Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Plenarsitzung ist eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die Tagesordnung ergänzt um die
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer
— Drucksachen 7/1043, 7/1147, 7'1152 -
Das Haus ist einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit ''beschlossen.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 19. Oktober 1973 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt:
Viertes Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes Zweites Gesetz über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern
Gesetz zur Änderung des Bundesreisekostengesetzes und des Bundesumzugskostengesetzes
Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes
Zum Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes und des Arbeitsförderungsgesetzes hat der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Anlage 2 diesem Protokoll beigefügt ist.
Der Bundesminister des Innern hat mit Schreiben vom 19. Oktober 1973 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Wörner, Frau Tübler, de Terra, Biehle, Ernesti, Damm, Dr. Marx, Handlos, Löher, Rommerskirchen, Eilers , Dr. Wallmann, Dr. Schulze-Vorberg, Josten und Genossen betr. Besoldung der Soldaten — Drucksache 7/1062 -- beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 7/1150 verteilt.
Der Vorsitzende des Finanzausschusses hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1973 mitgeteilt, daß der Ausschuß gegen die nachstehende, bereits verkündete Vorlage keine Bedenken erhoben hat:
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Änderung des Anwendungsbereichs des ermäßigten Satzes der Gesellschaftsteuer, der zugunsten bestimmter Umstrukturierungen von Gesellschaften in Artikel 7 Abs. 1 b der Richtlinie des Rates betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital vorgesehen ist
— Drucksache 7'138 --
Ich rufe nunmehr den zusätzlichen Punkt der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Beseitigung von Inflationsschäden bei der Einkommen- und Lohnsteuer
— Drucksache 7/1043 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Drucksache 7'1152 — Berichterstatter: Abgeordneter Haehser
b) Bericht und Antrag des Finanzausschusses
Drucksache 7/1147 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Dr. Weber
Abgeordneter Dr. Wagner
Ich frage zunächst die Herren Berichterstatter, ob das Wort gewünscht wird. - Herr Abgeordneter Wagner !
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Finanzausschuß hat über den Gesetzentwurf der CDU/CSU, der Ihnen vorliegt, in zwei Sitzungen beraten. Bei den Beratungen des Finanzausschuses bestand weitgehend Einigkeit über die Ausgangslage, d. h. darüber, daß in der gegenwärtigen Situation, die durch eine wachsende Steuerbelastung breiter Bevölkerungsschichten auf Grund des seit Jahren nicht geänderten Steuerrechtes gekennzeichnet ist, Steuerentlastungen wünschenswert und unter sozialen Gesichtspunkten erforderlich sind. Diesem Zustand will der Gesetzentwurf der CDU/CSU Rechnung tragen.Die Einigkeit im Ausschuß erstreckte sich, wie sich bei den Beratungen herausstellte, auch darauf, daß der Entwurf der CDU/CSU technisch durchführbar wäre. Der in der ersten Lesung im Plenum zunächst geäußerte Einwand, es könnten technische Schwierigkeiten bei der Durchführung dieser Steuerentlastungen auf den 1. Januar 1974 eintreten, ist von seiten der Mehrheit im Ausschuß nicht wiederholt und an ihm ist nicht festgehalten worden.Es konnte auch festgestellt werden - und das ist ein dritter Punkt eines Einvernehmens -, daß sich die Vorschläge der CDU/CSU auf den 1. Januar 1974 zu einem beträchtlichen Teil mit Vorschlägen
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3442 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Dr. Wagner
decken, die auch in den Eckwerten der Bundesregierung für die geplante Steuerreform, die auf den 1. Januar 1975 vorgezogen werden soll, enthalten sind.
— Zu einem beträchtlichen Teil! Hierüber bestand Einigkeit. Z. B. bestand Einigkeit darüber, daß die Erhöhung des Grundfreibetrages von 1 680 DM auf 3 000 DM auch in den Eckwerten enthalten ist. Von der Mehrheit wurde aber — darauf komme ich zu sprechen — der Einwand erhoben, daß mit dieser Erhöhung des Grundfreibetrages ein Element aus der Steuerreform herausgelöst würde. Ohne Ihren Zwischenruf hätte ich das von mir aus ohnehin noch angesprochen.Im Zentrum der Beratungen des Ausschusses stand die Frage, ob die Steuerentlastungen, die hier vorgeschlagen werden, jetzt kommen können, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist oder ob mit jedweder Steuerentