bereit war, statt der hundertprozentigen Erfüllung ihrer uns früher allen als unerfüllbar erscheinenden Forderungen nur noch 80 Prozent zu verlangen — wahrscheinlich in der Erwartung, daß der weitere Entspannungsprozeß ihr die restlichen 20 Prozent noch einbringt und die Weichen in der Vertragsanlage auch schon so gestellt sind —, was ist das für eine Gegenleistung? (Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Sehr gut! Völlige Begriffsverwirrung!)

Die umgekehrte Rechnung können Sie auf deutscher Seite nicht machen.
Dann sprach der Kollege Bahr von jenen, die für die Alleinvertretung waren, so als ob die Bundesregierung nicht dafür sei. Die CDU hat im Herbst 1971 die Regierung gefragt: „Identifiziert sich die Bundesregierung noch mit der Erklärung der drei Westmächte, nach der die Westmächte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet wurde und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen?"
Die Antwort der Bundesregierung Brandt /Scheel vom April 1971 lautete:
Zwischen der Bundesregierung und den Drei Mächten gibt es keine Meinungsverschiedenheiten über die fortdauernde Geltung des Vertragswerks von 1954 und den politischen Sinn jener Erklärung. Die Bundesregierung identifiziert sich mit dieser Erklärung. Sie fühlt sich dem gesamten deutschen Volk verpflichtet. Sie orientiert ihre Politik nicht nur an den Interessen der Bundesrepublik Deutschland, sondern an den Belangen der ganzen Nation.
Die Bundesregierung hat bei der Aushandlung der Gemeinsamen Entschließung, an deren Redaktion ich als Bundesratsvertreter mitgewirkt habe, ausdrücklich und verbindlich zugesichert, daß folgende Formel der Entschließung insbesondere die Alleinvertretung meine; ich zitiere aus der gemeinsamen Entschließung:
Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die dauernde und uneingeschränkte Geltung des
Deutschlandvertrages und der mit ihm verbun-



Dr. Mertes (Gerolstein)

denen Abmachungen und Erklärungen von 1954 sowie die Fortgeltung des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR am 13. 9. 1955 geschlossenen Abkommens von den Verträgen nicht berührt wird.
Gilt das denn nun, oder gilt es nicht?

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Auch für Herrn Bahr!)

Ist das auch schon wieder vom aller Recht relativierenden Strom der Zeit hinweggeschwemmt worden? Gibt es hier eine Taktik, die zunächst im deutschen Parlament zusagt, das gelte noch, die dann augenzwinkernd der anderen Seite sagt, das gelte nicht mehr, und die sodann sagt — wenn nämlich die Tinte trocken ist und die Texte archiviert worden sind — das gelte auch hier nicht mehr.

(Abg. Dr. Hupka: Das ist der Weg von der Wahrheit zur „Bahrheit„ !)

Jedenfalls muß der Kollege Bahr uns einmal erklären, ob die Gemeinsame Entschließung und das, was uns die Regierung im November 1971 gesagt hat, noch volle Gütigkeit hat.
Meine Damen und Herren, mit dem Prager Vertrag schließt sich der Kreis der bilateralen Verträge der SPD/ FDP-Koalition. Noch wissen wir nicht, ob wir per Saldo, d. h. auf längere Sicht, mit diesen Verträgen vom Regen der Spannung in den Sonnenschein zunehmender Entspannung oder aber in die Traufe noch größerer Belastungen kommen werden. Die Bundesregierung glaubt immer noch — so scheint es jedenfalls nach außen —, daß die Prämissen ihrer Politik richtig waren.
Wir zweifeln daran, und mit uns zweifelt in wachsendem Maße die Bevölkerung, gerade auch die der DDR.
Die Bundesregierung weist gern auf die Habenseite der Ostpolitik hin. Dort sehen wir erstens zweifellos, daß sie bei Freunden und Gegnern viel Beifall geerntet hat. Sicherlich auch deshalb, weil Bonn in der Deutschlandfrage ein bequemerer Partner geworden ist. Wer den Ursachen dieses Beifalls nachgeht, entdeckt jedoch viel Widersprüchliches und Nebelhaftes. Nur eines ist klar: Der Osten spendet Beifall, weil die Verträge — so heißt es dort — fast täglich den Einfluß des sozialistischen Lagers auf die internationale Lage und den Gang der Geschichte verstärkt haben.
Die Verträge haben zweitens eine gewisse Entspannung herbeigeführt, die allerdings eher im Bereich des Atmosphärischen als im Bereich konkreter unwiderruflicher Beseitigung der eigentlichen Spannungsursachen liegt.
Drittens kam es zum Berlin-Abkommen der Vier Mächte, über dessen Nutzen die Meinungen heute bereits skeptischer klingen als 1971/72.
Viertens kam es im innerdeutschen Verhältnis — vor allem für die Westberliner und für die Westdeutschen — zu Erleichterungen von Reisen nach Ost-Berlin und in die DDR, deren Nutzen wir nicht übersehen. Keine positive Wirkung dieser Politik soll hier gemindert werden. Um ein Bild des Präsidenten Kennedy zu verwenden: Jeder Apfel, den wir für die Hergabe unseres Obstgartens bekommen haben, soll gezählt und gewogen werden.
Aber diese Politik war mit dem hohen Anspruch aufgetreten, sie werde die Einheit der Nation fördern und den Frieden sicherer machen. Sie hat kapitale östliche Forderungen rechtlicher und politischer Natur vorab in der Hoffnung erfüllt, die Feindseligkeit der DDR werde sich nach ihrer von Bonn geförderten und bewirkten internationalen Anerkennung progressiv mindern. Solche Hoffnung erinnert an das polnische Sprichwort, daß solche politische Hoffnung die Mutter der Torheit ist.
Unser guter Wille werde ansteckend wirken
— so meinte man —, und das Miteinander der Menschen und Familien unseres geteilten deutschen Volkes werde es rechtfertigen, daß wir künftig nicht die gesamtdeutschen Rechtsfragen, sondern eben die innerdeutschen Bindungen in den Vordergrund unserer Deutschlandpolitik stellen.
Doch auf der Sollseite der Ostpolitik sehen wir
— ohne Schadenfreude — statt dessen viel Bitteres, Enttäuschendes. Wir sehen erstens den tiefen Unfrieden, den sie nach 20 Jahren innenpolitischen Konsenses in den wesentlichen nationalen Fragen in unser Land getragen hat, einen Unfrieden, den Herr Herbert Wehner bewußt polarisiert und forciert. Er hat es gestern morgen in diesem Hause fertiggebracht — nachdem der Kollege Abelein auf den menschenrechtlichen Kern der Deutschlandfrage mit großem Nachdruck hingewiesen hatte —, aus dem Wörterbuch des Unmenschen zu zitieren. Der Kollege Wehner rief aus: Volk ans Gewehr!
Herr Wehner, ich habe diese Äußerung als schamlos empfunden.

(Sehr gut! und Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir sehen zweitens auf der Negativseite die bleibende , ja wachsende Härte der Partner in OstBerlin, Warschau und Moskau; die von Prag kündigt sich schon an. Wir sehen drittens den Streit um die Auslegung des Berlin-Abkommens und aller Verträge, auf deren spannungserzeugende Mehrdeutigkeit die CDU/CSU stets warnend, ja 'beschwörend hingewiesen hatte. Wir sehen viertens die bange Ungewißheit über die Zukunft angesichts der wachsenden militärischen Macht jenseits des Eisernen Vorhangs, der immer noch die unmenschlichste Grenze der Erde bleibt, aber auch angesichts der groben wie der raffinierteren Angriffe des Ostens auf unsere rechtmäßigen Auffassungen zu Berlin und der Besonderheit der innerdeutschen Beziehungen.
Die Verträge sind jetzt rechtskräftig. Das wird auch für den Prager Vertrag gelten, wenn er in Kraft getreten ist. Sie müssen gehalten werden; sie müssen im Sinne echter Entspannung in praktische Politik umgesetzt werden. Die CDU/CSU als demokratische Gruppe steht nach der Mehrheitsentscheidung auf dem Boden dieser Verträge, die gegen ihre schweren Bedenken abgeschlossen wurden. Aber alle diese Verträge haben eben einen doppelten Auslegungsboden. Deshalb muß ich gleich hinzufügen: Die Verträge müssen auf dem deutschen Auslegungsboden, d. h. in Übereinstimmung mit Grund-



Dr. Mertes (Gerolstein)

gesetz, Deutschland-Vertrag und den einschlägigen Auslegungsdokumenten, interpretiert werden. Wenn Herr Wehner dies „Herumfummeln" an den Verträgen nennt, dann diskreditiert er die Verläßlichkeit der Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der Prager Vertrag wurde — das haben wir schon öfter anerkannt — geduldiger und sorgfältiger ausgehandelt als die Verträge mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin. Wir respektieren die Leistung derjenigen, die die Last der schwierigen Verhandlungsführung innerhalb engsten Spielraums, zeitweilig unter Anfeindung des Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, zu tragen hatten.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Hört! Hört!)


Was den Prager Vertrag angeht, so hatten viele von uns, auch ich, gehofft, er werde nicht behaftet sein mit den bösen Hypotheken der Verträge von Moskau und Warschau sowie des innerdeutschen Grundvertrages. Was zeichnet nun dennoch auch diesen Vertrag aus?
Erstens. Auch er ist offenkundig belastet mit dem Risiko des Auslegungsstreites, bei dem die sehr ernst zu nehmende, mächtige Sowjetunion — das darf man bei einem Auslegungsstreit niemals vergessen — auf tschechoslowakischer Seite steht. Wann hat ein Auslegungsstreit zwischen einem Schwachen und einem Starken nach den Erfahrungen der Geschichte einmal zugunsten des Schwachen geendet? Auch der Prager Vertrag verweist die wenigen östlichen Gegenleistungen in Texte geringeren rechtlichen Gewichts außerhalb des Vertrages. Auch vor seiner Unterzeichnung wie vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Prag — das ist für uns ganz besonders wichtig — blieb es bei wesentlichen Unklarheiten über Berlin, obwohl Bundeskanzler Brandt das Gegenteil verbindlich in Aussicht gestellt hatte.
Auch der Prager Vertrag ist belastet mit der Ungewißheit, ob der Vertragspartner die Erbringung seiner verhältnismäßig geringen Gegenleistung von der deutschen Erfüllung neuer Forderungen abhängig machen wird. Das ist ja eine oft vergessene Eigenart aller Ostverträge: Die deutsche Leistung ist der Natur der Sache nach stets unwiderruflich, die der Gegenseite der Natur der Sache nach widerruflich und unterlaufbar. Außerdem zeigt die Erfahrung seit 1972, auf die der Kollege Leisler Kiep gestern hingewiesen hat, daß die andere Seite immer wieder neue Beweise deutschen Wohlverhaltens verlangt, sozusagen als Geschäftsgrundlage einer jeweils freundlichen Vertragsauslegung. Damit ist eine Art Erpressungsmechanismus gegenüber der Bundesregierung etabliert, die ja ihrerseits nicht sagen will, daß die Verträge nicht den Erfolg hatten, den sie erwartet hatte. Es lag nicht an der Opposition, daß sich die an den Prager Vertrag geknüpften Erwartungen nicht erfüllt haben. Wir werden daher auch diesen Vertrag ablehnen müssen.
Gestatten Sie mir noch einen Hinweis auf einen Sachverhalt, der oft vergessen wird, der aber in den Augen gerade unserer polnischen, tschechischen und slowakischen Nachbarn von tragischer Bedeutung ist, weil er echte Versöhnung geradezu gefährdet. Denn in den Augen dieser Völker bestätigt die zwischen Bonn und Moskau vorweg abgestimmte Struktur der Ostverträge die nationale Abhängigkeit dieser Völker und Staaten von einer fremden Großmacht, eine Abhängigkeit, die in den Augen dieser unserer Nachbarn auf permanenter Einmischung und Gewaltanwendung beruht. Auch der Prager Vertrag ist weder in der politischen Wirklichkeit noch in seinem rechtlichen Kontext ein wirklich bilateraler Vertrag, den wir und unser tschechoslowakischer Nachbar frei ausgehandelt hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Auch der deutschtschechoslowakische Vertrag hat einen russischen Hintergrund, den in der Schnellebigkeit unserer Zeit hierzulande viele vergessen haben. Es handelt sich um einen bedeutungsschweren Zusammenhang rechtlicher und politischer Natur, der unsere Ablehnung dieses Vertrages maßgeblich mitbestimmt. Herr Kollege Dr. Heck hat auf diesen Sachverhalt gestern mündlich und vor allem in seinem Schriftlichen Bericht eingehend hingewiesen. Wir legen auf eine ernsthafte Einschätzung dieser Tatsache so großen Wert, weil unsere Beziehungen zur Sowjetunion von herausragender Bedeutung bleiben. Trotz allem westlichen Pessimismus und trotz des Immobilismus der Sowjetunion, der in Zukunft nicht immer bleiben muß, hoffen wir, daß es einmal zu einem würdigen deutschsowjetischen Interessenausgleich kommt, der auch den Interessen unserer unmittelbaren östlichen Nachbarvölker gebührend Rechnung trägt.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sehr gut! — Beifall bei der CDU/CSU.)

Gerade das russische Volk, das polnische Volk, die Tschechen, die Slowaken haben ein bewundernswertes Nationalbewußtsein, ein Geschichtsbewußtsein, ein Identitätsbewußtsein, demgegenüber ich den einzigen Ehrgeiz habe, daß unser Nationalbewußtsein — und zwar im Sinne der Identität seines Inhalts mit den Vorstellungen von den Menschenrechten, wie sie die europäische Geschichte entwikkelt hat — ebenbürtig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Ziele, welche die Sowjetunion mit der langjährigen Forderung nach deutscher Anerkennung ihrer rechtswidrigen Auffassung verfolgt, das Münchener Abkommen sei von Anfang an ungültig gewesen, können uns nicht gleichgültig sein. Denn die Sowjetunion ist eine der Vier Mächte, die Rechte und Verantwortlichkeiten für Deutschland als Ganzes und seine Hauptstadt innehaben. Sie steht in einem Herrschaftsverhältnis zu unserem tschechoslowakischen Vertragspartner. Seine strikte politische, ideologische und militärische Disziplinierung versucht sie sogar völkerrechtlich zu rechtfertigen, ja sie erzwingt sie mit Gewalt — ich sage noch einmal: nicht mit angedrohter, sondern mit angewandter Gewalt. Sie ist ständiges Mitglied des Sicherheitsrates der UNO; von ihrer Weisheit und von ihrem Willen hängt es wesentlich ab, wann es zu einem gerechten Friedensvertrag für Deutschland kommen wird. Dieser Sachverhalt muß aus



Dr. Mertes (Gerolstein)

Gründen der Ernsthaftigkeit unseres vertraglichen und unseres politischen Verhältnisses zur Sowjetunion im Auge behalten werden. Abmachungen mit dieser Macht müssen stets ernsthaft verhandelt, und sie müssen nach Abschluß ernsthaft behandelt werden.
Das imperiale Interesse der Sowjetunion in Mitteleuropa, wie es sich in ihrer Forderung nach der Ex-tunc-Ungültigkeit des Münchener Abkommens inbesonderer Weise äußert, weil es ohne sie, ja gegen ihren Willen zustande kam, dieses imperiale Interesse konvergiert — so möchte ich fast sagen — auf eine makabre Weise mit dem nationalen Interesse der Tschechoslowakei, die das als Vergewaltigung der eigenen nationalen Unabhängigkeit empfundene Münchener Abkommen sozusagen ungeschehen machen möchte. Aus verschiedenen Gründen sagen Moskau und Prag: was politisch nicht sein durfte, das war rechtlich nichtig. Von makabrer Konvergenz spreche ich deshab, weil die Sowjetunion ihre eigene gewaltsame Mißachtung der nationalen Unabhängigkeit der CSSR mit Hilfe der sogenannten Breschnew-Doktrin als höchste Form des Völkerrechts wertet. Wen wird es wundern, wenn künftig auch andere Staaten unter Berufung auf höhere rechtliche und moralische Normen die rückwirkende Nichtigkeit von Verträgen behaupten, die unter direkter oder indirekter Androhung von Gewalt zustande gekommen sind? Auf die drohende Feststellung des Generalsekretärs Breschnew vom 20. März 1972 ist in diesem Haus schon hingewiesen worden.
Ich möchte mich jetzt noch, da die Zeit bis zur Abstimmung kurz bemessen ist, mit einer Frage befassen, die mir für die Zukunft von entscheidender Bedeutung für Streit oder Einigkeit in diesem Lande zu sein scheint.
Der Kollege Wehner hat sich über die Haltung der CDU/CSU zum Prager Vertrag geäußert. Wie wenig er sich auch in Sachen „Prager Vertrag" vom Sachverstand, wie sehr er sich von polemischer Geschichtsklitterung leiten läßt, offenbart sein „Express"-Artikel vom 28. März 1974, am Tag nach der ersten Lesung. Aus der Feststellung der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kiesinger vom Dezember 1966, das Münchener Abkommen sei nicht mehr gültig, leitet er ab, die Opposition solle die Konsequenzen ziehen und zu diesem Vertrag ja sagen — also zu einem Text, der, Herr Wehner, gerade nicht feststellt, das Abkommen sei nicht mehr gültig, also einmal gültig gewesen.
Herr Wehner, Ihr böses Wort von den Verdrehungen und Halbwahrheiten der ewig Gestrigen im „Express" fällt ganz und gar auf Sie zurück.
{Beifall bei der CDU/CSU.)
Sie bleiben auf Ihre Weise ein ewig Gestriger. Ich habe Ihre Rede im Sächsischen Landtag vom 7. Oktober 1930 sehr genau auf Ihr Vokabular hin studiert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie, Herr Wehner, diejenigen in die rechte reaktionäre Ecke stecken wollen, die jenen demokratischen und Rechtsauffassungen eindeutig treu bleiben, die Ihre Partei nach den gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen fast 20 Jahre mit der CDU/CSU geteilt hat, dann will ich Ihnen sagen: gerade Sie sollten wissen, daß mit solchen finsteren Abstempelungen die NSDAP und die KPD im Gleichschritt die verhängnisvollen Emotionen der letzten Weimarer Jahre angeheizt haben, um dann am braunen oder am roten Grabe der ersten Republik feixen zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Wehner, ich werde nie vergessen, wie genau im Jahre des Münchener Abkommens ein nationalsozialistischer Lehrer mich, den Unterprimaner, fertigmachte, indem er mir wörtlich sagte, ich solle mich von den ewig gestrigen weltanschaulichen und politischen Vorstellungen meines Elternhauses — ich richte mich nur an eine Person in diesem Saale —, von seinen reaktionären Zentrumseinstellungen zum Zeitgeschehen endlich lossagen. Es war ein hetzender, ein bösartiger Mann, der wußte, daß ein junger Mensch kein Ewiggestriger, kein Reaktionär, sondern „in" sein möchte.
Ich habe jene Verteufelung, die mir als jungem Menschen weh getan hat, verkraftet, weil ich im Elternhause und durch die Erfahrung gelernt habe, daß Reaktionär nach den Maßstäben der europäischen Kultur derjenige ist, der die Mißachtung der Menschenrechte betreibt oder durch sein Verhalten begünstigt, ob 1933 oder 1973.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ebenfalls habe ich seit 1938 begriffen, daß es einen außenpolitischen Begriff des Realismus in der westlichen Demokratie gibt — ich denke an Chamberlain —, der auch dann reaktionär in seinem Wesen bleibt, wenn ein sogenannter Fortschrittlicher, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende, ihn zur obersten Norm der Außen- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland machen will. Gerade seit jenem Herbst der subjektiv doch wohlgemeinten Friedenspolitik Chamberlains, des Münchener Abkommens — also der historischen Kulisse des Prager Vertrages —, der linken Wehrdienstverweigerungen in London und Paris, die Hitlers politische Aggressivität im Jahre 1938 ermunterten,

(Abg. Dr. Czaja: Sehr richtig!)

seit dem Jahr der Warnungen des angeblich entspannungsfeindlichen Churchill, seit der Kristallnacht hat sich mir wie vielen meiner Generation, die das in Deutschland alles miterlebt haben, sehr tief eingeprägt, wie falsch der Zeitgeist sein kann, aber auch wie sehr es Demagogen gelingen kann, diesen Zeitgeist populär zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Unsere Generation darf und hat nicht vergessen, daß es in den Fragen der Freiheit, des Rechtes und der Menschenwürde vor aller Anpassungsbedürftigkeit gilt, nüchtern, klar und beständig zu sein. Herr Wehner, verlassen Sie das Niveau des Hetzenden, auch wenn es sich mit der Gloriole der Friedenspolitik schmückt, Sie, der Sie sehr genau wissen, daß Lenin im Frieden die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sah. Herr Wehner, genau im



Dr. Mertes (Gerolstein)

Jahr des Münchener Abkommens habe ich, wie viele jungen Menschen, bitter erfahren müssen und für immer gelernt, daß der anmaßende Vorwurf reaktionärer, ewig gestriger Einstellung als das zu werten ist, was er ist: die Vorstufe — die Vorstufe! — zum totalitären Denken, welche Sorte Idealismus es auch motivieren mag.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer sich wie Sie zum Richter über gut und böse, über friedensfreundlich und friedensfeindlich macht, der ist dabei, den geistigen Boden unserer demokratischen Ordnung zu verlassen, die ihrem Wesen nach solchen moralisch-politischen Unfehlbarkeitsanspruch ausschließt, weil sie nach allen Erfahrungen der Geschichte in der schwarzen oder in der braunen oder in der roten Inquisition endet. Es ist schnell aus mit der Möglichkeit, noch miteinander zu sprechen, wenn wir uns nicht gegenseitig zugestehen, daß das Ja oder das Nein zu einem Vertrag von dieser Bedeutung das Ergebnis einer verantwortungsbewußten Abwägung ist: Dient dieser Vertrag wirklich der Normalisierung, der Entspannung, der Versöhnung, oder schafft er neue Spannungsursachen, ohne die bisherigen zu beseitigen? Diese faire Haltung zeigte zumindest der frühere Bundesaußenminister Scheel, als er in der ersten Lesung sagte: Natürlich — er sagte: natürlich — werden Regierung und Opposition entsprechend ihrer Aufgabenverteilung im Parlament die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Vertrages verschieden bewerten.
Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein grundsätzliches Thema ansprechen, weil es, so meine ich voraussagen zu können, entscheidend dafür ist, ob es in diesem Hause wieder stärker zu jenem deutschland- und damit berlinpolitischen Konsens kommen kann, der mit der Politik der vollendeten Tatsachen 1969 so leichtfertig zerbrochen wurde. Nach dem Prager Vertrag, dem letzten der zweiseitigen Ostverträge gilt es nun, die Schlachten der Vergangenheit zwar nicht zu vergessen, aber nicht neu zu schlagen, sondern konstruktiv in die Zukunft zu schauen, d. h. zu prüfen, ob es zu einem stärkeren nationalen Konsens auf der zweifelsfreien Grundlage menschenrechtlichen Denkens kommen kann, einem Konsens, den wir als fundamentale Voraussetzung des inneren Friedens und einer überzeugenden Position nach außen so sehr brauchen.
Die Regierung hat das Wort. Die Kriterien der Opposition sind klar: uneingeschränkte Verfassungstreue auch in der Deutschland- und Berlinpolitik; Nutzung der Verträge für eine Politik der Entspannung und Völkerverständigung, die auf unwiderrufliche, nicht auf eine tropfenweise, nicht auf eine jederzeit abstellbare Verwirklichung des Menschenrechtes, auf wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit hinwirkt; Erfüllung der Ostverträge und des innerdeutschen Grundvertrages auf der Grundlage verbindlicher Auslegung, wie sie Bundestag, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht angesichts der fundamentalen Mehrdeutigkeiten der Vertragstexte beschlossen haben.
Ich habe noch einmal die Ankündigung des kommenden Kampfes um die richtige Auslegung der Ostverträge in der polnischen Presseagentur vom Januar 1972 nachgelesen, die der Kollege Kunz (Berlin) das letzte Mal hier vorgetragen hat. Dieser — vom Osten so bezeichnete — Kampf ist doch allenthalben in vollem Gange. Denken Sie nur an Berlin und Genf! Ich muß aber daran erinnern, daß Herr Wehner gerade in dieser Frage eine bemerkenswerte Rolle spielt. Ich lerinnere an seine Schwächung der deutschen Position in den Verhandlungen mit Prag. Ich erinnere an seine wiederholte Abwertung der Gemeinsamen Entschließung ab 1972. Ich erinnere an seinen Tadel für den damaligen Regierungssprecher Conrad Ahlers, als dieser im Mai 1972 die gemeinsame Entschließung als verbindliche Interpretationsregel für alle Bundesregierungen bezeichnet hat. Ich erinnere daran, daß es eine unzweideutige, positive Äußerung des Abgeordneten Wehner über die Bedeutung des Karlsruher Urteils für 'den innerdeutschen Grundvertrag noch nicht gibt. Ich erinnere daran, daß Herr Wehner hinsichtlich der westlichen Forderung nach mehr Freizügigkeit für Menschen, Informationen und Ideen zwischen Ost und West erklärt hat, diese Forderung sei unrealistisch, während der Westen — 'in den Genfer Auseinandersetzungen um den sogenannten Korb Drei — gerade um dieses Ziel ringt. Hingegen fördert Wehners Abwertung der Gemeinsamen Entschließung die sowjetische Position zum Genfer Korb Eins, die den Modusvivendi-Charakter der Ostverträge abschaffen will. Ich erinnere daran, daß er die westlichen Äußerungen zugunsten unerschrockener Männer wie Sacharow und Solschenizyn als konzertierte Aktion gegen die Sowjetunion bezeichnete. Ich erinnere an seine zahlreichen Verunglimpfungen der Opposition, wenn sie pflichtgemäß auf die praktischen Folgen der verbindlichen Auslegungstexte der Ostverträge hinwies. Ich erinnere an Herrn Wehners geradezu kämpferisches Engagement vor und während seiner bekannten Moskauer Reise gegen die Auslegung des Viermächteabkommens über Berlin, für die sich die Regierung Brandt /Scheel einsetzte.
Meine sehr verehrten Kollegen von der Koalition, ich teile, wie gesagt, die Auffassung zahlreicher Kollegen von 'verschiedenen Bänken dieses Hohen Hauses, daß wir in unserer exponierten Lage wieder zu einem stärkeren deutschland- und berlinpolitischen Konsens kommen müssen. Deshalb muß an den mächtigsten Mann im Lager der Koalition die Frage gestellt werden: Will auch der SPD-Fraktionsvorsitzende diesen Konsens? Dieser Konsens wird stärker möglich sein, wenn wir uns nicht nur an die Ostverträge, sondern auch gemeinsam nach Treu und Glauben an den Brief zurdeutschen Einheit, an die gemeinsame Entschließung, an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, an den Deutschlandvertrag halten.
Herr Wehner, ich maße mir nicht an, die Motive Ihrer deutschlandpolitischen Äußerungen und Aktionen zu beurteilen. Aber über diesen Äußerungen stand bisher und wird künftig noch aufmerksamer ganz objektiv, ganz ruhig, die Frage stehen: Cui bono?

(Abg. Dr. Marx: Sehr wahr!)




Dr. Mertes (Gerolstein)

Wem nützt es im Ergebnis, was Herr Wehner tut und sagt?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Seit Mai 1972 kann diese Frage in aller Eindeutigkeit beantwortet werden: Sie nützt objektiv — ich sage nicht: der Intention nach — der Ostberliner und Moskauer Auslegung der Verträge und des Berlin-Abkommens.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn]: So ist es! — Zurufe von der SPD: Unerhört! Pfui!)

Ihr Begriff von Realismus, Herr Wehner, begünstigt
objektiv diejenigen, die den Freiheits- und Wiedervereinigungswillen in Deutschland ersticken wollen.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das ist die reine Wahrheit, was er sagt!)

Sie werden verstehen, daß uns dies sehr, sehr zu denken gibt.
Die CDU/CSU hat im Mai 1972 die beiden ersten Ostverträge passieren lassen, weil sie sich auf das Wort der Bundesregierung verließ, maßgeblich für die künftige Auslegung der Verträge seien die völkerrechtlich wirksamen Dokumente der Bundesrepublik Deutschland, die dem Vertragswerk den Charakter des Modus vivendi, d. h. der Übergangsregelung bis zum gesamtdeutschen Friedensvertrag geben. Hier geht es nicht um Formelkram, hier geht es um zentrale deutsche Interessen, die in diesen Fragen letztlich gesamtwestliche Interessen sind. Dies müssen wir unserer Bevölkerung und unseren westlichen Partnern immer wieder klarmachen. Wir werden pflichtgemäß sehr genau darauf achten, wie die Bundesregierung ihre dem Parlament gegebene Zusicherung über die Auslegung der Ostverträge beispielsweise auf der KSZE in Genf verwirklichen wird, vor allem die einwandfreie Aufrechterhaltung der Grundsätze des Selbstbestimmungsrechts der Völker und des friedlichen Wandels, die beide nicht durch einen behaupteten Vorrang der staatlichen Souveränität und der territorialen Integrität entwertet werden dürfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das, was zu diesem Vertrag geführt hat, geschah im Jahre 1938. Es lohnt sich, daran zu erinnern, daß nach 1945 in diesem Lande alle Nachdenklichen sich gefragt haben: Wie konnte es dazu kommen? Es begann nicht am 1. September 1939 mit dem Überfall auf Polen, es begann auch nicht mit dem Münchener Abkommen und der Erpressung, der die Westmächte 1938 nachgegeben haben, der die Tschechoslowaken unter der Androhung von Gewalt nachgeben mußten: es begann am 30. Januar 1933,

(Abg. Barche: Mit dem Versagen der bürgerlichen Parteien am 1. März 1933! — Weitere Zurufe von der SPD — Gegenrufe von der CDU/CSU)

als in diesem Lande die Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit — hören Sie bitte aufmerksam zu — mit Hilfe einiger kurzsichtiger Konservativer in Frage gestellt wurden,

(erneute Zurufe von der SPD)

genauso wie sich nach 1945 in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands mit Hilfe einiger kurzsichtiger Sozialdemokraten die totalitäre Herrschaft der Kommunisten etabliert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, erinnern wir uns doch daran, daß dieses Land nach 1945 zu seinem Segen von der historischen Erkenntnis getragen worden ist, daß die unauflösliche Identität von nationalem Interesse, Freiheit in rechtsstaatlicher Ordnung und Einbettung unserer Interessen in die europäische Völkergemeinschaft der Schlüssel für unsere Zukunft ist. Alle hier vertretenen Parteien haben diese Identität doch über lange Jahre — fast wie selbstverständlich — getragen. Wir haben alle gesagt: Niemals darf auf deutschem Boden wieder Gewaltanwendung vorbereitet werden, niemals darf aber auch auf deutschem Boden wieder Rechtsstaatlichkeit und Freiheit außer Kraft gesetzt werden, und zwar im Namen keiner Ideologie, ob sie sich sozial oder national, konservativ oder progressiv motiviert. „Auf deutschem Boden" haben wir gesagt! Es war die historische wie die aktuelle Erfahrung mit der Außerkraftsetzung von Recht und Freiheit auf deutschem Boden im Namen von zwei Ideologien — einmal vor, einmal nach 1945 —, die uns zusammengeführt hat.
Meine Damen und Herren, ich mußte heute meinem Herzen Luft machen —; ich mußte endlich dem Kollegen Wehner einiges sagen, ich mußte ihn einiges fragen, was mich und viele andere bedrückt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Ich bitte die nachdenklichen Kollegen in der Koalition, zu verstehen, daß man, wenn man stärkeren Konsens braucht und will, einiges klarer sehen muß, als wir das bisher hinsichtlich des Vorsitzenden der SPD-Fraktion sagen können; zumal wir alle wissen, daß er in seinem Leben, auch in den letzten Jahren, bemerkenswerte Denksprünge vollzogen hat. Noch im Sommer 1969, nachdem Bundeskanzler Kiesinger der Sowjetunion einen Gewaltverzichtsvorschlag gemacht hatte, der dann nicht akzeptiert wurde, hat er ganz klar unsere gemeinsame Position vertreten. Über Nacht war das weg.

(Zuruf von der SPD: Was hat das mit dem Vertrag zu tun?)

Wir müssen, wenn solche Sprünge des Urteils erfolgen, bei einer solchen Vertragsberatung fragen: Wie soll das weitergehen? Wohin soll die Reise gehen?

(Abg. Dr. Czaja: Sehr gut!)

Man kann in diesem Hause — bei allem naturgemäßen Sachstreit über den besten praktischen Weg — nach unseren Erfahrungen von 1933 über 1938 bis 1945 und dann nach 1945 nur dann die Unauflöslichkeit der menschlichen, der nationalen und der europäischen Interessen des deutschen Volkes, der deutschen Demokratie, in verbindlicher Gemeinsamkeit aufrechterhalten, wenn man klar sieht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie, mir zu glauben, daß dieser Konsens eine objek-



Dr. Mertes (Gerolstein)

tive Notwendigkeit für unser Land ist und daß wir bereit sind, dieser Notwendigkeit Rechnung zu tragen. Das kann aber nur auf der Basis der Verläßlichkeit des gegenseitig gegebenen Wortes geschehen. Das Prinzip „pacta sunt servanda" gilt nicht nur zwischen den Völkern und Staaten, es gilt auch in diesem Hause.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Mattick: Pfui, Herr Mertes!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711000200
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0711000300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Mertes (Gerolstein) könnten dazu reizen, die realen Faktoren der deutschen Politik in Erinnerung zu bringen und sich mit seinen Auslegungen auseinanderzusetzen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Tun Sie es bitte! Genau darauf warte ich! — Zuruf von der CDU/CSU: Wir warten darauf!)

Ich bescheide mich mit einer Bemerkung, die das betrifft, worüber heute hier in diesem Hause entschieden werden muß, nämlich den Vertrag mit der CSSR.

(Beifall bei der SPD.)

Und da, sehr verehrter Herr Kollege, muß ich Ihnen sagen: Beim Vertrag mit der ČSSR geht es nicht, sagen wir vorsichtig: in erster Linie — ich könnte auch sagen, wenn ich die historische Entwicklung und die Gegebenheiten genau ins Auge fasse: real — um juristische oder, von manchem vielleicht so verstanden, sophistische Auslegungen der Bedeutung und der Rolle des Münchner Abkommens von 1938; es geht hier um eine einzige Frage, meine Damen und Herren von der Opposition.
Mir sagt ein Satz aus der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 mehr als alle Versuche, die eigentliche Bedeutung jenes Münchener Abkommens noch einmal und immer wieder zu deuten und zu verschleiern. Ein Satz. Ich stehe voll zu diesem Satz und habe nichts davon abzustreichen. Dieser Satz lautete: „Die Bundesregierung verurteilt die Politik Hitlers, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war."

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein]: Das gilt auch für uns! — Abg. Wagner [Trier] : Wer wäre damit nicht einverstanden?)

— Sie haben jetzt gesagt, das gelte auch für Sie. Darüber habe ich nicht zu richten.

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

— Bitte, nehmen Sie doch meine kurzen Bemerkungen zunächst einmal zur Kenntnis! — Wenn dieser Satz wahrhaftig so gemeint war — das nehme ich von denen an, die ihn damals mitformuliert und mitgetragen haben, von dem damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wie auch von den anderen, die dem Kabinett angehörten —, dann muß
er doch wohl so verstanden werden, daß die Verurteilung einer Politik, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war, auch die Absage an jede künftige Politik, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet wäre, zum Inhalt hat.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Marx: Was soll das denn? — Abg. Werner: An wessen Adresse geht denn das? Das geht doch gegen Osten, nicht an unsere Adresse!)

Das ist es, meine Damen und Herren!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Da wird Ihr Beifall weniger einheitlich sein. Das verstehe ich. Über das Münchener Abkommen können Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Staatlichkeit sehr unterschiedlich reden.

(Abg. Werner: 1968!)

— Ja nun, sicher! Wollen Sie die Leute noch einmal dafür bestrafen, was ihnen 1968 getan ist?

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) Wollen Sie sie dafür auch noch einmal bestrafen,


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

nachdem 1938 ihnen etwas getan worden ist?

(Beifall bei der SPD. — Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Das ist doch die Frage unseres politischen Verständnisses, keines anderen!

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Nein, das ist nicht die Frage!)

— Natürlich wollen Sie das!

(Anhaltender Widerspruch bei der CDU/ CSU.)

Natürlich wollen Sie das! Sie wollen sich vor allen Dingen verstecken hinter jener Schutzwehr der Pseudoargumente hinsichtlich des Münchener Abkommens und dessen, was Sie nun auch noch draufpacken in bezug auf das, was jenem Volk und Staatsverband 1968 geschehen ist. Nein, worauf ich hinaus will, ist

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Alle zu diffamieren!)

die Absage an jede Verschleierung einer Politik, die auf Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war, gerichtet ist

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Unglaublich! — Weiterre Zurufe von der CDU/CSU)

und gerichtet sein könnte.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Verleumdung! Unerhört! — Weitere lebhafte Zurufe und Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Das ist mein Credo! Sie mögen dazu lachen. Ich weiß, warum Sie lachen. Ich weiß auch, warum ich mich hier erregen muß, denn es 'bedarf in Deutschland noch jener, die dies als ihr Credo bezeichnen



Wehner
und sich nicht in den Irrgarten juridischer und sophistischer Auslegung ,hineinbegeben.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der (CDU/CSU. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Auch Hitler haßte die Juristen!)

Das, meine Damen und Herren, gehört — —

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) — Ich weiß, wo Sie zum Teil stehen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?)

Sie stehen unterschiedlich! Wir haben einander nichts vorzuwerfen. Weil ich weiß, wo ein Teil von Ihnen steht,

(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?)

tue ich Ihnen weh, wenn ich auf Ihren hohlen Zahn stoße!

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Die Frage ist, wo stehen Sie, Herr Kollege Wehner? — Gegenruf von der SPD: Wo stehen Sie, Herr Kollege Mertes?)

Nein, nein, hier gibt es eine klare Scheidung und kein Herumreden!

(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Der größte Diffamierer Deutschlands! — Zurufe von der CDU/CSU: Wo stehen wir denn?)

Ich weiß, daß Sie Ihr Ziel wahrscheinlich noch erreichen werden. Sie und Ihre Kinder werden aber
dann auch noch zu bedauern haben, daß Sie Leute

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie Sie!)

niederhetzen wollen, die aus der Vergangenheit gelernt haben.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Jetzt hetzen wir?! — Abg. Kunz [Berlin] : Unverschämtheit! — Weitere Zurufe.)

— Sie machen mir doch nicht Angst!

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das Stichwort Hetze paßt! — Unruhe.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711000400
Meine Damen und Herren! Ich bitte um etwas mehr Ruhe.

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0711000500
Ich weiß, Herr Carstens, daß einer Ihrer Ihnen sehr nahestehenden Führungskollegen Sie als „Papen-Verschnitt" bezeichnet. Ich finde, das ist nicht so schlecht.

(Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)

Lassen Sie mich zurückkommen auf die Feststellung: Dieser Satz: „Die Bundesregierung verurteilt die Politik Hitlers, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war", bedeutet eine Absage an jede Verschleierung einer Politik, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war, gerichtet ist und künftig gerichtet sein könnte. Das ist die Auffassung, wegen der unsere Fraktion zu diesem Vertrag ja sagt; und sie wird dieses Ja in namentlicher Abstimmung bekunden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich weiß, wo hier die Grenzen sind. Sie reden von Gemeinsamkeit. Aber hier gibt es — das beweist Ihr Verhalten zu dieser essentiellen Frage — offensichtlich Grenzen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711000600
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stücklen?

Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0711000700
Nein!

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Das gehört zur Stellungnahme zu diesem Vertrag mit unserem unmittelbaren Nachbarland, dessen Name Tschechoslowakische Sozialistische Republik über das, was ich gesagt habe, hinaus zeigt, daß wir es mit einem Nachbarland zu tun haben, das zum Bereich jener Länder gehört, die im Warschauer Pakt zusammengeschlossen sind. Hier geht es um ein bilaterales und um ein multilaterales Verhältnis — sehr kompliziert!
Sie haben in Ihren Zwischenrufen das Ereignis 30 Jahre nach München in Erinnerung gebracht. Das weist bei Ihnen sicher eine merkwürdige Denkweise aus. Sie streiten hier um München, ob das von Anfang an nichtig war und so weiter. Darüber können wir viel sagen. Wir können auch einige ganz zutreffende Anekdoten berichten. Zum Beispiel — das wissen Sie, Herr Mertes, wahrscheinlich genauso wie ich — hat ein Engländer dort bei Verhandlungen mal gesagt: Über die Scheußlichkeit der Verbrennung des Jan Hus sind wir uns einig; nur ginge es zu weit, wenn Sie von mir verlangen würden, ich solle erklären, sie habe nicht stattgefunden. Sie begreifen wohl den tieferen Sinn!
Um genau das geht es bei diesem Abkommen. Was Sie mit der Rederei und Schreiberei um das Abkommen wollen, ist: von dem, worauf es ankommt, abzulenken.
Eine jede von Deutschen geführte und ausgeübte Politik, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbands gerichtet war, ist und sein würde, verurteilen ich und unsere Fraktion.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Wittmann [München] : Wir auch!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711000800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kiesinger.

Dr. Kurt Georg Kiesinger (CDU):
Rede ID: ID0711000900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner, was Sie soeben gesagt haben, kann so nicht stehenbleiben. Nichts von dem, was eben von Herrn Kollegen Mertes gesagt wurde, konnte Sie zu der für mein Gefühl ungeheuerlichen Feststellung veranlassen, daß — so mußte ich Sie, ich traute meinen Ohren nicht, verstehen — die gegenwärtige Politik der CDU/CSU im Unterschied zu ihrer früheren denn das, was in meiner Regierungserklärung von



Dr. h. c. Kiesinger
1966 stand, wurde ja von der CDU/CSU voll getragen — auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet sei. Herr Kollege Wehner, irgendwo hat auch die Polemik ihre Grenzen!

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie wissen, daß ich mich immer bemühe, meinem politischen Gegner und seinen Argumenten Respekt entgegenzubringen. Aber das, was Sie uns hier gesagt haben, Herr Kollege Wehner, ist — ich muß es sagen — eine Beleidigung meiner Partei gewesen, denn wir haben genauso wie Sie den Frieden unter den Völkern, den Frieden mit unseren östlichen Nachbarn im Sinn. Was ich in jener Regierungserklärung als Beurteilung der Politik Hitlers gesagt habe, das würde ich gegen jede aggressive Politik sagen, die im Sinne hätte, etwa den tschechoslowakischen Staatsverband zu zerstören.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Frieden ist auch dann, Herr Kollege Wehner, unser Anliegen, wenn wir glauben, diesem Vertrag nicht zustimmen zu können. Herr Kollege Mertes hat gewiß kräftige, sehr ,eindrucksvolle Argumente gebracht.

(Zurufe von der SPD: Verleumdet!)

Aber haben Sie doch bitte den Mut, nicht zu überhören, daß er zur gleichen Zeit ein Angebot zum Bündnis, zur Zusammenarbeit in der Ostpolitik gemacht hat.

(Weitere Zurufe von der SPD.)

Allerdings hat er gefordert, daß man zunächst über das Klarheit schafft, was man wirklich meint und will.

(Abg. Mertes [Gerolstein]: So ist es!)

Wenn Sie uns nun so mißverstehen, Herr Kollege Wehner, wie es eben aus Ihren Worten klang — ich kann doch nicht annehmen, daß Sie das willentlich falsch gesagt haben —, dann frage ich mich, wie überhaupt in diesem Hause wieder Gemeinsamkeit in der Politik entstehen könnte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711001000
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Moersch.

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Der macht jetzt weiter!)


Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711001100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte versuchen, gerade auf das noch einmal einzugehen, Herr Kollege Dr. Kiesinger, was Sie eben gesagt haben, und was Herr Dr. Mertes am Schluß gesagt hat. Ich fürchte nur, das Finden eines Konsensus, wie man diese Politik gemeinsam betreiben könnte, wird doch schwieriger sein, als es aus Ihren Worten geklungen ist,

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Sicher ist das schwierig!)

nicht zuletzt deswegen, Herr Dr. Kiesinger, weil wir
doch wohl die Pflicht haben, diese Debatte über den
Prager Vertrag insgesamt zu werten. Wir haben dabei auch die Beiträge mit zu berücksichtigen, die Ihre Kollegen in der ersten Lesung für die CDU/CSU hier gegeben haben, und die auch — sie liegen ja schriftlich vor — jüngst außerhalb des Hauses von Sprechern der CDU/CSU-Fraktion, von Abgeordneten, die als Sprecher ihrer Fraktion vor allem im Auswärtigen Ausschuß aufgetreten sind, gegeben worden sind.
Lassen Sie mich deshalb — aber nicht etwa, wie die Zurufer eben gemeint haben, in einer polemischen Form — noch einmal versuchen, den Standpunkt der Bundesregierung zu dieser Politik darzulegen. Vielleicht können wir dann bei der nächsten Debatte, wenn die Emotionen etwas abgeklungen sind, uns in Ruhe über einige Punkte neu auseinandersetzen.
Ich meine jedenfalls, meine Damen und Herren von der Opposition, im Verlauf dieser Debatte sei deutlich geworden — das kann nach den vorausgegangenen Diskussionen allerdings kaum mehr überraschen —, daß die Gegensätze im Deutschen Bundestag in der Frage des Prager Vertrages heute und in der nahen Zukunft jedenfalls nicht zu überwinden sind. Das haben Ihre Sprecher gestern abend noch einmal bekräftigt. Aber, meine Damen und Herren, es ist auch deutlich geworden, daß maßgebliche Vertreter der Opposition, wie ich meine, andere Beurteilungskriterien anwenden, als es die Mehrheit des Hauses tut und als es die Bundesregierung gemäß ihrer Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland tun muß.
Für die gesamte Politik, die die sozialliberale Koalition seit 1969 verwirklicht hat, war nie zweifelhaft, daß die Bewahrung der Sicherheit, die Bewahrung des Friedens eine vorrangige Aufgabe darstellt. Unsere Westpolitik und unsere Ostpolitik sind von dieser Maxime gleichermaßen bestimmt. Und die Kritiker dieser unserer Politik sollten dabei doch vor sich selbst einmal eingestehen: Im Atomzeitalter, in unserer Epoche des Wettkampfes der Systeme gibt es eine erfolgversprechende Politik der Friedenserhaltung überhaupt nur, wenn man zu Regelungen gelangt, die einen Modus vivendi zwischen Staaten und Staatengruppen herbeiführen. Und das ist die Grundlage unserer Überlegungen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist eine richtige Überlegung!)

Die wiederum bedeutet, daß in Verträgen und Vereinbarungen — Herr Dr. Mertes, und da komme ich zu Ihnen — all die Fragen unbeantwortet bleiben müssen, die wegen der gegensätzlichen Positionen der möglichen Partner nicht oder jedenfalls noch nicht lösbar sind. Umgekehrt muß man aber alle Versuche unternehmen, die Fragen zu regeln, die heute geregelt werden können. Nur so kann Mißtrauen abgebaut werden, und nur auf diese Weise kann der Versuch gemacht werden, im Laufe der Zeit weitere Fragen zu regeln. Noch auf lange Zeit wird man Mißtrauen abbauen müssen, das sich im Verlaufe einer sehr langen und schmerzlichen Geschichte angehäuft hat. Am sichersten aber wird dieses Mißtrauen durch Zusammenarbeit überwunden werden können.



Parl. Staatssekretär Moersch
Wer jedoch, meine Damen und Herren von der Opposition, glaubt, Politik bestehe darin, daß man den eigenen Staat in den Mittelpunkt der Geschichte stellt und daß sich alles andere um diesen Staat und seine Interessen herumgruppieren muß, der wird am Ende sehr wenig Erfolg beim Versuch der Friedenssicherung haben.

(Abg. Dr. h. c. Kiesinger: Wer tut das denn?)

Wir müssen bereit sein, uns in die Fragestellungen und in die Interessen der Nachbarn, der Partner hineinzudenken; wir müssen durch Abwägen der eigenen und der anderen Interessen eine zukunftsorientierte Politik formulieren.
Ich meine, es dürfte einigen Sprechern der Opposition entgangen sein, ,daß alle Verträge, die seit dem Zweiten Weltkrieg zwischen Ost und West geschlossen worden sind, an den grundsätzlichen Positionen der einen und der anderen Seite nichts geändert haben und auch nichts ändern konnten. Dies gilt — ich betone es — nicht nur für die Verträge, die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Staaten des Warschauer Paktes geschlossen worden sind; dies gilt z. B. auch für das Abkommen der Vier Mächte über Berlin, über das wir gestern hier gesprochen haben. Dieses Abkommen beschränkt sich auf die Tatbestände und auf die Prinzipien, über die es zwischen Ost und West keine grundsätzlichen Meinungsunterschiede gibt.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : In diesem Punkte haben Sie recht!)

Aber es hat sich dennoch und vielleicht gerade deswegen, Herr Dr. Mertes, als nützlich erwiesen, nämlich als nützlich für Berlin, für die Entwicklung der europäischen Politik und für die Sicherung des Friedens in Europa.
Wer die These vertritt — und ich meine, das geschieht von Ihrer Seite immer wieder —, nur solche Verträge zwischen Ost und West seien akzeptabel, die umfassende Regelungen bringen, der muß sich doch fragen lassen, ob er überhaupt eine Politik des Modus vivendi zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsordnung für möglich hält,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist nicht unsere These!)

und der muß sich dann auch zu den Konsequenzen einer solchen ablehnenden Haltung bekennen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Das ist nicht unsere These!)

— Herr Dr. Mertes, ob das Ihre These ist oder nicht: Ihre Argumentation läuft in der Praxis genau darauf hinaus; das müssen Sie sich selbst einmal eingestehen.
Die Bundesregierung hat den Prager Vertrag unterschrieben, weil er geeignet ist, eine friedliche Entwicklung zu fördern. Die Argumente, die die Opposition gegen diesen Vertrag ins Feld führt, sind wenig überzeugend, ja, sie sind zuweilen sogar höchst unpolitisch, weil sie jeden Realitätssinn vermissen lassen; ganz abgesehen davon, daß einigen dieser Argumente unkorrekte Tatsachenbehauptungen zugrunde liegen. Ich habe das gestern an mehreren Beispielen dartun können, und der Bericht des Abgeordneten Heck böte dazu noch reichlich Anlaß.
Da wurde z. B. im Verlauf dieser Auseinandersetzung behauptet, wir hätten mit diesem Vertrag die Beschlüsse der Karlsbader Konferenz der Warschauer-Pakt-Staaten vom April 1967 akzeptiert. Wer dies behauptet, bleibt einfach den Beweis schuldig, ja, er muß sich vorwerfen lassen, den vollen Wortlaut dieser Erklärung von Karlsbad nicht zu kennen. Sicherlich enthalten die Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit den Staaten Osteuropas einige Elemente, die auch in der Karlsbader Erklärung zu finden sind. Warum auch nicht? Was sollte denn dagegen eingewendet werden, daß in dieser Erklärung der Verzicht auf die Anwendung und Androhung von Gewalt in den gegenseitigen Beziehungen verlangt wird?

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : In der Tat nichts!)

Oder wer hätte etwas gegen die Verpflichtung — ich zitiere —, „die Lösung aller strittigen Probleme ausschließlich mit friedlichen Mitteln herbeizuführen"?

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Nicht nur wir, auch alle unseren Verbündeten bekennen sich zu diesen Prinzipien.

(Zuruf des Abg. Dr. Wittmann [München].)

Was aber in den von uns geschlossenen Verträgen fehlt, sind alle Forderungen der Konferenz von Karlsbad, die sich gegen die innenpolitische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland richten und die die Sicherheit des westlichen Bündnisses verringern könnten. Der Prager Vertrag enthält auch nicht die Forderung, die in Karlsbad zum Münchener Abkommen erhoben worden ist.

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Das ist eben die Frage!)

Dazu wurde hier schon im einzelnen ausführlich Stellung genommen. Wenn Sie anders argumentieren, argumentieren Sie einfach am Vertragstext und seinem Inhalt vorbei. Wir haben in dem Vertrag — das möchte ich noch einmal betonen — nicht die Position der anderen Seite, daß das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 an ungültig sei, übernommen,

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Aber augenzwinkernd toleriert!)

sondern im Vertrag die Gesichtspunkte wirksam werden lassen, die für die künftigen Beziehungen von Bedeutung sind. Meine Damen und Herren von der Opposition, dem Inhalt nach — das haben auch Kritiker, die Ihrer Partei angehören, längst festgestellt — bedeutet das doch nichts anders als das, was Bundeskanzler Erhard schon am 11. Juni 1964 in New York gegenüber einer unruhig gewordenen westlichen Offentlichkeit als unseren Standpunkt zum Münchener Abkommen dargelegt hat.
In den Reden der Opposition ist aber wiederholt souverän über die Tatsachen hinweg diskutiert worden. Ich möchte mich hier mit der von einem Kollegen der Opposition getroffenen Behauptung aus-



Parl. Staatssekretär Moersch
einandersetzen, der Vertrag gehe zu Lasten der unterdrückten Völker des Ostens. Den Beweis dafür ist die Opposition vollständig schuldig geblieben. Glaubt denn die Opposition ernsthaft, diese Völker wünschten die Abschließung von ihren westlichen Nachbarn? Ist es nicht vielmehr so, daß eben diese Völker des Ostens über jede menschliche Begegnung froh sind, die sie hier mit Freunden und Verwandten künftig haben können? Es dürfte doch wohl auch den Mitgliedern der Opposition nicht verborgen geblieben sein, daß dieser auf die Zukunft gerichtete Vertrag für die Völker vorteilhafte Wirkungen hat und daß er auch von den Tschechen und Slowaken begrüßt wird — Sie können die einzelnen ja fragen —, die sich etwa aus politischen Gründen seit 1968 oder 1969 in unserem Land oder in westlichen europäischen Ländern aufhalten. Hier gibt es auf tschechischer Seite gar keinen Unterschied in der Bewertung zwischen denen, die in der Tschechoslowakei sind, und denen, die hier leben.
Die Bundesrepublik Deutschland hat nach dem zweiten Weltkrieg unter Bundeskanzler Konrad Adenauer im Verhältnis zu ihren westlichen Nachbarn ein hohes Maß an Realitätssinn entwickelt. Sie hat sich bei aller Respektierung bestimmter geschichtlicher Vorgänge dabei nicht, wie nach dem ersten Weltkrieg so oft geschehen, in der Geschichte verloren, indem sie sie umzudeuten versucht hat. Die realistische Einschätzung unserer Interessen und unserer Möglichkeiten hat damals alsbald zu einer positiven Haltung unserer westlichen Nachbarn gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geführt.
Nun wird doch niemand bestreiten, daß im Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn Hindernisse ganz anderer Art bestehen, als sie im Verhältnis zu unseren westlichen Nachbarn vorhanden waren. Es wird aber auch niemand bestreiten können, daß der zweite Weltkrieg, den eine Regierung des Deutschen Reiches ausgelöst hatte, die Staaten und Völker Osteuropas einschließlich der dort lebenden Deutschen am stärksten getroffen hat. Weil die Erhaltung des Friedens für uns alle diesen hier bereits betonten Vorrang haben muß, war es die Aufgabe der sozialliberalen Koalition, die Westpolitik der Bundesrepublik Deutschland durch eine aktive Ostpolitik zu ergänzen. Dabei ist — dies möchte ich hier noch einmal ausdrücklich feststellen — in keinem einzigen Fall in einem Vertrag irgendein Zugeständnis gemacht worden, das die Freiheit und Sicherheit unseres Landes einschränken oder mindern könnte. Es ist kein Zugeständnis gemacht worden, das die Existenz unseres Bündnisses und unserer westeuropäischen Gemeinschaft auch nur im mindesten gefährden könnte. Die NATO-Erklärung von Ottawa weist dies, wie ich glaube, noch einmal sehr deutlich aus: Unsere Politik befindet sich in voller Übereinstimmung mit dem gesamten westlichen Bündnis. Das gilt auch und ganz besonders für den Vertrag, der hier zur Abstimmung steht.
Es scheint, daß die Kritiker gerade des Prager Vertrages die Bedeutung geregelter Beziehungen und eines ständigen diplomatischen Kontakes zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR erheblich unterschätzen. In der Zeit der Konfrontation hatte die Bundesrepublik Deutschland für die Staaten des Warschauer Paktes lange Zeit die Funktion eines — lassen Sie es mich einmal so sagen — Schreckgespenstes. Es mußte zur Rechtfertigung bestimmter innen- und außenpolitischer Positionen — nicht zuletzt in der Tschechoslowakei — dienen. Meine Damen und Herren von der Opposition, es ist sicherlich kein Zufall gewesen, daß die Haltung der tschechoslowakischen Regierung seit dem Sommer 1964 uns gegenüber besonders starr gewesen ist, was das Münchener Abkommen betrifft; denn im Frühjahr 1964 hatte der damalige Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft auf dem Pfingsttreffen erklärt, nach seiner Auffas'sun'g sei das Münchner Abkommen nach wie vor gültig.

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Hat er nicht! Wo steht das?)

— Das habe ich aus einschlägigen Archiv-Unterlagen entnommen, Herr Dr. Wittmann, vielleicht prüfen Sie das einmal. Wenn Sie behaupten, Herr Seebohm habe das nicht erklärt, dann sagen Sie, Herr Erhard habe eine falsche Erklärung in New York abgegeben.

(Abg. Dr. Wittmann [München] : Nein! Nein! Nein!)

Dann müssen Sie auch die entsprechende Konsequenz aus Ihrer Behauptung ziehen.
Diese Äußerung, die — wie schon erwähnt — Bundeskanzler Erhard am 11. Juni 1964 in New York zurückwies und als nicht verbindlich für die Bundesregierung erklärt hat, wurde dennoch von den entschiedenen Gegnern einer Verständigung mit der Bundesrepublik Deutschland bisher als eine scharfe Waffe genutzt und gegen die Anhänger einer Politik der Zusammenarbeit mit Bonn in Reserve gehalten. Die Gegner einer Verständigungspolitik sind im Osten zwar leiser geworden, aber sie sind noch vorhanden. Wir sollten es ihnen nicht zu leicht machen, meine Damen und Herren von der Opposition, vor allem nicht dadurch, daß von unserer Seite immer wieder Argumente für die Entspannungsgegner geliefert werden.
Die Bundesregierung weiß sich in ihrer politischen Grundhaltung gegenüber Osteuropa völlig einig mit allen ihren westlichen Bündnispartnern. Gerade diese Bündnispartner erwarten von ihr, daß sie einen konstruktiven Beitrag zur Erhaltung des Friedens in Europa leistet. Eine rückwärts gewandte Politik könnte dies niemals tun. Wir haben uns an der Zukunft zu orientieren. Wenn wir bei diesem Vertrag in die Geschichte blicken, um aus ihr Lehren zu ziehen, dann sollte auch nicht vergessen werden, was der Historiker Ludwig Dehio im September 1951 zur Haltung der Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg in einem Vortrag gesagt hat; ich zitiere:
Wir Deutschen wollten die Binde nicht von den Augen nehmen, uns nicht trüben lassen die große Erinnerung, uns nicht rauben lassen die Hoffnung auf Wiederherstellung. So durfte es bei der Katastrophe nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.



Parl. Staatssekretär Moersch
Es wäre nicht gut, wenn in der Weltöffentlichkeit von solchen Debatten wie heute der Eindruck zurückbliebe, die Deutschen seien auch 1974 noch nicht in der Lage, ihren Platz in der europäischen Kräftekonstellation richtig zu erkennen und richtig einzuschätzen, und sie seien vor allem nicht in der Lage, die Ursachen der eigenen Katastrophe zu begreifen. Nur eine friedliche Entwicklung sichert unsere Zukunft. Dieser Vertrag ist ein Beitrag zum Frieden in der Zukunft. Deshalb bitte ich die Abgeordneten der Opposition, sich noch einmal zu überlegen, ob ihr Nein wirklich zu rechtfertigen sein wird.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711001200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx.

Dr. Werner Marx (CDU):
Rede ID: ID0711001300
Herr Präsident, meine Damen und Herren, namens der Fraktion der CDU/ CSU muß ich zunächst wiederum darauf hinweisen und rügen, daß auch bei der Schlußlesung dieses Vertrages die Regierungsbank, was die Bundesminister anlangt, ab 9 bis zumindest 10 Uhr nahezu vollständig leer geblieben ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Bundesaußenminister, wir wissen, daß Sie in Ottawa waren, und diese Rüge gilt — ich sage das ausdrücklich - nicht Ihnen persönlich. Aber das Bundeskabinett hat vereinbart, daß Bundesminister sich gegenseitig vertreten. Ich denke, diese Vereinbarung gilt nicht nur für die Kabinettsarbeit, sondern auch gegenüber dem Deutschen Bundestag. Ich wäre, meine Damen und Herren, ohnehin dankbar, wenn sich nach der Sommerpause sowohl in der Regierung als auch bei den Kollegen aus der Koalition im Ältestenrat wieder der Gedanke durchsetzen würde, daß die aufeinandergehäuften Termine, die Notwendigkeit, in den Ausschüssen und hier im Hause oft unter schwerstem Zeitdruck wichtige Probleme abhandeln zu müssen, abgestellt werden und wir wieder zu einer normalen, dem Ernst der Dinge angemessenen Art der Behandlung zurückkehren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist heute schon einmal vom Kollegen Mertes gesagt worden, er wolle aus seinem Herzen keine Mördergrube machen. Ich muß Ihnen sagen: Ich halte es nachgerade für unangemessen und unwürdig, wie dieses Haus und wie die Regierung die Angelegenheiten dieses Hauses in den letzten Monaten behandelt hat. Ich hoffe, daß wir daraus unsere Schlüsse ziehen und nach den Ferien hierin eine Besserung eintreten lassen.
Lassen Sie mich zu der gestrigen Debatte nur drei Anmerkungen machen, weil die Zeit knapp bemessen ist.
Die erste Anmerkung, Herr Kollege Bahr, gilt Ihnen. Sie hatten gestern die gewiß undankbare Aufgabe, ein Vertragswerk verteidigen zu müssen, das zwar mit Ihrem Namen immer verbunden bleibt, das aber als Mitglied des Kabinetts weiterzuverfolgen, Ihnen nun ausdrücklich versagt ist. Ich habe mich gefragt, weshalb Ihre Fraktion Sie in diesem
Augenblick hierhergeschickt hat, da es doch offenkundig ist, daß der neue Bundeskanzler die Verfolgung dieser Politik — durch Sie im Kabinett vertreten — gar nicht will.
Zweitens, Herr Kollege Bahr! Sie haben wiederum die Ostverträge mit jenen Verträgen verglichen, die 'Adenauer im Westen abgeschlossen hat. Sie haben das schon öfters getan. Aber Sie müssen wissen, daß der Vergleich dieser Verträge — was ihre Qualität, was ihre historische Bedeutung und was ihren freiheitlichen Inhalt anlangt — ganz und gar unzulässig ist.
Die CDU/CSU-Fraktion legt erneut Wert auf die Feststellung, daß die Westverträge nicht unausgewogen, nicht mehrdeutig, nicht mit Widersprüchen belastet waren. In ihnen waren die deutschen Interessen gewahrt, ja, sie sind in ihnen ausdrücklich verteidigt worden. Die Westverträge sind frei und ohne jeden selbstgewählten inneren Druck mit demokratischen Partnern ausgehandelt worden, die meinten, was sie sagten und was sie dann auch unterschrieben haben. Die Westverträge haben Freiheit und Frieden in unserem Lande und für unser Volk gesichert.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bahr! Wenn Sie an diesen Kriterien, die jedermann nachprüfen kann, Inhalt und Bedeutung der von Ihnen mit konstruierten Ostverträge messen, dann läßt sich allerdings Ihr ominöser Hinweis auf Herrn Goebbels wiederholen. Selbst dessen propagandistische Mundfertigkeit würde es nicht fertigbringen, die vorliegenden Tatsachen anders darzustellen, als sie wirklich sind.
Ein zweites Wort möchte ich an den Herrn Kollegen Ronneburger richten. Herr Kollege Ronneburger, Sie haben gestern aus meiner ersten Rede zu diesem vorliegenden Vertrag zitiert. Aber Sie haben mich nicht vollständig zitiert. Meine Feststellung, daß hinsichtlich des Münchener Abkommens eine alte Moskauer Forderung bestehe, zugespitzt auf die Formulierung, das Münchener Abkommen sei durch das nationalsozialistische Regime unter Androhung von Gewalt — womit ich den Vertragsinhalt zitiere — aufgezwungen worden, halte ich nach wie vor unter der erklärenden Beifügung der auch damals ausgeführten nachfolgenden Sätze aufrecht. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten möchte ich noch einmal auf den wichtigsten Teil eingehen:
Niemand unter uns wird die Politik Hitlers und all seine Verbrechen verniedlichen wollen. Trotzdem gilt in dieser Sache, über die wir jetzt verhandeln, daß die Präambel des Vertrages z. B. verschweigt, daß in den Friedensverträgen nach dem Ersten Weltkrieg den Sudetendeutschen das Selbstbestimmungsrecht gegen alle Zusicherung verweigert worden war, und daß das Münchener Abkommen gerade unter diesem Gesichtspunkt auch von Großbritannien, Frankreich, Italien, ja, von weiten Teilen der Weltöffentlichkeit, übrigens auch vom Völkerbund, zunächst akzeptiert worden war.



Dr. Marx
Ich bitte, dies und die nachfolgenden Sätze noch einmal nachzulesen, weil es im Kontext ganz eindeutig und klar wird, was gemeint ist. Und ich bitte Sie, Herr Kollege Ronneburger, daraus nicht Schlußfolgerungen zu ziehen, die ich als verletzend und als völlig an der Sache vorbeigehend empfinden muß.
Lassen Sie mich bitte noch eine dritte Bernerkung machen. Der Kollege Hofmann hat gestern den verstorbenen Kollegen Wenzel Jaksch zitiert und versucht, daraus gegen einen Teil der Fraktion — wie er sich ausdrückte — und gegen den Kollegen Becher Munition zu ziehen. Hierzu möchte ich mich auf eine Veröffentlichung eines alten — wenn ich es richtig weiß — in Schweden lebenden Sozialdemokraten, nämlich Karl Richard Kern, beziehen. Er zitiert in einem Rundbrief eine Rede, die Wenzel Jaksch bei einem Treffen der deutschen Heimatvertriebenen im Jahre 1966 hier in Bonn gehalten hat.
Herr Präsident, ich bitte um Erlaubnis, diese Sätze noch einmal vortragen zu dürfen, weil ich z. B. meinerseits viele Gespräche nicht vergessen kann, eine Reise nicht, die wir damals, im Herbst 1966, mit der Südosteuropa-Gesellschaft gemacht haben, an der der Kollege Ertl für die FDP, der Kollege Jaksch für die SPD und ich für die CDU teilgenommen haben. In erinnere mich an vieles, und zwar mit Bewegung, was wir damals miteinander besprochen haben. Jaksch sagte damals — ich zitiere —:
Moskau nennt uns als den Preis des Friedens die Anerkennung der Dreiteilung Deutschlands und der Spaltung Europas. Das bedeutet, wir sollen die Berliner Mauer anerkennen, die Stacheldrähte im Herzen Deutschlands, die Minenfelder an der bayerisch-bömischen Grenze. Kein kommunistischer Gesprächspartner bietet uns etwa die Wiedervereinigung bis zur Oder-Neiße gegen den Verzicht auf Ost-Deutschland an. Und wofür soll man denn das 'Heimatrecht der Sudetendeutschen hingeben? Manche Kreise geben sich der Hoffnung hin, solche Vorleistungen würden es den betreffenden Völkern erleichtern, sich von den kommunistischen Regierungen zu trennen. Andere Ratgeber meinen, die Satelliten würden sich leichter von Moskau lossagen, wenn wir ihnen zuvor die Rechtmäßigkeit der Austreibung bestätigten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Wir würden durch eine Anerkennung der Eroberungen Stalins nur die Teilung Europas besiegeln. Wir würden vor dem Einbruch der Unmenschlichkeit in die Völkerbeziehungen kapitulieren.
So weit, meine Damen und Herren, ein Zitat, von dem ich glaube, daß es, am heutigen Tage noch einmal vorgetragen, seine Bedeutung haben wird.
Nun lassen Sie mich namens der CDU/CSU-Fraktion zusammenfassend erklären, wie wir den vorliegenden Vertrag bewerten und beurteilen.
Erstens. Die Fraktion der CDU/CSU tritt für eine Politik dauerhafter, wirklicher Verständigung mit unseren östlichen Nachbarvölkern ein, für gute, förderliche Beziehungen zum benachbarten Staat der Tschechen und Slowaken. Die Fraktion der CDU/CSU will diese Beziehungen gegründet wissen auf eindeutigen Gewaltverzicht, Verwirklichung der Menschenrechte, unbehinderte Begegnung der Menschen beider Staaten und umfassenden Austausch kultureller, wirtschaftlicher und technischer Güter.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zweitens. Der deutsch-tschechoslowakische Vertrag vom 11. Dezember 1973 ist keine geeignete Grundlage zur Herstellung solcher Beziehungen. In ihm sind, wie in allen Ostverträgen, Leistung und Gegenleistung nicht ausgewogen. Die Forderungen der tschechoslowakischen Seite sind, wenn auch mit veränderten Formulierungen, im Vertrage selbst, die Forderungen der Bundesrepublik Deutschland nur sehr unzulänglich in Briefwechsel und Randpapieren außerhalb des Vertrages festgelegt. Der Vertrag regelt wesentliche Probleme überhaupt nicht. Einen gemeinsamen „Geist" des Vertragswerkes gibt es auch bei Anwendung der gleichen „Buchstaben" leider nicht. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat hier wiederholt zugegeben, daß im Vertrag selbst in einer entscheidenden Frage, nämlich ob das Münchener Abkommen „nichtig" sei und was denn die Anwendung dieses Wortes bedeute, ein fundamentaler Gegensatz formuliert sei. Unklare und mehrdeutige Textstellen erlauben es daher heute schon tschechoslowakischen Politikern und vielen offiziellen Kommentatoren, eine der deutschen Auffassung entgegengesetzte Interpretation der wichtigsten Vertragsbestimmungen zu behaupten.
Deshalb lehnt die Fraktion der CDU/CSU diesen Vertrag ab.
Wir legen Wert auf die Feststellung, daß vollzogene, gültig zustande gekommene Verträge nicht nachträglich als „von Anfang an ungültig" bezeichnet werden können.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolsteinj: Sehr richtig!) Keine Regel des Völkerrechts läßt so etwas zu.


(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : So ist es! — Beifall bei der CDU/CSU.)

Drittens. Das Nein der CDU/CSU-Fraktion wendet sich auch gegen die verengte und damit verfälschte geschichtliche Darstellung im Vertrag selbst, durch welche die Ursachen, die zum Münchener Abkommen vom 29. September 1938 geführt haben, unvollständig, einseitig und daher ungerecht dargestellt werden.
Viertens. Die von der Bundesregierung gegebene Auslegung des Art. I, wonach das sogenannte Münchener Abkommen lediglich künftig in den gegenseitigen Beziehungen als nichtig zu betrachten sei, wird bereits jetzt von der tschechoslowakischen Seite mit dem immer wiederholten Hinweis, durch diesen Vertrag sei die Nichtigkeit des Münchener Abkommens von Anfang an festgelegt worden, in einer unseren Interessen eindeutig zuwiderlaufenden Weise behandelt. Der Sinn eines völkerrechtlichen Vertrages besteht doch darin, gemeinsame Auffassungen und Festlegungen in der Form einer



Dr. Marx
schriftlichen Vereinbarung zu fixieren. Dieser Sinn aber wird dort in sein Gegenteil verkehrt, wo ein angeblicher Normalisierungsvertrag in der strittigen Kernfrage entgegengesetzte Interpretationen des Vertragspartners nicht nur ermöglicht, sondern sie von vornherein einkalkuliert. Statt ein Beitrag zur friedlichen Regelung zu sein, wird ein solcher Vertrag die Quelle neuer Konflikte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Fünftens. Art. II des Vertrages klärt nicht eindeutig, daß alle nachteiligen Folgen aus den vertraglichen Regelungen zum Münchener Abkommen ausgeschlossen sind. Art. II Abs. 1 stellt nicht klar, daß zwischen 1938 und 1945 unbestritten die deutsche Rechtsordnung 'in den von den Gebietsregelungen des Münchener Abkommens betroffenen Gebieten galt und auch in Zukunft noch als seinerzeit geltendes Recht betrachtet wird. Art. II Abs. 2 stellt die bisherigen Staatsangehörigkeitsprobleme nicht außer Streit und droht, die Möglichkeit zu verringern, Deutschen aus der Tschechoslowakei Rechtsschutz zu gewähren. Art. II Abs. 3 schließt die bisher von der Tschechoslowakei ,erhobenen finanziellen Ansprüche nicht aus, obwohl die Bundesrepublik Deutschland in den politischen Aussagen des Vertrages der Tschechoslowakei sehr weit entgegengekommen ist.
Sechstens. Der Briefwechsel über die Regelung humanitärer Fragen enthält keine inhaltlich verpflichtende Regelung der Ausreisemöglichkeit für Deutsche aus der CSSR unter Wahrung der Rechte der Menschen und Volksgruppenrechte der Deutschen, die in ihrer Heimat verbleiben wollen.
Siebtens. Der Brief der Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik über Fragen der Strafverfolgung enthält die weitere Vertretung des tschechoslowakischen Standpunktes, daß nämlich zwischen 1938 und 1945 über Personen und Gebiet die Tschechoslowakei eine Strafhoheit besessen habe. Er bringt für die Betroffenen hinsichtlich der Verfolgbarkeit von Handlungen in diesem Zeitraum oder der Vollstreckung von Urteilen nicht die wünschenswerte Klarheit.
Achtens. Die Ablehnung der CDU/CSU-Fraktion gründet sich auch und insbesondere auf die Tatsache, daß die Bundesregierung den Abschluß des vorliegenden Vertrages eben nicht dazu benutzt hat, die Aufnahme voller konsularischer Befugnisse für die künftige deutsche Botschaft in Prag bei allen Westberliner Angelegenheiten sicherzustellen.
Neuntens. Mit keinem Wort geht der Vertrag auf die schwerwiegenden Völkerrechtsverletzungen der Vergangenheit, die wir auch in der Enteignung und Vertreibung der Deutschen aus Böhmen, aus Mähren, aus dem Sudetenland und aus Schlesien sehen, ein. Die CDU/CSU-Fraktion stellt ausdrücklich fest, daß der Vertrag nicht so ausgelegt werden kann, als ob die Vertreibung und die damit verbundenen Unmenschlichkeiten und Folgen legitimiert, d. h. berechtigt, und/oder legalisiert, d. h. endgültig geregelt werden könnten.

(4 nach Auffassung meiner Fraktion dahin gehend ausgelegt werden, daß das Recht auf Selbstbestimmung und Heimat, auch der Sudetendeutschen, sowie die Verwirklichung der Grundund Menschenrechte Deutscher beeinträchtigt wird. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, gegenüber allen Staaten, mit denen wir diplomatische Beziehungen pflegen, klarzustellen, daß durch diesen Vertrag die bisherige Rechtslage nicht verändert werde, insbesondere auch nicht in bezug auf die Staatsangehörigkeit oder die vermögensrechtliche Position der Betroffenen. Wir wollen eindeutig klarstellen — und denken, daß die Bundesregierung das ebenfalls tut —, daß mit der Forderung nach dem Recht auf Selbstbestimmung und dem Recht auf Heimat der Sudetendeutschen keine Grenzänderungsforderungen der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind. Elftens. Die Fraktion der CDU/CSU bittet die anderen Fraktionen dieses Hauses und die Bundesregierung um Mitwirkung bei der Feststellung, daß der Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. Juli 1950 weiterhin gilt, jener Beschluß, in welchem feierlich Einspruch erhoben wird gegen die Preisgabe des Heimatrechtes der in die Obhut der Bundesrepublik Deutschland gegebenen Deutschen. Schließlich weisen wir noch einmal mit allem gebotenen Nachdruck darauf hin, daß für uns — ich nehme noch einmal auf, was Herr Kollege Mertes vorhin sagte — die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages zu den Ostverträgen vom 17. Mai 1972, die ein Dokument der Bundesrepublik Deutschland geworden ist, uneingeschränkt gilt ebenso wie der ganze Text mit allen Begründungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31. Juli des vergangenen Jahres. Das sind, meine Damen und Herren, kurz zusammengefaßt Argumente und Beurteilungen des vorliegenden Vertrages mit der CSSR durch die Opposition in diesem Hause. Herr Kollege Bahr hat gestern für die Koalitionsfraktionen die namentliche Abstimmung beantragt. Die Fraktion der CDU/CSU beantragt ebenfalls namentliche Abstimmung. Das Wort hat der Abgeordnete Mattick. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte eine Vorbemerkung an Herrn Mertes richten. Nachdem Herr Wehner selbst schon geantwortet hat, liegt mir nur daran, Ihnen folgendes zu sagen. Mit dieser abgelesenen Rede, in der kein Wort spontan, sondern jedes Wort wohl überlegt war, mit Ihren Bemerkungen gegen unseren Fraktionsvorsitzenden haben Sie einiges dazu getan, was die Spannungen in diesem Hause vergrößert und das Mattick vernünftige Verhältnis in der Ausschußarbeit sehr gefährden wird. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Marx: Fragen Sie mal Herrn Wehner, wer hier die Spannungen vergrößert hat!)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711001400
Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711001500

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Ja!)




Meine Damen und Herren, Sie haben die Forderung gestellt, wir sollten einmal eine Antwort auf Ihre Darstellung der Entwicklung geben. Ich möchte das jetzt tun. Es ist ja der letzte Vertrag, der nun zur Debatte und zur Abstimmung steht. Viele Reden sind hier über die gesamte Vertragspolitik und über die Vergangenheit gehalten worden. Ich glaube, es ist in diesem Moment an der Zeit, Ihre Frage zu beantworten: Was haben wir getan, was haben Sie getan?

(Abg. Werner: Das ist nicht die Antwort auf die Frage!)

Ich denke da zurück an die Jahre, in denen Sie nichts getan haben, und möchte damit anfangen. Wir, die sozialdemokratische Fraktion, haben 1958 einen Antrag gestellt — die FDP hat den Antrag unterstützt —, in dem es heißt:
Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht,
mit der polnischen Regierung in Besprechungen über die Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Polen einzutreten.
Das war damals eine Situation, in der das sicher leichter gewesen wäre.
Dieser Antrag wurde dem Ausschuß überwiesen; es gab zwei Berichterstatter: Herrn von Guttenberg und Herrn Professor Meyer. Herr von Guttenberg hat die Ablehnung dieses Antrages durch die Mehrheit begründet. Daraufhin gab es in dem Ausschuß eine Auseinandersetzung. Dann hat die sozialdemokratische Fraktion einen weiteren Antrag gestellt, in dem es heißt, sie wünsche einen Unterausschuß zu bilden, in dem die Lage der Deutschen in allen Ostgebieten untersucht werde und in dem Schlußfolgerungen aus der unsicheren Lage gezogen würden, in der wir uns gegenüber dem Osten befänden.
Ich darf daran erinnern, daß die Sozialdemokratische Partei damals, nach dem Chruschtschow-Ultimatum, die Ostblockländer und Jugoslawien bereist hat. Das war für die sozialdemokratische Fraktion gar keine einfache Sache, als Oppositionspartei einen Schritt zu tun, den eigentlich die Regierung hätte tun müssen. Wir sind zurückgekommen und haben damals gesagt: In diesen Ostblock-Ländern wird das Bild der Bundesrepublik vom „Neuen Deutschland" und von der Propaganda der SED geprägt, es gibt überhaupt keine Vertretung in diesen Ländern,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Genau das hat Herr Schröder in China gemacht! Die Regierung hätte es tun sollen, und die Opposition hat es gemacht!)

und wir haben damals beantragt: Die Bundesregierung wird ersucht, die Fragen des Verhältnisses der Bundesrepublik zu allen osteuropäischen Staaten erneut zu überprüfen und durch eine möglichst baldige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu einer dauerhaften, konstruktiven Zusammenarbeit mit ihnen zu gelangen.
Zusätzlich haben wir den Antrag auf Einsetzung des Ausschusses gestellt. Und ich darf daran erinnern: Ich bin der letzte hier im Hause, der an der Arbeit des Jaksch-Ausschusses beteiligt war. Meine Damen und Herren, bei dieser Untersuchung, die der Jaksch-Ausschuß hier im Hause vorgenommen hat, haben wir in 19 Sitzungen die Lage der Deutschen in den Ostgebieten und das Verhältnis zu den östlichen Ländern geprüft.

(Unruhe.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711001600
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um mehr Aufmerksamkeit für den Redner.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711001700
Wir haben alle Landsmannschaften gehört, wir haben das Rote Kreuz zur Berichterstattung gehört, um uns ein umfassendes Bild von der Lage zu machen. Ich darf hier mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Bericht dieses Ausschusses — nach dem Anhören der Landsmannschaften — u. a. folgendes verlesen:
Durch diese Bekundungen wurde in Erinnerung gebracht, daß die umfangreichen Bevölkerungsverschiebungen, die sich seit 1939 in Osteuropa und in Ostdeutschland vollzogen haben, eine Fülle menschlicher Notstände sowie ungeklärter rechtlicher, sozialer und humanitärer Fragen zurückließen. Der Ausgangspunkt dieses vorläufig unüberschaubaren Dramas war der deutsch-sowjetische Pakt vom Jahre 1939, dessen Durchführungsverträge die Grundlage für die Umsiedlung von rund 800 000 Volksdeutschen ins Deutsche Reich bildeten. Nach der Niederwerfung Polens schufen dann Zwangsumsiedlungen polnischer Bevölkerungsteile innerhalb ihres bisherigen Staatsgebietes weitere Präzedenzfälle einer brutalen Mißachtung des Heimatrechtes.
Hinzu kam noch die totale Mißachtung der Menschenrechte in allen Teilen Osteuropas durch die nationalsozialistische Besatzungspolitik.
Wir haben dann dem Haus einen Antrag vorgelegt, der vom Deutschen Bundestag einstimmig angenommen wurde. In diesem Antrag wird die Bundesregierung u. a. aufgefordert,
jede sich bietende Möglichkeit zu ergreifen, um ohne Preisgabe lebenswichtiger deutscher Interessen zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staaten zu gelangen,
den weiteren Ausbau der bestehenden Beziehungen zu diesen Staaten auf wirtschaftlichem, humanitärem, geistigem und kulturellem Gebiet anzustreben,



Mattick
Und dann heißt es —:
bei der Gestaltung der Beziehungen zu Polen den besonderen psychologischen Belastungen des deutsch-polnischen Verhältnisses Rechnung tragen und gegenüber solchen Ländern, die deutsche Bevölkerungsteile deportiert oder deutsches Gebiet unter vorläufiger Verwaltung haben, bei der etwaigen Herstellung amtlicher Kontakte die jeweils erforderlichen völkerrechtlichen Vorbehalte geltend machen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Ausschuß arbeitete in einer Zeit, als es in der Bundesrepublik im Verhältnis zur DDR zu einer Spannungssituation kam, von der niemand wußte, wie sie ausgehen würde.

(Unruhe.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711001800
Meine Damen und Herren, ich darf Sie doch bitten, den Geräuschpegel etwas zu senken, damit der Redner sich leichter tut.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711001900
Am 30. Juni 1960 machte die Sozialdemokratische Partei durch Herbert Wehner ein Angebot an die Regierungsparteien, nach den Schwierigkeiten, die sich angebahnt hatten, nach dem Zerfall jeder Chance, Ostpolitik zu betreiben mit dem Thema „zu retten, was zu retten ist", eine gemeinsame Bestandsaufnahme zu machen und dann zu einer gemeinsamen Politik zu kommen. Es war das Angebot der sozialdemokratischen Opposition, in dieser Lage zu einer gemeinsamen Politik zu kommen. Sie haben diese Frage heute mehrmals angeschnitten, Herr Mertes, und haben mehrmals davon gesprochen, was Sie getan haben.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Ich habe diese Frage nicht gestellt! Herr Kollege, ich habe eine Frage nach der Zukunft gestellt! Das haben Sie mißverstanden!)

Bis dahin gab es keine Initiative der Regierung in Richtung Ostpolitik. Damals hat die Opposition das Angebot gemacht, und damals hat die Regierung gesagt: „Wir brauchen Ihre Hilfe nicht." Herr von Guttenberg hat gesagt:
Ihre Bestandsaufnahme ist das Streben nach Revision. Das ist für uns Revision des Richtigen. Dazu sind wir nicht bereit.
Dann, meine Damen und Herren, kam es zu den Verhältnissen, wo jeder sah, daß das nicht mehr lange gutgeht, als der Flüchtlingsstrom über Berlin aus der DDR kam. Jetzt sage ich Ihnen hier ein sehr heißes Wort: Der 13. August 1961 befreite die Alliierten — das sage ich aus voller Überzeugung — und befreite auch auch damals die deutsche Bundesregierung von dem Alpdruck, unter dem sie standen, indem Wissen, daß der Flüchtlingsstrom so nicht mehr weitergehen könnte. Ich sage Ihnen also ganz offen: Die Mauer, die Sie seitdem beklagen, ist damals gezogen worden auch als eine Entlastung der Verhältnisse der westlichen Alliierten zur Sowjetunion und der Bundesregierung und ihrer Position in Berlin.

(Abg. Dr. Czaja: Hört! Hört!)

Wer das bestreitet, meine Damen und Herren, der versucht, Geschichtsklitterung zu begehen.
Nach dem Bau der Mauer sind Jahre vergangen, in 'denen nichts geschehen ist. Ich frage hier Herrn Czaja und Herrn Hupka und Herrn Becher: Wo hat denn die Bundesregierung Adenauer 1953 und 1961 ihre Schutzpflicht für die Bürger im anderen Teil Deutschlands erfüllt? Wo hat sie sich denn in Bewegung gesetzt? Was ist denn geschehen?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Adenauer ist am 13. August 1961 morgens in den Wahlkampf nach Nürnberg gegangen, um Willy Brandt, den Kanzlerkandidaten, dort anzugreifen. Die Mauer war für Adenauer an dem Tag erledigt, an dem sie gezogen wurde. Man hat darauf gewartet, weil man wußte, daß der Flüchtlingsstrom so nicht mehr hinzunehmen ist. Und jetzt kommen Sie hierher und sagen, die jetzige Bundesregierung versäume ihre Schutzpflicht!

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711002000
Herr Abgeordneter Mattick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Czaja?

(Zurufe von der SPD: Nein!)

— Die Antwort darauf kann nur der Herr Abgeordnete Mattick geben.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711002100
Ich sage nein, weil die CDU/CSU-Fraktion größte Unruhe hier im Saal verursacht und an der Auseinandersetzung gar nicht interessiert ist. Wir haben aufmerksam zugehört; die CDU/ CSU denkt gar nicht daran, weil es Ihnen auch nicht recht ist, was hier gesagt wird. Daher bin ich nicht bereit, Zwischenfragen zuzulassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Weber [Heidelberg] : Lassen Sie das einmal bleiben!)

Meine Damen und Herren, wir haben dann in der Großen Koalition versucht, Dr. Kiesinger 'in seinem Bestreben zu unterstützen, eine neue Ostpolitik einzuleiten. Leider ist 'ihm seine eigene Fraktion dabei sehr schnell in die Arme gefallen und hat verhindert, daß der damalige Außenminister Brandt die Arbeit 'beginnen konnte, die wir dann gemeinsam hätten tragen können. Darum, verehrte Kolleginnen und Kollegen, blieb uns nichts weiter übrig, als 1969 unter Bedingungen eine neue Ostpolitik einzuleiten, die in früheren Zeiten wahrscheinlich noch leichter einzuleiten gewesen wäre, wenn die CDU/CSU nicht absichtlich darauf verzichtet hätte, weil sie nicht wollte, weil im Grunde genommen auch die hier immer wieder aufkommende Frage der deutschen Einheit für die Adenauer-Regierung keine Frage der Gegenwartspolitik war. Insofern darf ich darauf Bezug nehmen.
Diejenigen Damen und Herren, die heute mit dem Verfassungsgerichtsurteil unter dem Arm herumlaufen, sollten sich in diesem Zusammenhang doch einmal den Pariser Vertrag ansehen, die Frage einmal nach 'dem Pariser Vertrag beantworten. Es heißt hier in 'dem Verfassungsgerichtsurteil, nämlich in



Mattick
den Leitsätzen zum Urteil des Zweiten Senats vom 31. Juli 1973 unter Nr. 7:
Art. 23 GG verbietet, daß sich die Bundesregierung vertraglich in eine Abhängigkeit begibt, nach der sie rechtlich nicht mehr allein, sondern nur noch im Einverständnis mit den Vertragspartnern die Aufnahme anderer Teile Deutschlands verwirklichen kann.
Dazu sagte Dulles 1955 im Auswärtigen Ausschuß des Kongresses:
In der Tat haben wir mit diesem Vertrag die Bundesregierung gebunden.
Es heißt wörtlich:
Die Westmächte hätten auf Grund des Art. 2 der revidierten Bonner Konvention das Recht, in der Frage der Wiedervereinigung mitzureden, wenn sie es wollten. Die Bedingungen der Wiedervereinigung müßten jedenfalls für sie annehmbar sein, obschon die Deutschen nach 'Inkrafttreten der Pariser Verträge souverän seien.
Sehen Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, da sind Sie nicht aufgetreten! Die Bundesregierung hatte sich an die Westmächte gebunden. Sie wissen ganz genau, daß bei den Westmächten die Frage der Wiedervereinigung einen anderen Standort hatte und hat als bei uns und daher eine Übereinstimmung in der Frage der deutschen Wiedervereinigung, auch wenn es von der sowjetischen Seite möglich gewesen wäre, sicherlich nie zustande gekommen wäre. Das haben Sie alles auf sich beruhen lassen, bis Sie dann ,die Gelegenheit hatten, die sozialliberale Koalition ihrer Initiativen wegen anzugreifen.
Ich sage Ihnen eines: Wir wissen nicht, wie die Versäumnisse der Vergangenheit einmal geschichtlich gewertet werden. Eines ist sicher: daß die CDU- Regierungen auf jede ernst zu nehmende Initiative verzichtet haben, angeblich immer in dem Glauben, eine geschichtliche Situation abwarten zu müssen, die aber nie kommt, weil ihre Einschätzung der sowjetischen Position völlig daneben lag, weil überhaupt kein Verständnis dafür vorhanden war, daß man bei dem Machtzustand der Sowjetunion, die auch noch durch Hitlers Schuld gewachsen ist, nicht darauf warten kann, daß sie unter der Voraussetzung der Gleichheit der Machtblöcke und des Strebens der Amerikaner, sich zu verständigen, die Notwendigkeit sieht, Territorien abzuteilen, mit denen sie sich in Europa zusammengefügt hat.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, diese Vertragspolitik ist die einzige Chance, mit den Menschen im anderen Teil Europas Schritt für Schritt Voraussetzungen zu schaffen, die auch auf langem Wege einmal die politischen Beziehungen bis zur Freizügigkeit und Zusammenarbeit entwickeln können. Verträge beseitigen nicht die Schwierigkeiten, die historisch gewachsen sind; Verträge schaffen die Voraussetzungen dafür, daß die Schwierigkeiten, die gewachsen sind, Schritt für Schritt beseitigt werden können. Daß es Schwierigkeiten, Widerstände, Rückschläge gibt, hat keiner von uns bezweifelt. Nur eines wissen wir: Rückschläge kann es nur geben, wenn man vorwärtsschreitet. Die Frage ist — und sie muß gemessen werden —, ob das Vorwärtsschreiten im Verhältnis zu den Rückschlägen ein Vorwärts bedeutet. Das ist nachweisbar auf allen Ebenen, die wir in der Ostpolitik beschritten haben.

(Beifall bei der SPD.)

Darum stehen Sie, meine Damen und Herren, hier im Grunde genommen als Opposition vor der Frage, ob Sie diese Politik fortsetzen wollen. Alle Begründungen, die Sie im Ausschuß und hier heute noch einmal gegeben haben, haben deutlich gemacht, daß Sie an den Haaren herbeigezogene Rechtspositionen in die praktische Politik einführen in dem Wissen, daß es keinen ausgereiften Vertrag völkerrechtlicher, internationaler Art gibt, bei dem es nicht Auslegungsdifferenzen gibt. Das ist bei dem Pariser Vertrag so. Das ist beim deutsch-französischen Vertrag so.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Unvergleichlich mit den Ostverträgen!)

Bei allen Verträgen gibt es Auslegungsdifferenzen, und es wird sie immer geben. Wenn Sie damit Ihre Ablehnung begründen,

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sie haben nicht zugehört, Herr Kollege!)

sage ich Ihnen: Das ist an den Haaren herbeigezogen. Das sind nicht die Gründe, die Sie veranlassen, in der Ostpolitik Obstruktion zu betreiben. Die wahren Gründe erwähnen Sie hier nicht, weil sie in dem Komplex liegen, über den man heute lieber noch nicht spricht.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Ich habe über alles gesprochen! Ich bin schon die ganze Zeit über unbefangen!)

Daher sage ich Ihnen: Ihre Beschimpfung von Sozialdemokraten können Sie nur zu sich selber aussprechen,

(Zuruf des Abg. Dr. Wittmann [München])

da Sie in der Situation, in der wir stehen, glauben, daß die nationale Zusammenarbeit hier in diesem Hause von Ihnen als Minderheit diktiert werden muß. Darauf können Sie nicht warten.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Lesen Sie meine Rede bitte einmal in Ruhe nach!)

Wir haben als Opposition auch Zeiten gehabt, wo wir mit der Regierung zusammengearbeitet haben, und zwar hauptsächlich in deutschen Fragen.
Sie behaupten, Sie müßten den Vertrag auch deshalb ablehnen, weil die Einbeziehung Berlins nicht ausreichend gesichert sei. Ich aber sage Ihnen: Es wird keinen Vertrag geben, bei dem die Regierung der CSSR eine Berlin-Klausel ablehnt, obwohl die Bundesregierung diese wünscht. Und darauf kommt es doch an — und nicht darauf, ob die Berlin-Frage in diesem Vertrag so verankert ist, wie Sie es wünschen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sie haben mir nicht zugehört, Herr Kollege!)




Mattick
— Ich habe doch im Ausschuß Ihre Bemerkungen erlebt! Hier geht es darum, daß die Bundesregierung bei jedem Vertrag das Recht hat, die Berlin-Klausel zu verlangen, wenn sie es will.

(Abg. Dr. Marx: Zitieren Sie mal, was Herr Bahr im Ausschuß zum Berlin-Abkommen gesagt hat!)

Dies ist die Absicherung an der niemand vorbeikommt. Daher ist Ihre Kritik hier falsch.
Noch eine Bemerkung zu einer Äußerung, die ein Kollege von der CDU im Auswärtigen Ausschuß gemacht hat. Er hat sich die Frage vorgelegt, was es mit der moralischen Position auf sich hat, wenn die Bundesrepublik als ein freier Staat mit einer Regierung, wie es die tschechische ist, einen Vertrag abschließt. Dazu sage ich Ihnen eines: Die Verträge, die die Bundesrepublik als freier Staat mit welcher Regierung auch immer abschließt, liegen auf der Ebene des Willens, auch mit jenen Regierungen, die unter Zuständen und Umständen entstanden sind, wie es bei uns nicht der Fall ist und wie wir es nicht wünschen, zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Der Ausweg, den Sie immer benutzen, nämlich: „Wir wollen nicht mit den Regierungen, sondern mit den Völkern zusammenkommen", führt, wie Sie genau wissen, nicht zum Ziel. Nur über die Regierungen kommen wir zu dem erstrebten Ziel. Daher ist die aufgeworfene Frage nach der Moral solcher Verträge ebenfalls nichts weiter als ein Ausweg zur Begründung des Neins. Alle Verträge, die man mit sonstigen Ländern des Ostblocks oder mit anderen kommunistischen Ländern oder mit Spanien oder Griechenland schließt, wären unter demselben Aspekt zu sehen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711002200
Herr Abgeordneter Mattick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes?

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711002300
Bitte!

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711002400
Herr Kollege Mattick, können Sie erstens bestätigen, daß die von der CDU/CSU geführten Bundesregierungen mehrere Verträge mit kommunistischen Staaten abgeschlossen haben, und zweitens, daß wir immer betont haben, solche Verträge müßten präzise und eindeutig sein?

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711002500
Sie werden bestätigen, daß einer Ihrer Kollegen im Auswärtigen Ausschuß die Frage nach der moralischen Position aufgeworfen hat. Ich habe nichts weiter getan, als dies festzustellen und, eine Antwort darauf zu geben.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Ich erinnere mich nicht! Da muß ich das Protokoll des Ausschusses nachlesen!)

— Ihr Kollege wird sich erinnern!

(Abg. Dr. Marx: Es sind meine Bemerkungen gemeint!)

Die sozialdemokratische Fraktion steht zu dieser Politik, sie unterstützt die Bundesregierung in der Fortsetzung dieser Politik, und sie wird dafür sorgen, daß diese Ostpolitik fortgesetzt wird in dem Bemühen, die Begegnungen der Regierungen und die Begegnungen der Menschen mit dem Ziel auszubauen, daß eines Tages zwischen Osteuropa und Westeuropa Bedingungen entwickelt sein werden, unter denen es sich in beiden Teilen leben läßt.
Wir haben keine Zeit, zu warten; denn die Geschichte hat bewiesen, daß sich das Warten nicht für uns, sondern gegen uns auswirkt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711002600
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung in zweiter Lesung. Ich rufe auf die Art. 1, 2 und 3, Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht
Ich lasse über Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zur Schlußabstimmung und erteile das Wort nach § 59 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Götz.

Dr. Hermann Götz (CDU):
Rede ID: ID0711002700
Herr Präsident, gestatten Sie mir, Ihnen gemäß § 59 der Geschäftsordnung eine schriftliche Erklärung zu dem Gegenstand, dessen Beratung nunmehr abgeschlossen ist, zu übergeben. Ich tue dies im eigenen Namen und im Namen von acht weiteren Mitgliedern dieses Hohen Hauses, die diese Erklärung unterzeichnet haben.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711002800
Die Erklärung wird zu Protokoll genommen *).
Meine Damen und Herren, es ist von allen Seiten namentliche Abstimmung beantragt. Wir kommen also zur Schußabstimmung über das Gesetz. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich darf die Gelegenheit benutzen, um mitzuteilen, daß in Abänderung einer früheren Vereinbarung der Tagesordnungspunkt „Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung" unmittelbar nach der Fragestunde aufgerufen wird.

(V o r sitz : Vizepräsident von Hassel.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711002900
Ich gebe das Ergebnis der Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der CSSR bekannt. 422 uneingeschränkt stimmberechtigte Mitglieder des Hauses haben ihre Stimme abgegeben. Mit Ja — also für den Gesetzentwurf und damit für den Vertrag — haben 232 Abgeordnete, mit Nein haben 190 Ab-
t) Siehe Anlage 2



Vizepräsident von Hassel
geordnete gestimmt. Enthaltungen und ungültige Stimmen sind nicht zu verzeichnen.
Von den Berliner Abgeordneten sind 17 Stimmen abgegeben worden, davon 12 mit Ja und 5 mit Nein.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 422 und 17 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 232 und 12 Berliner Abgeordnete,
nein: 190 und 5 Berliner Abgeordnete.
Ja
SPD
Ahlers Amling
Anbuhl Dr. Apel

(Wattenscheid Dr. Arndt Baack Barche Bahr Dr. Bardens Batz Dr. Bayerl Becker Biermann Blank Dr. Böhme Frau von Bothmer Brandt Bredl Brück Büchler Dr. von Bülow Buschfort Dr. Bußmann Collet Conradi Coppik Dr. Corterier Frau Däubler-Gmelin Dr. von Dohnanyi Dürr Eckerland Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Frau Eilers Dr. Eppler Esters Ewen Dr. Farthmann Fiebig Dr. Fischer Frau Dr. Focke Franke Gansel Geiger Gerstl Gertze Glombig Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haar Haase Haase Halfmeier Hansen Hauck Dr. Hauff Henke Herold Höhmann Hofmann Frau Huber Huonker Immer Jahn Jaschke Jaunich Dr. Jens Junghans Junker Kaffka Kern Koblitz Konrad Kratz Dr. Kreutzmann Krockert Kulawig Lambinus Lattmann Dr. Lauritzen Leber Lemp Lenders Frau Dr. Lepsius Liedtke Löbbert Dr. Lohmar Lutz Mahne Marschall Matthöfer Frau Meermann Dr. Meinecke Möhring Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller Müller Müller Dr. Müller-Emmert Nagel Neumann Dr.-Ing. Oetting Frau Dr. Orth Ostman von der Leye Peiter Dr. Penner Pensky Peter Polkehn Porzner Rapp Rappe Reiser Frau Renger Reuschenbach Frau Dr. Riedel-Martiny Rohde Rosenthal Sander Saxowski Dr. Schachtschabel Schäfer Dr. Schäfer Scheu Frau Schimschok Schinzel Schlaga Schluckebier Dr. Schmidt Dr. Schöfberger Schreiber Schulte Dr. Schweitzer Dr. Schwenk Simon Simpfendörfer Dr. Sperling Spillecke Staak Stahl Dr. Stienen Suck Sund Frau Dr. Timm Tönjes Urbaniak Vahlberg Vit Dr. Vogel Waltemathe Walther Dr. Weber Wehner Wende Wendt Dr. Wernitz Westphal Dr. Wichert Wiefel Wienand Wilhelm Wischnewski Dr. de With Wittmann Wolfram Wrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch Zeitler Berliner Abgeordnete Bühling Dr. Dübber Egert Frau Grützmann Heyen Löffler Mattick Dr. Schellenberg Frau Schlei Schwedler Wurche FDP Dr. Achenbach Dr. Bangemann Baum Christ Engelhard Frau Funcke Gallus Geldner Genscher Graaff Grüner Dr. Hirsch Hölscher Hoffie Jung Kirst Krall Logemann Frau Lüdemann Dr. Dr. h. c. Maihofer Mertes Möllemann Moersch Ollesch Opitz Ronneburger Scheel von Schoeler Frau Schuchardt Spitzmüller Dr. Wendig Wurbs Zywietz Berliner Abgeordnete Hoppe Nein CDU/CSU Dr. Abelein von Alten-Nordheim Dr. Althammer Dr. Arnold Baier Dr. Becher Benz Berger Bewerunge Biechele Biehle Dr. von Bismarck Dr. Blüm von Bockelberg Böhm Breidbach Bremer Bremm Burger Carstens Dr. Carstens Damm van Delden Dr. Dollinger Vizepräsident von Hassel Dreyer Eigen Eilers Erhard Ey Dr. Eyrich Freiherr von Fircks Franke Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. Fuchs Geisenhofer Gerlach Gerster Dr. Gölter Dr. Götz Dr. Gruhl Haase Dr. Häfele Dr. Hammans Handlos von Hassel Hauser Dr. Hauser Dr. Heck Höcherl Hösl Dr. Hornhues Horstmeier Frau Hürland Dr. Hupka Hussing Dr. Jaeger Dr. Jahn Dr. Jenninger Dr. Jobst Josten Katzer Kiechle Kiep Dr. h. c. Kiesinger Dr. Klein Dr. Klein Dr. Kliesing Dr. Köhler Dr. Köhler Krampe Dr. Kraske Kroll-Schlüter Dr. Kunz Lampersbach Leicht Dr. Lenz Link Löher Dr. Luda Dr. Marx Maucher Dr. Mertes Dr. Mikat Dr. Miltner Milz Möller Müller Dr. Müller-Hermann Dr. Narjes Frau Dr. Neumeister Niegel Nordlohne Dr.-Ing. Oldenstädt Orgaß Frau Pack Pfeffermann Pfeifer Picard Pieroth Pohlmann Dr. Prassler Dr. Probst Rainer Rawe Frau Dr. Riede Dr. Ritgen Dr. Ritz Röhner Rollmann Rommerskirchen Roser Russe Sauer Sauter Prinz zu SaynWittgenstein-Hohenstein Dr. Schäuble Schedl Frau Schleicher Schmidhuber Schmitt Schmitz Dr. Schneider Frau Schroeder Seiters Sick Solke Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stark Graf Stauffenberg Dr. Stavenhagen Frau Stommel Stücklen Susset de Terra Thürk Tillmann Dr. Todenhöfer Frau Tübler Dr. Unland Vehar Frau Verhülsdonk Vogel Vogt Volmer Dr. Waffenschmidt Dr. h. c. Wagner Dr. Waigel Dr. Wallmann Dr. Warnke Wawrzik Weber Dr. Freiherr von Weizsäcker Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Windelen Wissebach Dr. Wittmann Dr. Wulff Dr. Zeitel Zeyer Ziegler Dr. Zimmermann Zink Zoglmann Berliner Abgeordnete Müller Frau Berger Kunz Die folgenden Abgeordneten haben aufgrund ihrer europäischen Verpflichtungen an der Abstimmung nicht teilgenommen: Adams Dr. Ahrens Dr. Aigner Amrehn Dr. Artzinger Behrendt Blumenfeld Büchner Dr. Burgbacher Dr. Dregger Enders Fellermaier Flämig Frehsee Dr. Früh Gerlach Dr. Geßner Härtzschel Dr. Holtz Dr. Jahn Kater Dr. Kempfler Dr. Klepsch Lange Lautenschlager Lemmrich Lücker Marquardt Memmel Dr. Mende Dr. Müller Mursch Pawelczyk Richter Schmidt Dr. Schulz Dr. Schwörer Seefeld Sieglerschmidt Springorum Dr. Starke Walkhoff Frau Dr. Walz Dr. Wörner Frau Dr. Wolf Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Ich rufe nunmehr Punkt 9 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer — Drucksache 7/2172 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Rechtsausschuß Zur Einbringung hat zunächst der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Arendt, das Wort. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt Ihnen heute den Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vor. Damit erfüllt sie nicht nur die Zusage aus der Regierungserklärung vom 18. Januar 1973. Sie will mit dieser Vorlage zugleich auch einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, daß den mehr als 20 Jahre unerfüllt gebliebenen Forderungen und Erwartungen der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen endlich entsprochen wird, nämlich bei den Entscheidungsund Planungsprozessen in den großen Unternehmen als gleichberechtigte und mitverantwortliche Partner anerkannt zu werden. Der Bundeskanzler hat vor wenigen Wochen vor diesem Hohen Hause erklärt: Eine Gesellschaft, die sich wirtschaftlich und sozial nach vorne bewegen will, ist ohne Mitbestimmung und ohne die dazugehörige Mitverantwortung nicht zu denken. Von dieser Grundüberzeugung hat sich die sozialliberale Koalition von Anfang an, seit Ende 1969, leiten lassen; und sie hat danach tatkräftig gehandelt: 1971 das Mitbestimmungsfortgeltungsgesetz Bundesminister Arendt zur Sicherung der Mitbestimmung im Montanbereich, 1972 das neue Betriebsverfassungsgesetz, 1974 das neue Personalvertretungsgesetz und nunmehr der Gesetzentwurf über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Bei der Neuregelung der Betriebsverfassung und der Personalverfassung ging es vor allem um die Stärkung der sozialen und humanen Position der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz sowie in den Betrieben und Verwaltungen. Jetzt soll das noch offene Problem der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen gelöst werden. Die jahrelangen Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer haben dazu beigetragen, daß heute die Grundlagen der Mitbestimmungsforderung und ihre staats-, gesellschaftsund wirtschaftspolitischen Zusammenhänge gründlich durchdacht und die Argumente des Für und Wider bekannt sind. Jedermann sollte heute wissen, daß der Bewältigung des Problems der Mitbestimmung eine zentrale Bedeutung zukommt, und zwar insbesondere in bezug auf den Bestand, die Stabilisierung und die Entwicklung unserer demokratischen und sozialstaatlichen Ordnung. Gleichwohl sollte diese Stunde genutzt werden, um noch einmal deutlich zu machen, warum die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen notwendig ist. Die Begründungen für die Mitbestimmung sind ebenso zahlreich wie unterschiedlich: sie reichen von der „Würde der Person des abhängigen Arbeitnehmers", dem „Rang der Arbeit in unserem Sozialstaat" über die „demokratische Legitimation der Unternehmensleitung" bis hin zur „Kontrolle von Unternehmensmacht" . Ich möchte diese und andere Begründungen hier nicht näher darlegen. Für unsere politische Debatte sollten jedoch zwei Erwägungen bedeutungsvoll sein. Erstens. Nach 1945 haben die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften am Aufbau einer freien, u. a. auf Privateigentum beruhenden Wirtschaftsordnung tatkräftig mitgearbeitet. Dies geschah jedoch — wie zahlreiche Äußerungen und Schriften aus der damaligen Zeit belegen — unter der Voraussetzung, daß sie als gleichberechtigte Partner in der Wirtschaft anerkannt würden, nicht nur durch angemessene Löhne, sondern auch durch verantwortliche Teilnahme an den unternehmerischen Planungen und Entscheidungen. Ich meine, es ist an der Zeit, diesen nach 1945 ausgestellten „Wechsel" einzulösen. Dies sollte allen in diesem Hohen Hause um so leichterfallen, als wir dort, wo der Arbeitnehmerschaft eine echte Mitbestimmung eingeräumt worden ist, gut gefahren sind. Ich denke hier insbesondere an den Montanbereich. Wir dürfen jetzt die Arbeitnehmerschaft nicht erneut enttäuschen. Die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften könnten sonst leicht auf Wege gedrängt werden, wie sie uns aus anderen Ländern bekannt sind. Dies können wir aber nicht wünschen. Zweitens. Unser geltendes Gesellschaftsund Unternehmensrecht kennt im Grundsatz nur die Anteilseigner und die Gläubiger des Unternehmens; die Arbeitnehmer des Unternehmens werden von ihm überhaupt nicht wahrgenommen. Für eine Wirtschaftsordnung, die ganz entscheidend auf den Leistungen und dem Einsatz der Arbeitnehmer beruht, ist dies ein unhaltbarer Zustand. Deshalb soll die Mitbestimmung die Arbeitnehmer in das Unternehmen, in ihr Unternehmen, integrieren. Sie sollen verantwortlich an den Entscheidungen und Planungen des Unternehmens teilhaben, bei denen es, wie z. B. bei langfristigen Unternehmenskonzeptionen, Investitionen und Strukturveränderungen, nicht zuletzt auch um ihr Schicksal geht. Meine Damen und Herren, bevor ich auf die Grundsätze des Entwurfs eingehe, gestatten Sie mir einen kurzen Blick auf die Vorgeschichte dies Gesetzentwurfs. Wie sah das „Mitbestimmungsfeld" aus, als die Koalition im Jahre 1973 daranging, eine Mitbestimmungskonzeption zu erarbeiten? Der Gedanke einer Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in den Unternehmensorganen hat in Deutschland eine lange Tradition. Schon in der Weimarer Zeit sah das Gesetz über die Entsendung von mindestens einem Betriebsratsmitglied in den Aufsichtsrat erstmals eine bescheidene Arbeitnehmerbeteiligung vor. 1951 gelang dann — begünstigt auch durch den geistigen Aufbruch der ersten Nachkriegsjahre — ein entscheidender Schritt: die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Bereich der kohleund stahlerzeugenden Industrie. 1952 folgte sodann nach heftigen Auseinandersetzungen die Ein-DrittelBeteiligung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften und der sonstigen Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern. Seither hat es, abgesehen von der Ergänzung der Montanmitbestimmung im Jahre 1956, irgendwelche gesetzgeberische Fortschritte nicht mehr gegeben. Um so stärker wuchs seit den 50er Jahren die Welle der Forderungen der Arbeitnehmerschaft und ihrer Organisationen, gleichberechtigte und gleichgewichtige Mitbestimmung auch in den Wirtschaftszweigen außerhalb des Montanbereichs zu erhalten. Diese Forderungen der Arbeitnehmer und der Organisationen lösten eine jahrelange lebhafte Mitbestimmungsdiskussion aus. Die politischen Parteien und viele Gruppen der Gesellschaft — leider muß ich hinzufügen: nie die Arbeitgeberseite — bekannten sich zu einem Ausbau der Mitbestimmung, und auch eine Reihe von Modellen wurde vorgelegt. Dabei ging es im Kern immer wieder um den einen Punkt: wirkliche Mitbestimmung durch gleichgewichtige Beteiligung von Anteilseignern und Arbeitnehmern oder Beteiligung' der Arbeitnehmer deutlich unterhalb der Parität. Trotz vieler Bemühungen der einzelnen Gruppen und der politischen Parteien wurde jedoch auf dem Wege zu einer echten Mitbestimmung der Arbeitnehmer bisher kein Ergebnis erzielt. Es fällt nicht schwer, den Grund für diese lange Funkstille des Gesetzgebers zu nennen: Bis Ende 1969 gab es eben im Deutschen Bundestag keine politische Mehrheit, die bereit gewesen wäre, eine Mitbestimmung, die diesen Namen verdient, zu beschließen. Erst die sozialliberale Koalition hatte den Willen und die Kraft, das „heiße Eisen" der Mitbestimmung Bundesminister Arendt anzupacken. Dabei war von vornherein bekannt, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Freie Demokratische Partei von verschiedenen Ausgangspositionen ausgingen. Als Beispiele hierfür seien genannt: Die Vorstellungen der SPD waren u. a. gekennzeichnet durch Gleichgewichtigkeit, maßgebliche Beteiligung der Gewerkschaften und keinerlei eigenständige Rolle der leitenden Angestellten. Demgegenüber ging die FDP in ihren Freiburger Thesen zwar auch von einer Gleichgewichtigkeit aus, aber unter Einbeziehung einer sehr starken und eigenständigen Teilnahme der leitenden Angestellten; eine Beteiligung der Gewerkschaften war nicht vorgesehen. Trotz dieser und anderer unterschiedlicher Ausgangspositionen haben sich die Koalitionsparteien in intensiven und fairen Verhandlungen um einen Ausgleich bemüht, und sie haben sich — genauso Wie beim Betriebsverfassungsgesetz im Jahre 1972 — auf eine gemeinsame Lösung geeinigt, die die Grundlage des vorliegenden Gesetzentwurfs bildet. Damit ist der Bundesregierung der sozialliberalen Koalition in der Mitbestimmungsfrage das gelungen, was früheren Bundesregierungen, auch der der Großen Koalition, nicht möglich gewesen ist. Meine Damen und Herren, nun zu den Grundsätzen des Gesetzentwurfs. Dabei — lassen Sie mich das hinzufügen — habe ich nicht die Absicht, alle Einzelregelungen des Entwurfs hier vorzustellen. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer soll in den Kontrollorganen der größeren Kapitalgesellschaften mit mehr als 2 000 Arbeitnehmern eingeführt werden. Dies gilt auch für die herrschenden Unternehmen von Konzernen und Teilkonzernen, wenn die Konzernunternehmen insgesamt mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen. Die Arbeitnehmerzahl von 2 000 als alleiniges Erfassungskriterium wurde deshalb gewählt, weil die Koalition die Mitbestimmung vor allem als ein Problem der inneren Gestaltung größerer Unternehmen mit einer Teilhabe der Arbeitnehmer am Willensbildungsund Entscheidungsprozeß begreift. Der Entwurf knüpft in diesem Punkte an den Bericht der Mitbestimmungskommission aus dem Jahre 1970 an. Ich bin mir bewußt, daß neben der Arbeitnehmerzahl auch andere Erfassungskriterien, wie beispielsweise Bilanzsumme oder Kapitalausstattung oder die Höhe des Unternehmensumsatzes, in Betracht kämen, die aber mehr die Funktion der Mitbestimmung als Kontrolle von Unternehmensmacht unterstreichen würden. Man muß jedoch wissen, daß damit eine ganze Reihe von praktischen Schwierigkeiten verbunden wären: die Regelung von Ein-und Auslauffristen, Feststellungen des Wirtschaftsprüfers und vieles andere mehr. Die parlamentarischen Beratungen des Entwurfs werden erweisen, ob das Erfassungskriterium unseres Gesetzentwurfs für sich allein tragfähig ist. Die Montanmitbestimmung bleibt unverändert bestehen, dies vor allem, weil sie sich seit mehr als 20 Jahren bewährt hat und es keinen Grund gab, Bewährtes, mit dem alle Beteiligten im Grundsatz zufrieden sind, durch Neues zu ersetzen. Sie bleibt jedoch nicht bestehen, weil sie — insgesamt gesehen — besser als die Regelungen dieses Entwurfs wäre, Herr Breidbach. — Herr Breidbach, seien wir einmal ehrlich! Sie wissen doch vom Aufsichtsrat nur so viel, daß es dort Tantieme gibt, mehr nicht. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Breidbach: Herr Arendt, die werden wir auch noch kürzen. Der Vorschlag liegt schon vor!)


(Mönchengladbach) Frau Benedix




Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0711003000




(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)





(Beifall bei den Regierungsparteien.)


(Zuruf des Abg. Breidbach.)


(Abg. Breidbach: Da gibt es mehrere Auffassungen!)

— Ja, natürlich! Sie können ja einen Antrag einbringen.

(Abg. Breidbach: Da weiß die SPD sicher mehr — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Ich wiederhole, meine Damen und Herren: Die Montanmitbestimmung bleibt nicht nur deshalb bestehen, weil sie besser als die Regelungen dieses Entwurfs wäre, sondern aus den Gründen, wie ich sie genannt habe. Außerdem kann man noch auf folgendes hinweisen. Die aus der Montanmitbestimmung bekannte Figur des „neutralen Aufsichtsratsmitgliedes", des 11., des 15. oder des 21. Mannes, und sein Bestellungsmodus sind nicht besser; sie waren jedenfalls für unsere Überlegungen nicht gut genug, um in den Entwurf übernommen zu werden. Ebenso wird die Ein-Drittel-Beteiligung der Arbeitnehmer nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 für kleinere Kapitalgesellschaften beibehalten.
Ein ganz wesentlicher Grundsatz des Regierungsentwurfs ist die Gleichgewichtigkeit von Anteilseignern und Arbeitnehmern. Dies kommt nicht allein in der Besetzung der Aufsichtsräte mit der gleichen Zahl von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zum Ausdruck. Vielmehr ist der Gesetzentwurf so gestaltet, daß die Gleichgewichtigkeit auch bei Einzelregelungen gewahrt bleibt, soweit es nur irgendwie mit der notwendigen Funktionsfähigkeit der Unternehmen vereinbar erscheint.
Lassen Sie mich dies an Hand einiger wichtiger Punkte erläutern. Auf ein sogenanntes neutrales Aufsichtsratsmitglied ist bewußt verzichtet worden. Es könnte zwar mögliche Stimmengleichheiten im Aufsichtsrat weitgehend verhindern, zugleich aber auch die Gleichgewichtigkeit empfindlich stören. Außerdem sind auch die Erfahrungen mit dem „neutralen Mitglied" in der Montanmitbestimmung — das sage ich freimütig — r echt unterschiedlich zu werten.
Bei der Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters wird das Prinzip der Gleichgewichtigkeit strikt durchgehalten. Entweder einigt sich der Aufsichtsrat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder auf einen Vorsitzenden und einen Stellvertreter, wobei je einer aus der Aufsichtsratsbank der Anteilseigner und der andere aus



Bundesminister Arendt
der Aufsichtsratsbank der Arbeitnehmer stammen muß, oder je ein Vertreter der Anteilseigner und der Arbeitnehmer wechseln sich alle zwei Jahre im Vorsitz und im stellvertretenden Vorsitz ab. Diese Regelung bringt einen, wie ich meine, wesentlichen gesellschaftspolitischen Durchbruch. Denn die Arbeitnehmervertreter werden danach die gleiche Chance wie die Anteilseignervertreter haben, Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates zu sein. Außerdem zwingt diese Regelung, da der Vorsitzende und sein Stellvertreter nicht beide einer Aufsichtsratsbank angehören dürfen, die Anteilseigner und die Arbeitnehmer zur Zusammenarbeit. Wer die Aufsichtsratspraxis und die Bedeutung des Aufsichtsratsvorsitzenden kennt, wird die Regelung des Regierungsentwurfs in dieser Frage richtig einzuschätzen wissen.
Ein anderer Punkt, bei dem sich der Grundsatz der Gleichgewichtigkeit ebenfalls zu bewähren hat, ist die Behandlung der Stimmengleichheit im Aufsichtsrat. Hier ist der Entwurf nicht wie andere Modelle den bequemen, im Grunde mit echter Mitbestimmung aber unvereinbaren Weg gegangen, dem Aufsichtsratsvorsitzenden oder gar der Anteilseignerseite ohne weiteres den Stichentscheid zu geben. Nach dem Entwurf kann zwar der Aufsichtsratsvorsitzende für eine konkrete Abstimmung auch diesen Stichentscheid erhalten, aber nur wenn dem sowohl die Anteilseignerbank als auch die Arbeitnehmerbank zustimmen.

(Abg. van Delden: Das ist doch kein Stichentscheid!)

Auf die hiergegen erhobene Kritik, die darin eine Todsünde gegen die Funktionsfähigkeit des Unternehmens sieht, komme ich noch zu sprechen.
Nach Auffassung der Bundesregierung ist die Regelung des Entwurfs notwendig und auch vertretbar. Sie sichert' die Mitbestimmung und sie zwingt den Vorstand eines Unternehmens zur Kooperation mit dem Aufsichtsrat. Sollte tatsächlich ein Antrag des Vorstandes wegen Stimmengleichheit im Aufsichtsrat abgelehnt werden, so wird ihn der Vorstand in der Regel überprüfen und danach dem Aufsichtsrat erneut vorlegen. Die Erfahrungen, die gemacht werden konnten, lehren und zeigen, daß solche Überprüfungen in der Regel zu einer Verbesserung der Vorstandsvorlage führen.
Im übrigen ist zu bedenken, daß der Aufsichtsrat nicht über Alltagsgeschäfte zu entscheiden hat. Das tut der Vorstand ohnehin in eigener Verantwortung.
Schließlich ist der Entwurf bei der Wahl der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat bemüht, gleichgewichtige Mitbestimmung und Funktionsfähigkeit des Unternehmens miteinander in Einklang zu bringen. Erst, wenn. ein Bewerber für ein Vorstandsamt in drei Wahlgängen nicht die Mehrheit des Aufsichtsrates erhalten hat, findet ein vierter Wahlgang statt, bei dem der Aufsichtsratsvorsitzende und sein Stellvertreter das Vorschlagsrecht haben und die Hauptversammlung, also die Anteilseignerseite, die letzte Entscheidung trifft.
Ich habe Verständnis dafür, wenn die Anhänger einer echten Mitbestimmung in diesem Punkte einen wesentlichen Mangel sehen. Nach meiner Überzeugung haben aber die Kritiker im wesentlichen nur theoretisch recht; denn abgesehen von solchen Aktiengesellschaften, die von einem einzigen oder nur von wenigen Aktionären beherrscht werden, und von Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit nur wenigen Gesellschaftern will es mir auf Grund meiner eigenen Aufsichtsratserfahrung' nicht einleuchten, daß dieser Hürdenlauf — wenn ich lihn einmal so bezeichnen darf — bis zum vierten Wahlgang der Normalfall werden sollte.

(Abg. Stücklen: Welches Vorstandsmitglied hält das denn noch durch?)

— Nein, das kommt erst gar nicht dazu, Herr Stücklen, wenn Sie das wissen wollen. Ich komme nachher noch auf Ihre Vorschläge zu sprechen, wie das da aussieht — das heißt, Sie haben noch gar keine Vorschläge gemacht. Sie müssen einmal bei Ihrer Schwesterpartei nachschauen, was die gemacht hat.

(Abg. Stücklen: Sie lesen es nur nicht!)

— Doch, wir lesen das ganz genau.
Sehen Sie, Herr Stücklen: Vorstandsmitglieder können auf die Dauer nur ,erfolgreich arbeiten, wenn sie die Mehrheit des Aufsichtsrates hinter sich wissen. Außerdem sind qualifizierte Vorstandsmitglieder

(Abg. Stücklen: Nicht wie Sand am Meer!)

nicht arbeitslos gemeldet bei der Bundesanstalt für Arbeit; sondern sie sind meistens in gut dotierten Positionen, und sie werden sich sehr genau überlegen, ob sie sich diesen vierten Wahlgang mit der Anrufung der Hauptversammlung erlauben können.

(Abg. Stücklen: Genau das meine ich!)

Sie werden also in der Regel ihre Position kaum aufgeben, wenn ihnen ein Vorstandsamt mit dem Risiko oder gar der Gewißheit der Durchführung des vierten Wahlganges zugemutet wird.
Ich bin fest davon überzeugt: Der Normalfall wird auch in Zukunft die Praxis von heute sein. Man verständigt sich vorher über die zu wählenden Vorstandsmitglieder, und die werden dann im Regelfall einstimmig gewählt.

(Abg. Breidbach: Wofür wird dann überhaupt gewählt?)

Aber vielleicht werden die parlamentarischen Beratungen — ich will das gar nicht ausschließen — bessere Lösungen ergeben. Allerdings glaube ich kaum, daß im Konfliktfall die Bestellung eines Vorstandsmitglieds durch das Gericht eine angemessenere Lösung wäre.
Meine Damen und Herren, gegen die eben dargestellten Regelungen des Entwurfs zur Wahrung der Gleichgewichtigkeit laufen nun die Gegner einer echten Mitbestimmung Sturm. Das ist insofern natürlich, als wir hier gerade beim Kern der Dinge sind. Dabei will mir die Kritik aus der Wirtschaft und ihren Organisationen noch begreiflich erscheinen; denn die Unternehmensleitungen und die Anteilseigner müssen sich in der Tat, wenn dieses Gesetz einmal Gesetzeskraft erlangt hat, umstellen und



Bundesminister Arendt
ihre uneingeschränkte Macht teilen. Eine solche Umstellung ist nicht angenehm und ruft ganz sicher Widerstand hervor. Mir will aber nicht einleuchten, daß die Ausgestaltung der Gleichgewichtigkeit im Entwurf auch von denen so heftig angegriffen wird, die sich — jedenfalls nach ihren Worten — ebenfalls zu einem Ausbau der Mitbestimmung bekennen. Ich meine hier Sie, meine Damen und Herren von der Opposition.
Sie haben gesagt — und es auch durch die Mehrheit im Bundesrat wiederholen lassen —, die Regelungen des Entwurfs seien unbrauchbar, führten zur Verzögerung oder Lähmung wichtiger Entscheidungen und gefährdeten die Funktionsfähigkeit der Unternehmen,

(Abg. Breidbach: Sind nicht paritätisch und nicht demokratisch!)

die Berufsfreiheit, das Eigentum und die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft erforderten eine klare und praktikable Auflösung von Pattsituationen im Aufsichtsrat. Ich finde, deutlicher kann man es nicht ausdrücken, daß man im Grunde — trotz vieler Worte — eine gleichwertige Mitbestimmung gar nicht will, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der CDU/CSU: Schauen Sie sich doch die leitenden Angestellten an!)

Bei dieser Darstellung können Sie sich natürlich in ,der Tat auf Ihre Hamburger Grundsätze stützen. Und ich sage Ihnen gleich hier: Wenn Sie das, was Sie in Ihren Hamburger Grundsätzen mit viel Mühe zustande gebracht haben, schön finden, dann kann ich Sie nur tröstend daran erinnern, daß auch die Eule ihre Jungen schön findet; aber in der Sache ist hier wirklich nichts zu machen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Breidbach: Der Entwurf ist ein Uhu, das ist ein Uhu-Entwurf!)

Bei Stimmengleichheit im Aufsichtsrat soll der Vorstand allein entscheiden können, und bei der Wahl der Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat soll die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden den Ausschlag geben. Und dieser Aufsichtsratsvorsitzender wird nach Ihren Vorstellungen im Konfliktfall von der Hauptversammlung gewählt. Das ist der wesentliche Inhalt dieses Teils Ihrer Vorstellungen, meine Damen und Herren.

(Abg. Breidbach: Die einigen sich doch vorher in der Praxis!)

Aber es gibt da noch einen tieferen Grund, der Anhänger und Gegner einer wirksamen Mitbestimmung zu einer so unterschiedlichen Bewertung der Regelungen des Entwurfs über die Gleichgewichtigkeit gelangen läßt: Wir, meine Damen und Herren, gehen von den Erfahrungen der Montan-Mitbestimmung und vom Vertrauen in die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften aus.

(Abg. Breidbach: Und die wollten die Montan-Mitbestimmung!)

Das heißt, wir sind davon überzeugt, daß sich die
Anteilseigner und die Arbeitnehmer im Regelfall
verständigen werden, nicht zuletzt deshalb, weil die Arbeitnehmer das wirtschaftliche Gedeihen ihres Unternehmens in gleicher Weise wie die Kapitalvertreter wünschen. Nach unserer Meinung werden daher Pattsituationen im Aufsichtsrat die Ausnahme sein.

(Abg. van Delden: Dann brauchen Sie sich doch nicht über unsere Hauptversammlung aufzuregen!)

Die Gegner echter Mitbestimmung gehen dagegen von ständiger Konfrontation und ständigem Patt im Aufsichtsrat aus. Damit mißtrauen sie zutiefst den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften. Auch manche führende Sprecher der Opposition lassen sich bei ihrer Polemik gegen die Mitbestimmungskonzeption der Koalition von diesem durch nichts zu begründenden Mißtrauen leiten.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Grundsatz des Entwurfs ist es, alle Arbeitnehmer des Unternehmens an der Mitbestimmung teilhaben zu lassen. Dazu gehören neben den Arbeitern und den Angestellten auch die leitenden Angestellten des Unternehmens. Auf der einen Seite besteht kein Zweifel, daß gerade sie durch ihre Kenntnisse und Einsichten in die organisatorischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Unternehmens die Informations- und Entscheidungsgrundlagen des Aufsichsrats wesentlich bereichern können. Auf der anderen Seite sind leitende Angestellte von ihrer arbeitsrechtlichen Stellung her zwar Arbeitnehmer, jedoch nehmen sie — wie es der viel diskutierte Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom März dieses Jahres sagt — von ihrer Aufgabe her wesentliche unternehmerische Belange war. Außerdem haben sie sich zu einem großen Teil in besonderen Verbänden organisiert und beanspruchen eigene Rechte. Schließlich handelt es sich bei ihnen um eine im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft sehr kleine Gruppe.
Dies alles, meine Damen und Herren, macht deutlich, daß es nicht leicht ist, die leitenden Angestellten in eine Mitbestimmungskonzeption so einzuordnen, daß dadurch die Gleichgewichtigkeit zwischen Kapital und Arbeit nicht von vornherein gestört wird.
Die Bundesregierung hat sich hier um einen Ausgleich bemüht. Die Bewerber für den den leitenden Angestellten vorbehaltenen Sitz im Aufsichtsrat sollen aus ,dem Kreis der leitenden Angestellten vorgeschlagen werden, wobei die Vorschläge von einem Fünftel oder von 100 leitenden Angestellten unterstützt werden müssen. Gewählt wird der Vertreter der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat aber von den Repräsentanten der Gesamtbelegschaft.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Diese Regelung hat Kritik erfahren: von den Verbänden der leitenden Angestellten deshalb, weil ihnen kein autonomes Wahlrecht zugestanden worden sei; von den Gewerkschaften, weil die Zuordnung der leitenden Angestellten zur Arbeitnehmerbank die Gleichgewichtigkeit gefährde.

(Abg. Breidbach: Das Recht steht auf der Seite der Gewerkschaften!)




Bundesminister Arendt
Dazu ist folgendes zu sagen. Ein autonomes Wahlrecht mußte ausscheiden, weil dies generell nicht — auch nicht für Arbeiter und Angestellte — in Betracht kommen konnte, denn die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sollen dort nicht partikulare Gruppeninteressen, sondern die Interessen der Gesamtbelegschaft wahrnehmen. Die Zuordnung der leitenden Angestellten zur Arbeitnehmerseite kann — das ist gar nicht zu leugnen — den Grundsatz der Gleichgewichtigkeit gefährden. Das muß aber nicht so sein. Die vorgesehene Zuordnung eröffnet eine gute Chance, die leitenden Angestellten in der praktischen Arbeit im Aufsichtsrat in die Arbeitnehmergruppe zu integrieren.
Außerdem ist das Vorschlagsrecht so gestaltet, daß denjenigen leitenden Angestellten, die sich in besonderen Verhältnissen zusammengeschlossen haben, nicht einfach ein Vorschlagsmonopol zufällt. Ein Fünftel von 20 leitenden Angestellten sind 4, und für die Situation in Großunternehmen ist bedeutsam, daß 100 Unterschriften für einen Vorschlag genügen. Im übrigen — das lassen Sie sich ganz freimütig anfügen — ist der Gesetzgeber nicht in der Lage, Probleme und Entwicklungen in der Organisation der Arbeitnehmer zu lösen bzw. unmittelbar zu beeinflussen.
Natürlich hat, meine Damen und Herren, der schon erwähnte Beschluß des Bundesarbeitsgerichts mit seiner verengenden Tendenz zum Begrif des leitenden Angestellten das Problembewußtsein für die Zuordnung der leitenden Angestellten im Aufsichtsrat wesentlich geschärft. Deshalb ist es völlig natürlich, daß der Gerichtsbeschluß und die Frage seiner möglichen Auswirkungen auf die Regelungen des Entwurfs in den zuständigen Bundestagsausschüssen intensiv beraten werden. Ich kann heute den Beratungsergebnissen nicht vorgreifen, doch eines ist sicher: Bereits die Lösung des Entwurfs bringt, was die Wahrung der Gleichgewichtigkeit in der Mitbestimmung anbetrifft, wesentlich mehr als das, was die Opposition auf diesem Sektor zu bieten hat.
Sie hat es sich in ihren Hamburger Grundsätzen, von denen ich schon gesprochen habe, auch hier sehr leicht gemacht. Nach den Vorstellungen der CDU von Hamburg soll ein leitender Angestellter auf die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat, und er wird von ,der Gruppe der leitenden Angestellten autonom dorthin gewählt. In den Hamburger Grundsätzen heißt es zwar nur, daß die Wahl nach den „Gesichtspunkten des Minderheitenschutzes" zu erfolgen habe, doch in der Kritik der Opposition an unseren Bemühungen hat sie immer wieder klar gesagt, daß der Vertreter der leitenden Angestellten von dieser Gruppe selbst in den Aufsichtsrat zu wählen sei. Dieses Rezept hat mit gleichgewichtiger Mitbestimmung kaum noch etwas zu tun, und die Koalition, meine Damen und Herren von der Opposition, wird dem nicht folgen.

(Abg. Dr. Ehrenberg: So stellt sich Breidbach Gleichgewichtigkeit vor! — Zuruf des Abg. Breidbach.)

Zu einer gleichgewichtigen Beteiligung der Anteilseigner und der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Unternehmen gehört auf der Arbeitnehmerseite auch die Teilnahme von Vertretern der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften. Diese sollen dort vor allem übergreifende Interessen der Arbeitnehmerschaft zur Geltung bringen. Außerdem können sie (das mitunter zu unternehmensbezogene Denken der Arbeitnehmervertreter aus ,dem Unternehmen ausgleichen. Der Entwurf folgt in diesem Punkte übrigens dem Bericht der Mitbestimmungskommission aus dem Jahre 1970.
Obgleich der Entwurf nur eine relativ bescheidene Beteiligung von Vertretern der Gewerkschaften vorsieht, ist hiergegen eingewandt worden, dadurch würden Einfluß und Macht der Gewerkschaften in unvertretbarem Maße vergrößert, und es werde damit ein Schritt auf dem Wege zum Gewerkschaftsstaat getan. Dieser Vorwurf, meine Damen und Herren, ist zum einen bösartig;

(Abg. van Delden: Warum?)

denn er wird insbesondere von denen erhoben, die gegen die immer mehr zunehmenden wirtschaftlichen Machtkonzentrationen in unserem Land nichts einzuwenden haben und die auch keinerlei Besorgnis darüber äußern, daß heute in den Aufsichtsräten vieler Unternehmen weithin eine koordinierte Macht der Banken an die Stelle des Aktionärswillens getreten ist;

(Beifall bei den Regierungsparteien — Abg. van Delden: Meinen Sie, wenn der durch die Gewerkschaften ausgewechselt wird, wird es besser?)

zum anderen, Herr van Delden, entbehrt dieser Vorwurf jeder realen Grundlage. Schon vom Selbstverständnis der Gewerkschaften her ist auszuschließen, daß sie Mitbestimmung als Instrument zentraler Wirtschaftssteuerung benutzen wollten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Zudem würde hierfür der über die Mitbestimmung eröffnete Einfluß auf die Unternehmensorgane faktisch auch gar nicht ausreichen. Und schließlich gibt es dafür schon wegen der Eigenständigkeit der einzelnen Gewerkschaften keinerlei organisatorische Ansatzpunkte.
Wer diese Thesen in der Öffentlichkeit vertritt, Herr van Delden, der ist für mich ein Don Quichotte, der Wind sät, damit er gegen Windmühlen kämpfen kann. So sieht das aus.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Einwand hinsichtlich des Entstehens von zuviel Gewerkschaftsmacht oder eines Gewerkschaftsstaats ist nichts anderes als ein generelles Argument gegen jegliche Beteiligung der Gewerkschaften an der Mitbestimmung und damit gegen eine wirksame Mitbestimmung der Arbeitnehmer überhaupt.

(Abg. van Delden: Das habe ich aber nicht vertreten!)

Meine Damen und Herren, nun einige Bemerkungen zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat. Alle Vertreter der Arbeitnehmer — auch die der Gewerkschaften — sollen durch Wahlen in den Aufsichtsrat gelangen. Es soll also auf der



Bundesminister Arendt
Arbeitnehmerseite — anders als auch weiterhin auf der Anteilseignerseite — keine Entsendungsrechte geben. Damit soll jedenfalls für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eine demokratische Legitimation gewährleistet sein.
Was das Verfahren der Wahl betrifft, so haben wir uns nach gründlichen Beratungen für das Wahl-männerverfahren entschieden. Das bedeutet, die Arbeitnehmer wählen zunächst in den einzelnen Betrieben nach einem bestimmten Schlüssel ihre Wahlmänner, und zwar in unmittelbarer Wahl und nach dem Prinzip der Verhältniswahl. Die Wahlmänner wählen sodann in gemeinsamer Wahl und in Mehrheitswahl die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer.Dieses Wahlmännerverfahren, meine Damen und Herren, ist keine Erfindung der sozialliberalen Koalition.

(Abg. Breidbach: Aber Sie wollten mehr Demokratie wagen!)

Es ist bereits sei 1952 geltendes Recht. Es ist nach dem Betriebsverfassungsgesetz von 1952 fakultativ zugelassen. Seit 1956 wird es auch bei den Aufsichtsratwahlen in Montankonzernen praktiziert und hat sich insbesondere hier — das füge ich sogar hinzu — bewährt.
Demgegenüber sind trotz mancher gegenteiliger Beteuerungen die Erfahrungen mit den Urwahlen nach dem Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahre 1952 nicht ,so positiv ausgefallen, um dieses Prinzip für die neue Mitbestimmungsregelung vorzuschlagen.

(Abg. Breidbach: Der mündige Bürger wird gegängelt!)

— Ich will Ihnen mal sagen: Wissen Sie, es gibt Leute, die haben so viel Pathos im Kopf, daß sie darüber den Text, der zur Debatte steht, gar nicht mehr sehen.

(Abg. Breidbach: Wir wollen auch mehr Demokratie sehen!)

Die Erfahrungen, die wir mit den Urwahlen seit 1952 gemacht haben, sind nicht so positiv ausgefallen, daß man dieses Prinzip — das wiederhole ich — in diese Mitbestimmungsregelung übernehmen sollte.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Das kommt bei Wahlen gelegentlich vor! — Abg. Dr. Ehrenberg: Das wird man noch öfters merken!)

Es hat sich gezeigt, daß bei Urwahlen in großen Unternehmen, die zahlreiche, oft noch räumlich weit voneinander entfernte Betriebe haben, die Willensbildung sehr erschwert ist.

(Abg. Müller [Remscheid] : Lufthansa!)

— Also Herr Müller, Sie sollten lieber mal nachdenken, statt „Lufthansa" dazwischenzurufen; denn das muß für unsere Entwicklung ein Punkt des Nachdenkens sein.

(Abg. Müller [Remscheid] : Selbstverständlich; aus diesem Grunde sage ich es ja!)

Ich sage nochmals: Die Willensbildung bei der Urwahl wurde bei weit voneinander liegenden Betrieben eines Unternehmens sehr erschwert. Den Kandidaten war es häufig gar nicht möglich, sich in allen Betrieben angemessen zu präsentieren. Dies hat die Wahlbeteiligung negativ beeinflußt und Zufallsergebnisse begünstigt.
Die Bundesregierung geht daher davon aus, daß gerade bei den vom Entwurf erfaßten großen Unternehmen Wahlen durch Wahlmänner den Ansprüchen an einen demokratisch legitimierenden Wahlakt eher gerecht werden als Urwahlen. Sicher kann man über eine Reihe von praktischen Vorzügen und Nachteilen des Wahlmännerverfahrens im Verhältnis zu Urwahlen verschiedener Meinung sein. Aber es ist unaufrichtig und einfach nicht wahr, zu behaupten, das Wahlmännerverfahren sei undemokratisch und widerspreche dem Selbstbestimmungsrecht der Arbeitnehmer.

(Abg. Breidbach: Es ist weniger demokratisch!)

Es ist bemerkenswert, meine Damen und Herren von der Opposition, daß viele, die jetzt mit großer Emphase für die Urwahl streiten, gerade jenen Kräften angehören, die in der Sache selbst gegen eine echte Mitbestimmung sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es sind übrigens zum Teil die gleichen, die 1956 für die Montankonzerne das Wahlmännerverfahren vorgeschlagen und mitbeschlossen haben. Aber offenbar verändert es die Bewertung, je nach dem, welcher Couleur die vorschlagende Bundesregierung ist. Ich habe Ihnen schon einmal bei der Debatte über die Regierungserklärung gesagt, daß Sie bei der Bewertung einer Frage immer zweierlei Maß anlegen.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Warum sollte die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch in Urwahl gewählte Repräsentanten der Belegschaft undemokratisch sein? Auch im staatlichen Bereich ist die repräsentative Demokratie bewußt eingeführt worden, unter anderem — lassen Sie mich das offen aussprechen —, um die demokratische Ordnung vor extremen Meinungen und Gruppen und vor emotional bedingten Zufallsergebnissen zu schützen. Diese Überlegungen gelten auch für den Unternehmensbereich.
Einige Worte noch zum Minderheitenschutz: Der Entwurf sieht hier einen weitgehenden Schutz vor. Den Arbeitern, den Angestellten und den leitenden Angestellten — mögen diese Gruppen noch so klein sein — soll mindestens je ein Aufsichtsratsvorsitz vorbehalten sein. Ferner: Bei den in Verhältniswahl durchzuführenden Wahlen der Wahlmänner ist dafür gesorgt, daß keine Stimme einer Minderheit verlorengeht. Die Wahlmännerversammlung wählt dann allerdings die Aufsichtsratsmitglieder in gemeinsamer Wahl und in Mehrheitswahl — dies deshalb, weil alle Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer vom Vertrauen der Mehrheit der in der Wahlmännerversammlung repräsentierten Gesamtbelegschaft getragen sein sollen. Sie sollen im Aufsichtsrat nicht partikulare Interessen ihrer jeweiligen Gruppe oder Organisation wahrnehmen.



Bundesminister Arendt
Hier wirft uns nun die Opposition vor, die Mehrheitswahl durch die Wahlmännerversammlung sei undemokratisch. Dies vor allem deshalb, weil nicht gewährleistet sei, daß auch solche Arbeitnehmergruppen im Aufsichtsrat ausreichend zum Zuge kommen, die nach ihrer Organisationszugehörigkeit in der Minderheit sind. Auch hier, meine Damen und Herren von der Opposition, messen Sie mit zweierlei Maß. Sie wissen ganz genau, daß auch die Anteilseigner in der Hauptversammlung ihre Aufsichtsratsmitglieder nur in Mehrheitswahl wählen können. Diese Regelung des Aktiengesetzes haben Sie im Jahre 1965 beschlossen, und niemand von Ihnen hat bis heute diese Mehrheitswahl als undemokratisch bezeichnet oder erachtet.

(Beifall bei der SPD.)

Lassen Sie mich noch einen letzten Grundgedanken des Entwurfs erwähnen. Die neue Mitbestimmungsregelung soll auf das geltende Gesellschafts-
und Unternehmensrecht „aufgestockt" werden. Das bedeutet, das Aktiengesetz, das GmbH-Gesetz usw. sollen nur insoweit geändert werden, als dies zur Gewährleistung der Mitbestimmung unerläßlich ist. Für die Verfechter einer echten Mitbestimmung bedeutet dies manchen Verzicht, weil auf diese Weise die Mitbestimmung in den einzelnen Unternehmensformen nicht einheitlich und nicht überall lupenrein, wie man so sagt, praktiziert werden kann. Die Gegner der Mitbestimmung werden dies sicherlich als „Erleichterung" empfinden.
Doch diese Unvollkommenheiten sollten nicht leichtfertig und extensiv ausgenutzt werden. Sonst würde die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern, die durch die Mitbestimmung gerade erreicht werden soll, von vornherein aufs Spiel gesetzt.
Diese „Aufstockung" der künftigen Mitbestimmungsregelung auf das geltende Gesellschafts- und Unternehmensrecht und die daraus resultierenden Unvollkommenheiten werden nun von manchen zum willkommenen Anlaß genommen, zu fordern, mit der Lösung der Mitbestimmungsfrage bis zur großen Unternehmensrechtsreform zu warten. Die Koalition und die Bundesregierung werden solchen durchsichtigen Ratschlägen nicht folgen. Wir wollen die Mitbestimmungsfrage jetzt lösen und ziehen dies einem weiteren untätigen Warten bis zur großen Reform vor.
Im übrigen, meine Damen und Herren, wird an der Unternehmensrechtsreform gearbeitet. Sie wird zur Zeit von einer beim Bundesminister der Justiz gebildeten Sachverständigenkommission vorbereitet. Die Verabschiedung der Reform durch den Gesetzgeber wird eine Aufgabe der kommenden Legislaturperioden sein. Dabei wird auch die Mitbestimmung in das neue Unternehmensrechtskonzept einzubeziehen sein. und wir werden uns hierbei bereits auf die Erfahrungen mit der Ihnen heute vorgelegten gesetzlichen Regelung stützen können.
Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs ihren Beitrag dazu leisten, daß in unserem Lande endlich ein entscheidender Durchbruch für eine echte Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den größeren Unternehmen erfolgen kann. Dabei ist sich die Bundesregierung durchaus bewußt, daß die Vorlage nicht alle Forderungen erfüllt und nicht alle Beteiligten zufriedenstellt. Dies konnte aber auch niemand erwarten. Denn dazu ist die Mitbestimmungsthematik mit den einander widerstreitenden Interessen der beteiligten Gruppierungen viel zu kontrovers. Die Bundesregierung ist sich ferner bewußt, daß der Entwurf verbesserungsfähig ist. Es ist Aufgabe und Sinn der künftigen parlamentarischen Beratungen, solche Verbesserungen zu beraten und zu beschließen. Die Bundesregierung wird hierzu jede ihr mögliche Hilfe leisten.
Ohne den Beschlüssen des Deutschen Bundestages zu der Vorlage vorgreifen zu wollen, lassen sich jedoch, meine Damen und Herren, schon heute zwei Feststellungen treffen.
Erstens: Der Entwurf bedeutet gegenüber dem, was heute auf dem Feld der Mitbestimmung gilt, einen großen Fortschritt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Zweitens: Er hat den unschätzbaren Vorteil für sich, daß er anders als alle bisherigen Vorschläge mit ihren positiven oder negativen Maximalvorstellungen auch politisch realisierbar ist.

(Zustimmung bei der SPD.)

Deshalb möchte ich den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften zurufen, sie sollten in der Vorlage der Bundesregierung eine gute Chance dafür sehen, der Verwirklichung ihrer berechtigten Mitbestimmungsforderungen entscheidend näherzukommen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die acht Prüfsteine muß man noch einmal nachlesen!)

Auch wenn der Entwurf — und vielleicht auch das beschlossene Gesetz — ihren Forderungen nicht voll zu entsprechen vermag, so ist es doch besser, das politisch Realisierbare heute zu schaffen, als auf ein ungewisses „Morgen" zu vertrauen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Den Unternehmern und ihren Organisationen möchte ich sagen, sie sollten nicht nur schlicht gegen die Mitbestimmung sein. Vielmehr sollten sie sich auf die Mitbestimmung einstellen und sie nutzen, nicht nur zum Wohl der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit, sondern auch zum Wohle der Unternehmen selbst. Denn Mitbestimmung bedeutet auch Mitverantwortung und, durch Teilnahme an den Entscheidungsprozessen, auch mehr Verständnis für unternehmerische Notwendigkeiten.
An die Mitglieder dieses Hohen Hauses möchte ich die Bitte richten, die Vorlage gründlich, aber zugleich auch zügig zu beraten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Kritisch!)

Dabei wird auch jede konkrete und konstruktive Kritik — sofern Sie dazu in der Lage sind — von Nutzen sein. Allerdings wird eine bloße Pauschalkritik nicht genügen. Es wird schon notwendig sein, zu den einzelnen Regelungen des Entwurfs Alternativen aufzuzeigen, die mindestens ein gleiches



Bundesminister Arendt
Maß an Mitbestimmung vorsehen wie der Ihnen vorliegende Entwurf.
Wir alle aber, meine Damen und Herren, sollten die Chance, die die Lösung der Mitbestimmungsfrage für den Bestand und die Entwicklung unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung bietet, gemeinsam nutzen. Die Bundesregierung bittet dabei um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711003100
Das Haus hat die Einbringungsrede des Herrn Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu dem Gesetz über die Mitbestimmung entgegengenommen. Bevor ich die allgemeine Aussprache eröffne, möchte ich Ihnen folgendes mitteilen. Um 13 Uhr beginnt die Fragestunde, die also üblicherweise bis 14.30 Uhr dauern würde. Danach ist die Behandlung des Zusatztagesordnungspunkts — Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung — vorgesehen. Es hat sich herausgestellt, daß die Zahl der Fragen wahrscheinlich dazu führt, daß die Fragestunde bereits gegen 14 Uhr beendet sein wird. Da unsere Zeit knapp ist, werden wir dann gleich ohne Unterbrechung — wahrscheinlich schon gegen 14 Uhr — die Regierungserklärung hören. Ich darf Sie bitten, sich darauf einzustellen.
Ich eröffne nunmehr die allgemeine Aussprache in erster Lesung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke (Osnabrück).

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711003200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute den Entwurf eines Mitbestimmungsgesetzes der Regierung von SPD und FDP. In der Begründung heißt es, das Ziel des Gesetzentwurfes sei, „eine gleichberechtigte und gleichgewichtige Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen". An diesem Anspruch, sehr verehrter Herr Minister, den Vorstellungen der CDU/CSU, den Vorstellungen der Parteien SPD und FDP wird sich dieser Entwurf messen lassen müssen.
Meine Damen und Herren, bevor ich mich mit dem Regierungsentwurf auseinandersetze, will ich mir erlauben, die Grundposition der CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage darzulegen.

(Zuruf von der FDP: Gibt es die denn?)

Zur aktuellen Mitbestimmungsdiskussion hat der Hamburger Parteitag der CDU beschlossen — und die Fraktion der CDU/CSU hat dies übernommen —: erstens Vorschläge für die Zusammensetzung des Aufsichtsrates und zweitens, zur Beschlußfassung im Aufsichtsrat bestimmte Grundsätze zu übernehmen: Der Aufsichtsrat besteht aus einer gleichen Zahl von Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Unter den Vertretern der Arbeitnehmer müssen sich mindestens ein Arbeiter, ein Angestellter und ein leitender Angestellter aus dem Unternehmen befinden. Stellvertretende Vorstandsmitglieder und solche leitenden Angestellten, die in besonderer Nähe zum Vorstand stehen, sind vom aktiven und passiven Wahlrecht zum Aufsichtsrat ausgeschlossen.

(Zurufe von der FDP.)

— Das Wahlverfahren für die Wahl der Arbeitnehmervertreter muß den Gesichtspunkten des Minderheitsschutzes Rechnung tragen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der FDP.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun zu der Beschlußfassung im Aufsichtsrat. Kommt im Aufsichtsrat bei der Bestellung des Vorstandes ein Beschluß wegen Stimmengleichheit nicht zustande, gibt die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden den Ausschlag. Der Aufsichtsratsvorsitzende wird vom Aufsichtsrat aus dem Kreis seiner Mitglieder mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Kommt nach wiederholten Wahlgängen ein Beschluß nicht zustande, so entscheidet entsprechend § 8 des Montanmitbestimmungsgesetzes die Hauptversammlung.
Meine Damen und Herren, das ist unsere Position im Hinblick auf die aktuelle Mitbestimmungsgesetzgebung. Für uns ist diese Lösung aber eben nur eine Übergangslösung. Wir streben ein ganz neues Unternehmensrecht an. Eine Expertenkommission hat von uns den Auftrag mit auf den Weg bekommen, ein neues Unternehmensrecht zu konzipieren. Hierbei stehen für uns folgende Leitsätze im Vordergrund:
Erstens. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist Ausdruck christlich-sozialen Gedankengutes und eine Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Wir wollen die gleichberechtigte Kooperation der im Unternehmen tätigen Kräfte, denn die Würde des arbeitenden Menschen verlangt seine Teilhabe an den Entscheidungen, die die Bedingungen für seine Arbeitswelt setzen. Die Vermenschlichung der Arbeitsbedingungen ist eines der wichtigsten Ziele der Mitbestimmung.
Zweitens. Die heutige rechtliche Grundlage für die Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen entspricht nicht den Zielvorstellungen der CDU/CSU von der partnerschaftlichen Unternehmensordnung. Sie muß deshalb durch ein neues Unternehmensrecht fortentwickelt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das neue Unternehmensrecht soll nach folgenden Grundsätzen ausgestaltet werden.
Erstens. Der im Unternehmen arbeitende Mensch soll als Mitglied des Sozialverbandes „Unternehmen" und nicht nur, wie bisher, als Außenstehender, der unter Vertrag genommen ist, behandelt werden.
Zweitens soll ein partnerschaftliches Verhältnis von Arbeitnehmer, Kapitaleigner und Unternehmensleitung auf der Grundlage der Parität gewährleistet sein.
Drittens. Der ordnungspolitische Zusammenhang von Koalitionsfreiheit, Privateigentum und Unternehmensautonomie soll im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft gesichert werden.
Viertens. Es soll der Übergang von der institutionellen zur gleichberechtigten gesellschaftsrechtlichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer ermöglicht werden.
Fünftens und letztens sollen Unternehmensrecht und Betriebsverfassung miteinander verbunden und



Franke (Osnabrück)

das Unternehmensrecht der organisatorischen Entwicklung der Großunternehmen angepaßt werden.
Meine Damen und Herren, ich sagte, daß der aktuelle Beitrag, den der vorliegende Gesetzentwurf darstellt, für uns nur eine Übergangslösung ist. Wir streben ein neues Unternehmensrecht an. Die Grundzüge habe ich mir erlaubt, Ihnen hier darzulegen.
Für uns, meine Damen und Herren, ist aber Mitbestimmung eine Sache, die es zu lösen gilt. Gleichberechtigt daneben steht für uns die Lösung des Problems der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Hier muß dann allerdings bedauerlicherweise angemerkt werden, daß diese Bundesregierung es jetzt unternommen hat, die Vermögensbildung, die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital in die nächste Periode des Bundestages und damit fast auf den Sanktnimmerleinstag zu vertagen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Unerhört!)

Die Selbstbestimmung des Arbeitnehmers kann nicht nur durch die Mitbestimmung gelöst werden. Dazu gehört in einer hochindustrialisierten Gesellschaft, in der freien sozialen Marktwirtschaft, die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital. Mit dem Beschluß der Bundesregierung, keine Beteiligung am Produktivkapital für Arbeitnehmer zu ermöglichen, handelt sie gegen die Interessen der Arbeitnehmer.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711003300
Gestatten Sie, Herr Abgeordneter Franke, eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak?

(Abg. Stücklen: Wehner läßt sich auch nicht fragen!)


Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711003400
Ich möchte eine Zwischenbemerkung machen: Würden wir uns alle diesen miesen parlamentarischen Stil von Herrn Wehner angewöhnen, könnten wir diesen Laden zumachen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0711003500
Herr Kollege Franke, können Sie uns bestätigen, daß bei der Sachverständigenanhörung zu den Vorstellungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital und das 624-DM-Gesetz von den Sachverständigen alle Pläne der CDU/CSU abgelehnt worden sind und daß uns die Sachverständigen davor gewarnt !haben, Ihren Entwurf in die Disposition einzubeziehen?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711003600
Vielen Dank, Herr Kollege Urbaniak, für diese Zwischenfrage; man muß Ihnen einfach dankbar sein. Schade, daß der Graf Lambsdorff nicht da ist. Er kriegt von mir noch 3 Mark, weil er beim letzten Mal eine Zwischenfrage an Rainer Barzel gestellt hat, die es diesem ermöglichte, die Geschichte von 1966 hier genau darzulegen. Dafür hatte ich Herrn Lambsdorff 3 Mark zugesagt. Ich bedanke mich nun auch; nur werden Sie jetzt keine 3 Mark dafür kriegen, Herr Kollege Urbaniak.
Lassen Sie mich nur folgendes sagen. Es gibt wirklich nur einen einzigen Gesetzentwurf — solange der Bundestag besteht, also seit 1949 —, der sich an dieses große Problem der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital herangewagt hat. Den haben wir im Mai 1970 auf den Tisch gelegt.

(Zurufe von der SPD.)

— Es gibt keinen anderen Gesetzentwurf. Wenn Sie einiges daran als verbesserungswürdig bezeichnen wollen — das haben Sie und auch die Sachverständigen getan —, dann hätten Sie ja die Gelegenheit gehabt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD soll eine Alternative zeigen!)

Ihren Sachverstand hier zu produzieren, statt die Beratung des Vermögensbildungsgesetzes vom Mai 1970 zu verhindern.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der CDU/CSU und von der SPD.)

Mit Ihrer Vertagung auf 1978 handeln Sie entsprechend den Beschlüssen Ihres Hannoverschen Parteitages, die im Grunde genommen Makulatur waren, eine Täuschung der Arbeitnehmer und der Offentlichkeit, aber keine direkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital bedeuteten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711003700
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711003800
Mein Landsmann aus Osnabrück! Natürlich!

(Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD hat keine Alternative!)


Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID0711003900
Herr Kollege Franke, können Sie mir erklären, was Sie damit gemeint haben, als Sie eben von „diesem Laden" sprachen?

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711004000
Ich bitte um Entschuldigung, verehrter Herr Kollege. Ich gebe Ihnen völlig recht. Ich nehme diese Kritik hier entgegen. Ich könnte mir vorstellen, daß der Herr Präsident mich nachher noch zur Seite nimmt und mich ebenfalls darauf aufmerksam macht. Ich nehme das hiermit zurück; ich meine 'dieses Hohe Haus.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, in einer hochindustrialisierten Gesellschaft — ich wiederhole das —, in der freien sozialen Marktwirtschaft gehört die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital dazu. Sie handeln mit ,dem Nichteinbringen gegen die Interessen der Arbeitnehmer. Die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer steht auf einem vielleicht irgendwo amputierten Bein, wenn wir lediglich Ihren



Franke (Osnabrück)

Mitbestimmungsgesetzentwurf hier in diesem Hause verabschieden.
Aber auch Ihr Mitbestimmungsgesetzentwurf bringt, was die Erfüllung der Selbstbestimmung angeht, für ,die Arbeitnehmer nicht die erhoffte Gleichstellung. Alle emanzipatorischen Impulse, die von einer Wahl eines Arbeitnehmers in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens ausgehen, werden durch das Wahlmännergremium, das Sie installiert haben — ein Manipulationsinstrument zur Entmündigung der Arbeitnehmer —, erstickt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD.)

Man muß sich fragen, welche Motive eigentlich die Sozialdemokratie bei der Einführung von Mitbestimmung in Unternehmen leiten. Sicherlich geht es hierbei immer noch nach ,der alten handgemachten Formel von August Bebel, der 1879 — ich darf hier mit Genehmigung ,des Herrn Präsidenten einen Satz zitieren — unter der Überschrift „Die Sozialisierung der Gesellschaft" schrieb:
Mit der Aufhebung des Privateigentums und der Klassengegensätze fällt auch allmählich der Staat.
Meine Damen und Herren, das ist immer noch eine der Nährwurzeln Ihres Versuchs, unsere Gesellschaft zu ordnen. Aber Sie können mir jetzt natürlich sagen, daß das Jugendsünden des Sozialismus seien, daß idas heute längst vergessen sei. Weit gefehlt! Von August Bebel — 1879 — über das Erfurter Programm von 1891, über das Heidelberger Programm von 1925 — Matthöfer ist besonders sachverständig —, über die „Wirtschaftsdemokratisten" des Jahres 1928 — ich nenne nur die Namen Naphtali, Deist und auch Professor Fritz Baade —

(Zuruf von der SPD: Das Ahlener Programm von 1947 haben Sie vergessen!)

bis Godesberg 1959 und zu den neomarxistischen Ideen Ihrer Partei und zu dieser Mitbestimmungsvorlage läßt sich eine Linie ziehen. Wenn Sie Wahlmännergremium sagen, dann wollen Sie nicht den Anschluß verpassen, eines Tages eben doch das Ziel zu erreichen, das Karl Kautsky in seiner Schrift „Der Weg zur Macht" 1909 so beschrieb — ich darf kurz zitieren, Herr Präsident —:
Soviel ist sicher: daß die Sozialdemokratie eine revolutionäre Partei ist als Verfechterin der Klasseninteressen des Proletariats, weil es unmöglich ist, diesem in der kapitalistischen Gesellschaft zu einem befriedigenden Dasein zu verhelfen, weil seine Befreiung die Überwindung des Privateigentums an den kapitalistischen Produktions- und Machtmitteln durch das gesellschaftliche Eigentum und die Ersetzung der Privatproduktion durch gesellschaftliche Produktion erheischt. Das Proletariat kann Befriedigung nur finden in einer von der bestehenden aufs tiefste verschiedenen Gesellschaftsordnung.
Das sagte er 1909, meine Damen und Herren! Ich
will es Ihnen und uns allen ersparen, entsprechende
Sätze Ihrer Partei aus Ihren Parteitagsdiskussionen
und aus den Diskussionen der Jungsozialisten in den Jahren 1970, 1973 und 1974 zu zitieren, die sich hierauf beziehen und die ganz klar und eindeutig diesen Weg beschreiten.

(Widerspruch bei der SPD.)

Es ist kein Geringerer als der Kollege Farthmann gewesen — es tut mir leid, daß ich ihn hier in diesem Zusammenhang zitieren muß —, ein vom ganzen Hohen Hause wegen seines Sachverstandes geschätzter Kollege, der auf dem Saarbrücker Parteitag vor einer solchen Entwicklung gewarnt hat. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen hier mit einem wörtlichen Zitat dienen, das ich an sich nicht vorbringen möchte. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit nur auf die „Süddeutsche Zeitung" vom 8. März 1973, in der es in einem Artikel über den Juso-Kongreß in München heißt: „Das Ziel ist die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel."
Alle diese Leute wie Bernstein, Kautsky oder wie auch immer — jetzt Wolfgang Roth oder Norbert Gansel oder wen Sie sonst wollen — irren hier genauso wie das Godesberger Programm, wenn man glaubt, Sozialismus bringe die große Befreiung der abhängig Beschäftigten. Weit gefehlt! Hier werden neue Abhängigkeiten geschaffen, und wenn sie geschaffen werden, dann haben es allerdings — jetzt muß ich mich hier noch einmal dem kleinen Häuflein der Freien Demokraten zuwenden — die Freien Demokraten mit zu verantworten, daß es hier zu der Möglichkeit einer solchen Zielsetzung kommt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie, die FDP, wird zum Steigbügelhalter solcher Zielsetzungen, die von der SPD nicht so deutlich ausgesprochen worden sind, die aber für jeden, der sich mit der Geschichte, der sozialen Geschichte unserer Republik und des deutschen Volkes beschäftigt, klar sind. Sie, die FDP, haben hier nicht genügend Widerstand geleistet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es mag sein, daß einige ganz wenige — die, die hier sitzen, bestimmt nicht — das wollen. Die große Zahl der FDP-Abgeordneten kann das aber doch nicht wollen. Es muß gefragt werden, ob jeder FDP-Kollege z. B. die Tragweite und die Funktion des Wahlmännergremiums richtig erkannt hat. Ich weiß, hier kommt gleich der Hinweis auf das Mitbestimmungsergänzungsgesetz von 1956. Lassen Sie mich hierzu zwei Bemerkungen machen.
Erstens. Natürlich muß man sich mit dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz und unserer Einlassung damals auseinandersetzen. Nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz findet die Wahl nicht über jeden einzelnen statt, sondern es wird sozusagen im Block gewählt. Nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz findet das — Walter Arendt sprach von den partikularen Interessen — auf Konzern- und auf Holdingebene statt und nicht in den einzelnen Betrieben. Dadurch, daß jetzt im Block gewählt wird und nicht durch Mehrheitswahl über jeden einzelnen abgestimmt wird, gibt es schon einen Ausgleich in sich. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf den Aufsatz von Professor Löwitz, der



Franke (Osnabrück)

am 7. März 1974 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand.
Zweitens. Wenn wir auch das Wahlmännergremium mit zu verantworten haben, so muß man doch berücksichtigen, daß diese Republik 1956 gerade sechs oder sieben Jahre alt war und daß wir uns damals auf ein neues Gebiet vortasteten. Wir hatten seit 1951/52 nach dem Entsendungsrecht des ersten Montan-Mitbestimmungsgesetzes sicherlich auch noch keine Erfahrungen gesammelt. Aber wir schreiben jetzt nicht mehr 1956, sondern 1974.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Der mündige Arbeitnehmer von 1974 kann das Instrument der Wahl, in den Aufsichtsrat seine eigenen Männer des Vertrauens zu entsenden, heute in die Hand nehmen. Sie entmündigen ihn, Sie lassen ihm das Recht dazu nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Ehrenberg meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Lassen Sie mich noch auf eine Tatsache hinweisen, verehrter Herr Kollege; dann komme ich auf Sie zurück.
Ich kann mir vorstellen, woher ein Teil Ihrer Befürchtungen kommt — abgesehen von den gesellschaftspolitischen, den philosophischen Aspekten; ich bin sicher, daß Sie den Kautsky von vorn bis hinten kennen, aber ich kann Ihnen auch alle Literatur darüber aus meinem Privatbesitz leihen. Nehmen Sie die Aufsichtsratswahl, die nach dem Betriebsverfassungsgesetz in den letzten Tagen bei der Lufthansa stattgefunden hat! Man konnte feststellen, daß eben ohne dieses Manipulationsinstrument ein sehr gewichtiger Vorsitzender einer sehr wichtigen Gewerkschaft, nämlich der Herr Kluncker, von der Belegschaft in der Urwahl nicht in den Aufsichtsrat gewählt worden ist. Er hat die sechstmeisten Stimmen bekommen.
Lassen Sie mich in diesem Augenblick noch einfügen: Meine Fraktion und ich wissen um die Wichtigkeit der Ordnungsfunktion der Gewerkschaften, auch um die Ordnungsfunktion und die Bedeutung der Gewerkschaften z. B. bei der Entsendung in Aufsichtsorgane von Groß- und Größtunternehmen. Aber hier gibt es doch eindeutig eine Priorität. Derjenige, der darüber zu entscheiden hat, ist doch nicht nur der Gesetzgeber, sondern der Souverän im Betrieb hat darüber zu befinden, ob jemand in das Aufsichtsorgan entsandt wird. Wer das Vertrauen der Belegschaft nicht hat, der ist eben nicht gewählt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711004100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg? — Bitte!

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0711004200
Herr Kollege Franke, nachdem Sie hier so oft und nachdrücklich das Wahlmännergremium als eine wenig demokratische Einrichtung — um mich vorsichtig auszudrücken — geschildert und Ihren Erkenntnisstand seit 1956 dargestellt haben, darf ich Sie fragen, warum Sie noch dem Wahlmännergremium Bundesversammlung angehört haben, warum Sie nicht auch Vorschläge bringen, dieses Wahlmännergremium in eine Urwahl umzuändern.

(Abg. Dr. Carstens [Fehmarn] : Dem Kollegen Ehrenberg müßten Sie 5 D-Mark geben! — Heiterkeit.)


Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711004300
Vielen Dank. Herr Kollege Ehrenberg, meine Kollegen rufen mir jetzt gerade zu, ich solle Ihnen für diese Zwischenfrage fünf Mark geben. Auch wenn meine Kollegen das jetzt sagen, bekommen Sie sie nicht aus meiner Tasche gezahlt; aber für diese Zwischenfrage bin ich Ihnen herzlich dankbar. Lieber Herr Ehrenberg, ich glaube, Sie sind Volkswirt — wenn ich das richtig nachgelesen habe —; ich bin nur einfacher Techniker. Ich bin ein von meiner Firma ernannter Ingenieur; darauf bin ich sehr stolz, wenn Sie so wollen, das habe ich mir nämlich erarbeitet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber wer die Geschichte der Weimarer Verfassung, den Verfassungswillen von Hugo Preuß und die Anlage der Verfassung in die Weimarer Republik hinein mit der Leidensgeschichte kennt, die Sie an der Leidensgeschichte des ersten Repräsentanten der Weimarer Republik nachlesen können, nämlich Ihres Parteifreundes, des von uns allen sehr geschätzten Friedrich Ebert, der weiß, daß ein erheblicher qualitativer Unterschied zwischen der Direktwahl — dem plebiszitären Ergebnis — eines Staatsoberhauptes und dieser auf politischer Ebene nicht zu emotionalisierenden Möglichkeit besteht. Die Verfassungsväter von 1948 haben nämlich die Erfahrungen der Weimarer Republik auch hier mit verarbeitet. Aber ich wiederhole noch einmal: wir sind jetzt nicht in der verfassungsgebenden Versammlung der Jahre 1918/19, wir sind jetzt nicht in der verfassungsgebenden Versammlung des Grundgesetzes, sondern wir sind im Jahre 1974 und trauen unserem Volk diese Reife und den Arbeitnehmern zu, ihre Aufsichtsratsmandate selber zu wählen und zu bestimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711004400
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach)? — Bitte!

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0711004500
Herr Kollege Franke, wären Sie bereit, den Herrn Fragesteller zurückzufragen, was er gegen Herrn Scheel hat?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711004600
Vielen Dank, Benno Erhard; über die Entlohnung der Zwischenfrage können wir miteinander reden. Aber die Frage hat natürlich einen sehr großen politischen Hintergrund. Natürlich hat er nichts gegen Herrn Scheel, aber gegen das Ergebnis, das sich im Laufe der



Franke (Osnabrück)

letzten eineinhalb Jahre als solches gezeigt hat. Das darf man wohl unterstellen.

(Abg. Breidbach: Er hätte lieber Willy da gesehen!)

Aber lassen Sie mich noch einmal auf das Mitbestimmungsergänzungsgesetz und auf das Wahlmännergremium zurückkommen. Die FDP hat das in Freiburg auch erkannt. Zwischen der FDP und uns gibt es hier im Grunde genommen keinen Dissens. Die FDP hat in Freiburg die Direktwahl oder die Urwahl in ihrem Programm stehen. Sie hat allerdings, verehrter Herr Kollege Spitzmüller — wenn ich „verehrter Herr Kollege Spitzmüller" sage, dann meine ich das auch so —, ohne Not ihre eigene Position — jetzt gebrauche ich eine scharfe Formulierung — für das Linsengericht einer nicht zweifelsfrei zu bestimmenden Position der leitenden Angestellten aufgegeben.
Lassen Sie mich ganz klar und deutlich sagen, daß die Freien Demokraten nicht für sich in Anspruch nehmen können, sie hätten den Faktor „Disposition" oder „leitende Angestellte", z. B. für die Gestaltung der Betriebsverfassung, entdeckt. Darüber wollen wir gar nicht miteinander streiten. Aber auf Ihrem Freiburger Parteitag 1971 standen zwei Entwürfe zur Diskussion. Das eine war der MaihoferPlan, der von einem Aufsichtsratszahlenverhältnis von 4 : 4 : 2 ausging: vier Anteilseigner, vier Arbeitnehmer und zwei Faktoren „Disposition". Maihofer sagt selbst zur Auflösung der Pattsituation zwischen Anteilseignern und der Arbeitnehmerschaft in seinen Freiburger Thesen — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren —:
Darum muß eine funktionsgerechte Mitbestimmungslösung nicht nur Regelungen enthalten, dieeinen Interessenausgleich im Falle eines Widerstreits einseitiger Kapitalgeber- und Arbeitnehmerinteressen gewährleistet, sie muß zugleich im Konfliktfall beiden beschränkten Interessenstandpunkten gegenüber die Durchsetzung der übergreifenden Unternehmensinteressen an der Rentabilität sicherstellen, die im größeren Wirtschaftsunternehmeneinem sogenannten Faktor Disposition zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung durch bestmöglichen Einsatz der Faktoren Kapital und Arbeit übertragbar sind.
Dann heißt es in der These 4 des Maihofer-Plans weiter:
Zur Sicherstellung des überwiegenden Unternehmensinteresses im Falle eines Interessenkonflikts zwischen den Faktoren Kapital und Arbeit ist eine angemessene Beteiligung von leitenden Angestellten als Vertreter des Faktors Disposition in der Unternehmensaufsicht vorzusehen.
Meine Damen und Herren, Sie können mit uns darüber streiten, ob das Ergebnis Maihofer oder Ihr 6 :4 : 2-Modell, das dann letztlich in Freiburg beschlossen worden ist — Maihofer ist mit einer Stimme untergegangen; das ist ein ganz natürlicher Vorgang auf Parteitagen, das ist doch keine Schande in der Politik —, vorzuziehen ist. Nur, mit dem hohen Anspruch, mit dem Sie in Freiburg angetreten sind — der ist sowohl in 4 : 4 : 2 wie aber auch in 6 : 4 : 2 enthalten —, sind Sie bei der Konzipierung dieses Mitbestimmungsgesetzentwurfs letztlich völlig unter den Schlitten geraten. Sie haben sich in dieser Frage nicht durchgesetzt.
Die FDP hat in Freiburg nach meiner Auffassung eine hervorragende Diskussion geführt. Aber sie hat in der Koalition mit der SPD völlig versagt. Sie hat nicht einmal den Hauch der Entscheidungen ihrer eigenen Überzeugung hier durchgesetzt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie finden den Faktor Disposition oder leitende Angestellte im Regierungsentwurf überhaupt nicht wieder.
Natürlich ist das ein sehr schweres Gebiet. Die Regierung hat sich in ihrem Entwurf überhaupt nicht darum gekümmert, was das Bundesarbeitsgericht am 5. März 1974 in dieser Frage entschieden hat. Das Bundesarbeitsgericht hatte über einen Antrag zu entscheiden, wer bei einer Betriebsratswahl wahlfähig ist oder nicht nach § 5 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes. Das Bundesarbeitsgericht — ich glaube nicht, daß es uns hier insgesamt sehr hilfreich gewesen ist — hat entschieden und sagt u. a. in der Begründung:
Eine allgemein übliche Verkehrsanschauung, darüber, wer leitender Angestellter ist, läßt sich derzeit nicht feststellen, falls eine Verkehrsanschauung überhaupt für eine juristische Begriffsabgrenzung des leitenden Angestellten brauchbar sein sollte.
Das ist die eine Seite.
Allerdings sagt das Bundesarbeitsgericht andererseits auch:

(ArbeitgeberMeine Damen und Herren, Sie haben sich mit diesem Entwurf selbst in diesen Zwiespalt gebracht. Ist er nun ein Angehöriger der Arbeitnehmerbank? Dazu sagt das Bundesarbeitsgericht: Das ist er nicht, da es keine allgemeine Verkehrsanschauung darüber gibt, wer leitender Angestellter ist. Auf der anderen Seite sagt es aber: Der gehört auf die Unternehmerbank; und es wird von der Interessenpolarität gesprochen. Wenn das Bundesarbeitsgericht recht hat und Sie mit diesem Ihrem Entwurf jetzt so in die Debatte gehen, dann haben Sie keine Parität hergestellt, sondern das ist ein 11:9-Verhältnis, ein 9 : 7oder ein 7 : 5-Verhältnis. Das sage ich Ihnen ganz freimütig: Da kann Ihnen niemand anders helfen als eben das bataillonsstarke Instrument des Bundesarbeitsministeriums oder des Franke Justizministeriums, hier eine neue Formulierung zu bringen. Und seit dem 5. März 1974 hatten Sie doch Zeit genug. Verehrter Herr Minister Arendt, Sie haben gestern irgendwo vor dem Deutschen Bankenverein eine Rede gehalten. Warum sollen Sie nicht auch einmal bei den Banken auftreten, nicht wahr, verehrter Herr Minister? Ich gehöre in diesem Hause nicht zu denen — lassen Sie mich das in diesem Zusammenhang sagen —, die sich ganz zart benehmen, manchmal vielleicht etwas zu hart. Aber irgendwo, in irgendeinem Bereich — dem persönlichen — muß es doch aufhören. Ich habe es als sehr schäbig empfunden, als Sie meinem Kollegen Breidbach, mit dem man sehr leicht Streit kriegen kann --ich auch, warum auch nicht?, aber deswegen ist er mir gleichwohl ein lieber Freund —, eben zugerufen haben, er verstünde vom Aufsichtsrat nur so viel, daß es dort Tantiemen gebe. Ich halte das für eine ganz schäbige Bemerkung, verehrter Herr Minister. Bei aller Härte in der politischen Auseinandersetzung — ich sage noch einmal: ich bin da nicht besonders zart besaitet — muß es doch aufhören, daß man einen Kollegen persönlich angreift und so herabzusetzen versucht. Mit Sicherheit hat er keine Ahnung von der Höhe der Tantiemen; denn er ist nicht Mitglied irgendeines Aufsichtsrats. Vielmehr — und jetzt gebe ich zurück — Sie als Bergarbeitervorsitzender haben doch sicherlich eine ganze Reihe von Erfahrungen zumindest über die Höhe der Tantiemen gesammelt. Das neide ich Ihnen nicht, verehrter Herr Minister, das haben Sie für eine durchaus wichtige und, wie ich sicher bin, zuverlässige Arbeit bekommen. Aber Sie dürfen hier keinen Kollegen herabsetzen und sagen: Du bist dumm, du verstehst nur davon etwas, wenn es Geld gibt. Lassen Sie mich hier ganz kurz ein neues Thema aufgreifen: Fragen und Probleme der externen Vertreter. Die FDP schließt in ihren Freiburger Thesen externe Vertreter nicht grundsätzlich aus. Man kann darüber miteinander diskutieren. Sie schließt sie im Grunde genommen aus. Ich weiß, daß Sie sagen: Sie müssen sich stellen, sie müssen Vertrauen bewirken und können dann eventuell gewählt werden. Das ist eine Position, bei der wir uns begegnen könnten. Nach dem SPD-Papier vom Dezember 1968 gibt es nach wie vor das Entsendungsrecht, allerdings müssen dann die Vertreter, die externen Vertreter in der Unternehmensversammlung gewählt werden. Ich biete Ihnen hier ganz freimütig an, hier gemeinsam über den richtigen Weg miteinander zu beraten. — Sie sind etwas zu schnell. Trotz meiner schnellen Redeweise kann ich nicht so schnell, wie Sie dazwischenrufen, reden. — Die Grundposition der CDU/CSU, meine Damen und Herren, ist ganz eindeutig: ohne das Vertrauen der Belegschaft kann kein externer Vertreter in ein Aufsichtsorgan entsandt werden. Wenn dieser externe Vertreter nicht das Vertrauen bekommt — das mußte Kluncker jetzt am eigenen Leibe erfahren, und nicht nur er, sondern auch andere Mitglieder der ÖTV —, ist es nicht möglich, in die Aufsichtsgremien der Unternehmen entsandt zu werden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine weitere Bemerkung zur Frage der Auflösung der Pattsituation im Aufsichtsrat machen. Herr Minister, Sie haben hier in sehr blumenreichen Worten geschildert, daß sich der § 26 sehr wohltuend von dem abhebe, was die CDU in Hamburg — von der Fraktion übernommen — beschlossen habe. Ich glaube, so einfach können Sie es sich nicht machen. Alle Sachverständigen halten das, was Sie auf den Tisch gelegt haben, für „unbrauchbar und nicht praktikabel". Das ist z. B. die wörtliche Formulierung des Bundesrates. Nun können Sie natürlich sagen: Das ist die Mehrheit der CDU/CSU-Länder gewesen. Aber lesen Sie alle sachverständigen Kommentare zur Auflösung der Pattsituation nach, dann erhalten Sie über das Verfahren, das Sie hier angewandt haben, ein vernichtendes Urteil. Nach Ihrer Vorlage gibt es durchaus die Möglichkeit einer Nichteinigung. Dann schliddert das nicht entschieden dahin. Ausnahmen machen Sie z. B. für den Vorsitz im Aufsichtsrat, für die Bestellung des Vorstandes und für die Ausübung von Beteiligungsrechten, wenn Sie die Aufhebung der Pattsituation betreiben; da beziehen Sie sich, glaube ich, auf den § 111 des Aktiengesetzes. Hier — das sage ich Ihnen ganz eindeutig — werden Sie mit uns lange diskutieren müssen. Wir gehen davon aus — ich beziehe mich jetzt hier auf Hamburg —, daß hier praktikabel gehandelt werden muß, damit das Geschäftsinteresse und die Arbeitsplätze, die auch daranhängen, gewahrt bleiben. Es darf für die Arbeitnehmer in den Betrieben kein großes Risiko entstehen, weil durch eine Pattsituation verhindert wird und durch ihre gesetzliche Formulierung verhindert worden ist, daß letztlich eine Entscheidung im Aufsichtsorgan stattfindet. Auch bei der Bestellung des Vorstandes nach § 28 haben Sie, meine Damen und Herren, ein umständliches Verfahren gewählt. Ich glaube, das läßt sich vereinfachen und kann zum gleichen Ziel führen. Der Aufsichtsrat — das ist die erste Phase — bestellt die Vorstandsmitglieder mit Zweidrittelmehrheit. Kommt eine Bestellung nicht zustande, so muß der Aufsichtsrat einen Ausschuß bilden, dem je zwei Anteilseignervertreter und zwei Arbeitnehmervertreter angehören; der macht innerhalb eines Monats einen Vorschlag für die Bestellung des Vorstandes. Andere Vorschläge können gemacht werden. Die Mitglieder des Vorstandes werden dann mit der Mehrheit des Aufsichtsrats gewählt. Wenn, meine Damen und Herren, die Bestellung des Vorstands Franke mit der Mehrheit nicht klappt, machen der Vorsitzende des Aufsichtsrats und sein Stellvertreter einen gemeinsamen Vorschlag oder je einen Vorschlag für die Bestellung, und dann entscheidet die Hauptversammlung. Ich glaube, inzwischen sind einige Monate vergangen, ehe Sie das über die Bühne bekommen haben, und ich glaube, das kann ein Unternehmen — auch im Interesse der Sicherung der Arbeitsplätze des Unternehmens, weil ja Entscheidungen getroffen werden müssen — nicht vertragen. Hierüber müssen wir uns unterhalten, um das praktikabler zu gestalten. Lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, eine Bemerkung zu einem Ereignis machen, welches in den letzten Tagen die Offentlichkeit und insbesondere die Arbeitnehmer in einem ganz bestimmten Teil unserer Bundesrepublik beschäftigt hat: Ihre Handhabung der Aufsichtsfunktionen in einem — allerdings nach dem Betriebsverfassungsgesetz — mitbestimmten Unternehmen. Ich meine das VW-Werk in Wolfsburg. Meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen. In dem Aufsichtsorgan des VW-Werks, obwohl nur nach Betriebsverfassungsgesetz mitbestimmt, haben die Sozialdemokraten weitaus die Mehrheit. Ich glaube, Sie haben sogar eine Zweidrittelmehrheit im Aufsichtsorgan, einmal durch die Vertreter des Landes Niedersachsen, das, glaube ich, 20 % besitzt, zweitens durch die Bundesregierung, die jetzt wieder 20 % erreicht hat. Sicherlich sitzt auch ein Freier Demokrat darin, aber die Verantwortung haben Sie zu tragen. Vor der Wahl in Niedersachsen haben die Betriebsräte schon sehr viele Sorgen gehabt und das der. Offentlichkeit mitgeteilt. (Abg. Dr. Ehrenberg meldet sich zu einer Zwischenfrage.)


(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Breidbach: Dregger-Entwurf!)





(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Zuruf von der FDP: Das stimmt nicht!)


(Zuruf von der SPD.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)




— Herr Ehrenberg, lassen Sie mich das jetzt erst zu Ende erklären.

(Abg. Dr. Ehrenberg: Das paßt da hinein!)

— Ich weiß, daß das da hineinpaßt, aber es paßt auch so schön, daß ich das zu Ende erkläre. — Vor der Wahl in Niedersachsen haben Sie gesagt,

(Abg. van Delden: Wir wären Panikmacher!)

es bestünden überhaupt keine Beschäftigungsrisiken für die in Wolfsburg, in Hannover, in Emden und in Kassel Beschäftigten.

(Abg. Breidbach: Da waren wir Panikmacher! Da war die CDU Panikmacher!)

In diesem Zusammenhang habe ich im Wahlkampf in Niedersachsen oft das Wort „Panikmacher" gehört. Meine Damen und Herren, wir alle wußten, daß hier Beschäftigungsrisiken bestehen. Wir haben das nicht unmittelbar in den Wahlkampf eingeführt; mit solchen Schwierigkeiten kann man sicherlich keinen Wahlkampf bestreiten. Sie haben die Risiken durch die Aufsichtsgremien verneint. Am Tage nach der Wahl las man es ganz anders.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Breidbach: Das war keine Lüge, das war die Wahrheit!)

12 000 Beschäftigte, d. h. mehr als 10 % aller Beschäftigten — so steht es heute in der Zeitung —, müssen in diesem Jahre entlassen werden, meine Damen und Herren!

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

Was ich damit sagen will und weshalb ich mich so intensiv jetzt gerade mit dieser Frage noch beschäftige: Sie haben einen Teil der öffentlichen Diskussion und auch der von Ihnen emotionalisiert bestimmten Diskussion über die Mitbestimmung mit der Forderung betrieben, daß man Machtkontrolle ausüben müsse und daß man die Unternehmer nicht allein über das Beschäftigungsrisiko entscheiden lassen dürfe, und Sie haben damit im Sinne der Neidkomplexe, die Conrad Ahlers — allerdings auf einem anderen Gebiet — hier an Ihnen selbst und an Ihrer Position kritisiert hat, draußen bei den Bürgern den Eindruck zu erwecken versucht, hier werde kapitalistisches Interesse vor Beschäftigungsmöglichkeit gestellt. Meine Damen und Herren, ich will damit nur nachweisen, daß alle Ihre Reden, daß es nur in einem von einem Kapitalisten — um in Ihrem Sprachgebrauch zu reden — geführten Unternehmen zu Schwierigkeiten kommen kann, durch diese Tatsache widerlegt worden sind. Sowohl was die Aufsichtsgremien und die Leitung des Unternehmens angeht, weil die Sozialdemokraten die große Mehrheit im Aufsichtsorgan des VW- Werks haben, als auch an der anderen und wichtigen Flanke tragen Sie für das jetzt eingetretene Beschäftigungsrisiko die volle Verantwortung, weil Sie hier in Bonn die Wirtschaftspolitik machen, meine Damen und Herren, die die schlechteren Absatzmöglichkeiten bewirkt hat und für meine Kollegen in Wolfsburg und in meinem Wahlkreis in Hannover — ein Franke wird in Hannover immer gewählt; die kandidieren nämlich gegeneinander —

(Heiterkeit)

und wo auch immer die Beschäftigungsrisiken erhöht hat. Durch Ihre Wirtschaftspolitik ist das Beschäftigungsrisiko in Wolfsburg so groß geworden, daß 12 000 Familien künftig keine Möglichkeit haben, aus unmittelbarer Arbeit ihr Einkommen zu beziehen.

Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711004700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0711004800
Herr Abgeordneter Franke, nur ganz kurz: Würden Sie bei den Details über den Aufsichtsrat des Volkswagenwerks bitte dem Hohen Hause auch mitteilen, daß der Aufsichtsratsvorsitzende dieses Werkes Herr Staatssekretär a. D. Rust ist, ein Staatssekretär aus Zeiten einer CDU-Regierung?

(Abg. Breidbach: Jetzt bekommt er 10 Mark! Jetzt würde ich ihm für die Frage 10 Mark geben!)


Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711004900
Lieber Herr Kollege Ehrenberg,

(Abg. Breidbach: Der bekommt jetzt 10 Mark!)




Franke (Osnabrück)

— ja, er bekommt jetzt 10 Mark — zufällig haben Sie jetzt gerade auch mit einem Aufsichtsratsvorsitzenden gesprochen, nämlich mit mir.

(Zurufe von der SPD.)

So in der allgemeinen Vorstellung hat ja jeder Abgeordnete einen Aufsichtsratssitz. Ich bin auch in einem Aufsichtsrat, ich bin sogar Vorsitzender, meine Damen und Herren, nämlich Vorsitzender des Aufsichtsrates einer kirchlichen Wohnungsbaugesellschaft.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Aber was ich damit sagen will: Ob man nun eine Bilanzsumme von 20 Millionen DM oder von 18 Milliarden DM hat, wie ein großes Unternehmen, welches mir seit 22 Jahren Arbeitsmöglichkeiten gibt, so weiß ich doch — und das wissen Sie auch, Herr Kollege Ehrenberg —, daß der Aufsichtsratsvorsitzende im Grunde genommen eine moderierende Funktion hat und daß im Aufsichtsrat Mehrheitsbeschlüsse gefaßt werden, und die werden von Ihnen produziert, nämlich von den sozialdemokratischen Mitgliedern des Aufsichtsrates.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei Abgeordneten der SPD.)

Was Sie mit diesem Beispiel sagen wollen — daß ein ehemaliger Staatssekretär einer CDU-Regierung dort Aufsichtsratsvorsitzender ist —, entkräftet doch nicht meine Behauptung — widerlegen Sie mich! —, daß die Sozialdemokraten im Aufsichtsrat der VW-Werke die Mehrheit haben. Und bei VW kriselt es, meine Damen und Herren, und das haben Sie mitzuverantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD.)

Eine kurze Gesamtbeurteilung:
1. Dieser Entwurf verdient nicht das Prädikat, das ihm regierungsamtlich verliehen worden ist.
2. Wir billigen die von den Sozialdemokraten einprogrammierte Zielsetzung nicht.
3. Wir geben Eugen Loderer recht, der heute in der „Süddeutschen Zeitung" sagt — und dem schließen wir uns vollinhaltlich an —:
Der Regierungsentwurf des Mitbestimmungsgesetzes, der am Donnerstag vom Parlament in erster Lesung behandelt werden soll, verdient diese Bezeichnung gar nicht, denn unter dem Blickwinkel der Gewerkschaften handelt es sich lediglich um eine Festschreibung des Betriebsverfassungsgesetzes, keineswegs jedoch um die Arbeitnehmermitbestimmung auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Gleichgewichtigkeit.
Wir haben diesem Wort von Eugen Loderer im Grunde genommen nichts hinzuzusetzen.
Meine Damen und Herren, wir werden unsere ganze Kraft darauf verwenden, eine vernünftige, funktionsgerechte, die Gleichgewichtigkeit und die Gleichberechtigung der Arbeitnehmer garantierende Mitbestimmung zu befürworten. Diesen Entwurf können wir als einen solchen mit diesem Inhalt nicht bezeichnen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Wo ist Ihre Alternative? — Weitere Zurufe von der SPD.)


Kai-Uwe von Hassel (CDU):
Rede ID: ID0711005000
Meine Damen und Herren, da der Beginn der Fragestunde auf 13 Uhr festgesetzt und für die nächste Wortmeldung eine Zeit von 40 Minuten beantragt worden ist, unterbreche ich die Sitzung für 12 Minuten bis zur Fragestunde um 13 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.49 bis 13.01 Uhr.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711005100
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 7/2268 —
Zunächst kommen wir zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Schlei zur Verfügung. Ich rufe Frage 8 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die bekanntgewordene Feststellung in der Führungsorientierung des Bundesnachrichtendienstes (BND), wonach der Chef des Ministeriums für Staatssicherheit der „DDR", Generaloberst Mielke, von den Sowjets für besondere Informationen aus dem Bereich der Bundesrepublik Deutschland den Leninorden erhielt?
Bitte schön!

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711005200
Ich bitte zu gestatten, Frau Präsident, daß ich beide Fragen gemeinsam beantworte.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711005300
Einverstanden, Herr Niegel? — Gut, dann rufe ich zusätzlich Ihre Frage 9 auf:
Wie bewertet die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume die Feststellung des BND, daß insbesondere auch zur Vorbereitung des Bresdinew-Besuchs in der Bundesrepublik Deutschland Geheiminformationen über das Ministerium für Staatssicherheit der „DDR" an das sowjetische KGB gegangen sind?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711005400
In der ersten Frage nehmen Sie, Herr Abgeordneter Niegel, ausdrücklich auf die Führungsorientierung des Bundesnachrichtendienstes, in der zweiten Frage auf eine Feststellung ides Bundesnachrichtendienstes Bezug. Eine Nachprüfung hat ergeben, daß beide Fragen auf der Kenntnis der nachrichtendienstlichen Führungsorientierung des Bundesnachrichtendienstes vom 29. Mai 1974 beruhen. Die nachrichtendienstliche Führungsorientierung ist eine geheime Verschlußsache. Diese geheime Verschlußsache erhält nur ein bestimmter Empfängerkreis. Zu diesem gehören auch Politiker der Opposition; Sie, Herr Abgeordneter, gehören jedoch nicht dazu.
Die Bundesregierung kann nur zutiefst bedauern, daß auch jetzt wieder nachrichtendienstliche Mittei-



Parl. Staatssekretär Frau Schlei
lungen aus einer geheimen Führungsorientierung des Bundesnachrichtendienstes zum Gegenstand einer öffentlichen Fragestunde gemacht werden. Sie ist indes bereit, zu dieser nachrichtendienstlichen Mitteilung und auch dazu, ob diese in der in den mündlichen Fragen unterstellten Form zutrifft, Stellung zu nehmen, und zwar im zuständigen parlamentarischen Vertrauensmännergremium, das Sie ja auch kennen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711005500
Eine Zusatzfrage.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0711005600
Darf ich vorher eine Feststellung treffen?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711005700
Nein, Sie können nur fragen, Herr Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0711005800
Nehmen Sie zur Kenntnis, Frau Staatssekretärin, daß meine Informationen nicht von Kollegen aus meiner Fraktion stammen, sondern aus Veröffentlichungen der deutschen Tagespresse, und darf ich in diesem Zusammenhang konkret fragen, wie die Bundesregierung diese Feststellungen in der Führungsorientierung des BND beurteilt?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711005900
Ich habe Ihnen gesagt, daß wir dazu hier keine Beurteilung abgeben, daß wir aber bereit sind, im Vertrauensmännergremium dazu Stellung zu nehmen, d. h. zum Inhalt und zum Gesamtgeschehen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich weise Sie auch darauf hin, daß Ihr Kollege Stücklen, was doch sicherlich auch Ihnen bekannt ist, vor kurzem darauf hinzielte, daß alle Interna des Nachrichtendienstes nur in diesem Gremium zu besprechen sind. Ich finde, Sie sollten Ihrem eigenen Fraktionskollegen darin wirklich folgen.

(Beifall bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711006000
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Niegel.

Lorenz Niegel (CSU):
Rede ID: ID0711006100
Frau Staatssekretärin, besteht folglich, selbst wenn wir die Führungsorientierung jetzt im Moment außer acht lassen, nicht die Vermutung, daß die von mir ausgesprochenen Feststellungen echt sind, daß z. B. der Herr Mielke den Leninorden für diese besonderen Aufklärungsverdienste erhalten hat?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711006200
Herr Niegel, Sie hätten mir zuhören sollen. Ich habe deutlich gesagt, daß der Inhalt dieser Behauptung zu den Tagesordnungspunkten für das Vertrauensmännergremium gehört. Ich kann Ihnen dazu keine andere Nachricht geben. Man wird auch Ihnen keine andere Nachricht dazu geben, weil Sie nicht befugt sind, solche Mitteilungen zu erhalten.

(Abg. Niegel: Jetzt nützt eine weitere Frage nichts mehr!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711006300
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 10 und 11 sollen auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Dr. Dollinger, schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Trifft es zu, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt in seinem jüngsten .Stern"-Interview auf die Frage des verantwortlichen Journalisten bezüglich seiner Antwort an die CDU-Abgeordnete Frau Berger in der Fragestunde des Deutschen Bundestags am 6. Juni 1974, als es um die Beantwortung von Fragen zum Fall Guillaume durch die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Schlei ging, folgendes erklärt hat: „Wenn Sie sich empören, dann gehen Sie doch mal zu Ihren eigenen Kollegen und sagen denen, die sollen ihre dreckigen Fragen einstellen."?
Bitte, Frau Staatssekretärin!

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711006400
Herr Kollege Nordlohne, lassen Sie mich zunächst feststellen, daß diese Äußerung nicht in der Fragestunde, sondern während der Fragestunde und anläßlich der Fragestunde gemacht wurde. Dies ist insofern ein Unterschied, als ja Zwischenrufe ins Protokoll kommen, aber private Gespräche, die während einer Sitzung geführt werden, nicht ins Protokoll kommen und deshalb auch nicht im Protokoll zu finden sind. Die Äußerung, auf die Sie eingehen, hat der Herr Bundeskanzler gegenüber dem „Stern" gemacht.
Vizepräsident Frau Funcke; Eine Zusatzfrage.

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0711006500
Frau Staatssekretärin, was hat den Bundeskanzler veranlaßt, Fragen zum Spionagefall Guillaume, die von Mitgliedern dieses Hauses gemäß § 111 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und gemäß den Richtlinien für die Fragestunde, d. h. ordnungsgemäß, an die Bundesregierung gestellt wurden, gegenüber der Kollegin Berger als „dreckig" zu bezeichnen?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711006600
Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen der Frage, die Sie jetzt gestellt haben, und der Frage, die mir eingereicht worden ist.

(Abg. Seiters: Das ist eine Sache, die die Präsidentin zu entscheiden hat!)

Hier handelt es sich um eine Äußerung, die sich auf das Unmutsverhalten

(Abg. Nordlohne: Nein!)

und auf eine Antwort des Kanzlers auf eine Frage im Zusammenhang mit der von mir damals zu bestreitenden Fragestunde bezieht. Die Abgeordnete Frau Berger hat durch ihre Fragen an den Herrn Bundeskanzler ihr Unbehagen über Stil und Atmosphäre der parlamentarischen Fragestunde vom 6. Juni 1974 zum Ausdruck gebracht.

(Beifall bei der SPD.)

Dies ist hier noch einmal festzustellen und wird auch
nicht bestritten. Der Herr Bundeskanzler hat dann
durch seine private Antwort gegenüber Frau Berger



Parl. Staatssekretär Frau Schlei
drastisch bestätigt, daß er ihr Unbehagen teilt. Aus seiner Sicht hat er dann die Ursache des Unbehagens genannt.

(Zustimmung bei der SPD.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711006700
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Nordlohne.

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0711006800
Frau Staatssekretärin, da Sie zu Beginn erklärten, daß die im „Stern"-Interview gemachten Angaben zutreffen, frage ich Sie: Bezieht sich die Äußerung „Wenn Sie sich empören, dann gehen Sie doch mal zu Ihren eigenen Kollegen und sagen denen, die sollen ihre dreckigen Fragen einstellen." tatsächlich nicht auf alle Kollegen, die hier Fragen gestellt haben?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711006900
Nein, das kann ich nicht bestätigen. Aus dem Zusammenhang des Gespräches mit unserer Kollegin Berger ging hervor, daß ganz allgemein die Art und Weise gemeint war, in der Zusatzfragen von der Opposition vorgebracht wurden. Hier handelt es sich jedenfalls um Stilfragen. Im Protokoll des Bundestages habe ich noch ganz andere Äußerungen und Zwischenrufe gefunden als die vom Bundeskanzler im privaten Gespräch gemachte Äußerung, die hier referiert wurde.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Seiters: Welche meinen Sie?)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711007000
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Berger.

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID0711007100
Frau Staatssekretärin, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in gar keiner Weise eine Äußerung des Herrn Bundeskanzlers über sein Unbehagen über Stil und Form der Fragestunde geteilt hatte, sondern daß mir vielmehr daran gelegen war, ihm zu sagen, daß ich empört darüber sei, daß er nicht das bißchen Zivilcourage aufgebracht habe, hier höchstpersönlich Rede und Antwort zu stehen?

(Abg. Seiters: So war es!)


Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711007200
Frau Kollegin, ich habe ja selber mit Freude von Ihrer liebenswürdigen Intervention Kenntnis genommen. Wir haben hier aber nicht über die Zivilcourage des einzelnen zu sprechen. Wer an das Mikrophon gestellt wird, hat seine Courage zu beweisen. Ich habe versucht, sie zu beweisen.

(Allgemeiner Beifall.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711007300
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kliesing.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0711007400
Frau Staatssekretär, da Sie eben einen Zusammenhang zwischen dem Unbehagen, das diese Fragen in Ihnen ausgelöst haben, und der Qualifizierung dieser Fragen als „dreckige Fragen" durch den Herrn Bundeskanzler hergestellt haben, darf ich Sie fragen, ob wir damit rechnen können, daß auch künftighin von uns gestellte Fragen, die von Ihnen, Frau Staatssekretär, mit Unbehagen aufgenommen werden, vom Herrn Bundeskanzler als „dreckig" bezeichnet werden?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711007500
Sehr verehrter Herr Kollege, wir gehen sicherlich beide weiterhin davon aus, daß in der Fragestunde von beiden Seiten des Hauses nur saubere Fragen gestellt werden. Ich verpflichte mich, sie sauber zu beantworten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711007600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711007700
Frau Staatssekretärin, würden Sie Herrn Dr. Kliesing fragen, ob er mit allem Ernst behaupten will, daß diese Fragestunde noch auf dem Boden der Anständigkeit dieses Hauses gelegen hat?

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Kliesing: Die Frage wird mit Ja beantwortet!)


Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711007800
Ich bin der Meinung, wir sollten jetzt kein Nachspiel zu einer Angelegenheit liefern, die wir auf beiden Seiten dieses Hauses mit viel Temperament durchgestanden haben. Dieses ewige Nachtarocken macht das Ansehen des Parlaments in der Offentlichkeit nicht besser. Ich finde, das ist das Wesentliche, auf das wir achten müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711007900
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0711008000
Frau Staatssekretärin, teilen Sie meine Auffassung, daß die Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers „dreckige Fragen" nichts anderes sein kann als der Ausdruck seines schlechten Gewissens, das darauf zurückzuführen ist, daß er sich hier hätte stellen müssen und sich nicht gestellt hat?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711008100
Der Bundeskanzler hat kein schlechtes Gewissen gehabt, und er hat auch gar keinen Grund dafür, ein schlechtes Gewissen zu haben.

(Beifall bei der SPD.)

Die Arbeit des Parlamentarischen Staatssekretärs ist nun einmal eine harte Sache, und er hat sie, selbst wenn es sich bei ihm um eine Frau handelt, durchzustehen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711008200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0711008300
Frau Staatssekretärin, wären Sie eventuell bereit einzuräumen, daß manche Zusatzfragen nicht gestellt worden wären, wenn die Antworten, die die Vertreterin der Bundesregierung



Seiters
damals gegeben hat, ausreichend und vor allen Dingen der Wahrheit entsprechend gewesen wären?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711008400
Herr Kollege, für das Stellen und für die Qualität der Frage ist jeder selbst verantwortlich.

(Abg. Seiters: Für die Antworten auch, Frau Staatssekretärin. Sie müssen nämlich wahrheitsgemäß sein!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711008500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711008600
Frau Staatssekretärin, würden Sie es nicht für angezeigt halten, die außerhalb des Hauses erfolgte Teilung zwischen anständigen und unanständigen Deutschen, die der Herr Kollege Mattick in der Fragestellung hier wieder aufgenommen hat, doch jetzt durch die Feststellung zu entkräften, daß der Bundeskanzler nicht beabsichtigt, dieses Haus in Abgeordnete aufzuteilen, die anständige und die dreckige Fragen stellen?

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711008700
Herr Kollege Czaja, es tut mir leid, aber diese Frage steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der ursprünglich gestellten Frage.

(Abg. Dr. Czaja: Doch, sie steht im Zusammenhang!)

— Nein, nein!
Wir haben hierzu keine Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Nordlohne auf:
Wenn ja, ist der Bundeskanzler bereit zu erklären, welche Fragen er hiermit gemeint hat und diesen Vorwurf gegenüber Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zurückzunehmen?
Haben Sie diese Frage nicht mit aufgenommen oder schon mitbeantwortet?

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711008800
Ich habe keine Frage hier mit aufgenommen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711008900
Die Frage Nr. 13 des Herrn Abgeordneten Nordlohne?

(Abg. Seiters: Sie liegt doch gedruckt vor! — Frau Parl. Staatssekretär Schlei: Nein, ich habe das doch im Zusammenhang beantwortet.)

— Dann hat Herr Kollege Nordlohne noch die Möglichkeit, zwei Zusatzfragen zu stellen. Bitte!

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0711009000
Frau Staatssekretärin, ich möchte Sie dann im Hinblick auf die Frage 13 mit einer Zusatzfrage ansprechen und fragen: Wie will die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit nachweisen, wenn sie stets aufs neue ihre Bereitschaft zu mehr Demokratie bekundet, und im gleichen Atemzuge der Chef dieser Regierung unbequeme Fragen an sein Haus als „dreckige Fragen" bezeichnet.

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711009100
Herr Kollege Nordlohne, ich habe darauf hingewiesen, daß es sich hier um ein Privatgespräch handelt.

(Abg. Nordlohne: Das macht ja nichts!)

Das ist inzwischen meines Erachtens jedem deutlich geworden. Im parlamentarischen Bereich würden wir sicherlich einen anderen Sprachgebrauch wählen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711009200
Eine weitere Zusatzfrage!

Franz-Josef Nordlohne (CDU):
Rede ID: ID0711009300
Frau Staatssekretärin, da der Bundeskanzler seinen Vorwurf, den er nicht gegenüber Frau Berger, sondern gegenüber den Kollegen der Oppositionsfraktion erhoben hat, gegenüber diesen Mitgliedern nicht zurückzunehmen bereit ist, erlaube ich mir die Frage, ob der Herr Bundeskanzler hierdurch die Gräben zwischen den Regierungskoalitionsparteien und der Opposition bewußt vertiefen will.

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711009400
Nein, ein Wesentliches in den Zielsetzungen des Kanzlers ist das Problem Kontinuität, Konzentration und Kooperation.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711009500
Eine Zusatzfrage der Frau Berger.

Lieselotte Berger (CDU):
Rede ID: ID0711009600

(CDU/CSU) : Frau Staatssekretärin, wären Sie dann bereit, dem Herrn Bundeskanzler die Feststellung zu übermitteln, daß ich zwar eine Äußerung dem „Stern" gegenüber als privat ansehen würde, daß ich aber keineswegs in der Lage wäre, es als privat zu bezeichnen, wenn die Abqualifizierung von Fragen hier im Deutschen Bundestag, nämlich da vorne in der Reihe neben Herrn Wehner, geschieht, daß dies dann nicht mehr privat war, sondern vom Bundeskanzler bzw. von dem Abgeordneten Schmidt kam? Wären Sie bereit, dem Herrn Bundeskanzler dies zu übermitteln?


Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711009700
Selbstverständlich, Frau Kollegin Berger! Und wenn ich eine Gegenbitte äußern dürfte: Die Zwischenrufe, die nach dem Protokoll gemacht worden sind, könnten auch dieser Betrachtung unterliegen, die Sie einmal gemeinsam mit den Zwischenrufern anstellen sollten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711009800
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Heyen!

Roelf Heyen (SPD):
Rede ID: ID0711009900
Frau Staatssekretärin! Abgesehen von der Tatsache, daß Frau Berger auch mir gegenüber diese Äußerungen getan hat, möchte ich Sie fragen, ob Sie es für einen angemessenen parlamentarischen Stil halten, derartige Privatgespräche in die Debatte mit einzuführen.

Marie Schlei (SPD):
Rede ID: ID0711010000
Jeder Tag gibt uns die Chance, Besserung zu geloben.

(Heiterkeit.)





Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711010100
Dazu gibt es keine Zusatzfragen.
Die Frage 14 soll auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen, Frau Parlamentarische Staatssekretärin!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With!
Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Gilt die Feststellung von Bundesminister Genscher vom
12. Dezember 1973 auch für die derzeitige Bundesregierung, wonach die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zur Bindungswirkung aller Teile des Urteils vom 31. Juli 1973 „selbstverständlich Verbindlichkeit für die Bundesregierung hat" und „eine Unterscheidung zwischen Teilen, an die sich die Bundesregierung gebunden fühlt, und solche, an die sie sich nicht gebunden fühlt, gar nicht zuläßt", oder ist sie mit der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Schlei der Auffassung, die Meinung über die Verbindlichkeit aller Teile der Urteilsbegründung sei „unrichtig" (Protokoll der 105. Sitzung S. 7102), oder hält sie mit Staatssekretär Moersch die Verbindlichkeit aller Teile und die in B VI 3 festgestellte völkerrechtliche Wirkung des Urteils für fragwürdig (Protokoll der 69. Sitzung S. 4159/60), bzw. bezweifelt sie die volle Bindungswirkung der Schlußteile des Urteils (Bundesminister der Justiz
13. Dezember 1973) und der Feststellungen des Urteils zu Artikel 23 GG (Staatssekretär beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 12. Juni 1974)?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711010200
Frau Präsidentin! Herr Czaja! Können die Fragen zusammen beantwortet werden?

(Abg. Dr. Czaja: Wenn ich die nötigen Zusatzfragen stellen darf, ja!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711010300
Ja, Sie haben vier Zusatzfragen.
Dann rufe ich auch noch die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Kann die Bundesregierung im Sinne der Wahrung und Verteidigung des Grundgesetzes (vgl. Regierungserklärung) und weil die letztverbindliche Durchsetzung der Verfassungsordnung dem Bundesverfassungsgericht obliegt (Urteil vom 31. Juli 1973 B II 2 Abs. 2), eine übereinstimmende Meinung aller Ressorts dahin gehend herbeiführen, daß alle Teile des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31. Juli 1973 gemäß Urteilstenor, gemäß § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht und gemäß B VI 2 Abs. 2 des Urteils für alle Verfassungsorgane, also auch für amtliche Äußerungen von Staatssekretären und Ministern verbindlich sind?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711010400
Die Auffassung der Bundesregierung zur Frage der Bindungswirkung der Schlußbemerkungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Grundlagenvertrag ergibt sich aus der Schriftlichen Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl vom 13. Dezember 1973 auf Ihre damalige Frage A 35. Die Antwort ist klar. Ihr ist nichts hinzuzufügen. Darüber bestehen auch innerhalb der Bundesregierung keine Meinungsverschiedenheiten. Der Herbeiführung einer übereinstimmenden Meinung der Ressorts bedarf es also nicht. Zwischen den Ausführungen von Herrn Bayerl und den in Ihrer Frage angeführten Äußerungen anderer Vertreter der Bundesegierung besteht kein Widerspruch.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711010500
Eine Zusatzfrage, Herr Czaja!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711010600
Besteht also die Auffassung der Bundesregierung, daß alle Teile und alle Begründungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 31. Juli 1973 bindend sind, und zwar in allen Teilen verbindlich für die Bundesregierung und für alle Verfassungsorgane?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711010700
Herr Czaja, wenn Sie diese Frage stellen, haben Sie meine Antwort nicht verstanden, die einen klaren Hinweis auf die Antwort von Herrn Bayerl gegeben hat. Sie können das im Protokoll nachlesen.

(Abg. Frau Dr. Timm: Das muß immer noch einmal wiederholt werden!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711010800
Zusatzfrage!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711010900
Herr Staatssekretär, würden Sie meine zweite Frage beantworten, — hier ist ja zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesjustizministerium inzwischen eine Verschiebung vorgenommen worden —, ob die Bundesregierung im Sinne der Wahrung und Verteidigung des Grundgesetzes und weil die letztverbindliche Durchsetzung der Verfassungsordnung dem Bundesverfassungsgericht obliegt, eine übereinstimmende Meinung für alle Verfassungsorgane — auch für amtliche Äußerungen von Staatssekretären und Ministern — über die Verbindlichkeit des Urteils und aller seiner Gründe herbeiführen wird?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711011000
Herr Kollege Czaja, auch durch wiederholte Fragen kann die Antwort nicht anders ausfallen. Es gibt nur eine einzige Meinung. Es hat immer nur eine einzige Meinung gegeben, und diese kann nachgelesen werden in der Antwort, die Ihnen Herr Bayerl bereits erteilt hat.

(Zuruf von der SPD: Er hört nicht hin!)

Einen Grund für die Herbeiführung einer übereinstimmenden Meinung kann es deswegen nicht geben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711011100
Dritte Zusatzfrage!

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711011200
Herr Staatssekretär, können Sie leugnen, daß bezüglich der Verbindlichkeit aller Teile und der Begründung des Urteils Frau Staatssekretärin Schlei ausdrücklich in der letzten Fragestunde erklärt hat, daß dies unrichtig sei?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711011300
Erstens leugne ich nicht; zweitens habe ich die Antwort bereits erteilt; drittens — um es noch einmal zu wiederholen; es ist an sich unnötig — hat Herr Bayerl eine klare Antwort erteilt,

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)

die darauf beruht — bitte lesen Sie das Protokoll nach —, daß die unter B VI 3 des angezogenen Urteils befindlichen Klarstellungen rechtlich nicht bindend sind, daß die Bundesregierung aber im übrigen



Parl. Staatssekretär Dr. de With
selbstverständlich die dort vertretene Auffassung teilt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711011400
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711011500
Herr Staatssekretär, sehen Sie nicht die Divergenz zwischen der Aussage des damaligen Bundesinnenministers, nach der es für die Bundesregierung selbstverständlich sei, daß eine Unterscheidung zwischen Teilen, an die sich die Bundesregierung gebunden fühlt, und solchen Teilen, an die sie sich nicht gebunden fühlt, nicht zuzulassen sei, und der Äußerung des Herrn Staatssekretärs Bayerl, daß naturgemäß die Schlußabschnitte keine Teile der die Entscheidung tragenden verfassungsrechtlichen Erwägungen darstellten?

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711011600
Was die erste Frage anlangt, bezog sich die Äußerung nur auf die tragenden Gründe. Hier kann es keine differenzierte Meinung geben. Im übrigen trifft zu, was Herr Bayerl gesagt hat und was ich Ihnen erwidert habe.
Von mir aus ein weiteres: Ein Loch, das ausgebohrt ist, ist ausgebohrt, Herr Kollege Czaja.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711011700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0711011800
Herr Staatssekretär, ich frage Sie — wobei ich zunächst feststelle, daß ich bedauerlicherweise die Antwort von Herrn Staatssekretär Bayerl nicht kenne —, ob die Antwort von Herrn Staatssekretär Bayerl so ist wie die Äußerung des Herrn Genscher, der betont hat, daß alle Gründe ausnahmslos so, wie das vom Bundesverfassungsgericht im letzten Satz des Urteils angeordnet ist, tragend sind.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711011900
Herr Kollege, ich muß meinerseits bedauern, daß Sie eine Frage stellen, ohne daß Sie das, was Gegenstand Ihrer Frage ist, im Protokoll nachgelesen haben, nämlich die eindeutige und klare Antwort von Herrn Bayerl.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711012000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mattick.

Kurt Mattick (SPD):
Rede ID: ID0711012100
Herr Staatssekretär, können Sie mir Auskunft geben, ob es eine Möglichkeit gibt, die früheren Bundesregierungen Adenauer auf Grund dieses Verfassungsurteils nachträglich anzuklagen, weil sie nicht nur ihre Schutzpflicht gegenüber den deutschen Bürgern nicht wahrgenommen sondern auch entgegen Art. 23 des Grundgesetzes Verträge abgeschlossen haben, die sie und ihre Politik an andere Mächte binden, was das Karlsruher Urteil ausdrücklich verbietet?

(Abg. Kunz [Berlin] : Diese Frage steht in keinem Zusammenhang!)


Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID0711012200
Herr Kollege, ich kann nicht sehen, inwieweit eine Klage gerechtfertigt ist. Ich gehe jedenfalls davon aus, daß sich alle Bundesregierungen in ihren Verträgen an Art. 23 Grundgesetz gehalten haben, selbstredend auch die Regierung, die hier in Rede steht und angesprochen worden ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711012300
Keine Zusatzfrage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär de With.
Ich rufe die Fragen aus dem Bereich des Auswärtigen Amtes auf. Die Beantwortung erfolgt durch Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Moersch.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Sauer (Salzgitter) auf. Herr Sauer ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet; ebenfalls die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Sauer. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Kunz (Berlin) auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß der Versuch der systematischen Abwertung des obersten deutschen Gerichts durch die Sowjetunion und die DDR nicht nur eine gravierende Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland darstellt, sondern darüber hinaus echte Bemühungen um Entspannung erheblich beeinträchtigt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711012400
Herr Abgeordneter, es ist bekannt, daß zur Rechtslage in Deutschland zwischen der Sowjetunion und der Bundesregierung unterschiedliche Meinungen bestehen. Wenn in östlichen Presseorganen, wie dies in dem von Ihnen angezogenen Interview geschehen ist, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Frage kritisiert wird, bedeutet dies noch keine Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten, da diese Meinungsäußerungen nicht uns gegenüber und nicht in völkerrechtlich relevanter Form abgegeben worden sind. Im übrigen verweise ich darauf, daß der Sprecher der Bundesregierung klar zum Ausdruck gebracht hat, daß wir die von Ihnen in der Frage erwähnten Äußerungen als äußerst unüblich betrachten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711012500
Zusatzfrage.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0711012600
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß die Äußerungen des Sprechers der Bundesregierung, wonach eine solche Beurteilung äußerst unüblich ist, eine höchst ungenügende Reaktion darstellt, und daß es dringend geboten gewesen wäre, die Sowjetunion durch die Bundesregierung in förmlicher Art auf diese eklatante Einmischung hinzuweisen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711012700
Nein, Herr Abgeordneter, ich teile Ihre Auffassung nicht. Wenn Sie den Fall in der Sache kennen würden, würden Sie die Frage so nicht stellen können.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110, Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974 7481

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711012800
Weitere Zusatzfrage.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0711012900
Herr Staatssekretär Moersch, darf ich Sie fragen, ob Sie davon ausgehen, daß Probleme nur so sein können, wie Sie sie zu kennen glauben, und darf ich Sie bitten, daß Sie sich bei der Beantwortung aller Fragen nicht nur jetzt, sondern auch sonst, in Zukunft des hier üblichen normalen Umgangstones bedienen?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Unglaublich! Schon wieder drekkige Bemerkungen!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711013000
Bewertungen sollen nach den Richtlinien der Fragestunde weder in der Frage noch in der Antwort enthalten sein. Ich wäre dankbar, wenn sich alle in diesem Hause daran halten würden.

(Abg. Seiters: Aber Herr Moersch provoziert laufend das Parlament, Frau Präsidentin! Das haben wir schon in den ganzen letzten Jahren erlebt!)

Bitte, Herr Staatssekretär!

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711013100
Frau Präsidentin, der Abgeordnete hat eine Frage gestellt, auf deren mangelnde Grundlage ich hingewiesen habe. Ich darf jetzt vielleicht noch zusätzlich antworten, damit klar ist, worum es sich handelt.
Die Ausführungen des Botschafters — Herr Abgeordneter, das habe ich in meiner Antwort bereits gesagt; ich habe allerdings die Befürchtung, daß die Antworten gar nicht zur Kenntnis genommen werden, wie wir auch vorhin schon gesehen haben — erfolgten in einer Zeitung der DDR, die ihn in seiner Eigenschaft als Botschafter der Sowjetunion in der DDR ansprach. Seine Ausführungen haben sich nicht an die Bundesregierung gerichtet. Die Reaktion des Sprechers der Bundesregierung darauf war angemessen. Das ist die Meinung der Bundesregierung. Ich bitte, sie zur Kenntnis zu nehmen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711013200
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0711013300
Herr Staatssekretär, wie verhält sich in anderen Fällen die Bundesregierung, wenn sie, wie Sie es soeben getan haben, registriert, daß hier etwas äußerst unüblich gewesen sei in der Erklärung eines Vertreters einer anderen Macht?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711013400
Wenn die Bundesregierung direkt angesprochen ist, agiert und reagiert sie auf den ihr zu Gebote stehenden Kanälen und nimmt diese Möglichkeiten wahr. Aber Herr Abgeordneter, es wird Ihnen wohl nicht entgangen sein, daß die Beschäftigung mit Zeitungsinterviews, die irgendwo von irgendwem in der Welt gegeben worden sind und die gar nicht unmittelbar an unsere Adresse gehen, jeden diplomatischen Dienst weit überfordern würde. Der Sprecher der Bundesregierung hat auf eine Frage in der Bundespressekonferenz geantwortet, und diese Antwort ist der Öffentlichkeit zur Kenntnis gekommen. Wenn der Kollege Sauer, der die erste Frage dazu gestellt hat, hier gewesen wäre, hätten Sie auch die Antwort auf diese spezielle Frage hier öffentlich bekommen. Ich bedauere, daß der Kollege, der die Frage eingereicht hatte, nicht hier war.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711013500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mertes.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711013600
Herr Staatssekretär, was meinten Sie mit der einschränkenden Bemerkung an den Kollegen Kunz (Berlin) : „Wenn Sie den Sachverhalt genau kennen würden"?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711013700
Ich meinte damit, daß es sich hier um ein Zeitungsinterview und nicht um eine diplomatische Demarche gehandelt hat.

(Abg. Kunz [Berlin] : Das hat kein Mensch behauptet!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711013800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711013900
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in Zukunft bereit, wenn ein ausländischer Diplomat das Bundesverfassungsgericht öffentlich und in einer Zeitung angreift, der ausländischen Macht mitzuteilen, daß die Durchsetzung der Verfassungsordnung letztverbindlich dem Bundesverfassungsgericht obliegt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711014000
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat an dieser ihrer Meinung nie einen Zweifel gelassen; aber die Bundesregierung ist nicht bereit, in jedem Fall so zu reagieren, wie Sie sich das nach Ihrer Frage offensichtlich vorstellen, sondern die Bundesregierung wägt ab, ob es angemessen ist, so zu reagieren oder nicht. Wenn wir von amtlicher Seite in einer Form angegangen werden, die eine solche Antwort erfordert, geben wir diese Antwort.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711014100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Müller.

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0711014200
Herr Staatssekretär, da Sie in der ersten Antwort an meinen Kollegen Kunz — wenn ich Sie richtig verstanden habe — darauf hingewiesen haben, es sei ja bekannt, daß unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Auslegung zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik bestehen, frage ich Sie, ob die Bundesregierung dann wenigstens bereit ist, der Sowjetunion immer wieder zu verdeutlichen, daß im Viermächteabkommen zwar die Feststellung enthalten ist, daß Berlin kein konstruktiver Teil der Bundesrepublik, aber auch — darauf kommt es jetzt an ----



Müller (Berlin)

die eindeutige Bestimmung von der weiteren Entwicklung der Bindungen Berlins an den Bund enthalten ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711014300
Herr Abgeordneter, bei dem Vorgang, von dem hier die Rede ist, war das Viermächteabkommen nicht berührt. Im übrigen sind wir nicht Unterzeichner des Viermächteabkommens; das ist Sache der Mächte, die das Viermächteabkommen unterzeichnet haben. Wenn sie der Meinung sind, daß das Viermächteabkommen nicht zutreffend ausgelegt wird, sind sie in der Lage, dies richtigzustellen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711014400
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Kunz (Berlin) auf:
Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung im besonderen den Äußerungen Jefremows bei, in denen die Sowjetunion vor angeblichem Mißbrauch der Transitwege und angeblicher rechtswidriger Ausdehnung der Bundesgesetze auf Berlin warnt, und sieht die Bundesregierung in diesen Äußerungen Absichten der Sowjetunion, das Viermächteabkommen zu Lasten Berlins weiter einzuschränken?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711014500
Ich hatte die Fragen zusammen beantwortet, Frau Präsidentin.

(Abg. Kunz [Berlin] : Nein! Ich habe mein Einverständnis nicht gegeben; schon deshalb konnte das nicht zusammen beantwortet werden!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711014600
Sie können dann jetzt noch gerne Zusatzfragen stellen, Herr Kunz.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0711014700
Frau Präsidentin, ich habe eine Frage gestellt, die nicht beantwortet worden ist.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711014800
Entschuldigen Sie, es ist ein Mißverständnis meinerseits; ich hatte die Seite überschlagen.
Herr Abgeordneter, ,der sowjetische Hinweis auf angeblichen Mißbrauch der Transitwege und angeblich rechtswidrige Ausdehnung von Bundesgesetzen auf Berlin ist nicht der erste dieser Art. Die Bundesregierung wird wie in der Vergangenheit jedem Versuch, das Viermächteabkommen zu Lasten Berlins einzuschränken, entgegentreten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711014900
Eine Zusatzfrage.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0711015000
Herr Staatssekretär, könnten in diesen Äußerungen weitere — und erneut erhärtete — Bemühungen der Sowjetunion erkennbar sein, sich den Verpflichtungen aus dem Viermächteabkommen, die die Sowjetunion gegenüber ,den Westmächten eingegangen ist, systematisch und eklatant zu entziehen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711015100
Herr Abgeordneter, abgesehen davon, daß die Westmächte hier die Aktivlegitimation haben, sehe ich nach der Lektüre des von Ihnen angezogenen Interviews in diesem Punkte keinen Grund, daß wir uns hierzu äußern.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711015200
Eine weitere Zusatzfrage.

Gerhard Kunz (CDU):
Rede ID: ID0711015300
Herr Staatssekretär, haben Sie auch keinen Grund, sich in bezug auf den Teil des Interviews zu äußern, wo von der rechtswidrigen Ausdehnung von Bundesgesetzen auf Berlin die Rede ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711015400
Herr Abgeordneter, ich darf vielleicht in Erinnerung zurückrufen, wie der Text lautete. Ich habe jedenfalls in dem Text nicht die Behauptung gefunden, es sei rechtswidrig ausgedehnt worden, sondern die Befürchtung, es könne rechtswidrig ausgedehnt werden.

(Abg. Kunz [Berlin] : Richtig!) Das ist ja wohl ein Unterschied.

Wir sollten uns auch keine Darstellungen zu eigen machen, die in der Sache gar keine Grundlage haben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711015500
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Straßmeir auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenfalls die Frage 20. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Mertes auf:
Worauf ist es zurückzuführen, daß unser Botschafter in Moskau, Dr. Ulrich Sahm, entgegen der vorherigen Vereinbarung seine Ansprache im sowjetischen Fernsehen aus Anlaß des 25. Jahrestags des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesiepublik Deutschland nicht halten durfte, und was hat die Bundesregierung in der Sache anschließend unternommen?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711015600
Frau Präsidentin, wenn der Fragesteller einverstanden ist, möchte ich die Fragen 21 und 22 zusammen beantworten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711015700
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Mertes auf:
Wie ist die Verhinderung der Ansprache von Botschafter Sahm — auch angesichts der vom sowjetischen Botschafter in Bonn, Valentin M. Falin, immer wieder geübten- Praxis der Abgabe von Erklärungen und Interviews im deutschen Fernsehen und Rundfunk — mit dem Grundsatz der Gegenseitigkeit in den zwischenstaatlichen Beziehungen zu vereinbaren, und wie gedenkt die Bundesregierung, diese Frage bei der Gestaltung unserer Beziehungen zur Sowjetunion — aber auch im Falle der Ständigen Vertreter der beiden Teile Deutschlands in Ost-Berlin und Bonn — künftig zu handhaben?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711015800
Herr Kollege, zu Ihrer ersten Frage möchte ich darauf hinweisen, daß es zu der üblichen Tätigkeit unserer Botschaften gehört, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit Möglichkeiten aufzuspüren, die Bundesrepublik Deutschland im jeweiligen Gastland bekanntzumachen. Es ist selbstverständlich, daß sich nicht alle derartigen Möglichkeiten realisieren lassen.



Parl. Staatssekretär Moersch.
Der Grund, weshalb sich das sowjetische Fernsehen nach einer vorangegangenen Zusage dann schließlich doch nicht in der Lage sah, ein vorgesehenes Grußwort des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland anläßlich des 25. Jahrestags des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu senden, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Selbstverständlich bedauert die Bundesregierung, daß es dem deutschen Botschafter in Moskau unmöglich war, die vorgesehene Erklärung abzugeben.
Zu Ihrer zweiten Frage, Herr Kollege, darf ich darauf hinweisen, daß die Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland anders organisiert sind, als das in der Sowjetunion der Fall ist. Wenn der Botschafter Falin Gelegenheit hat, bei uns Erklärungen und Interviews im deutschen Fernsehen im deutschen Rundfunk abzugeben, so geschieht das — soweit der Bundesregierung bekannt ist — auf Wunsch und Bitten der jeweiligen Redaktionen. Wollten unsere Rundfunk- und Fernsehanstalten ihre Programmgestaltung dem Grundsatz der Gegenseitigkeit unterwerfen, so wären sie sicherlich bald nicht mehr in der Lage, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, nämlich ihrer Informationspflicht nachzukommen.
Dieser Auftrag, Herr Kollege, ist doch wohl ein etwas anderer, als ihn entsprechende Anstalten in sozialistischen Ländern haben mögen. Solche Unterschiede gilt es zu beachten. Eine Verbindung dieser Frage mit derjenigen der Tätigkeit der Ständigen Vertreter der beiden Teile Deutschlands in Ost-Berlin und Bonn ist nicht verständlich.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711015900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711016000
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß Botschafter Sahm noch am 23. Mai 1974 — am Vorabend des Tages, an dem er im Moskauer Fernsehen sprechen sollte — vor einer deutschen Gruppe erklärt hat, die Tatsache dieser seiner Aussagemöglichkeit sei ein deutliches Zeichen für die Verbesserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen; und ist daraus zu schließen, daß dieser Vorgang, nachdem er anders gelaufen ist, die deutsch-sowjetischen Beziehungen belastet hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711016100
Herr Abgeordneter, ich kenne diese Äußerungen im einzelnen nicht. Aber ich glaube, man sollte auch nicht die gegenteilige Folgerung ziehen, die Sie soeben als möglich angesehen haben. Ich hatte nicht den Eindruck, daß durch diesen Vorgang die Beziehungen belastet worden sind, wenngleich ich bedauere, daß diese Gelegenheit nicht gegeben war.
Ich selbst — ich muß Ihnen das ganz offen gestehen — habe mit dem sowjetischen Fernsehen sehr gute Erfahrungen gemacht, in dem mir bei Interviews völlig freigestellt war, Antworten zu geben. Diese Antworten wurden ungekürzt und unverändert in einer korrekten Übersetzung gesendet.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711016200
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß kein Mitglied des Politbüros der KPdSU zu dem Empfang erschienen ist, den die Deutsche Botschaft in Moskau aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Grundgesetzes veranstaltet hat?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711016300
Herr Abgeordneter, die Frage steht hiermit nicht in einem direkten Zusammenhang. Ich habe das in meinem Gedächtnis nicht parat, um diese Frage jetzt beantworten zu können.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711016400
Herr Staatssekretär, zuvor die Feststellung, daß ich keineswegs Herrn Botschafter Falins Möglichkeiten einschränken möchte, Einladungen deutscher Medien anzunehmen. Dann zum Thema der Reziprozität, die mir in ihrer Problematik sehr wohl bewußt ist: Wie gedenkt denn die Bundesregierung die in der Natur der Sache liegende Notwendigkeit zu verfolgen, daß wir uns in Zukunft stärker in der sowjetischen Offentlichkeit präsentieren können?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711016500
Herr Abgeordneter, das hängt von den jeweiligen Umständen ab. Wir bemühen uns natürlich auch — das wissen Sie aus Ihrer Tätigkeit sicherlich selbst ganz gut —, unsere eigenen Standpunkte im Rahmen der dort gegebenen Möglichkeiten darzustellen. Ich meine, das sei in der letzten Zeit sehr viel besser gelungen, als es in früherer Zeit möglich war, z. B. dadurch, daß Interviews und Erklärungen von unserer Seite in der dortigen Presse korrekt und sogar sehr umfänglich wiedergegeben worden sind, also der Standpunkt der Bundesrepublik Deutschland, der keineswegs identisch mit dem Standpunkt ist, der dort normalerweise gilt.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711016600
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung die Absicht, in Erfahrung zu bringen, warum Botschafter Sahm doch nicht im Fernsehen sprechen konnte?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711016700
Herr Abgeordneter, nicht nur die Absicht.

Dr. Alois Mertes (CDU):
Rede ID: ID0711016800
Danke!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711016900
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe dann die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing auf:
Was unternimmt die Bundesregierung dagegen, daß die Konsularabteilung der polnischen Botschaft in Köln-Marienburg seit einiger Zeit vor der Visaerteilung an Deutsche, die vor 1945 in den Ostgebieten des Deutschen Reiches geboren sind, nicht nur die polnische Bezeichnung des Heimatorts, sondern auch bei der Frage nach der des Geburtslandes die Angabe .Polen" verlangt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711017000
Herr Abgeordneter, soweit dem Auswärtigen Amt bekannt ist, stellt die Bot-
'74R

Parl. Staatssekretär Moersch,
schaft der Volksrepublik Polen in Köln dieses Verlangen generell nicht. Allerdings hat kürzlich eine deutsche Behörde darauf hingewiesen, daß es Fälle gebe, in denen die polnische Botschaft in Köln auch bei Geburt vor 1945 die Hinzufügung der polnischen Geburtsortsbezeichnung verlangte.
Das Auswärtige Amt hat, sofern konkrete Fälle bekannt wurden, diese gegenüber der polnischen Seite zur Sprache gebracht, und es wird dies auch in Zukunft tun.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711017100
Eine Zusatzfrage.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0711017200
Herr Staatssekretär, da Sie sagen, es sei nicht bekannt, daß auch verlangt wird, daß der Betreffende als Heimatland Polen angibt, darf ich Sie bitten, einmal in Ihrem Hause nach-zuhören. Es liegen Ihrem Hause nämlich derartige Fälle vor, und Ihr Haus hat in solchen Fällen Korrespondenzen mit den Petenten geführt.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711017300
Herr Abgeordneter, ich habe gesagt: generell. Ich kenne einen Brief, der hier vorliegt, und dieser Brief ist auch entsprechend behandelt worden. Ich will aber gerne nachprüfen, ob Sie andere im Auge haben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711017400
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0711017500
Darf ich fragen, welchen Erfolg die Bemühungen der Bundesregierung gegenüber der polnischen Regierung gehabt haben.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711017600
Uns ist eine Unterrichtung darüber zugesagt worden. Da ich — jedenfalls, soweit ich das aus den Akten ersehen kann — feststellen muß, daß Wiederholungen in jüngster Zeit offensichtlich nicht eingetreten sind, nehme ich an, daß darin der Erfolg besteht.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711017700
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0711017800
Herr Staatssekretär, Sie gehen dann doch — auch in Ihrer Antwort — davon aus, daß eine Übereinkunft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen dahin gehend besteht, daß bei denjenigen, die vor 1945 geboren sind, alle Ortsnamen in deutscher Sprache zu erscheinen haben und ihr Heimatland Deutschland ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711017900
Wir haben eine Übereinkunft — ich habe das ja hier dem Bundestag schon dargelegt —, in der diese Probleme klargestellt sind, die diejenigen betreffen, die zu einem Zeitpunkt geboren wurden, in dem diese Orte zum Deutschen Reich gehört haben. Die genaue Anordnung, wie das geschrieben werden soll, ist auf Grund dieser Vereinbarung in einem Erlaß des Bundesinnenministeriums festgelegt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711018000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711018100
Herr Staatssekretär, da hier im Haus nicht nur ein Fall, sondern mehrere Fälle bekannt sind, möchte ich Sie fragen, was Sie in Zukunft unternehmen werden, um sicherzustellen, daß der Status der Deutschen durch keine Maßnahme, die die Bundesrepublik Deutschland betrifft, gemindert oder verkürzt wird, was Sie also in dieser Richtung zur Sicherung der personalen Rechte der Deutschen unternehmen werden.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711018200
Herr Abgeordneter, Sie haben in Ihrer Frage zunächst eine Feststellung getroffen, die nicht mit meiner Auskunft übereinstimmt.
Das zweite vermag ich nicht als im Zusammenhang mit der Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing stehend zu erkennen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711018300
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Kliesing auf:
Hält die Bundesregierung diese polnische Forderung für vereinbar mit Geist und Buchstaben des Warschauer Vertrags und die Hinnahme dieser Forderung für vereinbar mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1973?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711018400
Die Frage der Bezeichnung von Geburtsorten ist im Warschauer Vertrag nicht ausdrücklich geregelt. Über die Frage gibt es aber eine deutsch-polnische Absprache — ich habe gerade schon darauf hingewiesen — vom Dezember 1970, der die innerdeutschen Vorschriften angepaßt sind. Bei Verstoß gegen diese Absprache gilt das zu Ihrer ersten Frage geschilderte Verfahren.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist hier nicht einschlägig, es betrifft lediglich den Grundvertrag.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711018500
Eine Zusatzfrage.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0711018600
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, ob eine schlichte Hinnahme des polnischen Verhaltens — die ich Ihnen nach Ihren Antworten ja nicht unterstelle — nach Auffassung der Bundesregierung der Obhutspflicht für die durch ein solches polnisches Verhalten diskriminierten deutschen Bürger entsprechen würde.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711018700
Herr Abgeordneter, Sie haben ja selbst gesagt, daß Sie das nicht unterstellten. Antworten auf hypothetische Fragen zu geben, Herr Abgeordneter, ist allemal schwierig. Aber die Tatsachen sind die, daß wir in dem Fall, der uns bekanntgeworden ist, bei der polnischen Seite vor-



Parl. Staatssekretär Moersch
stellig geworden sind. Und damit ist, glaube ich,
auch für die Zukunft schon jede Antwort gegeben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711018800
Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Georg Kliesing (CDU):
Rede ID: ID0711018900
Herr Staatssekretär, da ich hier in meiner Frage .die Frage nach der Verwirklichung von Geist und Buchstaben des Warschauer Vertrages gestellt habe, darf ich Sie fragen: Stört eine derartige schikanöse Behandlung deutscher Staatsbürger durch polnische Behörden den Normalisierungsprozeß?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711019000
Herr Abgeordneter, zunächst erhebt sich die Frage, ob Sie aus dem Fall, ,der Ihrem Kollegen Dr. Hupka bekanntgeworden war und den er uns mitgeteilt hat, mit Recht ableiten können, daß eine schikanöse Behandlung erfolgt. Dann könnte man der Frage nähertreten. Ich will generell sagen: Wenn es schikanöse Behandlungen gibt, stört es den Geist des Vertrages.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711019100
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711019200
Im Zusammenhang mit der ersten von Ihnen erteilten Antwort frage ich Sie ausdrücklich, ob Sie der Auffassung sind, daß die vom Bundesverfassungsgericht für alle deutschen Staatsangehörigen festgestellte Auffassung, daß durch keine Maßnahme, die der Bundesrepublik Deutschland zuzurechnen ist, der Status irgendeines Deutschen im Sinne des Grundgesetzes gemindert oder verkürzt werden darf, gilt oder nicht gilt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711019300
Die Bundesregierung hat nirgends zu einer solchen Fragestellung Anlaß gegeben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711019400
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Woher nimmt die Bundesregierung die Überzeugung, wie sie in einer Veröffentlichung des Presse- und Informationsamtes zum 25jährigen Bestehen des Grundgesetzes behauptet, daß durch die Ostverträge „für zahlreiche Deutsche die Aussicht verbessert wurde, endlich aussiedeln zu können", wenn die Zahl der Aussiedler aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße und aus der Tschechoslowakei seit Jahren rückläufig ist und die Aussiedlungswilligen von den Behörden der Volksrepublik Polen unmenschlichen Schikanen ausgesetzt werden?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711019500
Herr Abgeordneter, ich habe hier bereits wiederholt festgestellt, daß die Bundesregierung den Rückgang der Umsiedlerzahlen bedauert.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß erst durch den Warschauer Vertrag und die Information der Regierung der Volksrepublik Polen eine Grundlage geschaffen wurde, auf der die Umsiedlung bei Vorliegen gewisser Kriterien abgewickelt werden kann. Diese Grundlage stellt eine Verbesserung gegenüber früher dar.
Hinsichtlich der CSSR möchte ich darauf hinweisen, daß der Rückgang der Umsiedlerzahlen im Zusammenhang mit den nach 1968 eingetretenen innenpolitischen Veränderungen steht. Seit Ende 1969 sind sowohl der Reiseverkehr wie auch die Umsiedler-zahlen rückläufig. Ziel der im deutsch-tschechoslowakischen Vertrag getroffenen Vereinbarungen ist eine Verbesserung der derzeitigen Situation. Eine solche Verbesserung ist naturgemäß erst nach Inkrafttreten des Vertrages zu erwarten.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711019600
Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0711019700
Herr Staatssekretär, wie kann dann die Bundesregierung bloß behaupten, daß sich die Aussichten für die Aussiedlungswilligen verbessert haben, wenn trotz dieser Grundlage die Aussichten schlechter geworden sind? Denn wir haben Hoffnungen geweckt, die wir nicht erfüllen können.

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711019800
Herr Abgeordneter, ich glaube, Sie gehen von der irrtümlichen Annahme aus, daß die polnische Seite bereit gewesen wäre, die Umsiedlung so weiterzuführen, wie sie in den 50iger und 60iger Jahren war. Die polnische Seite — ich habe das hier schon einmal zum Ausdruck gebracht — war der Meinung, daß die Umsiedlung generell abgeschlossen sei, als wir die Vertragsverhandlungen begannen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711019900
Zusatzfrage.

Dr. Herbert Hupka (CDU):
Rede ID: ID0711020000
Halten Sie es etwa für eine Verbesserung der Aussichten für die Aussiedlungswilligen, wenn sowohl die „Information" zum Warschauer Vertrag als jetzt auch der „Briefwechsel über humanitäre Fragen" im Prager Abkommen in den Ländern, wo die Betroffenen leben, bis heute nicht veröffentlicht worden sind?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711020100
Herr Abgeordneter, es ist Ihnen bei der Lektüre der Ausführungen des Vertreters des Deutschen Roten Kreuzes, die Sie gestern abend im Plenum noch einmal bestätigt haben, ja wohl nicht entgangen, daß das Deutsche Rote Kreuz Ihre Befürchtungen nicht im geringsten teilt und daß es im Gegenteil nach diesen Ausführungen die Sicherheit besitzt, daß alle möglicherweise Betroffenen diese Information, nämlich z. B. über den Briefwechsel, durchaus kennen. Die Praxis spricht durchaus dafür. Ich glaube, daß gerade die Unterlagen, die wir über die Wünsche in Polen selbst besitzen, eher dafür sprechen, daß diese Information sehr wohl bekanntgeworden ist.

(Abg. Dr. Hupka: Das Protokoll spricht nicht dafür!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711020200
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Friedrich.




Bruno Friedrich (SPD):
Rede ID: ID0711020300
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß der Vertreter des Deutschen Roten Kreuzes im Auswärtigen Ausschuß ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß die Situation in der CSSR mit der in Polen nicht vergleichbar ist, daß hier auch ein völliger Unterschied im Ablauf der Verhandlungen besteht und daß er eine sehr positive Erwartung hinsichtlich dessen hat, was kommt?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711020400
Herr Abgeordneter, ich habe dies hier nicht ausdrücklich festgestellt, weil ich den Eindruck hatte, daß selbst der Kollege Dr. Hupka gestern abend in seinem Beitrag diese Unterschiede eingeräumt hat und einräumen mußte. Ich möchte aber doch hinzufügen, daß ich jetzt natürlich gerade wegen Ihrer Frage, Herr Dr. Hupka, um so mehr bedauere, daß Sie nicht zu denen gehört haben, die den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag unterstützt haben; denn dieser Vertrag schafft ja erst die Voraussetzungen für die Realisierung des Wunsches, den Sie eben geäußert haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711020500
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0711020600
Herr Staatssekretär, können Sie widerlegen, daß entgegen der Hoffnungen, die das Deutsche Rote Kreuz geäußert hat, derzeit die Zahl der Aussiedler, die aus der Tschechoslowakei ausreisen können, gegenüber der Zeit, wo ein Vertrag nicht bestand, eminent rückläufig ist?

Karl Moersch (FDP):
Rede ID: ID0711020700
Herr Abgeordneter, es ist doch völlig unmöglich, heute eine Lage zu beurteilen, die mit der Ratifizierung des Vertrages erst eintreten soll. Es ist doch unfair, dem Deutschen Roten Kreuz gegenüber hier derartige Unterstellungen zu machen.

(Abg. Dr. Czaja: Unfair sind solche Antworten!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711020800
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 26 des Abg. Gerlach (Obernau) soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Dr. Czaja sind bereits im Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz beantwortet worden.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. Moersch.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Kann die Bundesregierung Gründe angeben, die dazu führen, daß Walzmagermilchpulver bei der Gestaltung der Intervention wesentlich schlechter gestellt ist als Sprühmagermilchpulver, und was unternimmt sie gegen diese offensichtlich Benachteiligung von Molkereien, die Walzmagermilchpulver herstellen?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711020900
Frau Präsidentin, darf ich die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Dr. Ritz zusammen beantworten?

(Abg. Dr. Ritz: Keine Bedenken!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711021000
Bitte schön, dann rufe ich auch noch die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Ritz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei einer Anzahl von marktfernen Molkereien, die Walzmagermilchpulver herstellen, der ab 1. April 1974 gültige Interventionspreis bei weitem nicht erreicht werden kann und daß dadurch der Milchauszahlungspreis für die Bauern nicht gehalten werden kann, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der Landwirtschaft bei der ohnehin angespannten Preis- /Kostensituation hier zu helfen?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711021100
Herr Kollege Dr. Ritz, Sprühmagermilchpulver erster Qualität läßt sich besser lagern als Walzenmagermilchpulver erster Qualität. Es ist darüber hinaus für Zwecke der menschlichen Ernährung aus Qualitätsgründen zu bevorzugen. Deshalb wurde die Intervention für Walzenmagermilchpulver auf die Milchwirtschaftsjahre 1968/69 und 1969/70 beschränkt sowie der Ankaufspreis um 3,50 bzw. 4,50 Rechnungseinheiten je 100 Kilogramm gegenüber dem des Sprühmagermilchpulvers niedriger festgesetzt. Ein Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung fand bei den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft keine Unterstützung. Eine Benachteiligung des Walzenmagermilchpulvers ist dennoch im allgemeinen nicht gegeben, weil Walzenmagermilchpulver, das an der gesamten Magermilchpulvererzeugung einen Anteil von ca. 35 % aufweist, in etwa zum gleichen Preis wie Sprühmagermilchpulver im Markt untergebracht werden kann und Überschüsse an Sprühmagermilchpulver von den Interventionsstellen der Mitgliedstaaten angekauft werden.
Auf Grund der überwiegend jahreszeitlich bedingten Milchanlieferung sind die Kapazitäten der Trokkungsbetriebe gegenwärtig überlastet. Größere Mengen an Sprühmagermilchpulver sind infolge des Überschreitens des Höchstwassergehaltes von 4 °/o nicht interventionsfähig. Deshalb und obwohl in den letzten beiden Wochen rund 10 000 Tonnen Sprühmagermilchpulver von der Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette angekauft wurden, besteht zur Zeit ein Überangebot auf dem Markt, das auf Sprüh- und Walzenmagermilchpulver gleichermaßen einen gewissen Preisdruck ausübt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711021200
Eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0711021300
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob die vermehrte Produktion von Walzmagermilchpulver in den letzten Wochen auch mit den Importrestriktionen der Italiener in Zusammenhang steht.




Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711021400
Da ist sicherlich ein gewisser Zusammenhang zu sehen, aber ich müßte, um konkrete Angaben machen zu können, diese Sache nachprüfen.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0711021500
Herr Staatssekretär, wenn ich recht informiert bin, wird in den anderen Ländern der Gemeinschaft praktisch überwiegend Sprühmagermilchpulver hergestellt. Was könnte die Bundesregierung tun, um unseren Herstellern von Walzmagermilchpulver die Umstellung auf die Herstellung von Sprühpulver zu erleichtern?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711021600
Ich glaube, darüber müßte noch einmal im Ministerrat gesprochen werden. Ich habe ja gesagt, wir sind da mit unseren Vorstellungen nicht durchgekommen. Ich kann Ihnen dazu hier keine weitere Auskunft geben.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711021700
Noch eine Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Ritz (CDU):
Rede ID: ID0711021800
Glauben Sie, daß die betroffenen Landwirte, die Milcherzeuger, auch weiterhin einen beträchtlichen Mindererlös hinzunehmen haben, und zwar in dem Werkmilchbereich, in dem nach wie vor mit der Methode der Walzen Magermilchpulver hergestellt wird?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711021900
Herr Kollege Dr. Ritz, das glauben wir nicht. Ich habe das eben schon ausgeführt. Wir sind der Meinung, daß im Augenblick zwar ein niedriger Preis da ist, daß sich diese Entwicklung aber auch wieder ändern kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711022000
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz (Weiden) auf:
Auf welche Ursachen führt der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten seine Bemerkung zurück, daß die Situation der deutschen Landwirtschaft innerhalb der EG im Laufe der letzten Jahre besser geworden sei?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711022100
Der Äußerung von Bundesminister Ertl liegt die Tatsache zugrunde, daß die Preissteigerungsraten in der Bundesrepublik Deutschland niedriger liegen als in den anderen EG-Mitgliedstaaten. Der Unterschied ist zum Teil beträchtlich. Dies ist ohne Zweifel ein Erfolg der Stabilitätsbemühungen der Bundesregierung. Es kommt allen Bevölkerungsgruppen zugute und damit auch der Landwirtschaft. Ohne diese Bemühungen wäre der Kostendruck, mit dem sich unsere Landwirtschaft heute bedauerlicherweise besonders auseinandersetzen muß, sicherlich noch größer gewesen. Auf der anderen Seite ist aber nicht zu verkennen, daß sich durch die marktbedingten Preissenkungen, insbesondere bei Vieh und Fleisch und die Verteuerung der Betriebsmittel infolge der Ereignisse auf dem Energiesektor auch die Situation der deutschen Landwirtschaft in den letzten Monaten ungünstig entwickelt hat. Die Schwierigkeiten, die sich hieraus für die deutsche Landwirtschaft ergeben, machen mir ernsthafte Sorgen. Die Bundesregierung ist jedoch bemüht, in Verbindung mit den Organen der Gemeinschaft alle Möglichkeiten zur Stabilisierung der Fleischmärkte auszuschöpfen. Daneben hat sie im nationalen Bereich bereits 208 Millionen DM zur Kostenentlastung der Landwirtschaft bei der Unfallversicherung bereitgestellt. Ferner wird zur Zeit von der Bundesregierung geprüft, ob bei der Mehrwertsteuer auf Grund gestiegener Betriebsmittelkosten die sogenannte Vorsteuerpauschale angehoben werden kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711022200
Eine Zusatzfrage.

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0711022300
Wie kann der Herr Minister angesichts der eben gemachten Äußerungen und Eingeständnisse über die gerade im vergangenen Jahr veränderte Situation die Ansicht aufrechterhalten, die Landwirtschaft habe in den letzten Jahren innerhalb der EG eine wesentliche Verbesserung erfahren?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711022400
Ich habe diese Auffassung des Ministers eigentlich schon begründet. Trotz der Schwierigkeiten, die wir haben und die ich angesprochen habe, ist die Situation der deutschen Landwirtschaft dadurch abgemildert, daß wir — Gott sei Dank, möchte ich sagen — bei den Betriebsmittelkosten nicht so hohe Preissteigerungsraten haben, wie sie Landwirte beispielsweise in Frankreich oder Italien verkraften müssen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711022500
Eine Zusatzfrage!

Prof. Dr. Max Kunz (CSU):
Rede ID: ID0711022600
Ich komme auf den ersten Teil Ihrer Antwort zurück. Ist nach Ihrer Ansicht ein sinkender Marktanteil der deutschen Landwirtschaft ein Beweis für Ihre Feststellung, die Situation der deutschen Landwirtschaft habe sich wesentlich gebessert?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711022700
Das muß man von Fall zu Fall sehen, Herr Kollege. Ein Beispiel: Wir hatten im letzten Jahr einen ausgezeichneten Erzeugerpreis für Schweine. Der Preis war für die Bauern durchaus kostendeckend; so möchte ich es nennen. Trotzdem ist die Erzeugung im letzten Jahr nicht im entsprechenden Umfang angestiegen. Das hätte eigentlich anders sein müssen, um die Erzeugung voranzutreiben. Das ist dann in diesem Jahr geschehen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711022800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.




Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0711022900
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Ihnen unbekannt ist, daß die italienische Landwirtschaft wegen der hohen Inflationsrate einen Preisanstieg von 13,5 % verzeichnet hat und daß im Moment diskutiert wird, die Preise für die italienische Landwirtschaft noch einmal, und zwar separat neben den allgemeinen Preisveränderungen in der Europäischen Gemeinschaft, um 12,5 % anzuheben? Und ist Ihnen weiter unbekannt, daß der Kaufwert für Agrarprodukte bei den Betriebsmitteln, die die Landwirte kaufen müssen, in Frankreich wesentlich höher als in der Bundesrepublik Deutschland liegt?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711023000
All das ist mir natürlich nicht unbekannt, Herr Kollege Eigen. Aber Sie müssen doch beachten, daß eine Preisanstiegsrate von 16 %, die zur Zeit in Italien vorhanden ist und die sich ja fast der 20-%-Marke nähert, für die Landwirtschaft sehr viel mehr belastend sein muß als bei uns eine Preissteigerungsrate von zur Zeit 7,1 %.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711023100
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Ey!

Richard Ey (CDU):
Rede ID: ID0711023200
Herr Staatssekretär, bis wann ist mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale zu rechnen? Und stimmt es, daß die exakten Buchführungsunterlagen für den Nachweis der Notwendigkeit der Anhebung dieser Vorsteuerpauschale in Ihrem Hause nicht vorhanden gewesen sind?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711023300
Ich kann Ihnen zur ersten Frage keinen genauen Termin nennen. Es ist — dies zur zweiten Frage — aber aus verschiedenen Unterlagen bekannt, daß wir erhebliche Betriebsmittelkostensteigerungen in der Landwirtschaft haben, so daß sich in der Tat feststellen läßt, daß der Satz von 5 % mit Sicherheit überschritten ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711023400
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. Die Frage 60 soll auf Bitte des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe auf die Frage 61 des Kollegen Eigen:
Auf welche Weise gedenkt die Bundesregierung, die Mitteilung des Bundesernährungsministeriums im Agrarbericht 1975 auszuwerten, nach der die Landwirte eine Arbeitszeit von 63,4 Stunden pro Woche ableisten?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711023500
Herr Kollege Eigen, die genannten Arbeitszeiten sind im Rahmen des Mikrozensus 1972 für die Woche vom 23. bis 29. April 1972 statistisch ermittelt worden. Sie bestätigen wiederum, daß die Arbeitszeiten in der Landwirtschaft insgesamt und speziell die der Selbständigen im statistischen Gesamtdurchschnitt länger sind als die der Erwerbstätigen anderer Wirtschaftsbereiche. Die Bundesregierung hat Ergebnisse des Mikrozensus bereits in den Vorjahren in den Agrarberichten veröffentlicht, z. B. im Materialband des Agrarberichts 1974, Seite 185. Sie wird beim Agrarbericht 1975 entsprechend verfahren und dabei ausführlich auf die Problematik dieser Ergebnisse hinweisen. Unabhängig hiervon möchte ich jedoch bereits jetzt auf folgendes aufmerksam machen:
Erstens. Gerade in der Landwirtschaft sind die Arbeitszeiten heute nach Betriebsgrößen, Betriebstypen und Regionen so unterschiedlich, daß sie im Mikrozensus kaum voll repräsentativ erfaßt werden können.
Zweitens. Die besondere Abhängigkeit der Landwirtschaft von Klima und Witterung führt traditionell zu stark wechselnden Arbeitsbelastungen im Jahres- und Tagesablauf, die in einer Berichtswoche, wie im Mikrozensus üblich, kaum verallgemeinerungsfähig zu ermitteln sind.
Drittens. Ein exakter Nachweis der tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten der Selbständigen und ihrer Familienangehörigen wäre für die Landwirtschaft nur über eine größere Zahl nach Betriebsgrößen, Betriebstypen und Regionen ganzjährig geführter und differenziert ausgewerteter Arbeitstagebücher möglich.
Viertens. Bei einem Vergleich mit anderen Wirtschaftsbereichen ist zu berücksichtigen, daß in den Arbeitsstunden der außerlandwirtschaftlich Tätigen der häufig größere Zeitaufwand für den Weg zur und von der Arbeitsstätte, die sogenannte Pendelzeit, nichtenthalten ist. Nach früheren Untersuchungen wurde für Arbeitnehmer in ländlichen Gemeinden eine Pendelzeit von durchschnittlich 290 Stunden im Jahr zugrunde gelegt. Als Beispiel hierfür möchte ich auf den Grünen Bericht 1965 Seite 45 Bezug nehmen. Einschließlich der Pendelzeiten sind die Arbeitszeiten heute in anderen Wirtschaftsbereichen teilweise höher als in der Landwirtschaft.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711023600
Eine Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0711023700
Herr Staatssekretär, wie kommt die Bundesregierung zu der Annahme, die sie im Informationsdienst Nr. 25 äußert, daß die landwirtschaftlichen Unternehmer möglicherweise ihre privaten Vorhaben in die Arbeitszeit eingerechnet hätten?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711023800
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das in der Tat von Hof zu Hof zum Teil gelegentlich geschieht. Das können wir, glaube ich, gar nicht auseinanderhalten, Herr Kollege Eigen. Sie sind Praktiker, und Sie wissen auch, daß man hier wirklich nur sehr schwer echte Arbeitszeiten von Hof zu Hof bzw. von Landwirtschaft zu anderen Bereichen vergleichen kann.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711023900
Eine weitere Zusatzfrage.




Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0711024000
Herr Staatssekretär, gedenkt die Bundesregierung diese ihre eigene Meldung nicht nur im Materialband beim Agrarbericht 1975 zu verwerten, sondern auch in die Problematik des vergleichbaren Einkommens einzubeziehen?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711024100
Wir werden durchaus immer wieder diese Vergleiche anstellen. Ich habe bei jeder Agrardebatte schon in früheren Jahren gerade auf die Bedeutung der längeren Arbeitszeit in der Landwirtschaft hingewiesen. Aber, Herr Kollege Eigen, ich kann Sie auch beruhigen: wir haben noch mehr getan. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bundesregierung mit zahlreichen agrarpolitischen Maßnahmen bemüht ist, die Arbeit in der Landwirtschaft sowohl zu verkürzen als auch zu erleichtern. Hier sind insbesondere alle Maßnahmen der einzelbetrieblichen und der überbetrieblichen Investitionsförderung zu nennen, ferner die Bereitstellung erheblicher Bundesmittel für den Betriebshelfereinsatz im Rahmen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711024200
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Sauter.

Franz Sauter (CDU):
Rede ID: ID0711024300
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht für erforderlich, daß, wenn Ihr Ministerium solche Informationen herausgibt, auch darauf aufmerksam gemacht wird, welche zusätzlichen Belastungen die bäuerlichen Familien dadurch erleiden, daß sie keinen Urlaub haben und daß sie über das ganze Jahr hinweg samstags /sonntags arbeiten müssen?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711024400
Ich glaube, das festzuhalten, ist sehr wichtig. Aber wir haben auch gerade bei den Erörterungen des Agrarberichts vor der Presse besonders auf diese Mehrbelastungen, die in der Landwirtschaft zweifellos vorhanden sind, hingewiesen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711024500
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Opitz.

Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0711024600
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, ob zu Zeiten anderer Regierungen die Arbeitszeiten in der Landwirtschaft geringer gewesen sind und ob dort mehr Freizeit für die Landwirtschaft gewesen ist?

(Heiterkeit.)


Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711024700
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber aus der Praxis kann ich Ihnen sagen, daß die Arbeitszeit in der Landwirtschaft immer lang gewesen ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711024800
Keine weitere Frage.
Ich rufe ,die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Wie stellt sich die Bundesregierung zu Meldungen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel", nach denen Bundeskanzler Schmidt Demonstrationen von Bauern an Deutschlands Grenzen verhindern will, indem er dafür sorgt, daß das nicht passiert, und wie verträgt sich diese Äußerung mit Artikel 8 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711024900
Die Bundesregierung bestätigt, daß am 24. Mai 1974 auf Einladung des Herrn Bundeskanzlers ein Gespräch zwischen ihm, ,dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes und Bundesminister Ertl stattgefunden hat. Hierbei wurden auch die Importrestriktionen Italiens und Dänemarks erörtert. Über dieses Gespräch wurde ein mit dem Deutschen Bauernverband abgestimmtes Kommuniqué veröffentlicht. Die Bundesregierung sieht im übrigen keine Veranlassung, näher auf die von dem Herrn Bundestagsabgeordneten zitierte Meldung in dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" vom 3. Juni 1974 einzugehen; sie weist jedoch mit aller Entschiedenheit zurück, dem Herrn Bundeskanzler eine Äußerung zu unterstellen, die gegen die in Art. 8 des Grundgesetzes garantierte Versammlungsfreiheit verstoßen würde.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711025000
Eine Zusatzfrage.

Karl Eigen (CDU):
Rede ID: ID0711025100
Herr Staatssekretär, können Sie Meldungen bestätigen, nach denen Bundesminister Ertl gesagt haben soll, Herr Bundeskanzler Schmidt habe Herrn Präsident Heereman nicht empfangen, sondern zum Rapport gebeten?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711025200
Diese Äußerung kenne ich nicht, und ich glaube auch nicht, daß sie je gefallen ist.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711025300
Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Trifft es zu, daß die deutschen Quellmehlhersteller durch das Verhalten der Vertreter der Bundesregierung in Brüssel gegenüber den Stärkeherstellern benachteiligt sind bzw. werden sollen, und daß das Marktgeschehen bei Maisstärke und Maisquellmehl von nur wenigen Herstellergruppen beherrscht wird, und zwar sowohl im Bundesgebiet wie auch im übrigen EG-Gebiet?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711025400
Herr Kollege Ey, der Wegfall der Produktionserstattung für Quellmehl ist nicht auf das Verhalten der Vertreter der Bundesregierung zurückzuführen. Die Entscheidung darüber ist auf Vorschlag der Kommission vom Ministerrat im Rahmen des Gesamtbeschlusses über die Agrarpreise für 1974/75 getroffen worden. Die Bundesregierung, die sich in den Vorverhandlungen für die Beibehaltung der Produktionserstattung ausgesprochen hatte, konnte den Gesamtbeschluß nicht zurückweisen, weil andere, für die Bundesrepublik besonders wichtige Anliegen nach schwierigen Verhandlungen darin aufgenommen worden waren und die Weigerung, dem Ge-



Parl. Staatssekretär Logemann
Samtpaket zuzustimmen, die dringliche Beschlußfassung über die Agrarpreise verhindert hätte.
Der Grund für den Wegfall .der Produktionserstattung für Quellmehl war die notwendige Senkung .der Ausgaben des EG-Haushalts. Die Abschaffung ist insbesondere darauf gestützt worden, daß die Produktionserstattung in der Gemeinschaft in zunehmendem Maße für die Herstellung von Futtermitteln in Anspruch genommen wurde, die als Ersatz für Milch bei der Kälberaufzucht dienen. Die Gewährung einer Subvention für den Futtersektor läuft den Absichten des EG-Gesetzgebers von 1967 entgegen.
Die Bundesregierung wird aufmerksam beobachten, wie sich die Wettbewerbsverhältnisse zwischen Stärke und Quellmehl in den einzelnen Verwendungsbereichen nach dem Wegfall der Produktionserstattung für Quellmehl entwickeln, und gegebenenfalls Vorschläge in Brüssel machen.
Das Marktgeschehen bei Maisstärke wird durch den Beschluß des Ministerrates über den Wegfall der Produktionserstattung für Quellmehl nicht berührt; Maisstärke wird schon bisher in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft von nur wenigen, darunter einigen Großunternehmen hergestellt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711025500
Eine Zusatzfrage.

Richard Ey (CDU):
Rede ID: ID0711025600
Herr Staatssekretär, werden durch diese einseitigen Förderungsmaßnahmen nunmehr Quellmehlherstellerbetriebe in ihrer Existenz gefährdet, und stimmt es, daß letztere fast ausschließlich einheimische Getreidemengen verarbeiten, während die Maisstärke- und Maisquellmehlhersteller aus dem übrigen EG-Raum und zum Teil aus Drittländern Rohstoffe beziehen und verarbeiten, aber dennoch die Produktionserstattung erhalten?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711025700
Ich habe eben ausgeführt, Herr Kollege Ey, daß wir die Wettbewerbsverhältnisse bei Stärke und Quellmehl natürlich weiterhin sehr genau beobachten werden und daß wir handeln müßten, wenn hier tatsächlich Wettbewerbsnachteile entstehen sollten.
Ich glaube, zum zweiten Teil Ihrer Frage kann ich nur sagen, daß hier wahrscheinlich doch der gesamte EG-Raum gesehen werden muß. Ich meine, daß vor allen Dingen dieser Raum auch für die Wettbewerbssituation entscheidend sein wird.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711025800
Eine Zusatzfrage.

Richard Ey (CDU):
Rede ID: ID0711025900
Herr Staatssekretär, bedeutet die kurzfristige Streichung der Produktionserstattung für Quellmehlhersteller nicht eine schwerwiegende und unzumutbare Benachteiligung?

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0711026000

Das würde ich so global nicht beantworten wollen; ich müßte Ihnen hierzu noch genauere Unterlagen zur Verfügung stellen. Das kann geschehen. Aber im Augenblick bin ich hier überfragt.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711026100
Es stehen aus diesem Geschäftsbereich keine Fragen mehr an. Ich danke Ihnen, Herr Pralamentarischer Staatssekretär Logemann.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hauff zur Verfügung.
Ich rufe Frage 5 des Herrn Abgeordneten Hoffie auf:
Ist die Bundesregierung bereit und in der Lage, auf eine Zusammenarbeit der Firmen ERNO und MBB bei der Abwicklung des Spacelab-Auftrages der ESRO hinzuwirken, nachdem zwei annähernd gleichwertige Angebote dieser Raumfahrtunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland vorlagen und ERNO den Zuschlag erhielt?

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID0711026200
Herr Kollege Hoffie, der Verwaltungs- und Finanzausschuß der ESRO hat seine einstimmige Entscheidung vom 5. Juni 1974, den Spacelab-Auftrag an ERNO zu vergeben, auf der Grundlage der für diese internationale Organisation geltenden Vergaberegeln getroffen. Diese schließen eine nachträgliche Beteiligung der im Wettbewerb unterlegenen Firmengruppe aus. Die Bundesregierung wird die Möglichkeit prüfen, daß sich die unterlegene Firma, in diesem Fall MBB, an Aufgaben im Zusammenhang mit der weiteren instrumentellen Ausrüstung des Spacelab und an künftigen Nutzungsprogrammen beteiligt.

(Abg. Hoffie: Keine Zusatzfrage!)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711026300
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Hauff.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Brück zur Verfügung. Frage 87 wird entsprechend der Bitte der Fragestellerin, der Frau Abgeordneten von Bothmer, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 88 des Herrn Abgeordneten Dr. Köhler auf:
Haben die Bemühungen der Bundesregierung dazu beigetragen, daß sich der Anteil deutscher Consulting-Firmen an Weltbankprojekten von im Jahr 1972/73 (2,03 %) verbessert hat?

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0711026400
Herr Kollege Köhler, der Anteil deutscher Consulting-Firmen an Aufträgen der Weltbank betrug 1972 0 % und 1973 16%. Ihre Zahlen, Herr Kollege Dr. Köhler, beziehen sich auf deutsche Einzelexperten. Diese hatten 1972 einen Anteil von 2,03 % an den Beratungsaufträgen der Weltbank. 1973 betrug der Anteil 0,69 °/o.



Parl. Staatssekretär Brück
Die Verwechslung zwischen der Beteiligung von Consulting-Firmen und der Beteiligung von Einzelexperten lag schon der Antwort auf Ihre Frage vom 8. Dezember 1973 zugrunde. Ich bitte um Verständnis für diesen Irrtum. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist hier auf die Auskünfte der Weltbank angewiesen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711026500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Köhler.

Dr. Volkmar Köhler (CDU):
Rede ID: ID0711026600
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, welche konkreten Schritte gedenkt die Regierung zu unternehmen, um den Anteil der deutschen Consulting-Firmen zu steigern?

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0711026700
Herr Kollege Köhler, Sie wissen selbst, daß der deutsche Exekutivdirektor bei der Weltbank immer bemüht ist, darauf hinzuweisen, daß deutsche Consulting-Unternehmen beschäftigt werden. Sie wissen aber auch, daß der Vorsprung der Consulting-Unternehmen aus den USA, aus Großbritannien und Frankreich groß ist. Hinzu kommt, daß die Weltbank sich oft vergeblich bemüht hat, deutsche Firmen für bestimmte Aufträge zu gewinnen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711026800
Eine Zusatzfrage.

Dr. Volkmar Köhler (CDU):
Rede ID: ID0711026900
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, sind Sie in der Lage, zu bestätigen — ich denke jetzt an die Debatte über die Leistungsfähigkeit des deutschen Consulting-Wesens in diesem Frühjahr —, {daß es nicht an der Leistungsfähigkeit der deutschen Firmen oder Einzelexperten liegen kann, wenn sie nicht angemessen berücksichtigt werden?

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0711027000
Herr Kollege Köhler, manchmal sind die deutschen ConsultingFirmen auch nicht groß genug, um bestimmte Aufträge zu übernehmen. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, daß oft der Vorsprung der Consulting-Unternehmen aus den Ländern, die ich eben genannt habe, groß ist. Ichglaube, daß es auch Aufgabe der deutschen Consulting-Firmen ist, daß sie bei der Weltbank, aber auch in den Entwicklungsländern selbstmehr werben, denn oft werden ja Aufträge von den Entwicklungsländern vergeben. Dies schließt natürlich nicht aus, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet alles tut, was sie tun kann. Das Ansteigen der Zahl der Aufträge hat ja bewiesen, {daß wir in dieser Hinsicht relativ erfolgreich waren, wenn ich auch zugebe, daß wir alle miteinander mit der Zahl der Aufträge an deutsche Consulting-Unternehmen nicht zufrieden sind.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711027100
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Köhler auf:
Trifft es zu, daß deutsche Consulting-Firmen an zeitlich befristeten Verträgen der Weltbank 1973 mit nur 0,69 % gegenüber den USA mit 39,4 % und dem United Kingdom mit 17,7 % beteiligt waren und daß die ca. 300 Namen umfassende Anschriftenliste der Weltbank die Namen von nur etwa drei bis fünf deutschen Einzelexperten aufführt?

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0711027200
Herr Kollege Köhler, den ersten Teil dieser Frage habe ich in der auf die vorhergehende Frage gegebenen Antwort bereits mit beantwortet.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist folgendes zu sagen. Eine Anschriftenliste der bezeichneten Art gibt es bei der Weltbank nicht. Es könnte jedoch das periodisch von der Weltbank zusammengestellte Verzeichnis der während eines Halbjahreszeitraums tätig gewordenen Einzelexperten gemeint sein. Das letzte Verzeichnis dieser Art umfaßt etwa 700 Personen, die mit unterschiedlicher Tätigkeitsdauer — von einem Tag bis zu sechs Monaten — beschäftigt wurden. Es befanden sich darunter sieben Deutsche.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711027300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Volkmar Köhler (CDU):
Rede ID: ID0711027400
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich unterstelle, daß Ihnen nicht eine minuziöse Aufklärung beim Herrn Exekutivdirektor in Washington möglich war. Sind Sie bereit, diese Aufklärung noch nachzuholen?

Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0711027500
Ja, Herr Kollege Köhler, wir sind gern dazu bereit. Wir müssen aber darauf aufmerksam machen, daß wir auf die Angaben der Weltbank angewiesen sind, die wiederum auf Angaben aus den Ländern angewiesen ist. Es ist also nicht so ganz einfach, Statistiken zu erstellen.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711027600
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich bedanke mich, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brück. Meine Damen und Herren, es sind alle für diese Woche {gestellten Fragen beantwortet. Wir stehen damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung. Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID0711027700
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst meinem Bedauern darüber Ausdruck geben, daß ich bei der Debatte über den Vertrag mit der CSSR nur am Schluß anwesend sein konnte. Mein Vertreter in der Bundesregierung durfte davon ausgehen, daß ich schon um 9 Uhr würde hier sein können. Ich bitte deshalb, auch ihn



Bundesminister Genscher
durch diese meine Erklärung als entschuldigt anzusehen.

(Abg. Seiters: Herr Schmidt war die meiste Zeit auch nicht da!)

Meine Damen und Herren, die Tagung in Ottawa wird als eine wichtige Etappe in die Geschichte der nordatlantischen Allianz eingehen. Die Deklaration, die dort verabschiedet worden ist, ist nicht eine bloße Jubiläumserklärung. Sie ist auch nicht nur ein Rückblick auf 25 Jahre des Bündnisses. Die Deklaration ist, wie wir alle wissen, nicht leicht und schnell zustande gekommen. Ihrer Annahme ging vielmehr eine mehr als einjährige Diskussion voraus, die durch die Rede von Dr. Kissinger am 23. April 1973 wesentlich beeinflußt worden ist.
Ausgehend von der Erkenntnis der Schicksalsgemeinschaft zwischen Europa und Nordamerika, ist die Deklaration Grundlage der Anpassung der Allianz an neue Fakten und Tendenzen der politischen und der Sicherheitslage. Die Deklaration enthält bedeutsame politische und militärische Feststellungen und Orientierungen, von denen ich die folgenden besonders hervorheben möchte.
Mit aller Deutlichkeit wird festgestellt, daß die Allianz erhalten bleiben muß, bis, wie es in der Deklaration wörtlich heißt, „die Umstände die Einführung einer allgemeinen, vollständigen und kontrollierten Abrüstung erlauben, die allein echte Sicherheit für alle bringen könnte". Das Dokument stellt also klar, daß nach Ansicht aller 15 Partner bis zu einer derart fundamentalen, heute noch keinesfalls absehbaren Änderung der weltpolitischen Lage eine Ablösung der Nordatlantischen Allianz durch ein europäisches Sicherheitssystem nicht in Betracht gezogen werden kann.
Die Deklaration hebt ferner hervor, daß der Nordatlantikvertrag die unerläßliche Grundlage für die Sicherheit der Mitglieder des Bündnisses ist. Die Sicherheit der Partner kann ohne das Bündnis nicht gewährleistet werden. Diese Sicherheit auf der Grundlage eines wirksamen, funktionierenden Bündnisses ist andererseits die Voraussetzung für die Entspannung, die wir alle wollen.
Die Mitgliedstaaten gehen von der Tatsache aus, daß nur die Zusammenfassung des Verteidigungspotentials von Westeuropa und Nordamerika das Gleichgewicht der Kräfte aufrechterhalten kann. Das findet seinen Ausdruck in der Feststellung, daß die fortdauernde Anwesenheit kanadischer und substantieller amerikanischer Streitkräfte in Europa eine unersetzliche Grundlage nicht nur bei der Verteidigung Europas, sondern auch Nordamerikas darstellt und daß andererseits die substantiellen Streitkräfte der europäischen Verbündeten zur Verteidigung Europas wie auch Nordamerikas dienen.
Erstmals wird die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten in einem multilateralen Dokument feierlich bekräftigt, zusammen mit ihren Verbündeten die Streitkräfte in Europa auf dem Stand zu unterhalten, der erforderlich ist.
In Ottawa ist eine Konsultationsabrede zustande gekommen, die der Koordinierung der Außen- und
Sicherheitspolitik der 15 Partner im Rahmen des Bündnisses eine neue und erweiterte Grundlage bietet. Diese Abrede — das hat sich bei der Diskussion deutlich gezeigt — ist Ausfluß des Willens aller Partner — ich unterstreiche hier: aller Partner —, ein neues Kapitel des engen Informationsaustausches und der Konsultation aufzuschlagen. Erstmals wird festgestellt, daß die Konsultationen sich auch auf Ereignisse in anderen Gebieten als im Allianzbereich beziehen werden, wenn durch diese Ereignisse die gemeinsamen Interessen der Mitglieder des Bündnisses berührt werden können.
Die Deklaration befaßt sich auch mit der Frage, die in den letzten Jahren häufig aufgeworfen worden ist, ob nämlich die Entwicklung des strategischen Gleichgewichts zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die Sicherheitspolitik der Allianz verändern müsse. Auch angesichts der wesentlich veränderten strategischen Bedingungen hält das Bündnis am Prinzip der Unteilbarkeit der Sicherheit aller seiner Mitglieder fest. Gleichzeitig wird jedoch die besondere Problematik der Verteidigung Europas herausgearbeitet und dem Bündnis die Aufgabe gestellt, alle erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahren zu treffen, denen es im europäischen Bündnisbereich ausgesetzt ist. Die Deklaration beseitigt jeden Zweifel an der Entschlossenheit der Mitglieder der Allianz, alle erforderlichen Kräfte einzusetzen, um einem potentiellen Gegner die Ziele, die er durch einen bewaffneten Konflikt zu erreichen trachtet, zu verwehren.
Die Bundesregierung fühlt sich durch die Deklaration in der von ihr stets vertretenen Auffassung bestätigt, daß das amerikanisch-sowjetische Abkommen über die Verhütung von Nuklearkriegen vom 11. Juni 1973 die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten unbeeinträchtigt läßt, Europa mit allen zur Verfügung stehenden Streitkräften einschließlich der strategischen zu schützen. Die Deklaration erklärt hierzu mit aller notwendigen Klarheit, daß es einerseits das Hauptanliegen der Politik der Bündnispartner ist, Übereinkünfte zur Minderung der Gefahren des Krieges herbeizuführen, daß andererseits solche Übereinkünfte nicht ihre Freiheit einschränken, im Falle eines Angriffs alle ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte zur gemeinsamen Verteidigung einzusetzen.
Die Bundesregierung begrüßt es besonders, daß erstmals in einem Dokument des Bündnisses auf die sicherheitspolitische Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses eingegangen wird. Die künftige Entwicklung der Allianz wird entscheidend mitbeeinflußt werden durch die Fähigkeit des Bündnisses, den Prozeß der europäischen Einigung zu schützen und dafür Sorge zu tragen, daß sich diese Einigung im Rahmen des Bündnisses vollzieht und dieses Bündnis stärkt, es nicht schwächt.
In der Deklaration wird gleichzeitig die Entschlossenheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bekräftigt, auf dem Weg zur Einheit weitere Fortschritte zu machen, die auch dem europäischen Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung zum Vorteil gereichen soll. Gerade die Europäer werden sich durch die in der Deklaration zum Aus-



Bundesminister Genscher
druck gebrachte Verpflichtung gebunden fühlen, daß jedes einzelne Mitglied gemäß seiner Rolle in der Struktur des Bündnisses seinen angemessenen Anteil an den Lasten der Erhaltung der Sicherheit aller übernehmen sollte.
Die Tagung in Ottawa hat neben der Verabschiedung der Deklaration auch deshalb eine besondere Bedeutung gehabt, weil sie zu einer sehr eingehenden Diskussion über die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Gelegenheit bot. Mit allem Freimut und mit einem großen Verantwortungsgefühl für die Festigung des Friedens wurde der bisherige Verhandlungsstand in Genf bewertet, eine Frage, zu der sich auf ihrer Sitzung am 11. Juni dieses Jahres in Bonn schon die Außenminister der Neun geäußert haben. In Ottawa konnten die Mindestanliegen der Bündnispartner klargestellt und noch einmal ihre Entschlossenheit bekundet werden, die Verhandlungen zügig zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Die Partner waren sich darin einig, daß im Bereich der vertrauensbildenden Maßnahmen und vor allen Dingen auf dem Gebiet der menschlichen Kontakte und des freien Informationsaustausches konkrete Ergebnisse erzielt werden müssen.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : Sehr gut!)

Die Bundesregierung kann mit besonderer Genugtuung feststellen, daß die Tagung in Ottawa ihren speziellen Anliegen in der Deutschland- und BerlinPolitik voll Rechnung getragen hat. Das gilt auch für jene Aspekte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die diese Politik berühren.
Die Bündnispartner traten mit uns gemeinsam dafür ein, daß das Recht auf friedliche einvernehmliche Änderung von Grenzen in angemessener Weise in der Prinzipiendeklaration niedergelegt wird.

(Abg. Dr. Mertes [Gerolstein] : „In angemessener Weise", sehr gut!)

Das gleiche gilt für die Notwendigkeit der Wahrung der Rechte und Verantwortlichkeiten der Drei Mächte.
Als Vertreter der Bundesregierung konnte ich auf dem traditionellen Vierer-Treffen am 18. Juni über die Lage in Deutschland und bezüglich Berlins berichten. Nach der erneuten Bekräftigung der gemeinsamen Grundposition ergab sich die völlige Übereinstimmung der vier Außenminister auch in den diskutierten aktuellen Fragen. Besonders ist zu begrüßen, daß im Schlußkommuniqué alle Mitgliedstaaten der Allianz die untrennbare Verbindung der Entspannung in Europa mit der strikten Einhaltung und vollen Anwendung des Viermächteabkommens und die Bedeutung der Aufrechterhaltung des ungehinderten Verkehrs auf den Verbindungswegen nach Berlin hervorheben.
Die Bundesregierung begrüßt das Ergebnis der Tagung in Ottawa. Das Bündnis hat erneut seine Fähigkeit bewiesen, auch schwierige Situationen zu meistern. Die Bündnispartner sind entschlossen, auch in Zukunft den Anforderungen der gemeinsamen Sicherheit gerecht zu werden. Die Bündnispartner sind sich einig, auf der festen Grundlage ihrer durch die Allianz gewährleisteten Sicherheit eine aktive Politik der Entspannung und eine aktive Politik der Festigung des Friedens zu betreiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711027800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schröder.

Dr. Gerhard Schröder (CDU):
Rede ID: ID0711027900
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erklärung von Ottawa und der Bericht, den der Herr Außenminister dazu soeben erstattet hat, finden in ihrem wesentlichen Inhalt die Zustimmung der Opposition. Die Erklärung ist eine wichtige gemeinsame Aussage von 15 verbündeten Staaten.
Wr sind uns bewußt, daß die Formulierung der Erklärung manche Schwierigkeiten überwinden mußte und deshalb lange gedauert hat. Wir sind froh darüber, daß diese Gemeinsamkeit in eindrucksvoller Weise ausgedrückt worden ist und daß über die früheren Differenzen, Mißverständnisse, Meinungsverschiedenheiten hinweg nun eine gemeinsame Plattform gefunden worden ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir meinen, daß es eine eindringliche Bekundung westlicher, nämlich europäischer und atlantischer Politik sein wird, wenn diese Erklärung in der nächsten Woche, wie beabsichtigt, von 15 Staats- und Regierungschefs, an der Spitze der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Nixon, unterzeichnet wird. Die Erklärung von Ottawa stellt mit aller wünschenswerten Klarheit fest, daß der nordatlantische Vertrag die unerläßliche Grundlage für die Sicherheit aller Vertragspartner ist und daß nur auf dieser Grundlage Entspannungsbemühungen möglich sind. Nachdrücklich unterstreichen wir die Feststellung, daß Staaten, die den Frieden erhalten wollen, dieses Ziel niemals dadurch erreicht haben, daß sie ihre eigene Sicherheit vernachlässigen. Es wäre lebensgefährlich für Frieden und Freiheit in Europa, wollten wir uns über diesen Punkt einer Täuschung hingeben.
Deshalb halte ich auch die weitere Feststellung der Erklärung für besonders wichtig, daß, so heißt es, „die wesentlichen Elemente der Lage, die zu dem Vertrag führte", sich nicht geändert haben. Das heißt, daß die Bedrohung, die zum Zusammenschluß der Vertragspartner in der Nordatlantischen Allianz führte, im wesentlichen unverändert weiter besteht. Die Erklärung von Ottawa zieht daraus die richtige und notwendige Konsequenz. Es wird die Entschlossenheit bekräftigt, die drei Elemente aufrechtzuerhalten und zu stärken, auf denen die Funktionsfähigkeit des Bündnisses beruht: die nukleare Garantie der Vereinigten Staaten für das Bündnis, die militärische Präsenz der Amerikaner in Europa, der Beitrag der europäischen Bündnispartner zur gemeinsamen Verteidigung. Diese drei Elemente zusammen gewährleisten die Funktionsfähigkeit des Bündnisses, d. h. die Fähigkeit zur Abschreckung und die Fähigkeit zur Verteidigung, wenn die Abschreckung versagen sollte.



Dr. Schröder (Düsseldorf)

Meine Damen und Herren! Eine eingehendere Analyse bleibt eine wichtige Aufgabe der nächsten Zeit. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß wir Deutsche — und unsere Freunde und Verbündeten mit uns — in einer Zeit leben, die durch die heutige Debatte des Prager Vertrages und die gestrige Debatte der Deutschlandpolitik charakterisiert ist. Deshalb möchte ich die Hoffnung unterstreichen, die in Ziffer 14 der Erklärung ausgedrückt ist und die lautet:
Die Mitgliedstaaten vertrauen auch für die Zukunft darauf, daß die Lebens- und Schöpferkraft ihrer Völker den Herausforderungen, denen sie sich gegenübersehen, gewachsen ist. Sie geben ihrer Überzeugung Ausdruck, daß das Nordatlantische Bündnis weiterhin ein wesentliches Element in der dauerhaften Friedensordnung sein wird, die zu schaffen sie entschlossen sind.
Meine Damen und Herren, wir alle hier, so hoffe ich, wissen, daß es die große Aufgabe der deutschen Politik bleiben muß, dafür zu arbeiten, daß diese dauerhafte Friedensordnung dem deutschen Volk seine Einheit wiederbringt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711028000
Das Wort hat der Abgeordnete Corterier.

Dr. Peter Corterier (SPD):
Rede ID: ID0711028100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat die Deklaration von Ottawa mit einer gewissen Erleichterung und gleichzeitig mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen. Mit einer gewissen Erleichterung deswegen, weil mit dieser Deklaration und mit der bevorstehenden Reise von Präsident Nixon nach Brüssel ganz offensichtlich ein Schlußstrich unter die Schwierigkeiten gezogen werden soll, die es im vergangenen Jahr innerhalb der Allianz gegeben hat. Mit großer Befriedigung haben wir diese Deklaration deswegen zur Kenntnis genommen, weil in ihr wesentliche Grundsätze unserer Politik erneut bestätigt werden. Die Deklaration enthält eine vorzügliche Beschreibung der veränderten strategischen Weltlage, wie sie sich 25 Jahre nach Gründung der NATO ergeben hat. Diese Weltlage ist durch eine nahezu erreichte Parität zwischen den USA und der Sowjetunion und durch den Eintritt Chinas in die Weltpolitik gekennzeichnet. Diese veränderte Lage hat zu dem SALT- Abkommen von 1972 und dem Abkommen über die Verhinderung von Nuklearkriegen von 1973 geführt.
Wir Sozialdemokraten haben im Unterschied zu anderen innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik diese Politik nie als eine Politik angesehen, die über unsere Köpfe hinweg geführt wurde, sondern als eine Politik, die im Interesse des Friedens und damit auch in unserem Interesse geführt wurde. Das Verhältnis zwischen den USA und der Sowjetunion ist nun einmal entscheidend für den Frieden auf der Welt. Ohne Entspannung zwischen den beiden Weltmächten kann es auch keine Entspannung in Europa geben. Das Dokument zeigt diese Zusammenhänge klar auf und stellt eindrucksvoll dar, wie untrennbar die Sicherheit der USA mit der Europas auch heute noch verbunden ist.
Wir begrüßen es, daß die Deklaration die bereits in Reykjavik festgelegten zentralen Aufgaben des Bündnisses, nämlich Sicherheit und Entspannung erneut bekräftigt. Nur wenn wir beide Ziele gleichzeitig verfolgen, wird es uns gelingen, ein militärisches und politisches Gleichgewicht in Europa zu erhalten. Trotz der Ostverträge, trotz der Verhandlungen in Wien und in Genf gibt uns die Rüstungspolitik des Warschauer Paktes — aus welchen Gründen sie auch immer betrieben wird — keine Möglichkeit, die militärischen Anstrengungen der NATO und unseren deutschen Beitrag hierzu zu verringern.
Die Perspektive, in der allein eine solche Verringerung möglich ist, ist in ausgezeichneter Form in der Deklaration beschrieben, wenn es dort in Ziffer 2 heißt — ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin —:
Die Verbündeten hegen gemeinsam den Wunsch, die auf ihren Völkern lastenden Rüstungskosten zu vermindern. Doch Staaten, die den Frieden erhalten wollen, haben dieses Ziel niemals dadurch erreicht, daß sie ihre eigene Sicherheit vernachlässigen.
Wir freuen uns, daß die Autoren der Deklaration klar erkannt haben, daß neben den sehr wesentlichen Sicherheitsbeziehungen auch harmonische Beziehungen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet für den Zusammenhalt der Allianz unerläßlich sind. Harmonische Beziehungen auf diesen Gebieten sind aber ohne ausreichende und rechtzeitige Konsultation nicht möglich. Wir hoffen, daß durch das, was die Allianzpartner zu diesem Thema in der Deklaration feierlich vereinbart haben, Unstimmigkeiten, wie es sie vor allem letztes Jahr zur Zeit des Nahostkonflikts gegeben hat, sich in Zukunft nicht wiederholen oder wenigstens auf ein Mindestmaß eingeschränkt bleiben werden. Interessenkonflikte wird es immer geben, auch zwischen Allianzpartnern; die Frage ist nur, wie man sie im Interesse aller bereinigt.
Wichtig ist unserer Meinung nach auch das, was über die amerikanischen Truppen in Europa gesagt wird. Wir hoffen, daß auf Grund dieser erneuten feierlichen Verpflichtung gerade auch der Vereinigten Staaten die endlose Diskussion, die es schon über viele Jahre hinweg über die amerikanischen Truppen in Europa gegeben hat, in den Vereinigten Staaten zu einem Ende kommen wird. Zu dieser Hoffnung gibt uns auch Anlaß, daß es vor 14 Tagen im amerikanischen Senat ja eine sehr eindeutige Stellungnahme zu dieser Frage gegeben hat. Aber die Frage der Truppen der Amerikaner in Europa läßt sich natürlich nicht von derjenigen der Truppen, die die Europäer selber unterhalten, trennen. Wir gehen also davon aus, daß diese Erklärung auch in denjenigen europäischen Ländern, in denen es zur Zeit eine Diskussion über eine Verringerung der Verteidigungsanstrengungen gibt, ihre Wirkung nicht verfehlen wird, daß sie dort einen Einfluß haben wird.



Dr. Corterier
Wir begrüßen nachdrücklich das erneute Bekenntnis, das die NATO in Ziffer 12 der Deklaration zu den geistigen Grundlagen des Bündnisses, d. h. zur Demokratie, zu den Menschenrechten, zu Gerechtigkeit und sozialem Fortschritt und zur Entwicklung und Vertiefung dieser Grundsätze in den Mitgliedsländern, ablegt.
Bei der Lektüre dieses Teils der Deklaration richten sich unsere Gedanken automatisch auf zwei Mitgliedstaaten der NATO, nämlich auf Portugal und Griechenland. Durch die Entwicklung der letzten Wochen ist Portugal zum erstenmal ein vollwertiger Bündnispartner geworden und ist dabei, die NATO von einer schweren Hypothek zu befreien, die ihr vor allem in der jungen Generation ungeheuer geschadet hat,

(Beifall bei der SPD)

nämlich von der Hypothek der blutigen Kolonialkriege in Afrika. Wir wünschen den portugiesischen Demokraten auf ihrem nicht einfachen Weg Erfolg und hoffen, daß die Bündnispartner — und insbesondere auch die Bundesregierung — ihnen dabei die notwendige politische und wirtschaftliche Unterstützung geben werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die griechische Regierung hat die in Ziffer 12 niedergelegten Grundsätze unterzeichnet.

(Abg. Mattick: Hört! Hört!)

Wir hoffen und fordern, daß sich daraus für ihre Politik gegenüber der griechischen Bevölkerung Konsequenzen ergeben werden. Immerhin wäre es interessant zu erfahren, Herr Bundesaußenminister, ob und in welcher Weise sich die griechischen Vertreter zu diesem Teil der Erklärung auf der Konferenz in Ottawa geäußert haben.
Ich möchte zum Schluß kommen und noch feststellen, daß meine Fraktion und ich uns darüber freuen, daß in Ziffer 13 der Deklaration — zum erstenmal in einer derartigen Erklärung der NATO — die Bedeutung des freien Meinungsaustausches zwischen den Abgeordneten der Parlamente des Bündnisses anerkannt wird. Wenn die Außenminister dementsprechend erklären, daß sie den Ausbau der Verbindungen zwischen den Parlamentariern der NATO- Staaten fördern wollen, dann sehe ich das vor allem als eine Verpflichtung der Regierungen an, in Zukunft die Rolle der nordatlantischen Versammlung zu stärken und auszubauen.
Ich kann ähnlich schließen wie Sie, Herr Kollege Schröder: Auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gibt ihrer Überzeugung Ausdruck, daß — wie es in der Deklaration gesagt worden ist — das Nordatlantische Bündnis weiterhin ein wesentliches Element einer dauerhaften Friedensordnung sein wird, die zu schaffen auch wir — ich kann sagen: wir alle gemeinsam — entschlossen sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711028200
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.

Uwe Ronneburger (FDP):
Rede ID: ID0711028300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Erörterung der Deklaration von Ottawa, das, was der Herr Bundesaußenminister gesagt hat, und auch das, was von den beiden Fraktionen der CDU und SPD bisher gesagt worden ist, schließt sich geradezu nahtlos an die Debatte an, die wir gestern und heute geführt haben und die heute gegen Mittag mit der Ratifizierung des Prager Vertrages geendet hat.
Ich weise auf diesen Umstand gerade deswegen hin, weil in dieser Deklaration noch einmal ganz ausdrücklich gesagt worden ist — was in der Debatte über den Prager Vertrag ja auch mehrfach zum Ausdruck gekommen ist —, daß die Sicherheit, die das Nordatlantische Bündnis uns und unseren Vertragspartnern verschafft, Voraussetzung für die Entspannung ist, die wir alle wollen. Ich meine, wir sollten gerade diesen Aspekt der Deklaration von Ottawa auf gar keinen Fall übersehen.
Darüber hinaus meine ich, daß diese Deklaration nun tatsächlich mehr ist als eine Bestätigung der Grundsätze des Nordatlantischen Bündnisses. Hier werden an einigen Punkten durchaus neue Aspekte gezeigt, die von uns begrüßt werden können. Ich möchte in diesem Zusammenhang nichts wiederholen, insbesondere nichts von dem, was Herr Kollege Corterier soeben zu einigen bestimmten Punkten gesagt hat. Aber von ganz entscheidender Bedeutung scheint mir zu sein, daß sich in Ottawa jetzt erstmals eine deutliche Konsultationsabrede herausgebildet hat; übrigens eine Konsultationsabrede, die nicht nur auf Ereignisse im unmittelbaren Eigenbereich der Allianz Bezug nimmt, sondern auch auf Ereignisse, die sich außerhalb dieses Eigenbereiches abspielen. Wir können wohl von der Hoffnung ausgehen, daß die Konsultationen, die hier vorgesehen sind, in Zukunft Ereignisse verhindern können, die wir in der Vergangenheit gemeinsam beklagt haben.
Wichtig erscheint mir — das sage ich auch auf die Gefahr einer Wiederholung hin —, daß in dieser Deklaration zwei Punkte enthalten sind: nämlich die ausdrückliche, zum ersten Mal in einem solchen Dokument festgehaltene Bereitschaft der Vereinigten Staaten, ihr Kontingent in ausreichender Zahl auf europäischem Boden zu erhalten, und gleichzeitig die Bereitschaft aller europäischer Bündnispartner, ihren Anteil an diesen Sicherheitsleistungen auch in Zukunft zu erbringen.
Aber was mir nun ganz entscheidend wichtig zu sein scheint — dafür möchte ich Ihnen, Herr Bundesaußenminister, im Namen der FDP-Fraktion an dieser Stelle ausdrücklich danken —, ist das, was neben dieser Deklaration in den Gesprächen in Ottawa gesagt worden ist zur Frage des Viermächteabkommens, zur Sicherheit West-Berlins und zur Aufrechterhaltung des ungehinderten Verkehrs auf den Verbindungswegen als einer Voraussetzung für die Entspannung in Europa. Daß das von allen unseren Bündnispartnern gemeinsam so bestätigt worden ist, ist ein Ergebnis dieser Tagung in Ottawa, das mir wert zu sein scheint, es besonders hervorzuheben, und das für uns — gerade auch im



Ronneburger
Zusammenhang mit unseren ostpolitischen Bemühungen — eine ganz besondere Bedeutung hat.
Insofern sehen wir nach gewissen Schwierigkeiten der Vergangenheit, die sich insbesondere auf eine fortlaufende Verständigung der Partner und auf die uneingeschränkte Bereitschaft bezogen, daß jeder seine eigenen Leistungen für die gemeinsame Sicherheit erbringt, in diesem Dokument von Ottawa und dem Ergebnis der Verhandlungen insgesamt einen positiven Aspekt für die Sicherheit Europas, für die Sicherheit auch Nordamerikas. Wir sehen darin aber vor allen Dingen einen hoffnungsvollen Ansatz für das Weitergehen einer Entspannung, um die wir uns in vielfältiger Weise bemühen und bemühen werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711028400
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir kehren dann zurück zur Behandlung des Tagesordnungspunktes 9, der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer.
Das Wort hat der Abgeordnete Rappe.

Hermann Rappe (SPD):
Rede ID: ID0711028500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein paar Bemerkungen zu der Rede des Kollegen Franke machen. Herr Franke hat im Verlauf seiner Rede von allem möglichen gesprochen, ich hatte nur den Eindruck: eben leider nicht von der Mitbestimmung, um die es jetzt geht und um deren Regelung wir uns in der Koalition bemühen.

(Abg. 'Seiters: Da waren Sie nicht da! — Abg. Dr. Ehrenberg: Das interessiert ihn ja auch nicht!)

Ich glaube, daß schon bei der Kabinettsberichterstattung am 20. Februar, als Herr Franke für die Opposition gesprochen hat, deutlich wurde, daß die CDU/CSU zu diesem Problem im Grunde jetzt keine Lösung für die jetzige Gesetzesfassung und für die Diskussion um diesen Gesetzentwurf anzubieten hat;

(Abg. Seiters: Er hat den Beschluß von Hamburg ausdrücklich im Wortlaut vorgetragen!)

ich glaube, daß dies alles eben darüber hinwegführen soll. Herr Kollege Franke bemüht sich, einmal einige Bemerkungen an die Adresse der SPD-Fraktion, einmal einige an die der FDP-Fraktion zu richten, und dann wird das so gegeneinander aufgewogen — hin und her —, und dabei soll dann möglicherweise der Versuch herauskommen, die beiden Koalitionspartner ein bißchen auszuspielen. Man will weiter versuchen, dabei und damit zu verdecken, daß eine eigene Lösung überhaupt nicht zur Debatte steht.

(Abg. Seiters: Die hat er doch vorgetragen, Sie waren heute morgen offensichtlich nicht dabei!)

Ich würde sagen, meine Damen und Herren von der Opposition: das wird nicht gelingen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Auseinandersetzung um diesen Gesetzentwurf wird deutlich machen, wo Lösungen gefunden werden, und sie wird deutlich machen, daß Sie keine Lösungen haben.
Noch eine Bemerkung zu dem Zitat von Eugen Loderer am Schluß. Dieses Zitat beschäftigt sich mit diesem Gesetzentwurf, und eine ganz andere Frage ist, wie Zitate aussehen werden, wenn wir den Gesetzentwurf fertig haben. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, ich wage mir eigentlich nicht vorzustellen, wie wohl Zitate aussehen würden, wenn Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt hätten. Das wäre noch eine ganz andere Frage.

(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Ehrenberg: Es wird nie so weit kommen!)

Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mißt dem Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer große Bedeutung bei. In der Mitbestimmung auf Unternehmensebene gab es dank der CDU/CSU seit mehr als 20 Jahren keinen Fortschritt. Die CDU/CSU hat das Verdienst, die Mitbestimmung lange Zeit in der Diskussionsphase gehalten zu haben, als alle Grundfragen längst ausdiskutiert waren. Diesem Rezept eifert man heute noch nach. Die Sozialausschüsse diskutieren, formulieren, fabrizieren; der Wirtschaftsrat hingegen regiert die CDU gestern wie heute.

(Abg. Dr. von Bismarck: Herr Rappe, schön wär's!)

Dieser Tatbestand ist jetzt nicht mehr so tragisch, meine Damen und Herren, weil der CDU/CSU nach eindeutigem Wählerauftrag die Oppositionsrolle zugewiesen worden ist. In der Mitbestimmung aber wird exemplarisch deutlich, was jahrzehntelang verpaßt wurde: in der Sache über die Montan-Mitbestimmung hinaus weiterzukommen. Die historischen Chancen wurden — das ist kein Zufall — allemal verpaßt. Die Geschichte ist nicht reparierbar, aber möglicherweise aufholbar. Wir sind bereit, dies jetzt zu tun.
Meine Damen und Herren, erinnern wir uns: Wie war es denn in der ersten Legislaturperiode des Bundestages? Mitglieder der Sozialausschüsse der CDU brüsten sich bisweilen damit, daß die CDU die Montan-Mitbestimmung eingeführt habe. Derartige Versuche kann man nur als tollkühn bezeichnen. Jeder weiß doch, daß die Alliierten die paritätische Mitbestimmung 1947 in Kraft gesetzt haben und daß es der erklärte Wille der Adenauer-Regierung war, die Eindrittelbeteiligung der Arbeitnehmer generell vorzusehen. Ein entsprechender Referentenentwurf trug das Datum 31. August 1950. Nur der entschlossene Widerstand der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften hat damals einen Abbau der Mitbestimmungsrechte verhindert. Im Jahre 1950 hatte die Restaurationsphase für die CDU längst begonnen.



Rappe (Hildesheim)

Man muß in der Tat schon weit zurückgreifen, um bei der CDU arbeitnehmerfreundliche programmatische Äußerungen zu finden. Im Ahlener Programm von 1947 las sich das so — ich bitte zitieren zu dürfen —:
In den Betrieben ist ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung sicherzustellen. Dies muß zunächst dadurch geschehen, daß die Arbeitnehmer des Betriebes in den Aufsichtsorganen die ihnen zustehende Vertretung haben.
So, wie wir die CDU/CSU seit dieser Zeit kennengelernt haben, ist man geneigt, auch das Ahlener Programm in die Kategorie der zynischen Äußerungen einzureihen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ehrenberg.) Aber damals war es ganz sicher ehrlich gemeint.

Meine Damen und Herren, mit dieser Ehrlichkeit war es allerdings sehr schnell vorbei Schon Anfang der 50er Jahre begann das Spiel mit den Sozialausschüssen,

(Abg. Seiters: Wollten Sie nicht zum Gesetzentwurf Stellung nehmen?)

mit dieser kleinen Gruppe von Gewerkschaftlern in der CDU. Die Sozialausschüsse sind das Arbeitnehmerfeigenblatt, die institutionalisierte Alibifunktion. Nachwachsende Mitglieder der Sozialausschüsse haben ja manchmal Verständnisschwierigkeiten hinsichtlich der Rolle, die sie zu übernehmen haben.

(Abg. Seiters: Sprechen Sie doch zum Gesetzentwurf, Herr Rappe!)

Der Lernprozeß, mit Illusionen leben zu müssen, Illusionen verbreiten zu müssen, ist auch gerade nicht angenehm. Vor jeder Niederlage wird ordentlich aufgetrumpft. So ließ sich der Kollege Blüm vor dem Hamburger CDU-Parteitag vernehmen — ein Zitat, bitte —:
Die CDU muß sich darüber im klaren sein, daß für viele engagierte Arbeitnehmer die Mitbestimmung zur Testfrage geworden ist.
Und weiter:
Die CDU steht vor der Frage, ob sie Volkspartei
bleiben will oder nach rechts auswandern will.
Nach der Schlacht greift dann jedesmal Kleinmut um sich.
Auf dem Hamburger Parteitag unterlagen die Sozialausschüsse bei der Mitbestimmung mit einem Stimmenverhältnis von 559 : 97 Stimmen, eine erneute schwere Niederlage also für die Katzer-BlümGruppe. Die Betonung liegt dabei gleichermaßen auf den Worten „erneut" und „schwer". Es gehört bei der CDU schon zur Tradition, daß das Arbeitnehmergrüppchen überdeutlich nach hinten hinunterfällt. Dies alles ist bekannterweise kein Zufall. Man weiß, wer bei der CDU/CSU das Sagen hat. Arbeitgeberpräsident Schleyer übt sich wiederholt darin, fundamentale Kenntnisse zu verbreiten. Es gibt ein schönes Zitat aus seinem Buch: „Das soziale Modell" —ich bitte, zitieren zu dürfen —:
Die verschiedenen Strömungen in der CDU lassen sich im wesentlichen in zwei Richtungen darstellen. Die eine wird von den CDU-Sozialausschüssen repräsentiert.
Und dann kommen zwei Seiten, die ich zu lesen empfehle, damit man die Rolle der Sozialausschüsse richtig einpassen kann. Ich möchte mit meinen Worten weiter ergänzen: die andere Seite von den Unternehmern und denen, die sich ihnen elitär verbunden fühlen.
Das ist die Struktur der CDU, meine Damen und Herren. Das Gewicht der Sozialausschüsse, exakt gewogen in Hamburg und alle Jahre zuvor, darf man mit 15 % ansetzen. Die Mehrheit der Arbeitnehmer kennt die CDU als Unternehmerpartei. Die Arbeitnehmer wissen, daß in der Mitbestimmungsfrage von der CDU nichts zu erwarten ist.

(Abg. Seiters: Das haben die letzten Wahlen gezeigt! — Abg. Mick: Haben Sie bei uns mal Guillaume gespielt?)

— Bitte?

(Abg. Mick: Ob Sie bei uns mal Guillaume gespielt haben, daß Sie das so genau wissen!)

— Nein, das ist praktische Politik in 20 Jahren gewesen, Herr Mick. Während der 50er und der 60er Jahre war ausreichend Gelegenheit, das Gegenteil zu beweisen.
Auf dem Düsseldorfer CDU-Parteitag wurde das Modell 7 : 5 zugunsten der Kapitalseite gekürt. Davon ist die CDU dann sehr schnell abgerückt: Scheinparität war 1973 in Hamburg die Devise. Mehr als einige Leitsätze kamen dabei nicht heraus. Es gibt heute keinen Gesetzentwurf der CDU, nicht einmal einen Gruppenantrag,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

was doch der Mode bei der Opposition entsprechen würde und was wir kennen. Nicht einmal dazu hat es gelangt. Die CDU hat mit ihrem Hamburger Beschluß die uralte Position der Partnerschaftsideologie erneut betont.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Damit soll der natürliche Interessengegensatz wegideologisiert werden. In einem neuen CDU-Unternehmensrecht, das noch durch den Bundesvorstand zu erarbeiten ist, sollen die Arbeitnehmer durch Anteilseigner und Unternehmensleitung partnerschaftlich umarmt werden. Das soll die große Lösung der Zukunft sein. Selbst bei einem Übermaß an Phantasie ist unvorstellbar, daß das neue Rezept besser sein sollte als jedes alte von Ihnen.
Die Haltung der CDU ist denkbar einfach. Sie hat sich die Aufgabe gestellt, die Ausweitung der Mitbestimmung der Arbeitnehmer zu verhindern — schlicht und ergreifend —, und nichts anderes. Die Mitbestimmungsfrage ist in der Grundsätzlichkeit seit vielen Jahren ausdiskutiert. Es ist blanker Hohn, wenn die CDU mit Biedenkopf und anderen jetzt neue Überlegungen fordert.
Meine Damen und Herren, wir wollen in der Mitbestimmung jetzt weiterkommen. Die der CDU/CSU anzulastende gesellschaftspolitische Stagnation in



Rappe (Hildesheim)

der Mitbestimmung werden die Koalitionsfraktionen jetzt überwinden und nicht irgendwann in den nächsten Jahren.
An die Adresse der Mitglieder der Sozialausschüsse muß die Frage gestellt werden, warum sie sich in diese Mitbestimmungsverhinderungsstrategie der CDU so einfach einpacken lassen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711028600
Herr Kollege Rappe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Seiters?

Hermann Rappe (SPD):
Rede ID: ID0711028700
Bitte.

Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID0711028800
Herr Kollege Rappe, können Sie mir sagen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, da Sie über den Mitbestimmungsgesetzentwurf der Regierung, der hier zur Debatte steht, sprechen werden?

Hermann Rappe (SPD):
Rede ID: ID0711028900
Wann ich das für richtig halte, Herr Kollege!

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Aha!-Rufe bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Franke [Osnabrück].)

— Herr Kollege Franke, Ihnen und Ihren Freunden empfehle ich, Ihre Rede nachzulesen. Haben Sie denn eine Sache, wo es um einen Mitbestimmungsgesetzentwurf geht?

(Zuruf des Abg. Franke [Osnabrück].)

— Na, bitte schön! — Ich will hier noch einmal erklären: Dies ist eine Position der Mitbestimmungsverhinderungsstrategie. Ihr Modell eines Board-Systems soll doch nur über die Zeit helfen. Umfassende Gesetzesänderungen wären in der Mitbestimmung zu diskutieren. Käme man jetzt wieder nicht weiter, würde alles abermals um Jahre vertagt. Der CDU-Spitze kann das nicht ungelegen kommen. Die Sozialausschüsse lassen es zu, daß ihre Argumente dazu benutzt werden, sich jetzt an der Entscheidung vorbeizumogeln. Sie sind ein Mittel in der Hand jener, die die Mitbestimmung der Arbeitnehmer grundsätzlich ablehnen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die sozialliberale Koalition hat nicht nur bei der Mitbestimmung auf Unternehmerebene Wort gehalten und dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir haben das Betriebsverfassungsgesetz und das Personalvertretungsgesetz umfassend reformiert. Nach unserem Verständnis gehört die Mitbestimmung zur Substanz des Demokratisierungsprozesses unserer Gesellschaft.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mitbestimmung ist die Voraussetzung für die Humanisierung des Arbeitslebens.
In diesem Zusammenhang ist eine Reihe von Gesetzen zu nennen, die verabschiedet oder auf den Weg gebracht sind.

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0711029000
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Müller?

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0711029100
Herr Kollege Rappe, ist Ihnen entgangen, daß die CDU/CSU als Opposition ebenfalls einen Gesetzentwurf für ein Betriebsverfassungsgesetz vorgelegt hat, wir aber nach dem Ergebnis der Beratung niemals mehr daran denken werden, Ihnen einen Gesetzentwurf vorzulegen, aus dem Sie die besten Rosinen herauspflücken, um sie als Ihre eigene Ware zu verkaufen?

(Lachen bei den Regierungsparteien.)


Hermann Rappe (SPD):
Rede ID: ID0711029200
Herr Kollege, das ist eine Frage, die Sie in Ihrer Fraktion diskutieren müssen: ob Sie Enthaltsamkeit üben wollen, bis Sie mal wieder dran sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Müller [Berlin] : Wir kommen! Wir kommen!)

Ich erinnere auch an das Gesetz über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit, an die neuen Leistungen in der Krankenversicherung und an das Schwerbehindertengesetz. Mit dem wirksameren Schutz für Heimarbeiter haben wir uns kürzlich abschließend befaßt. Über das Konkursausfallgeld und das Rehabilitationsanpassungsgesetz wird jetzt noch zu sprechen sein. Die betriebliche Altersversorgung und die Veränderung des Jugendarbeitsschutzes und der Berufsbildung sind die nächsten Bausteine. All dies muß zusammen mit diesem Gesetzentwurf zur Ausweitung der Mitbestimmung gesehen werden. Es geht um mehr Rechte und auch um mehr soziale Sicherheit für die Arbeitnehmer in diesem ganzen Bündel von Maßnahmen der sozialliberalen Koalition.
Festzuhalten bleibt: Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist eine der Grundlagen einer freiheitlichen und sozialen Gesellschaftsordnung. Sie entspricht dem Wesen des demokratischen und sozialen Rechtsstaats. In demokratisch verfaßten Gemeinwesen darf es keine unkontrollierte Macht geben. Auch die Wirtschaft muß sich mit ihrem Leistungsvermögen den Verfassungszielen unterordnen. Denn die Wirtschaft besteht nicht nur aus Eigentümer- und Unternehmerinitiativen; die Wirtschaft ist ein Bestandteil unserer Gesellschaft.

(Abg. Müller [Berlin] : Eine neue Erkenntnis!)

Unser Grundgesetz ist, auch wenn es sich manchmal so anhört, kein Unternehmerstatut. — Auf Grund Ihres Zwischenrufs, Herr Kollege Müller, will ich aus dem bekannten Brief von Herrn Eckes einen Satz zitieren: „Es geht um die Erhaltung unseres Systems." Mit diesen Worten wandte sich ein nicht unbekannter Herr Eckes im Wahlkampf 1972 an seine „lieben Unternehmerfreunde", um sie zur Wiedergewinnung der Macht finanziell zur Ader zu lassen. Da wird's doch deutlich!



Rappe (Hildesheim)

Wir erklären: Im Mittelpunkt der Reform zur Verwirklichung des sozialen Rechtsstaates steht eben diese gesetzliche Sicherung der gleichberechtigten Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb, im Unternehmen und in der Verwaltung. Es ,geht darum, in Anerkennung der Würde und Freiheit und Selbstbestimmung des arbeitenden Menschen den Sozialstaatsauftrag in unserer demokratischen Grundordnung dadurch zu verwirklichen, daß der Arbeitnehmer — das ist die überwiegende Mehrheit unseres Volkes — nicht nur als Staatsbürger über die politischen Repräsentativorgane Einfluß nimmt, sondern auch in der Wirtschaft gleichberechtigt an der Gestaltung seiner Lebens- und Arbeitsbedingungen mitwirkt.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es durch unsere erfolgreiche Arbeit schon jetzt mehr Mitwirkung und Mitbestimmung als in jedem anderen Land, ob im Osten oder im Westen. Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer erreichen wir nun die notwendige Erweiterung. In den Ländern des Ostblocks — um einen solchen Blick zu gestatten — ist die Mitbestimmung ideologisch und erst recht faktisch unmöglich.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Der sogenannte demokratische Zentralismus läßt demokratische Regungen im Ansatz versanden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Völlig richtig!)

Die Einheitsgewerkschaften sind in diesem System auf die Funktion des Transmissionsriemens reduziert. Nach unserer Auffassung muß es wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer geben, unabhängig davon, wie das Eigentum an den Produktionsmitteln geregelt ist.

(Beifall bei der SPD.)

Die Industrieländer des Westens — um den Blick in diese Richtung zu lenken — lassen laufend erkennen, welche Probleme ohne eine Mitbestimmung entstehen. Das zeigt die Anzahl der Konflikte und die Art ihrer Austragung. Die Arbeitnehmer haben bei uns mehr Rechte am Arbeitsplatz, im Betrieb und im Unternehmen und höhere Reallohnsteigerungen, und am System der sozialen Sicherheit arbeitet diese Koalition erfolgreich weiter. In Europa hat die Mitbestimmungsdiskussion erst begonnen. In Großbritannien prüft man gerade das deutsche Beispiel.
Meine Damen und Herren, noch eine der verschiedenen Grundfragen, so wie wir sie sehen. Bei der Mitbestimmung geht es um eine Machtfrage. Dies muß man nüchtern und deutlich sehen. Es geht um die demokratische Legitimation von Macht. Wir wollen mit der Ausweitung der Mitbestimmung den Einfluß der Kapitalseite zurückdrängen. Die Rechte der Arbeitnehmer kann man nicht zu Lasten irgendwelcher Dritter ausbauen. Wir haben keinerlei Veranlassung, diese unsere Absicht zu verstecken oder zu verschleiern. Mit dem Sozialstaatsgebot sind wir in die Pflicht genommen, auf der Basis des Grundgesetzes die Mitbestimmung zu regeln. Nur eine
Unternehmerpartei wie die CDU kann sich dieser Verpflichtung verschließen.

(Beifall bei der SPD.)

Über die Mitbestimmung kann man sehr lange und sehr ausführlich diskutieren, wenn es um Einzelheiten geht. Bei der Grundfrage allerdings kann man die Diskussion nur willkürlich in die Länge ziehen. Entweder man ist für die gleichberechtigte und gleichgewichtige Mitbestimmung der Arbeitnehmer, oder man ist für das Übergewicht der Kapitalseite. In dieser Grundsatzentscheidung muß ehrlich Position bezogen werden.
Dasselbe gilt für die Frage der Beteiligung der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften als demokratische Organisation der Arbeitnehmer in den Betrieben müssen mit Rat und Tat zur Verfügung stehen; und ich will auch offen hinzufügen: sie haben zudem die Aufgabe, allen betriebsegoistischen syndikalistischen Gefährdungen vorzubeugen. Im wohlverstandenen Sinne sind die Gewerkschaften durchaus ein Ordnungsfaktor, aber eben nicht, wie böswillige Kritiker behaupten, ein Disziplinierungsinstrument.
Die Hinzuziehung der Gewerkschaften bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmer wird von CDU-Kreisen als Fremdbestimmung verketzert. Man braucht ja nicht auf jeden Verdummungsversuch einzugehen, aber die Gegenfrage möchte ich mir dann doch erlauben: Wie motiviert man — die Gegenseite, die Kapitalseite und ihre politischen Freunde — eigentlich die einschlägige Praxis, Bankenvertretern, befreundeten Unternehmern, bekannten Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens — wie man so schön sagt — ohne demokratische Legitimation Aufsichtsratsmandate zu geben?
Gewerkschaftsfeindliche Haltungen werden in der Mitbestimmungsdiskussion überdeutlich. Herr Biedenkopf ist wie immer dabei. Nach einem Zitat der NRZ — er hat da am 14. Februar einen Besuch gemacht — hat er ja erklärt: Wenn dieses Gesetz kommt, dann wird es in der Bundesrepublik eines der größten Probleme sein, ob wir ein Gewerkschaftsrecht brauchen. -- Übrigens gibt es eine ähnliche Äußerung des Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herrn Sohl.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und des Außenministers!)

Meine Damen und Herren, Einzelheiten von Mitbestimmungsregelungen muß man diskutieren. Das gilt auch für den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gibt es einige Punkte, die der Diskussion wert sind. Der Einzelberatung in den Ausschüssen soll hier und jetzt nicht vorgegriffen werden.
Nach dem bekannten Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Definition der leitenden Angestellten sind Überlegungen notwendig. Das Bundesarbeitsgericht hat eine für das Betriebsverfassungsgesetz konsequente Entscheidung getroffen. Für das neue Mitbestimmungsgesetz ergeben sich damit Notwendigkeiten, die wir diskutieren werden. So, wie der



Rappe (Hildesheim)

Gesetzentwurf vor dem BAGUrteil konzipiert wurde, ist mit den leitenden Angestellten ein Teil der Arbeitnehmer angesprochen. Es besteht keine Veranlassung, von dieser Konzeption abzugehen. Der überwältigende Teil der üblicherweise so bezeichneten Angestellten fühlt sich der Arbeitnehmerseite zugehörig.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ein anderer Diskussionspunkt ist die Wahl des Vorstandes — einer der wesentlichen Teile aller Mitbestimmungskonzeptionen. Nach § 28 Abs. 2 des Gesetzentwurfes bestellt der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Stimmen. Ohne jeden Zweifel ist das der Normalfall, also die Norm, die greifen wird. Dennoch sind vom Gesetzgeber Vorkehrungen zu treffen, um Ausnahmen zu regeln und abzusichern. Hierbei wird ein zentraler Unterschied zum CDU- Modell à la Hamburg deutlich.

(Abg. Seiters: Doch ein Modell?)

— Ein paar Leitsätze haben Sie! — Während die CDU ohne Not und Skrupel zur Bestimmung durch die Kapitalseite überspringt, sind im Gesetzentwurf der Bundesregierung mehrere Etappen eingebaut, 'um über die gleichberechtigte Mitbestimmung eine Lösung zu finden. Die Verlagerung der Entscheidung ist über institutionalisierte Hürden erschwert; dies entspricht unserem Wollen. Es ist nicht auszuschließen, daß während der parlamentarischen Beratungen eine bessere Regelung für einen eventuellen vierten Wahlgang gefunden werden kann, damit der Aufsichtsrat die letzte Instanz für die Vorstandsbestellung bleibt.
Parlamentarische Beratung heißt gründliche Diskussion des Gesetzentwurfes in allen Punkten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird in diesem Sinne alle Anstrengungen unternehmen. Wir werden nicht nur den Geltungsbereich des Gesetzes zu diskutieren haben; auch was den absoluten Tendenzschutz angeht, werden wir, so ist zu hoffen, bei dem geplanten Anhörungsverfahren zu mehr Klarheit kommen.

(Vorsitz: Präsident Frau Renger.)

Das Wahlverfahren ist hier und da mit kritischen Worten bedacht worden. Ich will dazu noch ein paar Bemerkungen machen. Zunächst muß in Erinnerung gerufen werden — der Bundesarbeitsminister hat das heute morgen schon getan —, daß dieses Wahlmännersystem keine Erfindung dieses Gesetzentwurfs ist. Großunternehmen sind in zahlreiche Betriebe gegliedert. Für den Arbeitnehmer ist nur der einzelne Betrieb überschaubar. Die Kommunikation im gesamten Unternehmen kann durch das Wahlmännersystem besser sichergestellt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

In der Begründung zu § 9 des Gesetzentwurfs ist überzeugend dargelegt, daß eine Direktwahl in der Auswirkung weniger demokratisch sein könnte als dieses Wahlmännersystem.
Eine Bemerkung ist in diesem Zusammenhang noch zu machen — und das spielte auch schon heute vormittag eine Rolle —: Die repräsentative Form der Demokratie halten wir doch wohl alle für begründet.

(Beifall bei der SPD.)

Dieses Prinzip ist überall dort durchzuhalten, wo es seinen Sinn hat. Man kann es in allen Anwendungsbereichen diskutieren. Man sollte jedoch mit dem Wort „undemokratisch" bei dieser Sache vorsichtiger umgehen. Es schlägt auf die zurück, die es gebrauchen.
Meine Damen und Herren, mit dem neuen Mitbestimmungsgesetz werden mehr als 600 Unternehmen der Mitbestimmung unterworfen. Dies kennzeichnet das Gewicht dieses Gesetzes.
Den Aufsichtsratsvorsitzenden stellt nicht automatisch die Kapitalseite. Der Vorsitzende wird entweder mit einer Mehrheit von zwei Dritteln gewählt oder der Vorsitz wechselt zwischen den Bänken. Vertreter der Arbeitnehmer können damit zum erstenmal Aufsichtsratsvorsitzende von Großunternehmen werden. Dies wird ein neuer wichtiger Aspekt der Mitbestimmungspraxis sein.
Unter den Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten werden außerbetriebliche Gewerkschafter sein. In der Koalition ist dieses Prinzip übrigens unbestritten. Ich habe schon erwähnt, daß die Beteiligung der Gewerkschaften an der Mitbestimmung absolut notwendig ist, um betriebsegoistischen Gefährdungen vorzubeugen. Wer sich dagegen wendet, handelt aus allzu durchsichtigen Motiven. Es wird niemandem gelingen — um das ganz offen beim Namen zu nennen —, einen Keil zwischen die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften zu treiben.

(Beifall bei der SPD.)

Ich will noch darauf hinweisen, daß auch die außerbetrieblichen Vertreter der Gewerkschaften direkt demokratisch legitimiert sein werden. Alle Arbeitnehmervertreter werden gewählt.
Mit ,dem neuen Mitbestimmungsgesetz wird ein gutes Stück praktischer Demokratie in der Arbeitswelt verwirklicht. Das Koalitionsmodell löst die lange Durststrecke ab, die die CDU/CSU zu verantworten hat. Von ihr ist in der Mitbestimmung absolut nichts zu erwarten, es sei denn ablenkende Polemik.

(Sehr richtig! bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Ritz: Ihnen fällt auch nichts ein!)

Auf der Tagesordnung des Bundesrates stand Anfang April der Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Es wäre zuviel gesagt, wollte man feststellen, der Bundesrat habe den Gesetzentwurf behandelt. Es ist noch in Erinnerung, wie sich der Bundesrat mit der knappen CDU/CSU-Mehrheit über die Empfehlungen der eigenen Ausschüsse hinwegsetzte. Statt in die Argumentation einzusteigen, wurde der Gesetzentwurf in Bausch und Bogen abgelehnt. Dabei hat der CDU-Vorsitzende Kohl in der ihm eigenen Programmatik und Präzision festgestellt: Bessere Lösungen sind stets erwünscht.

(Heiterkeit bei ,der SPD.)




Rappe (Hildesheim)

Nun muß er — mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition —, sich allerdings die Frage gefallen lassen, was er oder was Sie denn konkret wollen. Eine pauschalierte Mängelliste, wie sie der Bundesrat beschloß, kann man nicht ernst nehmen. Sie war wohl auch nicht ernst gemeint. Einziges Ziel der Opposition in der Mitbestimungsfrage ist und bleibt auch nach dieser ganzen Diskussionsphase im letzten halben Jahr die Verhinderung des Fortschritts.

(Lachen bei der CDU/CSU.)

Wir Sozialdemokraten empfehlen den Mitgliedern der Sozialausschüsse, dort ihre Frustrationen abzureagieren, wo sie entstehen, nämlich in ihrer eigenen Partei.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Dort, meine Damen und Herren von den Sozialausschüssen, könnten Sie für mehr Klarheit sorgen, aus Ihrer Alibifunktion ausbrechen; Sie könnten auch den Bremser Biedenkopf am Bremsen zu hindern versuchen, der jetzt schon freimütig erklärt,

(Zuruf des Abg. Dr. Ritz)

das neue Mitbestimmungsgesetz müsse natürlich wieder abgeschafft werden — so die NRZ am 14. Februar.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

— Wenn Sie das noch mal irgendwann haben wollen, Herr von Bismarck, dann gebe ich Ihnen das nachher für Ihre Rede.

(Abg. Dr. von Bismarck: Nein, ich lache über Sie, über Ihre phantastische Wahlrede! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Nein, nein; es ist, Herr von Bismarck — ich darf es noch einmal genau vorlesen —, von Herrn Biedenkopf. Am 14. Februar hat er bei seinem Gespräch mit den Redakteuren der NRZ gesagt: „Falls die CDU an die Regierung kommt, würde dieses Gesetz abgeschafft, sofern dies dann noch möglich ist." So wörtlich von Herrn Biedenkopf.

(Abg. Wehner: Hört! Hört! — Abg. Franke [Osnabrück] : Verbessert! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Während der parlamentarischen Beratungen wird die Ernsthaftigkeit der Sozialausschüsse geprobt. Wenn wir zur Abstimmung in der dritten Lesung kommen, wird wahrscheinlich nicht mehr als eine Handvoll zustimmen; wir kennen das von der Abstimmung über das Betriebsverfassungsgesetz. In der Mitbestimmungsfrage kommt es jetzt darauf an, Farbe zu bekennen. Die CDU/CSU hat zwei Jahrzehnte Zeit gehabt, einen Schritt nach vorn zu tun. Sie hat ihre Chance gehabt und gründlich verspielt. Sie hat statt dessen die gesellschaftspolitische Stagnation zum Programm erhoben. Den Arbeitnehmern gegenüber und den Gewerkschaften gegenüber versucht sie einzuschüchtern. Sie will ein Gesetz, dieses angekündigte Gewerkschaftsgesetz, dann machen, wenn wir die Mitbestimmung nach unserem Koalitionsmodell entschieden haben werden, bis Ende dieses Jahres. Wir hingegen werden den Arbeitnehmern mehr Rechte geben. Wir werden sie mit Mitbestimmung und Mitverantwortung in unser gesellschaftliches System einbauen. Das ist der Unterschied, auf den es ankommt.

(Beifall bei der SPD.)

Diesen Unterschied werden wir in der ganzen politischen Diskussion in den Arbeitnehmerkreisen, in den Betrieben und in den Gewerkschaften nicht aus dem Blickfeld geraten lassen. Wir entwickeln den sozialen Rechtsstaat weiter.
Die Bundestagsfraktion der SPD begrüßt diesen Gesetzentwurf der Koalition. Wir hoffen auf zügige Beratung.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711029300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seiters?

Hermann Rappe (SPD):
Rede ID: ID0711029400
Ich empfehle Ihnen, in Ihrer Fraktion zu diskutieren. Vielleicht kriegen Sie dann doch noch mal einen Gesetzentwurf zustande.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711029500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0711029600
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! An den Ausführungen des Kollegen Franke (Osnabrück) heute morgen war für uns interessant, daß er versuchte, eine graue gesellschaftsverändernde Tendenz, die mit diesem Gesetzentwurf verfolgt sei, an die Wand zu malen, aber dabei sich auf Zitate stützte, die fast alle 60 Jahre und älter waren. Interessant war für uns, Herr Kollege Franke, daß Sie meinten, wir seien Steigbügelhalter für eine solche damit verfolgte Tendenz. Ich kann das klar zurückweisen und kann Ihnen sagen: jawohl, wir sind Steigbügelhalter für mehr Demokratie im Wirtschaftsleben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das sind wir, Herr Kollege Franke, und dafür sind wir sogar bereit, die Pferde zu satteln. Aber, Herr Kollege Franke, wir sind nicht bereit, Steigbügelhalter für Mitbestimmungsvorstellungen zu sein, wie sie Herr Loderer entwickelt hat, auf den Sie sich bei der Ablehnung des Regierungsentwurfs ausdrücklich zum Ende bezogen haben. Ich nehme an, daß Sie damit sich nicht selber die Vorstellungen des Herrn Loderer zu eigen machen wollten. Das war nämlich nicht mehr ganz deutlich. Nach allem, was Sie gesagt haben, haben Sie ja die gesamte Vielfalt dessen, was die Opposition in dieser Frage an Möglichkeiten des Denkmodells anzubieten hat, vorgetragen. Aber Sie haben in dieser Rede — ich weiß, daß Sie ein guter Skatspieler sind — so opperiert wie einer, der einen Nullouvert in der Hand hat, aber einen Grand spielen muß. Das ist Ihnen über eine Weile gelungen. Aber am Schluß war es klar, daß es doch ein verlorener Nullouvert war. Denn Sie standen da mit einem Nein zum Regierungsentwurf,



Spitzmüller
ohne gesetzliche Alternativen dazu aufbieten zu können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mit der Regierungsvorlage des Mitbestimmungsgesetzes behandelt der Bundestag heute ein zentrales Reformvorhaben der sozialliberalen Koalition. Nach dem Ausbau der betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in der vorigen Wahlperiode geht es jetzt darum, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der Großunternehmen zu erweitern, wie es in den Regierungserklärungen der Koalition von 1973 und 1974 angekündigt wurde.
Wir Freien Demokraten begrüßen dies. Wir verwirklichen mit den vorgesehenen Neuregelungen eine unserer entscheidenden gesellschaftspolitischen Forderungen. Auf unserem Freiburger Parteitag 1971 — Herr Franke war so lieb, diesen Parteitag bereits mehrfach anzusprechen — hatten wir beschlossen, daß die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der Gestaltung ihrer Arbeitsverhältnisse auf der betrieblichen Ebene der Ergänzung durch eine funktionsgerechte Teilhabe und Mitwirkung an den Entscheidungen im Bereich der Unternehmensverfassung bedarf. Nur auf diese Weise kann der zunehmenden Entmündigung und der Entfremdung des Bürgers in der arbeitsteiligen und hierarchischen Organisation unserer Industriegesellschaft entgegengewirkt werden. Diese Organisation unterstellt den in ihr tätigen Bürger fremder Direktionsgewalt und läßt ihn damit zum Objekt des Wirtschaftsprozesses werden.
Diese Fremdbestimmung erfordert nach liberalem Verständnis das Gegengewicht der Mitbestimmung. Wir Freien Demokraten sind uns dabei bewußt, daß die Fremdbestimmung des Arbeitnehmers durch die Mitbestimmung nicht aufgehoben werden kann. Sie kann aber das Ausmaß an Selbstbestimmung der Arbeitnehmer vergrößern. Sie kann eine Objektstellung des Arbeitnehmers im Unternehmen aufheben. Sie kann erreichen, daß die durch die Unternehmensentscheidungen betroffenen Arbeitnehmer diese Entscheidungen als eigenverantwortlich handelnde Subjekte mit tragen.
Die so verstandene Mitbestimmung im Unternehmen folgt für den sozialen Liberalismus aus dem obersten Grundsatz unserer Verfassung, die Menschenwürde und damit die Selbstbestimmung des Menschen auch im Arbeitsleben zu achten und zu schützen. Damit entwickeln wir Freien Demokraten die individualrechtlichen Traditionen des klassischen Liberalismus weiter. Wie wir uns für die politische Mitbestimmung des Bürgers eingesetzt und die Idee des mündigen Bürgers im politischen Leben unseres Staates durchgesetzt haben, so tun wir jetzt einen weiteren Schritt zum Ausbau des freiheitlichen Sozialstaates.
Jetzt geht es um ein Höchstmaß an Freiheit für den einzelnen in der Organisation unserer Großunternehmen durch erweiterte soziale Teilhabe und Mitbestimmungsrechte auch im Bereich der Unternehmensverfassung.
Von dieser Zielsetzung her versteht es sich von selbst, daß wir alte Abhängigkeiten vom Arbeitgeber nicht durch eine neue Abhängigkeit von Gewerkschaftsfunktionären ersetzen wollen, die von außen — ohne Mitwirkung der Unternehmensangehörigen — in die Organe der Unternehmensverfassung delegiert werden können. Eine solche Abhängigkeit wollen auch die Arbeitnehmer nicht. So lehnen wir Freien Demokraten den Unternehmerstaat wie den Gewerkschaftsstaat ab. Wir wollen den Bürgerstaat, in dem die Arbeitnehmer aus ihrer Objektstellung gelöst zu Wirtschaftsbürgern werden.

(Abg. Franke [Osnabrück]: Auch nicht den Nachtwächterstaat!)

— Jawohl, auch keinen Nachtwächterstaat, Herr Kollege Franke!
Wie wollen wir dieses für viele — auch in unseren Reihen — manchmal zu hochgesteckte Ziel erreichen? Unser Ausgangspunkt sind die Freiburger Thesen zur Unternehmensmitbestimmung von 1971. Dort haben wir dem überkommenen dualistischen Ordnungsmodell von Kapital und Arbeit mit der Gefahr einer ständigen Konfrontation von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen im Aufsichtsrat ein 3-Faktoren-Modell gegenübergestellt, das von einer grundsätzlichen Mitverantwortung der Faktoren Kapital, Arbeit und Disposition ausgeht.
Wir sind der Auffassung, daß diese Lösung den Realitäten heutiger und künftiger Unternehmensstrukturen eher gerecht wird, einem funktionalen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen in einem Unternehmen besser dient und für ein größeres Maß an Kooperation in den Aufsichtsorganen der Großunternehmen sorgt.
Der Faktor Disposition setzt sich dabei aus den leitenden Angestellten des Unternehmens — wie sie für den Bereich der Betriebsverfassung definiert sind — zusammen. Mit der Einbeziehung des Faktors Disposition soll der besondere Sachverstand der leitenden Angestellten für die langfristigen Gesamtinteressen des Unternehmens an Stelle manchmal kurzfristiger Eigeninteressen der Faktoren Kapital und Arbeit zum Tragen kommen. Wir Freien Demokraten verkennen dabei nicht, daß der Faktor Disposition auf Kritik gewichtiger gesellschaftlicher Gruppen gestoßen ist und noch stößt. Dem möchte ich hier nur entgegenhalten: Die FDP hat die Gruppe der leitenden Angestellten nicht erfunden, wir haben diese Gruppe und ihre Bedeutung im und für die Unternehmen vielmehr vorgefunden. Deshalb wollen wir sie auch in der Unternehmensverfassung vertreten sehen.
Mit der Darstellung des FDP-Konzepts für die Unternehmensmitbestimmung werden auch die Unterschiede zum Mitbestimmungsmodell der SPD deutlich, das sich an die Montanmitbestimmung anlehnt. Ich mußte das ausführen, um deutlich zu machen, daß es Freien Demokraten und Sozialdemokraten nach schwierigen Verhandlungen gelungen ist, mit der Regierungsvorlage des neuen Mitbestimmungsgesetzes in dieser sozial- und gesellschaftspolitisch so wichtigen Frage einen annehmbaren Kompromiß zu erreichen. Die FDP-Fraktion sieht in dem Kompro-



Spitzmüller
miß eine tragfähige Grundlage für die Weiterentwicklung der Unternehmensverfassung im Sinne ihrer Freiburger Thesen.
Erstmalig -- das sollte man nicht übersehen, meine Damen und Herren — wird der Faktor Disposition und damit der besondere Sachverstand der leitenden Angestellten in das neue Unternehmensrecht einbezogen. Leitende Angestellte haben, wie Arbeiter und Angestellte, für ihre Vertreter ein eigenes Vorschlagsrecht. Überkreuzvorschläge oder ein Vorschlagsrecht des Betriebsrates hat die FDP verhindert. Auch bei der Abberufung eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat gibt es keine Überkreuzanträge. Wie die Vertreter der Arbeiter, der Angestellten und der leitenden Angestellten im. paritätisch besetzten Aufsichtsrat haben sich auch — das wird in der Diskussion gelegentlich übersehen — die Vertreter der im Unternehmen tätigen Gewerkschaften zur Wahl zu stellen. Auf die Gewerkschaften entfallen zwei bis drei Aufsichtsratssitze, in jedem Fall also eine Minderheit gegenüber den unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertretern. Für jeden dieser Sitze haben die Gewerkschaften mindestens zwei Bewerber vorzuschlagen. Das stellt eine echte Auswahlmöglichkeit sicher. Auf Grund dieses Wahlverfahrens sind alle Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat vom Vertrauen der Unternehmensangehörigen getragen, ein bedeutender Fortschritt gegenüber dem von der CDU eingeführten Montanmodell. Nach dem Montanmodell bestimmt der Betriebsrat die unternehmensangehörigen Arbeitnehmervertreter. Die Gewerkschaften haben sogar ein bedingtes Vetorecht und delegieren ihre Vertreter. Hier ist also doch wahrhaftig ein Fortschritt gegenüber dem, was bisher im Unternehmensmitbestimmungsbereich beim Montanmodell vorhanden war.
Im übrigen ist es kein Geheimnis, meine Damen und Herren, und wir bekennen das offen, daß wir die Urwahl und das Gruppenwahlrecht nicht erreichen konnten. Wir meinen aber, die nicht gewerkschaftsgebundenen Gruppen haben beim zweistufigen Wahlverfahren auch ihre Chance. Sie müssen sie nur nutzen, wie das bei den letzten Sozialwahlen auch geschehen ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711029700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Franke (Osnabrück)?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0711029800
Bitte schön, Herr Kollege Franke.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711029900
Herr Kollege Spitzmüller, sehen Sie denn eine Chance dafür, daß wir, Christliche Demokraten und Freie Demokraten, unsere Interessen zusammenlegen und dann die Direktwahl ermöglichen?

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0711030000
Herr Kollege Franke, die Sorge, daß Sie eventuell einmal mit der FDP etwas von Ihren vermeintlichen Rosinen durchbringen und ein anderes Mal mit der SPD, brauchen Sie nicht zu haben. Die FDP wird sich genausowenig bereit finden, wie ich das von der SPD weiß, mit wechselnden Mehrheiten zu operieren. Das ist die Stärke dieser Koalition gegenüber-anderen Koalitionen, in denen wir uns befunden haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711030100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schröder (Lüneburg) ?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0711030200
Bitte schön, Herr Kollege Schröder.

Dr. Horst Schröder (CDU):
Rede ID: ID0711030300
Herr Kollege Spitzmüller, um noch einmal auf Ihre vorhergehenden Ausführungen zurückzukommen: Wie können Sie Ihre These aufrechterhalten angesichts der erwiesenen Feststellung, daß 29,5 % der abgegebenen Stimmen genügen, um die absolute Mehrheit im Wahlmännergremium zu erreichen?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0711030400
Herr Kollege Schröder, wir werden uns mit den Detailfragen,

(Lachen bei der CDU/CSU)

die auch mit praktischen Beispielen zu untermauern sind, in den mitberatenden Ausschüssen zu beschäftigen haben. Aber ich sage Ihnen, auch das zweistufige Wahlverfahren gibt den beteiligten Arbeitnehmern durchaus die Chance, das durchzusetzen, was sie für richtig und für notwendig halten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eben nicht!)

Meine Damen und Herren! Von der Neuregelung werden Kapitalgesellschaften mit mehr als 2 000 Arbeitnehmern erfaßt. Entsprechend den Freiburger Thesen der Freien Demokraten wird auf weitere Kriterien wie Bilanz- und Umsatzsumme nicht mehr abgestellt. Tendenzbetriebe im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wie Presseunternehmen, bleiben entsprechend den Vorschlägen der FDP ausgeschlossen. Nicht erreicht haben wir die Ablösung der Montanmitbestimmung. Aber wir sind hier optimistisch
1. (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

und hoffen, daß der Wettbewerbsdruck der besseren Neuregelungen auf längere Sicht dazu führt, auch die Montanmitbestimmung zu überdenken, zu ersetzen.
Wir sind der Meinung, daß sich das vorgelegte Koalitionsmodell in der Praxis besser bewähren wird als das Montanmitbestimmungsmodell, weil es den unternehmensangehörigen Arbeitnehmern mehr Mitwirkungs-, mehr Mitbestimmungs- und mehr Wahlrechte einräumt.

(Abg. Müller [Remscheid] : Sagen Sie das einmal dem Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie!)

— Herr Kollege Müller, wir als Freie Demokraten
dürfen, auch wenn wir mit den Sozialdemokraten in
einer Regierung sind, immer noch unsere eigene
75n

Spitzmüller
Meinung haben. Wir sind der Meinung, daß sich das vorgelegte Koalitionsmodell in der Praxis für die Arbeitnehmer besser als das Montanmitbestimmungsmodell bewähren wird, daß von daher ein Wettbewerb eintritt und die Arbeitnehmer sich dann für dieses Modell entscheiden werden.

(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Der Mitbestimmungsprophet! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Ferner hatten wir unter Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte der Kapitaleigner und des Verfassungsprinzips der Tarifautonomie Regelungen für die Auflösung einer möglichen Pattsituation im Aufsichtsrat zu treffen, um die Handlungsfähigkeit der Unternehmen sicherzustellen. Die hier gefundene Lösung gewährleistet im Regelfall den notwendigen Einigungszwang. Die für den Ausnahmefall einer Konfliktsituation vorgesehenen Regelungen stellen die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft sicher und stehen mit unserer Verfassung im Einklang. Dies bedeutet zugleich: andere Lösungsversuche stoßen nicht zuletzt im Hinblick auf das mit der Koalitionsfreiheit durch das Grundgesetz garantierte Prinzip der Tarifautonomie auf verfassungsrechtliche Grenzen. Gerade wir Freien Demokraten werden peinlich genau darauf achten, daß die Neuregelungen ohne verfassungsrechtliche Risiken verabschiedet werden.
Das Echo auf diesen Koalitionskompromiß, den ich in seinen Grundsätzen angesprochen habe, ist nach wie vor kritisch. Ich verweise dazu auf die Stellungnahmen der Gewerkschaften, der leitenden Angestellten und der Verbände der Wirtschaft. Je nach dem eigenen Standort sollen die vorgesehenen Neuregelungen zuviel oder zuwenig Mitbestimmung für den einzelnen Arbeitnehmer, die verschiedenen Arbeitnehmergruppen oder für die überbetrieblichen Vereinigungen der Arbeitnehmer bringen. Diese Reaktionen haben uns nicht überrascht. Sie scheinen dafür zu sprechen, daß das Koalitionsmodell die richtige Mitte, die ausgewogene Mitte zwischen den gegensätzlichen Interessenstandpunkten hält.
Schwieriger ist es allerdings mit der Kritik der Opposition. Ich habe schon einiges zu der Rede des Kollegen Franke gesagt; ich darf aber noch einmal kurz folgendes feststellen. Die Bundesratsmehrheit der CDU lehnt die Regierungsvorlage ab, läßt es aber an konkreten Änderungsvorschlägen fehlen, und der Vorschlag an die Bundesregierung, diesen Gesetzentwurf dem Bundestag überhaupt nicht zuzuleiten, ist im Grunde genommen doch ein ganz ungeheuerlicher Vorgang, den man hier noch einmal registrieren sollte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Landesvorsitzende der CDU in NordrheinWestfalen, dem größten Landesverband, Herr Köppler, wertet das Koalitionsmodell als grundsätzliche Übernahme der CDU-Vorstellungen. Offensichtlich ist die CDU-Fraktion anderer Meinung; so konnte man es aus Ihrer Rede heute hören, Herr Kollege Franke. Der Generalsekretär der CDU spricht von syndikalistischer Strategie. Der CDU-Vorsitzende meint, die Interessen der leitenden Angestellten seien bedenkenlos über Bord geworfen, und Herr Katzer wiederum bedauert, daß die Forderungen der Gewerkschaften nicht erfüllt seien und stellt die vorgesehene Einbeziehung der leitenden Angestellten in Frage. Bei dieser Meinungsvielfalt ist es nur zu verständlich, daß der von der Opposition wiederholt angekündigte Gesetzentwurf zur Mitbestimmung weiterhin aussteht. Meine Damen und Herren von der Opposition, wir gehen jetzt in die Sommerpause; Sie haben noch zehn Wochen Zeit. Vielleicht finden wir, wenn wir aus der Sommerpause zurückgekehrt sind, Ihr eigenes Alternativmodell, und zwar nicht als Modell irgendwo in den Sternen, sondern als gesetzlichen Gegenvorschlag vor. Wir würden uns freuen, ihn dann in die Beratungen mit einbeziehen zu können.

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Ist das ein Angebot?)

— Ja, das ist ein Angebot; das liegt aber an Ihrer Arbeit.
Im übrigen sollten sich gerade die Gegner des Koalitionsmodells noch einmal die Beschlüsse der CDU/CSU von 1973 vor Augen halten. Herr Kollege Franke, Sie waren so liebenswürdig, heute das alles noch einmal sehr ausführlich vorzutragen. Ich will das etwas schlaglichtartig beleuchten. Dort in Hamburg hat die CDU die Parität beschlossen, dort hat sie die Beteiligung von außerbetrieblichen Gewerkschaftsvertretern mit einem Vorschlagsrecht von Gewerkschaften und Betriebsrat beschlossen. Damit entlarvt sich die Argumentation des CDU-Generalsekretärs aber von selbst.
Ebenso unredlich ist die Kritik des CDU-Vorsitzenden. Auch das Mitbestimmungsmodell der CDU sieht unter den Vertretern der Arbeitnehmer nur einen leitenden Angestellten vor. Dieser soll von der Gesamtbelegschaft, also gerade nicht von seiner eigenen Gruppe, unter Gesichtspunkten des Minderheitenschutzes gewählt werden. Das Geheimnis, wie dieser Minderheitenschutz ausgestaltet werden soll, ist durch die Rede des Kollegen Franke leider auch heute nicht gelüftet worden. Es bleibt noch immer Ihr Geheimnis, wie Sie einen leitenden Angestellten von der Gesamtbelegschaft unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte des Minderheitenschutzes wählen lassen wollen.
Präsident 'Frau Renger: Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0711030500
Bitte, Herr Schröder, eine letzte Zwischenfrage. Aller guten Dinge sind drei.

Dr. Horst Schröder (CDU):
Rede ID: ID0711030600
Herr Kollege Spitzmüller, ist Ihnen die diesbezügliche Interpretation zum Minderheitenschutz durch den Bundesvorsitzenden der CDU, Herrn Dr. Kohl, bekannt?

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0711030700
Selbstverständlich, Herr Kollege, ist mir diese Interpretation bekannt. Aber da die Meinungsvielfalt in der CDU so groß ist, wäre ich sehr dankbar, wenn das, was sich die CDU



Spitzmüller
wirklich unter dem Hamburger Beschluß vorstellt, einmal in einem Gesetzestext vorläge. Dann erst wüßte man nämlich, wie dieses scheinbar nicht Vereinbare vielleicht theoretisch — in einem Gesetzentwurf — doch noch zu vereinbaren wäre.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ernster als die bis heute nicht vorhandenen Alternativen der Opposition nehmen wir Freien Demokraten dagegen die Kritik der beteiligten gesellschaftlichen Gruppen. Aber diesen müssen wir entgegenhalten, daß es im Wesen jeden Kompromisses, insbesondere eines politischen Kompromisses, liegt, daß Maximalforderungen in der einen wie in der anderen Richtung nicht erfüllt werden können.
Dasselbe gilt für die gesellschaftspolitischen Vorstellungen der handelnden Parteien. Bei den sehr unterschiedlichen programmatischen Erklärungen von FDP und SPD muß hingenommen werden, daß aus der Sicht beider Seiten berechtigte Wünsche offen bleiben. Die Methode des Ausklammerns strittiger Fragen ist natürlich manchmal bequemer, aber das ist nicht die Methode der FDP und nicht die Methode dieser Koalition. Ohne die Bereitschaft zum beiderseitigen Entgegenkommen wäre die sozialliberale Koalition gerade in der gesellschaftspolitisch so entscheidenden Frage der Mitbestimmung zur Handlungsunfähigkeit verurteilt. Das wollen auch die Sozialdemokraten nicht, das wollen die Freien Demokraten nicht, und das sollten ebensowenig diejenigen wollen, die aus guten Gründen mit uns Freien Demokraten eine Mitbestimmung nach dem Montanmodell ablehnen.
So werden wir Freien Demokraten bei den parlamentarischen Beratungen der Regierungsvorlage Verbesserungsvorschläge sorgfältig prüfen. Wir Freien Demokraten haben aber sehr bestimmte Vorstellungen darüber, was Verbesserungen sind. In unseren Augen wären Verbesserungen z. B. eine Verstärkung der unmittelbaren Beteiligung des einzelnen Arbeitnehmers vor allem in bezug auf das Wahlverfahren, sowie eine stärkere Betonung des Gruppenprinzips.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Die Möglichkeit zur Durchsetzung solcher Verbesserungen schätzen wir allerdings nach den der Verabschiedung der Regierungsvorlage vorausgegangenen Koalitionsverhandlungen realistisch genug ein. Denselben Realismus und keine politische Theologie erwarten wir im Interesse eines erfreulichen und erfolgreichen Abschlusses auch von anderen.
Daß wir Freien Demokraten keine Verbesserung darin sähen, das Koalitionsmodell durch das Montanmodell zu ersetzen, darf ich ebenfalls klar aussprechen.
Über die verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten der vorgesehenen Pattauflösung und über das Selbstverständnis der FDP als Verfassungspartei habe ich bereits gesprochen.
Näher einzugehen ist nach der bisherigen Debatte auch auf das Problem der leitenden Angestellten aus der Sicht der Freien Demokraten. Hier läge nach unserer Auffassung in der Einführung des Gruppenwahlrechts und in einer quantitativen Verstärkung — unser Modell lautet, wie Herr Franke das heute morgen noch einmal zitiert hat: 6 :4 :2 — eine Verbesserung. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist aber die Definition der leitenden Angestellten. Entsprechend unseren Freiburger Thesen wird dieser Begriff nach der Regierungsvorlage wie im Betriebsverfassungsgesetz definiert. Allein diese für Betriebs- und Unternehmensverfassungen einheitliche Begriffsbestimmung entspricht den praktischen Realitäten in beiden Bereichen und den mit der Einbeziehung des Faktors Disposition in die Unternehmensverfassung verbundenen Zielen.
Der Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 5. März 1974 zur Abgrenzung der leitenden Angestellten ändert daran nichts. Entgegen den Behauptungen interessierter Kreise werden in diesem Beschluß nämlich keine einengenden Auslegungsmaßstäbe aufgestellt. Auch die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der Beschluß keine tragenden Grundsätze des Gesetzentwurfes in Frage stellt. Ich verweise auf die entsprechende Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates.
Ein gegenteiliger Eindruck konnte allerdings auf Grund einer Pressemitteilung entstehen, die das Bundesarbeitsgericht vor Zustellung der schriftlichen Begründung seiner Entscheidung herausgegeben hatte. Diese Pressemitteilung ist durch die schriftliche Begründung des Beschlusses eindeutig überholt. Wen dies nicht überzeugt, dem sei eine Analyse der 33 Seiten umfassenden Begründung nahegelegt, aus der Herr Franke uns heute morgen einige wenige Sätze hier vortrug

(Abg. Franke [Osnabrück]: Gegensätze!)

— Gegensätze —, was aber deutlich macht, daß aus diesem Urteil auch die Tatsache, daß sich nichts verändert, herauszulesen ist.
Selbstverständlich sind wir Freien Demokraten bereit, über eine Präzisierung der gesetzlichen Definition zu sprechen, um der Rechtsprechung die Arbeit zu erleichtern. Grundlage für eine solche Präzisierung kann aber nur das von den Koalitionsparteien bei Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes politisch Gewollte sein. Eine Einengung dieser Definition oder eine Aufspaltung des Faktors Disposition durch eine neue Definition für den Bereich der Unternehmensverfassung entgegen der Konzeption der Regierungsvorlage kommt für uns Freie Demokraten nicht in Betracht.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die FDP- Fraktion begrüßt das Koalitionsmodell zur Weiterentwicklung der Unternehmensverfassung als entscheidenden Fortschritt gegenüber der MontanMitbestimmung, auch wenn wir eine stärkere unmittelbare Mitwirkung des einzelnen Arbeitnehmers im Unternehmen und eine Verstärkung des Faktors Disposition vorgezogen hätten. Die FDP bejaht diesen Kompromiß, weil er machbar ist, während eine Politik des „Alles oder Nichts" gerade im Bereich der Mitbestimmung zum Scheitern verurteilt wäre. Die FDP geht davon aus, daß dieser Standpunkt auch von der SPD eingenommen wird, um das Reformvorhaben nicht zu gefährden.



Spitzmüller
Ich kann noch einmal betonen: Wir sind bereit, die Pferde zu satteln und auf diesem Gebiet in den Großbetrieben mehr Demokratie durchzusetzen, und wir sind bereit, diesen Koalitionskompromiß mit unserem Koalitionspartner durchzuhalten, und lehnen jeden Gedanken, mit wechselnden Mehrheiten zu operieren, eindeutig ab.
Verbesserungsvorschläge hat auch die FDP. Abstriche an ihrer programmatischen Erklärung gegenüber der Regierungsvorlage kommen für die FDP aber nicht in Betracht. In einem — auch modifizierten — Montan-Modell sieht die FDP keine Alternative. Die FDP wird keinen Änderungen der Regierungsvorlage zustimmen, die mit verfassungsrechtlichen Risiken, vor allem im Hinblick auf die Eigentumsgarantie und die Tarifautonomie, verbunden wären.
Das Koalitionsmodell für die neue Unternehmensverfassung schafft nach Auffassung der Freien Demokraten tragfähige Voraussetzungen, die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer in den Großunternehmen auf marktwirtschaftlicher Grundlage zu erweitern und damit zur Festigung unserer freiheitlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beizutragen.
Die Freien Demokraten treten für eine zügige Beratung und Verabschiedung der Regierungsvorlage ein. Dann wird es in erster Linie an den betroffenen Arbeitnehmern liegen, die mit dem Gesetz angebotenen Chancen für mehr Selbstbestimmung in den Unternehmen zum Tragen zu bringen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711030800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Stauffenberg.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0711030900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich zunächst noch kurz ein Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Rappe sage. Herr Rappe, ich glaube, es wäre gut, wenn Sie sich langsam von dem Wahlkampfklima aus Niedersachsen lösten. Ich glaube, es wäre besser gewesen, Sie hätten weniger abwertende Verbalismen gegenüber der Opposition gebraucht und mehr zur Begründung dieses Koalitionskompromisses gebracht; das hätte der Sache besser angestanden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und wenn Sie uns von der CDU/CSU wieder einmal — ich weiß nicht, für wen und bei wem Sie hier Propaganda machen wollen — als Arbeitgeberoder Unternehmerpartei abqualifizieren, dann frage ich Sie: Warum sind denn die Arbeitnehmer in Niedersachsen der SPD davongelaufen, warum sind sie denn zur CDU gekommen?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Immerhin: Dort, wo viele Arbeitnehmer sind, dort
hat die SPD ihre größten Verluste gehabt. Oder
wollen Sie sagen, daß es in Niedersachsen inzwischen 49 °/o Unternehmer gibt, Herr Rappe?

(Abg. Seiters: Vielleicht in Hildesheim, der Stadt des Herrn Rappe!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein kurzes Wort zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Spitzmüller. Ich habe mit großem Interesse dem zugehört, was Sie gesagt haben. Ich finde, da gibt es vieles, was uns eine gute und offene Diskussion ermöglicht. Wenn ich davon ausgehe, daß Sie sich in dieser Koalition nicht nur das Recht vorbehalten, Ihre Meinung zu vertreten, sondern auch ein Mitbestimmungsrecht, Herr Kollege Spitzmüller, dann könnten wir, glaube ich, in manchen entscheidenden Dingen — auch zusammen mit der Opposition — zu besseren Lösungen in diesem Gesetz kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer hat die Bundesregierung einen Vorschlag unterbreitet, mit dem die langjährige Diskussion um die Wirtschafts- und Unternehmensstruktur unseres Landes in einem wichtigen Teilbereich beendet und vorläufig entschieden werden soll.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es scheint mir wirklich an der Zeit zu sein, daß wir jetzt nicht nur über dieses Gesetz selber hier reden, sondern es auch ein wenig vor seinem gesamtgesellschaftlichen, gesamtwirtschaftlichen und ordnungspolitischen Hintergrund sehen, denn vor diesem Hintergrund muß es gesehen werden; es ist nicht ein isoliertes Teilstück, das nur für sich allein Bedeutung hat und darüber hinaus keine Bedeutung entfalten würde.
Warum dieser Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, nicht wie viele andere sogenannte Reformvorhaben vorläufig dem Rotstift der Bundesregierung anheimgefallen ist, bleibt offen. Ich stelle die Frage: Überlebte er das Scheitern der Politik Willy Brandts und seines Kabinetts, weil er unmittelbar und kurzfristig den öffentlichen Haushalt nicht zu belasten scheint, oder, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, war er vielleicht der politische Preis an jene Gruppen innerhalb der und um die Koalition, die bereit waren, die neue Bundesregierung zu stützen? Diese Frage ist noch ungeklärt. Es wäre zumindest interessant, sie beantwortet zu sehen.
Der Gesetzentwurf will vor allem Bestellung und Zusammensetzung der Aufsichtsräte in jenen Unternehmen regeln, die in der Regel mehr als 2 000 Arbeitnehmer beschäftigen. Aber jeder hier im Hause weiß, daß Bedeutung und Auswirkung dieser Vorschläge weit über die innere Organisation jener Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, bergrechtlichen Gewerkschaften, Genossenschaften und betroffenen Kommanditgesellschaften hinausgehen, und jeder weiß auch, daß eine Verabschiedung dieses Entwurfes die langjährige umfassende Mitbestimmungsdiskussion nicht erledigt, sondern erst richtig auf dem Tisch der nach wie vor weitreichenden Auseinandersetzung festnagelt. Die Bundesregierung sagt dies ja selbst, wenn auch —



Graf Stauffenberg
ich würde sagen, Herr Minister Arendt — einigermaßen verschämt und versteckt. In der Begründung des Entwurfs spricht sie von der zentralen Bedeutung der Bewältigung des Mitbestimmungsproblems, und zwar insbesondere in bezug auf den Bestand und den weiteren Ausbau unserer demokratischen Gesellschaftsordnung.

(Zuruf von der SPD: Paßt Ihnen das nicht? Dann sagen Sie es!)

Wir haben gar nichts gegen die Fortführung der Auseinandersetzung und der Diskussion, aber alle, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsparteien, die angesichts der Mehrheitsverhältnisse hier dieses Ergebnis bei diesem Gesetz voreilig und hoffnungsvoll begrüßen, müssen sich dann fragen lassen, ob sie angesichts einer weit-tragenden Vorentscheidung noch offen sind für eine offene Diskussion, und sie müssen sich vor allem selbst fragen, ob sie angesichts dieses Entwurfs noch guten Gewissens jenen in die Augen sehen können, in deren Namen sie aufgetreten sind

(Zuruf von der SPD: Wem können Sie denn noch in die Augen sehen?)

und in deren Interesse sie allein zu handeln vorgeben: den Menschen in diesem Staat und besonders den Arbeitnehmern.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung meint in ihrer Begründung, daß heute die Grundlagen der Mitbestimmungsforderungen und ihrer gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Zusammenhänge gründlich durchdacht und die Argumente des Für und Wider bekannt seien. Ich weiß nicht, woher die Bundesregierung den Mut zu dieser Behauptung nimmt, und ich weiß vor allem nicht, woher sie angesichts dieser anspruchsvollen Behauptung den Mut nimmt, dem Deutschen Bundestag ein solches Gesetz vorzulegen. Seit drei Jahren liegt beispielsweise der Bericht der Mitbestimmungskommission vor. Es kann gar keine Rede davon sein, daß die Ergebnisse dieses Berichts aufgearbeitet und ausdiskutiert seien, abgesehen einmal von vorläufigen Stellungnahmen und von recht allgemeinen Kritiken, und selbst dazu hat die Bundesregierung und haben auch Sie von der SPD keinen nennenswerten Beitrag geleistet. Eine Auseinandersetzung beispielsweise mit den ordnungspolitischen Grundlagen des Berichts läßt noch immer auf sich warten. Und die Vorreiter der Mitbestimmungsidee haben sich, wie mir scheint, geflissentlich den Begründungszwängen entzogen, die sich aus der Arbeit der Sachverständigen eigentlich ergeben sollten und tatsächlich auch ergeben.

(Zuruf von der SPD: Was ergibt sich denn daraus? Vielleicht sagen Sie das einmal!)

— Warten Sie, es kommt schon noch, Sie werden schon noch zufriedengestellt werden!
Im Gegenteil: gerade in diesen letzten Jahren wurde die Mitbestimmungsdiskussion von den Programmexperten der Koalition immer mehr verengt auf das, was gerade in Ihren Reihen, Herr Spitzmüller, gerade in den Reihen der FDP — abschätzig und mit Recht — das „Zahlenlotto mit Aufsichtsratsmandaten" genannt worden ist. Das Ergebnis liegt nun hier als Drucksache vor. Es ist jener Kompromiß — ich wiederhole es —, der nicht einmal diesen Namen verdient.
Wer heute die Regierungsvorlage durchliest, meine sehr verehrten Damen und Herren — und dies möchte ich noch einmal an die Adresse von Herrn Kollegen Rappe sagen —, wenn hier von Mitbestimmung der Arbeitnehmer der Rede ist, heißt dies nicht nur, daß das Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist, was Sie darunter verstehen. Dann müßten wir vielmehr erst einmal genau untersuchen, was „Mitbestimmung" und was vor allem „der Arbeitnehmer" heißt. Daß dies mit dem Gesetzentwurf zusammenfällt, den Sie hier vorlegen, davon kann vorläufig und auch endgültig gar keine Rede sein.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Wer heute diese Regierungsvorlage durchliest, der mag sehr leicht vergessen, daß es zu Anfang der Mitbestimmungsüberlegungen einmal um grundlegende Werte und um hohe moralische Ansprüche gegangen ist. Es ging um die Arbeitnehmer, um ihre persönliche Situation im Beruf und um den beruflichen Werdegang, es ging um ihre konkrete Mitwirkung an Entscheidungen in ihrer gesamten Arbeitsumwelt, es ging um ihr persönliches Interesse und die Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Mitbestimmung hebt sich ab — und da bin ich völlig mit Ihnen einverstanden, Herr Spitzmüller — von Fremdbestimmung, von Menschenherrschaft über Menschen. Sie machte sich anheischig, der Selbstbestimmung, der personalen Autonomie, dem menschlichen Freiheitsstreben unter den tatsächlichen Lebensbedingungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts entgegenzukommen.
Derlei Orientierungswerte finden sich heute vielleicht noch immer auf der Flagge, unter der nach Mitbestimmung gerufen wird, sie sind jedoch weitgehend ihres konkreten Inhalts entleert. Sie dienen heute vielfach lediglich noch der Propaganda, daß jene Mitbestimmung das Mindestmaß sei, das unsere Wirtschafts- und Sozialordnung eben noch sittlich erträglich mache, und sie dienen damit weithin einer mehr oder minder vehementen Verurteilung der bisherigen, der bestehenden Ordnung.
Die vorgeschlagene Mitbestimmungsregelung reicht weit in die bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung unseres Landes hinein. Niemand hier im Hause wird bestreiten, daß die Wirtschaft für den Menschen da sein soll und nicht umgekehrt. Sicherlich kann man ebensowenig ernsthaft bezweifeln, daß der Zweck des Wirtschaftens die Versorgung mit Gütern und Leistungen ist und auch bleiben muß. Im Gegensatz zu den Visionen mancher Zeitgenossen von der Überflußgesellschaft besteht, im Weltmaßstab gesehen, nach wie vor durchaus ein Mangel, ein erschreckender Mangel selbst an lebensnotwendigen Gütern und Diensten. Aber auch die jüngsten Krisenerscheinungen in den westlichen Industriestaaten haben eigentlich sehr deutlich gezeigt, daß auch wir auf „wirtschaftliches" Wirtschaften nicht verzichten können.

(Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg.)




Graf Stauffenberg
Es stimmt auch nicht, daß diese vorhandenen und möglichen Mängel nur ein Problem der Verteilung wären, Herr Kollege Ehrenberg. Bevor verteilt werden kann, muß produziert und bereitgestellt werden.

(Abg. Dr. Ehrenberg: Ganz neue Erknentnisse! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Ja, es wäre sehr gut, Sie würden sich an diese Erkenntnisse, die Sie offenbar als bekannt voraussetzen, auch immer halten, wenn Sie Ihre Programme vorlegen, Herr Kollege Ehrenberg. Das wäre sehr nützlich.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Was sagt Herr Katzer denn dazu?)

Weltweiter Mangel an lebensnotwendigen Gütern ebenso wie die obrigkeitlich nicht begrenzbaren Bedürfnisse der Menschen verlangen optimale Nutzung der menschlichen Fähigkeiten und der natürlichen Ressourcen. Das formale Grundprinzip des Wirtschaftens, bei möglichst geringem Aufwand möglichst hohen Ertrag zu erzielen, ist ebensowenig in sich unmenschlich wie die Leistungen, zu denen dieses Prinzip die Menschen befähigt, auch dann nicht, wenn dieses Prinzip mit Formeln wie „Kapitalismus", „Ausbeutung", „Leistungszwang" usw. diffamiert wird. Nur wenn Kostenbegrenzung und Ergebnismaximierung als eindeutige Orientierung für eigenverantwortliches wirtschaftliches Verhalten am Markt, wenn wirtschaftliches Fehlverhalten mit wirtschaftlichen Einbußen und wenn wirtschaftlich sinnvolles Verhalten mit Gewinn verbunden sind, kann Wirtschaft ihren Auftrag für alle Menschen und für die Gesellschaft erfüllen. Diese humane Zweckbestimmung der Wirtschaft aus ihrer gesellschaftspolitischen Funktion läßt sich nicht auseinanderdividieren von jener anderen humanen Forderung an die Unternehmen, ihren Beschäftigten menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen und auch einen Ort der Selbstentfaltung zu gewähren.

(Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg.)

— Sie können ganz beruhigt sein, meine Damen und Herren: Ich will auf diesen Punkt gar nicht weiter eingehen. Aber ich halte es im Zusammenhang einer ersten Mitbestimmungsdebatte in diesem Hause für dringend notwendig, mit allem Nachdruck nochmals auf diese doppelte humane Zweckbestimmung der Wirtschaft hinzuweisen, weil sonst ein falsches Bild entstehen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bei manchem enthusiastischen Verfechter der Mitbestimmungsidee entsteht durchaus oftmals der Eindruck, die wirtschaftlichen Unternehmen könnten abgeschlossene, auf sich bezogene und für sich selbst lebende Welten sein — ungefähr wie der Planet des Kleinen Prinzen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711031000
. Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehrenberg?

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0711031100
Bitte!

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0711031200
Herr Kollege, könnten Sie diesem Haus vielleicht klarmachen, in welchem Gegensatz die von der Koalition beabsichtigte Mitbestimmung zu Ihrer humanen Zweckbestimmung steht?

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0711031300
Herr Kollege, ich bitte Sie, ein wenig Geduld zu haben. Sie werden diesem Zusammenhang noch sehen. Allerdings bin ich erstaunt, daß Sie auf diese Zusammenhänge nicht selber kommen, denn sie gehören zum Hintergrund einer umfassenden Mitbestimmungsdiskussion.

(Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg.)

Wir alle wissen, daß die Wirtschaft ihre Aufgabe und ihren Auftrag nur in Freiheit erfüllen kann. Die Freiheit der Wirtschaft ist nicht nur ein allgemeines Freiheitsrecht. Sie ist zugleich eine der Funktionsbedingungen, unter denen sie ihren humanen Zweck erfüllen kann.
Ohne privates Eigentum auch an Produktionsmitteln — damit kommen wir schon an den ersten kritischen Punkt — ist wirtschaftliche Freiheit nicht möglich. Zu den Freiheiten des Wirtschaftens gehört die Freiheit, ein Unternehmen zu gründen und die Tätigkeit des Unternehmens zu bestimmen und es zu leiten. Die Frage ist, wer in Zukunft noch ein Unternehmen gründen und Arbeitsplätze neu schaffen will, wenn freie Unternehmenstätigkeit oder das Eigentum an Unternehmen zu einem moralischen Übel gestempelt werden, wie es ja häufig geschieht; und dies geschieht immer häufiger — wenn auch weiß Gott zu Unrecht — gerade unter den Stichworten Demokratisierung und Mitbestimmung.
In diesem Zusammenhang wirft die Regierungsvorlage auch die Frage nach dem Art. 14 des Grundgesetzes auf. Es kann überhaupt keine Rede davon sein, daß diese Frage schon geklärt sei oder sich gar nicht stelle. Dem Herrn Minister Maihofer bzw. sei-. nem Vorgänger, Herrn Minister Genscher, haben die Verfassungsexperten seines Hauses das ja auch gesagt. In ihrem Gutachten steht bezüglich des Art. 14 — ich zitiere mit Erlaubnis der Frau Präsidentin —: „Das Mitbestimmungmodell ist jedoch nicht frei von verfassungsrechtlichen Risiken." Was dann in diesem Gutachten folgt, kann man wohl nur als einen verfassungsrechtlichen Drahtseilakt ohne Netz — möglicherweise sogar ohne Drahtseil — bezeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In diesem Zusammenhang wird oft die Sozialpflichtigkeit des Eigentums erwähnt, als genüge dieser bloße Hinweis, um eine gründliche und sorgfältige weitere Prüfung der verfassungsrechtlichen Probleme überflüssig erscheinen zu lassen. Aber eine derartige Einstellung ist nicht nur mißverständlich, sondern in ihrer oberflächlichen Verkürzung auch falsch. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums bindet den Eigentümer gegenüber allen Bürgern.

(Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg.)

— Herr Kollege Ehrenberg, Sie sollten mit den Zwischenrufen warten, bis es so weit ist. — Diese Sozialpflichtigkeit bindet gegenüber allen Menschen in diesem Land. Das werden Sie sicher nicht bestrei-



Graf Stauffenberg
ten. Sie gilt gegenüber Arbeitern und Angestellten, gegenüber dem Management ebenso wie gegenüber Zulieferern und Kunden, Rentnern, Beamten und in der Ausbildung Befindlichen. Festzulegen, was Sozialbindung jeweils konkret bedeutet, ist die Aufgabe derer, die das ganze Volk, alle Bürger, vertreten — in erster Linie also die Aufgabe der Parlamente und die des Hauses.

(Abg. Dr. Ehrenberg: Was hat das damit zu tun?)

— Das hat sehr viel damit zu tun!
Ein Zweites. In einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat erscheint es mir unabdingbar, daß die Sozialbindung ihren Ausdruck vorrangig in einem Ordnungsrahmen findet, der für alle gleicherweise bindend und auch für jedermann erkenntlich Inhalt und Schranken des Eigentums festlegt. Auch die Festlegung dieses Ordnungsrahmens ist Aufgabe des Gesetzgebers. Dieses Hohe Haus hat weder eine Veranlassung noch das Recht, sich dieser Aufgabe zu entziehen und im Ergebnis die inhaltliche Bestimmung der Sozialpflichtigkeit zur permanenten Disposition der Repräsentanten dieser oder jener Gruppen zu stellen. Mit anderen Worten: Was Sozialpflichtigkeit ist, bestimmt sich nach dem Gesetz der Parlamente und darf nicht auf das jeweilige Ergebnis der Beschlüsse reduziert werden, die unter Einigungszwang zwischen den Bänken herausgehandelt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Problem muß doch angeführt werden, damit wir uns nachher auch in den Ausschüssen im weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens darüber in aller Deutlichkeit unterhalten. Es darf nicht so getan werden, als ob dies gar kein Problem wäre. Es ist sehr wohl ein Problem.
Soziale Partnerschaft verstehen wir als Partnerschaft freier Menschen. Sie steht in klarem Gegensatz zu den Irrtümern der Klassenideologien oder gar verstaubter Klassenkampfparolen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711031400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blank?

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0711031500
Frau Präsidentin, ich bitte, daß ich es heute mit Herrn Kollegen Wehner halten darf und meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen darf.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711031600
Es steht Ihnen ganz frei, Herr Abgeordneter.

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0711031700
Soziale Partnerschaft, meine Damen und Herren — ich habe gerade von ,der sozialen Partnerschaft gesprochen als einer Partnerschaft freier Menschen —, ist die notwendige Folge aus dem Anspruch der Menschen auf Freiheit, persönliche Entfaltung, Selbstbestimmung, und auch aus dem Recht der Koalitionsfreiheit. Diese Rechte stehen unter dem besonderen Schutz des Staates und seiner verfassungsmäßigen Organe. Ihnen, den Freiheitsrechten aller, dient auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums. Sie kann nicht zum Tummelplatz von Verbandsinteressen und Gruppenmächten werden, sie kann zu einem solchen Tummelplatz nicht degradiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Von einem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer erwarten wir in diesem Hause ja wohl alle, daß es von den Wirklichkeiten und den Möglichkeiten in den wirtschaftlichen Unternehmen und Betrieben der Gegenwart, also von der Realität des Jahres 1974, ausgeht, und wir erwarten, daß es der Selbstbestimmung und der vielzitierten Mündigkeit der Arbeiter, der Arbeitnehmer entspricht und entgegenkommt.
Wenn wir uns aber ansehen, wie in diesem Papier beispielsweise das Wahlrecht geregelt ist oder das nur mühsam als Vorschlagsrecht kaschierte faktische Entsendungsrecht für die externen Vertreter oder die Behandlung der leitenden Angestellten, dann müssen da doch Zweifel entstehen. Derlei Regelungen provozieren — meine Damen und Herren von der SPD, mit Verlaub! — die Frage, ob sich da nicht manche Mitverfasser des Entwurfs an ihren eigenen leidvollen Erfahrungen in Partei- und Gewerkschaftsorganisationen orientiert haben, ob sie da nicht falsche und unzulässige Rückschlüsse gezogen haben auf die heutige Wirklichkeit in jenen Unternehmen, die unter dem Gesetz des Wettbewerbs und den Anforderungen der Rentabilität bestehen müssen.
Aber eine andere Frage erscheint mir hier sehr viel wichtiger. Geht es bei diesem Entwurf nach dem Willen der Verfasser denn wirklich noch um die Mitwirkung, die Selbstbestimmung des Arbeiters und des Angestellten, oder geht es da nicht längst um etwas anderes: um Macht? Herr Rappe hat gesagt, es gehe um Macht, und auch andere sagen, es gehe um Macht. Ich sage „Macht" und nicht „Machtkontrolle". Und das ist ja das Interessante. Machtkontrolle im Bereich der Wirtschaft und durch Kontrolle die Sicherung der Freiheits- und Gestaltungsräume des Arbeitnehmers? Nein; es geht um Macht, um Umverteilung und Neuzuteilung von Macht. Es ist eine Macht, der letztlich gerade auch die Arbeiter und die Angestellten unterworfen sein sollen, in deren Namen diese Macht beansprucht wird. Da liegt doch irgendwo ein Fehler in diesem System und in dieser Ideologie.
Da ich gerade von Macht und Machtkontrolle spreche: meine Damen und Herren, ein sozial gebundenes Marktsystem dient nicht nur der optimalen Auslese nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Ein solches Marktsystem dezentralisiert die Entscheidungsbefugnisse. Es dient auch der Machtkontrolle, und es zwingt unternehmerisches Handeln objektiv in die Gesetze des Wettbewerbs und der Wirtschaftlichkeit; und auch dies ist eine Kontrolle. Ich spreche hier nicht nur von dem Markt der Waren, sondern ich spreche hier auch vom Arbeitsmarkt, und ich weise auf eine Gefahr hin, die wir nicht voreilig übersehen sollten. Eine verbands- oder organisationsbedingte überbetriebliche Monopolisierung auf der Stellenangebotsseite dient nicht der Machtkon-
7510 Deutscher Bundestag --- 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974
Graf Stauffenberg
trolle, sondern deren Gegenteil. Ich nehme an, Sie wissen, was ich damit meine.

(Zurufe von der SPD: Nein, das wissen wir überhaupt nicht! Sie müssen deutlicher werden!)

Der DGB als einer der wichtigsten Faktoren der Mitbestimmungsdiskussion hat in den letzten Monaten zu diesem Thema bemerkenswerte Beiträge geliefert. Er hat die Mitbestimmung zur Machtfrage erklärt. An die Stelle der ursprünglich humanen Zielvorstellungen der Mitbestimmungsidee, die auf den arbeitenden Menschen bezogen waren, setzte er Demokratisierungsvorstellungen, die sich längst vom einzelnen Menschen gelöst und verselbständigt haben. „Die Verteilung von Macht und Herrschaft, von Entscheidungsbefugnissen über Sachen und Menschen steht zur Diskussion", schreibt z. B. Horst Hinz in „Die Neue Gesellschaft" im Mai 1973.
In diesem Zusammenhang führen dann die Analytiker und die Kommentatoren der Mitbestimmungsdiskussion immer wieder ins Feld, von den Gewerkschaften sei ein unziemlicher und übermäßiger Gebrauch der neuerrungenen Macht nicht zu erwarten; Herr Minister Arendt hat ja heute ebenfalls darauf hingewiesen. Denn, so sagen sie, die Gewerkschaften hätten selbst oft bekundet, eine zentrale Steuerung der Wirtschaft mit Hilfe der Mitbestimmung liege nicht in ihrer Absicht, und sie hätten sich ja zu den Grundsätzen der Marktwirtschaft bekannt.
Nun, meine Damen und Herren, diese Argumentation ist in ihrer Logik erstaunlich. Dies würde ja bedeuten, daß der Gesetzgeber diese oder jene Gruppe, diesen oder jenen Verband, diese oder jene Funktionsträger oder Funktionäre ermächtigen kann, bevollmächtigen kann im unwiderruflichen Vertrauen darauf, daß sie ihre Macht nur in dem Maße ausüben, wie sie es heute und hier dokumentieren, und daß er dann den Dingen ihren Lauf lassen kann.
Aber, meine Damen und Herren, die ureigenste Aufgabe des Parlaments, dieses Hohen Hauses ist es, Macht in Staat und Gesellschaft unter Kontrolle zu halten. Es ist nicht die Aufgabe dieses Hauses, sei es auch aus noch so löblichem Anlaß, gewissermaßen einen Blankoscheck auf Macht auszustellen.
In den letzten Monaten haben die Gewerkschaften auch oder wieder klargemacht, daß ihre Ziele mit der sogenannten paritätischen Mitbestimmung nicht erreicht sein werden. Diese Ziele werden ergänzt durch die Forderung nach einem System der gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung, das die Interessen der Arbeitnehmer zum gleichberechtigten Bestandteil einer planmäßigen Wirtschaftspolitik mache; die Mitbestimmung sei lediglich ein Mittel, um jene Machtausübung zu kontrollieren und Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen und insofern einen demokratischen Fortschritt zu erreichen; so heißt es da. Dabei solle Klarheit darüber herrschen, daß die paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten großer Unternehmen allein nicht ausreiche; langfristig werde kein Weg vorbeiführen an der Zunahme staatlicher Planung, der Investitionskontrolle und der
Überführung bestimmter Unternehmen in gesellschaftliches Eigentum.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das stellt doch zumindest ein bißchen die Frage nach dem sonst so hervorgehobenen marktwirtschaftlichen Bekenntnis des DGB oder der Gewerkschaften.

(Zustimmung bei einzelnen Abgeordneten der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Eindrucksvoll!)

Ich beziehe mich hierbei durchaus nicht auf Pressemeldungen, etwa auf die aus Recklinghausen in jüngster Zeit, die nachher vom DGB dementiert und von Sprechern Ihrer Fraktion als „taktisch dumm" bezeichnet worden sind — demnach offenbar als inhaltlich vielleicht richtig —, die aber von dpa niemals zurückgezogen worden sind, sondern ich beziehe mich hier auf unmißverständliche Äußerungen von Herrn Vetter, die er bereits vor Jahren, beispielsweise in der Akademie Loccum, gemacht hat, und ich beziehe mich auf eine Musterrede, die der DGB unter dem Titel „Mitbestimmung jetzt — und keine halben Sachen" herausgegeben hat und deren Verfasser dem Vernehmen nach Herr Detlef Hensche sein soll, von dem ja damals die Äußerungen aus Recklinghausen berichtet wurden. Ich beziehe mich auch etwa auf die Zeitschrift „Das Mitbestimmungsgespräch", die die Hans-Böckler-Gesellschaft herausgibt.
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, wird deutlich, wie unredlich die isolierte Vorlage deses Entwurfs ist. Es wird deutlich, wie sehr er im Zusammenhang gesehen werden muß mit den Programmen etwa im Bereich der Änderungen oder Reformen in der Betriebsverfassung, der Vermögensbildung, bei der gesellschaftlichen Investitionssteuerung und auch im Steuerrecht — Reformen oder Programme, die teils schon früher durchgesetzt wurden und die zum Teil noch ausstehen und auf die lange Bank geschoben werden.
Es wird aber auch deutlich, wie diese abschnittsweise Behandlung von Einzelproblemen aus einem umfassenden Forderungspaket die Sicht versperrt, die Sicht dafür, daß mit der Verabschiedung eines jeden Einzelgesetzes nach dem Willen mancher und möglicherweise der Mehrheit der Reformer nur ein Schritt zu viel weiter führenden, ja umfassenden und tief einschneidenden Ordnungsveränderungen — um mich einmal höflich auszudrücken — vollzogen sein soll.
Ein Mitbestimmungsgesetz, das wir in den kommenden Monaten beschließen sollen, hat doch nur dann einen Sinn, wenn die gesellschaftlichen, die wirtschaftlichen und die sozialen Veränderungen berücksichtigt werden, die bis heute stattgefunden haben. Auch ein Mitbestimmungsmodell kann, wenn es den anspruchsvollen Namen einer Reform verdient, nichts anderes als eine zeitgeschichtliche Antwort auf die tatsächlichen Fragen und Probleme der Gegenwart sein. Mit Klassenideologie und auch der Ideologie „hier Arbeit, dort Kapital" oder mit wissenschaftlich aufgeputzten Geschichtstheorien ist da Vernünftiges wirklich nicht zu holen. Daß in den



Graf Stauffenberg
letzten Jahren in diesem unserem Lande ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel stattgefunden hat, ein Wandel hin zu einer Arbeitnehmergesellschaft, ist nicht zu bezweifeln.
Aber ebensowenig ist zu bestreiten, daß sich die Arbeitnehmerschaft selbst und ihre innere Struktur wesentlich geändert haben. Arbeiter und Angestellte sind gleichzeitig nicht etwa nur Aktionäre oder Inhaber anderer Vermögenswerte. Sie sind nicht nur Grundstückseigentümer oder Mieter, Autobesitzer oder Massenverkehrsteilnehmer, Steuerzahler oder Empfänger öffentlicher Leistungen, aktiv und passiv Wahlberechtigte im politischen Bereich. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, auch die Arbeitnehmerfunktion selbst, die berufliche Tätigkeit am Arbeitsplatz, hat sich tiefgreifend verändert. Gerade in den modernen leistungsfähigen Wirtschaftsbetrieben gehen Unternehmer- und Leitungsfunktionen nahtlos über in Produktion und Ausführung. Leitungsbefugnis und Weisungsgebundenheit treffen in den gleichen Personen zusammen — angefangen von den Vertretungsorganen, den Vorständen, bis weit hinein in die Betriebsstätten der Produktion —, und dies zwar in unterschiedlicher, aber qualitativ von den Tätigkeitsmerkmalen her nicht abgrenzbarer Weise. Hinzu kommt, besonders bei den hochqualifizierten, spezialisierten Tätigkeiten, die sachlich notwendige eigene Verantwortung für den eigenen Tätigkeitsbereich und das eigene Arbeitsergebnis.
Dieser pluralen, vielschichtigen Wirklichkeit des modernen Arbeitslebens müßte ein modernes Mitbestimmungsgesetz, wie ich meine, eigentlich Rechnung tragen. Der grobschlächtige Entwurf, der uns jetzt hier vorliegt, tut dies sicher nicht. Die FDP hat auf ihrem Freiburger Parteitag — allerdings etwas unbeholfen und allzu theoretisch-schematisch, wie ich meine — versucht, diesem Tatbestand moderner Arbeitswirklichkeit Rechnung zu tragen, und zwar durch die Einführung des Faktors „Disposition". Aber selbst dieser Versuch ist bei dem Koalitionskompromiß auf der Strecke geblieben. Er hat der starren, gegenwartsfremden Klassenideologie „hier Patronat, dort kollektive Arbeitnehmerschaft" weichen müssen.
Meine Damen und Herren, in dem heute schon mehrfach angesprochenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Abgrenzung der leitenden Angestellten ist einiges von der Vielschichtigkeit und der Pluralität in der modernen Arbeitswelt deutlich geworden. Aber gerade dieses Urteil und nicht zuletzt auch die etwas unterschiedlichen Gewichtungen zwischen vorläufiger und endgültiger Begründung haben gezeigt, daß eine klare Abgrenzung des leitenden Angestellten unter dem Gesichtspunkt objektiver Tätigkeitsmerkmale weder nach oben noch nach unten möglich ist. In dem Urteil wird aber gleichwohl festgestellt, daß die leitenden Angestellten eine eigenständige Gruppe mit Leitungsfunktionen darstellen. Sie entsprechend in einer realitätsbezogenen Gesetzgebung zu berücksichtigen und ihre Abgrenzung festzulegen, wäre eigentlich Aufgabe dieses Hauses. Dieses Hohe Haus hat sich dieser Aufgabe bisher aber nicht gestellt.
Herr Minister Maihofer hat in einer Rede im März dieses Jahres vor dem Bankentag ausgeführt — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten —:
Kriterium für die Organisation solcher funktionaler Demokratie hat darum zuallererst zu sein, inwieweit diese jeweilige Freiheit in solcher Arbeitsteilung für alle Glieder im größtmöglichen Umfange erhalten, wenn nicht gar gesteigert werden kann. Dabei ist auszugehen,
— so sagt Herr Maihofer —

(entsprechend den jeweils ganz verschiedenen Betätigungen von Freiheit im Forschen, im Lehren und im Studieren), nicht von der egalitären Prämisse der Gleichheit jeder Person, sondern von der funktionalen Prämisse der Verschiedenheit der Funktion, die diese oder jene Person spezifisch und typisch in diesem oder jenem Verhältnis der Arbeitsteilung hat.

So weit das Zitat. Wenn Herr Professor Maihofer jetzt hier sein könnte, dann würde ich ihn gerne fragen: Wo bleibt denn bei Ihrem Koalitionskompromiß diese funktionale Prämisse etwa für den Industriemeister oder den Konstrukteur oder auch für den Betriebsrat?

(Zuruf von der SPD: Jetzt sprechen Sie mal von den Vorschlägen!)

Wir alle wünschen uns in unserem Wirtschaftsleben in diesem Staat starke und kraftvolle Gewerkschaften. Wir wünschen uns, daß diese Gewerkschaften ihre Stärke und ihre Leistungsfähigkeit wirkungsvoll in den Dienst der Arbeiter und Angestellten stellen, deren Interessen sie ja vertreten. Aber aus dieser ihrer wichtigen Funktion in Wirtschaft und Staat leitet sich nicht die Legitimation für eine Allzuständigkeit ab und schon gar kein allgemeiner Machtanspruch ihrer Organisation. Im Bereich der Tarifautonomie ist die Funktion der Gewerkschaften ganz unbestritten. Aber wie sehr sich mittlerweile das Selbstverständnis der Arbeitnehmer selber verändert hat, wie weit die Pluralität die heutige Arbeitnehmerschaft bestimmt, dies zeigen hinsichtlich des Vertretungsrechtes — des anerkannten Vertretungsrechtes — die jüngsten Sozialwahlen, und dies zeigt auch die Erfahrung, die etwa Herr Kluncker bei den kürzlichen Aufsichtsratswahlen bei der Lufthansa hat machen müssen. Diese Entwicklung findet aber keinen Niederschlag in dem Gesetzentwurf. Es kann doch sicherlich niemand wünschen, daß wir nunmehr mit Gesetz einen Zustand rechtlich festschreiben und zementieren, der früheren Vorstellungen und Bewußtseinslagen entsprochen haben mag, den aber jetzt die Betroffenen selber als mündige und selbstbewußte freie Menschen überwinden wollen und dies auch zeigen.

(Zuruf von der FDP.)

In diesem Zusammenhang gehört auch ein weiteres verfassungsrechtliches Problem, Idas ebenso wie die Eigentumsfragen noch nicht endgültig geklärt ist. Das ist die Frage nach der Koalitionsfreiheit. Auch hier darf ich nochmals die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf das Gutachten der Verfassungsexperten im Innenministerium lenken. Sie ver-



Graf Stauffenberg
weisen auf die Spannungslage zwischen Ihrem Mitbestimmungsmodell und dem durch Art. 9 Abs. 3 GG gewiesenen Weg des unternehmensexternen Ausgleichs und den Prinzipien der Gegnerfreiheit und der Gegnerunabhängigkeit. Aber die Behauptung, daß Art. 9 Abs. 3 GG nur einen „Kernbereich der Koalitionsfreiheit" schütze, kann doch keine hinreichende Antwort sein, und sie kann doch sicherlich keine Antwort sein, die die Gewerkschaften etwa selber für sich akzeptieren könnten oder bisher für sich akzeptiert hätten. Noch viel weniger kann es eine hinreichende Antworte sein, daß die Arbeitnehmervertreter in den Unternehmensorganen gezwungen sein können oder „gezwungen" sein sollen, „einen Arbeitgeberwillen zu bilden", der dann die Koalitionen — hier Arbeitgeber, dort Arbeitnehmer — wieder möglich mache. Denn das würde ja bedeuten, daß die Arbeitnehmer statt einem Arbeitgeber einem Arbeitgeberkartell gegenüberstünden, und folglich auch, daß sie zur Wahrung ihrer Interessen gegenüber den neuen Arbeitgebern wieder eine weitere Gewerkschaft bilden müßten, die ihre Interessen gegenüber dem neuen Arbeitgeber vertritt.
Lassen Sie mich noch ein Wort an Sie, meine Damen und Herren von der FDP, richten. Ich habe seinerzeit, im Jahre 1971, mit großem Interesse Ihren Freiburger Parteitag verfolgt, Ihren Versuch, die liberale Idee für die Gegenwart neu zu beleben und sie in ein neues, modernes, tragfähiges Programm umzusetzen. Ich habe damals mit besonderer Aufmerksamkeit die Rede Professor Maihofers nachgelesen und ich habe dem ersten Teil weithin zugestimmt, dort nämlich, wo er über die Menschenwürde, Selbstbestimmung und persönliche Freiheit und Individualität gesprochen hat, auch über die Pluralität. Der dritte und vierte Teil der Rede galten dem Versuch, die klassischen liberalen Grundsätze mit gesellschaftlichen Prinzipien, mit der Demokratisierung, mit der Teilhabe und der Mitbestimmung zu verbinden. Das war ein großes und ein anspruchsvolles Beginnen. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, in dem entscheidenden Punkt sind Sie letztlich die Antwort schuldig geblieben, nämlich in der Frage, wie sich die Freiheit zur Demokratisierung, wie sich Selbstentfaltung zur Gemeinschaftsbindung, wie sich die Selbstbestimmung zur kollektiven Gruppenmacht verhält. Sie haben die personalen Werte beziehungslos neben Gesellschaftliches gestellt, ohne zu bestimmen, daß die Gemeinschaft — erst recht die Gesellschaft — im Dienst des einzelnen steht und sich der Mensch nicht als Funktion des Kollektivs erfüllt.
So kommen Sie jetzt zu einem Modell, in dem unter der Überschrift Mitbestimmung der einzelne Mensch, seine Freiheits- und seine Persönlichkeitsrechte unter der kollektiven Einbindung, unter der Verselbständigung von Gruppenmacht, -anspruch und Organisationsinteresse kaum mehr erkenntlich sind.
Herr Maihofer hat in seiner Freiburger Rede John Stuart Mill zitiert: „Wenn die Gesellschaft" — so sagt John Stuart Mill, wie ihn Herr Maihofer zitiert hat — „selbst der Tyrann ist: die Gesellschaft als Kollektiv über die einzelnen Individuen, aus denen sie sich zusammensetzt, ... dann übt sie eine soziale Tyrannei, die furchtbarer ist als viele Arten sozialer Unterdrückung".
Das ist gewiß eine sehr dramatische Warnung,

(Zurufe von der SPD: Ja, ja!)

aber das ist eine Warnung, die für all jene nicht inaktuell geworden ist, die manchmal etwas fahrlässig und voreilig etwa mit dem Begriff der „Demokratisierung" umgehen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711031800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Graf Franz Ludwig Schenk von Stauffenberg (CSU):
Rede ID: ID0711031900
Ich bin gleich fertig.

(Zuruf von der FDP: Kommen Sie doch einmal zum Thema und sagen Sie, was Sie wollen!)

Meine Damen und Herren, Herr Maihofer hat bei Ihnen, bei der FDP, diese Warnung zitiert und Sie haben sie dann offenbar vergessen.
Meine Damen und Herren von der FDP, damals — bei dieser entscheidenden letzten Frage, von der ich gesprochen habe — hat nicht die liberale Idee versagt. Sie waren damals dieser liberalen Idee nicht gewachsen. Deswegen sind Sie dazu gekommen, nun einen Kompromiß zu schließen, von dem es in einer Zeitungsüberschrift geheißen hat: Trauer müssen die Liberalen tragen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der FDP: Was haben Sie denn mit dem Liberalismus zu tun?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711032000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt (Wattenscheid).

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711032100
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Menschen in unserem Lande, insbesondere die verantwortlichen Menschen, werden ihre Probleme haben, und sie werden infolgedessen ihre Sorgen haben. Den Verantwortlichen geht es wie allen in allen übrigen Ländern. Wir haben in diesem Lande sehr viel mehr Dinge, auf die wir stolz sein können und eigentlich stolz sein sollten, als man den Eindruck haben könnte, wenn man mancherlei hört.
Eines aber haben wir, die Menschen in dieser Bundesrepublik Deutschland, allen anderen — wie mir scheinen will — um uns herum voraus. Wir haben bei uns Arbeitnehmer, die nicht nur fleißig sind und nicht nur den Wertbegriff der deutschen Arbeit auch heute noch in aller Welt hochhalten, sondern die verantwortungsbereit und verantwortungsbewußt sind, die neue Verantwortung übernehmen wollen.

(Beifall bei der SPD.)

Und diese Arbeitnehmer haben in der Nachkriegszeit die größte gesellschaftliche Revolution — bei allem Respekt vor vielem anderen, was geschehen ist — in dieser Bundesrepublik Deutschland in ihrer Geschichte zuwege gebracht. Sie haben sich einheit-



Schmidt (Wattenscheid)

liche, starke Gewerkschaften aufgebaut. Wie auch immer, von wo auch immer gesprochen werden wird: Die Arbeitnehmer in diesem Lande werden es niemandem erlauben, ihre Gewerkschaften als etwas anderes als sich selber, nämlich als Arbeitnehmer, zu bezeichnen.

(Beifall bei der SPD.)

Darum möchte ich in allererster Linie, bevor ich sonst ein paar Bilder geradezuhängen versuche, Wert darauf legen, daß dann, wenn von den Arbeitnehmern und ihren Gewerkschaften die Rede ist, immer nur von einem gleichen Teil die Rede ist, nämlich von den Arbeitern, Angestellten und Beamten, die sich diese Gewerkschaftsbewegung gebaut haben. Weil dies so ist und weil dies eigentlich insbesondere in diesem Hause jeder wissen müßte, auch Herr von Stauffenberg, verbietet es sich eigentlich, diese fürchterlich falsche Philosophie zu entwickeln vom Gewerkschaftsstaat, von Funktionärsmacht und von vielem, was daraus dann schlußfolgert. Meine Damen und Herren, hier in diesem Hause dürfte doch eigentlich nie vergessen werden, daß in ähnlicher Philosophie die Schwierigkeiten der Weimarer Demokratie kumuliert sind, an dem Punkt nämlich, an dem von den Funktionären als den Bonzen, den so anderen, den so Schlimmen, den so Machthungrigen die Rede war. Gäbe es gar keinen anderen Grund — es gibt ihrer tausend —, würde diese geschichtliche Tatsache, wie ich sie sehe, es eigentlich verbieten, bei dem Punkt, über den wir reden, zu versuchen, das eine vom anderen zu trennen. Das geht nicht; es bleibt ein Ganzes.
In der Debatte im Hause wie im Lande wiederholt sich — jedenfalls nach meiner Geschichtskenntnis und zum Teil auch nach meiner Erfahrung — manches, was sich in der Debatte — im Hause wie im Lande — 1949, 1950 vor Einführung der Montanmitbestimmung abgespielt hat. Auch darum bitte ich zu bedenken, ob es uns, den Demokraten, die wir doch letzten Endes im Dienst der gleichen Menschen stehen, wenn wir unser Mandat ernst nehmen, erlaubt sein darf, so von der wichtigsten gesellschaftlichen Veränderung, die wir im Augenblick zu besprechen beginnen, nämlich der Einführung der paritätischen Mitbestimmung, zu reden, wie wir das bisher getan haben.
Am 21. Mai 1951 hat dieser Deutsche Bundestag das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Kohle- und Eisenerzbergbau und in der eisenschaffenden Industrie angenommen. Das war nicht der Beginn der Entwicklung. Die Bergarbeiter hatten alle ihre Kündigung ausgesprochen, die Metallarbeiter hatten in einer Urabstimmung entschieden, daß sie in einen Streik treten würden, wenn die bis dahin fest versprochene Mitbestimmung nicht komme. Es haben viele Verhandlungen der Vertreter der Arbeitnehmer — mit Hans Böckler, Heinrich Imig, August Schmidt, Walter Freitag und den Männern der IG Metall auf der Seite der Arbeitnehmer — mit den damaligen verantwortlichen Führern der deutschen Wirtschaft stattgefunden. Das Gesetz ist praktisch dort vorbereitet und ausgehandelt worden. Als es dieses Haus verabschiedet hat — ich sehe das Bild heute noch —, ist der Bundeskanzler von seinem Kanzlerstuhl zu seinem Abgeordnetensitz hinuntergegangen und hat dieses Gesetz am
21. Mai 1951 mit der damaligen Opposition verabschiedet. Am 11. Januar 1955 spielte sich draußen im Lande etwas ab, wovon ich — um mit dem Kollegen Franke zu reden: ein einfacher Bergmann — im Augenblick die Sorge habe, daß sich nach der Verabschiedung etwas ähnliches auch jetzt wiederholen kann, wenn die Debatte hier so fortgesetzt wird.

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Soll das eine Ankündigung sein?)

Herr Reusch war Generaldirektor; ob er es war, weiß ich nicht, aber er nannte sich so.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Herr Kollege Schmidt, Sie sind aber vom Einfachen weg!)

— Was immer ich auch tue, wird immer einfach bleiben.

(Beifall bei der SPD.)

„Einfach" ist für mich nicht das Prädikat für „weniger gut", „einfach" ist das Prädikat für „sehr gut".

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711032200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mick?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711032300
Ja, gerne.

Josef Mick (CDU):
Rede ID: ID0711032400
Herr Kollege Schmidt, ist es eine Schonung Ihres jetzigen Koalitionspartners, wenn Sie einen berühmten Ausspruch des damaligen Justizministers nicht zitieren?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711032500
Sie werden sich daran gewöhnen müssen — wenn mich der Herrgott noch ein bißchen gesund läßt —, daß ich so wenig wie möglich zitiere. Ich möchte Sie mit meinen Gedanken vertraut machen; die anderer Leute können Sie ja nachlesen.

(Beifall bei der SPD.)

Der damalige Generaldirektor der Gutehoffnungshütte Reusch machte am 11. Januar 1955 die Bemerkung, daß die damalige Mitbestimmung — —

(Abg. Mick: Sie zitieren doch jetzt, Herr Schmidt! Warum denn dann so unvollständig? — Abg. Dr. von Bismarck: Das ist kein Zitat, das ist jetzt die Ansicht von Herrn Schmidt!)

— Wir können ja gern noch ein kleines Seminar einlegen; aber jetzt lassen Sie mich doch noch etwas erzählen. Vielleicht denkt jemand noch einmal darüber nach. Mir will scheinen, für manchen könnte das nicht falsch sein.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Reusch machte damals die Bemerkung, die Montanmitbestimmung sei das Ergebnis der brutalen Erpressung durch die Gewerkschaften. Die Folge davon war, daß Bergarbeiter und Metallarbeiter am
22. Januar des gleichen Jahres gestreikt haben, weil



Schmidt (Wattenscheid)

sich Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften weder so behandeln noch so auseinanderdividieren lassen. Aber das ist Geschichte, und ich hoffe, wir lernen daraus.
Ich hoffe, wir lernen auch aus dem Verlauf der Montanmitbestimmung, die ein bißchen anders als die ist, die uns die Bundesregierung nun vorgelegt hat. Wir lernen auch aus dem Verlauf, ein bißchen von dieser fürchterlichen Oberfläche herunterzukommen, zu reden, was da alles in Gefahr sei, was da wohl alles kommen könnte, sondern ganz einfach hineinzuschauen. Ich lade alle die ein, die da in Sorge sind, einmal die Bergarbeiter der Bundesrepublik Deutschland in Aktion zu besuchen und sie über ihr Urteil von Wert und Bedeutung der Mitbestimmung zu befragen,

(Beifall bei der SPD)

um sich dann ganz sicherlich unter anderem mancherlei sagen zu lassen. Muß man denn die gesellschaftliche Entwicklung studiert haben, um zu erkennen, daß der Kohlebergbau der Bundesrepublik Deutschland die härteste strukturelle Krise nun hoffentlich hinter sich hat, die es jemals in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte dieser Bundesrepublik gegeben hat? Will mir jemand sagen — wenn ja, bitte ich das möglichst bald zu tun; es kann durch eine Postkarte sein —, wie die Kapitalgebervertreter allein mit diesem Problem hätten fertigwerden sollen, von 1957 bis zu diesem Augenblick die Beschäftigtenzahl von 608 000 auf 204 000 herunterzubringen, ohne daß diese unsere Republik in Gefahr gekommen ist?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Will mir jemand sagen, wie unser Land ohne die Mitwirkung derer, die da betroffen sind, diesen Prozeß in dieser kurzen Zeit auf diesem kleinen Gebiet hätte bewältigen können, wie man das ohne die, um die es dann geht, die das dann alles auszubaden und auszutragen haben, hätte bewerkstelligen können? Nein, das geht überhaupt nicht.
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist nicht nur an diesem Beispiel, aber auch und sehr deutlich an diesem Beispiel als das zu erkennen, was sie wirklich sein will, nämlich auch und insbesondere der Dienst an dieser gesellschaftlichen Ordnung, indem mehr Menschen in diese Ordnung integriert werden, damit sie widerstandsfähiger und noch stabiler wird, als sie jetzt ist.

(Beifall bei der SPD.)

Demokratische Entwicklung ist auf die Dauer ganz
einfach nicht denkbar und auch nicht erlebbar
obwohl ich nicht Prophet sein will; freilich nicht —, wenn der Bürger im Lande in seiner Entscheidungs- und Mitwirkungsmöglichkeit allein begrenzt bleibt auf das, was in seiner Kommune, auf das, was in seinem Bundesland, auf das, was in seiner Bundesrepublik vor sich geht. Dazu gehört das 'gleiche demokratische Mitwirkenkönnen in dem Teil und in dem Bereich, in dem die Auseinandersetzung am härtesten, am schwersten und häufig doch völlig unvermeidbar ist.

(Sehr richtig! bei der FDP.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711032600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711032700
Bitte!

Dr. Horst Schröder (CDU):
Rede ID: ID0711032800
Herr Kollege Schmidt, wie ist dieser von Ihnen propagierte Grundsatz des demokratischen Mitwirkenkönnens aller Arbeitnehmer mit dem Rundschreiben des Vorstandes der IG-Bergbau zu vereinbaren, Vorschläge zur Ausschaltung von Minderheitengruppen zu unterbreiten?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711032900
Ein Rundschreiben der IG-Bergbau — die ich vielleicht ein bißchen besser kenne als Sie —, das so etwas verbietet, gibt es nicht. Wie wäre es denn sonst möglich, hochverehrter Kollege, daß Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Hans Katzer mit diesem alten Schmidt in einem montanmitbestimmten Aufsichtsrat sitzt, nicht einmal dem kleinsten in der Bundesrepublik?

(Heiterkeit bei der SPD.)

Wir liefern Ihnen doch eigentlich die Musterbeispiele dafür, daß auch über den anderen Teil, über den sowohl von Herrn Franke wie von Herrn von Stauffenberg so leidenschaftlich 'gesprochen worden ist, noch einmal nachgedacht werden muß.
Da ist bei Herrn 'Franke die Rede davon — über die Einzelheiten wird ja in den Ausschüssen und danach immer noch zu reden sein; aber dieses Bild muß geradegehängt werden —, die Wahlmännerversammlung entmündige die Arbeitnehmer. Und an einer anderen Stelle : Sie sei ein „Manipulationsinstrument".

(Abg. Franke [Osnabrück]: Habe ich gesagt, ja! — Zuruf von der SPD: Das hat er gesagt!)

— Ja, natürlich, sonst hätte ich das ja nicht gesagt.

(Abg. Franke [Osnabrück]: Ich wollte auch nur noch einmal unterstreichen, daß ich das gesagt habe!)

Ich frage mich, wie man in diesem Hause, in das man nur dann einziehen kann — das ist gut und richtig, und das muß auch so bleiben —, wenn man einer Gruppe oder Partei angehört oder es selbst zuwege bringt, die 5%-Hürde zu überwinden, der Meinung sein kann, im Betrieb, an dem entscheidenden Ort der ganz natürlichen Gegensätze, müsse man die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrates den Betriebsangehörigen überlassen, die sich gar nicht kennen können, die das gar nicht beurteilen können, für die es gar kein Programm gibt. Wollen Sie mir bitte sagen

(Abg. Franke [Osnabrück] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— ich bin gleich soweit —, wo der Beschäftigte von Siemens oder bei der Veba die Gewißheit seiner richtigen Wahlentscheidung für den Fall einer Urwahl bei Ihnen hernehmen soll?




Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711033000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711033100
Bitte sehr!

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711033200
Herr Kollege Schmidt, glauben Sie denn, daß bei einer Bundestagswahl in großen Wahlkreisen mit 100 000, 120 000 oder 130 000 Wählern oder Einwohnern jeder einzelne Sie so gut kennt, daß er sich ein wie von Ihnen jetzt gefordertes Bild machen kann. Ist das für ihn nicht auch ein Risiko, das er eingehen muß und eingeht?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711033300
Aber natürlich ist das so. Aber der Bürger eines 100 000 MannWahlkreises weiß, welches Programm die CDU, die FDP und die Sozialdemokratie hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Er hat einen Anhaltspunkt, er hat eine Vorauswahl, die ja auch in den Parteien vorgenommen wird.

(Zuruf von der SPD: Davon weiß der Franke nichts!)

Ich will Sie ja gar nicht hindern, so zu denken, wie Sie denken. Ich will Sie lediglich einladen, noch einmal über Nacht darüber nachzudenken.

(Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Das kann der so schlecht!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711033400
Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?
Schmidt (Wattenscheid) .(SPD): Ja, bitte!

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711033500
Herr Kollege Schmidt, wollen Sie, wenn Sie kritisieren, daß sich die Kollegen, die sich wählen lassen wollen, nicht darstellen können, dann nicht mit uns gemeinsam darüber nachdenken, wie man eine Möglichkeit finden kann, daß er sich darstellen und seinen Wählern bekanntmachen kann?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711033600
Also, bei mir rennen Sie da offene Scheunentore ein; nachzudenken bin ich immer bereit.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Über diesen Punkt!)

Hier allerdings habe ich auf Grund jener Rechtsvorschriften, die Sie — längst bevor ich die Ehre hatte, diesem Hause anzugehören — erlassen haben, meine Erfahrung. Es ist doch einfach nicht praktikabel — machen wir uns doch bitte nichts vor! —, daß der VEBA-Beschäftigte in München mit gutem Gewissen den VEBA-Beschäftigten in Orsoy oder sonst irgendwo wählen kann; man kennt weder sich selbst noch das Programm. Und ich denke, wir wollen doch alle — im Gegensatz zu Ihrer Schlußfolgerung, die Sie in Sachen Aufsichtsrat VW ziehen —
erhalten, was wir haben: daß es nicht auch noch
einen parteipolitischen Kampf um die Mandate gibt.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Franke [Osnabrück]:: Das sagen Sie, weil Sie 90 % der Mandate haben!)

— Aber wir haben doch gerade von Herrn von Stauffenberg gehört, daß Sie auf dem Wege sind, eine Arbeiterpartei zu werden,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

und daß Sie damit alle Chancen offen haben, alle
Aufsichtsräte sehr bald ganz allein zu beherrschen.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Warten Sie nur ab!)

Oder der Vortrag oder die Schlußfolgerung war falsch.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711033700
Herr Kollege, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711033800
Frau Präsidentin, seien Sie so gut und ziehen Sie das von meiner Redezeit ab.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711033900
Ja, Sie bekommen die Zeit gutgeschrieben.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711034000
Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß wir nach der Abhaltung der Sozialwahlen in dieser Richtung gemeinsam auch darüber nachdenken müssen und daß die Chancen für andere Bewerber noch größer werden?

Adolf Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0711034100
Aber natürlich müssen wir über alles nachdenken. Sie bitte ich, darüber nachzudenken, wie es denn wohl kommt — Herr von Stauffenberg, das war, glaube ich, in Ihrer Abteilung zu suchen —, daß diese nach Ihrer Meinung, wie mir scheint, so verflixt machthungrigen Gewerkschaften justament in diesem Augenblick einen geradezu unerwarteten Mitgliederzuwachs haben, und zwar freiwillig; und die Arbeitnehmer, die zu diesem Zuwachs beitragen, tun dies, wie mir scheint, recht gern; denn keiner wird doch gezwungen.

(Abg. Graf Stauffenberg: Dann lassen Sie es doch auf den Mitgliederzuwachs ankommen! Überlassen Sie es doch der freien Entscheidung der Arbeitnehmer!)

Wir brauchen hier nicht die Probleme der Gewerkschaften zu erörtern, wir müssen uns nur davor bewahren, in diesem Zusammenhang Schlußfolgerungen zu ziehen, die für dieses Land, für seine demokratische Entwicklung und für seine gesellschaftliche Stabilität möglicherweise schädlich sein können.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die Debatte, so fortgesetzt, wie sie gerade von Ihnen, Herr von Stauffenberg, in diesem Bereich geführt wird, birgt diese Gefahr in sich.

(Abg. Graf Stauffenberg: Ist das eine Drohung?!)




Schmidt (Wattenscheid)

— Mein Gott, müssen Sie eine empfindliche Haut haben, wenn dies eine Drohung ist.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Wenn ein Bergmann droht, sieht das ganz anders aus.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Das ist die Einladung, über unsere Wirklichkeit nachzudenken. Wenn es richtig ist, daß die politisch-gesellschaftliche Entwicklung bei uns besonders eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbunden ist — und es ist richtig, ob es uns freut oder nicht —, dann wiederhole ich meine Bitte, noch einmal nachzuschauen, was gesellschaftspolitisch — und dazu habe ich eine Bemerkung gemacht — und wirtschaftspolitisch in dem Bereich, in dem die Mitbestimmung besteht und, wie mir scheint, funktioniert, geschehen ist. Die Mitbestimmung besteht dort seit 1951. Alle betriebs- und unternehmenspolitischen Sorgen, die ich hier wie im Lande bisher gehört habe, lassen sich an einfach erreichten Ergebnissen widerlegen.
In der Zeit der Mitbestimmung ist die AugustThyssen-Hütte AG der größte kontinentaleuropäische Stahlerzeuger geworden, nicht trotz Mitbestimmung, sondern auch wegen Mitbestimmung. In der gleichen Zeit hat ein anderes bedeutendes Stahlunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland eine einzigartige Verbindung mit einem anderen Stahlunternehmen außerhalb der Bundesrepublik geknüpft, mit Mitbestimmung, vielleicht sogar wegen Mitbestimmung.
Betriebswirtschaftliche Sorgen muß man nicht haben, weil der ausgebildete, gebildete und verantwortungsbereite Arbeitnehmer heute schon in den Gewerkschaftsschulen das kleine wirtschaftliche Einmaleins genauso lernt wie andere Leute anderswo.

(Beifall bei der SPD.)

Solange es ein gleiches wirtschaftliches Einmaleins für uns alle gibt, ist es völlig Wurst, wo es gelernt worden ist,

(Zuruf des Abg. Graf Stauffenberg) wenn man in der Lage ist, es anzuwenden.

Wenden wir uns einen Augenblick den Sorgen um die betriebswirtschaftlichen, um die unternehmenspolitischen Entwicklungen zu. Auch da läuft durch die Debatte im Hause, wie im Lande, die Sorge, daß Entscheidungen zu spät kommen könnten, daß sie verhindert werden könnten, daß sie vielleicht gar nicht zustande kommen könnten, insbesondere Entscheidungen, bei denen es um die Rationalisierung, um die Technisierung und um die Modernisierung der Betriebsanlagen geht.
Meine Damen und Herren, in der Bergbauwirtschaft läßt sich ablesen — natürlich nur von dem, der liest, der das will ---, daß der größte Rationalisierungsfortschritt, den es in diesem Wirtschaftszweig in seiner rund 150jährigen Geschichte gibt, in die Zeit fällt, in der die Arbeitnehmer mitbestimmen. Bitte, befragen Sie Ihre Freunde —

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Wer hat denn das bezahlt? Der Steuerzahler!)

— Wenn das die Formel ist, daß Rationalisierung, also die Freisetzung von Arbeitskräften — die drohende Entlassung —, deswegen gemacht wird, weil es ein anderer bezahlt, dann stimmt doch die ganze Philosophie nicht. Reden wir, wenn Sie wollen, auch über die Bezahlung! Aber jetzt reden wir über die Rationalisierung; denn dies ist das, was bei manchen im Lande Sorge bereitet. Ich kann sogar verstehen, daß ein Arbeitnehmer besorgt und nachdenklicher wird, wenn sein Arbeitsplatz von der vielleicht betrieblich notwendigen Rationalisierung betroffen wird.
Wir haben, meine Damen und Herren, als die Mitbestimmung eingeführt wurde, rund 180 Schachtanlagen in der Bundesrepublik gehabt. Davon sind bis jetzt 60 übriggeblieben. Alle diese Entscheidungen sind in Aufsichtsräten gefallen, in denen die Arbeitnehmer das Mitbestimmungsrecht haben. Nun hat es auch Entscheidungen gegeben, in denen die Arbeitnehmer gegen die Stillegung gestimmt haben. Ich bitte Sie, wenn Sie diesen Abschnitt nachlesen, genau darauf zu achten, in welche Zeit diese Entscheidungen gefallen sind. Die Entscheidungen, in denen sich die Arbeitnehmer gegen solche Maßnahmen gewandt haben, fallen ausnahmslos in die Zeit vor der Gründung der Ruhrkohle AG. Sie fallen alle in die Zeit, in der dieser strukturelle Wandlungsprozeß für manche unerträglich hart war, aber keinerlei politisches Handeln erkennbar wurde, wie man der Krise Herr werden sollte, so daß die Entscheidungen im Unternehmen gewissermaßen als eine Notwehrmaßnahme zu verstehen sind.
Meine Damen und Herren, in der gleichen Zeit, nämlich von etwa 1956 bis heute, ist die Mann- und Schichtleistung, jene Meßlatte, an der die Leistungsfähigkeit jedenfalls im Vergleich festgestellt werden kann, von damals weniger als 1 500 kg auf heute mehr als 4 000 kg angestiegen. Die Sorge also, daß betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten übersehen oder außer acht gelassen würden oder worden seien, läßt sich an dem, was wir erlebt haben, leicht, sehr leicht widerlegen.
Die vollmechanische Gewinnung in diesem Wirtschaftszweig als Folge der Rationalisierungen, wonach man weniger Arbeitnehmer braucht als zuvor, führte dazu, daß heute 96 % der Gesamtproduktion aus vollmechanisierten Betrieben gewonnen werden im Gegensatz zu etwa 10 % in dem Augenblick, als man die Mitbestimmung eingeführt hat. 92 Schachtanlagen — ich hatte es schon gesagt — sind stillgelegt worden, 15 allein nach der Gründung der Ruhrkohle AG.
Und diese Zeit, meine Damen und Herren — wer bis dahin noch eines Beweises und einer Hilfe bedarf — bietet sich an, um über die Mitbestimmung nachzudenken und in Sachen Mitbestimmung zu einem positiven Ergebnis zu kommen. In dieser wohl schwersten Zeit, in der sich der Bergbau neu organisieren mußte und neu organisiert hat, hat es streckenweise überhaupt keine anderen Vertreter für diesen Wirtschaftszweig gegeben als eben seine Arbeitnehmer, nicht weil Leute getürmt oder geflüchtet wären, sondern weil der Übergang von der



Schmidt (Wattenscheid)

alten zur neuen Organisation länger, als eigentlich notwendig gewesen wäre, gedauert hat.
Aus dieser Zeit, verehrter Herr Franke, sagten Sie, habe der Herr Bundesarbeitsminister doch als Bergarbeiterführer gewisse Erfahrungen mit Aufsichtsratstantiemen. Ich möchte Ihre Bemerkung aufgreifen und sagen: Welch ein Glück! Denn wenn er diese Erfahrungen nicht gehabt hätte, hätte wahrscheinlich der gesellschaftliche Notstand im Ruhrgebiet nicht nur zur Explosion geführt, sondern möglicherweise wäre auch die Neuordnung, die wir dem Bundesarbeitsminister im wesentlichen zu verdanken haben, nicht zustande gekommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Tatsache, daß er diese Erfahrungen hat, ist, wie ich die Zusammenhänge sehe, ein Gewinn für uns alle.
Ich wollte den Versuch unternehmen, meine Damen und Herren, darum zu bitten, daß jeder darüber nachdenkt, daß gesellschaftspolitisch nicht nur nichts riskiert wird, sondern daß wir den notwendigen fälligen Schritt jetzt tun. Wir sollten unseren Arbeitnehmern in unserem Lande dankbar sein, daß sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Wir sollten dieses Angebot, das jetzt die Bundesregierung mit der sozialliberalen Koalition aufgenommen hat und das zugleich eine Forderung der Arbeitnehmer ist, aufgreifen, natürlich auch in der Überlegung, daß im Laufe der Zeit über Veränderungen und vielleicht auch über Verbesserungen nachgedacht werden kann.
Wenn es sich erweisen sollte und alle Beteiligten zu dem Ergebnis kommen, Herr Spitzmüller, daß die Mitbestimmung, die einzuführen wir jetzt im Begriff sind, besser als die Montan-Mitbestimmung ist, kann ich mir nicht vorstellen, daß wir mit einem der Beteiligten Streit darüber bekommen, das MontanMitbestimmungsmodell in dem, was wir als besser ansehen, aufgehen zu lassen.

(Abg. Dr. Blüm: Rückzug! — Abg. Katzer: Das ist interessant!)

Andernfalls würden wir uns geradezu töricht verhalten. Das Abwarten, ob unser Modell besser ist, gibt uns die Chance, zu einem späteren Zeitpunkt ein Urteil zu treffen.
Die Mitbestimmung, die diese Koalition macht, will nichts anderes sein als die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der Wirtschaft. Sie will weder Vorstufe noch Nachlese sein. Die Mitbestimmung will die Möglichkeit des Arbeitnehmers sein, beim Zustandekommen des wirtschaftlichen Befehls mitzuwirken, damit er dann, wenn er sich nach diesem wirtschaftlichen Befehl verhalten muß, die Gewißheit und die Sicherheit hat, daß dieser — immer bestehende — Befehl seinen Standort, seinen Standpunkt und seine Situation berücksichtigt.
Wir sind sicher, daß wir zur Stabilisierung unserer demokratischen Entwicklung einen nachhaltigen und sehr positiven Beitrag leisten. Wir sind sicher, daß wir auch der Wirtschaft in unserem Land einen noblen Dienst erweisen, und wir sind ganz sicher, daß die Arbeitnehmer, die auf dieses Gesetz warten, dankbar sein werden.
Die Sozialdemokraten dieses Hauses wie dieses Landes erwarten, daß alle anderen so fleißig wie wir bei den Ausschußsitzungen mitzuarbeiten bereit sind. Wir hoffen, der Wirtschaft und den Arbeitnehmern in möglichst naher Zukunft sagen zu können, wie die Unternehmensverfassung dieser Bundesrepublik Deutschland aussieht.
Für uns Sozialdemokraten wird es einen einzigen Motor geben: Wir wissen, daß ohne wirtschaftliche Demokratisierung unsere gesellschaftlich-demokratisch-parlamentarische Ordnung nicht so nach vorn entwickelt werden kann, wie es der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung gesagt hat. Wir wollen, daß die Demokratie in den Herzen und in den Hirnen von noch mehr Menschen noch leidenschaftlicher verankert wird. Deswegen machen wir die Mitbestimmung. Unsere Gesellschaft soll am Rand und an der Schnittfläche der Weltgegensätze eine solche Faszination auslösen, daß sie nicht nur bei uns, sondern weit über unsere Grenzen hinaus positiv wirkt.

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711034200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0711034300
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der Bedeutung dieses Gesetzes möchte ich meinen Ausführungen einige grundsätzliche Überlegungen voranstellen. Es ist mehr als ein glücklicher Zufall, daß dieses Gesetz über die neue Unternehmensverfassung im Jahr des 25jährigen Bestehens des Grundgesetzes in die parlamentarische Beratung kommt. Mit diesem Gesetz vollziehen wir einen bedeutenden Schritt zum Ausbau unseres sozialen Rechtsstaats und auch zur Überwindung der Kluft zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit.
Meine Damen und Herren, zum 25. Jahrestag des Grundgesetzes sind viele Reden gehalten worden. Für mich war eine der draußen gehaltenen Reden am beachtlichsten, nämlich die Rede, die ein liberaler Wissenschaftler, Professor Theo Schiller, gehalten hat.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Karl Schiller?)

Dies ist das einzige Zitat, das ich bei meinen Ausführungen bringen werde. Ich möchte es in diesem Falle bringen, weil es symptomatisch ist für unsere Absicht, auch im Bereich gesellschaftlicher Demokratisierung Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen.

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Meinen Sie den Judo-Vorsitzenden?)

Theo Schiller sagte:
Laut Grundgesetz ist die Bundesrepublik ein sozialer Rechtsstaat, was grundsätzlich bedeutet, daß die Grundrechte nicht nur gegen den Staat geltend gemacht werden können, sondern darüber hinaus durch soziale, d. h. gesellschaftliche



Hölscher
Gestaltungs- und Strukturentscheidungen abgesichert und ausgebaut werden können und müssen.
Schiller fährt fort:
Demokratie ist nicht bloß ein Mechanismus, in dem eine Wählermehrheit ein paar Regierende ermächtigt, über das Volk zu herrschen, sondern Demokratie heißt Volksmacht, und zwar nicht im Sinne einer schizophrenen Herrschaft des Volkes über sich selbst, sondern Herrschaft des Volkes über seine Verhältnisse, über seine gesellschaftlichen Lebensverhältnisse, deren es sich in gemeinsamen demokratischen Entscheidungsprozessen bemächtigt.

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Ist das Ihr JudoVorsitzender?)

Theo Schiller sagt dann weiter, wer dem zustimme, den wirtschaftlichen Bereich aber ausklammere, sei ein Illusionär. Dem kann ich nur beipflichten. Ich gebe zu: Die Liberalen haben sich in der Vergangenheit etwas schwergetan, über die formalen Garantien des Bürgers gegenüber dem Staat hinaus seine Freiheitsrechte in der Gesellschaft selbst zu verwirklichen.
Dabei hat allerdings schon Friedrich Naumann vor über 50 Jahren den doppelten Grundsatz geprägt, der nach wie vor für uns Gültigkeit hat: Der Staat sind wir alle, der Staat darf nicht alles; der Betrieb sind wir alle, der Betrieb darf nicht alles. — Das Ziel dieses sozialen Liberalismus, nämlich die Demokratisierung der Gesellschaft, findet seinen Ausdruck durch die größtmögliche und gleichberechtigte Teilhabe aller an der durch Arbeitsteilung ermöglichten Befriedigung der individuellen Bedürfnisse und Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten.
Dieser Liberalismus tritt ein, wie wir in unserem Freiburger Programm gesagt haben, für eine entsprechende Mitbestimmung an der Ausübung der Herrschaft in der Gesellschaft, der Herrschaft, der Fremdbestimmung über Menschen, wie sie gerade im arbeitsteiligen Bereich der Wirtschaft im verstärkten Maße ihren Ausdruck findet.
Es gibt wohl kaum einen Bereich, in dem die Menschen in größere Abhängigkeit geraten können als im Betrieb, kaum einen Bereich, in dem sie als Arbeitnehmer für sich und ihre Familie die Folgen von Entscheidungen im Positiven wie im Negativen stärker zu spüren bekommen.

(Vor sitz : Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)

Der Ausbau unseres sozialen Rechtsstaates darf nicht stehenbleiben bei der Sicherstellung der Mitbestimmung und Kontrolle der Bürger im politischen Raum durch allgemeine Wahlen. Wir dürfen es nicht bewenden lassen mit der Demokratisierung des Staates, sondern müssen uns in verstärktem Maße auch für die Gesellschaft vom obersten Grundsatz der Menschenwürde und damit der Achtung der Selbstbestimmung des anderen leiten lassen.
Meine Damen und Herren, ein Bürger, den wir doch alle für mündig genug halten, selbst zu bestimmen, wie seine Parlamente aussehen, wer die Regierung bildet, darf nicht im Unternehmensbereich, also da, wo er den größten Teil seines Lebens verbringt, aber auch da, wo er persönlich noch die unmittelbarsten Einblicksmöglichkeiten hat, zum Industrieuntertanen degradiert bleiben. Er muß, so meinen wir, als Wirtschaftsbürger teilhaben und mitwirken an allen Entscheidungen, die ihn betreffen. Hierbei geht es allerdings nicht nur um die individuellen Interessen einzelner Menschen, sondern auch um die Interessen einer Gruppe von Menschen, die immerhin einen Anteil von über 80 % an der Gesamtbevölkerung hat. Die Kapitalinteressen einer Minderheit dürfen daher, wo sie in Konflikt zu den Interessen der Arbeitnehmer geraten, auch da, wo sie im Gegensatz zum Allgemeinwohl stehen, nicht übergeordnet bleiben. Das gebietet unser Grundgesetz in Art. 14 Abs. 2, wo die Gewährleistung des Eigentums mit der Verpflichtung verbunden ist, daß sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll.
Meine Damen und Herren, der Entschluß der sozialliberalen Koalition, im Jahre des 25jährigen Bestehens des Grundgesetzes eine gleichberechtigte Teihabe der Arbeitnehmer an den Unternehmensentscheidungen einzuführen, ist daher auch ein gutes Stück auf dem Wege zur Sozialbindung des Eigentums.
Wir Liberalen haben auch in diesem Zusammenhang in unserem Freiburger gesellschaftspolitischen Programm die — ich gebe zu, etwas abstrakt klingende — Formulierung aufgestellt: „Wo die Verfügungsgewalt über Eigentum an Produktionsmitteln zur Herrschaft über Menschen führt, ist ihre demokratische Kontrolle durch Mitbestimmung geboten." — Die Frage war daher für uns nicht, o b wir eine gleichberechtigte Teilhabe der Arbeitnehmer an den Unternehmensentscheidungen einführen wollen, sondern w i e diese auszusehen hat. Ausgangspunkt waren dabei für uns vor allen Dingen die folgenden drei Kriterien: erstens eine gleichgewichtige Beteiligung von Anteilseignern einerseits und Arbeitnehmern andererseits an den Unternehmensentscheidungen. Dieser Grundsatz findet sich bereits in der Regierungserklärung 1973 wieder und wurde in dem vorliegenden Gesetzentwurf realisiert.
Gleichberechtigte und gleichgewichtige Beteiligung heißt: nicht nur in der formalen Zusammensetzung des Aufsichtsrates muß die Parität verankert werden, sondern der Grundsatz der Gleichberechtigung muß auch für die in die Kompetenz des Aufsichtsrates fallenden Entscheidungen gelten. Einen Etikettenschwindel à la CDU-Parteitagsbeschlüsse Hamburg lehnen wir ab. Die Opposition will zwar auch den Aufsichtsrat paritätisch mit Vertretern der Anteilseigner und solchen der Arbeitnehmer besetzen, verlagert aber die Entscheidung in Sach- und Personalangelegenheiten im Falle der Nichteinigung sofort in den Vorstand. Dieser wiederum kann auf, möchte ich sagen, einfachste Art von den Anteils-



Hölscher
eignern bestellt werden, weil der Aufsichtsratsvorsitzende, ausgestattet mit einem Stichentscheid, von den Aktionären bestimmt werden kann.

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Sie haben es gerade nötig, von Etikettenschwindel zu reden!)

In der gefälligen Verpackung „Parität" also wieder der alte Inhalt, meine Damen und Herren, wie gehabt: die Überparität der Anteilseigner. Ein solch unehrliches Geschäft ist nicht unsere Sache.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Reddemann: Wo ist die SPD hingekommen, daß sie bei so etwas klatscht!)

Da wünsche ich mir eigentlich — ich möchte fast sagen, analog zu den Ausführungen des Kollegen Graf Stauffenberg; Herr Kollege Franke, ich kann verstehen, daß Sie, genau wie der Kollege Blüm, während seiner Ausführungen ein etwas bedrücktes Gesicht gemacht haben —

(Abg. Seiters: Was glauben Sie, was wir jetzt für Gesichter machen!)

die alte ehrliche konservative CDU, wie sie sich in
Düsseldorf mit ihrem 7 : 5-Beschluß präsentiert hatte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was wünschen Sie denn noch?)

Meine Damen und Herren, wir werden einen Gesetzentwurf verabschieden, der auch im Interesse des Gesamtunternehmens konsequent den Einigungszwang für die Beteiligten sicherstellt, ohne daß wir dabei die Augen davor verschlössen, daß für ausweglose Konfliktsituationen die Möglichkeit der Patt-Auflösung vorgesehen werden muß.
Zweitens legen wir Wert darauf, in der neuen Unternehmensverfassung alle Gruppen von Arbeitnehmern vertreten zu wissen. Das gilt für die Arbeiter genauso wie für die Angestellten. Beide Gruppen können ja, je nach Wirtschaftsbereich, eine Minderheit darstellen; es sind dies, wenn Sie z. B. an den Bankenbereich denken, nicht immer nur die Angestellten. Für Minderheiten gilt aber auch im Bereich der Unternehmensverfassung unser pluralistisches System. Sie müssen imstande sein, ihre spezifischen Interessen — allerdings eingebettet in die Gesamtsolidarität aller Arbeitnehmer — zu vertreten.
Ein besonderes Anliegen war für die FDP hier die Einbeziehung der leitenden Angestellten in die Unternehmensverfassung. Gerade auf diesen durch Sachverstand besonders qualifizierten Kreis von Arbeitnehmern kann in einer modernen Unternehmensverfassung nicht verzichtet werden. Wir begrüßen daher, daß in Zukunft auch die leitenden Angestellten Sitz und Stimme im Aufsichtsrat haben werden.

(Abg. Schröder [Lüneburg] : Etikettenschwindel!)

Was die Abgrenzung dieses Kreises angeht, so macht die schriftliche Begründung des Urteils des Bundesarbeitsgerichtes keine grundlegende Neudefinition notwendig. Ich denke, wir werden etwa
noch vorhandene Unklarheiten in diesem Punkt in den Ausschußberatungen klären können. Schließlich muß man in diesem Zusammenhang aber auch einmal ganz deutlich sagen, daß nicht unsere Gerichte die Gesetze machen, sondern daß dies allein in die Verantwortung des Bundestages fällt. Ich halte es im übrigen für gut, daß die von der Gruppe der leitenden Angestellten vorgeschlagenen Kandidaten für den Aufsichtsrat von der Gesamtvertretung der Arbeitnehmer gewählt werden. Das stärkt letztlich die Stellung des leitenden Angestellten im Aufsichtsrat, weil er, eingebettet in die Interessensolidarität aller Arbeitnehmer, mit besonders gewichtiger Stimme mitreden kann.
Drittens aber wollten wir den Ausbau der Unternehmensverfassung nach dem Prinzip der. Selbstbestimmung sicherstellen, was uns auch gelungen ist. Selbstbestimmung heißt: der Arbeitnehmer muß selbst bestimmen können, wer seine Interessen im Aufsichtsrat vertritt. Delegationsrechte, wie sie die Montanmitbestimmung aufweist, konnte es daher nach unserem Willen nicht geben.
Nun werden gerade wir Freien Demokraten — bereits den ganzen heutigen Tag über, aber auch schon in den Monaten vorher — kritisiert, weil die Urwahl nicht durchgesetzt werden konnte. Natürlich wäre auch ein solches Wahlverfahren denkbar gewesen. Ich verhehle auch gar nicht, daß es uns lieber gewesen wäre. Es gibt aber auch in anderen Bereichen repräsentative Wahlverfahren, die sich bewährt haben oder die sich neu bewähren. Betrachten wir nur einmal den Ausgang der letzten Sozialwahlen. Hier hat doch reformerisches Engagement von Gruppen dazu geführt, daß in diesem Bereich in Zukunft eine viel pluralistischere Gestaltung der Willensbildung möglich sein wird. Wir glauben, daß auch das im Gesetzentwurf vorgesehene Wahlverfahren mit seinen starken Minderheitenrechten als Angebot zur Ausgestaltung von Demokratie im Betrieb verstanden und praktiziert wird. Daß wir im Rahmen der Ausschußberatungen noch einmal überlegen werden, wie in dem einen oder anderen Punkt eine Verbesserung zu erzielen ist — z. B. hinsichtlich der Gewährleistung eines noch stärkeren Schutzes von Minderheiten —, versteht sich von selbst.
Meine Damen und Herren, der Regierungsentwurf ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den Mitbestimmungsvorstellungen von zwei Parteien. Es ist daher verständlich, daß keine Seite ihre Forderungen bis aufs letzte Komma erfüllt sehen konnte. Im ganzen genommen ist es aber ein Ergebnis, das sich sehr wohl sehen lassen kann. Ich denke, all diejenigen, die eine echte Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit, also eine echte Parität, wollten, können zufrieden sein, und diese Zufriedenheit sollte eigentlich über den Kreis der Koalitionsfraktionen hinausgehen.
Man mag eine paritätische Mitbestimmung aus vielerlei Motiven für richtig halten, gleichgültig, ob man dabei von partnerschaftlichen Überlegungen, wie sie die CDU-Sozialausschüsse vertreten, ausgeht, ob man sie unter dem Gesichtspunkt der von den Gewerkschaften angestrebten Gegenmachtposi-



Hölscher
tion sieht oder ob man das Ziel der Kontrolle von Macht, wie es die Liberalen wünschen, in den Vordergrund stellt. Die Vertreter all dieser Motivationen können zufrieden sein, denn echte Partnerschaft ohne Gleichberechtigung gibt es nicht, ebensowenig wie sich Gegenmacht aus einer Minderheitenposition heraus ausüben läßt und die Kontrolle von Macht ohne das Instrumentarium dazu möglich ist. Wir werden daher mit Interesse auf die Schlußabstimmung warten. Wenn es wenigstens diesem verschwindend kleinen Teil der Opposition wirklich um eine gleichberechtigte Teilnahme der Arbeitnehmer an den Unternehmensentscheidungen geht,

(Abg. Franke [Osnabrück] : Sie sagten „gleichberechtigt"!)

dann müßten die Betreffenden diesem Gesetz zustimmen, denn Sie werden in Ihrer Partei wohl kaum jemals eine Mehrheit für Ihre auf Parität ausgerichteten Vorstellungen finden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nun auch noch etwas zur Rolle der Opposition in der Diskussion und zu den Angriffen des Kollegen Franke sagen. Der Kollege Franke hat die FDP — und insofern selbstverständlich auch uns als Mitglieder der FDP-Fraktion — heute morgen liebenswürdigerweise als „Steigbügelhalter des Kommunismus" apostrophiert. Herr Kollege Franke, uns erschreckt das nicht. Ich verstehe es, wenn Sie gerne Geisterbahn fahren und auf diese selbstgestrickten Monstren zurückgreifen, die eigentlich ja nun von denjenigen in der Öffentlichkeit erzeugt wurden, die nicht gerade Ihre Freunde sind.

(Abg. Franke [Osnabrück] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Ich darf — ich komme gleich zu Ihnen — nur in dem Zusammenhang sagen: auf der anderen Seite des Spektrums gibt es auch noch die Formulierung, wir seien die „Wasserträger des Kapitalismus". Wenn wir also aus der Sicht ganz bestimmter Leute einerseits die „Steigbügelhalter des Kommunismus" und andererseits die „Wasserträger des Kapitalismus" sind, dann würde ich sagen: die Politik, die wir verfolgen, scheint richtig zu sein.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711034400
Herr Kollege, ich habe Ihrer Handbewegung entnommen, daß Sie dem Kollegen Franke eine Zwischenfrage gestatten wollen.

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711034500
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen und das auch im Protokoll oder im Manuskript meiner Rede nachzulesen, daß ich von „Kommunisten" nicht gesprochen habe, und darf ich vielleicht unterstellen, daß Sie in der Lage sind, zwischen Sozialisten und Kommunisten zu unterscheiden?

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Reddemann: Verlangen Sie nicht zu viel von ihm!)


Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0711034600
Es gibt von beiden „Ismen" so viele Spielarten, Herr Kollege Franke, daß ich jetzt unterstellen möchte,

(Abg. Seiters: Wollen Sie das nicht zurücknehmen?)

daß Sie unter Sozialismus nicht unbedingt das verstehen — aber, bitte, das ist nicht meine Aufgabe, sondern Aufgabe der Sozialdemokratie —, was ich unter sozialdemokratischen Reformen verstehe.

(Abg. Seiters: Das ist aber schäbig, Herr Hölscher, daß Sie das nicht zurücknehmen, was Sie gesagt haben! — Zuruf des Abg. Franke [Osnabrück].)

— Herr Kolege Franke, ein bißchen tun Sie mir leid, gerade auch als „Sozialausschüßler",

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Sie tun mir leid, wenn Sie den Unterschied nicht kennen!)

denn in den Ausführungen des Grafen Stauffenberg hat sich die Vielschichtigkeit in der Argumentation der Opposition deutlich dargestellt. Wenn ich Ihren Ausfall heute morgen zurückgeben darf, dann bin ich verleitet zu fragen, ob Sie und Ihre Freunde nicht letzten Endes zwar sehr liebenswert, aber doch nichts anderes als ein Feigenblatt sind, und Feigenblätter bedecken Blößen, bringen aber im allgemeinen nichts in Bewegung.

(Zuruf von der SPD: Und sie verwelken! — Abg. Seiters: Dafür gibt es nicht einmal Beifall bei der SPD!)

Meine Damen und Herren von der Opposition, deshalb glaube ich, Sie machen es sich zu leicht, wenn Sie immer, z. B. dann, wenn Sie glauben, daß es Ihnen nutzt, Rosinen aus dem Kuchen picken und Ihre Kollegen von den Sozialausschüssen an die Front schicken. Wir haben heute im Laufe des Tages durch Vertreter der Opposition zwei, so habe ich es empfunden, sehr gegensätzliche Standpunkte gehört und nach den Wortmeldungen, die für Kollegen Blüm und Kollegen Graf Bismarck wohl noch abgegeben werden, werden wir noch dieses Schauspiel mehr erleben.

(Abg. Breidbach: In der Koalition stimmt keine Rede mit der anderen überein!)

Aber, bitte, das müssen Sie selbst verantworten können. Ich jedenfalls finde es etwas eigenartig, daß Kollegen aus den Sozialausschüssen, die doch sonst regelmäßig von der CDU verketzert werden und noch nie ein Bein auf den Teppich bekommen haben,

(Oho-Rufe von der CDU/CSU. — Abg. Seiters: Oh, Hölscher! Gelbe Karte! — Abg. Reddemann: Der meint, er brauche nur die „Frankfurter Rundschau" zu lesen und sich nicht wirklich zu informieren!)

sich hierfür mißbrauchen lassen. Denn die Stimme der Kollegen Franke und Blüm sind nicht die Stimmen der wahren CDU. Die Stimme der wahren CDU ist eher das, was wir vom Grafen Stauffenberg gehört haben, heute sicher auch noch von anderen hören werden, und vor allen Dingen das, was wir



Hölscher
von Ihren Hilfstruppen draußen in sehr polemischer Form hören.

(Abg. Breidbach: Schuster bleib' bei deinen Leisten! — Abg. Seiters: Herr Hölscher, haben Sie das alles ganz genau aufgeschrieben?)

Im allgemeinen ist die paritätische Mitbestimmung, die ja auch der Herr Kollege Franke wohl will, wenn ich ihn richtig verstehe, für die CDU doch allgemein — Herr Kollege Graf Stauffenberg, aus Ihren Ausführungen kam es deutlich heraus — das Ende der Marktwirtschaft, der erste Schritt zur Sozialisierung und vieles andere Fürchterliche mehr.

(Abg. Breidbach: Wer hat denn die Montanmitbestimmung eingeführt?)

Maßgebend für die Opposition ist daher nicht das, was die vielgeplagten lieben Kollegen aus den Sozialausschüssen hier sagen, sondern das, was Ihre — entschuldigen Sie die harte Formulierung — Wirtschaftslobbyisten und die vereinigte außerparlamentarische Opposition bestimmter Unternehmerverbände draußen verkünden. Maßgebend ist z. B. auch das, was Sie auf Ihrem Parteitag in Hamburg zur Mitbestimmung beschlossen haben. Allerdings haben Sie auch hier nur den Mund gespitzt und nicht gepfiffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Können Sie denn überhaupt pfeifen?)

Denn ein Gesetzentwurf liegt ja nicht vor. Sie hätten genügend Zeit hierzu gehabt.
Auch wenn Ihr Hamburger Grundsatzprogramm nur eine Scheinparität beinhaltet, so tauchen bei Ihnen doch einige Forderungen auf, die wir in unserem Gesetzentwurf längst erfüllt haben. Sie wollen ebenfalls die leitenden Angestellten im Aufsichtsrat haben.

(Abg. Reddemann: Welcher Beschluß war denn früher, der von Hamburg oder Ihr Gesetzentwurf!)

Der Herr Biedenkopf möchte keine Eigenvertretung der Leitenden mehr, wie er kürzlich in einem Vortrag in Wuppertal erklärt hat. Hier distanziert sich also bereits ein für Ihre Partei, so möchte ich meinen, nicht unwichtiger Mann von den eigenen Beschlüssen, die Sie in Hamburg getroffen haben.

(Abg. Dr. von Bismarck: Davon kann doch gar keine Rede sein!)

Im übrigen wollen auch Sie, daß alle Arbeitnehmer, also auch die leitenden Angestellten, von der Gesamtbelegschaft gewählt werden.
Auch Sie wollen den Gewerkschaften, zusätzlich auch dem 'Betriebsrat, ein Vorschlagsrecht für außer- betriebliche Vertreter einräumen. Ich frage mich nur, meine Damen und Herren von der Opposition, wie weit Sie Ihre Schizophrenie noch treiben wollen,

(Abg. Seiters: Herr Hölscher, sehen Sie die bedrückten Mienen in Ihrer eigenen Fraktion? — Abg. Reddemann: Wenn Sie noch lange reden, läßt man 'Sie nie wieder dort hinauf!)

indem Sie einerseits — Herr Biedenkopf macht das z. B. — unseren Entwurf als syndikalistisch bezeichnen und behaupten, die berechtigten Interessen der leitenden Angestellten seien über Bord geworfen worden — Herr Kohl sagt das —, andererseits aber in Hamburg selbst in diesen Punkten im Grunde genau das beschlossen haben, was Sie in unserem Regierungsentwurf wiederfinden.
Am merkwürdigsten finde ich allerdings Ihre maßlosen Ausfälle draußen — maßvoll, was Graf Stauffenberg in diesem Zusammenhang sagte — gegen die Gewerkschaften. Die Montanmitbestimmung, die den Gewerkschaften mit Vetorechten und Delegationsrechten die alleinige Verfügung über die Aufsichtsratsbestellung einräumt, haben Sie doch zu verantworten, meine Damen und Herren von der Opposition! Dieses Gesetz ist unter Ihrer Verantwortung geschaffen worden.

(Abg. Reddemann: Wer saß denn damals mit in der Regierung, Herr Hölscher? War das nicht die FDP?)

Wie kommen Sie eigentlich dazu, jetzt die hier vorgesehenen Wahlverfahren zu kritisieren, wenn Sie damals bei der Verabschiedung des Montangesetzes den Arbeitnehmern der Unternehmen überhaupt kein unmittelbares Wahlrecht zugestanden haben?

(Abg. Reddemann: Ich habe ja nichts gegen junge Kollegen; aber die 'Geschichte des Landes sollten Sie wenigstens kennen!)

Interessanterweisegibt es, wie Sie ja wissen, gerade aus den Ihnen, der CDU, so symphathischen Unternehmerkreisen immer lautere Stimmen, die die Montanmitbestimmung unserem Koalitionsentwurf vorziehen möchten. So hat Herr Sohl vom BDI an der Montanmitbestimmung nichts weiter auszusetzen, als daß die Position des neutralen Mannes und die Sonderstellung des Arbeitsdirektors geändert werden müßten. Gegen die fehlende Legitimation der Arbeitnehmervertreter durch die Belegschaft selbst hat er keine Einwendungen.
Ich frage mich nur, warum dann die Polemik gegen den angeblich vor der Tür stehenden Gewerkschaftsstaat, wenn einige Ihnen näher als uns Stehende draußen und einige in Ihren eigenen Reihen die Montanbestimmung besser finden als einen Mitbestimmungsentwurf, bei dem die Arbeitnehmer durch Wahlverfahren auch echte Kontrollfunktionen gegenüber d'en 'eigenen Vertretern haben. Ich selbst möchte nun hier aber nicht in die Gefahr geraten, etwa als „Gewerkschaftsfresser" angesehen zu werden. Ich möchte daher unmißverständlich feststellen: Für mich sind die deutschen Gewerkschaften die legitimen Vertreter der Arbeitnehmerinteressen.

(Abg. Reddemann: Pflichtübung, Herr Hölscher!)

Wie nötig wir diese Gewerkschaften haben, konnten wir vor nicht allzu langer Zeit in Nord-Württemberg sehen, wo die IG Metall immerhin gezwungen war, wegen Fließbandgeschwindigkeiten einen Arbeitskampf zu führen. Solche Vorkommnisse machen nicht nur deutlich, daß es manche Unternehmer mit der vielgepriesenen Partnerschaft nicht sehr



Hölscher
ernst meinen können. Sie machen auch deutlich, daß es dummes Gerede ist, wenn gesagt wird, daß dieser Mitbestimmungsentwurf angeblich in den Gewerkschaftsstaat führen soll. So stark sind unsere Gewerkschaften nun wirklich nicht.
Ich frage mich, ob alle die, die da so leichthin vom Gewerkschaftsstaat reden, lieber wollen, daß es bei einem Unternehmerstaat bleibt. Aber vielleicht finden die das ja auch gerade richtig. Jedenfalls scheint ihnen die Sicherstellung von Kapitalinteressen wichtiger zu sein als der Ausbau unserer demokratischen Ordnung.

(Abg. Reddemann: Der kleine Hilfsjuso!)

Meine Damen und Herren! Die Opposition wird klarer sagen müssen, was sie will. Bis jetzt will jeder von Ihnen etwas anderes.

(Zuruf von der SPD: Wenn sie es nur selber wüßte!)

Das Ergebnis ist, daß Sie sich gegenseitig lahmlegen, also zusammengenommen gar nichts wollen, weswegen der Wähler den Willen der Opposition wieder einmal deutlich gesehen hat.

(Abg. Dr. von Bismarck: Deshalb auch Ihr fabelhafter Stimmenzuwachs in Niedersachsen!)

Für mich ist der Gesetzentwurf über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer mehr als ein Gesetz, das nur die Besetzung des Aufsichtsrats von Kapitalgesellschaften regelt. Für mich ist es ein Gesetz von historischer Bedeutung,

(Abg. Reddemann: Darum nimmt von Ihrer Fraktion auch kaum jemand an dieser Debatte teil!)

weil es erstmals in der Geschichte der Arbeit und damit den abhängig arbeitenden Menschen die Gleichberechtigung gegenüber dem Kapital einräumt. Dabei ist es gar nicht einmal so entscheidend, daß sich nun für den einzelnen Arbeitnehmer in seiner Abhängigkeit von heute auf morgen etwas ändert. Entscheidend ist, daß wir mit diesem Gesetz die Voraussetzungen für die Demokratisierung, für die Humanisierung des wohl wichtigsten Bereichs unserer Gesellschaft schaffen. Mit diesem Gesetz geben wir dem einzelnen Arbeitnehmer den Rahmen, der ihm die Wahrnehmung seiner sozialen Chancen erst ermöglicht. Wir wissen, daß dieser Rahmen von allen Beteiligten noch ausgefüllt werden muß, z. B. durch den Ausbau der Mitbestimmung am Arbeitsplatz — ein sehr wichtiges Gebiet —, durch die bessere Verzahnung zwischen Betriebsverfassung und Unternehmensverfassung. Dieses Gesetz ist daher nicht der Schlußstrich unter eine Entwicklung, sondern es eröffnet neue politische Dimensionen gesellschaftlich erfüllter Freiheiten und Rechte.
Meine Damen und Herren, Freie Demokraten und Sozialdemokraten haben mit diesem Gesetz bewiesen, daß sie gemeinsam imstande sind, einen freiheitlichen Sozialstaat zu schaffen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Grundsätze aufzugeben!)

Dieses Gesetz dokumentiert aber auch die Renaissance des bereits im vorigen Jahrhundert entstandenen Bündnisses zwischen Sozialdemokraten und Liberalen, eines Bündnisses zwischen Arbeitern und Bürgern zum Wohle der gesamten Gesellschaft.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Reddemann: Das hat er aus Maihofers Geschichtsdeutung herausgeholt! Dies war der erste Sozialliberale! — Abg. Seiters: Was für ein Niveau!)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711034700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blüm.

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0711034800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede Zeit war von ihrer eigenen Bedeutung überzeugt. Doch der Rückblick zeigt, daß nicht jede Epoche gleich wichtig war. Ob unsere Zeit zu den großen Umbruchzeiten der Geschichte gehört, wird erst die Zukunft beurteilen können, nämlich dann, wenn unsere Entscheidungen der Vergangenheit angehören. Neue Krisen und Konflikte jedoch lassen die Vermutung wahrscheinlich erscheinen, daß wir an einer entscheidenden Weggabelung stehen.
Das Wachstum der Wirtschaft ist an seine Grenzen gestoßen, das Tempo kann nicht so bleiben, wie wir es lange für selbstverständlich gehalten haben. Das Verhältnis der reichen Industrieländer zu den armen Habenichtsen dieser Erde ändert sich, und auch die Zuordnung von Kapital und Arbeit wird nicht so bleiben, wie sie ist.
Die Dominanz des Kapitels in unserem Unternehmensrecht, geboren in einer Mangelsituation, als im industriellen Aufbruch ein ungeheurer Investitionsbedarf entstand, wird zurückgenommen werden müssen. Der technisch-wirtschaftliche Fortschritt wird heute entscheidender durch Arbeit und durch den Einsatz der menschlichen Intelligenz bestimmt als durch den Kapitaleinsatz, der nach wie vor unerläßlich ist. Kapital und Arbeit werden ihre Zuordnung auch verändern, weil sich das Selbstbewußtsein der Arbeitnehmer verändert hat, weil wir vor einer verfeinerten Sensibilität stehen, die nicht so sehr bedroht wird durch materiellen Mangel — jedenfalls in unseren Breitengraden —, die sehr viel mehr provoziert wird durch die Gefährdung der Selbstachtung in der Arbeit. Es scheint sicher zu sein, daß es in dieser unserer Wirtschaft nicht mehr so sehr um das Was und Wieviel des Produzierens geht, sondern ebensosehr um das Wie, um den Wirtschaftsstil. Wir stehen nur vor der Wahl, ob wir von der Entwicklung geschoben werden oder ob wir die Entwicklung und den Weg selbst bestimmen.
Kapital und Arbeit sind keineswegs das einzige Schema des Konflikts, und es wäre ein zu einfaches Schema, alle Probleme unter diesen Streit Kategorien zu bringen. Aber das verbindet die Mitbestimmungsdiskussion mit allen anderen Problemen: daß wir uns entscheiden müssen, hier und heute, in dieser unserer Gesellschaft, ob wir ihre Probleme, ob wir ihre Konflikte lösen durch den freien Einsatz von Macht — der Stärkere setzt sich durch — oder durch



Dr. Blüm
Kooperation, durch soziale Rücksichtnahme. Das erste ist die Methode des Klassenkampfes, das zweite ist die Methode der Partnerschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Auch das partnerschaftliche Ordnungsmodell wird die Besitzstände nicht unverändert lassen. Partnerschaft ist entgegen anders lautenden Meldungen nicht die Absegnung des Status quo.
Wer sein Vertrauen auf Übermacht, auf den sozialen Freistilringkampf setzt, der darf nicht die Hoffnung haben, der Sieger würde von vornherein feststehen, und zwar weder in den Beziehungen zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern — sie brauchen sich nur auf ihre Rohstoffmonopole zu besinnen — noch in den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit. Auch jene Arbeitnehmer hätten zu kurz gesetzt, hätten ihr Heil an der falschen Stelle gesucht, die glaubten, mit der Vernichtung der Privateigentumsordnung, mit der Vernichtung des Privatkapitals seien sie weitergekommen. Sie würden damit nur die Chance vernichten, selber Miteigentümer in dieser Wirtschaft zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wer das kollektive, ja vielleicht sogar das globale Catch-as-catch-can vermeiden will, der wird jetzt auf Kooperation umschalten müssen. Ich glaube nicht, daß wir uns den Zeitpunkt aussuchen können. Eine kooperative Gesellschaft ist auf Machtbalance angewiesen. Partnerschaft kann nur in einem Ordnungsmodell praktiziert werden, in dem Machtgleichgewicht herrscht; denn dort, wo einer der Kontrahenten einen Machtvorsprung hat — und sei es nur der Machtvorsprung einer Stimme —, ist der andere bestenfalls der Empfänger von Wohltaten, aber nicht gleichberechtigter Verantwortungsträger mit dem anderen.
Wer solche Machtverteilung und -impulse der partnerschaftlichen Ordnung als Sozialismus verdächtigt, ist entweder ein Dummkopf oder ein Demagoge. Es gehört zu den originären Beitragen der christlichen Soziallehre, diese machtverteilenden Prinzipien als Bestandteil der Partnerschaft erkannt zu haben. Ich trage das hier nicht mit irgendeiner Absicht auf Patentschutz für die christliche Soziallehr vor; aber ich finde, es ist wichtig, auf die Herkunft hinzuweisen, weil die Herkunft auch die Absicht verdeutlichen kann. Man kann ja auch von Eltern auf Kinder schließen.
Ich gebe zu, daß andere andere Ziele mit der Mitbestimmung und mit der Partnerschaft anstreben, daß sie sie womöglich als Durchgangsstation zu ihren Träumen von der klassenlosen Gesellschaft betrachten. Aber diese Gefährdung teilt die Mitbestimmung mit anderen Errungenschaften der Freiheit. Auch die parlamentarische Demokratie wird von manchen ihrer Benutzer als eine Durchgangsstation, als ein Hebel für die Rätedemokratie angesehen. Dennoch lassen wir uns durch den Mißbrauch den rechten Gebrauch nicht vermiesen! Es heißt politisch, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, den Mißbrauch bekämpfen, ohne den Gebrauch zu verhindern. Deshalb bleiben wir bei der Partner Schaft.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Mitbestimmung ist für uns kein Etappenziel, sondern Bestandteil einer partnerschaftlichen Ordnung, in der neben Mitbestimmung auch Miteigentum unerläßlich ist. Wir wünschen eine Gesellschaft, in der der Bürger als Mitbestimmer und als Miteigentümer im Spiel ist und in beiden Rollen an sein Unternehmen gebunden ist, so daß Interessenkonflikte nicht mehr die Konflikte zwischen Klassen sind — für die einen die Arbeit, für die anderen das Kapital — sondern auch Konflikte zwischen Rollen, die in der Brust des einzelnen gelöst werden müssen.
Wir können Mitbestimmung hier heute nicht als ein punktuelles Gesetz behndeln, mit dem ein paar Interessenten abgespeist werden; wir sollten Mitbestimmung hier als Bestandteil einer größeren Idee diskutieren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Händeklatschen bei den Regierungsparteien.)

Weil das so ist, bedaure ich es, daß die Eigentumsfrage bei Ihnen ausgefallen ist. Herr Maihofer widmet sich ja inzwischen anderen Ordnungsfragen, und aus dem sozialliberalen Ankündigungsgegacker in Sachen Eigentumspolitik ist ja nichts geworden. Von Versprechungen können sich Arbeiter aber auch gar nichts kaufen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

In der Tat: Wir stehen unter Zeitdruck. Jeder Tag, an dem nichts geschieht, schafft neue unkorrigierbare Ungerechtigkeiten, jedenfalls für die, die auf der Verteilung des Zuwachses bestehen. Revolutionäre haben Zeit; die können die Ungerechtigkeiten der letzten hundert Jahre noch wettmachen. Wer auf Evolution setzt, steht unter Zeitdruck. Deshalb müssen wir auf der Ergänzung der Mitbestimmung durch Miteigentum hier und heute bestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Nun, auch aus der großen Mitbestimmungsidee ist mehr ein Koalitionskompromißkuhhandel geworden. So weit kommt man, wenn man eine große Idee ummünzt in das Kleingeld einer Wählerabfütterung: Für jeden ein bißchen, im ganzen aber nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Für die SPD die numerische Parität, für die FDP die sublime Disparität. Herr Arendt wird den DGB beruhigen — bei Herrn Vetter wird er ja keine großen Schwierigkeiten haben — und Graf Lambsdorff die Industrie. So ist jedem gedient, nur nicht der Mitbestimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Kapital und Arbeit sind in Ihrem Entwurf nicht im Gleichgewicht — das dürfte Ihnen ja nicht entgangen sein —,

(Zuruf von der SPD: Wo ist denn Ihr Entwurf?)

weil auch Sie für den Notfall den Notausgang
Hauptversammlung bereitstellen. Ich kann Ihnen,



Dr. Blüm
Herr Minister Arendt, nicht folgen, wenn Sie das als einen nur theoretischen Unterschied bezeichnen, der für die Praxis keine Bedeutung hat. Dann frage ich mich nämlich, warum die Gewerkschaften gegen diesen theoretischen Unterschied kämpfen. Ich habe die Kollegen in den Gewerkschaften immer als sehr praxisnah empfunden, die sich nicht mit nur Theorien aufhalten, sondern genau auf diese praktischen Unterschiede Wert legen.
Deshalb kann ich, Herr Minister, Ihren Entwurf nur als die Festlegung einer sublimen Disparität bezeichnen. Ich muß allerdings eingestehen, daß der Entwurf den Notausgang Hauptversammlung etwas besser versteckt hat, als ihn die CDU in Hamburg versteckt hat. Aber obwohl er versteckt ist, ist er trotzdem vorhanden. Wir sollten es uns nicht entgehen lassen, das hier in aller Öffentlichkeit darzustellen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Sie haben ihn versteckt mit einer Choreographie des Verschleierungstanzes.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Erstens kann im Falle der Stimmengleichheit — das sollte man doch einmal jedem vorführen; ich kann mir ja vorstellen, daß Sie kein Interesse daran haben, wenn das so offen dargestellt wird —, also im Patt, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von der Mehrheit beider Seiten für diesen konkreten Fall der Stichentscheid zugestanden werden. Ich frage Sie: Wem wird man denn eine Stichentscheidungsmöglichkeit geben, wenn man weiß, für welche Seite er sie nutzt? Diese Stichentscheidungsmöglichkeit wird nie zum Zuge kommen. Deshalb kann ich nur sagen: Papier, Papier, Papier. Die Arbeitnehmer nennen so etwas Augenwischerei.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Franke [Osnabrück] : Die nennen das noch deutlicher!)

Zweitens sollen im Falle des Patts, im Falle des Unentschiedens die Vorsitzenden alle zwei Jahre zwischen den Gruppen wechseln; zwei Jahre die eine Seite, zwei Jahre die andere Seite. Wenn man das ernst nehmen will, dann wird ja wohl jede Seite ihre Zeit nutzen müssen. So etwas nenne ich Aufsichtsrat als Selbstbedienungsladen, aber nicht als partnerschaftliches Instrument.
Wenn man sich nicht einigen kann — das ist der dritte Beitrag zur Verschleierung —, soll das Los entscheiden, wer mit dem Vorsitz beginnt. Mit anderen Worten: die Mitbestimmungslotterie ist eröffnet.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

— Ich habe Verständnis dafür, daß Sie das nicht gerne hören. — Einen Vorschlag, den man mit Verschleierung, mit Augenwischerei, mit Selbstbedienung, mit Lotterie qualifizieren muß, einen solchen Vorschlag, der diese Qualifikationen verdient, kann man nicht qualifizierte Mitbestimmung nennen. Ich meine auch: Wenn jemand Verschnitt anbietet, kann er nicht Spätlese auf die Weinflasche schreiben, und
Sie können nicht paritätische Mitbestimmung auf Ihren Entwurf schreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711034900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0711035000
Aber bitte!

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0711035100
Herr Kollege Blüm, darf ich Sie fragen, ob Sie nach diesen Büttenredeneinlagen konkret zur Sache — —

(Abg. Seiters: Die halten Sie doch immer! — Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711035200
Herr Kollege, Zwischenfragen müssen sich einer Wertung enthalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wohl!) Ich bitte Sie, entsprechend zu verfahren.


Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0711035300
Entschuldigen Sie, Herr Präsident — aber das Haus hat trotzdem zur Kenntnis genommen — —

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711035400
Herr Kollege, jetzt bringen Sie mich bitte nicht in die Lage, daß ich Ihr Verfahren qualifizieren müßte.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0711035500
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Blüm, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß die Tatsache, daß der Aufsichtsratsvorsitz in Zukunft nicht mehr für immer und ewig nur von der Anteilseignerseite gestellt wird, sondern im periodischen Wechsel von der einen zur anderen Seite geht, ein Zeichen der Gleichberechtigung und der Gleichwertigkeit von Arbeit und Kapital ist?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0711035600
Lieber Kollege Wolfram, ich will das durchaus als ein erfreuliches Zeichen werten, nur mit Mitbestimmung im Sinne der Partnerschaft haben solche mehr prestigeorientierten Kategorien wie die Frage des Vorsitzes relativ wenig zu tun.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nichts zu tun!)

Es ist sehr viel entscheidender, ob man die Mehrheit hat bzw. ob man im Gleichgewicht im Aufsichtsrat sitzt.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Also doch Spätlese!)

Nun aber zum Problem der leitenden Angestellten, die ja auch ein leidvolles Thema in der Diskussion um die Mitbestimmung sind. Ich gebe zu, meine Damen und Herren — das wird jeder Betrachter zugeben müssen —: Die Arbeitnehmerschaft des Jahres 1974 ist nicht mehr die Arbeitnehmerschaft des 19. Jahrhunderts. Die Arbeitnehmerschaft differenziert sich, sie ist nicht mehr die graue Masse aus der Zeit unserer Großväter. Und niemand, so meine ich,



Dr. Blüm
sollte vor der Tür der Mitbestimmung stehen, alle Arbeitnehmergruppen sollten in die Mitbestimmung einbezogen werden.
Die Frage ist nur: Wer ist leitender Angestellter? Diese Frage werden Sie nach dem Urteil von Kassel nicht in der gleichen Weise beantworten können wie vorher. Denn das werden Sie mir ja sicher zugestehen: daß es sehr viel mehr Angestellte gibt, die sich für „leitend" halten, als es „leitende" gibt; die Frage müssen Sie dann durch Definition klären. Jedenfalls: der Andrang zu dieser Kategorie ist größer als die dafür vorhandenen Plätze. Und ich kenne Vorarbeiter im Stundenlohn, die mehr Leitungsbefugnisse haben als hochqualifizierte Angestellte, die still vor sich hinforschen und deshalb keine leitenden Angestellten sind. Sie werden also diese Frage jedenfalls exakt durch Definition klären müssen und nicht einfach so lassen können, wie sie jetzt ist.
Aber, meine Damen und Herren, abseits der großen Regelungen — Aufsichtsrat, Zusammensetzung des Aufsichtsrats — wird der Lebensnerv der Mitbestimmung, einer emanzipatorischen Mitbestimmung, durch die Antwort auf die Frage bestimmt: Wer bestimmt mit? Wir meinen, die Antwort kann nur heißen: Der Arbeitnehmer, nicht eine Arbeitnehmerschaft an und für sich, nicht irgendein leerer Kollektivbegriff, sondern der konkrete, lebendige Arbeitnehmer ist Subjekt und Träger der Mitbestimmung, die wir meinen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Eine Mitbestimmung, die den konkreten einzelnen Arbeitnehmer nicht erreicht, ist bestenfalls Elitenaustausch im Himmel der Unternehmenshierarchie. Für den Schlosser Meier — oder wie immer er heißt — ist sie weit vom Schuß und außerhalb seines Erlebnisbereiches. Wenn wir die Mitbestimmung davor bewahren wollen, abzusterben, werden wir die Mitbestimmer davor bewahren müssen, ins Establishment aufgenommen zu werden. Die Mitbestimmungsrepräsentanten müssen in der Hand der Mitbestimmungsrepräsentierten bleiben, und das ist eine Frage des Wahlrechts, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Seit mehr als 20 Jahren können die Arbeitnehmer nach dem Betriebsverfassungsgesetz in direkter — Herr Minister, § 76: „in allgemeiner, gleicher, unmittelbarer Wahl" — ihre Vertreter wählen.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Geheimer!)

Ich kann nur fragen: Sind die Arbeitnehmer dümmer geworden, daß ihnen jetzt plötzlich zwangsweise Wahlmänner vorgeschrieben werden?

(Abg. Reddemann: Sehr gut!)

Ich gebe zu, daß man in einer Massendemokratie nicht ohne Repräsentation, nicht ohne Übersetzung auskommen kann. Nur, wo sie vermeidbar ist, brauchen wir sie nicht. Das sie in der Mitbestimmung vermeidbar ist, hat die Praxis des Betriebsverfassungsgesetzes nachgewiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Bürger wählen in Wahlkreisen mit bis zu 250 000 Stimmberechtigten ihren Abgeordneten direkt, sie wählen ihre Gemeinderäte direkt, nur die Arbeitnehmer sollen in einem Betrieb dieses direkte Wahlrecht nicht haben. Deshalb ist dieses Wahlrecht, das Sie vorschlagen, schwächer als das allgemein politische Wahlrecht, das wir hier zu Lande praktizieren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren von der FDP, Sie kann ich nun bei Gott nicht verstehen. Sie haben einst vorgeschlagen, den Bundespräsidenten in der Urwahl aller Bürger wählen zu lassen, und Sie stellen nun den Arbeitnehmern das Armutszeugnis der Wahlmännervorschrift aus.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Deshalb kann ich für Ihr Verhalten kein Verständnis aufbringen.
Auch ein paar Worte an Sie, meine Damen und Herren von der SPD. Sie haben in Ihrem alten Entwurf 1968 die Unternehmensversammlung, die ja keineswegs nur Wahlmänneraufgaben, sondern durchaus Sachinhalte der Mitbestimmung zu behandeln hatte, auch in direkter Wahl wählen wollen. Ihr heutiger Bundeskanzler hat noch 1971 im ,,Volkswirt" festgestellt, daß er für eine Mitbestimmung ist — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —, „in der jeder, der die Arbeitnehmerschaft im Aufsichtsrat vertritt, in geheimer Wahl von der Belegschaft gewählt werden muß". Von einem Wahlmännergremium war in diesem Zusammenhang keine Rede. Ich hoffe, der Herr Bundeskanzler erinnert sich an seine guten Vorsätze und macht von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Es geht — um auch das klarzustellen — in der Mitbestimmung nicht darum, daß jeder über alles mitredet; der Sachverstand soll ja nicht außer Kraft gesetzt werden. Nur so viel soll erreicht werden: daß die Arbeitnehmer Vertreter ihres Vertrauens dort haben, wo die Entscheidungen fallen. Um zu entscheiden, wer ihr Vertrauen hat, brauchen die Arbeitnehmer keinen Vormund, brauchen sie niemand, der bestimmt, wer für sie mitbestimmt. Das ist der Fürsorge zu viel, auf die die Arbeitnehmer verzichten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber, meine Damen und Herren, ihr Wahlslalom wird ja noch verwirrender. Für die Wahlmänner schlagen Sie das Verhältniswahlrecht vor, für die Wahl des Aufsichtsrates durch die Wahlmänner schlagen Sie das Mehrheitswahlrecht vor, und zwar ein Mehrheitswahlrecht, das nicht mehr zu übertreffen ist, ein Mehrheitswahlrecht, das so perfekt ist, daß womöglich gar keine Minderheit mehr entsteht. Ich wußte gar nicht, daß es so ein perfektes Mehrheitswahlrecht gibt. 51 % des Aufsichtsrates bestimmen, wie 100 % des Aufsichtsrates aussehen. Meine Damen und Herren, das kann nicht Ihre Vorstellung von Demokratie sein!

(Abg. Franke [Osnabrück]: Doch!)




Dr. Blüm
Und Sie, meine Damen und Herren von der FDP, leben davon, daß es hier hinsichtlich der Wahl des Bundestages kein Mehrheitswahlrecht gibt; sonst wären Sie ja längst nicht mehr in diesem Hause.

(Große Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)

Vielleicht haben Sie zu wenig Männer und Frauen im Betrieb, die sich für die Aufsichtsratswahl zur Verfügung stellen, wenn Sie ein solches Mitbestimmungs-Wahlrecht mitmachen. Ich würde Ihnen jedenfalls raten, in dieser Frage eine Suchmeldung in Sachen Liberalität aufzugeben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Man könnte darauf antworten: Prinzipien hin, Prinzipien her; Hauptsache, der Koalitionskompromißkuhhandel stimmt; das ist Ihre Sorge. Meine Sorge ist es, daß die Arbeitnehmer bei diesem Verfahren den Spaß an der Mitbestimmung verlieren. Ich sage nicht, es sei undemokratisch, aber ich behaupte, es ist weniger Demokratie — und Sie haben mehr Demokratie versprochen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch ein Wort zu den Gewerkschaften sagen. Ich glaube, daß wir auf die Gewerkschaften nicht verzichten können. Das sage ich nicht mildherzig-barmherzig, sondern als überzeugter Gewerkschaftler. Die Gewerkschaften sind als Ordnungsfaktoren unentbehrlich, auch in der Mitbestimmung, aber wir wollen keine Mitbestimmung d e r Gewerkschaften, wohl eine Mitbestimmung mit Hilfe der Gewerkschaften. Deshalb wünschen wir uns, daß sich die Gewerkschaften in dieser Frage, in dieser Auseinandersetzung eines hohen Maßes an Objektivität befleißigen. Unsere Wünsche sind nicht übertrieben. Wir wünschen nicht, daß die CDU unter Naturschutz gestellt wird, wir wünschen nur, daß sie mit der gleichen Elle gemessen wird wie diese Koalition. Das ist ein sehr bescheidener Wunsch.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gegenüber den Verwaltern der Macht, wie immer die Regierung heißt, müssen die Gewerkschaften eine kritische Distanz einnehmen. Koalitionen kommen und gehen, die Gewerkschaften werden auch übermorgen noch Politik machen müssen, und ihre Politik übermorgen wird daran gemessen werden, wie sie sich heute gegenüber SPD und FDP verhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir können uns auch als Gewerkschafter nicht auf eine Arbeitsteilung einlassen: für die CDU die Pfiffe, für die SPD den Beifall. Was richtig ist, muß richtig bleiben, und was falsch ist, ist falsch, ohne Rücksicht darauf, woher es kommt; denn über die Qualifikation einer Sache entscheidet nicht der Produzent, sondern das Produkt. Das müssen Gewerkschafter wissen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Glombig sowie weitere Zurufe von der SPD.)

Ich gehöre keineswegs zu denen, die in Kollektivurteilen sprechen. Ich weiß, daß es eine Reihe von Gewerkschaftskollegen gibt, und zwar keineswegs solche, die meiner Partei angehören, welche über die Entwicklung beunruhigt sind und es nicht für gut halten, wenn im Sinne eines Kurzschlusses Verbindungen zwischen SPD und DGB geschaffen werden, weil ein solcher Kurzschluß alle Sicherungen durchbrennen läßt. Wir haben das in den zurückliegenden Wahlkämpfen gerade erlebt.
Wir wünschen uns Gewerkschaften, die auch diese Koalition unter kritischer Kontrolle halten. Meine Damen und Herren, ich habe gar keine Schadenfreude in diesem Zusammenhang: Es kann doch angesichts der Mitbestimmungsdiskussion nicht das Märchen aufrechterhalten werden: die sozialliberale Mitbestimmungsfee und die böse Hexe CDU. Das kann doch angesichts der Vorschläge, die Sie gemacht haben und die wir auch mit Hamburg vergleichen, wirklich nicht behauptet werden. Das einzige Paritätsmodell, das wir hier in diesem Lande haben — darauf ist schon hingewiesen worden —, ist 1951 verabschiedet worden, als die CDU in diesem Hause die stärkste Fraktion war und die Regierung bildete.

(Abg. Katzer: Sehr wahr!)

Nun haben Sie, Herr Kollege Rappe, darauf geantwortet, es sei trotz dieser CDU-Mehrheit den Gewerkschaften zu verdanken, ihrem entschlossenen Widerstand, und — der Herr Schmidt hat das bestätigt — die Gewerkschaften hätten das gegen die CDU durchgesetzt. Dann kann ich nur fragen, warum sie das nicht heute auch tun.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Dann war es offenbar leichter, sich gegenüber der CDU durchzusetzen als gegenüber einer Koalition, von der behauptet wird, sie sei den Gewerkschaften besonders nahestehend.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Rappe, Sie haben heute ich muß
sagen: nicht sehr kreativ —

(Abg. 'Seiters: Das kann man wohl sagen!)

das Thema Sozialausschüsse wieder hier vorgeführt. Viel Neues ist Ihnen dazu nicht eingefallen: Feigenblatt, Badehose — —

(Zuruf von der SPD: Ihnen auch nicht! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, warum Sie sich ständig die Kleidersorgen der CDU machen. Sie sind doch selbst in der Mitbestimmung halbnackt; da brauchen Sie sich doch nicht um uns zu kümmern.

(Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ CSU.)

Meine Damen und Herren, bevor Sie in dieser Frage die Splitter in den Augen der Mitglieder der Sozialausschüsse suchen, sollten sich die Gewerkschafter in der SPD mal die Balken aus ihren eigenen Augen holen; und sie brauchen keine Pinzette dazu.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Blüm
Sie haben die Zahlenverhältnisse aus der Abstimmung in Hamburg genannt, die im übrigen den Sachverhalt nicht ganz trafen. Aber immerhin in Ihrer Fraktion war nur ein Gewerkschafter, der gegen dieses Koalitionsmodell gestimmt hat; alle anderen haben gekuscht. Das sollen wir doch auch einmal feststellen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie brauchen sich nicht zum Richter über die Sozialausschüsse zu erheben,

(Zuruf des Abg. Fellermaier sowie weitere Zurufe von der SPD)

Sie, der Sie sonntags den Freibetrag mit dem DGB und mit der CDU erhöhen wollen und mittwochs hier keinen einzigen SPD-Gewerkschafter hatten, der im Sinne der Gewerkschaften abstimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie haben einen besonderen Ehrgeiz, sozusagen im preußischen Stechschritt hier einen Parademarsch der Einigkeit vorzuführen. Ihr Fraktionsvorsitzender spricht davon, daß es keine wechselnden Mehrheiten gäbe, und alle Fraktionen bestätigen es, und anschließend sagen Sie: Wir wollen doch einmal sehen, ob die Sozialausschüsse mitmachen. — Denken Sie, wir seien für die lediglich Stimmvieh? Da wird man schon mit uns sprechen müssen!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die CDU hat ein neues Unternehmensrecht auf der Grundlage der Parität angekündigt. Sie sehen: Es ist nicht aller Tage Abend.

(Abg. Dr. Ehrenberg: Für die CDU doch!)

Zahlen sind in der Mitbestimmungsfrage wichtig; das zeigt diese Auseinandersetzung. Ich will die Bedeutung von Zahlen nicht mindern. Doch wird die Mitbestimmung im umfassenden Sinn nicht allein durch Zahlenverhältnisse definiert. Darin liegt kein Rückzug von der Wichtigkeit der Zahlen. Ich mache nur darauf aufmerksam, daß mit Zahlen allein die Mitbestimmung nicht ausgefüllt ist. Vielmehr muß auch die Frage der Effektivität der Aufsichtsräte gestellt werden.

(Zuruf von der SPD.)

— Haben Sie doch einen Moment Geduld! Ich sage doch gar nichts Böses! Vielleicht hören Sie einen Moment zu; es könnte ja sein, daß sogar Sie noch etwas lernen.

(Abg. Stücklen: Unmöglich!)

Unabhängig von der Zusammensetzung der Aufsichtsräte ist die Frage zu stellen, ob die Aufsichtsräte nicht in zunehmendem Maß vom Management überspielt werden, ob der Informationsvorsprung der Vorstände nicht immer mehr wächst — und proportional mit ihm die Ratlosigkeit des Aufsichtsrats, der gegenüber den Profis des Managements geradezu einen Amateurstatus hat und in Gefahr ist, zu einer Ritualveranstaltung abzusinken, die lediglich der Absegnung längst beschlossener Vorstandsplanungen dient.
Ein neues Unternehmensrecht, das nicht nur die Paritätsfrage, sondern auch die Effektivitätsfrage klärt, ist um der Mitbestimmung willen dringlich. Denn Mitbestimmung an einem unwichtigen Platz dient niemandem. Wir wollen sie dort haben, wo die wirklichen Entscheidungen fallen.
Zur Mitbestimmung gehört neben der Ausgestaltung des Unternehmensrechts die Humanisierung des Arbeitslebens, weil hier ein Potential von Mitverantwortung und der Spaß an der Mitwirkung und der Geschmack an der Mitverantwortung geweckt werden müssen und wir deshalb Arbeitsplätze brauchen, wo die Arbeitnehmer nicht wie abgerichtete Affen arbeiten, sondern humanes Wohlempfinden erleben können. Das ist eine Aufgabe, die im Zusammenhang mit der Mitbestimmung ebenfalls gestellt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Darüber hinaus muß die Mitbestimmung durch eine Bildungspolitik ergänzt werden, die die Arbeitnehmer in die Lage 'versetzt, neue Chancen zu nutzen. Alle Institutionen sind ja nur ein Angebot; wenn sie nicht genutzt werden, sind sie umsonst. Deshalb wird zusammen mit dem Neubau des Unternehmensrechts und mit der Humanisierung den Arbeitswelt die Bildungspolitik eine wichtige Voraussetzung für eine partnerschaftliche und effektive Mitbestimmung sein.
Die Mitbestimmung ist nur ein Teil unserer Bestrebungen für eine humane Gesellschaft — ein sehr wichtiger, wahrscheinlich sogar der wichtigste Teil, aber immerhin nur ein Teil. Es gibt auf dieser Welt kein politisches Simsalabim und keinen politischen Vorschlag, der auf einen Schlag alles löst. Deshalb werden wir unsere Anstrengungen in der Mitbestimmung unverändert lassen, uns allerdings nicht nur auf die Mitbestimmung konzentrieren.
Es ist Zeit zu einer großen ordnungspolitischen Selbstbesinnung, in der es keine Tabus geben darf und auch keine parteipolitische Egoismen und keine Perspektiven, die durch die Scheuklappen der Parteipolitik beengt sind, geben sollte. Für uns lautet die Grundsatzfrage — damit kehre ich zu meinem Ausgangspunkt zurück ----, ob wir den Weg des Klassenkampfes oder den Weg der Partnerschaft gehen. Wir entscheiden uns gegen Klassenkampf und für Partnerschaft.

(Lebhafter, lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711035700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Farthmann.

(Abg. Rollmann: Jetzt kommt der einzige Gerechte!)


Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711035800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann sicherlich darüber streiten, welchen Sinn derartige Debatten hier haben, wie wir sie heute führen. Aber ich finde, wer davon ausgeht — das ist bei mir eigentlich der Hauptgrund, eine solche Debatte zu führen —, daß diese Debatten dazu dienen sollen, den Wählern und der Offentlichkeit klarzumachen, welchen Standpunkt welche Parteien vertreten, dann



Dr. Farthmann
sind wir heute und ist die Offentlichkeit bei dieser Debatte schlecht weggekommen.

(Beifall bei der SPD.)

Dabei geht es gar nicht darum, Kollege Blüm, und es mutet Ihnen keiner zu, die Sozialausschüsse als Stimmvieh zu bezeichnen oder benutzen zu wollen, sondern es geht darum — das ist doch letzten Endes, meine Damen und Herren, die Rechtfertigung für das Parteienprivileg! —, daß die Parteien ihre Meinungen äußern und nicht Herr X oder Herr Y.

(Beifall bei der SPD.)

Ich kann nur sagen: Was wir heute gehört haben von Herrn von Stauffenberg einerseits — —

(Abg. Mick: Dann sind Sie Herr Y in der SPD!)

— Nun lassen Sie mich doch zu Ende führen, Herr Kollege Mick!
Ich wollte gerade sagen: Wenn wir uns vor Augen führen, was uns hier vorgetragen worden ist, das von Herrn von Stauffenberg, soweit ich es verstehen konnte, auf der einen Seite, und das vom Kollegen Blüm auf der anderen Seite, dann kann man doch wohl, ohne Ihnen Unrecht zu tun, sagen: Dazwischen liegen Welten!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU müßte doch, wenn er in diesem Augenblick die Offentlichkeit informieren wollte. sagen — das wäre das notwendige Resümee —: Die Mitglieder meiner Fraktion, die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, kritisieren alle aus den unterschiedlichsten Gründen den Mitbestimmungsentwurf, der jetzt vorliegt, aber wir als Partei sind nicht in der Lage, auch nur den Schimmer eines Entwurfs vorzulegen; wir müssen passen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Reddemann meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Nein, nein!

(Unruhe. — Glocke des Präsidenten. — Abg. Reddemann: Behauptungen aufstellen und keine Frage zulassen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang hat sich Kollege Franke mit der ihm eigenen Behendigkeit darauf berufen, etwa in der Frage des Wahlverfahrens lautstark zu sagen: Das Wahlverfahren für die Wahl der Arbeitnehmervertreter — so steht es auch im Hamburger Programm — muß den Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes Rechnung tragen. Da kann ich nur sagen, insofern wollen wir uns nichts vormachen: Das ist doch ein Gemeinplatz, den unterschreibt noch die NPD genauso wie die DKP!

(Heiterkeit bei der SPD.)

Da fängt das Problem doch erst an. Da werden Sie in den Ausschußberatungen Farbe bekennen müssen, ob wir Vorschlagsrechte haben wollen, ob wir diese so lassen wollen, wie sie im Gesetzentwurf stehen; das sind sehr schwierige Fragen. Aber so
„billigen Schnaps", Kollege 'Franke, gibt's dabei nicht!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Dann hat uns Kollege Franke vertröstet mit dem Hinweis auf die Beschlüsse von Hamburg zu der berühmten Reform des Unternehmensrechts. Jeder, dem diese Materie bekannt ist, hat ja auch mit großem Interesse gehört und gelesen, was der CDU-Parteitag in Hamburg beschlossen hat. Da steht nun drin: „Der Arbeitnehmer soll künftig Mitglied des Sozialverbandes sein, er soll eine gleichberechtigte gesellschaftsrechtliche Mitbestimmung haben." Meine Damen und Herren! Ich persönlich bin davon überzeugt — ich riskiere das heute an dieser Stelle —: Diese verblasene Phraseologie verschwindet genauso schnell, wie ihre formierte Gesellschaft verschwunden ist; da ist nichts dran!

(Beifall bei der SPD.) Das hilft uns nicht weiter.

Dann steht da weiter, daß der ordnungspolitische Zusammenhang — und wer Herrn Biedenkopf kennt, weiß, wer es geschrieben hat — von Koalitionsfreiheit, Unternehmensautonomie und Privateigentum gesichert werden müsse. Meine Damen und Herren, das ist doch nichts weiter als die verschämte Umschreibung der Auffassung — sagen wir es doch deutlich; Herr Biedenkopf sagt es ja deutlich, und Sie als Partei sollten es dann auch deutlich sagen —: Wer Mitbestimmung will, dem muß der Streik verboten werden. Das heißt das nämlich. Und da kann ich nur sagen: das werden sich die Gewerkschaften sehr überlegen, und das werden sich auch die Arbeitnehmer sehr überlegen, ob sie einen solchen Tausch machen können, den Sie ganz offensichtlich mit dieser großen Vision vorhaben.

(Zurufe von der CDU/CSU: Wo steht das denn? — Wo steht, daß der Streik verboten wird?)

— Nein, ich habe doch gesagt, das ist die verschämte, um nicht zu sagen verblasene Umschreibung dessen. Das kann ich Ihnen wörtlich vorlesen. Lesen Sie doch nach, wie Herr Biedenkopf das konkretisiert hat!

(Abg. Reddemann: Interpretation Farthmann! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Unterstellung! — Das behaupten Sie!)

— Vielleicht kenne ich die Schriften Ihres Generalsekretärs besser als Sie selbst; ich kann es nicht ändern.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Franke [Osnabrück] : Kein Beschluß des Hamburger Parteitages!)

Und dann noch eines, Herr Franke: Sie waren so nett und haben uns die ganzen alten Kamellen der letzten 100 Jahre vorgeführt, aus einer Zeit also, Kollege Franke, als — das muß man doch wohl auch sagen dürfen — es Ihre Partei überhaupt noch nicht gab, als noch keiner an ihre Gründung dachte.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Völlig richtig! — Abg. Reddemann: Deswegen sind wir auch nicht so eingetrocknet!)




Dr. Farthmann
Das sind doch Antworten aus einer Zeit, die andere Fragen stellte, und es bringt nun wirklich die Diskussion nicht weiter, wenn man heute mit diesen alten Kamellen über Mitbestimmung redet.
Tatsache ist für die SPD, für die Partei, für die ich hier spreche, daß wir den Wettbewerb bejahen, daß die Mitbestimmung kein Ersatz ist für Wettbewerb. Wenn Sie so wollen, meine Damen und Herren, ist in dieser Legislaturperiode an effektiver Erhaltung und Förderung durch die Novellierung des Kartellrechts für den Wettbewerb mehr getan worden als in den 20 Jahren vorher.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Vorsitz:: Vizepräsident Dr. Jaeger.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711035900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711036000
Aber gern!

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711036100
Herr Kollege Farthmann, wollen Sie im Ernst behaupten, daß es in Ihrer Partei nicht neomarxistische und, wenn Sie so wollen,

(Zurufe von der SPD)

da das 130 Jahre alt ist, reaktionäre neue Ergüsse ergibt, die nach diesem alten Muster unsere Gesellschaft neu ordnen wollen?

(Weitere Zurufe von der SPD.)


Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711036200
Herr Kollege Franke, ich frage auch nicht, was für Randgruppen es in Ihrer Partei gibt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben doch gerade gesagt, was für eine Gesellschaft wir wären!)

— Es hatte mich eben sehr gereizt, das zu tun. Aber das hilft uns doch nicht weiter. Werten Sie doch bitte unsere Partei nach dem, was unsere Beschlüsse sind, was unsere Gesetzentwürfe sind und was die führenden Repräsentanten sagen. Da wird das, was ich gesagt habe, absolut belegt!

(Beifall bei der SPD.)

Und nun noch eines. Herr Kollege Franke war so nett und gibt mir Gelegenheit, hier noch einmal einen Punkt richtigzustellen. Er hat ein Zitat aus dem, was ich auf dem Saarbrücker Parteitag der SPD 1970 ausgeführt habe, angesprochen. Ich weiß wohl, in welcher Küche dieses falsche Zitat ausgekocht und gegen mich gekehrt wird. Ich sage hier in aller Öffentlichkeit: das geschieht wider besseres Wissen.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Das habe ich aber auch nicht behauptet!)

— Nein, aber das ist jetzt das fünfte- oder sechstemal, daß das von Ihrer Seite gebracht wird.
Ich erkläre hier, und jeder mag es im amtlichen Protokoll nachlesen: Ich habe damals erklärt, daß die Weiterentwicklung über die Mitbestimmung hinaus zur Arbeiterselbstverwaltung wie in Jugoslawien oder zur Sozialisierung als abschreckendes Beispiel genannt werden müßte und eben nicht in dem Sinne, als ob ich das gefordert, befürwortet oder als Zukunftsaufgabe der SPD angedeutet hätte. Es geschieht wider besseres Wissen, wenn das in diesem letzten Sinne gegen mich verwendet wird.
Der Kollege Franke hat sich dann sinnigerweise dem Urteil angeschlossen, das Eugen Loderer, der Vorsitzende der IG-Metall, über die Mitbestimmung abgegeben hat. Kollege Franke, nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich sage, das ist doch nicht ganz redlich. Sie lehnen doch den Entwurf nicht aus den Gründen ab, aus denen ihn Loderer kritisiert.

(Abg. Franke [Osnabrück]: Doch, ich ja!)

Der kritisiert ihn, weil er mehr Mitbestimmung will. Die CDU — jedenfalls in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit — kritisiert diesen Entwurf, weil sie weniger Mitbestimmung will.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das hat uns Herr von Stauffenberg ja doch sehr deutlich gemacht.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711036300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine zweite Frage des Abgeordneten Franke?

Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711036400
Ja!

Heinrich Franke (CDU):
Rede ID: ID0711036500
Herr Kollege Farthmann, glauben Sie nicht auch, daß es sinnvoll war, gegen die Behauptung des Bundesarbeitsministers die Behauptung des Herrn Kollegen Loderer mit dem Etikettenschwindel zu stellen? Der hat nämlich Mitbestimmung gesagt, und Loderer bezeichnet das als Etikettenschwindel. Und nichts anderes tun wir auch als dies, daß wir es als Etikettenschwindel bezeichnen.

Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711036600
Ich glaube aber, es hilft der Diskussion nicht und hilft auch nicht der Information unserer Bürger, wenn man etwas gleichermaßen kritisiert, obwohl man auf der Wertskala auf einer ganz anderen Seite steht.

(Zustimmung bei der SPD.) Daran ist doch nicht zu zweifeln.

Nun will ich versuchen, auch ein paar Gesichtspunkte von dem aufzugreifen, was Herr von Stauffenberg gesagt hat; alles habe ich nicht verstanden, aber soweit ich es verstanden habe, will ich darauf eingehen. Er hat gesagt, der DGB habe die Mitbestimmung zu einer Machtfrage erklärt. Das ist richtig, und das tue ich auch. Ich sehe darin gar nichts Falsches, denn es geht in der Tat darum, die Macht zu teilen. Nur darf hier doch nicht der Eindruck erweckt werden, als würde da irgendwelche Macht neu geschaffen, sondern es geht doch darum, daß Macht heute einseitig verteilt ist. Deshalb soll die Macht geteilt werden.

(Abg. Graf Stauffenberg: Da irren Sie!)


Dr. Farthmann
Es ist eine alte gesellschaftspolitische Erkenntnis und Binsenwahrheit, daß dann, wenn man die Macht teilt, nach dem Widerlagergedanken ein Neutralisierungsprozeß eintritt und die Macht in ihrer Gefährlichkeit insgesamt eher schwindet, sich aber nicht verstärkt.

(Beifall bei der SPD.)

Ich kann ferner nur sagen: Was in den Ausführungen von Herrn von Stauffenberg hier an Gewerkschaftsfeindlichkeit, Gewerkschaftsfurcht und Gewerkschaftsablehnung angeklungen ist — es sei mir gestattet, dies zu sagen, selbst wenn ich einräume, daß ich insofern befangen bin, als ich auch Gewerkschaftsfunktionär bin —, hätte ich im Jahre 1974 des Herrn nicht mehr für möglich gehalten.

(Beifall bei der SPD.)

Herr von Stauffenberg, ich glaube, die Gewerkschaften sind eine gesellschaftliche Gruppe, die für die Erhaltung der demokratischen Freiheit in unserem Lande mehr getan hat, als Sie vielleicht ahnen. Sie sollten das honorieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711036700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten van Delden? — Bitte!

Rembert van Delden (CDU):
Rede ID: ID0711036800
Herr Kollege Farthmann, einmal unterstellt, es ginge lediglich um die Machtverteilung: Sind wir dann nicht alle auch aufgerufen, dafür zu sorgen, daß aus der Machtverteilung nicht eine einseitige Machtverlagerung werden kann?

Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711036900
Das ist der Sinn der Mitbestimmung, an dem mitzuarbeiten ich mir schon sehr viel Mühe gemacht habe.

(Zustimmung bei der SPD.)

Herr Kollege Blüm, es muß nun noch ein Satz zu der Entstehung des Montanmitbestimmungsgesetzes gesagt werden. Die Verabschiedung des Montanmitbestimmungsgesetzes im Jahre 1951 schreibt sich neuerdings die CDU/CSU auf ihre Fahnen. Formal hat sie es zwar verabschiedet;

(Abg. Stücklen: Na also! — Abg. Katzer: Was heißt denn „formal" ?)

aber man muß doch folgendes wissen, Herr Kollege Katzer: Die Mitbestimmung in der Stahlindustrie bestand seit 1947, und es gab Pläne der CDU/CSU — die entsprechenden Gesetzentwürfe waren fertig —, sie zu beseitigen. Dagegen haben die Gewerkschaften den Generalstreik beschlossen.

(Abg. Stücklen: Dieses Haus hat beschlossen!)

Das war eine völlig andere Situation als heute. Damals sollte die bereits bestehende Montanmitbestimmung beseitigt werden. Heute geht es um die Ausdehnung der Mitbestimmung.

(Abg. Stücklen: Wir hatten die Mehrheit! — Lachen bei der SPD.)

— Die hatten Sie. Heute haben Sie sie nicht mehr.

(Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Dr. Ehrenberg: Das ist der große Unterschied!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711037000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner? — Bitte!

(Abg. Reddemann: Befehlsempfänger!)


Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0711037100
Diese Erinnerungen an die 50er Jahre erlauben es mir als einem, der damals dabei war, Sie zu fragen, ob Sie die Interna kennen, zu denen, wenn ich mich nicht falsch erinnere, auch gehörte, daß der damalige Bundeskanzler aus wohlerwogenem politischen Verständnis für die Bedeutung der Mitbestimmung die Abstimmung wiederholen ließ — was einmalig war — d. h. dafür sorgte, daß die Abstimmung wiederholt wurde.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Reddemann: Welch sensationelle Frage!)


Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711037200
Genauso war es.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was nun die Behandlung des Mitbestimmungsentwurfs, der uns vorliegt, angeht, so kann ich an erster Stelle in aller Deutlichkeit sagen, daß es uns nicht darum geht — wie 'der Kollege Blüm gemeint hat —, hier einen Parademarsch der Einigkeit vorzuführen. Es ist von allen Seiten gesagt worden — und ich unterstreiche das noch einmal —: Es werden sehr langwierige und schwierige Beratungen werden, und wir werden in vielen Einzelfällen noch prüfen müssen, welche Veränderungen sichergeben und was uns in den Hearings, die wir planen, vorgetragen wird. Eines ist ganz sicher: Dieses Gesetz ist ebenso wichtig wie schwierig. Wir wollen in dieser Hinsicht durchaus keinen falschen Eindruck erwecken.

(Abg. Katzer: Sehr gut!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun noch zu einigen Einzelfragen Stellung nehmen. Dabei möchte ich zunächst auf das Wahlverfahren zu sprechen kommen. Über das Wahlverfahren ist ja vielgesagt und diskutiert worden. Herr Kollege Franke, es ist geradezu eine Tücke der Geschichte, daß das Wahlverfahren, das in diesem Entwurf vorgeschrieben ist, von Ihnen, von der CDU/CSU im Jahre 1956 bei der Verabschiedung des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes erfunden worden ist!

(Abg. Dr. von Bismarck: Das stimmt nicht genau!)

— Sondern?

(Abg. Dr. von Bismarck: Es ist ganz anders! Erklären Sie einmal, wie es war! Sie haben das Wort!)




Dr. Farthmann
— Tun Sie Butter bei die Fische! Ich habe es bereits erklärt. Es besteht kein Zweifel, daß das Wahlverfahren in dieser detaillierten Form erstmalig im Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz vom 8. August 1956 gesetzlich niederlegt ist, und dieses Gesetz wurde von Ihnen gemacht.

(Abg. Dr. vonBismarck: Es war anders! — Abg. Franke [Osnabrück]: Das ist doch nicht vergleichbar! — Zuruf von der SPD: Wie war es denn?)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711037300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stücklen? — Bitte!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0711037400
Herr Kollege Farthmann, sind Sie mit mir der Meinung, daß Sie — dies entnehme ich Ihren eigenen Ausführungen — sich noch auf dem Stand von 1956 befinden, während wir uns auf dem Stande von 1974 befinden?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Oh-Rufe von der SPD.)


Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711037500
Herr Stücklen, ich wollte gerade auf diesen zeitlichen Wandel eingehen und wollte zitieren, was Herr Franke uns hier gesagt hat: Sie wären als CDU/CSU inzwischen klüger geworden. Ich kann nur sagen — und daran ,wollte ich anknüpfen —: nach meiner Meinung haben Sie seit 1956 nicht viel dazugelernt. Ich will jetzt versuchen, das zu begründen, wenn Sie gestatten.

(Abg. Reddemann: Besser etwas als gar nichts!)

— Herr —, ich weiß Ihren Namen leider nicht.

(Große Heiterkeit bei der SPD.) Sie sind mir schon öfter aufgefallen.


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711037600
Es handelt sich wohl um den Abgeordneten Reddemann.

(Anhaltende Heiterkeit.)


Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711037700
Herr Reddemann, sehr richtig. — Es ist mir schon öfter aufgefallen, Herr Reddemann, daß Sie den Eindruck erwecken, als ob bei Ihnen der Eifer manchmal größer ist als der Sachverstand. Das sollte man nicht tun.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Reddemann: 1 :0 für die Publikumsbeschimpfung!)

Jedes Wahlverfahren, das wir konzipieren und gesetzlich vorsehen, muß ja — das darf man ja wohl auch an dieser Stelle mal sagen — nicht nur demokratisch sein, sondern das muß auch praktikabel sein. Ich weiß nicht, ob Sie sich über das klar sind, was Sie uns als Wahlverfahren heute hier empfohlen haben. Ich weiß nicht, ob Sie die Praxis dieser Wahlverfahren kennen und wissen, wie das aussieht. Sie müssen sich darüber klar sein, daß dieses Wahlverfahren nicht nur für das idyllische Unternehmen von 2 000 Beschäftigten vorgesehen wird, das in einem einzigen Betrieb in überschaubarer
Lage Wahlen durchführen kann, sondern dieses Wahlverfahren ist auch vorgesehen für Unternehmen und Konzerne von Hunderttausenden von Beschäftigten, deren Produktionsstätten über das ganze Bundesgebiet verstreut sind. Nehmen Sie ein typisches Unternehmen wie den Kaufhof oder Karstadt oder die Banken. Da frage ich Sie, ob Sie mir einen Fall nennen können, in dem der Kandidat von Hamburg in Rosenheim bekannt ist und umgekehrt. Wenn Sie hier das direkte Wahlverfahren, die Urwahl vorschlagen, dann schlagen Sie eine Farce vor; darüber müssen Sie sich klar sein.

(Beifall bei der SPD.)

Oder Sie werden künftig die Unternehmen mit personellen und finanziellen Aufwendungen belasten, die die Dimension einer Bundestagswahl annehmen Wenn nämlich künftig jeder Wähler auch nur die Chance haben soll, alle Kandidaten kennenzulernen, dann bedeutet das, daß sämtliche Kandidaten in sämtlichen Zweigstellen sich der Diskussion stellen und einen Vorstellungstermin abhalten müssen. Dann haben wir in jedem Unternehmen den Aufwand wie bei einer Bundestagswahl. Wer das will, der soll es deutlich sagen. Wer das nicht will und die Urwahl macht, wie sie heute ist, der muß sich darüber klar sein — ich weiß nicht, wieweit Sie das wissen —, daß das Prozentzahlen der Wahlbeteiligung von 20 bis 50 % zur Folge hat und zu reinen Zufallsmehrheiten führt. Um es deutsch auszudrükken: wer das dickste Zweigwerk im Kreuz hat, kommt in den Aufsichtsrat; ob er der beste Mann ist oder nicht, spielt keine Rolle. Wenn Sie das demokratisch nennen, dann erzählen Sie das den Leuten draußen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711037800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller (Berlin)? — Bitte!

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0711037900
Herr Kollege Fahrtmann, würden Sie nicht nach dem Ausgang der Sozialwahlen den Schluß ziehen, daß sich die Arbeitnehmer — in diesem Fall waren es die Versicherten und die Rentner und die Arbeitnehmer — gegen eine solche Bevormundung wehren?
Zweitens: Würden Sie mit Ihrer Aussage unterstellen, daß die bisherigen Wahlverfahren nach § 76 des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 in den Großbetrieben, die ja über das ganze Bundesgebiet verstreut sind und darüber hinausgehen, eine Farce waren?

Dr. Friedhelm Farthmann (SPD):
Rede ID: ID0711038000
Ich kann nur sagen: sicherlich werden die Gewerkschaften aus den Ergebnissen der Sozialwahlen Schlüsse ziehen, aber diesen Schluß, Herr Kollege Müller, mit Sicherheit nicht. Denn die Gewerkschaften kennen auch die über 90%ige Zustimmung ihrer Kandidaten zu den letzten Betriebsratswahlen, und sie kennen auch — Adolf Schmidt hat es schon erwähnt — den mitgliedermäßigen Zugang der Gewerkschaften. Was hier im Spiele war und noch im Spiele sein wird, das



Dr. Farthmann
werden wir sehr gründlich überlegen müssen. Vielleicht ist das auch eine Frage des Wahlverfahrens.

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Das kennen wir!)

Meine Damen und Herren, es ist nicht ohne Schadenfreude — —

(Zuruf des Abg. Reddemann.)

— Ich kann nicht hier auf dieses Volksgemurmel antworten, Herr Reddemann, entschuldigen Sie bitte. Es wäre nett, wenn Sie mich nicht dauernd zu irritieren versuchten.

(Abg. Reddemann: Sind Sie denn so leicht zu irritieren?)

Ich wollte sagen: die Nichtwiederwahl von Heinz Kluncker, dem Vorsitzenden der Gewerkschaft ÖTV, ist hier in der Diskussion heute morgen nicht ohne Schadenfreude erwähnt worden, wenn ich das recht verstanden habe. Ich kann nur sagen: Sie sollten sich auch da die konkreten Verhältnisse ansehen und sollten drei Tatsachen zur Kenntnis nehmen, nämlich erstens, daß nicht nur der Gewerkschaftsvorsitzende, sondern auch der Gesamtbetriebsratsvorsitzende nicht wiedergewählt worden ist, zweitens, daß bei einem Unternehmen wie der Lufthansa mit doch vergleichbar hohen Arbeitnehmerzahlen von qualifizierter Berufsausbildung eine Wahlbeteiligung von gerade gut 50 % stattgefunden hat

(Abg. Franke [Osnabrück] : Nein, 60%!)

— zwischen 50 % und 60 %! — und daß es drittens eine gezielte Aktion der „Vereinigung Cockpit" gegeben hat, einer elitären Gruppe, die aus der Solidarität ausgeschert ist, und wer das begrüßt und für wünschenswert hält, der soll hier gleich erklären, daß er sogenannte englische Verhältnisse haben will.

(Beifall bei der SPD.)

Hier kommt noch hinzu, daß die Nichtwahl von Kluncker bei einem Wahlmännerverfahren haar-genauso hätte eintreten können, denn es ist anzunehmen, daß sich der Anteil der Wahlmänner genauso fortgesetzt hätte, wie das in der Gesamtbelegschaft war. Dies ist gerade der Sinn des Wahlmännerverfahrens.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eben gerade nicht!)

— Na, Sie behaupten das mit dem Ihnen eigenen Selbstbewußtsein; die Sache spricht nicht für das, was Sie sagen.
Zum Wahlmännerverfahren möchte ich nun noch ein Weiteres sagen: Ein Stein des Anstoßes sind ja immer wieder die außerbetrieblichen Arbeitnehmervertreter. Ich kann nur sagen — das ist hier im Laufe der Diskussion angedeutet worden —, daß an außerbetriebliche Arbeitnehmervertreter, die ohne Zustimmung der Belegschaften vor irgendeiner dritten Verbandsseite delegiert oder entsandt werden, nicht gedacht ist. Das steht überhaupt nicht zur Diskussion.
Und wenn Herr von Stauffenberg gesagt hat, es handele sich um ein kaschiertes Entsendungsrecht, dann kann ich ihn nur bitten, das zu lesen, was im
Gesetzestext steht. Dann wird sich nämlich jeder davon überzeugen können, daß das schlicht und ergreifend falsch ist. Im übrigen steht es — das ist noch eine zusätzliche Tücke für Sie, Herr von Stauffenberg! — genauso in Ihren eigenen Hamburger Beschlüssen. Auch darin erkennen Sie das Vorschlagsrecht der Gewerkschaften für die außerbetrieblichen Vertreter an. Ich meine, daß mancher Blick ins Gesetz — das ist eine alte Juristenwahrheit
— Zweifelsfragen klärt. Das gilt auch für Sie.
Wir sollten uns jedenfalls alle darüber klar sein
— wer es nicht will, soll das deutlich sagen —, daß die Beteiligung von außerbetrieblichen Arbeitnehmervertretern im Interesse der Öffentlichkeit, der Unternehmen und der beteiligten Arbeitnehmer wünschenswert ist. Das ist einer der Punkte, den der Mitbestimmungsbericht der Bundesregierung sehr deutlich herausgestellt hat und den der frühere Vorsitzende dieser Kommission, Herr Biedenkopf, immer wieder unterstrichen hat. Das ist übrigens, Herr von Stauffenberg, eine der Konsequenzen, die der Entwurf aus dem Mitbestimmungsbericht gezogen hat. Vielleicht sollten Sie auch das für die Beurteilung dieses Gesetzentwurfs mit auf Ihren weiteren Lebensweg nehmen.

(Zuruf von der SPD: Dazu müßte er ja lesen können!)

Meine Damen und Herren, ein zweiter Punkt, auf den ich noch zu sprechen kommen möchte, betrifft die berühmte Pattsituation, d. h. die Gefahr, daß eine Stimmengleichheit im Aufsichtsrat zwischen den Vertretern der Anteilseigner und denen der Arbeitnehmer eintreten könnte. Hier muß zunächst davor gewarnt werden, so zu tun, als hätte das eine derartige Dramatik, wie das teilweise geschildert wird. Auch Kollege Franke hat davon gesprochen, daß hier schnelle Auflösungen im Geschäftsinteresse nötig seien.
Ich kann nur sagen — wer die Aufsichtsratspraxis kennt, wird mir das bestätigen —, daß keine Rede davon sein kann, daß in den Aufsichtsräten gewissermaßen mit aufgekrempelten Ärmeln und schwitzend von Entscheidung zu Entscheidung gehastet wird. Davon ist überhaupt keine Rede, sondern in den Aufsichtsräten geht es um jahrelange Planungen, begleitende Diskussionen, und gerade in der Frage der Vorstandsbestellung weiß man genau fünf Jahre vorher, wann die nächste Bestellung ansteht. Man kann das zeitlich frühzeitig vorbereiten. Es entspricht auch der Praxis unserer Aktiengesellschaften, daß über die Bestellung eines künftigen Vorstandsmitgliedes in der Regel mindestens ein Jahr vor dem anstehenden effektiven Wechsel beschlossen wird.

(Abg. Franke [Osnabrück] : Akzeptiert!)

Es kann deshalb gar keine Rede davon sein, daß es derartig auf schnelle Entscheidungen ankomme. Auch das ist ein Punkt, den der Mitbestimmungsbericht ausweist: Schnelle Entscheidungen stellen, wenn sie schlechter sind, ein negatives Ergebnis dar. Der Entscheidungsprozeß, der länger dauert, dadurch aber zusätzliche Entscheidungselemente einfließen läßt, ist vorzuziehen. Hierdurch kann die Entschei-



Dr. Farthmann
dung verbessert werden. Wir wissen alle — wer die betriebliche Praxis kennt, wird es mir bestätigen —: die besten sachlich richtigen Entscheidungen im Unternehmen nützen nichts, wenn sie nicht akzeptiert werden. Entscheidungen akzeptabel zu machen, ist aber eines der Hauptanliegen der Mitbestimmung.
Nun ist es sicherlich zweifelhaft, ob der Stichentscheid, wie er im Gesetzentwurf vorgesehen ist, die ideale Lösung ist. Auch das wird ganz sicher ein Punkt sein, den man zu prüfen und zu diskutieren haben wird. Ich kann nur sagen, daß es sich die CDU in diesem Punkte sehr einfach macht. Sie schreibt in ihren Thesen IV und V von Hamburg: „Kommt bei zustimmungspflichtigen Geschäften ein Beschluß im Aufsichtsrat wegen Stimmengleichheit nicht zustande, so kann der Vorstand ohne Zustimmung handeln." Das ist natürlich eine wunderbare Sache.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Weiterlesen!)

— Ja, er muß darüber im Geschäftsbericht berichten. Das ist ein toller Hammer, Herr Kollege Franke.

(Heiterkeit bei der SPD.)

In V heißt es: „Kommt im Aufsichtsrat bei der Bestellung des Vorstands" — also bei der Wahl des Vorstands — „ein Beschluß wegen Stimmengleichheit nicht zustande, gibt die Stimme des Aufsichtsratsvorsitzenden den Ausschlag." Das ist auch eine einfache Lösung. Die gleiche Problematik hatten wir bei der Reform der Betriebsverfassung auch schon ausgiebig diskutiert. Man kann natürlich wunderbar alle Drittentscheidungen und alle Pattsituationen kritisieren; man muß aber, wenn man diese Instanzen nicht will, deutlich machen, daß dies bedeutet, daß dann eine Seite allein entscheidet. Nach dem CDU-Beschluß kann das nur die Anteilseignerseite sein. Das nennt man dann aber nicht mehr Mitbestimmung; darüber muß man sich klar sein.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein letzter Punkt zum Abschluß. Kollege Franke hat zum Schluß seiner Ausführungen — gestatten Sie mir, das so zu sagen — für mein Gefühl ein gefährliches Spiel getrieben, indem er die Mitbestimmungsmöglichkeiten bei VW verknüpft hat mit der heutigen wirtschaftlichen Situation dort. Ich sage hier in aller Deutlichkeit — das muß auch den Arbeitnehmern für die Zukunft klar sein, damit nicht Hoffnungen geweckt werden, die nicht gehalten werden können —: Mitbestimmung kann nicht alle Probleme von selbst lösen. Genauso wie wir in der Montanmitbestimmung erlebt haben, daß durch die Mitbestimmung keine Tonne Kohle und keine Tonne Stahl mehr am Markt verkauft wurde, genauso Kollege Franke, sollte man nicht den Eindruck zu erwecken versuchen, als ob durch die subjektive Einstellung von SPD-Mitgliedern oder CDU-Mitgliedern im Aufsichtsrat von Wolfsburg an der strukturellen Krise der deutschen Automobilindustrie und namentlich des Volkswagenwerks mir nichts dir nichts etwas zu ändern wäre, als ob das nur eine Frage des guten Willens wäre.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das muß man sehr deutlich sagen. Man muß auch in aller Deutlichkeit sagen, daß die Mitbestimmung die wirtschaftlichen Probleme nicht aufhebt. Sie gibt den Arbeitnehmern eine Chance zu einer fairen Austragung der Konflikte. Das soll man sagen, das kann man auch sagen. Aber mehr zu tun, gewissermaßen den Eindruck zu erwecken: Wir brauchen nur dabei zu sein, dann kann es keine wirtschaftlichen Strukturprozesse mehr geben, ist ein sehr gefährliches Spiel.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Ich habe behauptet, daß ihr das behauptet!)

— Ich glaube nicht, daß Sie ernsthaft belegen können, daß das jemals von unserer Seite gesagt worden ist.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Jawohl, das kann ich belegen!)

— Wenn es gesagt worden ist, gilt auch dafür das, was ich hier gesagt habe.
Zum Abschluß möchte ich nur noch hervorheben: Im Interesse der politischen Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit gegenüber der Offentlichkeit sollten wir uns bemühen, klarzumachen, was wir in der Mitbestimmung wollen. Ich persönlich sage hier in aller Offenheit: Ich habe volles Verständnis dafür, wenn es Vertreter gibt — vielleicht wird Herr von Bismarck gleich schon einer davon sein —, die es nicht für gut, zweckmäßig und wünschenswert halten, in Zukunft das Schicksal der deutschen Unternehmen zur Hälfte in die Hände der Arbeitnehmer zu legen. Es gibt ja einen berühmten Vorfahren von Ihnen, Herr von Bismarck, der immer noch etwas berühmter ist als Sie, nämlich Otto von Bismarck. Er hat sich einmal als damaliger Reichskanzler — nachzulesen in seinen „Gedanken und Erinnerungen" — zum Dreiklassenwahlrecht in Preußen geäußert, das es damals gab. Er hat damals gesagt: „Nach meiner Meinung ist es für die Sicherheit und Fortbildung des Staates nützlicher, wenn diejenigen das Übergewicht haben, die den Besitz vertreten." Das ist ein Standpunkt, den Herr von Bismarck damals zur Aufrechterhaltung des Dreiklassenwahlrechts verteten hat. Ich habe Verständnis dafür, wenn es Vertreter gibt, die das auch heute noch für nützlicher halten zur Aufrechterhaltung des Übergewichts in den Unternehmen, die sagen: das Schicksal der Unternehmen sei besser aufgehoben, wenn es in den Händen der Besitzenden liege, der Eigentümer und der Kapitalgeber. Ich finde aber, man soll das dann in aller Deutlichkeit sagen. Wir sind der Meinung, daß das nicht besser wäre; wir meinen, daß Anteilseigner und Arbeitnehmer gleichermaßen die Chance haben sollten, das Unternehmensschiff zu beeinflussen, die Unternehmenspolitik mit zu steuern, daß sie gleiche Verantwortung haben sollten, weil wir glauben, daß dann unternehmenspolitische Entscheidungen, die nicht immer populär sind, glaubwürdiger werden und eher akzeptiert werden.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711038100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Bismarck.
7534 Deutscher Bundestag --- 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 20. Juni 1974

Dr. Philipp von Bismarck (CDU):
Rede ID: ID0711038200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin immer erstaunt, wie viele Zitate man von Otto von Bismarck bringen kann und wie viele man dabei auch natürlich—Herr Farthmann, das sei nicht unfreundlich gemeint — weglassen kann; denn immerhin hat er in der deutschen Reichsverfassung das gleiche geheime allgemeine

(Abg. van Delden: Direkte! — Abg. Franke [Osnabrück] : Unmittelbare!)

Wahlrecht eingeführt, und er hat auch später aus allem, was er erfahren hat, eine Menge gelernt und auch zur Frage der Gleichberechtigung der Arbeitnehmer eine Menge gesagt.

(Zurufe von der SPD.)

— Warten Sie es doch ab! Ich werde mir erlauben, Ihnen einmal einige Zitate darüber zuzuschicken. Es ist sehr erstaunlich, was er damals alles schon zu diesem Thema gesagt hat, über das wir hier debattieren. Es ist vielleicht ganz nützlich, die Relativität unserer Geschichtsvorstellungen, auf die mein Kollege Blüm richtigerweise schon hingewiesen hat, auch unserem Gedächtnis einzuprägen.
Da wir von Geschichte sprechen, möchte ich Sie, die Kollegen der Koalition, doch herzlich bitten, die wirklich völlig abgespielte Platte nun ein für allemal aus dem Verkehr zu ziehen, daß Ihre Kollegen in der CDU/CSU seit 1969 keine Alternativen vorgelegt hätten. Es ist so weit weg von der Wahrheit, daß Sie sich damit wirklich hinsichtlich Ihrer Glaubwürdigkeit einen ganz schlechten Dienst erweisen. Haben Sie denn vergessen, daß wir bei fast allen großen Gesetzen, vor Ihnen beim Zonenrandförderungsgesetz, mit Ihnen in der Rentengesetzgebung, mit Ihnen in der Steuergesetzgebung, ja in dieser Sache weit vor Ihnen, Alternativen vorgeschlagen haben, mit denen Sie sich zwar nicht immer richtig auseinandergesetzt haben, die aber jedenfalls eine völlig andere Richtung, in mancher Hinsicht die eigentlich wirklich soziale Richtung eingeschlagen haben? Ich finde, Sie sollten diese Platte ablegen. Jedenfalls kann sie auf keiner Hitliste mehr erscheinen, ohne lächerlich zu wirken.
Bevor ich meine Gedanken darlege, ein paar Bemerkungen zu dem, was vorher gesagt worden ist. Es gibt zwei Kollegen, mit denen ich mich wegen des Niveaus, auf dem hier geredet wurde, nicht auseinandersetzen möchte. Ich möchte mir die Zeit dafür sparen, mit den Kollegen zu diskutieren, die hier Gesichtspunkte vorgetragen haben.
Herr Farthmann, Sie haben mir zugerufen — was ich von dort aus ja nicht kann, wie Sie wissen —, ich möchte doch „Butter bei die Fische tun". — Entschuldigen Sie, Herr Minister, ich bin gerade dabei, dem geschätzten Kollegen Farthmann eine Antwort zu geben; ich will aber gerne warten. — Ich hatte gesagt, es ist ein Unterschied zwischen den beiden Verfahrensweisen bei dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz und bei dem Gesetz, das jetzt eingebracht wird. Bei dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz ist eine Gruppenwahl vorgesehen, die es ausschließt, daß das, was jetzt bei der gestaffelten Verhältniswahl hier und Mehrheitswahl dort möglich ist. Das geben Sie zu — ich danke Ihnen, daß Sie nicken —; dann sind die Fische jetzt „verbuttert" . Schönen Dank.
Herr Spitzmüller, Sie haben mir den Spaß gemacht, daß Sie genau das Gegenteil von dem gesagt haben, was uns von einem Vorredner, den ich nicht weiter erwähnen möchte, gesagt wurde, nämlich daß wir die Montanmitbestimmung zu vertreten hätten. Von der anderen Seite wurde uns gesagt, wir hätten das nicht auf unsere Karte zu setzen. Darüber müßten Sie sich einmal unterhalten. Ich glaube, das, was hier nachher über die Geschichte des Montanmitbestimmungsgesetzes vorgetragen wurde und auch das, was der Kollege Wehner gefragt hat, gibt die Lage etwa so wieder, wie sie wirklich war. Aber ich möchte doch die Frage stellen, ob wir, das Parlament, in Zukunft das Verfahren billigen wollen, daß man in solchen Streitfragen, die im Parlament auszutragen sind, draußen einen Druck erzeugt, der die Freiheit des Parlaments entschieden einschränkt. Ich meine also, wenn wir darüber sprechen, was damals geschehen und nicht geschehen ist, sollten wir uns sehr kritisch fragen, wie wir das heute, nachdem wir nun seit der Zeit 28 oder 29 Jahre Erfahrung haben, über diese Dinge denken und nicht leichtfertig das, was damals gemacht wurde, als richtig hinstellen.
Es wird hier in einer Weise, die ich nicht ganz verstehen kann, der Versuch gemacht, die vier Kollegen, die heute von der CDU/CSU gesprochen haben, gegeneinander auszuspielen. Ist es nicht im Parlament üblich, daß, wenn vier Rednersprechen, sich die Kollegen vorher abstimmen, auf welche speziellen Dinge sie eingehen wollen? Wenn Sie wirklich zugehört haben, was mein Kollege Graf Stauffenberg gesagt hat, dann kann ich mir nur vorstellen, daß Sie das vielleicht deswegen nicht gut finden, weil bei uns ein Graf falsch und bei Ihnen Herr von Oertzen richtig ist. Das scheint mir eine zu simple Methode zu sein.

(Widerspruch bei der SPD. — Zuruf von der SPD: Das hat doch mit der Sache nichts zu tun!)

— Ich will Ihnen das gleich klarmachen, damit Sie wissen, was ich meine. Und fragen Sie sich bitte, ob ich so völlig unrecht habe.
Sehen Sie, Graf Stauffenberg hat ausdrücklich ein sehr spezifisches Bekenntnis zur Notwendigkeit und zur Qualität unserer Gewerkschaften ausgesprochen. Ihm wird von Herrn Farthmann unterstellt: Er habe seit 1944 eine so feindselige Haltung gegenüber den Gewerkschaften nie gehört. Ich darf vorlesen, Herr Präsident, was im Protokoll steht:
Wir wünschen uns, daß diese Gewerkschaften ihre Stärke und ihre Leistungsfähigkeit wirkungsvoll in den Dienst der Arbeiter und Angestellten stellen, deren Interessen sie ja vertreten.



Dr. von Bismarck
Und vorher heißt es:
Wir alle wünschen uns in unserem Wirtschaftsleben in diesem Staat starke und kraftvolle Gewerkschaften.
Herr Farthmann, Sie haben, wie oft, etwas Nettes gesagt: Sie würden hier allergisch werden. Aber wenn Sie nun diese Allergie allen zubilligen, dann müssen Sie auch einmal ,darüber nachdenken, was es eigentlich bedeutet, wenn es kaum eine Debatte gibt — auch die FDP beteiligt sich neuerdings daran —, in der der Unternehmer nicht zum Buhmann gemacht wird, wo Sie versuchen, den Buhmann nun auch noch der CDU anzuhängen und das Volk glauben zu machen, daß wir 50 % Buhmänner hätten; in manchen Wahlkreisen sogar 80 %. Das ist so naiv, daß ich finde, wir sollten darauf verzichten.

(gleichem Maße der deutsche Unternehmer ein ähnliches Lob aus ganz anderen Gründen verdient. Ich finde, wir sollten miteinander etwas redlicher umgehen und uns nicht Buhmänner züchten, die in Wirklichkeit keinen Beitrag zur Information der Bürger darstellen. Noch etwas muß ich ausräumen: Einer der Kollegen hat sich erlaubt, eine Äußerung des Vorsitzenden der CDU unredlich zu nennen. Herr Spitzmüller, das sollten Sie zurücknehmen. Wenn Sie die gesamte Diskussion in der Union seit dem vorigen Sommer über die Mitbestimmung betrachten, sehen Sie, daß hier wirklich mit allem Fleiß, mit Herzblut und mit Redlichkeit gekämpft worden ist, um etwas zustande zu bringen, was uns wirklich nach vorne führt. (Bundesminister Arendt 'hat die Regierungsbank verlassen und sich in die Mitte des Saales begeben.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bedenken Sie einmal — verehrter Herr Minister, muß ich in diesem Fall sagen; Sie haben das auch vorgetragen —, wie lange Sie gebraucht haben — er ist im Augenblick, glaube ich, nicht da;

(Abg. Reddemann: Dort steht er! Er ist beim sozialen Teil des Parlaments angekommen!)

doch, er ist bei uns; sehr schön —, nämlich vom Oktober 1969 bis zum 19. Juni 1974, um nach der langen Zeit des Gespannten-Wartens auf Ihre Gelegenheit nun endlich etwas tun zu können, nun wirklich einen Entwurf einzubringen. Wie Sie hören, haben Ihre eigenen Redner vorgetragen, daß er noch vieler Verbesserungen bei den Beratungen in den Ausschüssen fähig sein sollte. Also so einfach ist es nicht zu sagen: Zwanzig Jahre hat die CDU nichts getan, und viereinhalb Jahre brauchte die SPD, um das, was sie tun wollte, endlich zu tun. Das ist ein Vergleich, der sich auf unserer Seite durchaus sehen lassen kann.

(Abg. Dr. Ehrenberg: Also steht es 4 : 20?) — Herr Ehrenberg, Sie haben anscheinend die Mengenlehre als Ausgangspunkt Ihrer Rechnung; sonst

hätten Sie die Logik dieses Satzes sofort verstanden.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Ich meine, wir sollten uns darüber klar sein, daß Mitbestimmung erlernt werden muß; denn worauf wäre es sonst zurückzuführen — ich ¡spreche hier besonders die beiden verdienten Führer der Bergarbeitergewerkschaft an —, daß wir heute noch 1,2 Millionen betriebsratsfähige Betriebe haben und nur rund 26 000, die einen Betriebsrat halben? Ich frage Sie — und habe das oft Igefragt, lange bevor ich im Parlament war —: Was tut eigentlich der Deutsche Gewerkschaftsbund dafür, damit dieses Gesetz endlich ausgefüllt wird, nachdem immer nach mehr Mitbestimmung gerufen wird? Offenbar muß es doch auch ganz andere Gründe gegeben haben, daß man auf diesem Gebiete so völlig untätig blieb. Nun, wenn man über die Wahl spricht, so muß man natürlich auch lesen, was kluge Leute aus der Gewerkschaftszentrale darüber gesagt haben. Sie wissen ja, daß es darüber eine Schrift von Herrn Herrsche gibt, ,der deutlich sagt, was er eigentlich damit verfolgt. Er sagt nämlich, er brauche dieses Wahlrecht, um die von den Arbeitnehmern entsandten Aufsichtsräte besser kontrollieren zu können. Das ist eine Begründung, die sich hören läßt, weil es technisch zutrifft. Aber das ,sollten Sie, wenn Sie die Offentlichkeit richtig informieren wollen, hier nicht verschweigen. Aber wenn Sie es selbst nicht sagen, muß man der Information ein bißchen nachhelfen.
Der Kollege Schmidt hat über parteipolitische Einseitigkeiten gesprochen und gesagt: Das wollen wir nicht. Da hat er unsere volle Zustimmung. Aber was haben wir denn? Wir haben doch leider — und das bitte ich die Freunde von der Gewerkschaft, die hier anwesend sind, zu sehen — in der Praxis eine völlig einseitige Unterstützung — das wurde hier eben schon von Herrn Blüm gesagt — einer bestimmten Partei.
Es gibt eine Partei, die ist da ein bißchen schlecht daran. Aber ich möchte für uns sagen: Die CDU/CSU hat von ihrer ersten Stunde an die Arbeitnehmer, alle Bürger, und auch die Unternehmer in sich vereinigt, hat das soziale Prinzip aus der katholischen Soziallehre und das ordnungspolitische Prinzip bei sich vereinigt. Wir haben diesen Nachholbedarf nicht, so daß wir jetzt, wie Herr Spitzmüller in netter Bescheidenheit sagte, ein bißchen nachlernen müßten. Ich habe oft in Wahlversammlungen gesagt — das gehört hier eigentlich nicht her —: Sie haben sich eine Weile das linke Auge zugehalten. Das haben wir nicht getan. Wir haben es immer offen gehabt. Vielleicht haben wir nicht alles gesehen, aber zugehalten hat sich die CDU das linke Auge nie. Das werden Sie auch in Zukunft bei uns nicht finden.
Verehrter Herr Rappe — ich weiß nicht, ob er hier ist; ich sehe ihn nicht —, vielleicht sollten Sie sich einmal die Mühe machen, etwas über den Wirtschaftsrat der CDU zu lesen — ich schicke Ihnen gern das Material zu —, damit Sie zukünftig wissen, wo-



Dr. von Bismarck
von Sie reden, und nicht Behauptungen aufstellen, die mit der Wirklichkeit überhaupt keinen Zusammenhang haben.
Vielleicht darf ich Ihnen noch dies mitteilen: Die Überschrift über Kapitel 2 des Düsseldorfer Programms der CDU haben zwei Mitglieder aus der Führung der Sozialausschüsse und zwei Mitglieder aus der Führung des Wirtschaftsrats geschrieben. Dort steht:
Die soziale Marktwirtschaft ist ein wirtschafts-
und gesellschaftspolitisches Programm für alle.
Ich fürchte, daß Sie sich vielleicht insgeheim etwas darüber ärgern, daß das Ausspielen der Sozialausschüsse gegen die Gesamtpartei, das vielleicht früher einmal für sie bequem schien, mit der Realität der Lage einfach nicht mehr übereinstimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Herr Schmidt, Sie haben die Mitwirkung der Arbeitnehmer vertreten bei der Brechung wirtschaftlicher Größe gelobt. Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß die Vergrößerung der wirtschaftlichen Unternehmen für die übrige Welt nicht so glücklich aussieht wie für die Unternehmen selbst, in denen die Arbeitnehmer nach der Montanmitbestimmung diese großen Fusionen mitgetragen haben. Der Gewerkschaftsbund hat sich gegen diese Fusionen nicht gewandt. Es waren Männer der Wirtschaft, gerade solche, die Sie besonders gern verketzern, die ihre Stimme erhoben haben und gewarnt haben, daß man die Größe in jedem Falle als ein Problem sehen muß und nicht einfach auf dem Standpunkt stehen kann: Wenn solche Unternehmen mitbestimmt sind, dann passiert nichts.
Ich habe zum „Aufräumen" nur noch einen Punkt, den ich gerne erwähnen möchte. Herr Minister Arendt, Sie haben gesagt, daß das Privateigentum, durch die Arbeitnehmer in der Bundesrepublik in der Zeit der Geschichte mitgetragen und geschützt worden ist. Ich bin der Überzeugung, daß dies heute noch mehr zutrifft als zu Anfang; denn zu Anfang hatten die Arbeitnehmer ja fast kein Eigentum, jedenfalls bestimmt kein Produktiveigentum. Ich muß es noch einmal sagen: Es ist doch nicht so, daß wir heute von Ihrer Seite irgendeinen Ansatzpunkt sehen, den personalen Bezug des Eigentums zum Arbeitnehmer herstellen zu wollen.
Alles, was wir gesehen haben, lief auf kollektive Lösungen hinaus, ein bißchen geteilt, das große Kollektiv von der FDP in ein paar kleine Töpfe verteilt. Aber jetzt haben Sie das zurückgezogen. Ich möchte noch einmal ausdrücklich unterstreichen: Das Konzept der CDU/CSU heißt: Mitbestimmung und Eigentum. Alles, was dazu bisher von Ihnen gesagt worden ist, macht den Eindruck, als wenn es eine Pflichtübung gewesen wäre, wie damals die der drei Staatssekretäre, und als hätten Sie es im Grunde genommen gar nicht mehr vor. Ich würde also denken, Sie sollten etwas bescheidener sein in dem Schein, den manche von Ihnen erwecken wollen, es gebe nur eine Partei in diesem Bundestag, die sich für die Mehrheit unseres Volkes, nämlich die arbeitnehmende Bevölkerung verpflichtet weiß.
Lassen Sie mich jetzt ein paar Bemerkungen aus I meiner persönlichen Erfahrung machen. Ich habe ja Aufsichtsrat und Vorstand aus eigener guter und auch bitterer Erfahrung miterlebt und weiß also, was Vorstandsmitglieder zu tun haben, wie Aufsichtsratmitglieder Vorstände kontrollieren und wie sich die Anwesenheit und Mitwirkung von Arbeitnehmervertretern dort praktisch auswirken. Ich möchte das, was ich aus der persönlichen Erfahrung sage, an den Einsichten und Maßstäben ausrichten, die uns die sozial verpflichtete Marktwirtschaft aus den Zeiten ihrer Bewährung anbietet und von denen wir Gebrauch machen sollten. Dies ist die Ordnung der verantworteten Freiheit. Es war von Anfang an das Ziel dieser Ordnung und wird es bleiben, Chancengerechtigkeit für alle Bürger durch alle Konsequenzen durchzubuchstabieren und diese Chancengerechtigkeit ständig sorgfältig neu zu überdenken. Denn nur wenn wir Leistungsausgleich auf diesem Peilstrahl herstellen, d. h. die Chancen der bisher nicht Gleichen vergrößern, kommen wir zu einem Prinzip der gleichen Bürger, die diesen Staat tragen. Davon ist heute schon die Rede gewesen. Aber ich warne uns davor, zu meinen, dies sei ausschließlich und endgültig durch die Mitbestimmung erreichbar. Das hat Norbert Blüm vorhin deutlich gesagt. Das ist eine der Essentialien unserer Vorstellungen, wobei ich erwähnen möchte, daß jede neue Mitbestimmungsregelung im System der schon getroffenen Regelungen gesehen und an ihm gemessen werden muß.
Aber etwas, was in der ganzen Debatte heute von Ihrer Seite, wie ich finde, gefehlt hat und was auch in der Begründung für den Gesetzentwurf fehlt, ist die Einsicht, daß Unternehmen nicht nur der Biotop sind, in dem der Mensch Leistung und Selbstverwirklichung erfährt und seinen Tag verbringt, sondern nach außen ist das Unternehmen auch dazu da, wie ein Organ in einem Körper zur bestmöglichen Verwertung der Leistungsangebote unserer Wirtschaft beizutragen und sie im wesentlichen zu erwirtschaften, soweit das nicht staatliche Einrichtungen leisten müssen. „Bestmöglich" heißt hier: zielgerecht für das Ziel der Chancengerechtigkeit.
Ich meine — und dies ist eine ganz ernste Bitte an alle Kollegen, die mit in den Ausschuß gehen —, wir sollten uns sehr genau fragen, ob nicht die Verantwortung für die 61,5 Millionen die erste Verantwortung ist. Das heißt also, wir müssen fragen, ob die Regelungen, die wir treffen, wirklich dazu beitragen, den Gesamtleistungseffekt, vor allem die zusätzliche Leistung, die wir erbringen wollen, auch zu halten oder sogar zu erhöhen, denn wir wissen doch alle, wieviel Mittel wir gerne zusätzlich hätten, um all die Wünsche zu erfüllen, die wir nicht nur auf dem sozialen und gesellschaftspolitischen Gebiet, sondern natürlich auch für die Bildung haben. Wenn man also — und das ist bei diesem Gesetz angemessen — über die Menschen im Unternehmen spricht, dann muß man auch bedenken, daß das Unternehmen auch eine Funktion hat, Dienerin unserer gesellschaftspolitischen Ziele ist und daß hier ein Gleichgewicht hergestellt werden muß.



Dr. von Bismarck
Was heißt das? Lassen Sie mich jetzt über das spezielle Thema Vorstand sprechen. Verehrte Damen und Herren, die Vorstände sind Menschen mit einer bestimmten Leistungswilligkeit, einer bestimmten Leistungsfreude, mit Spaß — um den Kollegen Blüm zu zitieren — an einer ganz bestimmten Erfüllung von Aufgaben. So werden sie ausgesucht, so bewähren sie sich, und so haben sie sich im großen und ganzen in der Bundesrepublik als das bewährt, was wir brauchen, nämlich die Koordinatoren, die Kreativität mit den Mitteln, die angeboten werden, wirklich zu einer großen Leistung zusammenfügen. Dabei sind sie selbstverständlich nicht allein, sondern die hochbedeutsame Gruppe der leitenden Angestellten, der Entscheidungsträger steht an Kreativität den Vorständen nicht nach. Im Gegenteil, es ist erstaunlich, wieviel Kreativität mobilisiert werden kann, wenn man richtig miteinander umgeht. Ich bitte doch aber ganz ernst zu sehen, wenn Sie jetzt die Vorstandsmitglieder durch das Wahlverfahren, das Sie eingeführt haben bzw. einführen wollen, faktisch, praktisch und psychologisch von den Gewerkschaftsvertretern abhängig machen, ändern Sie die Lebensstellung dieser Mannschaft bis tief in den Kern der Aufsteiger hinein. Täuschen Sie sich nicht, es richtet sich nicht danach, was Idealisten wollen, sondern es richtet sich danach, was die Vorstandsmitglieder aus Ihren Absichten ersehen und schließen. Sie würden völlig über die Wirklichkeit hinwegreden, wenn Sie diesen ernsten Punkt nicht wahrnehmen. Es ist wirklich mein Anliegen, hier nicht irgendwo Hexen zu malen, sondern Sie aus meiner persönlichen breiten Erfahrung darauf hinzuweisen, daß sich hier eine ernste Frage stellt. Dieser Entwurf würde die Homogenität, die Kreativität und den Mut zum Wagnis erheblich beeinträchtigen. Meine verehrten Damen und Herren, wer einmal in einem Vorstand gewesen ist, weiß doch, daß von den guten Eigenschaften, die man jedem Vorstandsmitglied wünscht, normalerweise der Wagemut der Minimumfaktor ist. Es kommt nämlich fast immer darauf an, wer nachher die langen Stiefel anzieht und im Aufsichtsrat unbequeme Entschlüsse vorschlägt. Wenn man den nicht findet, wenn der nicht mehr da ist, wenn Sie diese kreativen unbequemen Leute in dem Verfahren ausschließen, das doch ganz offenbar den Zwang zur Opportunität in sich trägt — wir wollen uns doch nicht täuschen —, dann streichen Sie etwas, was für die 61,5 Millionen von unersetzbarem Wert ist und unsere soziale Verpflichtung direkt betrifft, indem wir nämlich wissen müssen, daß nicht theoretisch nach Plan verteilt werden kann, sondern nur nach dem Maße gesteigerter Produktivität.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711038300
Herr Abgeordneter Wolfram zu einer Zwischenfrage.

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0711038400
Herr Kollege von Bismarck, wollen Sie damit andeuten, daß in den montanmitbestimmten Unternehmen bislang eine Negativauslese der technischen und kaufmännischen Vorstände erfolgt ist, oder teilen Sie nicht mit mir die Auffassung, daß es richtig, gut und notwendig ist, daß technische, kaufmännische und andere Führungskräfte auch nach ihren Einstellungen zu personellen und sozialen Fragen abgecheckt werden, bevor man sie in solch eine verantwortungsvolle Funktion beruft?

Dr. Philipp von Bismarck (CDU):
Rede ID: ID0711038500
Die Auffassung zu Ihrem letzten Punkt, Herr Wolfram, teile ich mit Ihnen völlig, daß man in der Frage der zweiten Qualifikation besonders genau sein muß, ob nämlich der Kandidat für ein Vorstandsamt die Qualität hat,

(Zuruf von der CDU/CSU: Menschen zu führen!)

die Führungsaufgabe, die ihm dort zukommt, in jeder Richtung zu erfüllen.
Zu dem ersten Punkt muß ich Ihnen aber doch sagen, daß ich sehr kritisch geworden bin, nachdem ich als Abgeordneter viereinhalb Jahre lang Gelegenheit gehabt habe, mit derzeitigen und ehemaligen Vorstandsmitgliedern aus dem Montanbereich zu sprechen. Die Dinge sehen dort ganz anders aus, als in dem Gutachten steht. Es ist nicht so, daß man noch ganz frei spricht, wenn man in einem solchen Unternehmen steckt. Das möchte ich in aller Offenheit und mit allein Freimut sagen, wenn Sie mich darauf ansprechen. Sie haben das Zeugnis verlangt, ich muß es Ihnen geben: So ist es wirklich.
Wenn man diese Verhältnisse nicht bedenkt — sie kommen auch im Entwurf nicht vor —, dann muß man doch wohl die Frage stellen, ob man das bewußt nicht sehen will. Der Kollege Schmidt hat in seiner eindrucksvollen Darstellung der Erfahrungen mit der Montanmitbestimmung die Frage gestellt, ob man annehme, daß die Zurückführung der Zahlen der im Bergbau Beschäftigten bei privater Unternehmensführung möglich gewesen wäre, wie er sich, glaube ich, ausdrückte. Ich möchte den Kollegen Schmidt fragen: Wie ist eigentlich die Umleitung der Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft, die Reduzierung von 1,5 Millionen Betrieben auf 500 000 Betriebe vor sich gegangen? Wie sind die Vertriebenen in Deutschland untergebracht worden? Ich könnte so fortfahren. Wie ist es mit den übrigen Privatbetrieben, die ständig eingehen? Ich glaube, man macht es sich zu einfach, wenn man die zweifellos segensreiche atmosphärische Entwicklung, die sich im Bergbaubereich ergeben hat, als den allein seligmachenden und allein entscheidenden Faktor ansieht. Ich warne uns jedenfalls, bei der Beurteilung der Montanunion-Mitbestimmung so etwas wie ein Ruhrgebiet-Heldenlied anzustimmen. Gewiß, das war eine verteufelte, eine todernste Sache, und da waren sehr viele Schicksale in sehr großer Bedrängnis. Aber täuschen Sie sich bitte nicht: Das gleiche hat sich — aus anderen Gründen — in der Bundesrepublik und in der DDR abgespielt und ist ebenfalls getragen und gelöst worden.

(Abg. Wolfram: Die Mitbestimmung hat sich da bewährt, Herr Kollege!)

— Von Mitbestimmung war bei den Landwirten gar nicht die Rede; die haben wir gar nicht gebraucht; das ging so vor sich.

(Abg. Wolfram: Sie haben mich mißverstanden!)




Dr. von Bismarck
— Ich habe Ihre Frage nicht verstanden. Wollen Sie bitte laut und verständlich sprechen!

(Abg. Wolfram: Ich sprach vom Ruhrgebiet!)

— Ich sage nur: Es ist ja nicht meine Behauptung, daß wir da nicht zu Rande gekommen sind, Herr Wolfram! Ich habe nur die Warnung ausgesprochen, das Argument zu gebrauchen, es sei nur deswegen geglückt, weil wir die Montan-Mitbestimmung hatten. Das wäre logisch und wissenschaftlich völlig unzulässig, weil die Unterlagen, die Sie dabei benutzen würden, nicht nachprüfbar sind.
Mit einer gewissen Leichtfertigkeit, finde ich, wurde über die Macht gesprochen. Lieber Herr Farthmann, Sie sind sonst ja ein sorgfältiger Mensch. Aber Ihre These, hier würde Macht gemindert, ist ganz sicher falsch. Die Macht ist ein unteilbares Ganzes; wenn sie vermindert wird, wird sie dafür an anderer Stelle gestärkt. Die Frage ist nur, ob die Stärkung, die wir vornehmen, indem wir Macht mindern, weniger gefährlich ist als es vorher war. Wenn Sie ein Unternehmen mit einem Unternehmensvorstand der hier in Frage stehenden Größe wegen der Machtfülle für gefährlich halten, dann sprechen Sie von vorgestern. Die Unternehmer sind heute in so viele Zwänge eingeordnet, daß von Macht überhaupt keine Rede sein kann. Sie sind von ihren Tagesplänen gehetzte Hasen. Politische Macht aber wird dort nicht ausgeübt. Die Zitate, die Sie heute gebracht haben, sind Zeichen dafür, daß Sie die Wirklichkeit nicht sehen. Daß ein einzelner einmal etwas Besonderes tun will und es auf eine bestimmte individuelle Weise tut, ist doch kein Zeugnis über die tatsächlichen Verhältnisse in den großen Vorständen. Da sind Sie wirklich weit weg vom Schuß.
Ich sage Ihnen nochmals: Die Verteilung von Macht führt zu mehr Macht. Ein Beispiel: Wollen Sie wirklich sagen, daß es für die Führung des Gewerkschaftsbundes und seine Reagibilität auf die übrigen Daten unserer Volkswirtschaft und unserer Gesellschaft ein so großer Vorteil ist, daß es dort Gewerkschaften gibt, die fast gar nichts zu sagen haben, und andere Gewerkschaften, die fast alles zu sagen haben?
Wir müssen dort wie überall anderswo sehen, daß zuviel Macht jeden Menschen in die Versuchung führt, davon einen Gebrauch zu machen, den wir nicht wollen.
Wir haben hier für die CDU/CSU deutlich ausgedrückt — und das ist wohl auch die Überzeugung der Rest-Marktwirtschaftler, die es auch in der Sozialdemokratischen Partei gibt —,

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)

— da ruft einer: „Hört! Hört!" ; ich bin froh darüber, daß sich noch einer meldet —, wir haben also deutlich ausgeführt, daß die soziale Marktwirtschaft ihr ganzes Prinzip auf den Machtausgleich stellt. Sie werden einwenden: Das erreichen sie nicht überall. — Gut; darüber läßt sich reden!
Hier muß ich etwas einschieben: Es ist übrigens auch nicht wahr, was vorhin gesagt wurde, daß allein die Sozialdemokraten das Kartellgesetz gemacht hätten. Denn das erste stammt von uns, und beim zweiten haben wir sehr intensiv mitgearbeitet. Auch dieses Verdienst ist also ein bißchen zu einseitig verteilt worden.
Aber zurück zur Macht. Es ist das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, Macht verteilen zu wollen. Daher muß jeder, der diese soziale Marktwirtschaft erhalten will, immer dann, wenn zuviel Macht entsteht, den Finger heben. Wir tun es, wenn eine große Fusion stattfindet, und wir tun es auch, wenn die Gefahr besteht, daß — vielleicht aus gutem Willen, aber einer Fehleinschätzung der eigenen Unfehlbarkeit, weil man sich selber für einen Idealisten hält und womöglich einer ist — die Gewerkschaftsmacht in einer Weise verstärkt wird, die — das ist mein Anliegen — der Freiheit der Gewerkschaften keinen guten Dienst erweisen kann. Die Freiheit der Gewerkschaften beruht doch darauf, daß die Bürger im allgemeinen davon ausgehen: Hier ist irgendwie Machtausgleich. Sobald das schwinden würde, wäre die Gefahr da, daß der Staat sagt: So geht das nicht! Wir haben doch oft genug erlebt — das wurde heute ja schon zitiert —, wie der Staat die Gewerkschaften zum Büttel macht, wenn das Gleichgewicht verloren ging.
Die Funktion des Unternehmens als Dienerin der Gesellschaftspolitik hat aber noch eine Seite. Aus den Unternehmen werden Vertreter in die Tarifverhandlungskommissionen geschickt. Wenn wir nun die Vertreter der von dem Regierungsentwurf betroffenen Unternehmen, die Vorstandsmitglieder, von den Gewerkschaften in einer Weise abhängig machen, wie das hier vorgesehen ist, und diese Vorstandsmitglieder sich einmal durchgelesen haben, was verehrte Kollegen zu dem Zweck der ganzen Sache geschrieben haben, daß es nämlich eine Machtfrage ist, daß man nicht jeden in den Vorstand kommen lassen will, wenn er die falsche Partei hat — auch das steht drin —, was sollen dann diese Vorstandsmitglieder eigentlich denken? Sie können doch gar nicht anders, als in dieser Sache den Schluß zu ziehen, daß ihnen auf die eine oder andere Weise die Leviten gelesen werden sollen, wenn sie zukünftig noch die ihnen zugedachte Rolle in der Tarifautonomie spielen.
Jetzt werden Sie sagen: Aber, Herr von Bismarck, Sie sehen Gespenster! Verehrte Kollegen! Was ich Ihnen hier sagen möchte, ist: Diese Gespenster, ob zu Recht oder zu Unrecht, haben Sie selber in die Welt gesetzt. Sie haben die Thesen verbreiten lassen oder ihnen nicht widersprochen, daß Sie die Gesellschaft ändern wollen und daß eine Machtverschiebung vorgenommen werden soll und daß Sie die Macht deswegen wollen, damit Sie darüber bestimmen können, welcher Vorstandsvertrag verlängert wird und welcher nicht. Das hat zur Folge, daß das, was jetzt noch an Gleichgewicht in der Tarifautonomie steckt, um ein Maß vermindert wird, das dieser freiheitlichen Position nicht gut sein kann. Ich brauche nicht zu zitieren, was Heinz Kluncker über den Fall gesagt hat, der eintreten würde, wenn wir die Tarifautonomie preisgeben sollten. Bitte, nehmen Sie auch dies mit in die Ausschußberatungen. Ich werde mir erlauben, Herr Professor, darüber im



Dr. von Bismarck
Ausschuß mehrfach vorzutragen, damit Sie mich auch über die Einzelheiten befragen können. Manches kann man dort besser sagen als hier.

(Abg. Wolfram meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Herr Wolfram, Sie haben wieder eine Frage! Habe ich Sie erneut geärgert?

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711038600
Bitte schön!

Erich Wolfram (SPD):
Rede ID: ID0711038700
Herr Kollege von Bismarck! Würden Sie so freundlich sein und uns jetzt noch sagen, ob Sie mehr Mitbestimmung haben wollen, als dieser Regierungsentwurf vorsieht, oder ob Sie weniger Mitbestimmung haben wollen als im Regierungsentwurf oder ob Sie gar keine Mitbestimmung wollen?

(Abg. Reddemann: Wirkliche Mitbestimmung wollen wir haben!)


Dr. Philipp von Bismarck (CDU):
Rede ID: ID0711038800
Herr Wolfram, Sie haben plötzlich so eine ausgesprochene Ungeduld; warten Sie doch bitte, bis ich an diesen Punkt komme; ich werde mich darüber äußern, wie ich mir das vorstelle.

(Abg. Seiters: Herr Wolfraum will die Mitbestimmung in Recklinghausen einführen! — Heiterkeit.)

— In Recklinghausen! Gut, schön! Aber wir wollen ihm gern dabei helfen.

(Abg. Reddemann: Er wird seinen Fahrer zur Mitbestimmung holen!)

Nun möchte ich ein Wort sagen über die Parität. Ich glaube wirklich: Entweder haben Sie dem Kollegen Blüm heute nicht richtig zugehört — das ist wahrscheinlich —, oder Sie haben nicht ganz verstanden, was die Parität im Zusammenhang von christlicher 'Soziallehre und Ordnungspolitik eigentlich bedeutet. Parität ist kein Ordnungsprinzip, sondern ein Teil unserer Wertordnung. Man kann das vergleichen mit Mann und Frau: In der Verfassung steht, sie sind gleichberechtigt. Aber sie sind, das wissen wir doch alle, nicht gleich. Sie 'haben verschiedene Funktionen. Wir wissen doch, daß genau wie 'bei den Unternehmen auch jeder Mensch nicht nur Person ist, sondern Funktion. Darin liegt meiner Meinung nach vor allem seine Würde, daß er einen entsprechenden Gebrauch von seiner Freiheit macht, dem anderen zu dienen. Wir haben doch alle, und gerade wir Parlamentarier, die Aufgabe, Funktion zu sein für die Burger. Unsere Würde hängt doch nicht davon ab, ob man uns beschimpft oder nicht beschimpft, sondern davon, ob wir und wie wir unsere Verantwortung wahrnehmen. Wenn wir von Parität sprechen, Herr Wolfraum, dann sprechen wir auch davon, was dies nun in der zweiten Aufgabe des Menschen, der Funktion, bedeutet; daß es z. B. nicht gleichgültig ist, ob wir nun feststellen: Wir haben die gleiche Zahl, und nicht darüber nachdenken, wie die Patt-Auflösung stattfindet. Es ist also nicht die Frage zu stellen: Mehr oder weniger
Mitbestimmung?, sondern es ist die Frage zu stellen: partnerschaftliche Mitbestimmung, die dann die Parität in der richtigen Weise versteht, oder eine Mitbestimmung als Gegensatz von Kapital und Arbeit, als ein Klassenkampfrest, die dann in Proporzparität endet. Wenn wir hier nicht mit einer grundsätzlich anderen Einstellung ansetzen, dann werden wir auch in dieser Sache den Frieden, den wir hoffentlich alle wollen, nicht herstellen. Herr Hensche vom DGB drückt es aber so aus, daß man den Eindruck haben muß, man wolle die Konflikte erhalten.

(Abg. Dr. Farthmann: Kanalisieren!)

— Um Kanalisieren geht es nicht. Es geht darum, die Konflikte einzubauen in die Gesellschaftsordnung, so daß sie den Bürgern nützen. Das ist bei der Tarifautonomie geschehen. 'Das ist dort gelungen. Wir haben die geringste Gewinnrate in der industrialisierten Welt, wir haben die höchsten Löhne. Man muß doch sagen: das hat funktioniert. Und ich sehe nicht ein, daß wir es jetzt unternehmen sollten, mit einer nicht zu Ende gedachten Regelung hier etwas zustande zubringen, was diese Basis der Freiheit, das Aushandeln von Lohn und Gewinn, in Gefahr bringt.
Deswegen sage ich, wenn Sie mich fragen „meh oder weniger Mitbestimmung?" : eine Mitbestimmung, die zu mehr Freiheit und Verantwortung, aber nicht eine Mitbestimmung, die auf Grund von Resten von Klassenkampfvorstellungen zum Proporz führt. Denn Proporz bedeutet doch in Wirklichkeit eine Verminderung von Verantwortung, wie es vorgesehen ist und wie es begründet wird. Auch bei Hensche steht es: Man wird sich dann eben vorher einigen. Das heißt — um es einmal so zu zitieren, wie es mir ein prominentes Mitglied des Hauses gesagt hat —: Wenn die anderen den Finanzdirektor bekommen haben, kriegen wir den Arbeitsdirektor; dann kriegen die wieder einen, und dann kriegen wir einen, und so sind wir bald fertig. Das ist genau das Verfahren, das angewendet wird. Aber, meine Damen und Herren, dies kann doch nicht das Verfahren sein, das zum Optimum an Unternehmensleistung führt!

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich bitte darum, daß Sie dies aufnehmen, und zwar nicht als eine Feindseligkeit gegenüber der Mitbestimmung, denn ich habe landauf, landab gesagt und geschrieben, seit ich bei Walter Eucken promoviert habe —: Mitbestimmung ist ein Essentiale der sozialen Marktwirtschaft.
Schließlich noch ein drittes zur Tarifautonomie. Es ist ja schon jetzt denkbar und in manchen Fällen Praxis, daß Gewerkschaftsvertreter beim Tarifstreit auf beiden Seiten der Bank sitzen. Wollen wir das fortsetzen? Wollen wir es dazu bringen, daß der heute zitierte Herr Loderer einmal Aufsichtsratsvorsitzender eines Unternehmens ist und andererseits Vorsitzender der Gewerkschaft, die gegen dieses Unternehmen, z. B. um einen Hausvertrag, kämpfen soll? Meine Damen und Herren, das werden Sie dem Bürger nicht als Gleichgewicht verkaufen. Das ist Zerstörung des Gleichgewichts.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)




Dr. von Bismarck
Und wir müssen darüber nachdenken, daß wir das, was wir wollen, mehr Verantwortung in Freiheit, durchsetzen, ohne dieses Essentiale der sozialen Marktwirtschaft aufs Spiel zu setzen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Bedenken Sie bitte auch noch — es gibt dazu ein Gutachten, das sich, glaube ich, Herr Minister Genscher hat machen lassen —, daß hier auch verfassungsrechtliche Probleme lauern; einige Kollegen haben das angesprochen. Es ist nicht gleichgültig, daß wir in dem Augenblick, in dem wir den Arbeitnehmer — ich glaube, bis auf ein paar Denksportler, die auf dieser Seite sitzen, wollen wir das alle — zum Besitzer von Produktivkapital machen wollen, das Eigentum in seiner Funktion aushöhlen oder herunterspielen oder sogar ausschalten.
Es ist also nicht richtig, so zu tun, als wäre Eigentum böser Kapitalismus und daher schlecht und daher zu vernachlässigen. Ich bin dankbar für die Worte des Herrn Ministers, der gesagt hat, daß die Arbeitnehmer durchaus ein gesundes Gefühl für Eigentum haben. Denn in dem Augenblick, in dem der Gewerkschaftsbund die Tür für tarifvertragliches Sparen aufgemacht hat — das haben wir ja neulich diskutiert —, hat sich die Zahl der Vertragsteilnehmer von 1,4 auf, ich weiß nicht, 14 oder 17 Millionen erhöht. Das heißt, der Arbeitnehmer will privates Eigentum. Und wir dürfen ihn doch nicht in dem Augenblick, in dem er Miteigentümer wird, jetzt plötzlich wissen lassen: Das ist alles nicht mehr wahr, wir brauchen das Eigentum nicht mehr, wir haben Mitbestimmung.
Bitte, meine verehrten Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei, sorgen Sie rechtzeitig dafür, daß hier nicht die Weichen falsch gestellt werden. Sie würden die Basis der Freiheit der Arbeitnehmer damit entscheidend schwächen. Denn nur wer privates Vermögen hat, das er riskieren kann, ist ein freier Mann.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Sie haben sich und uns alle in eine große Gefahr gebracht — und wir brauchen das gar nicht erst urbi et orbi zu sagen —: daß Sie die Sache des Eigentums in für mich ganz unbegreiflicher Weise vernachlässigen.
Wir haben auch über die Koalitionsfreiheit gesprochen. Und ich möchte in diesem Zusammenhang — auch dies aus persönlichster Erfahrung — doch noch ein Wort zu den leitenden Angestellten sagen. Ich bin in 24 Jahren durch diese Gruppe hindurchgegangen, habe ihr die längste Zeit meines beruflichen Lebens angehört und habe natürlich meine Freunde unter diesen leitenden Angestellten. Ich habe in der Eigenschaft, die ich sonst auszuüben habe, selbstverständlich auch ständig Gelegenheit, mit diesen Männern zu reden. Es geht mir jetzt nicht einfach um die Zahlenarithmetik, sondern um die essentielle, lebensnotwendige Bedeutung dieser Gruppe für uns alle. Wir haben mit ihnen ein schlechtes Spiel getrieben. Wir haben sie — in Freiburg — politisch hochgespielt und haben sie doch jetzt, wie es jedenfalls unten heißt, verschaukelt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Stücklen: Heiße Kartoffeln!)

— Ich sage dieses Wort bewußt, nicht etwa, um irgend jemanden anzuklagen, wohl aber, damit Sie wissen, was dort unten geredet wird. Auch wenn Sie, Herr Kollege Mischnick, den Kopf schütteln: Dies ist die Situation. Es wäre gut, wenn Sie sich damit vertraut machten. Sie würden sonst Leute verlieren, die Sie gewonnen haben.

(Abg. Stücklen: Der einzige Vorteil!) In Ihrem Interesse sage ich das.

Sie haben diese Gruppe verschaukelt, denn in Wirklichkeit werden sich die leitenden Angestellten nicht in der Vertretung finden, die Sie für sie vorgesehen haben. Auch hierüber müssen wir, meine ich, in der Debatte im Ausschuß sprechen. Wir müssen erörtern, wie dies in Ordnung gebracht werden kann. Das vorliegende Gesetz bietet nicht die Gewähr, daß diese entscheidende Gruppe — schon gar nicht als dispositiver Faktor — den Platz einnimmt, den sie unseres Erachtens einnehmen sollte. Wir wünschen, daß diese Gruppe mit ihrem Sachverstand und ihrer besonderen Verantwortung für das Unternehmen dies ist von Ihrer Seite aus richtig gesagt worden — einen nützlichen Beitrag im Aufsichtsrat leistet.
Ich möchte — ich muß mit meinen Ausführungen zu Ende kommen — noch eines richtigstellen. Es ist keineswegs wahr, daß der Generalsekretär der CDU, Professor Biedenkopf, die in unserer Hamburger Festlegung vorgesehene Beteiligung der leitenden Angestellten an den Aufgaben des Aufsichtsrates wieder gestrichen wissen wollte. Wer das behauptet, zitiert Professor Biedenkopf falsch und hat ihn völlig mißverstanden; er setzt ein Gerücht in die Welt! Professor Biedenkopf hat zu diesem Thema zuviel gesagt und geschrieben, als daß jemand, der hier ein Märchen verbreitet, entschuldigt werden könnte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte sehr ernstlich darum bitten, daß wir bei den Beratungen im Ausschuß den Stil waren, der dieser Sache angemessen ist. Wir sollten uns alle die Tatsachen noch einmal vor Augen führen und uns nicht auf Lieblingsgedanken versteifen. Es sollte auch nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Leute auf der anderen Seite völlig zerstritten sind. Vielleicht war das einmal so; heute können Sie das aber vergessen. Wir sollten in die Beratungen auch nicht mit der Absicht gehen, andere zu blamieren oder ihnen nachzuweisen, daß sie — was Sie gerne hätten — nur ein Feigenblatt wären. Wir sollten uns vielmehr bemühen, so viel von den Erfahrungen, Einsichten und Gedanken aller einzubringen, daß ein erstklassiges Ergebnis zustande kommt. Nach einigem, was ich von seiten der Liberalen in diesem Hause gehört habe, halte ich es immer noch für denkbar, daß wir ein solches Ergebnis zustande bringen, allerdings nur dann, wenn Sie wirklich bereit sind, bestimmte, von der Sache her notwendige Einsichten aufzunehmen. Ich meine, wir sollten



Dr. von Bismarck
dankbar sein, wenn dies ein Beispielfall wird, in dem Sie endlich auch einmal auf uns hören und nicht die Meinung vertreten, nur die Sozialdemokraten könnten soziale Gedanken haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711038900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehrenberg.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0711039000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege von Bismarck, Sie haben sich eingangs ein wenig darüber beklagt, daß Herr Farthmann den großen Träger Ihres Namens, der der erste Kanzler dieser Republik war, zu einseitig und nur zu kurz zitiert habe.
- (Abg. Dr. von Bismarck: Das mit der Republik ist schon ein bißchen länger her!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711039100
Wenn ich mich recht erinnere, war Bismarck nicht Kanzler einer Republik.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0711039200
Er war Kanzler des Deutschen Reiches, das leider keine Republik war. Ich hoffe, Sie gestatten mir trotzdem, diesen ja doch großen und bedeutenden, wenn auch sehr konservativen Mann hier ein zweites Mal zu zitieren, weil es nach der Vielzahl von Zitaten, die Herr Franke hier eingangs aus mehr als 100 Jahren Geschichte gebracht hat, schon zweckmäßig wäre, Bismarcks Worte ins Gedächtnis zu rufen. Ich möchte eine Äußerung Bismarcks aus der Debatte im Deutschen Reichstag anläßlich der Einführung der deutschen Unfallversicherung zitieren. In dieser Debatte im Deutschen Reichstag wurde jener Herr von Bismarck, der der erste Kanzler des Deutschen Reiches war, sehr heftig von noch viel konservativeren Leuten, als es auch ein Herr von Bismarck damals schon war -- es gab immer schon sehr viel Konservativere als die Bismarcks —, angegriffen. Es wurde gesagt, daß mit der Einführung der Unfallversicherung der Untergang des Abendlandes verbunden sein werde, daß die Wirtschaft zusammenbrechen und vor allen Dingen der Sozialismus im Deutschen Reich ausbrechen werde. Der Reichskanzler Bismarck hatte den Mut, dazu seinen viel konservativeren Freunden zu sagen, daß hier der Staat tätig werden müsse. Er sagte dann wörtlich — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren —:
Wenn man mir dagegen sagt, das ist Sozialismus, so scheue ich das gar nicht. Ich habe schon vorhin vorweggenommen, daß der Staat ohne einen gewissen Sozialismus nicht bestehen kann.
Ein sehr lobenswertes Wort dieses großen Herrn von Bismarck. Ich würde nur Herrn Franke bitten, das in seinen Zitatenschatz in Zukunft mit aufzunehmen, wenn er über Sozialismus spricht.
Und ich würde Sie, Herr von Bismarck, doch bitten: Wenn wir uns über das sehr ernsthafte Problem der Funktionsfähigkeit der Unternehmen unterhalten, das mit Sicherheit für .die weitere wirtschaftliche und politische Entwicklung dieses Landes von ganz entscheidender Bedeutung ist, dann wird man ja nicht so tun können, als ob nur die Vorstände und die leitenden Angestellten die Funktionsfähigkeit dieser Unternehmen sicherstellten, als ob es nicht genauso entscheidend auf die Bereitschaft der gesamten Belegschaft ankäme. Aber das haben wir bei Ihnen vermißt, Herr von Bismarck.

(Abg. Katzer: Das ist doch selbstverständlich!)

— Wenn das so selbstverständlich ist, Herr Katzer, dann verstehe ich allerdings das überhaupt nicht mehr, was heute hier an diesem Pult von von Stauffenberg bis von Bismarck und von Franke bis Blüm gesagt worden ist. Denn wenn Sie das auch akzeptieren würden, dann müßten Sie auch akzeptieren, daß das Modell der Koalition einen Zwang zur Kooperation unter den am Produktionsprozeß beteiligten Gruppen enthält, der die Effektivität nur steigern und nicht mindern kann.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711039300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. von Bismarck? — Bitte sehr!

Dr. Philipp von Bismarck (CDU):
Rede ID: ID0711039400
Sie können bei uns allen Vieren davon ausgehen, daß wir ,die eindrucksvollen Äußerungen des Kollegen Schmidt über dieses Thema voll bejahen, und ich frage Sie, ob Sie es wirklich für nötig halten, uns jetzt zu unterstellen, daß wir über das Verdienst der Arbeitnehmer an unserem Staat eine andere Ansicht haben.

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0711039500
Herr von Bismarck, ich kann Sie nur dazu beglückwünschen. Nur kann ich eben, wenn diese Einstellung vorhanden ist, den Tenor der Reden, die hier von Ihrer Seite aus gehalten wurden, nicht verstehen. Wenn das so ist, dann hätten Sie andere Reden halten müssen. Dann müßten Sie sich hinter dieses Mitbestimmungskonzept der Koalition stellen und vielleicht Verbesserungsvorschläge machen, dürften aber nicht so tun, als würde mit diesem Mitbestimmungskonzept, mit diesem paritätischen Konzept die Funktionsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in Gefahr gebracht.
Um gleich bei Ihnen noch einmal zu bleiben, Herr von Bismarck: Sie haben es abgelehnt, das, was Adolf Schmidt gesagt hat — einen Moment bitte, Herr Blüm, erst diesen Punkt zu Ende! —, gelten zu lassen, nämlich daß die Mitbestimmung in der Montanindustrie einer ,der entscheidenden Faktoren bei der Bewältigung der Kohlenkrise gewesen sei. Sie wiesen auf andere Beispiele hin.

(Abg. Dr. von Bismarck: Es ging nicht um „einen", sondern um „den"; das sind Nuancen!)

— Nein, es geht auch um „den". Denn, Herr von Bismarck, statt auf die Landwirtschaft und andere Verhältnisse hinzuweisen, hätte es sich vielleicht gelohnt, den vergleichbaren englischen Kohlenbergbau heranzuziehen. Da sehen Sie die Unterschiede, wie Strukturkrisen mit einer verantwortungsvollen Gewerkschaft und einem ausgebauten Mitbestim-



Dr. Ehrenberg
mungsmodell bewältigt werden können und wie nicht. Der britische Steinkohlenbergbau und der Ruhrkohlenbergbau, das sind vergleichbare Tatbestände, und nicht die deutsche Landwirtschaft und der Ruhrkohlenbergbau. — Herr Blüm?

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711039600
Herr Abgeordneter Blüm zu einer Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID0711039700
Herr Kollege Ehrenberg, halten Sie es für einen Zwang zur Kooperation, wenn in Ihrem Modell die Hauptversammlung das letzte Wort hat? Als die CDU Gleiches vorschlug, hat die SPD von Scheinparität gesprochen:

Dr. Herbert Ehrenberg (SPD):
Rede ID: ID0711039800
Herr Blüm, die Hauptversammlung hat hier das letzte Wort nach einem bewußt so umständlich angelegten Weg, daß es meiner Meinung nach zu diesem letzten Wort noch nicht mal in einem von tausend Fällen kommen wird.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Gerade dieser so umständlich angelegte Weg beinhaltet den Zwang zur Kooperation.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ein Eiertanz!)

Ich muß das wiederholen, was Herr Farthmann schon gesagt hat:

(Zuruf von der CDU/CSU: Eiertanz!)

Ein Aufsichtsratsgremium ist ja nun wirklich kein Organ für Tagespolitik und für kurzfristige Entscheidungen, sondern es ist ein Organ, das die langfristigen Unternehmensentscheidungen, die heute bei den langfristigen Investitionsplanungen fünf, zehn und mehr Jahre umfassen müssen, trifft. Und da halte ich es allerdings für unabdingbar, daß in diese Entscheidungen nicht nur der Sachverstand der Kapitalseite, sondern gleichberechtigt und gleichgewichtig der Sachverstand der Arbeitnehmerseite — und nicht nur der leitenden Angestellten; es gibt auch genügend Sachverstand bei den unterhalb der Schicht der leitenden Angestellten stehenden Arbeitnehmern voll mit eingebracht wird.

(Abg. Dr. von Bismarck: Dagegen brauchen Sie nicht zu polemisieren! Das steht auch in unserem Vorschlag!)

— Herr von Bismarck, Sie haben dann auf die großen Gefahren hingewiesen, die dadurch in den Vorständen entstehen würden,

(Abg. Dr. von Bismarck: Werden!)

daß man sich dort nicht mehr frei fühlen würde, daß man sich vor einem paritätisch besetzten Aufsichtsrat gegenseitig ausgetauscht, verschaukelt fühlen würde, und Sie, Herr von Bismarck, haben vor allem als Beispiel darau hfingewiesen, daß heute schon Vorstandsmitglieder aus der Montanindustrie es kaum noch riskierten, in den Aufsichtsräten frei zu sprechen. Ich habe die Herren — um nur zwei Namen zu nennen — Sohl und Overbeck als sehr selbstbewußte und keineswegs geduckte Männer, die sich vor einem paritätisch geführten Aufsichtsrat unfrei fühlen, kennengelernt. Sie sollten dem deutschen
Management hier kein so kleinliches Zeugnis ausstellen und nicht so tun, als fürchte sich das Management in diesem Lande vor der Parität.
Es wird allerdings in Zukunft in den Aufsichtsräten etwas beginnen, was auch höchst notwendig und einer der wesentlichsten Aspekte dieses Mitbestimmungsmodells ist. Es wird die arbeitsmäßige Seite der Produktionsprozesse gegenüber der technischen und finanziellen Seite mehr zur Geltung kommen, und es wird das, was in Skandinavien sehr viel weiter fortgeschritten ist als bei uns — teilweise auch in den Niederlanden —, die Humanisierung der Arbeitswelt, die Abkehr von technisch sturen Prozessen, die Einführung neuer Produktionsmethoden, sehr viel häufiger und sehr viel intensiver als bisher in den Aufsichtsräten diskutiert werden. Und das Ganze wird nicht geschehen, um die Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaft zu schmälern, sondern um sie zu steigern, weil bessere Arbeitsbedingungen nicht nur den Arbeitnehmern zugute kommen, sondern zusätzlich — im Regelfall — auch höhere Produktivität bedeuten.
Diese Komponente stärker als bisher in die Überlegungen des Managements der Großunternehmen hineinzubringen, ès über den paritätisch besetzten Aufsichtsrat zu verpflichten, sich mehr als bisher um diese Seite zu kümmern, ist eines der Nebenergebnisse der Mitbestimmung, die ganz entscheidend dabei helfen werden, die stabile Entwicklung dieser deutschen Volkswirtschaft zu verbessern.
Und ein Letztes, weil die Uhr weit genug fortgeschritten ist! Sie haben u. a. — vielleicht mit einem Blick in meine Ecke; ich habe es mir jedenfalls eingebildet — von den Marktwirtschaftlern in der Sozialdemokratischen Partei gesprochen.

(Abg. Dr. von Bismarck: Sie sind immer eingeschlossen!)

— Ich habe mich auch angesprochen gefühlt, Herr von Bismarck, und ich möchte Ihnen nur sagen, daß es davon noch sehr viel mehr gibt. —

(Abg. Dr. von Bismarck: Schön!)

Von diesem Pult aus muß aber auch gesagt werden, daß sich Marktwirtschaft nicht nur in Lippenbekenntnissen äußern kann, daß Mitbestimmung und eine ganze Reihe weiterer Bedingungen — vor allem die Humanisierung des Arbeitslebens — ganz entscheidende Punkte einer marktwirtschaftlichen, aber sozial gebundenen Wirtschaftsordnung sind und daß nur der es mit der freiheitlichen Wirtschaftsordnung wirklich ernst meinen und ernstgenommen werden kann, der sich bemüht, diese Sozialbindung — die Mitbestimmung ist hiervon ein wesentlicher Teil — zu intensivieren, zu erweitern und sie hicht so lange wie möglich abzublocken.

(Abg. Freiherr von Fircks: Da sind wir uns einig!)

— Wenn wir da einig sind, verehrter Herr Frerichs, dann hoffe ich, daß wir in diesem Hause noch in diesem Jahr dieses Mitbestimmungsgesetz mit sehr viel größerer Mehrheit werden verabschieden können als vor drei Jahren das Betriebsverfassungsgesetz. Damals war es ja nur das Häuflein von 21,



Dr. Ehrenberg
wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, das sich aus dem Bereich der Sozialausschüsse getraut hatte, das den Mut hatte, diesem fortschrittlichen Betriebsverfassungsgesetz zuzustimmen.

(Dr. von Bismarck: Wenn es den Mut doch auch einmal in Ihrer Fraktion gäbe!)

Ich hoffe sehr, daß es bei der Mitbestimmung, bei
dieser notwendigen Maßnahme zur Festigung der
freiheitlichen Wirtschaftsordnung, mehr sein werden.

(Abg. Seiters: Sie waren doch auch bei der Arbeitnehmerkonferenz!)

Heute von diesem Pult hat leider niemand der vier
Sprecher der Opposition eine Antwort darauf gegeben, ob Sie mehr Mitbestimmung wollen oder nicht.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711039900
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.

Klaus-Jürgen Hoffie (FDP):
Rede ID: ID0711040000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zum Abschluß dieser Diskussion die Erörterungen im Detail nicht mehr verlängern. Ich möchte vielmehr noch einmal auf den Kern der sozialen Frage im industriellen Zeitalter hinführen, auf dem die Forderung nach Mitbestimmung letztlich beruht. Ich meine, wir müssen uns in dieser Diskussion zunächst noch einmal bewußt werden, daß der Pauperismus, daß die „naturwidrige Armut", der vorindustriellen Aera wie sie von Marx formuliert wurde, überwunden ist. Geblieben sind aber, so meine ich, doch soziale Bedrängnisse. Geblieben ist doch die Tatsache, daß sich der industrielle Arbeitnehmer nach wie vor als Industrieuntertan verstehen muß, wie es der große liberale Sozialpolitiker Naumann formuliert hat. In dieser aufgezwungenen Subordination der Arbeitnehmer unter die Kapitalinteressen, oder heute besser gesagt unter die Managementinteressen überwiegend geldbezogener Unternehmensziele liegt nach wie vor das eigentliche Kernproblem dieser sozialen Frage unserer industriellen Wirklichkeit, wie ich meine, gleichsam der Kern des gesamten Mitbestimmungsproblems.
Zugegeben: Die Ware Industrieuntertan, gehandelt auf dem Arbeitsmarkt und „allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes unterworfen", um hier noch einmal Marx zu zitieren, hat sich infolge eines veränderten Bildes von Angebot und Nachfrage dahin gehend gewandelt, daß sie heute weniger unter Wert, weniger nur nach dem Gesichtspunkt der Minimierung der Löhne und der Maximierung der Gewinne gehandelt wird. Aber die weitgehend aufrechterhaltene Subordination der Arbeit unter das Kapital heißt doch auch immer noch weitgehend Alleinbestimmung der Kapitalseite im Unternehmen, im Betrieb und auch am Arbeitsplatz. Der Faktor Arbeit ist nach wie vor Objekt wirtschaftlicher Hierarchien geblieben.
Dieser Mitbestimmungsgesetzentwurf hat vorrangig die Aufgabe, diese uralten Mißverhältnisse grundlegend zu beseitigen. Alle diejenigen, die sich an dieser Diskussion beteiligen, sollen und müssen zuvor zu der Einsicht gelangen, daß ohne den Faktor Arbeit das Kapital als Eigentum immer unproduktiv bleiben muß, so wie ohne den Faktor Kapital auch der Arbeit die Mittel zu einer Entfaltung fehlen. Industrie heißt immer, letztlich und auch überall Zusammenwirken von Kapital und Arbeit. Josef Weis sagt — ich glaube, Herr Franke hat ihn heute schon zitiert —: „In jedem System ist dieser Urtatbestand da und kann nicht beseitigt werden". So verstanden wirtschaftet man auch in einem sozialistischen System kapitalistisch; aber auch in einem System sozialer Marktwirtschaft schaffen Kapital und Arbeit erst den Ertrag, Herr von Bismarck.
Diese lebensnotwendige Abhängigkeit, meine Damen und Herren, verlangt aber Gleichgewichtigkeit und verlangt Gleichberechtigung dieser beiden Faktoren und verbietet letztlich, sich nur auf partnerschaftliches Wohlverhalten, wie man es hier heute ja mehrfach gehört hat und auch in Ihren Hamburger Beschlüssen nachlesen kann, zu beschränken. Ohne Gleichberechtigung verfestigen sich Abhängigkeit und Machtausübung des einen über den anderen. Aus dieser Erkenntnis resultiert unsere grundsätzliche Forderung nach Gleichgewichtigkeit und Gleichberechtigung dieser beiden Faktoren.
Aber man muß nach unserem Verständnis — ich spreche hier einen zweiten Grundsatz unseres Freiburger Programms an — neben den Faktoren Kapital und Arbeit — und ich glaube, daß muß hier heute noch einmal deutlich gemacht werden — eben noch einen dritten Faktor unterscheiden, nämlich die Dispositionstätigkeit. Sie ist letztlich nichts anderes als eine bestimmte Art von Arbeit; aber sie unterscheidet sich von der Industriearbeit durch den leitenden, planenden, anordnenden oder auch kontrollierenden, also nicht nur ausführenden Charakter ihrer Funktion.
Nun wird ja diese Berechtigung der Unterscheidung eines solchen Faktors von den Gewerkschaften wie auch von den Marxisten in der Regel bestritten. Audh für Marx waren aus der damaligen Situation heraus ganz selbstverständlich Kapitalist, Unternehmer und der Faktor Dispositionen noch eine Einheit. Diese klassische Einheit verschwindet aber von der Bildfläche und sie entspricht heute nicht mehr den ,Realitäten. Schon Lorenz von Stein — um einmal in das Zeitalter der Zitate zurückzugehen, die Herr Franke hier heute morgen angeführt hat —hat damals erkannt, daß die Leitung der Arbeit innerhalb der arbeitenden Tätigkeit als selbständige Aufgabe anzuerkennen ist, nämlich als Abhebung der leitenden Tätigkeit vom bloßen Kapitalbesitz. Sie hebt auf das wirtschaftliche, auf das technische und das führungsmäßige Know-how im Unternehmen ab, denn die bloße Zusammenfügung der Faktoren Kapital und Arbeit allein schaffen ja nicht a priori ein wirtschaftlich lebensfähiges Unternehmen, wie ja auch das Versagen so mancher größerer Produktivgenossenschaften beweist. Erst in der Kooperation und in der Auseinandersetzung von Kapital, Arbeit und Disposition wird dieses soziale Grundproblem, mit dem wir es hier zu tun



Hoffie
haben und mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, deutlich.
Jetzt ist die Frage nach dem Menschen — und nach dem sachgerechten Verhältnis dieser drei Faktoren zu stellen. Dieses noch endgültiger auszuformulieren, wird sicher noch einiger grundsätzlicher Auseinandersetzungen auch bei den Ausschußarbeiten bedürfen. Aber, Herr von Bismarck, eines, ist sicher klar: Wir haben bei diesem Kompromiß, zu dem wir uns durchgerungen haben, den leitenden Angestellten, den Faktor Disposition, nicht „fallengelassen wie eine heiße Kartoffel und auch nicht aufgegeben", wie Sie erklären wollten; denn in keinem Modell und in keinem Gesetzentwurf zuvor — da werden Sie mir doch sicher recht geben — war dieser Faktor enthalten. Sie werden mir sicher auch zustimmen müssen, daß dieser Faktor in der Gesetzesvorlage weiterhin enthalten ist, und er wird auch bei den weiteren Beratungen dieses Gesetzes nicht aufgegeben werden.

(Abg. Dr. von Bismarck: Und die Wahlen?)

Ich darf abschließend noch einen Mann zitieren, weil Herr Franke das heute morgen in so schöner Regelmäßigkeit gemacht hat.

(Abg. Pfeffermann meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Ich bin gleich am Schluß, Herr Pfeffermann.

(Abg. Pfeffermann: Das ist, glaube ich, auch besser für Sie!)

Wir können uns im Wahlkreis Darmstadt dann gerne bei Podiumsdiskussionen weiter darüber unterhalten. Ich will nämlich die Beratung insgesamt nicht länger aufhalten. — Aber vielleicht noch — mit Genehmigung des Präsidenten — ein Zitat, nämlich von Arthur Rich, dem Schweizer Sozialethiker, der die Maximen, die sich aus der Analyse und aus der Kritik von Mitbestimmungsmodellen ergeben, zusammengefaßt hat. Sie unterstreichen die grundsätzliche Haltung, die ich für die Freien Demokraten noch einmal vertreten kann. An diesen Maximen läßt sich auch das messen, was Sie von der Opposition uns heute in Ermangelung einer alternativen Gesetzesvorlage im einzelnen doch sehr unterschiedlich erklärt und vorgelegt haben.
Ich glaube, man kann sich sicher grundsätzlich darauf verständigen, daß Mitbestimmung die Anerkennung des Faktors Arbeit als gleichberechtigt mit den übrigen Faktoren voraussetzen muß.

(Abg. Pfeffermann: Richtig!)

Von partnerschaftlicher Kooperation, wie Sie meinen, kann darum nur dort die Rede sein, wo im Unternehmen und im Betrieb die Kooperierenden nicht nur zusammenwirken, sondern trotz der vorhandenen Positions- und Interessengegensätze gleichberechtigt an der Machtverwaltung, an der Willensbildung und Entscheidungsfindung teilhaben. Mitbestimmung ist ein unteilbares Ganzes, und die partizipative Kooperation wird in Frage gestellt, wenn sie nicht auf sämtlichen Ebenen gilt.
Die Grundfunktion der Mitbestimmung der Arbeitnehmerseite auf der Unternehmensebene besteht in der Mitlegitimierung und Mitkontrolle der Unternehmensleitung sowie in der Beteiligung bei der Festlegung der langfristigen Unternehmensziele überhaupt, der Unternehmenspolitik. Die durch die Mitbestimmung bedingte Teilung der in einem Unternehmen konzentrierten Macht muß so geordnet werden, daß im Rahmen der vereinbarten Unternehmensverfassung die Einheitlichkeit, die Verantwortungsfähigkeit und das Direktionsrecht der Geschäftsleitung gewährleistet bleiben.
Mitbestimmung ist immer nur in dem Maße funktionsfähig, in dem sich die Arbeitnehmerseite mi t den notwendigen und insofern berechtigten Kapitalbildungs- bzw. Rentabilitätsinteressen befreunden kann, was durch eigene finanzielle Beteiligung vorab in gesellschaftlicher Gestalt begünstigt wird. Die Wahrnehmung der kollektiven Schutzfunktion der Mitbestimmung zugunsten der Arbeitnehmer im Betrieb bedarf aber des Rückhaltes durch die Gewerkschaften, weil die isolierte Belegschaft gegenüber der Unternehmerschaft machtmäßig im Nachteil ist.
Mitbestimmung zwischen den Trägerschaften der verschiedenen Produktionsfaktoren ist erst dann eine Realität, wenn sie die Menschen der industriellen Arbeitswelt — sowohl ihrem individuellen als auch kollektiven Status nach — aus einseitiger Abhängigkeit befreit. Wir Freien Demokraten wollen diese Realität für diese unsere Gesellschaft, und wir werden sie in einem fairen Kompromiß mit dem Koalitionspartner schaffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711040100
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist erschöpft.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend -- und an den Ausschuß für Wirtschaft sowie an den Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen. — Es erfolgt kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 2 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Diätengesetzes 1968
— Drucksache 7/2285 —
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Konkursausfallgeld (Drittes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes)

— Drucksache 7/1750 —



Vizepräsident Dr. Jaeger
Bericht und Antrag des Ausschusses für Ar-
beit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 7/2260 —
Berichterstatter: Abgeordneter Urbaniak (Erste Beratung 86. Sitzung)

Ich danke dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Urbaniak, für seinen Schriftlichen Bericht und komme zur Einzelberatung in der zweiten Lesung.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0711040200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der SPD-Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Der dem Parlament zur Abschlußberatung vorliegende Entwurf eines Gesetzes über Konkursausfallgeld — Drittes Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes — wird von der SPD-Fraktion begrüßt.
Die Bundesregierung hat mit ihrer Gesetzesinitiative einen bisher völlig unbefriedigenden sozialen und gesellschaftlichen Zustand beseitigt. Das geltende Recht hat den Arbeitnehmer bisher nur unzureichend vor dem Risiko des Lohnausfalls bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geschützt.
Die Erfahrungen aus der Betriebspraxis haben gezeigt, daß bei mehr als der Hälfte aller Konkurse die Lohnansprüche der Arbeitnehmer nicht erfüllt wurden. Auch bei einer ausreichenden Konkursmasse sind Arbeitnehmer in Not geraten, da die rückständigen Lohn- und Gehaltsansprüche nicht vor dem allgemeinen Prüfungstermin befriedigt werden konnten. Dieser Zustand wird nun beseitigt.
Das Gesetz verbessert die ungesicherte Stellung des Arbeitnehmers im Konkursfalle seines Arbeitgebers erheblich, die Erfüllung rückständiger Lohnansprüche wird durch eine sozialversicherungsrechtliche Lösung sichergestellt. Die Arbeitnehmer werden künftig Anspruch auf Konkursausfallgeld haben, wenn sie den ihnen zustehenden Lohn nicht oder nicht rechtzeitig erhalten; das Konkursausfallgeld wird den Nettolohn bis zu drei Monaten von Konkurseröffnung gewährleisten.
Hiermit wird auch der nahtlose Übergang von der Lohnzahlung zur Arbeitslosengeldzahlung sichergestellt. Außerdem werden für diesen Zeitraum auch die Sozialversicherungsbeiträge und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung übernommen.
Träger der Konkursausfallversicherung wird die Bundesanstalt für Arbeit sein. Die örtlichen Arbeitsämter werden die Auszahlungen durchführen, die über die Berufsgenossenschaften von den Arbeitgebern aufzubringenden Mittel werden bei der derzeitigen Wirtschaftslage etwa 40 Millionen DM jährlich betragen.
Das Gesetz beschränkt sich aber nicht auf die sozialversicherungsrechtliche Sicherung der Lohnansprüche, sondern es verbessert die konkursrechtliche Stellung des Arbeitnehmers. Diese Besserstellung betrachtet meine Fraktion lediglich als einen ersten Schritt zur grundlegenden Reform des Konkursrechts. Wir wissen, daß diese Reform nicht von heute und morgen zustande gebracht werden kann. Die Arbeiten der Regierung an dieser Reform sind daher fortzuführen.
Der Gesetzentwurf über Konkursausfallgeld wurde in seinen parlamentarischen Beratungen durch ergänzende Anträge der Koalitionsfraktionen weiter verbessert. Das gilt besonders für den § 141 c Abs. 1, der besagt, daß für die Gewährung von Konkursausfallgeld für den dritten Monat die unbestimmten Rechtsbegriffe gestrichen worden sind. Auslegungsschwierigkeiten sind damit beseitigt, so daß auch für den dritten Monat das Konkursausfallgeld ausgezahlt und die Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden.
Die Sozialstaatusklasel unserer Verfassung wird mit der heutigen Vorlage um ein wesentliches Stück erweitert. Die Arbeitnehmer, die Betriebsräte und die Gewerkschaften werden dieses Gesetz zu würdigen wissen.
Der Opposition ist vorzuhalten, daß sie in zwei Jahrzehnten ihrer Regierungszeit nicht in der Lage war, diese für Arbeitnehmer wichtige gesetzliche Regelung zu diskutieren oder einer sinnvollen Lösung zuzuführen.

(Abg. Frau Hürland: Wir hatten keine Konkurse!)

Zum Entwurf der Regierung hat sie wie in den meisten Fällen keine Alternativen vorgelegt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711040300
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Berlin).

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0711040400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU- Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
Der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat, wie aus dem Ausschußbericht zu entnehmen ist, einstimmig die Annahme des Gesetzentwurfs in der Ausschußfassung empfohlen. Damit ist ganz eindeutig die grundsätzliche Übereinstimmung aller Fraktionen in diesem Hohen Hause, also auch einschließlich der Opposition, über die Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung eines Anspruchs auf Konkursausfallgeld im gegebenen Falle unterstrichen.
Ich verhehle nicht, daß es uns lieber gewesen wäre, wenn die Aufbringung der Mittel für das je-



Müller (Berlin)

weilig anfallende Ausfallgeld im Wege der Umlage branchenmäßig erfolgt wäre. So würde weniger der Versicherungscharakter, als vielmehr die Solidarität der in einer Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Arbeitgeber zum Zwecke des Ausgleichs der branchenmäßig unterschiedlichen Risiken zum Ausdruck kommen. So erscheint es z. B. im ersten Augenblick sozial ungerecht und unzumutbar, wenn die in der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zusammengeschlossenen Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege mit den Kosten für das Konkursrisiko anderer Wirtschaftsbereiche — meinetwegen der Bauwirtschaft — mitbelastet werden, obwohl sie selbst kaum ein Konkursrisiko darstellen.
Wir haben uns aber überzeugen lassen, daß a) die gleichmäßige und ausnahmslose Umlage der für das Konkursausfallgeld erforderlichen Mittel auf alle Arbeitgeber im Durchschnitt je Arbeitnehmer nicht mehr als 2 DM im Jahr betragen wird und b) andererseits erhebliche Verwaltungsschwierigkeiten mit unverhältnismäßig höheren Verwaltungskosten entstehen würden. Beim Abwägen aller Fakten, des Für und Wider, der Angemessenheit der entstehenden Verwaltungskosten und deren Verhätlnismäßigkeit zur Effizienz haben wir uns schließlich ohne Vorbehalt für die gefundene Lösung im Sinne der Vereinfachung entschieden.
Für uns war und ist maßgebend, daß den Arbeitnehmern das Entgelt für vollbrachte Arbeitsleistungen und damit die auf sie entfallenden Versicherungszeiten gesichert und daß sie nicht mit einem ihre Existenz bedrohenden Risiko belastet werden, also ein Risiko für eine schlechte Wirtschafts- bzw. Struktur- und falsche Finanzpolitik tragen müssen.
Natürlich gab und gibt es auch in der Zukunft auf persönliches Versagen und Fehlverhalten des Unternehmers zurückzuführende Konkurse. Die gab es schon immer. Doch das Ansteigen der Zahl der Insolvenzen von 1970 bis heute spricht für sich. Ein Vergleich mit den Werten von 1972 zeigt z. B., daß im vergangenen Jahr die Insolvenzen um 20,97 %, die Konkurse um 18,23 %, die mangels Masse eingestellten Konkursverfahren um 10,84 %, die Vergleiche um 44,01 % und die Millionenkonkurse, d. h. Konkurse mit Schulden von über 1 Million Mark je Konkurs, um 88,45 % zugenommen haben.
Ein anderer Vergleich: Während 1965 noch insgesamt 2 928 Konkurse zu verzeichnen waren, gab es 1970 bereits über 3 900, 1971 sogar 4 255, 1972 4 410 und 1973 bereits 5 214 Konkurse mit einer doppelt so hohen Zahl mangels Masse abgelehnter Konkurse, nämlich 2 681 gegenüber 1 269 im Jahre 1965. Während 1954 — um nicht bei einer Zahl stehenzubleiben —, also zu einer Zeit, in der es eine relativ hohe Zahl von Konkursen gab — aus erklärlichen Gründen; es war am Anfang unserer wirtschaftlichen Entwicklung —, noch 60,8 % der bevorrechtigten Forderungen, wie Löhne, Gehälter, Sozialabgaben und Steuern, im Konkursfalle befriedigt werden konnten, betrug dieser Befriedigungsanteil im Jahre 1973 nur noch 31 %.

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.) Eine der wesentlichen Ursachen der Zunahme zahlungsunfähiger Unternehmen ist deren sinkende Eigenkapitalausstattung.

Sosehr wir es also begrüßen, daß mit diesem Gesetzentwurf eine Lücke in unserem vorbildlichen System sozialer Sicherung geschlossen wird, können wir es uns aber nicht versagen, darauf hinzuweisen, daß mit der steigenden Zahl der Konkurse auch entsprechendes wertvolles Volksvermögen verlorengeht.
Eine Ursache dieser steigenden Zahl von Konkursen ist sicher nicht allein, aber auch nicht zuletzt die mangelnde Geldwertstabilität mit den damit verbundenen Kostensteigerungen. Natürlich wird z. B. das Volkswagenwerk nicht in Konkurs gehen, weil der Bund und das Land Niedersachsen 46 % des Eigenkapitals besitzen. Aber andere Unternehmen, die nicht den Steuerzahler im Rücken haben, können durchaus durch außergewöhnliche Kostensteigerungen in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die Bekämpfung dieser Kostensteigerungen muß auch weiter eines der Hauptziele der Politik sein.
In diesem Zusammenhang gehören unsere Sorgen allerdings in erster Linie den durch Konkurs arbeitslosen Arbeitnehmern und deren Familien. Aus diesem Grunde haben wir dieser Zulage zugestimmt und werden ihr auch in dritter Lesung beitreten.
Lassen Sie mich als Berliner Abgeordneter abschließend noch meine Befriedigung darüber zum Ausdruck bringen, daß der federführende Ausschuß sich einer Anregung des Bundesrates folgend einstimmig dafür ausgesprochen hat, den Berliner Empfängern von Konkursausfallgeld auch die Arbeitnehmerzulage nach § 28 des Berlinförderungsgesetzes zu zahlen. Eine entsprechende Änderung des Berlinförderungsgesetzes soll bei nächster Gelegenheit erfolgen. So wünscht es der Ausschuß. Die CDU/CSU-Fraktion erwartet eine baldige Regierungsvorlage, damit dies geregelt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711040500
Das Wort hat der Abgeordnete Hölscher.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0711040600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten darf ich folgende Erklärung abgeben:
Bereits in der ersten Lesung haben wir zum Ausdruck gebracht, welche Bedeutung dieses wichtige Gesetz für uns hat; denn es verhindert, daß ein Arbeitnehmer beim Konkurs eines Arbeitgebers außer dem Verlust seines Arbeitsplatzes auch noch mit rückständigen Lohnforderungen auf der Strecke bleibt, wobei der Lohn ja oft für ihn die einzige Existenzgrundlage darstellt. Wir begrüßen, daß der Gesetzentwurf in seinen wesentlichen Teilen unverändert die Ausschußberatungen passiert hat. Nach Inkrafttreten des Gesetzes wird also jeder Arbeitnehmer sicher sein können, den vollen Nettolohn der letzten drei Beschäftigungsmonate einschließlich der Beiträge zur Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung zu erhalten.



Hölscher
Erfreulich ist auch, daß das Gesetz in den zuständigen Ausschüssen zügig beraten werden konnte, so daß es noch vor der Sommerpause verabschiedet werden kann. Leider hat es in der letzten Zeit mehr Konkurse gegeben, so daß Eile geboten war.
Die vom Ausschuß vorgenommenen Änderungen dienen ebenfalls der Verbesserung der Stellung des Arbeitnehmers. So wird auch der dritte Monat ohne Vorbedingung voll in die Konkursausfallgeldregelung einbezogen. Außerdem wird auch den Empfängern von Konkursausfallgeld die Arbeitnehmerzulage des Berlinförderungsgesetzes gezahlt. Die entsprechenden Änderungen dieses Gesetzes hat die Bundesregierung zugesagt.
Um Fehlinterpretationen des Kreises der von der Umlage befreiten Unternehmen auszuschließen, hat der Ausschuß klargestellt, daß neben den konkursunfähigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur solche Körperschaften des öffentlichen Rechts befreit werden, bei denen Bund, Land und Gemeinde bei Zahlungsunfähigkeit in die Verantwortung genommen werden können.
Wir Freien Demokraten begrüßen auch die auf Antrag des Rechtsausschusses gegenüber der Regierungsvorlage vorgenommenen Änderungen der Konkursordnung. Danach gehören die Ansprüche des Arbeitnehmers für den vierten bis sechsten Monat vor den auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Ansprüchen zur Konkursmasse, werden also vorab befriedigt, nicht aber die auf die Bundesanstalt übergegangenen Ansprüche für den ersten bis dritten Monat. Wir begrüßen diese Regelung, weil damit dem Konkursverwalter in vielen Fällen wenigstens so viel Mittel bleiben, daß er auch andere Ansprüche befriedigen kann. Hierbei ist nicht zu verkennen, daß der Totalausfall in der Befriedigung von Forderungen aus Warenlieferungen oft auch Arbeitsplätze in anderen Unternehmen gefährdet, und zwar vor allem dann, wenn es sich auf Gläubigerseite um nicht sehr kapitalkräftige kleine und mittlere Unternehmen handelt.
Wie schon in der ersten Lesung möchten wir auch in der Schlußberatung daran erinnern, was es für einen Arbeitnehmer bedeutet, auf das Entgelt für seine bereits geleistete Arbeit zu verzichten, für eine Leistung also, die er in jedem Fall im voraus zur Verfügung stellen mußte, ohne dafür Sicherheit bekommen zu haben. Einige hundert Mark Lohnverlust haben dann, wenn keine Rücklagen vorhanden sind, für eine Familie schlimmere Auswirkungen als manchmal Millionenverluste für ein Großunternehmen.
Wir können mit Genugtuung feststellen, daß alle Betroffenen, auch die Vertreter der Arbeitgeber, mit der von der sozialliberalen Regierung vorgeschlagenen Regelung einverstanden waren.
Die für die Zahlung der Konkursausfallgelder benötigten Mittel werden im Umlageverfahren von den Berufsgenossenschaften eingezogen und über die Arbeitsämter ausgezahlt. Damit haben wir das denkbar einfachste und am 'schnellsten anwendbare Verfahren gefunden.
Mit diesem Gesetz hat die sozialliberale Koalition einen weiteren wichtigen Beitrag zur sozialen Sicherung geleistet.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0711040700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard (Bad Schwalbach).

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0711040800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz ist in seinem ersten Teil, nämlich der versicherungsrechtlichen Lösung, zu begrüßen. Es entspricht einer durch die zahlreich auftretenden Konkurse bedingten Notwendigkeit. Darüber gibt es keinen Zweifel. Problematisch ist aber, daß man bei der Frage der Beitragsleistung zu den Berufsgenossenschaften alle Unternehmungen der öffentlichen Hand ausgenommen und alle anderen — freiberufliche und ähnliche — einbezogen hat. Doch das soll für heute abend nicht mein Problem sein.
Mein Problem ist die Konkursordnung. Die Änderungen der Konkursordnung sind mit heißer Nadel genäht. Das ergibt sich schon durch den hier vorliegenden Gesetzentwurf, wo dann plötzlich nicht mehr von „Masse", sondern an einer Stelle sogar von „Massen schulden" die Rede ist, obwohl das weiß Gott in der Konkursordnung keinen Platz hat. Das zeigt nur, wie schnell das verhandelt wurde.
Es ist auch nicht der übliche Gesetzesweg für die Gesetzgebung nach den Regeln, die die Bundesregierung sonst übt, eingehalten worden. Das hat dazu geführt, daß auch die fachliche Seite, was speziell im Konkursrecht eigentlich nötig gewesen wäre, sehr wenig zum Zuge gekommen ist. Wir hatten im Rechtsausschuß zunächst die Absicht, die Konkursordnung überhaupt nicht zu ändern, weil die Änderungsvorschläge nicht hinreichend durchdacht sind und von Konkursverwalterseite außerordentlich starker sachlicher Kritik ausgesetzt waren.
Wenn schon beim Konkurs die Forderungen der öffentlichen Hände, wie auch immer, bevorrechtigt befriedigt werden und der normale Konkursgläubiger — von dem eben gesagt wurde, daß bei ihm gegebenenfalls auch Arbeitsplätze dadurch gefährdet werden, daß er mit seinen Forderungen leer ausgeht — dadurch weiter in die Gefährdung getrieben wird, wäre es eigentlich richtig gewesen, daß die öffentlichen Hände mit ihren rückständigen Ansprüchen nicht besser gestellt werden als derjenige Gläubiger, dessen Existenz gefährdet wird, damit nicht jeder Konkurs weitere Konkurse nachzieht.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. SchmittVockenhausen.)

Dafür ist hier keine Abblockung vorgesehen. Im Gegenteil: Es werden nicht nur die öffentlichen Hände weiterhin bevorrechtigt bleiben, sondern es werden auch noch die Leistungen, die ich einmal als Versicherungsleistungen ansprechen möchte — es ist so nicht ganz richtig, aber dem Prinzip nach ist es so —, wenn sie von der Arbeitsverwaltung ausgezahlt worden sind, nunmehr an erster Rangstelle bevorrechtigte Konkursforderungen sein. Das heißt, auch



Erhard (Bad Schwalbach)

das, was über den Versicherungsweg von den Gläubigern aufgebracht worden ist, die leer ausgehen, wird bevorrechtigt, damit diese Gläubiger erst recht nichts mehr bekommen. Das erscheint nicht ausgewogen und ist sehr zu beanstanden.
Wir haben nicht mehr Möglichkeiten als zu sagen: Die Regierung sollte sich schnellstens daran machen, die nunmehr so veränderte Konkursordnung noch einmal zu überdenken, um die Ungereimtheiten in der Richtung, daß der eine Konkurs weitere Konkurse nach sich ziehen muß und weitere Arbeitsplätze gefährdet, abzubauen. Man sollte nicht nur an den Arbeitnehmer denken, der unmittelbar in dem konkursbefallenen Unternehmen tätig ist, sondern auch an den, der im Nachbarunternehmen bedroht wird.
Im ganzen gesehen ist die Eile, mit der dieses Gesetz — im Rechtsausschuß praktisch nur durch Absprachen mit auf die Tagesordnung gesetzt — verabschiedet und beraten wurde, bedenklich. Wir sollten uns auf die Dauer davor hüten, bei schwierigen Gesetzesmaterien mit heißer Nadel so über den Daumen schnell Gesetze zu machen. Sonst passiert es uns wie gestern, daß wir Gesetze verabschieden, in denen noch nicht einmal steht, welches Gesetz in Bezug genommen wird, weil es noch gar nicht verabschiedet ist. Wir haben das dann nicht nur in einem Fall, sondern in mehreren zu beklagen. Das dient nicht der Rechtssicherheit, auch nicht der Sicherung der Arbeitnehmer und erst recht nicht einem klaren und übersichtlichen Massenvollstreckungsverfahren; denn das ist ja das Konkursverfahren.
Wir werden dem Gesetz zustimmen. Ich persönlich werde mich der Stimme enthalten, weil die Konkursordnung in einer nach meiner Ansicht nicht vertretbaren Weise geändert wird und die notwendigen Änderungen unterblieben sind.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711040900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0711041000
Herr Kollege, ich wollte Ihnen nur sagen, daß wir im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sehr gründlich beraten haben und daß uns die Kollegen Ihres Ausschusses hilfreich zur Verfügung gestanden haben, um dieses Gesetz bei uns im Ausschuß ordnungsgemäß zu verabschieden. Wenn Sie sagen „die öffentlichen Hände", dann müssen Sie sagen, wer das eigentlich ist. Hier geht es doch im wesentlichen um Beiträge der Sozialversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit. Sie sind sehr wichtig für den Arbeitnehmer, insbesondere für seine spätere Situation bei der Rentenzahlung. Das mußte aber bevorrechtigt untergebracht werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711041100
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Danke schön! Gegenstimmen? —
Stimmenthaltungen? — Bei einer Stimmenthaltung
ist das Gesetz in der dritten Beratung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich nehme die Zustimmung des Hauses dazu an, daß gemäß dem Antrag des Ausschusses die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt erklärt werden. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation
-- Drucksache 7/1237 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2246 — Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
b) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksachen 7/2245, 7/2256 — Berichterstatter: Abgeordneter Ziegler (Erste Beratung 69. Sitzung)

Ich frage zunächst die Herren Berichterstatter, ob ergänzend zu den Schriftlichen Berichten das Wort gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern und eröffne die Aussprache in zweiter Beratung. -- Das Wort wird in der zweiten Beratung nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 41 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in zweiter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke! Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die
dritte Beratung
ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig von der Fraktion der SPD.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0711041200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß wir heute endlich das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation verabschieden können. Dieses Gesetz, auf das viele Behinderte und ihre Familien schon lange warten — und zwar sehr ungeduldig —, wird am 1. Oktober 1974 in Kraft treten. Damit wird, nachdem das neue Schwerbehindertengesetz und die dritte Novelle zum Bundessozialhilfegesetz mit den Verbesserungen in der Eingliederungshilfe bereits in Kraft getreten sind, das schwierigste Teilstück der von der sozialliberalen Koalition in Angriff genommenen umfassenden Reform der Rehabilitation bewältigt sein.
Ein weiteres Teilstück dieser Reform der Rehabilitation wird das Gesetz über die Sozialversicherung



Glombig
der Behinderten sein. Außerdem erwartet die SPD-Bundestagsfraktion — und ich hoffe, das gesamte Haus —, daß das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr novelliert und nach dem Grundsatz der Finalität umgestaltet wird.

(Abg. Maucher: Natürlich!)

Eine solche Novelle ist durch die Überwindung des Kausalitätsprinzips mit dem neuen Schwerbehindertengesetz notwendig geworden, und wir wissen, daß die Bundesregierung daran arbeitet.
Das Rehabilitationsangleichungsgesetz wird die bislang unkoordinierten Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und der Kriegsopferfürsorge, der Bundesanstalt für Arbeit und der als Rehabilitationsträger neu hinzukommenden gesetzlichen Krankenversicherung weitgehend vereinheitlichen. Dadurch sollen die Ungleichbehandlung der Behinderten, Kompetenzschwierigkeiten und bürokratische Hemmnisse so weit wie möglich überwunden werden. Es soll ein zügiges, die verschiedenen Stufen von der medizinischen bis zur beruflichen Rehabilitation nahtlos durchlaufendes Rehabilitationsverfahren erreicht werden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah ursprünglich nicht vor, die Sozialhilfe in die vorgesehene Harmonisierung einzubeziehen, da die für die Sozialhilfe maßgeblichen Grundsätze der Subsidiarität und der Individualisierung nach Auffassung der Bundesregierung mit den Rechtsprinzipien der anderen Rehabilitationsbereiche nur schwer vereinbar sind. Der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat auf sozialdemokratische Anregung hin trotzdem geprüft, ob nicht wenigstens die Sachleistungen der Rehabilitation und die Krankenhilfe im Bereich der Sozialhilfe ebenfalls in die vorgesehene Harmonisierung einbezogen werden sollten. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf enthält darüber zwar noch keine konkreten Vorschriften; aber er legt der Bundesregierung die gesetzliche Pflicht auf, bis zum 31. Dezember 1975 den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes über die Möglichkeiten einer Einbeziehung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz in dieses Gesetz zu berichten und Vorschläge für die danach zu treffenden Maßnahmen zu machen. Im Rahmen dieses Gesetzes war die Einbeziehung der Sozialhilfe nicht zu bewältigen, es sei denn, man hätte eine weitere Verzögerung des Inkrafttretens dieses Gesetzes um viele Monate in Kauf genommen. Das aber wollten wir nicht.
Meine Damen und Herren, die vielleicht wichtigste Neuerung des Angleichungsgesetzes möchte ich besonders hervorheben, nämlich die Tatsache, daß künftig auch die gesetzliche Krankenversicherung Rehabilitationsträger sein wird. Dadurch wird der Personenkreis, der Zugang zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation der Krankenversicherungsträger hat, ganz erheblich erweitet. Das betrifft insbesondere die jugendlichen Behinderten, aber auch die Ehefrauen, soweit sie bisher bei der Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ganz oder teilweise auf die Sozialhilfe angewiesen waren. Sie werden in den meisten Fällen künftig im Rahmen der Familienhilfe Anspruch auf die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der gesetzlichen Krankenversicherung haben.
Der Bundestagsauschuß für Arbeit und Sozialordnung hat — ebenfalls auf sozialdemokratische Initiative hin — auch geprüft, ob für die behinderten Kinder über die bei den einzelnen Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung unterschiedlich geregelten Altersgrenzen hinaus ein Anspruch auf Familienhilfe bestehen soll, und zwar solange der Zustand der Behinderung dauert und wenn auf Grund dieser Tatsache ein eigenes Krankenversicherungsverhältnis nicht begründet werden kann. Der Ausschuß ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Anspruch auf Familienhilfe in diesem Falle bei unverheirateten behinderten Kindern erst dann enden sollte, wenn das Versicherungsverhältnis des Vaters oder der Mutter erlischt. Auch diese Frage konnte in diesem Gesetz nicht geregelt werden. Sie wird in dem Gesetz über die Sozialversicherung für Behinderte zu lösen sein.
Meine Damen und Herren, auf Initiative der SPD- Bundestagsfraktion sind in den Gesetzentwurf auch Bestimmungen über die Verpflichtung der Ärzte zur Mitteilung über Behinderungen an die Krankenkassen eingefügt worden. Dies soll der Früherkennung und der rechtzeitigen Behandlung von Behinderungen und drohenden Behinderungen dienen. Wirksame Präventivmaßnahmen sind außerordentlich wichtig, denn wir wissen, daß dadurch viele Behinderungen von vornherein vermieden werden können.
Die bisherigen Bestimmungen zur Früherkennung und Behandlung von Behinderungen im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes haben sich offenbar nicht bewährt. Deshalb wird mit diesem Gesetz ein neuer Versuch gemacht, dieses Problem zu lösen. Danach haben die Bundesverbände der Krankenkassen und die kassenärztlichen Bundesvereinigungen durch Verträge sicherzustellen, daß der Behinderte über die Möglichkeiten der medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation beraten wird und die gebotenen Maßnahmen von den Rehabilitationsträgern frühzeitig eingeleitet werden. In den Verträgen ist zu regeln, bei welchen Behinderungen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Verfahren von den Ärzten Mitteilungen über Behinderte an die Kassen zu machen sind. Sobald den Krankenkassen Behinderungen bekannt sind, werden sie, wie es ihre gesetzliche Pflicht als neue Rehabilitationsträger sein wird, unverzüglich selbst Rehabilitationsmaßnahmen einleiten oder den zuständigen Träger benachrichtigen. Deshalb wird die Mitteilung an die Krankenkassen für die Behinderten wesentlich wirkungsvoller sein als die im Bundessozialhilfegesetz vorgesehne Mitteilung an die Gesundheitsämter.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit einen Appell an die frei praktizierenden Ärzte in unserem Lande richten. Wir haben über die Frage der Einführung der Meldepflicht für Behinderte lange ge-

Glombig
stritten. Lassen wir diesen Streit über die Begriffe „Meldepflicht" oder „Melderecht" oder „Meldeverfahren" nun endlich ruhen! Tun wir gemeinsam unsere Pflicht! Das heißt, auch die Ärzte müssen ihre Pflicht tun. Ich bin davon überzeugt, daß sie ihre Pflicht tun werden. Denn ohne ihre Mitarbeit ist dieses Problem nicht zu lösen. Wir sollten all die Schlagworte von der „Schweigepflicht", dem „Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient", dem „Elternrecht" und der „Euthanasie" in diesem Zusammenhang beiseite lassen und daran denken, daß es hier allein um die Interessen der Behinderten geht, und um sonst gar nichts.

(Beifall bei der SPD.)

Das Rehabilitationsangleichungsgesetz wird nicht nur die Rehabilitationsleistungen harmonisieren und für große Bevölkerungsgruppen den Zugang zu den Rehabilitationsleistungen der Sozialversicherung eröffnen, sondern auch in vielen Fällen zu Leistungsverbesserungen führen. Insbesondere werden die Einkommenshilfen während des Rehabilitationsverfahrens fortan von allen Rehabilitationsträgern nach einer einheitlichen Formel berechnet. Das gilt auch für das Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Während einer medizinischen oder berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation erhält der Behinderte Übergangsgeld, wenn er arbeitsunfähig ist oder wegen Teilnahme an der Maßnahme keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Das gilt auch für eine ärztlich verordnete Schonungszeit im Anschluß an eine stationäre medizinische Maßnahme. Das Übergangsgeld bzw. Krankengeld beträgt 80 v. H. des Regellohnes und darf das entgangene regelmäßige Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen. Das bedeutet für die überwiegende Mehrheit der Bezieher von Übergangs- bzw. Krankengeld eine erhebliche Leistungsverbesserung.
Die wichtigste Verbesserung im Bereich der Barleistungen besteht ohne Zweifel in der Einführung der Dynamisierung. Das bedeutet, daß das Übergangsgeld, das Krankengeld, das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe sowie das Unterhaltsgeld nach dem Arbeitsförderungsgesetz zukünftig jährlich der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden. Diese Anpassung erfolgt nach den Grundsätzen, wie sie in der gesetzlichen Rentenversicherung gelten. Viele Rehabilitanden, die sich langdauernden medizinischen oder berufsfördernden Maßnahmenn unterzogen haben, mußten bisher mitsamt ihren Familien trotz steigender Lebenshaltungskosten und allgemeinem Einkommenszuwachs mit Einkommenshilfen auskommen, die nach einem zwei Jahre oder sogar noch länger zurückliegenden Arbeitseinkommen bemessen waren. Das Rehabilitationsangleichungsgesetz wird diesen Zustand beenden.
In diesem Zusammenhang ist besonders wichtig, daß Behinderte, die seit dem 1. Januar 1974 oder seit einem früheren Zeitpunkt anmedizinischen oder berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation teilnehmen, für die Zeit vom 1. Juni 1974 an das Übergangsgeld nach den Vorschriften des neuen Gesetzes erhalten, wenn die Maßnahmen über den 1. Juli 1974 hinaus andauern. Das gilt auch für die Bezieher von Krankengeld.
Wenn ich vorhin einen Appell an die Ärzte gerichtet habe, dann möchte ich jetzt einen Appell an die Versicherungsträger richten. Ich würde es für untragbar halten — wenn wir hier heute ein Gesetz verabschieden und es zum 1. Oktober in Kraft treten lassen —, diejenigen Behinderten, die lange krank sind und die langdauernde Maßnahmen über sich ergehen lassen müssen, nun deshalb, weil die Versicherungsträger diese Aufgabe nicht in kürzester Zeit glauben bewältigen zu können, auf die ihnen zustehende Leistungserhöhung noch länger warten zu lassen, als notwendig ist und 'hingenommen werden muß, nachdem wir für diese Behinderten eine Sonderregelung geschaffen haben. Ich bin der Meinung, daß die Versicherungsträger und ihre Selbstverwaltungsorgane auch hier eine Bewährungsprobe zu bestehen und sich um diese Dinge ganz besonders zu kümmern haben: Hier geht es um die Behinderten, die auf die Erhöhung der Leistung jetzt und nicht zu einem späteren Zeitpunkt angewiesen sind.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Von da aus komme ich noch kurz zu einem anderen Problem. Ich möchte darauf hinweisen — obwohl sich bereits vor Jahren die Sozialenquetekommission dafür ausgesprochen hatte, vom gegenwärtigen gegliederten System der Rehabilitation grundsätzlich abzugehen —, daß wir bei der Beratung des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes von der Einsicht ausgehen mußten, daß eine organisatorische Vereinheitlichung der Rehabilitation außerordentlich schwierig und politisch wohl auch kaum durchsetzbar ist.
Das Rehabilitationsangleichungsgesetz strebt deshalb eine pragmatische Lösung an, die zwar das gegliederte System beibehält, aber seine für den Behinderten negativen Auswirkungen beseitigen soll. Inwieweit damit die entscheidenden Mängel des gegliederten Systems beseitigt werden können, kann letztlich erst die spätere Auswirkung des Gesetzes zeigen.
Vor allem von der konstruktiven Mitarbeit der Träger wird es abhängen, ob sich die Hoffnungen erfüllen werden, die die Behinderten an dieses Gesetz knüpfen. Den Trägern wird durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz eine große Verantwortung auferlegt. Ich bin davon überzeugt, daß die Rehabilitationsträger auch weiterhin bei der Lösung dieser Probleme konstruktiv zusammenarbeiten werden.
Lassen Sie mich mit einem dreifachen Dank schließen. Der erste Dank sei an den scheidenden Bundespräsidenten und an seine Frau gerichtet. Ich glaube, daß der ständige Appell von Bundespräsident Heinemann und seiner Frau an die Öffentlichkeit, sich der Randgruppen, besonders der Behinderten, anzunehmen, erst die Grundlage dafür geschaffen hat, daß wir in den vergangenen Jahren ein solches Reformwerk für die Behinderten in unserem Lande auf die Beine stellen und inzwischen zum größten Teil verabschieden konnten. Ich meine, daß dafür dem



Glombig
scheidenden Bundespräsidenten und seiner Frau bei dieser Gelegenheit und von dieser Stelle aus unser Dank gebührt.

(Beifall.)

Der zweite Dank geht an die Bundesregierung, insbesondere an Bundesarbeitsminister Walter Arendt und an die Mitarbeiter seines Hauses.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich meine, daß vor allem dank ihrer Arbeit das Rehabilitationsangleichungsgesetz ein wesentlicher Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit für die Behinderten in unserem Lande sein wird.
Der dritte Dank geht an die Mitarbeiter in den Rehabilitationseinrichtungen. Auch ihnen sollte bei dieser Gelegenheit ein Dank gesagt werden.

(Beifall.)

Ich hoffe sehr, daß dieses Gesetz auch ihnen eine Hilfe bei ihrer schweren Arbeit im Dienste am Mitmenschen bringen wird.
Zum Schluß gestatten Sie mir noch eine Bitte. Wir sollten alle gemeinsam überlegen, ob es für das Wort Rehabilitation nicht ein besseres gibt. Sie haben vielleicht schon bemerkt, wie zähflüssig dieses Wort inzwischen in meinem Munde geworden ist. Wir werden uns darüber — so hoffe ich — auch in der Zukunft noch unterhalten können und vielleicht eine neue und bessere Bezeichnung finden.

(Beifall.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711041300
Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID0711041400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU-Fraktion möchte ich folgende Erklärung abgeben. Wir stehen vor der Verabschiedung des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation — kurz Harmonisierungsgesetz genannt — und können dankbar feststellen, daß dieses Gesetz im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung im großen und ganzen einmütig beraten worden ist. Wenn es auch einige unterschiedliche Auffassungen in grundsätzlichen Fragen gab, so war letztlich das Wissen um die vielen Behinderten, die seit langer Zeit voller Erwartung auf die Verabschiedung dieses Gesetzes gehofft haben, ausschlaggebend dafür, daß wir diesem Gesetz in der nun vorliegenden Fassung letztlich einstimmig die Zustimmung gegeben haben.
Ich möchte allerdings gleich zu Beginn eine Richtigstellung zum Bericht vornehmen. Es handelt sich um § 5 Abs. 4 a. Diesem Absatz in der jetzt vorliegenden Fassung lag ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion und nicht eine Anregung zugrunde. Der Antrag wurde mit der Bitte um Neufassung und Formulierungshilfe an die Regierung gegeben und anschließend einstimmig zum Ausschußantrag erklärt.

(Abg. Dr. Schellenberg: Geschenkt!) — Vielen Dank, Herr Professor Schellenberg.

Dieses Harmonisierungsgesetz setzt das Bemühen der CDU/CSU um die Eingliederung und Wiedereingliederung der Behinderten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft, das bereits 1957 mit der Neuordnung der Rentengesetzgebung eingeleitet wurde, fort. Systematisch wurden andere Gesetze in die Rehabilitation mit einbezogen. Ich denke an die Änderungen zum AVAVG 1964 und an das AFG 1969. Ebenso fand bei allen Beratungen zum Schwerbeschädigtengesetz — jetzt Schwerbehindertengesetz — der Gedanke der Rehabilitation seinen Niederschlag. So sagte meine Vorgängerin, die von uns allen hochverehrte, leider verstorbene Kollegin Dr. Maria Probst 1961 bei der Verabschiedung der Änderung des Schwerbeschädigtengesetzes wörtlich: „Auf Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verstärkte der Ausschuß den Rehabilitationscharakter des Schwerbeschädigtengesetzes." Jeder in diesem Hause, der mit der Materie vertraut ist, wird zustimmen müssen, daß Schwerbehindertengesetz und dieses Harmonisierungsgesetz sich einander ergänzende Gesetze zum Wohle aller Behinderten sind.
Harmonisierung schließlich setzt voraus, daß etwas vorhanden ist, was harmonisiert werden kann. Was nicht da ist, kann man nicht angleichen, kann man nicht harmonisieren. Unterschiedliche Gesetzesgrundlagen der Rehabilitation sind mit diesem Gesetz harmonsiert worden. Es soll ein neues Fundament sein, auf dem wir gemeinsam die Rehabilitation weiter ausbauen wollen und müssen. Wir müssen eingestehen, daß es leider erst eine Teilharmonisierung ist, die noch manches offen läßt.
Mein Kollege Glombig von der SPD-Fraktion hat schon im einzelnen das mit diesem Gesetz Erreichte dargetan. Ich möchte nur noch ergänzen: Die Neuregelung der Verfahrensgrundsätze ist so klar und eindeutig, daß auch die Vorleistungspflicht nicht mehr durch ,die Hintertür einer freien Vereinbarung der Rehabilitationsträgeraufgehoben werden kann. Schließlich ist die Beratungspflicht für alle Bürger dieses Landes, nicht nur für Arbeitnehmer, gedacht. Meines Erachtens ist es dringend notwendig, daß Arbeitgeber — hier spreche ich auch den öffentlichen Dienst an — mehr als bisher darüber informiert werden, welche Vergünstigungen sie etwa bei der Einstellung eines Behinderten erhalten können. Ich denke an die Hilfe bei Einrichtung des Arbeitsplatzes und an die Eingliederungsbeihilfe, die über einen längeren Zeitraum bis zu 80 % des Arbeitsentgeltes ausmachen kann. Schließlich ist durch dieses Gesetz die Pflicht zur Weiterleitung der Anträge gewährleistet, so daß wohl kaum noch jemand durch das Netz fallen kann.
Wir waren weiter fast einhellig der Meinung, daß möglichst umfassend die Früherkennung und Frühbehandlung, die für den Verlauf einer Behinderung oder Heilung oft von ausschlaggebender Bedeutung ist, gewährleistet werden sollte. Wir streben an, daß keine irreparablen Schäden auftreten, wie etwa bei nicht rechtzeitiger Behandlung von Spastikern oder bei frühkindlichen Hirnschäden. Wir bitten die Ärzte, uns in diesem Bemühen zu unterstützen obwohl wir wissen, daß sie durch die in diesem Gesetz geregelte Mitteilungspflicht zweifellos eine neue Belastung haben.



Frau Hürland
Nicht erreicht wurde durch dieses Gesetz die Einbeziehung der Sozialhilfe in die Harmonisierung, nicht erreicht wurde die Einbeziehung des öffentlichen Dienstes in die Rehablitation, nicht erreicht wurde die Aufhebung der Unterschiede in den Leistungsvoraussetzungen, beispielsweise in der Rentenversicherung und teilweise auch in der Krankenversicherung. Ebenfalls wurde nicht erreicht, daß das Übergangsgeld in gleicher Höhe gezahlt wird. Es wird vielmehr weiterhin je nach der Leistungsbemessungsgrenze des Trägers berechnet. Schließlich konnte die Regelung der institutionellen Rehabilitation in diesem Gesetz noch nicht berücksichtigt werden.
Die Fragen über die Einrichtungen der Rehabilitation sind im Grunde nicht weniger wichtig als die Vorschriften über die Leistung zur Rehabilitation. Ich freue mich, daß auf Anregung meiner Fraktion ein Entschließungsantrag zu diesem Komplex angenommen wurde, und bitte die Bundesregierung sehr dringend, der gesetzlichen Mindestregelung für die Rehabilitationseinrichtungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Das gilt sowohl für die Qualität der Einrichtungen als auch für die regionale Versorgung von Einrichtungen für Behinderte.
In diesem Gesetz ist der Hochschulbereich überhaupt nicht angesprochen. Es ist nicht ausreichend, daß bei der Zulassung und Vergabe von Studienplätzen Behinderte ein Personenkreis unter vielen sind, die insgesamt zu den acht Prozent gehören, für die die Härteklausel Anwendung findet. Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion ist der Meinung, daß hier ein besonderer Bonus für Behinderte ausgewiesen werden muß. Darüber hinaus sind an Hochschulen und Universitäten die baulichen Voraussetzungen so zu schaffen, daß ein Behinderter das Studium überhaupt erst einmal aufnehmen kann.
In diesem Gesetz wurde die innere Verfassung der Rehabilitationseinrichtungen nicht angesprochen. Leider sind Behinderte hier häufig nur Objekt von Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen. Es gilt, sie zur aktiven Mitarbeit in der Rehabilitation anzuhalten. Darum geht meine Aufforderung an alle Rehabilitationseinrichtungen, ein partnerschaftliches Verhältnis in Fragen der Unterbringung, der Aufenthaltsbedingungen, der Hausordnung, der Verpflegung und der Freizeitgestaltung herbeizuführen.
Dieses Gesetz läßt das gegliederte System im Grunde unangetastet. Es versucht nur, die schlimmsten Mängel zu beseitigen. Ob das bei der Vielzahl der Träger auf der einen und der Schwierigkeit der Materie auf der anderen Seite gelingen wird, bleibt abzuwarten. Ich meine, daß wir in allernächster Zeit zu einer Überprüfung und Bereinigung des gegliederten Systems in der Rehabilitation kommen müssen. Hierzu wird Gelegenheit sein, wenn die Bundesregierung ihren Bericht und ihre Vorschläge nach § 2 Abs. 3 vorlegt.
Mit diesem Gesetz haben wir ein Instrument geschaffen, dessen sich alle Beteiligten zum Wohle der Behinderten bedienen sollten. Es bietet nicht die Möglichkeit, unmittelbare Mängel, die bei den verschiedenen Trägern liegen, auszumerzen. Erfolgreiche Anwendung dieses Gesetzes ist vom guten
Willen der Stellen abhängig, die mit der Ausführung betraut sind. Es ist notwendig, daß die personellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit ein zügiger Ablauf des Rehabilitationsverfahrens vom Krankenbett bis zur Wiedereingliederung des Behinderten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft gewährleistet ist.
Die Position der Bundesanstalt für Arbeit ist bei der beruflichen Rehabilitation durch dieses Gesetz eindeutig gestärkt. Es ist dann aber auch unerläßlich, daß die Personalsituation der Fachkräfte für Rehabilitation entscheidend verbessert wird. Ich erinnere die Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuß an die jüngsten Beratungen zum Kindergeld. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat freimütig erklärt, wenn er die Verantwortung für die Ausführung des neuen Gesetzes übernehmen solle, seien 3 000 neue Planstellen notwendig. Was in dem Fall möglich war, muß auch hier angemessen geschehen. Ausreichendes Fachpersonal ist dringend notwendig, damit lange Wartezeiten für Behinderte endlich abgebaut werden. Es ist ein Unding, daß nur ein Referent ohne Hilfsreferent mit nur vier Sachbearbeitern im Bereich der beruflichen Rehabilitation der Bundesanstalt für Arbeit allein verantwortlich ist. Dieser trägt Verantwortung für etwa 200 Millionen DM jährlich allein im institutionellen Bereich. Hinzu kommen der gesamte individuelle Bereich, die Steuerung der Anordnung Rehabilitation, sowie die Führungsaufgaben für die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter. Diese Aufgaben können mit einer so unzureichenden Personalbesetzung einfach nicht erfüllt werden.
Ich habe leider in der Vergangenheit den Eindruck gewonnen, daß alle mit der Rehabilitation befaßten Träger diesen Teilbereich ihrer sonstigen Aufgaben, wie z. B. Rente und kurative Medizin bei der Bundesanstalt für Angestellte und den Landesversicherungsanstalten, Arbeitsvermittlung und Berufsberatung bei der Bundesanstalt, nicht ernst genug nehmen. Das jedenfalls lassen Haushalts- und Stellenplanberatungen vermuten.
Die Organe der Selbstverwaltung würden es sonst nicht hinnehmen, daß allein ein Landesarbeitsamt am Ende eines Jahres 28 000 unerledigte Fälle statistisch ausweist, daß bei einem einzigen Rententräger, der im Jahr etwa 20 000 zu bearbeitende Fälle hat, am Ende des Jahres 10 000 Rückstände ausgewiesen werden. Das bedeutet allein bei diesen beiden angesprochenen Trägern 38 000 mal für 38 000 Behinderte: warten, warten, warten — für den Behinderten unausgefüllte Wartezeiten. Allein für ein psychologisches Eignungsgutachten sind Wartezeiten von acht Monaten und mehr leider keine Seltenheit. Hier muß doch Abhilfe geschaffen werden, und hier appelliere ich ganz besonders an Sie, Herr Bundesminister Arendt.
Ich möchte meine Erklärung für die CDU/CSU- Bundestagsfraktion nicht schließen, ohne den besonderen Dank meinen Kollegen Burger, Geisenhofer und Müller (Berlin) auszusprechen. Herr Kollege Maucher befand sich vorübergehend selber in Rehabilitation — wenn ich das mal so sagen darf. Sie haben ihre lange sozialpolitische Erfahrung und



Frau Hürland
Sachkenntnis in die Beratungen eingebracht. Dank aber auch an jene Männer und Frauen, die selbstlos im Dienste der Behinderten tätig waren und in Zukunft tätig sein werden. Ich meine jene Eltern und Familienangehörigen von Behinderten, die in stillem Dienst wirken, die wir wohl kaum je durch ein Gesetz erfassen und honorieren können, die aber doch in diesem Hause einmal die Anerkennung finden sollten, die ihnen gebührt.

(Beifall.)

Wir wissen, daß der Dienst am Schwerstbehinderten oft bis an die Grenze der Belastbarkeit geht. Dank auch den vielen ehrenamtlichen Helfern der freien Träger, dank den zahlreichen privaten Initiatoren, die uns auch heute noch beweisen, daß scheinbar Unmögliches möglich gemacht werden kann. Ohne einen Mann wie Baaske in Hannover z. B. hätten wir in der Bundesrepublik nicht eine einzige Rehabilitationseinrichtung für Taubblinde.

(Beifall.)

Dank aber auch den vielen in der Rehabilitation tätigen Fachkräften, die persönlich oft Vorbildliches geleistet haben, die keinen Acht-Stunden-Arbeitstag kennen.

(Beifall.)

Dieses Gesetz läßt noch viele Fragen offen, ich sagte es bereits. Wir haben Sorge um den Behinderten, und wir haben Achtung vor dem Behinderten, der täglich neu sein Schicksal meistern muß, der täglich einen Sieg über viele Unzulänglichkeiten davonträgt, der sich behaupten muß nicht nur gegenüber der Unbill des Lebens, sondern oft genug gegen das Unverständnis seiner Mitbürger. Diese Sorge und diese Achtung gebieten es, daß wir die in diesem Gesetz noch nicht erfaßten Unzulänglichkeiten mit Nachdruck beseitigen.
Ein Volk wird nicht nur daran gemessen, ob es gute Schulen und gute Straßen baut, sondern auch daran, inwieweit es den Behinderten in die Lage versetzt, sich zu rehabilitieren — und bei Kindern und Jugendlichen —, sich zunächst einmal zu habilitieren. Unser aller Bemühen geht nicht nur darum, die Rehabilitation zu harmonisieren, sondern darum, in dieser Gesellschaft auch für Behinderte endlich die Chancengleichheit zu schaffen, die der Würde des Menschen entspricht.

(Beifall.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711041500
Das Wort hat der Abgeordnete Christ.

Herbert Christ (FDP):
Rede ID: ID0711041600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundestag verabschiedet heute mit diesem Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation das Kernstück seiner Bemühungen um bessere Rechtsgrundlagen für die Behinderten. Neben der Dritten Novelle zum Bundessozialhilfegesetz, dem neuen Schwerbehindertengesetz, dem Gesetzentwurf zur Sozialversicherung Behinderter und dem Gesetzentwurf eines Sozialgesetzbuches ist das Angleichungsgesetz ein sehr wichtiger Beitrag zu einer modernen
Sozialpolitik, zu einer Sozialpolitik, die darauf ausgerichtet ist, die Behinderten in Arbeit und Beruf einzugliedern und ihnen die gleichberechtigte Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.
Ich möchte mich hier in der dritten Lesung darauf beschränken, einige grundsätzliche Anmerkungen zu machen. Denn es ist in der kurzen Zeit kaum möglich, die Vielzahl der Verbesserungen darzustellen, die durch die Änderungsanträge der Koalition während der Ausschußberatungen erfolgten.
Eines der zentralen Anliegen dieses Gesetzes ist es, die historisch gewachsenen Nachteile des gegliederten Systems der Rehabilitation zu überwinden, dabei aber die Vorteile dieses föderativen Sozialleistungsprinzips zu wahren und zu verbessern. Ohne Zweifel ist es richtig, wenn in diesem Zusammenhang von einer Chance der Bewährung für das gegliederte System gesprochen wird. Denn Voraussetzung für einen Erfolg dieses Gesetzes ist es, daß sowohl die Vorschriften über das Verfahren als auch über die Leistungsgewährung von den Rehabilitationsträgern in dem Geiste angewendet werden, der bei den gesetzgeberischen Bemühungen für diese Angleichung zugrunde lag.
Der Ausschuß war sich bei seinen Beratungen dessen bewußt, daß eine absolute Angleichung — bei Beibehaltung des gegliederten Systems — der Rehabilitation nur schrittweise vollzogen werden kann, weil eben die in den einzelnen Leistungsbereichen historisch entstandenen Strukturen nicht ohne weiteres beseitigt werden können. Diese Erkenntnis gilt insbesondere für die Umgestaltung der in manchen Bereichen noch vorhandenen Ermessensleistungen in Leistungen mit Rechtsanspruch, für die unterschiedlichen Obergrenzen beim Übergangs- und Krankengeld und auch für die Leistungen zum Lebensunterhalt für behinderte Jugendliche. Insofern setzen wir mit diesem Gesetz bei unseren Bemühungen zur Angleichung noch keinen Schlußpunkt, sondern machen erst den Anfang zu einer wirklichen Harmonisierung der einzelnen Rehabilitationsleistungen.
Schon bei der ersten Lesung des Gesetzes mußte ich für meine Fraktion beklagen, daß die Sozialhilfe nicht in die Angleichungsvorschriften mit einbezogen wurde. Der Ausschuß ist aber nach ausführlicher Erörterung dieses Problems zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Verwirklichung dieses sozialpolitisch sicherlich dringend Gebotenen kurzfristig nicht möglich ist. Im Interesse einer alsbaldigen Verabschiedung des Gesetzes mußte daher von dieser gewünschten Einbeziehung des Bundessozialhilfegesetzes in die Angleichungsvorschriften abgesehen werden. Allerdings fand der Änderungsvorschlag der Koalitionsfraktionen einmütige Zustimmung, wonach die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes bis zum 31. Dezember 1975 über die Möglichkeiten einer Einbeziehung der Sozialhilfe in dieses Gesetz zu berichten hat.
Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der im Zusammenhang mit der Beratung des ersten Berichts der Bundesregierung nach § 126 c des Bundessozialhilfegesetzes eine besondere Rolle spielt; ich meine hier die sogenannte Meldepflicht. Gerade weil man



Christ
nach dem Ergebnis dieses Berichts die Erwartungen, die an die Regelung des zwölften Abschnitts geknüpft waren, in keiner Weise als erfüllt ansehen kann, war es für den Ausschuß die entscheidende Frage, wie die rechtzeitige Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen, insbesondere bei Kindern, sichergestellt werden kann.
Die Lösung, die nun in den Ausschußberatungen gefunden wurde und ihren Niederschlag in § 368 der Reichsversicherungsordnung fand, geht von der Erwartung aus, daß im Rahmen des Zusammenwirkens der gesetzlichen Krankenkassen und der Kassenärzte ein Information- und Beratungsverfahren entwickelt werden kann, das mehr als 90 % der Bevölkerung und damit auch mehr als 90 % der Behinderten erfassen wird. Für diejenigen Behinderten, die keine Rehabilitationsleistungen dergesetzlichen Krankenkassen in Anspruch nehmen können, gelten allerdings weiterhin die Vorschriften des Abschnitts 12 des Bundessozialhilfegesetzes.
Soweit mit dem Mitteilungsverfahrendurch die Ärzte, abgesehen von der Beratung der Behinderten und der frühzeitigen Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen, zugleich auch die Erlangung von notwendigen Daten zur Planung entsprechender Einrichtungen angestrebt wird, darf ich hier auf den § 51 des Schwerbehindertengesetzes verweisen. Dieser Vorschrift sind alle, also künftig auch die Krankenkassen, verpflichtet.
Wichtig ist bei der Neuregelung der bisherigen Meldepflicht, daß die Einzelheiten, nämlich die Frage, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Verfahren von den Ärzten Mitteilungen über Behinderte an die Krankenkassen zu machen sind, nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch Verträge zwischen den Krankenkassen und den Kassenärzten geregelt werden. Durch die Zuweisung dieser Aufgabe an die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen, meinen wir, wird eine möglichst praxisnahme Regelung im Interesse der Behinderten angestrebt. Als künftige Rehabilitationsträger nach diesem Gesetz sind die Krankenkassen dann verpflichtet, auf Grund eingegangener Mitteilungen der Ärzte die Behinderten zu beraten und für die Einleitung der gebotenen Maßnahmen zur Rehabilitation zu sorgen.
Daß mit diesem neuen Verfahren eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Versuch, das Problem der frühzeitigen Beratung der Behinderten zu lösen, erreicht worden ist, kann wohl nicht bestritten werden. Ob dies allerdings der optimale Weg im Interesse der Behinderten ist, insbesondere dann, wenn es darum geht, eine rechtzeitige Einleitung der gebotenen Maßnahmen sicherzustellen, wird erst die praktische Erfahrung mit der Neuregelung erweisen. Den Appell, der von dieser Stelle an die Ärzte gerichtet worden ist, kann ich hier nur wiederholen.
Im Zusammenhang mit dem Prinzip des gegliederten Systems der Rehabilitation wurde auch die Frage der Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung der einzelnen Träger und die Zusammenarbeit der Träger untereinander im Ausschuß diskutiert. Hier ist leider festzustellen, daß trotz der Frankfurter
Vereinbarung vom Oktober 1971 nicht alles zum besten bestellt ist, die Frage eines Gesamtplans und die der vorläufigen Leistungen noch nicht optimal im Interesse der Behinderten gelöst werden konnte. Der Gesetzgeber mußte sich deshalb vorbehalten, der Bundesregierung die Möglichkeit zum Erlaß einer Rechtsverordnung zu geben, wenn die Rehabilitationsträger nicht innerhalb .eines Jahres funktionierende Gesamtvereinbarungen im Sinne des § 8 des Gesetzes abschließen.
Dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion ist der Ausschuß erfreulicherweise nicht gefolgt, der da meinte, der Bundesregierung von vornherein diese Möglichkeit zum Erlaß von solchen Rechtsverordnungen geben zu sollen. Wer sich auch sonst — und diesen Eindruck hatte ich bisher von der Opposition — zum Selbstverwaltungsprinzip bekennt, der sollte den Erfolg freiwilliger Koordinierungsmaßnahmen abwarten, bevor er nach staatlichen Regelungen ruft. Der Ausschuß ging deshalb von der Erwartung aus, daß sich die Träger beim Abschluß von Gesamtvereinbarungen künftig vom Inhalt und Geist dieses Gesetzes leiten lassen und so im Interesse des Behinderten zu praktikablen Lösungen gelangen werden. Die Selbstverwaltung hat hier ihre Chance zur Bewährung und Erneuerung.
Weder das gegliederte System der Rehabilitation noch die Selbstverwaltung der Träger bzw. ihre freiwillige Zusammenarbeit sind Prinzipien um ihrer selbst willen. Sie müssen sich immer wieder aufs neue bewähren und durch sinnvolle Reformen verbessert werden. Deshalb sollte auch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation die Ermächtigungsvorschriften zum Erlaß von Rechtsverordnungen nicht als eine unzulässige Beeinträchtigung der Selbstverwaltung beklagen, sondern, so meinen wir, als einen Ansporn betrachten, das bewährte Prinzip dort, wo es verbesserungsbedürftig ist, energisch weiterzuentwickeln.
Lassen Sie mich abschließend und zusammenfassend feststellen: Bei dem Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation handelt es sich nicht um ein einheitliches Gesetz. Das Angleichungsgesetz läßt vielmehr die für die einzelnen Träger geltenden Vorschriften bestehen. Es beschränkt sich auf die Normierung allgemein gültiger Verfahrensvorschriften und die Schaffung eines Leistungsrahmens, der in die einzelnen Gesetze transformiert wird.
Die wichtigste Neuerung unter dem Blickwinkel des Leistungsrechts ist es, daß, abgesehen von der Sozialhilfe, zu den bisherigen vier Trägern des gegliederten Systems in der Rehabilitation, nämlich Rentenversicherung, Unfallversicherung, Kriegsopferversorgung und Bundesanstalt für Arbeit, die Krankenkassen, die Krankenversicherung, als fünfter Träger neu hinzutritt.
Im Interesse einer raschen und dauerhaften Eingliederung der Behinderten bringt das Gesetz für die Träger die Verpflichtung zu einer engen Zusammenarbeit, wobei die umfassende Beratung der Behinderten durch die Einrichtung von möglichst gemeinschaftlich betriebenen Auskunfts- und Beratungsstellen zu gewährleisten ist.



Christ
Schließlich leistet das Gesetz einen wichtigen Beitrag bei der Entwicklung vom Kausalitäts- zum Finalitätsprinzip in der Rehabilitation; d. h. es soll bei der Hilfe für Behinderte nicht mehr auf die Ursache der Behinderung abgestellt werden, sondern allein die Tatsache der Behinderung ist bestimmend für das Maß der Hilfen.
Bei der Verabschiedung eines solchen Gesetzes gilt besonders die Feststellung, daß es seine eigentliche Bewährung in der Praxis finden wird, denn eine Vielzahl von Verbesserungen hängt in ihrem praktischen Erfolg letztlich von der gemeinschaftlichen Anstrengung und Ausgestaltung durch die Träger der Rehabilitation ab. Im Interesse der Behinderten kann man von einer gemeinsamen Aufgabe aller Beteiligten sprechen, denn die Bemühungen um eine Eingliederung in Arbeit und Beruf sowie die gleichberechtigte Teilnahme am Leben dieser Gemeinschaft bedürfen der Zusammenarbeit zwischen den gesetzgebenden Körperschaften und den Trägern der Rehabilitation.

(Beifall.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711041700
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0711041800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß es mit vereinten Kräften erreicht worden ist, das Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Ich sage ausdrücklich „mit vereinten Kräften", denn ich freue mich besonders darüber, daß der Gesetzentwurf einschließlich aller Änderungsanträge im Ausschuß einstimmig beschlossen worden ist. Bei der ersten Lesung des Entwurfs am 6. Dezember 1973 habe ich darauf hingewiesen, daß die Behinderten draußen im Lande auf dieses Gesetz warten. Sie warten auf die Verbesserung der medizinischen und beruflichen Leistungen zur Rehabilitation, auf ein einheitliches Übergangsgeld, das orientiert ist am letzten Nettolohn, und sie warten insbesondere auf die Dynamisierung des Übergangsgeldes, auf die Anpassung des Übergangsgeldes an die wirtschaftliche Entwicklung.
Der federführende Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat sich dankenswerterweise die Mühe gemacht, im Rahmen seiner Beratungen das Berufsförderungswerk Heidelberg zu besichtigen und sich an Ort und Stelle mit Vertretern der Rehabilitanden zu unterhalten. Ich bin überzeugt davon, daß diese unmittelbare Konfrontation mit der Alltagssituation der Behinderten und den Sorgen und Nöten der Rehabilitanden zu einer zügigen Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuß beigetragen hat.
Meine Damen und Herren, schon in der Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 und mit dem Aktionsprogramm Rehabilitation von 1970 haben wir eine umfassende Verbesserung und Neuordnung der gesetzlichen Grundlagen der Rehabilitation angekündigt. Mit diesem Gesetz wird nun auch die zweite Hälfte des Versprechens eingelöst, nachdem das neue Schwerbehindertengesetz bereits am 1. Mai dieses Jahres in Kraft getreten ist. Für mich liegt die überragende sozialpolitische Bedeutung des Angleichungsgesetzes darin, daß erstmalig über mehrere Sozialleistungsbereiche hinweg der Versuch unternommen wird, die Leistungen zur Eingliederung der Behinderten zu koordinieren und anzugleichen. Von diesem Weg zur finalen Gestaltung der Rehabilitationsleistungen wird es kein „Zurück" mehr geben. Wir werden diesen Weg weitergehen, bis das Ziel der vollen Chancengleichheit für alle Behinderten erreicht ist.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an dieser Stelle noch ein Wort an die Behinderten und an die das Gesetz durchführenden Rehabilitationsträger richten. Das beste Gesetz ist zum Mißerfolg verurteilt, wenn uns die ausführenden Stellen und die Betroffenen ihre Gefolgschaft versagen. Vor allem und gerade im Bereich der Rehabilitation kann nicht alles bis in alle Einzelheiten im Gesetz selbst geregelt werden. Die Erscheinungsformen der Behinderungen sind vielfältig; entsprechend vielfältig, ja manchmal sogar erfinderisch, müssen die Rehabilitationsmaßnahmen gestaltet werden, um wirkliche Hilfe zu bringen. Ich wünsche mir, daß sich die Rehabilitationsträger bei der Anwendung des Gesetzes von demselben Geist leiten lassen, der auch für die gesetzgeberischen Bemühungen der Bundesregierung und des Parlaments bestimmend war. Für den Behinderten ist es nicht wichtig, von welchem Träger er Rehabilitationsleistungen erhält. Für ihn ist es entscheidend, daß ihm die erforderlichen Leistungen zum richtigen Zeitpunkt, zügig und vollständig gewährt werden.
Meine besondere Bitte um aktive Mitarbeit gilt den Ärzten und Krankenkassen, denen durch das Gesetz wichtige Aufgaben der Rehabilitation übertragen werden. Ich meine damit die in den Ausschußberatungen von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Mitteilung des Arztes an die Krankenkassen über Behinderungen.
Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Punkt allein und ausschließlich die Interessen der Behinderten im Auge. Den Behinderten, insbesondere den behinderten Kindern, soll rechtzeitig Hilfe zuteil werden. Das allein sollte der Leitgedanke für die im Vertragswege zu treffende Regelung der Mitteilungspflicht sein. Wir wollen keine Erfassung der Behinderten zu irgendwelchen dunklen Zwekken, insbesondere auch nicht gegen den ausdrücklichen Willen des Behinderten oder seiner Eltern. Wir vertrauen auf die Selbstverwaltung und Selbstverantwortung der Ärzte und der Krankenkassen, daß sie eine Regelung finden, die allen Anforderungen und Interessen gerecht wird.
Die Behinderten schließlich rufe ich auf, von den neuen Rechten, Leistungen und Hilfen des Angleichunggesetzes in vollem Umfang Gebrauch zu machen. Für sie sind von besonderem Interesse die neueingeführten Auskunfts- und Beratungspflichten der Rehabilitationsträger. Diese sollen die Behinderten in die Lage versetzen, sich über die im Einzelfall in Betracht kommenden Hilfen eingehend und ausführlich zu unterrichten.



Bundesminister Arendt
Meine Damen und Herren, wir sind uns bewußt,
daß mit dem Rehabilitationsangleichungsgesetz noch nicht alle Probleme der Rehabilitation gelöst sind. Bundesrat und Bundestag haben die Bundesregierung ermuntert, auf dem Wege zur Angleichung der Rehabilitationsleistungen fortzufahren. Ein weiteres wichtiges Gesetz für die Behinderten, das ihnen die Sozialversicherung in verstärktem Umfang öffnen soll, haben wir bereits vorgelegt.
In der vergangenen Woche hat der Rat der Europäischen Arbeitsminister unter meinem Vorsitz ein erstes Europäisches Aktionsprogramm für Behinderte für die Gemeinschaft beschlossen. Es ist im Vergleich zu dem, was wir mit unserem Aktionsprogramm Rehabilitation erreicht haben, nur ein bescheidener Anfang mit einem ersten Erfahrungsaustausch auf Gemeinschaftsebene. Wir werden in diesen Austausch unsere Erfahrungen und Erfolge vor allem im beruflichen Bereich der Rehabilitation einbringen. Wir werden aber auch sorgfältig prüfen, welche Anregungen wir aus anderen Ländern für die Verbesserung der Situation der Behinderten übernehmen können.
Chancengleichheit und mehr soziale Gerechtigkeit für die Behinderten setzen die Solidarität der Gesellschaft mit den Behinderten voraus. Nur wenn die Gesellschaft bereit ist, die Behinderten als einen natürlichen Teil ihrer selbst zu betrachten, können Rehabilitationsbemühungen Erfolg haben. Ich hoffe, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß uns das Rehabilitationsangleichungsgesetz auf diesem Wege ein gutes Stück voranbringen wird. —

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711041900
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung in
dritter Beratung.
Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Keine Stimmenthaltungen. Das Gesetz ist damit in der dritten Beratung einstimmig gebilligt.
Wir kommen noch zur Abstimmung über den Entschließungsantrag in der Ziffer II und gleichzeitig über den Antrag des Ausschusses, Ziffer III. Ich nehme an, daß wir geschlossen abstimmen können. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Sechstes Anpassungsgesetz-KOV — 6. AnpGKOV)

— Drucksache 7/2121 — Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2209 — Berichterstatter: Abgeordneter Krampe
c) Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß)

— Drucksache 7/2208 —
Berichterstatter: Abgeordneter Geisenhofer (Erste Beratung 103. Sitzung)

Ich frage zunächst, ob die Herren Berichterstatter ergänzend das Wort wünschen. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich danke den Herren Berichterstattern.
Ich eröffne die Aussprache in der zweiten Beratung. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich rufe auf Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaschke.

Günter Jaschke (SPD):
Rede ID: ID0711042000
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion möchte ich meine Genugtuung darüber ausdrücken, daß wir die Kriegsopferversorgung mit dem 6. Anpassungsgesetz erneut einen Schritt voranbringen. Auf der Grundlage dieses Gesetzes werden die Kriegsopferrenten ab 1. Oktober 1974 um durchschnittlich 11,2 % angehoben. Unter Einrechnung der Anpassung vom 1. Januar dieses Jahres um 11,4 vom Hundert bedeutet dies im Jahresdurchschnitt 1974 für die Kriegsopfer eine Rentensteigerung von nahezu 15 vom Hundert. Zugleich gewährleistet das neue Anpassungsgesetz, daß die Kriegsopfer ab 1. Oktober 1974 den Sozialrentnern in der Anpassung völlig gleichgestellt sein werden. Im kommenden Jahr wird sich eine Gesamterhöhung von mehr als 17 vom Hundert ergeben, da schon für den 1. Juli 1975 eine weitere Anpassung gesetzlich fixiert ist.
Das 6. Anpassungsgesetz folgt den damals getroffenen Entscheidungen und stellt die Verwirklichung der ersten Stufe des Stufenplans dar. Der Gesetzentwurf, über den wir heute zu befinden haben, sieht darüber hinaus vor, die Pflegezulageempfänger mit einer schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit von weniger als 50 vom Hundert mit den Schwerbeschädigten gleichzustellen, eine wichtige Verbesserung für den betroffenen Personenkreis. Dadurch wird sichergestellt, daß hilflose Beschädigte, die zwar Pflegezulage erhalten, aber weniger als 50 vom Hundert erwerbsgemindert sind, künftig in den Genuß von Versorgungsleistungen kommen, die bisher nur Schwerbeschädigte erhalten konnten.
Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Donnerstag,, den 20. Juni 1974 7557
Jaschke
Ein Antrag, den die Koalitionsfraktionen im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gestellt haben, zielt darauf ab, daß künftig Großeltern und Enkel nicht mehr von der Kriegsopferfürsorge zu Kostenerstattungen herangezogen werden. Diese Regelung entspricht einer Verbesserung, wie sie in der 3. Novelle zum Bundessozialhilfegesetz verankert worden ist.
Durch das 5. Anpassungsgesetz haben wir zwei Pflöcke eingeschlagen, die den Weg der Kriegsopferversorgung bis ins übernächste Jahr hinein markieren. Sicherlich muß man stets bereit sein, auch eine bereits getroffene Entscheidung nochmals zu überdenken, wenn sich die Verhältnisse geändert haben. Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, wissen aber genau, daß die haushaltsmäßigen Voraussetzungen heute keineswegs günstiger zu beurteilen sind als bei der Verabschiedung des 5. Anpassungsgesetzes vor etwa acht Monaten. Fragen wir nun bei dieser Gelegenheit alle einmal, wo die Kriegsopferversorgung heute stünde, hätten nicht wir, die Fraktionen von SPD und FDP, in engstem Einvernehmen mit der Bundesregierung 1969 ohne Zögern das Anpassungsproblem durch die Dynamisierung der Kriegsopferrenten entschlossen angepackt und gelöst!
Die leidvolle Geschichte des § 56 des Bundesversorgungsgesetzes in der Zeit bis 1969 kennen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, als die damaligen Hauptakteure genauso gut wie wir. Bis zum Amtsantritt der Regierung Brandt/ Scheel 'hat es mehr Jahre gegeben, in denen die Versorgungsbezüge der Kriegsopfer nicht erhöht wurden, als solche, in denen das geschah.
Im Gegensatz zur SPD /FDP-Koalition wollte die CDU/CSU-Opposition die Kriegsopfer mit unverbindlichen Berichten über die Möglichkeiten einer Teilnahme am wachsenden Sozialprodukt abspeisen. So sah das Regierungsprogramm der Unionsparteien für die 6. Wahlperiode nur die Verpflichtung der Bundesregierung vor, alle zwei Jahre über eine mögliche Anpassung der Renten zu berichten.

(Abg. Maucher: Das stimmt doch nicht! Schwätz' doch keine Märchen! Daß so was erzählt wird!)

Folgt man dem Gesetzentwurf zur Kriegsopferversorgung, den die CDU/CSU-Opposition im Jahre 1969 vorlegte, so sollte lediglich der Berichtszeitraum auf ein Jahr verkürzt werden.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711042100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geisenhofer?

Günter Jaschke (SPD):
Rede ID: ID0711042200
Bitte!

Franz Xaver Geisenhofer (CSU):
Rede ID: ID0711042300
Herr Jaschke, ist Ihnen bekannt, daß zu Zeiten der CDU/CSU-Regierung der Anteil der Kriegsopferversorgung am Sozialprodukt 2 % betrug, während er jetzt, während Ihrer Regierungszeit, auf 1,2 % abgesunken fist?

(Zurufe von der SPD.)


Günter Jaschke (SPD):
Rede ID: ID0711042400
Sie werden aber nachher von mir! zu hören bekommen, um wie viele Milliarden sich der Etat für die Kriegsopfer erhöht hat.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Das ändert nichts an dieser Feststellung! Schlaumeier! —Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ändert nichts an der Sache!)

Und vergleichen Sie bitte die Renten von damals, mit denen, die heute gewährt werden!

(Zustimmung bei der SPD.)

Die Alternative, die zur Entscheidung anstand, lautete: unverbindliche Berichte kontra Rechtsanspruch, der die Diskriminierung der Kriegsopfer grundsätzlich und 'dauerhaft beseitigt. Nach dem Willen von CDU und CSU hätten die Kriegsopfer also für 1969 einen ersten Bericht erwarten können. Wir unterstellen durchaus, daß auf Grund dieses Berichts eine Rentenerhöhung vorgeschlagen worden wäre. Vielleicht wäre dann alljährlich ein neuer Bericht fällig gewesen, jedoch sicherlich mit, was die konkrete Rentenerhöhung angeht, ungewissen Ergebnissen.
Ich habe, meine Damen und Herren, stärkste Zweifel, ob bei einem Fortbestand des damaligen § 56 des Bundesversorgungsgesetzes heute gesagt werden könnte, daß die Renten der Kriegsopfer ab 1. Oktober 1974 um rund 76 v. H., die der Kriegerwitwen sogar um rund 90 v. H. höher liegen als 1969.

(Abg. Maucher: Ihr seid Prozentzauberer!)

Sicher ist aber, daß bei der sich im damaligen § 56 widerspiegelnden Leistungsbereitschaft die Mehraufwendungen für Verbesserungen in der Zeit von 1970 bis 1974 insgesamt nicht mit rund 9 Milliarden DM zu veranschlagen gewesen wären. Allein auf die linearen Rentenerhöhungen entfallen jetzt 7 Milliarden DM. Der Kriegsopferhaushalt 1974 — das bitte ich doch auch zu beachten — erreicht einschließlich der Krieasopferfürsorge ein Volumen von rund 10 Milliarden DM. Noch 1969 waren es 6,3 Milliarden. Und dann muß man noch berücksichtigen, daß heute die Zahl der Kriegsbeschädigten und Kriegerwitwen wesentlich kleiner ist als zu früherer Zeit.
All dies sollte doch nicht übersehen werden, wenn man ernst zu nehmende Gespräche über zu verwirklichende Vorhaben führen möchte. Es wird Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, auch nicht gelingen, diese für die Kriegsopfer positive Bilanz ins Defizit hineinzureden. Zwar sind auch wir über die Preisentwicklung in manchen Bereichen nicht glücklich; gerade deshalb aber kämpfen wir auch erfolgreich um die Stabilität.
Es wird einfach den Tatsachen nicht gerecht, wenn behauptet wird, infolge der Preissteigerungen bliebe für die Kriegsopfer trotz der Rentenerhöhungen unter dem Strich nichts übrig. Die Anfang dieses Jahres von gewissen Kreisen rein spekulativ erwartete Preisanstiegsrate von 10 v. H. für dieses Jahr wird — nicht zuletzt dank des Stabilitätsprogramms der Bundesregierung — nicht erreicht werden.

(Zustimmung bei der SPD.)




Jaschke
Demgegenüber werden aber die Kriegsopferrenten — ich sagte es schon — in diesem Jahre um rund 15 v. H. steigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fraktion' der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands begrüßt es sehr — dies sei auch an' dieser Stelle und bei dieser Gelegenheit betont —, daß die Bundesregierung weitere wesentliche Verbesserungen zugunsten der Kriegsopfer durch Rechtsverordnungen verwirklicht hat. Wir werden die Sorgen und Nöte der Kriegsopfer nicht aus dem Auge verlieren. Wir werden uns auch weiterhin um eine gerechte und würdige Versorgung gerade dieser unserer Mitbürger bemühen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0711042500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Maucher.

Eugen Maucher (CDU):
Rede ID: ID0711042600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir wird ans Herz gelegt — ich höre es von allen Seiten —, nicht so lange zu sprechen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Herr Kollege Schellenberg hat mir ebenfalls empfohlen, nicht länger als Herr Jaschke zu sprechen. Ich hatte vor, dann, wenn Herr Jaschke eine Rede in dem Ton gehalten hätte, wie es Kollege Glombig zu dem vorhergehenden Gesetz getan hat, ebenso sachlich und ruhig zu antworten. Ich weiß nicht, weshalb der Kollege Jaschke nun eine solche Rede gehalten hat. Hat er vielleicht mein Manuskript gesehen? Ich kann es jetzt auf die Seite legen, denn er hat mir ein anderes Manuskript gemacht.
Herr Kollege Jaschke, wenn wir die beiden Gesetze, die unter den Punkten 11 und 12 der Tagesordnung aufgeführt sind, miteinander vergleichen, stellen wir folgendes fest. In der Frage der Rehabilitation gibt es eine wunderbare Einigkeit unter den Sozialpolitikern. Die Erkenntnis der Bedürfnisse auf den verschiedenen Ebenen ist eine lobenswerte Sache.
Auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung ist es nicht möglich, eine solche Harmonie herzustellen. Warum? Im einen Fall kostet es den Bund kein Geld; dm anderen Fall wird der Bundeshaushalt belastet. Darin liegt die Problematik.
Ich möchte nun auf Ihre Ausführungen eingehen. Ich muß Ihnen ganz klar und in aller Offenheit folgendes sagen. Sie rechnen — das wird' auch im Bericht getan — mit Prozenten. Ich habe hier deswegen den Zwischenruf „Prozentkünstler" gemacht. Errechnen Sie jetzt einmal ganz klar und nüchtern die prozentuale Erhöhung der Ausgaben im Bundeshaushalt. Sie kommen dann nicht auf 90%, in den letzten 5 Jahren, sondern auf 43 %. Darin liegt der wesentliche Unterschied. Sie haben für das Jahr 1970 eine Erhöhung der Witwenrenten um 17 % angegeben. In der Praxis betrug die Erhöhung' nur 12 %. Das eist auch hier der Unterschied. Die Dinge werden also auf den Kopf gestellt.
Was Sie eben hinsichtlich der Frage der Anpassung in den Jahren 1969/70 sagten, ist ein Märchen. Als einer der Verantwortlichen muß ich hier an dieser Stelle folgendes dazu sagen. Auf einer großen Kundgebung der Kriegsopfer — Sie können das in den Protokollen nachlesen — habe ich ausgeführt: Mag der neue Bundestag aussehen, wie er will auf Grund der Beschlüsse wird ab 1. Januar 1970 die Dynamisierung kommen. Ob die Anpassung ein oder zwei Jahre beträgt, ist letztlich nicht das Entscheidende. Auch wenn Sie jetzt Klagen an die Adresse der CDU/CSU erheben, so kann ich Ihnen nur folgendes entgegenhalten. Ich habe es im Jahre 1970 gesagt und muß es immer wieder sagen: Der Rückstand ist dynamisiert worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, blicken wir einmal auf die geschichtliche Entwicklung. Als kleiner Abgeordneter aus Bebenhausen habe ich damals im Jahre 1949 im Landtag von Württemberg-Hohenzollern den Standpunkt vertreten, man solle die Kriegsopferversorgung nicht am unterstem Lohnniveau orientieren. Der Landtag hat entgegen der Regierungsvorlage das Durchschnittseinkommen für die Kriegsopfer zugrunde gelegt.
In der zweiten Etappe — das war im Jahre 1960 — war es bei der Beratung des ersten Neuordnungsgesetzes die einmütige Auffassung dieses Hauses, daß die Grund- und Ausgleichsrente des Erwerbsunfähigen an der allgemeinen Bemessungsgrundlage orientiert werden sollte. Wie sieht es heute aus? Wie wird es in zehn Jahren aussehen? Dann erfolgt die Orientierung am untersten Lohnniveau. Das 'ist der Tatbestand. Sie können also wirklich nicht von einem Erfolg sprechen. Dies muß ich in aller Offenheit sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

So können Sie die Dinge nicht darstellen.
Ein zweiter Punkt. Sie sprechen jetzt von einer Erhöhung von 15 % auf Grund des vorgezogenen Termins. Wir haben damals im Bundestag die Anpassung nach der Rentenversicherung nicht nur wertgleich, sondern auch zeitgleich vorgeschlagen. Deshalb kann man jetzt nicht sagen: Dies ist eine Erhöhung um 15 % für 1974. Es liegt vielmehr noch ein Versäumnis vor. Wir haben es außerordentlich bedauert, daß Sie nicht auf die Brücke getreten sind, die wir Ihnen geschlagen haben. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, innerhalb des Haushalts wegen der gerechtfertigten Priorität, die die Kriegsopferversorgung haben sollte, zu versuchen, einen Weg zu finden, um wenigstens die drei Monate ab 1. 7. 1974 auszugleichen.
Nun kehren wir zur Sache zurück! Ich unterstelle, Kollege Jaschke, Kollege Glombig: im Grunde unseres Herzens sind wir uns einig, daß wir in der Frage der Kriegsopferversorgung die notwendige Entwicklung klar sehen. Sie sagen hier: „Eine gute Sache; wir haben viel getan." Herr Kollege Jaschke, ich empfehle Ihnen: lesen Sie die Beschlüsse vom großen Kriegsopferparlament des VdK in München einmal sorgfältig durch, lesen Sie die Protokolle durch, lesen Sie die Reden, die von verschiedenen Vertretern, auch aus Ihren politischen Reihen, ge-

Maucher
halten worden sind! Ich werde mich bemühen, mich jetzt kurz zu fassen. Ich kündige aber an, daß wir uns im nächsten Jahr nicht so wie heute im Vorbeigehen mit der Frage befassen, nachdem wir stundenlang über die Mitbestimmung geredet haben. Die zweieinhalb Millionen Kriegsopfer haben auch ein Anrecht darauf, daß ihre Probleme in ausreichender Weise in diesem Parlament behandelt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Das muß ich mal ganz klar sagen.

(Anhaltender Widerspruch von der SPD.)

— Wissen Sie, Herr Kollege, daß Sie Zwischenrufe machen, nehme ich Ihnen gar nicht übel, weil Sie ja von der Sache keine Ahnung haben.
Ich will Ihnen über die weitere Entwicklung folgendes sagen. Das Parlament wird sich erstens mit der Frage befassen müssen, auf welche Weise das Versäumte der früheren Anpassung im nächsten Jahr ausgeglichen werden kann.
Zweitens wird es sich mit der Frage befassen müssen, ob man, wenn die öffentliche Hand allen ihren Bediensteten ein 13. Monatsgehalt gibt, die Kriegsopfer und Rentner stehenlassen kann. Die Frage wird auf uns zukommen.
Drittens werden sich dieses Parlament und die Bundesregierung damit befassen müssen, ob man das Verhältnis der MdE-Grade, ausgehend von 100 %, im Ableitungsverhältnis so belassen kann. Bei der Schaffung des Bundesversorgungsgesetzes waren sich alle einig, daß man es nicht auf Anhieb tun kann. Wenn Sie aber die Resolutionen und Beschlüsse der Parteitage lesen, werden Sie mir zugeben, daß man die Fortentwicklung des Kriegsopferrechts immer wieder angesprochen hat. Von da aus gesehen werden sie sich mit dieser Frage eingehend befassen müssen. Wir müssen feststellen, daß 90 % aller Kriegsbeschädigten nur die Grundrente erhalten, der zu 50 % Geschädigte 39 %, abgeleitet von 100 %. Die Schülerunfallrente ist höher, die Hälfte von der Unfallrente vom Durchschnittseinkommen. Dann müssen Sie feststellen, daß das Sonderopfer, das die Kriegsopfer gebracht haben, in keinem gerechten Verhältnis mehr entschädigt wird. Das ist eine ganz entscheidende grundsätzliche Frage, die wir in diesem Zusammenhang sehen müssen.
Viertens. Wir gingen davon aus, daß die Kriegsopferversorgung sich am Durchschnittseinkommen orientiert; deshalb müßte auch hier eine entsprechende Heranführung eintreten.
Lassen Sie mich am Ende folgendes sagen. Was mich immer besorgt gemacht hat und weiterhin besorgt macht, ist die Frage der Hinterbliebenen. Wir haben sie wiederholt diskutiert und waren uns einig, vor allem beim Schadensausgleich. Nun wird verkündet: jawohl, das Problem ist gelöst, wir haben jetzt hier mehr oder weniger den Besitzstand gewahrt. Dazu muß ich Ihnen ganz offen sagen: das ist eine eigenartige Praxis. Man hat nämlich einen Zusammenhang zwischen Berufsschaden, Grund- und Ausgleichsrente und Besitzstand hergestellt.
Wenn eine Witwe im Jahr 1973 445 Mark bekommt, wird sie im Jahre 1975 ebenfalls 445 Mark bekommen. Dieser Betrag bleibt drei Jahre bestehen ohne jegliche Erhöhung. Das ist der Besitzstand. Der Berufsschaden geht aber in diesem Fall — um ein Beispiel zu nennen — von 137 auf 6 DM zurück. Das ist nicht die erwartete Besitzstandswahrung, die die Witwen draußen - über 300 000 —, die Anspruch auf Schadensausgleich haben, erwartet haben. Das ist nach meiner Auffassung eine ganz große Enttäuschung.
Die Frage der Beihilfe für die Witwen, deren Männer zu 50 % und 60 % beschädigt waren, muß ich noch ansprechen. Auch hier ist nichts in Richtung der Empfehlung des Ausschusses geschehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind gern bereit, mit Ihnen zusammen zu überlegen, wie und auf welche Weise man auch weiterhin den Kriegsopfern der Entwicklung entsprechend helfen kann. Das sollte auch Ihr ernstes Anliegen sein. Damit, daß wir uns gegenseitig vorwerfen, wer was getan oder nicht getan hat, helfen wir den Kriegsopfern nicht.

(Zuruf von der SPD: Jetzt wird er böse!)

Sie haben dem doch in den vergangenen Jahren zugestimmt und sind daher mitverantwortlich. Sie können hier überhaupt keinen Vorwurf erheben. Ich könnte Ihnen hier zur Geschichte einiges sagen.
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß die Kriegsopferversorgung für die CDU in den vergangenen Jahren immer ein besonderes Anliegen gewesen ist und es auch in Zukunft bleiben wird.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711042700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hölscher.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0711042800
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Maucher! Ich habe natürlich schon etwas Verständnis für Ihre Aufregung, aber ich glaube, daß wir der Sache am besten dienen, wenn wir diese Angelegenheit, die wir in diesem Hause schon oft besprochen haben — für mich als Parlamentsneuling ist es eigentlich der Bereich, zu dem ich bisher am meisten gesprochen habe —, mit der entsprechenden Sachlichkeit und Kürze behandeln.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Dr. Ritz: Dann müssen Sie das auch Herrn Jaschke sagen! Das eine hat das andere ausgelöst!)

Es gibt im Sozialbereich viele Probleme, die wir gern von heute auf morgen lösen möchten. Nur muß man eben alles auch im Zusammenhang mit den finanziellen Möglichkeiten sehen. An dem guten Willen mangelt es dieser Regierung sicherlich nicht, und ich glaube, die Kriegsopfer sind eigentlich diejenigen, die sich zuletzt darüber beschweren könnten, daß diese Regierung nicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten das getan hat, was sie tun konnte.

(Sehr richtig! und Beifall bei den Regierungsparteien.)




Hölscher
Meine Damen und Herren! Ich darf — ich glaube, daß wir insofern auch der Empfehlung des Ältestenrats nachkommen sollten — im Namen meiner Fraktion eine Erklärung abgeben. Die Fraktion der Freien Demokraten stimmt dem Sechsten Anpassungsgesetz in der Kriegsopferversorgung zu. Mit diesem Gesetz verwirklicht die sozialliberale Koalition die erste Stufe ihres Vorhabens, den Termin für die Anpassung der Kriegsopferrenten bis 1975 auf den 1. Juli vorzuziehen. Damit werden die Kriegsopferrenten für rund 2,5 Millionen Berechtigte ab 1. Oktober 1974 um 11,2 % steigen.
Durch das Fünfte Anpassungsgesetz wurden die Kriegsopferrenten zum 1. Januar 1974 um 11,4 % erhöht. Mit der Erhöhung durch das Sechste Anpassungsgesetz steigen sie 1974 insgesamt um rund 15%. Ferner bringt das Sechste Anpassungsgesetz eine weitere strukturelle Verbesserung. Künftig werden alle Pflegezulagenempfänger wie Schwerbeschädigte behandelt. Sie erhalten dadurch mindestens eine Versorgung nach einer Minderung der Erwerbstätigkeit um 50 %.
Damit erhalten auch diese Beschädigten Versorgungsleistungen, die bisher nur Schwerbeschädigten zustehen, wie Berufsschadensausgleich und Ausgleichsrente.
Die mit dem Sechsten Anpassungsgesetz verbundenen Mehraufwendungen des Bundes betragen 1974 rund 200 Millionen DM, in den folgenden Jahren bis 1977 jährlich über 700 Millionen DM. Damit sind die Grenzen des haushaltsmäßig Möglichen ausgeschöpft.
Die Kriegsopfer können sicher sein, daß die nächsten Anpassungen zum 1. 1. 1975 und zum 1. 7. 1975 genauso pünktlich verwirklicht werden. Die Verbesserungen, die die sozialliberale Koalition in Aussicht stellt, sind auch längerfristig finanziell abgesichert.
Meine Damen und Herren, die sozialliberale Koalition hält ihre Zusagen auch in diesem Bereich. Gerade die Kriegsopfer werden dies nach ihren Erfahrungen aus der Großen Koalition anzuerkennen wissen. Erfreulich ist auch — und das sage ich ohne Polemik, Herr Kollege Maucher! —, daß die Opposition inzwischen insofern eine realistischere Haltung eingenommen hat, als sie darauf verzichtete, einen Antrag — wie im vorigen Jahr noch geschehen — auf sofortige Anpassung zum 1. Juli zu stellen. Dies ist auch verständlich, denn Sie können sich den nun einmal gegebenen finanziellen Möglichkeiten letztlich auch nicht verschließen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist das eine Erklärung?)

Die Erfolge in der Kriegsopferversorgung sollten eigentlich jedem draußen deutlich machen, wie ernst es die sozialliberale Koalition, wie ernst wir Freien Demokraten es mit unserer sozialen Verantwortung gegenüber der Schicksalsgruppe der Kriegsopfer meinen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711042900
Das Wort hat Herr Bundesminister Arendt.

Walter Arendt (SPD):
Rede ID: ID0711043000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst für die schnelle und zügige Behandlung des Sechsten Anpassungsgesetzes danken. Damit haben Sie die Möglichkeit geschaffen, daß die vorgezogene Anpassung zum 1. Oktober dieses Jahres termingerecht durchgeführt werden kann. Die Kriegsopferrenten werden dann zum zweiten Mal in diesem Jahr erhöht.
Damit erhalten die Kriegsopfer im Jahre 1974 im Durchschnitt Rentenerhöhungen von nahezu 15 Prozent. Hieran wird deutlich, welchen Rang und welche Bedeutung wir der Kriegsopferversorgung beimessen. Schon bei der Verabschiedung des Fünften Anpassungsgesetzes habe ich darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung weiterhin bestrebt sein wird, das Kriegsopferrecht im Rahmen des finanziell Möglichen zeitgerecht weiterzuentwickeln.
Auch bei dieser Gesetzesvorlage haben wir vorgeschlagen, einige Probleme zu lösen. Ich danke Ihnen, daß Sie diesen Verbesserungsvorschlägen gefolgt sind. Bei den zahlreichen strukturellen Verbesserungen, die wir im Zusammenhang mit den bisherigen Anpassungsgesetzen vorgeschlagen haben, sind wir stets davon ausgegangen, den Entschädigungscharakter des Bundesversorgungsgesetzes zu verstärken. Im besonderen Maße dachten wir dabei an das Schicksal der Schwerstbetroffenen. Nicht zuletzt haben diese Verbesserungen dazu geführt, daß das Bundesversorgungsgesetz immer mehr als Modellgesetz für soziale Entschädigungsleistungen betrachtet wird.
Gewiß wurden mit den zahlreichen strukturellen Verbesserungen, die in den letzten Jahren vorgenommen worden sind, nicht immer Probleme mit großer Breitenwirkung gelöst. Aber gerade bei unseren Bemühungen um eine gerechte Entschädigung kann nicht die Frage der Zahl des begünstigten Personenkreises entscheidend sein, sondern ausschließlich die echte Not- und Bedarfslage der jeweils Betroffenen. Deshalb wäre es auch sozialpolitisch völlig verfehlt, wollte man bei der Bewertung einer sozialpolitischen Maßnahme nur die große Zahl bestimmend sein lassen. Gerade die schweren persönlichen Schicksale, wie sie die Kriegsopferversorgung kennt, erfordern gezielte Hilfen. Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß durch die beachtlichen linearen Rentenerhöhungen die Einkommenssituation aller Kriegsopfer verbessert wird.
Lassen Sie mich dabei noch auf einen Gesichtspunkt hinweisen, der sicher auch all jene zu einem kritischen Überdenken ihres Standpunktes bewegen müßte, die glauben, immer noch mehr fordern zu müssen: Allein im Jahre 1974 beträgt der Mehrbedarf an Bundesmitteln auf Grund des am 1. Januar 1974 wirksam gewordenen Fünften Anpassungsgesetzes und der vorgezogenen Anpassung zum 1. Oktober 1974 rund 975 Millionen DM, also nahezu 1 Milliarde DM. Im Jahre 1975 wird eine Mehrausgabe in Höhe von mehr als 1 Milliarde DM auf den Bundeshaushalt zukommen, denn zu dem für das Sechste Anpassungsgesetz ausgewiesenen Betrag in Höhe von rund 740 Millionen DM kommen durch die auf den 1. Juli 1975 vorgezogene Anpas-



Bundesminister Arendt
sung mehr als 400 Millionen DM hinzu. Ich meine, diese Zahlen sprechen für sich selbst.
Bei all dem darf schließlich auch nicht übersehen werden, daß wir beachtliche Leistungsverbesserungen im Verordnungswege vorgenommen haben. So bringt die im April 1974 von der Bundesregierung verabschiedete Verordnung zum Berufsschadensausgleich für Beschädigte und zum Schadensausgleich für Witwen Verbesserungen mit einem jährlichen Aufwand von 70 bis 90 Millionen DM.

(Abg. Maucher: Das glaube ich nicht!)

— Das ist aber wahr, auch wenn Sie es nicht glauben, Herr Maucher.
Im Interesse der Versorgungsberechtigten, besonders aber der Beschädigten, werden wir die versorgungseigenen Einrichtungen zur Durchführung stationärer medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation fördern. Wir bereiten zur Zeit eine Verordnung vor, die die Kostenregelung für diese Einrichtungen auf eine neue Basis stellt.
Die Mittel, die der Bund hiernach im Erstattungswege zur Verfügung stellt, kommen letztlich den Versorgungsberechtigten in einem besseren Leistungsangebot zugute.
Solche positiven Auswirkungen für die Versorgungsberechtigten erwarten wir auch von Maßnahmen zur Vereinfachung und Verbesserung der Kostenerstattung an Versehrtensportgemeinschaften. Auf diesem Gebiete bereiten wir Rechtsänderungen vor, die den bürokratischen Aufwand bei den Versehrtensportgemeinschaften vermindern werden, so daß diese sich ungehindert ihrer sportlichen Aufgabe als echter Rehabilitationsmaßnahme widmen können.
Bei den Beratungen des Sechsten Anpassungsgesetzes haben Sie auch das Problem der Kriegsopferfürsorge angesprochen. Es steht für uns außer Zweifel, daß diese wichtige Leistungssäule des Bundesversorgungsgesetzes mit der Weiterentwicklung unseres gesamten sozialen Leistungsrechts Schritt halten muß. Wenn auch in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Kriegsopferfürsorge keine wichtigen rechtlichen Änderungen vorgenommen werden konnten, so ist die Kriegsopferfürsorge auch unter den geänderten Lebensverhältnissen im wesentlichen ihrer Aufgabenstellung gerecht geworden. Neben der Zunahme der persönlichen Hilfen kommt dies auch in dem finanziellen Aufwand für die Leistungen der Kriegsopferfürsorge zum Ausdruck, der in den vergangenen Jahren ungewöhnlich gewachsen ist. So wurden im Jahre 1969 für die Kriegsopferfürsorge rund 466 Millionen DM aufgewandt. Im Jahre 1973 waren es rund 800 Millionen DM. Das ist eine Steigerung von rund 85 Prozent innerhalb von 4 Jahren. Ich denke, daß diese Zahlen das große Bemühen beweisen, neben den Rentenleistungen der Kriegsopferversorgung auch die individuellen Hilfen sach- und zweckgerecht einzusetzen. Natürlich sind wir uns bewußt, daß es innerhalb der Kriegsopferfürsorge noch eine Reihe von Problemen zu lösen gilt. Wir werden auch um die Lösung dieser Probleme bemüht bleiben.
Die Bundesregierung wird sich nach wie vor all jener Menschen besonders annehmen, denen ein schweres Schicksal auferlegt worden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711043100
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Beratung. Wer diesem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (ParlStG)

— Drucksache 7/820 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/1900 —
Berichterstatter: Abgeordneter Walther
b) Bericht und Antrag des Innenausschusses (4. Ausschuß)

— Drucksache 7/1899 —
Berichterstatter:
' Abgeordneter Dr. h. c. Wagner (Günzburg) Abgeordneter Liedtke

(Erste Beratung 51. Sitzung)

Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wagner.

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0711043200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegen den heute in der zweiten und dritten Beratung vorliegenden Gesetzentwurf über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre gibt es nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU drei gewichtige Einwendungen.
Unser erster Einwand ist: der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf verändert entscheidend die Aufgaben und Rechtsstellung des Parlamentarischen Staatssekretärs. Während sein Status nach dem Gesetz von 1967 als öffentlich-rechtliches Amtsverhältnis eigener Art ausgestaltet war, soll das Statusverhältnis nunmehr an das des Bundesministers angeglichen werden. Von daher bestehen erhebliche Bedenken im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz. Nach der ursprünglichen Konzeption des Gesetzes von 1967 sollte der Parlamentarische Staatssekretär in erster Linie Abgeordneter bleiben und Aufgaben im Rahmen dies Parlamentes wahrnehmen. Eine seiner wesentlichen Aufgaben besteht in der Entlastung des Ministers im



Dr. h. c. Wagner (Günzburg)

politischen und im parlamentarischen Bereich, jedoch nicht in der Mitwirkung bei der Leitung eines Bundesressorts. Gerade zu dem zuletzt genannten Problem ist jetzt in § 1 Abs. 2 des Entwurfes eine Regelung getroffen, die auf Grund des Herkommens und auf Grund der auf das Parlament ausgerichteten Funktion eines Parlamentarischen Staatssekretärs nicht sachgerecht ist. Im übrigen bringt der Gesetzentwurf keine organisatorische Einordnung der Parlamentarischen Staatssekretäre in die Ministerien und keine Abgrenzung ihrer Befugnisse gegenüber den beamteten Staatssekretären.
Unser zweiter Einwand ist: Der Gesetzentwurf gibt Anlaß zu der Feststellung, daß die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen die im gegenwärtigen Zeitpunkt so viel strapazierte Stabilitätsüberlegung selbst in Frage stellt. Während einerseits gegen jegliche Stellenausweitung im öffentlichen Dienst angekämpft wird und Tarifpartner zur Zurückhaltung bei Tarifabschlüssen gemahnt werden, während das 2. BesVNG für den öffentlichen Dienst außerordentlich spärlich ausgestattet ist, sollen die Einkünfte der Parlamentarischen Staatssekretäre erheblich verbessert werden. Die monatliche Aufwandsentschädigung wird auf 75 % des Amtsgehaltes eines Bundesministers, zusätzlich 75 % der Dienstaufwandsentschädigung eines Bundesministers, angehoben. Besonders gravierend ist hier nach meiner Meinung, daß die ebenfalls gleichgestellte Versorgungsregelung bereits nach einer Dienstzeit von zwei Jahren Platz greift. Diese Entscheidung muß, so meine ich, lebhafter Kritik auch deshalb begegnen, weil die Zahl der Parlamentarischen Staatssekretäre nicht begrenzt ist. 1967 waren es 7, am Ende der 6. Legislaturperiode stiegt die Zahl auf 13, im zweiten Kabinett Brandt/Scheel gab es bereits 19, und heute sind es 20.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Und keiner von der CDU!)

Unsere dritte Einwendung ist: Auch wenn jemand bereit wäre, sich über diese erstgenannten Punkte hinwegzusetzen, so könnte er nach meiner Meinung diesem Gesetzentwurf dennoch nicht zustimmen, weil mit ihm offensichtlich der Versuch gemacht wird, eine Fehlhandlung der Bundesregierung nach der Auflösung des 6. Deutschen Bundestages am 22. September 1972 zu korrigieren. Wir erinnern uns an die Bemerkungen des Bundesrechnungshofes zur Haushaltsführung 1972, in denen die Fortzahlung der Entschädigung an die Parlamentarischen Staatssekretäre für die Zeit zwischen der Auflösung des 6. und dem Zusammentritt des 7. Bundestages beanstandet wurde.
Der Bundesrechnungshof hat seinerzeit festgestellt, daß die Parlamentarischen Staatssekretäre mit der Auflösung des Bundestages aus ihrem Amt ausgeschieden sind. Dieser Amtsverlust folgt eindeutig aus dem geltenden Recht, weil § 1 bestimmt, daß Parlamentarische Staatssekretäre Mitglieder des Deutschen Bundestages sein müssen, und § 6 Satz 3 bestimmt, daß der Parlamentarische Staatssekretär entlassen ist, wenn er aus dem Bundestag ausscheidet. Das ist, so meine ich, eine sehr eindeutige und eine sehr klare Rechtslage.
Wenn nun § 4 Abs. 4 des Entwurfes vorsieht, daß das Amtsverhältnis eines Parlamentarischen Staatssekretärs mit seinem Ausscheiden aus dem Bundestag, nicht jedoch mit dem Ende einer Wahlperiode nach vorzeitiger Auflösung des Bundestages endet, so wäre èiine solche Änderung sicher im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ordnung zulässig. Besonders problematisch und nach meiner Meinung rechtlich nicht zulässig ist jedoch das rückwirkende Inkrafttreten dieser Bestimmung auf den 9. Juni 1967. Hier liegt, so meine ich, ein eindeutiger Verstoß gegen das Gebot der Rechtsstaatlichkeit vor. Nach diesem Prinzip — und auch einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes — ist eine Rückwirkung von Gesetzen nur dann zulässig, wenn bei unklaren, verworrenen und lückenhaften Rechtslagen die Rechtssicherheit und Gerechtigkeit durch eine klärende Regelung hergestellt werden kann.

(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Und das ist der Fall!)

Diese Voraussetzungen sind aber in diesem Falle nicht gegeben, da, wie ich schon betone, seit dem ersten Gesetz über die Rechtsstellung der Parlamentarischen Staatssekretäre vom Jahre 1967 eine klare, lückenlose und gefestigte Rechtslage bestand.
Meine Damen und Herren, wie unser Kollege Kunz in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs bereits ausführte, läßt ein über sieben Jahre zurückwirkendes Inkrafttreten einer gesetzlichen Vorschrift nur allzu deutlich die Absicht der Bundesregierung erkennen, sich hier eine Art Freisprechung für ihr Verhalten in der Zeit nach der Auflösung des 6. Deutschen Bundestages vom Gesetzgeber bestätigen zu lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Rückwirkungsklausel, meine Damen und Herren, hat doch das alleinige Ziel, die Beanstandungen des Bundesrechnungshofes gegenstandslos zu machen. Aus gutem Grund hat dieses Parlament das richterlich unabhängige Institut des Bundesrechnungshofs geschaffen. Wenn nun die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen mit der Mehrheit ihrer Stimmen eine rechtmäßige Prüfungsentscheidung auf dem Gesetzgebungswege vom Tisch nehmen wollen, so ist dies ein Weg, meine Damen und Herren, zu dem die CDU/CSU-Fraktion ihre Zustimmung nicht geben kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, ich komme zusammenfassend zu der Beurteilung: Der vorliegende Gesetzentwurf bewirkt im wesentlichen eine nicht sachgerechte Statusänderung für die Parlamentarischen Staatssekretäre und eine mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Rechtsstaatlichkeit nicht in Einklang zu bringende rückwirkende Regelung.
Die CDU/CSU-Fraktion lehnt aus diesen Gründen die Vorlage eindeutig ab.

(Beifall bei der CDU/CSU.)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711043300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Liedtke.

(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Er lehnt auch ab!)


Karl Liedtke (SPD):
Rede ID: ID0711043400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus Respekt vor den Seßhaften dieses Hauses beschränke ich mich auf einige Gegenbemerkungen zu Ihren Äußerungen.
Ich mache die Opposition darauf aufmerksam, daß sie 1967, als man diese Institution einführte, sich mit als Geburtshelfer betätigt hat — unter folgender Voraussetzung: Das ist so neu, da gibt es keine Vorbilder, wir beschließen einmal ein Gesetz, das so weit ist, daß nur das Nötigste erfaßt ist. Das, Herr Wagner — ich zitiere das, weil Ihre Unterschrift darunter steht —, schlägt sich im schriftlichen Bericht des damaligen Innenausschusses in folgendem Satz nieder:
Da es sich bei der Einführung Parlamentarischer Staatssekretäre in gewisser Weise um einen Versuch handelt, wäre es nach Meinung des Ausschusses falsch, wenn mehr als das Nötigste geregelt würde. Vielmehr sollte man sich damit begnügen, einen weiten Rahmen abzustecken und die Ausgestaltung im einzelnen der Entwicklung zu überlassen.
Bewußt weit gefaßt, aber gewußt, was man wollte.
Und dann muß man das Protokoll des Bundestages aus dem Jahre 1967 zu Hilfe nehmen. Ich lese — ich will es kurz machen — den entscheidenden Satz vor:
Aus diesem Grunde endet auch die Tätigkeit
eines Parlamentarischen Staatssekretäres zugleich mit dem Amtsverhältnis seines Ministers.
So der Bundesinnenminister Lücke, Mitglied der da. maligen Bundesregierung. Am Schluß seiner kurzen Rede war dann zu lesen: Beifall bei den Regierungsparteien; dazu gehörten Sie damals auch.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Sie können es im Protokoll zur 95. Sitzung — 5. Legislaturperiode — nachlesen, und Sie haben ganz klar, was gewollt war.
Wenn Sie nun, da Ihnen die Gnade der Regierungsfähigkeit in diesem Hause im Augenblick nicht zuteil geworden ist, hier so einen juristischen Nebenkriegsschauplatz schaffen wollen, dann ist es das einfachste, man bedient sich der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und macht rückwirkend klar, was gesetzlich unklar ist, „damit Rechtssicherheit und Gerechtigkeit — so steht es dort in dem Urteil — wieder einkehren". Und wer es nicht glaubt, für den habe ich all die Nummern der Urteile vorsichtshalber mitgebracht.
Eine letzte Bemerkung: Aus den Erfahrungen haben wir gelernt, daß der Status eines Parlamentarischen Staatssekretärs verändert werden muß. Wir wissen heute, das erfordert den ganzen, vollen persönlichen Einsatz, ist also kein Geschäft, das man nebenberuflich mit der linken Hand betreiben kann. Folglich erteilen wir ein Berufsverbot und müssen dann natürlich auch ein Amtsverhältnis begründen.
Letzte Bemerkung: Wenn Ihnen 75 % eines Ministergehalts zu hoch ist, so kann man darüber reden; aber ich bin sicher, wenn wir gesagt hätten, sie bekommen 5 % eines Ministergehalts, wäre Ihnen das gleichermaßen Anlaß gewesen, mit einer anders gewundenen Rede dieses Gesetz abzulehnen.
Alles, was Sie 1967 bejaht haben, verneinen Sie heute. Die Koalition vermag die Bocksprünge der Opposition nicht mitzumachen. Deshalb stimmen wir zu.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711043500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID0711043600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den ungewöhnlich überzeugenden Ausführungen meines Herrn Vorredners glaube ich, mich ausgesprochen kurz fassen zu können.
Herr Kollege Wagner, als wir am 20. September 1973 die erste Lesung in diesem Hause gehalten haben, konnte man alle Argumente, die Sie heute hier noch einmal als Meinung Ihrer Fraktion vorgetragen haben, schon hören in der damals sehr lebhaften Weise des Kollegen Kunz, der heute leider unseren Beratungen nicht mehr folgt. Ich habe mich immer gefragt, was ihn an dieser Sache eigentlich so aufgeregt hat. Inhaltlich war es exakt das, was Sie vortragen — mit einer Variante: Man konnte damals auf eine interessante Beratung in den Ausschüssen hoffen, weil in der Tat die verfassungsrechtliche Problematik der Institution der Parlamentarischen Staatssekretäre wirklich eingehender Überlegungen bedürfte. Sie sind nicht in der Verfassung vorgesehen. Man kann sich Gedanken darüber machen, wie es eigentlich kommt, daß hier gerade die Position der Minister, also der Nahtstelle zwischen den Fraktionen und der Verwaltung, einer so ungewöhnlichen Belastung ausgesetzt ist, daß es nach unserer gemeinsamen Überzeugung — denn die Einrichtung ist gemeinsam eingeführt worden — notwendig geworden ist, diese Personen praktisch zu verdoppeln, eine Eigenschaft, die ich mir als Abgeordneter auch immer wünsche, aber das übersteigt die finanziellen Möglichkeiten dieses Hauses, wie jedermann einsehen wird. Die Problematik, warum das so ist, was sich daraus für die Stellung in den Ausschüssen, für die Rederechte ergibt, all dies ist doch nur angekratzt, und sie ist, wie Sie wissen, in den Ausschußberatungen auch gar nicht behandelt worden. Dieser große Fragenbereich — wohin gehören sie eigentlich, in die Stellung der Regierung oder näher an das Parlament? — ist doch über unsere allgemeinen Bemerkungen in der ersten Lesung hinaus gar nicht weiter diskutiert worden.
Es ist auch nicht in Anträgen — der Opposition etwa, wenn Sie dieses Thema im Detail hätten behandeln wollen — in den Ausschüssen gekommen, sondern der ganze Kern der Beratung in den Ausschüssen war nur die Frage, ob es Rechtens war, die Amtszeit bei der vorzeitigen Auflösung des Bundestages fortzuführen und ob nun dieses Gesetz in der



Dr. Hirsch
Tat eine Rückwirkung enthalte, wenn ja, ob diese zulässig sei oder — unsere Meinung — ob es sich nur um eine deklatorische Klarstellung dessen handle, was bei der ersten Fassung des Gesetzes 1967 von diesem Haus gewollt war. Folgt man der letzten Auffassung, kann an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von beiden Standpunkten aus überhaupt kein Zweifel sein. Ich bedaure, daß die ganze Diskussion um dieses Thema praktisch auf diesen Punkt zusammengeschrumpft ist.
Wir sind mit dieser Einrichtung in einer Entwicklung. Herr Kollege Liedtke hat am Anfang dargestellt, daß man vorsätzlich — ich war damals noch nicht im Haus — nur ganz grobe Regelungen getroffen hat, um der Entwicklung gerecht werden zu können. Wenn man die Wirklichkeit der Tätigkeit der Parlamentarischen Staatssekretäre verfolgt, so erkennen wir alle, daß diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Ich kann nur sagen, daß wir selbstverständlich bereit sind, wenn sich das Tätigkeitsbild immer mehr konkretisiert, auch an diesem Gesetz dann zu korrigieren, was notwendig ist. Tatsache ist, daß die Tätigkeit zu einer vollen Arbeitsbelastung geworden ist, daß das Berufsverbot aus vielen Gründen notwendig ist. Daraus folgt unsere Verpflichtung, die Kollegen, die diese Funktion ausüben — mit dem faktischen Berufsverbot —, nicht im Bergfreien hängen zu lassen, sondern ihre Angelegenheiten so zu regeln, wie es der Verantwortung entspricht, die wir Ihnen doch gemeinsam zumessen und zuschieben.
Aus diesem Grunde werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711043700
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Beratung. Ich rufe in der Fassung des Ausschußantrages die §§ 1 bis 13, Einleitung und Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe, bitte! — Stimmenthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur dritten Beratung.
Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. -- Danke schön. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir müssen noch über Nr. 2 des Ausschußantrages abstimmen, die eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke schön. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Somit beschlossen.
Hiermit ist das Gesetz in dritter Lesung angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Diätengesetzes 1968
— Drucksache 7/2285 —
Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2297 —Berichterstatter: Abgeordneter Leicht
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist ebenfalls nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung in der zweiten Beratung. Ich rufe die Artikel I, II, III, Einleitung und Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 22 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften
— Drucksache 7/2204 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer (Appenweier).

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0711043800
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Wegen des inhaltlichen Zusammenhangs und im Interesse der hier noch Ausharrenden will ich zu drei Gesetzentwürfen, zugleich auch im Namen der FDP-Fraktion, für die sozialdemokratische Fraktion eine Erklärung abgeben. Es geht um die Gesetzentwürfe des Zweiten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften, zur Änderung des Steuerbeamtenausbildungsgesetzes und den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes.
Die Bundestagsfraktionen der SPD und der FDP begrüßen die vorliegenden Gesetzentwürfe für eine Reform der beruflichen Bildung in vordringlichen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Die Gesetzent-



Schäfer (Appenweier)

würfe tragen dem Tatbestand Rechnung, daß sich Aufgabenstellung und Struktur der öffentlichen Verwaltung in den letzten Jahren entscheidend gewandelt haben. Sie zielen darauf ab, durch eine verbesserte und funktionsgerechte berufliche Bildung der Beamten und die Neuregelung der Zugänge der Laufbahnen die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung insgesamt zu steigern. Dabei werden die mit der Fachhochschulentwicklung eingeleiteten Reformen unter Berücksichtigung neuer Bildungsstrukturen — wie sie z. B. im Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes vorgezeichnet sind — für den öffentlichen Dienst genutzt und durch entsprechende dienstrechtliche Regelungen ergänzt und fortgeführt.
Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften hat als Kernstück die für Bund und Länder einheitlichen Neuregelung des gehobenen Dienstes zum Inhalt. Dabei wird eine Anhebung der Ausbildung angestrebt.
Ziel des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes ist eine bundeseinheitliche Regelung und Verbesserung der beruflichen Bildung der Rechtspfleger. Die Koalitionsfraktionen begrüßen, daß die bestehenden Unterschiede in der Dauer des Vorbereitungsdienstes und in der Bildungsebene beseitigt werden. Damit wird der durch Bundesgesetz erheblich erweiterten Aufgabenstellung der Rechtspfleger Rechnung getragen. Bei der weiteren parlamentarischen Beratung wird besonders die umstrittene Frage der Ausbildungsdauer sorgfältig zu prüfen sein.
Bei der Änderung des Steuerbeamtenausbildungsgesetzes geht es um eine Neuordnung und Verbesserung der beruflichen Bildung der Steuerbeamten. Das Schwergewicht der Arbeit und der materiellrechtlichen Entscheidungen in der Steuerverwaltung liegt beim gehobenen Dienst. Die angestrebte Reform soll die Steuerbeamten befähigen, das geltende Recht in vollem Umfang anzuwenden und den laufenden Rechtsänderungen unverzüglich anzupassen. Die von der Bundestagsmehrheit beschlossene Steuerreform schafft mehr soziale Gerechtigkeit. Damit die reformierten Steuergesetze sinnvoll — und nicht nur buchstabengetreu — angewendet werden, bedarf es qualifizierter Fachbeamter. Der vorliegende Gesetzentwurf trägt dem Rechnung. Die Bundesregierung hat in den Mittelpunkt bildungspolitischer Entscheidungen des Jahres 1975 die Reform der beruflichen Bildung gestellt. Die vorliegenden Gesetzentwürfe tragen dieser Absicht auch von der dienstrechtlichen Seite für die öffentliche Verwaltung Rechnung. Sie schaffen erste Ansätze für ein neues Funktions- und Zuordnungssystem im öffentlichen Dienst, ohne die grundlegende Reform des öffentlichen Dienstes in diesem Bereich vorwegzunehmen.
Die Fraktionen von SPD und FDP bitten, den Ausschußüberweisungsvorschlägen des Ältestenrats zuzustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711043900
Das Wort hat der Abgeordnete Berger.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0711044000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU mißt den drei Gesetzen, die jetzt in erster Lesung beraten werden, eine große Bedeutung zu. Sie kann sich daher trotz der vorgerückten Stunde nicht bereit finden, die drei Gesetze mit einer pauschalen Erklärung zu versehen, zumal da die Federführung für jedes dieser Gesetze bei einem anderen Ausschuß liegen wird. Deshalb wird zum Steuerbeamtenausbildungsgesetz ein Kollege aus dem Finanzausschuß, zum Rechtspflegergesetz ein Kollege aus dem Rechtsausschuß Stellung nehmen, und ich werde als Mitglied des Innenausschusses, in dem das Zweite Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften federführend beraten werden wird, einige Bemerkungen zu diesem Gesetz machen.
Die CDU/CSU begrüßt, daß die Bundesregierung, wenn auch erst nach jahrelangem Zögern, mit dem eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher Vorschriften die Konsequenzen aus einer gewandelten Funktion und Aufgabenstellung im Bereich des gehobenen nichttechnischen Dienstes zieht und mit dem Entwurf die Ausbildung des gehobenen nichttechnischen Dienstes auf Fachhochschulniveau anstrebt.
Die CDU/CSU bedauert jedoch, daß dieser Entwurf mit einer unverständlichen Verspätung eingebracht worden ist. Wie den meisten von Ihnen wohl bekannt ist, hatte sich die Ständige Konferenz der Innenminister bereits im Mai 1970, und, ihr folgend, die Konferenz der Finanz- und der Justizminister für eine Anhebung des Ausbildungsniveaus des gehobenen nichttechnischen Dienstes ausgesprochen. Mithin hat die Bundesregierung vier Jahre gebraucht, den Empfehlungen der Innenministerkonferenz nachzukommen und diesen Gesetzentwurf vorzulegen.
Diese lange zeitliche Verzögerung macht den Bund wieder einmal zum Schlußlicht einer Entwicklung, die von einigen Bundesländern notgedrungen bereits auf eigene Faust eingeleitet wurde. So sind in den Ländern Berlin und Baden-Württemberg bereits Fachhochschulen für Verwaltung eingerichtet worden. In Bayern hat die Staatsregierung im Januar dieses Jahres den Entwurf eines bayerischen Beamten-Fachhochschulgesetzes beschlossen. In den anderen Bundesländern stehen entsprechende Maßnahmen unmittelbar bevor. Der Bund kann also wiederum nur etwas nachvollziehen, was ihm durch die Entwicklung in den Ländern bereits vorgegeben ist. Zudem muß befürchtet werden, daß unterschiedliche Ausbildungskonzeptionen, unterschiedliche Standorte und unterschiedliche Organisationen der Fachhochschulausbildung die unausweichliche Folge des verlorenen Führungsanspruchs des Bundes sein werden. Hier liegt das eigentliche Versagen der Bundesregierung unabhängig von dem Inhalt des eingebrachten Entwurfs.
Die Bundesregierung wird ihre Untätigkeit auch nicht damit entschuldigen können, sie habe zunächst den Entwurf des Hochschulrahmengesetzes abwarten müssen, um die Fachhochschulausbildung in die generelle Zielkonzeption des Hochschulrahmengesetzes einbetten zu können, denn es wird wohl nie-



Berger
mand hier bestreiten wollen, daß die vorgesehene Ausbildungsreform im Bereich des gehobenen nichttechnischen Dienstes gerade nicht in die Zielvorstellungen des Hochschulrahmengesetzes hineinpaßt, weil der Gesetzentwurf schwergewichtig verwaltungsinterne Bedarfshochschulen vorsieht, während das Hochschulrahmengesetz ein für alle offenes staatliches Hochschulwesen will.
Zu beklagen ist auch, daß der Gesetzentwurf trotz der langen Vorbereitungszeit sozusagen auf der grünen Wiese konzipiert ist; denn es fehlen, soweit der Opposition bekannt, die unbedingt notwendigen begleitenden Berufsfeld- und Berufsbildanalysen. Wir alle sollten uns darin einig sein, daß die Ausbildung des gehobenen Dienstes an Fachhochschulen einschneidende Konsequenzen hinsichtlich der Aufgabenwahrnehmung durch die einzelnen Laufbahngruppen im öffentlichen Dienst nach sich ziehen wird. Der gehobene Dienst neuer Art wird Teile der Aufgaben des jetzigen höheren Dienstes mit wahrzunehmen haben, während er andererseits Aufgaben an den mittleren Dienst abgibt.
Dem qualifizierten Aufgabenzuwachs im Bereich des mittleren Dienstes trägt aber der Entwurf leider keine Rechnung. Über eine Ausbildungsreform im Bereich des mittleren nichttechnischen Dienstes schweigt sich der Entwurf weitgehend aus.
Ich bedaure, daß es trotz der langen Vorbereitungszeit des Gesetzentwurfs offenkundig nicht gelungen ist, präzisere Vorstellungen hinsichtlich Dauer und Inhalt der Ausbildung für den mittleren Dienst mit den Ländern abzustimmen. Bei den Beamten des mittleren Dienstes muß sich hierdurch der Eindruck verfestigen, als seien die Vorschriften bezüglich des mittleren Dienstes nur ein „Abfallprodukt" der Neuregelung der Berufsbildung für den gehobenen Dienst. Gerade wegen der künftigen Bedeutung des mittleren Dienstes bei Änderung des Funktionsbildes und Anforderungsprofils des gehobenen Dienstes hält die Opposition eine solche Präzisierung für dringend geboten.
Allenthalben wird heute die angebliche Leistungsschwäche des öffentlichen Dienstes von der Bundesregierung und ihr nahestehenden Politikern öffentlichkeitswirksam beklagt, während dieselbe Bundesregierung die Reformen, die der Stärkung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes dienen, auf die lange Bank schiebt. Die Oppositon hat die Bundesregierung immer wieder gedrängt, in der Frage der Ausbildungsreform für den öffentlichen Dienst endlich etwas zu tun. Ich verweise in diesem Zusammenhang besonders auf die Anfrage der Abgeordneten Vogel, Berger, Gerster, Dr. Miltner, Wagner, Dr. Hornhues und der Fraktion der CDU/CSU vom 6. August 1973, Drucksache 7/938, betr. Konsequenzen im öffentlichen Dienst, insbesondere im nichttechnischen Bereich, aus der Einführung der Fachhochschulen. Diese Anfrage verpflichtete die Bundesregierung, endlich einmal klare Auskünfte zu erteilen, und sie war der eigentliche Motor für den jetzt vorgelegten Gesetzentwurf.
Die Opposition bleibt weiterhin bei ihrer Haltung, die Bundesregierung zu einer sachgerechten Reform der Berufsbildung im öffentlichen Dienst zu veranlassen. Sie wird in den zuständigen Ausschüssen, auch beim Steuerbeamtenausbildungs- und beim Rechtspflegergesetz, auf zügige Beratung und sachgerechte Lösungen drängen. In den Beratungen des Innenausschusses wird die Opposition für eine Reihe wesentlicher Änderungen des Gesetzentwurfs eintreten, insbesondere dafür, daß die vorgesehene Priorität für die verwaltungsinterne Ausbildung zugunsten eines offenen Systems überprüft wird, daß über die Inhalte der Ausbildung für den mittleren Dienst Vorschriften in den Entwurf aufgenommen werden, daß die Frage der Anerkennung verwaltungsinterner Bildungsabschlüsse einschließlich der Graduierung mit Gleichbehandlung der vorhandenen Beamten in angemessener Weise gelöst wird und schließlich, daß die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Laufbahnen durch diesen Gesetzentwurf weiter gefördert wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711044100
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt noch nachträglich die Punkte 3 a), 3 b) und 4 der Zusatztagesordnung auf:
3. a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
— Drucksache 7/1643 —Überweisungswunsch:
Finanzausschuß (federführend) Innenausschuß
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes
— Drucksache 7/2203 —
Überweisungswunsch:
Finanzausschuß (federführend)

Innenausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes
— Drucksache 7/2205 —
Überweisungswunsch:
Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß
Diese Punkte sind in die Debatte mit eingeschlossen; auch für sie ist die Aussprache eröffnet, weil dazu Stellung genommen wird. Wir werden die Entwürfe dann einzeln überweisen. Jetzt hat der Herr Abgeordnete Dr. Wagner (Trier) das Wort.

Dr. Carl-Ludwig Wagner (CDU):
Rede ID: ID0711044200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein paar kurze Bemerkungen zu den Entwürfen betr. die Ausbildung der Steuerbeamten: Herr Kollege Schäfer hat vorhin hervorgehoben, daß es zur Anwendung der sogenannten Steuerreformgesetze sehr qualifizierter Beamter bedürfe.Diese Bemerkung hat ins Schwarze getroffen. Wir werden in der Tat sehr qualifizierte Beamte brauchen, wenn es ihnen gelingen soll, mit



Dr. Wagner (Trier)

dem Wust, der durch diese Steuererformgesetze geschaffen werden soll, halbwegs vernünftig fertig zu werden.
Leider ist der Weg, über Entfeinerung, wie der frühere Bundesfinanzminister und jetzige Bundeskanzler das nannte, oder über Vereinfachung die Arbeit der Steuerbeamten zu erleichtern, nicht gegangen worden. Er wird auch durch diese Reformgesetze nicht gegangen. Die Lage der Steuerverwaltung wird sich dadurch erneut erschweren. Dies ist eine Besonderheit, auf die ich hiermit hinweisen möchte. — Ähnliches gilt übrigens für die Zollverwaltung, auf die der Entwurf betreffend die Steuerbeamten indirekt ebenfalls anwendbar sein wird.
Die Gesamttendenz der beiden Entwürfe begrüßen wir. Es 'ist aber bedauerlich, daß die Bundesregierung nicht nur für die Vorlage ihrer eigenen Entwürfe so lange gebraucht, sondern auch mehrere Monate benötigt hat, um auch nur ihre Stellungnahme zum Entwurf des Bundesrates, der unseren Beratungen ebenfalls zugrunde liegen wird, zu formulieren.
Die beiden Entwürfe, der des Bundesrates und der der Bundesregierung, weisen einige Unterschiede auf. Diese Unterschiede sind aber gegenüber der gleichlaufenden Tendenz, die fachtheoretischen Studien in ihrer Dauer und Bedeutung auszudehnen, von geringerer Bedeutung; wir werden über sie im Ausschuß sprechen.
Es versteht sich für meine Fraktion, daß wir in den Ausschußberatungen die Betroffenen, d. h. insbesondere die Berufsverbände 'der betroffenen Beamten, anhören, um ihre Meinung bitten und die Probleme mit ihnen erörtern werden. Die Ausschüsse werden sich auch über das sehr schwerwiegende Problem Gedanken machen müssen, das Herr Kollege Berger kurz angesprochen hat, nämlich über die Auswirkungen dieser Ausbildungsreformen auf Laufbahnstrukturen, Laufbahnüberlappungen, Aufgabenverteilungen und insbesondere auf die Frage, inwieweit der mittlere Dienst Aufgaben, die heute noch Beamte des gehobenen Dienstes wahrnehmen, übernehmen kann und inwieweit darüber hinaus der gehobene Dienst Aufgaben, die heute vom höheren Dienst erledigt werden, seinerseits übernehmen kann. Auch diesem Problem, das durch diese Gesetze nicht geregelt wird, das aber mit ihnen verbunden ist und hinter ihnen steht, werden wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711044300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erhard (Bad Schwalbach).

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0711044400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir freuen uns darüber, daß sich die Bundesregierung nunmehr nach Jahren dazu durchgerungen hat, das in etwa wieder in das Rechtspflegergesetz hineinzuschreiben, was sie in einem Entwurf aus dem Jahre 1968 — das war die Zeit der Großen Koalition — dort schon einmal stehen hatte, was dann aber bei der Beratung und Verabschiedung zurückgestellt wurde, und zwar nicht etwa auf Nimmerwiedersehen, sondern der Bundestag hatte bei der Verabschiedung im Jahre 1969 ausdrücklich beschlossen, er gehe davon aus, daß die Bundesregierung, wenn eine Vereinheitlichung auf Länderebene bis zum 31. Dezember 1971 nicht möglich sei, alsdann wieder einen Gesetzentwurf vorlegt, d. h. das, was bereits einmal vorlag, wieder einbringt. Der 31. Dezember 1971 verstrich. Es gab keine Große Koalition mehr; nunmehr waren offenbar andere Prioritäten gesetzt. Wir haben uns im September 1972 — also fast ein Jahr, nachdem die Frist abgelaufen war — erlaubt, die Bundesregierung mit einer Kleinen Anfrage zur Stellungnahme aufzufordern. Uns wurde gesagt, all dies müsse im Rahmen des Gefüges des gesamten öffentlichen Dienstes gesehen werden, und die Einordnung sei absolut noch nicht klar. Es müsse ein Gutachten, das frühestens Anfang 1973 vorliegen werde, abgewartet werden. Außerdem meinte man, es könne nur ein verwaltungsinterne, also ausschließlich auf die Rechtspfleger abgestellte Fachhochschulbildung in Frage kommen. Wir haben auch im Jahre 1973 — weder im Frühjahr noch im Sommer — einen Gesetzentwurf vorgelegt bekommen. Am 7. Juni 1974 wurde nun endlich der so außerordentlich umfangreiche Entwurf vorgelegt: Nach diesem Entwurf sollen vom materiellen Recht her nicht mehr als zwei Absätze in das Rechtspflegergesetz wieder eingebaut werden, und zwar Vorschriften, die in etwa bereits 1968 vorgesehen waren. Dies also ist die große Leistung, die über so viele Jahre hinweg erbracht wurde. Vom materiellen Inhalt her — von Kleinigkeiten wollen wir jetzt einmal absehen; über sie werden wir uns noch im Ausschuß zu verständigen haben — ist der Gesetzentwurf nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion zu begrüßen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711044500
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden, daß wir über die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates geschlossen abstimmen. Diejenigen, die den Überweisungsvorschlägen des Ältestenrates zu Tagesordnungspunkt 22 und zu den Zusatzpunkten 3 a und b sowie 4 zur Tagesordnung zuzustimmen wünschen, bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
— Drucksache 7/1618 —
Bericht und Antrag des Ausschusses für Verkehr (14. Ausschuß)

-- Drucksache 7/2226 —
Berichterstatter: Abgeordneter Ollesch (Erste Beratung 81. Sitzung)




Präsident Frau Renger
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Bitte, Herr Abgeordneter Ollesch, Sie haben als Berichterstatter das Wort.

Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0711044600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, enthält wesentliche Ergänzungen des Straßenverkehrsgesetzes, die notwendig wurden, um die Belästigung der Bevölkerung durch den zunehmenden Kraftverkehr so gering wie möglich zu halten. Der Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages hat gegenüber der Regierungsvorlage wesentliche Änderungen vorgenommen, die ich Ihnen kurz erläutern will.
Das im Gesetzentwurf vorgesehene Parkverbot für Lastkraftwagen, Anhänger und Kraftomnibusse in Wohngebieten geschlossener Ortschaften während der Nacht sowie an Sonn- und Feiertagen wird Ihnen vom Ausschuß in veränderter Form vorgeschlagen. Zuständig für den Erlaß einer Rechtsverordnung soll nicht, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, der Bundesverkehrsminister in Übereinstimmung mit dem Bundesrat sein, sondern die Gemeinden sollen durch Satzung dieses Verbot des regelmäßigen Parkens aussprechen. Der Verkehrsausschuß war der Meinung, daß die Abgrenzung von Wohngebieten gegenüber Industrie- und Gewerbegebieten — diese Bezeichnungen sind im Regierungsentwurf enthalten — so schwierig ist, daß sie möglichst ortsnah vorgenommen werden sollte. Die Gemeinden sind näher am Ort des Geschehens und können daher bei dem Erlaß solcher Satzungen besser, als es in einer Verordnung des Bundesverkehrsministers möglich wäre, auf die Eigenarten von Gemeinden eingehen.
Der Verkehrsausschuß hat bezüglich des Parkverbotes eine weitere Änderung der Vorlage vorgenommen. Das Parken von Anhängern in Wohngebieten wird nicht generell verboten. Verboten wird nur das Parken von Anhängern mit einem Gesamtgewicht von 2 t und darüber, weil wir der Meinung waren, daß es sicherlich nicht der Zielsetzung des Gesetzes entspricht, auch Wohnwagenanhänger vom Parken an Sonn- und Feiertagen auszunehmen. Unsere Bevölkerung hat das Bedürfnis, gelegentlich auch Wohnanhänger auf den öffentlichen Straßen und Plätzen in der Nähe ihrer Wohnungen parken zu lassen.
Mit dem Beschluß, die Entscheidung über ein Parkverbot in die Befugnis der Gemeinden zu legen, sind wir einem Petitum des mitberatenden Rechtsausschusses und des Innenausschusses nachgekommen. Wir empfehlen Ihnen die Annahme dieses Paragraphen im Änderungsgesetz in der Fassung, die der Verkehrsausschuß gefunden hat.
Entgegen dem Wunsch des Innenausschusses und auch des Bundesrates, bezüglich der Parkuhrgebühren Obergrenzen festzusetzen, hat sich der Verkehrsausschuß für die Nichtfestsetzung von Obergrenzen entschieden. Übereinstimmend wurde die Meinung vertreten, daß die Festsetzung einer Obergrenze in der Regel auch zur Erhebung von Gebühren in Höhe der Obergrenze führe. Zum anderen ist es recht schwierig, eine sachgerechte Obergrenze von Parkuhrgebühren zu finden, weil den Gemeinden die Möglichkeit gegeben werden muß, auch über normale Gebührensätze in Einzelfällen hinausgehen zu können, wenn es die Parkverhältnisse in einigen Gemeinden erfordern. Wir schlagen Ihnen hier die Beibehaltung der Regierungsvorlage vor.
Der Verkehrsausschuß hat auch eine weitere Veränderung hinsichtlich der Möglichkeit vorgenommen, Sonderparkrechte für bestimmte Personengruppen zu schaffen. Einer Anregung des Ausschusses für Familie, Jugend und Gesundheit folgend, war der Verkehrsausschuß der Meinung, daß für Ärzte bei besonders begründetem Bedarf die örtlichen Straßenverkehrsbehörden Ausnahmen von Parkverboten zulassen sollten, nicht im Interesse der Ärzte, sondern im Interesse der Patienten, die unter Umständen von bestimmten Ärzten besonders schnell erreicht werden müssen.
Eine breite Diskussion hat der in der Vorlage vorgesehene regelmäßige Entzug des Führerscheins für eine bestimmte Frist, das Aussprechen eines Fahrverbots bei vier Verstößen gegen die Straßenverkehrordnung eingenommen. Hier war der Verkehrsausschuß nicht der Meinung, daß bei den vier Ordnungswidrigkeiten, die im Regierungsentwurf niedergelegt sind, in der Regel Fahrverbot verhängt werden sollte, — eine Maßnahme, die nicht nur von der Regierung gefordert wurde, sondern auch die Zustimmung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages gefunden hatte. Der Verkehrsausschuß war der Auffassung, daß nur bei einigen bestimmten Verstößen, zu dem scharfen Mittel der Verhängung des Fahrverbots gegriffen werden sollte. Bei den Ordnungswidrigkeiten „Wenden und Rückwärtsfahren auf der Autobahn und autobahnähnlichen Straßen" und bei der Ordnungswidrigkeit „Vorbeifahren an haltenden Fahrzeugen vor Fußgängerüberwegen". Die Folgen bei einem Verstoß können so schwerwiegend sein, daß in der Regel das Fahrverbot geboten erscheint.
Allerdings konnten wir uns nicht entschließen, der Regierungsvorlage und dem Wunsch des Rechtsausschusses zu folgen bezüglich der Überschreitung höchstzulässiger Geschwindigkeiten in Ortschaften um 40 km und außerhalb geschlossener Ortschaften um 50 km und bei Überholen im Überholverbot und unklarer Verkehrslage oder Überfahren der ununterbrochenen Linie und unklarer Verkehrslage.
Die am 1. Mai in Kraft getretene Verordnung über das Mehrfachtäter-Punktsystem ahndet diese Verstöße ohnehin mit je vier Punkten. Wir vermochten nicht einzusehen, daß die deutschen Verkehrsteilnehmer in zunehmendem Maße unter strafverschärfende Bestimmungen im Straßenverkehr gestellt werden, während die Ausländer, die sich am deutschen Verkehr beteiligen, in der Regel von diesen strafverschärfenden Bestimmungen nicht erfaßt werden können. Das Mehrfachtäter-Punktsystem, das beim Erreichen einer bestimmten Anzahl von Punkten bei uns zum regelmäßigen Führerscheinentzug auf Dauer führt, kann in der Regel bei Ausländern,



Ollesch
die sich in Deutschland Ordnungswidrigkeiten zuschulden kommen lassen, nicht angewendet werden. Das Aussprechen eines regelmäßigen Fahrverbots bei den von mir vorhin erwähnten Übertretungen der Straßenverkehrsordnung würde die deutschen Verkehrsteilnehmer wieder einmal im Gegensatz zu allen Ausländern strafverschärfend treffen.
Wir meinen, daß die Bußgeldvorschriften und die Eintragung in die Flensburger Verkehrsünderkartei mit dem automatischen Entzug des Führerscheins nach Erreichen von 18 Strafpunkten durchaus greifende Maßnahmen bei sich wiederholenden Verkehrsdelikten sind.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, der Empfehlung des Verkehrsausschusses zu folgen, nach der gegenüber der Regierungsvorlage vier Änderungen vorgenommen werden sollen; vier Änderungen, die aber im Interesse einer möglichen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer in der Bundesrepublik und auch deshalb vorgeschlagen werden, weil wir nicht einzusehen vermögen, daß der Kraftfahrer zunehmend unter immer erschwerteren Bedingungen fahren muß, und weil wir nicht einzusehen vermögen, daß auf die Dauer gesehen bei rigoroser Anwendung aller Ordnungsbestimmungen im Straßenverkehr die deutschen Straßen von den deutschen Kraftfahrern nicht befahren werden, weil ein großer Teil der deutschen Kraftfahrer inzwischen seinen Führerschein verloren hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711044700
Meine Damen und Herren, wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die Einzelberatung ein. Ich rufe den Art. 1 auf. Dazu liegt uns ein Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach) vor — Drucksache 7/2286 —. Herr Abgeordneter, möchten Sie Ihren Antrag begründen? — Bitte, Sie haben das Wort.

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID0711044800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bitte das Haus um Entschuldigung dafür, daß wir uns noch zu so später Stunde hiermit beschäftigen müssen. Ich halte es aber für dringend notwendig, daß wir hier im Plenum eine Entscheidung in klarer Kenntnis dessen, um was es geht, fällen.
Ich bin zunächst einmal darüber erschrocken, daß der Herr Berichterstatter Ollesch nicht nur schriftlich, sondern jetzt auch wieder mündlich mehrfach vom Entzug des Führerscheines gesprochen hat, obwohl es sich in den Vorschriften, um die es in meinem Änderungsantrag geht, lediglich um ein Verbot für eine kürzere Frist — von etwa sechs Wochen — handelt.
Die Bundesregierung hat in Übereinstimmung mit den Erfahrungen der Länder und auch auf Antrag der Länder vier Fälle aufgezeigt und im Gesetz verankert, bei deren Verletzung ein so schwerwiegendes Fehlverhalten vorliegt, daß dann in der Regel — und nicht automatisch — ein Fahrverbot ausgesprochen werden soll. Eine solche Regelung gibt es bereits. Sie gibt es iim Bußgeldkatalog. Die Rechtsprechung hat aber auf dem Standpunkt gestanden — zumindest teilweise — daß die Verwaltung mit einer internen Verwaltungsanordnung derartige Eingriffe nicht einfach postulieren könne, sondern daß dazu der Gesetzgeber befugt 'sei. Aus diesen Erfahrungen ist diese Formulierung hier entstanden.
Ich muß mich auch ganz deutlich gegen das aussprechen, Herr Kollege Ollesch, was Sie in Ihrem Schriftlichen Bericht gesagt haben. Es heißt da wörtlich —:
Gestrichen wurde daher diese Sanktion bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und bei falschem Überholen, weil hier die Verhängung von Geldbußen in Verbindung mit Eintragungen in das Verkehrszentral-register nach Ansicht des Ausschusses nicht selten ausreicht.
Schon die Formulierung ist goldig.
Worum geht es denn? Um Geschwindigkeitsüberschreitungen? Ja. Aber um welche? Wer in einer geschlossenen Ortschaft bei der Höchstzulässigkeit beispielsweise von 50, 60 oder 70 km, wenn es angeschlagen ist oder nicht angeschlagen ist, die Geschwindigkeitshöchstgrenze um mehr als 40 km in der Stunde überschreitet, d. h. normalerweise mehr als 90 km/h fährt, oder auf der freien Strecke an Stelle von beispielsweise 100 km, die wir heute ja auf Landstraßen haben, mehr als 150 km fährt, der soll, wenn er dabei erwischt wird — was ja immer die Voraussetzung ist — dann in der Regel — wenn also nicht irgendwelche besonderen Umstände zu seinen Gunsten sprechen — mit einem Fahrverbot belegt werden können, also in der Regel dann auch belegt werden. Das ist der eine Tatbestand. Wir wissen, daß dieses übermäßige Rasen ansolchen Stellen ganz besonders verkehrsgefährdend und unfallträchtig ist. Das weisen alle Verkehrsstatistiken aus.
Wenn die Länder im Bundesrat angegriffen worden sind, weil sie einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn auf 130 km/h bisher nicht zugestimmt, sondern gesagt haben: Bitte eine flexiblere Regelung und wenn dann gesagt wurde, diese Länder seien dafür verantwortlich, daß in der Bundesrepublik so gerast werde, ihnen sei die Freiheit auf der Autobahn mehr wert als das Leben der Menschen, dann kann ich überhaupt nicht mehr verstehen, wie ausgerechnet Herr Börner als Vorsitzender des Verkehrsausschusses offenbar mit gestimmt hat, daß die Raserei in den Ortschaften nicht als besonders gefährlich angesehen werden soll.
Das Zweite. Wir alle wissen, daß das Überholen trotz ausdrücklich ausgeschilderten Verbots oder dann, wenn auf der Straße der durchgezogene Strich vorhanden ist, bei zusätzlicher Unübersichtlichkeit eine der Ursachen für die schwersten Unfälle ist. Wer das tut, ohne daß ein Unfall passiert, erfüllt nach meiner Ansicht in der Regel einen Straftatbestand — § 315 c des Strafgesetzbuches ist es, soviel ich auswendig weiß. Wenn nichts passiert und nicht gerade zufällig jemand entgegenkommt,



Erhard (Bad Schwalbach)

dann ist der Fahrer nur wegen dieser Ordnungswidrigkeit zu belangen. Wer ein derartig gefahrenträchtiges, rücksichtsloses Verhalten zeigt, der sollte auch die fühlbare Buße erleiden, es sollte ihm dann nämlich auch für sechs Wochen das Fahrverbot ausgesprochen werden. Das hat die Regierung mit Recht vorgeschlagen. Ich beantrage hier gar nichts anderes als diese beiden Tatbestände so, wie sie die Regierung und wie sie der Rechtsausschuß einstimmig vorgeschlagen hat, wiederherzustellen. Hier geht es um ein rechtspolitisches, nicht um ein verkehrspolitisches Problem.
Dann muß ich in der Begründung von Herrn Kollegen Ollesch noch zusätzlich lesen:
Der Tatbestand des falschen Überholens gibt subjektiven Beurteilungskriterien des anzeigenden Polizeibeamten einen weiten Spielraum, so daß eine schematische Verhängung von Fahrverboten hier nicht angezeigt erscheint.
Auch dazu habe ich wiederum nur zu sagen: Ein so massives Mißtrauen gegen unsere Verkehrspolizei, gegen unsere Verkehrsgerichte und gegen alle diejenigen, die in den Verwaltungen damit beschäftigt sind, in einer Drucksache des Bundestages niederzulegen, halte ich für einen sehr wenig klugen Vorgang; stärker will ich es nicht ausdrücken. Als Anwalt und Verteidiger weiß ich genau, daß auch bei der Polizei geirrt werden kann. Wenn wir aber dem Unwesen, das manche Leute — Gott sei Dank nur wenige — auf unseren Straßen auf Kosten der sonstigen Verkehrsteilnehmer glauben praktizieren zu können, nicht mehr vorbeugend entgegentreten können und sollen, dann sollten wir uns von der Verantwortung auf unseren Straßen distanzierden und sollten auch nicht mehr davon reden.
Ich beantrage also nur, das, was die Regierung gesagt hat, hier auch zu beschließen, das, was der Rechtsausschuß zu einem rechtspolitischen Problem einstimmig beschlossen hat, wiederherzustellen und nicht irgendeiner völligen Fehleinschätzung, die offenbar im Verkehrsausschuß erfolgt ist, so nebenbei am Abend noch stattgeben. Ich bitte, meinem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und Abgeordneten der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711044900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wrede.

Lothar Wrede (SPD):
Rede ID: ID0711045000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktion möchte ich gegen den Antrag des Kollegen Erhard sprechen, in Art. 1 Nr. 5 die Regierungsvorlage wiederherzustellen. Der Herr Berichterstatter, der Kollege Ollesch, hat in seinen Ausführungen darauf verwiesen, daß der Verkehrsausschuß den vorliegenden Gesetzentwurf in der Fassung der Beratung des Verkehrsausschusses einstimmig verabschiedet hat. Er hat darüber hinaus darauf verwiesen, daß wir insbesondere bei der Beratung der zwei hier in Frage stehenden Punkte nach ausführlicher Diskussion ebenfalls einstimmig die Regierungsvorlage geändert haben.
Wir haben uns dabei von folgendem leiten lassen. Die Bemühungen der Verkehrspolitik um mehr Verkehrssicherheit zielen insbesondere auf Aufklärung und Verkehrserziehung ab, und nur in den Fällen, in denen diese Maßnahmen nicht reichen, sollte bestraft werden. Aber so drastische Strafen wie die Anordnung eines Fahrverbotes sollten nur bei ganz klaren und objektiv nachweisbaren Verkehrsverstößen getroffen werden. In den beiden von Ihnen, Herr Kollege Erhard, angesprochenen Fällen, sind diese objektiven Maßstäbe nicht anzulegen. Jeder von Ihnen weiß aus der Praxis, daß in diesen Fällen tatsächlich der subjektiven Beurteilung durch den Verkehrsteilnehmer selbst und durch die Polizeibeamten ein breiter Raum gegeben ist. Sie haben selbst darauf verwiesen, daß schon nach dem geltenden Recht auch bei diesen Fällen das Fahrverbot ausgesprochen werden kann. Deswegen ist das hier nicht ein juristisches, sondern ein verkehrspolitisches Problem. Das geltende Recht gibt unabhängig von dieser Maßnahme schon heute die Möglichkeit, Fahrverbote auszusprechen.
Im übrigen ist natürlich — dies ist wohl etwas untergegangen — bei diesen Verkehrsverstößen eine Behandlung und Bestrafung nach dem Bußgeldkatalog notwendig und wird angeordnet. Auch die Eintragung in die Verkehrssünderkartei geschieht automatisch, so daß solche Vergehen nicht, wie nach Ihren Ausführungen irrtümlich der Eindruck entstehen könnte, nicht geahndet werden. Wir gehen davon aus, daß die nach den gesetzlichen Bestimmungen möglichen Maßnahmen ausreichen und daß wir in diesen Fällen nicht noch durch die Verhängung eines Fahrverbotes zu zusätzlichen Erschwernissen kommen sollten.
Wir glauben, daß die Bemühungen um mehr Verkehrssicherheit, die Appelle an die Kraftfahrer, die wir gemeinsam im Zusammenhang mit der Diskussion um die Geschwindigkeitsbegrenzung und der Diskussion um das Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung hier im Bundestag ausgesprochen haben, auf die Dauer einen größeren Erfolg als die hier angesprochenen Maßnahmen verzeichnen werden.
Deshalb bitte ich, den Änderungsantrag abzulehnen und der Ausschußfassung, die vom Verkehrsausschuß einstimmig vorgeschlagen wird, zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711045100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dürr.

Hermann Dürr (SPD):
Rede ID: ID0711045200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Erhard (Bad Schwalbach) hat Dank für die Verteidigung der Regierungsvorlage verdient, und ich erkläre, daß ich seinem Änderungsantrag zustimme. Wer in einer geschlossenen Ortschaft mit mehr als 90 km/h fährt, hat sich so schwer gegen seine Mitmenschen vergangen, daß er ohne weiteres eine kurze Zeitlang Fußgänger wer-



Dürr
den darf, und zwar durch gerichtliche Anordnung. Dagegen kann auch nicht gesagt werden, es könne ja sein, ,daß bei einer verlassenen Baustelle ein Schild mit 20 km/h stehe, und wenn man dann 40 km/h schneller fahre, so seien das erst 60 km/h, und das sei nicht so schlimm.
Auch hier hat die Regierungsvorlage gut vorgesorgt. Es heißt dart, daß bei diesen vier mehr als läßlichen Sünden in der Regel ein Fahrverbot anzuordnen ist. Das Vorbeifahren an einer verlassenen Baustelle mit versehentlich stehengebliebenem Geschwindigkeitsbegrenzungsschild ist kein Regel-, sondern ein Ausnahmefall. Auch hier besteht kein Problem. Die Regierungsvorlage und Kollege Erhard (Bad Schwalbach) haben recht.
Ich hoffe, daß das Hohe Haus dem Änderungsvorschlag des Kollegen Erhard mit der Mehrheit zustimmt, die uns vor einem Hammelsprung bewahrt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711045300
Das Wort hat der Abgeordnete Tillmann.

Ferdinand Tillmann (CDU):
Rede ID: ID0711045400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Verkehrsausschuß hat sich trotz einer entsprechenden Empfehlung des Rechtsausschusses nicht entschließen können, der Aufnahme eines Regelfahrverbotes für insgesamt vier bestimmte Verkehrsverstöße ins Gesetz zuzustimmen. Im Bußgeldkatalog stehen sie ja ohnehin; darauf hat der Kollege Erhard schon hingewiesen.

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Aber der wird doch nicht angewendet!)

— Herr Kollege Erhard, wir haben den Empfehlungen des Rechtsausschusses aus ganz bestimmten Gründen nicht folgen können. Deshalb möchte ich mich auch gegen Ihren Antrag aussprechen.
Unsere Verkehrsteilnehmer zeichnen sich in letzter Zeit, insbesondere in den letzten Monaten, durch ein wachsendes Verantwortungsbewußtsein, durch Vernunft und Disziplin aus.

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Dann können Sie ja zustimmen!)

Das kommt in den gesunkenen Verkehrsunfallziffern deutlich zum Ausdruck. Die Verkehrsteilnehmer sollten als verantwortungsbewußte Bürger behandelt werden und mit gesetzlich fixierten Regelfahrverboten nicht mehr als unbedingt notwendig konfrontiert werden, nicht mehr, als es die Schwere der Verkehrsverstöße auch erfordert. Das scheint uns bei ganz normalen Überschreitungen der Höchstgeschwindigkeit und bei falschem Überholen nicht ohne weiteres der Fall zu sein.
Es kommt hinzu, daß die Unsicherheiten, auf die der Herr Berichterstatter schon hingewiesen hat, bestehen. Ich darf mich hier auch auf das beziehen, was Herr Kollege Wrede zum Ausdruck gebracht hat. Ich möchte Sie herzlich bitten, der Vorlage in diesem Falle so zuzustimmen, wie der Verkehrsausschuß Ihnen das vorgeschlagen hat.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711045500
Das Wort hat der Abgeordnete Ollesch.

(Abg. Wehner: Einer nach dem anderen!)


Alfred Ollesch (FDP):
Rede ID: ID0711045600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint das Schicksal des Verkehrsausschusses zu sein, daß er sich in Verkehrsfragen immer in Gegensatz zum Rechtsausschuß stellen muß. Ich erinnere an die 0,8-Promille-Grenze. Da wollte der Rechtsausschuß einen Verstoß gegen das 0,8-Promille-Gesetz zum Straftatbestand machen, während wir der Auffassung waren, das sei — zumindest in bestimmten Grenzen — als Ordnungswidrigkeit anzusehen.
Herr Kollege Erhard, es geht gar nicht darum, hier Rasern das Wort zu reden. Es geht einfach darum, daß wir nicht mit unserer Ansicht nach unnötigen Strafandrohungen den Kraftfahrer noch mehr verunsichern, als es heute schon der Fall ist. Das ist in der Vergangenheit — mit welchen Folgen, werden Sie sicherlich wissen — in überreichem Maße geschehen.
Es geht auch gar nicht darum, den Kraftfahrer zu schützen, der statt mit 50 km/h mit 90 km/h

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Über!)

— ja, mit über 90 km/h — durch den Stadtkern fährt, sondern es heißt schlicht und einfach: „geschlossene Ortschaften". Und die geschlossenen Ortschaften beginnen am Ortsschild. Die Ortsschilder stehen nun, Herr Kollege Erhard, nicht immer gerade am Beginn geschlossener Bebauung, sondern gelegentlich auch weit davor.
Selbst wenn Sie dort, wo es durchaus noch möglich ist, ohne Gefährdung irgendeines Verkehrsteilnehmers die zugelassene Geschwindigkeit zu überschreiten, schneller fahren, würde gegen Sie ein Fahrverbot verhängt. Das ist bei Berufskraftfahrern in der Regel auch Berufsverbot. Und hier wird ja so oft über Verhängung von Berufsverboten gesprochen.
Herr Kollege Erhard, uns ging es vor allem um die Ungleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer auf den deutschen Straßen. Sie werden das Regelfahrverbot gegenüber Ausländern nicht durchsetzen können. Diese kommen mit der Buße davon, während der deutsche Verkehrsteilnehmer mit dem Regelfahrverbot belegt wird. Das gleiche haben wir ohnehin schon im Mehrfachtäterpunktsystem zu verzeichnen, von dem nur deutsche Kraftfahrer betroffen sind, die im Inland wohnen und einen deutschen Führerschein besitzen, während die Ausländer ungeschoren davonkommen. Ich wehre mich dagegen, daß dieses Verfahren auf den verschiedensten Gebieten ad calendas graecas fortgesetzt wird.

(Ein Abgeordneter der CDU/CSU schüttelt den Kopf.)

— Ja, schütteln Sie nicht den Kopf! Sie können dem Holländer und dem Belgier über das MehrfachtäterPunktsystem bei 18 Punkten keinen Führerschein entziehen.

(Abg. Erhard [Bad Schwalbach] : Darum geht es hier doch gar nicht!)




Ollesch
— Das ist hier genau so. Sie können den Holländer und den Belgier in der Regel nicht mit einem Fahrverbot belegen, wenn er nicht hier in Deutschland wohnt. Das Fahrverbot erreicht ihn in Holland oder Belgien nicht, und der Mann fährt ungehindert weiter durch die Bundesrepublik.
Ich bin für Harmonisierung auf jedwedem Gebiet. Ich bin bereit, solche Tatbestände so scharf zu ahnden, wie es im Regierungsentwurf vorgesehen war, wenn die gleichen Tatbestände in den anderen europäischen Ländern mit der gleichen Buße belegt werden wie in der Bundesrepublik. Wenn der Däne in Dänemark bei gleichen Verstößen ebenfalls mit einem Regelfahrverbot belegt wird, bin ich bereit, im Interesse der Hebung der Verkehrssicherheit im europäischen Raum dem auch für die Bundesrepublik zuzustimmen. Aber hier wird einseitig der deutsche Verkehrsteilnehmer getroffen, und das war für uns im Verkehrsausschuß einer der Hauptgründe dafür, daß wir das Regelfahrverbot nur bei zwei Tatbeständen beließen, deren Folgen allerdings so gravierend sind, daß hier auch ein Fahrverbot zugemutet werden kann.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711045700
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.

(Abg. van Delden: Haben Sie einen Führerschein?!)


Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0711045800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um auf Ihren Zuruf einzugehen: Ja, ich habe einen, ich mache nur keinen Gebrauch davon,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU) weil ich Politik treiben will


(Abg. Rawe: Sehr gut!)

und nicht die Fähigkeit habe, schizophren zu sein. Es gibt zwar viele, die sagen, das Fahren sei Erholung, aber aus dem wenigen Fahren, das ich praktiziert habe, weiß ich, daß ich dafür jedenfalls nicht geschaffen bin.
Mir tut es leid, daß man zu später Stunde über solche Sachen so viel hört und so viel lernt. Glücklicherweise — nehme ich an — ist es keine Gewissensfrage. Es könnte aber etwas dabei passieren; dann kann es eine sein.
Ich habe soeben aus den sehr aufschlußreichen Bemerkungen meines verehrten Vorredners Ollesch gehört, daß das z. B. eine europäische Frage sein könnte, indem wir nämlich sagen: Wenn ihr auch verbietet, dann verbieten wir auch. — Tolles Europa!
Zur Sache selber! Ich kann nicht verstehen, wie hier im Namen der Koalitionsfraktionen verlangt wird, einen Antrag abzulehnen oder für etwas anderes zu stimmen. Denn das ist eine Sache, die im Verkehrsausschuß gemacht worden und offenbar nicht richtig hingekommen ist. Hier kann man nicht anders als — das sage ich Ihnen ganz freimütig — querbeet stimmen. Ich muß mich leider, da ich meine Kollegen nicht beleidigen will und da ich andererseits — ich gebe es zu --- zu später Stunde erfreut bin, daß es auch einmal passiert, daß ein Kollege der CDU einen Regierungsentwurf wiederherstellen will,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

der Stimme enthalten, so ungern ich zu diesem Mittel greife. Aber für das, was hier „namens der Koalitionsfraktionen" gesagt worden ist, kann ich nicht stimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711045900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wrede.

Lothar Wrede (SPD):
Rede ID: ID0711046000
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Worte meines verehrten Fraktionsvorsitzenden geben mir Veranlassung, mich hier zu korrigieren. Ich habe selbstverständlich für die Mitglieder der Koalitionsfraktionen im Verkehrsausschuß gesprochen und war nicht legitimiert, für die gesamten Fraktionen zu sprechen. Dies allerdings habe ich nicht zu verantworten.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711046100
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen zu dem Antrag mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach) auf Drucksache 7/2286. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, die Abstimmung zu wiederholen. Wer dem Antrag auf Drucksache 7/2286 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön. Die Gegenprobe! — Danke schön. Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung, Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — In zweiter Beratung so beschlossen.
Ich rufe die
dritte Beratung
auf.
Wird das Wort gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter Tillmann!

Ferdinand Tillmann (CDU):
Rede ID: ID0711046200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Angesichts der späten Stunde und auch angesichts der Zeit, die die Kontroverse um den Antrag unseres verehrten Herrn Kollegen Erhard gekostet hat, möchte ich mir nicht die Sympathie der hier noch anwesenden Kolleginnen und Kollegen für den Rest der Legislaturperiode dadurch verscherzen, daß ich noch eine mehr oder weniger längere Erklärung für die CDU/CSU-Fraktion abgebe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)




Tillmann
Ich darf nur eine ganz kurze Bemerkung machen. Der Kollege Ollesch hat in der ersten Lesung der Novelle zum Straßenverkehrsgesetz hier in diesem Hohen Hause erklärt, es sei doch sehr erfreulich, festzustellen, daß auch einmal ein Gesetzentwurf der Regierung anscheinend eine positive Aufnahme bei der Opposition finde. Heute, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Freude ganz auf unserer Seite; denn wir finden es heute sehr erfreulich, daß ausnahmsweise auch einmal eine Reihe guter Alternativ- und Verbesserungsvorschläge meiner Fraktion eine positive Aufnahme bei den Koalitionsparteien gefunden hat. Dafür möchte ich mich namens meiner Fraktion sehr herzlich bedanken.
Ich möchte darauf hinweisen, daß akzeptiert worden ist, daß in Zukunft für Ärzte in Notfällen ein Parkplatz zur Verfügung gestellt werden kann. Es war auch auf Grund unserer Anregungen und Bedenken möglich, auch eine praktikable und vernünftige Lösung im Hinblick auf das Parken von schweren Lkw, Omnibussen und Anhängern innerhalb geschlossener Ortschaften in der Nacht und an Sonn- und Feiertagen zu finden. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß unser Vorschlag aufgenommen worden ist, das Parken von Anhängern unter 2000 kg vom Verbot auszunehmen; dadurch konnten die Wohnwagenanhänger aus diesem Verbot herausgenommen werden
Wir halten die Novelle zum Straßenverkehrsgesetz — meine Damen und Herren, damit bin ich schon am Schluß —, in der vorliegenden Fassung für einen Fortschritt, obwohl der Vorschlag des Herrn Kollegen Erhard heute nicht angenommen worden ist, nicht zuletzt deswegen, weil die Verbesserungen, die wir vorgeschlagen haben, zum Zuge gekommen sind. Ich möchte Ihnen daher vorschlagen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0711046300
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Meine Damen und Herren, wer diesem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön! Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist bei einigen Enthaltungen in dritter Beratung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Zusatzpunkt 5 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des
von der Bundesregierung leingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. April 1972 über die Gründung eines Europäischen Hochschulinstituts
— Drucksache 7/1657 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache 7/2290 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bußmann
b) Bericht und Antrag des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

— Drucksache 7/2278 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schweitzer (Erste Beratung 81. Sitzung)

Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Da auch das Wart zur Aussprache nicht gewünscht wird, rufe ich Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift auf. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke schön! Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 35 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) zu der von der Bundesregierung erlassenen Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr. 8/74 -- Angleichungszoll für Trinkweine griechischer Herkunft)
— Drucksachen 7/1759, 7/2202 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Unland
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um einen Bericht des Ausschusses für Wirtschaft, von dem das Haus nur Kenntnis zu nehmen braucht, sofern keine Anträge aus der Mitte des Hauses vorliegen. Das ist nicht der Fall. Ich gebe damit diesen Bericht' diesem Hohen Hause zur Kenntnis. — Es hat ihn zur Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages für Freitag, den 21. Juni 1934, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.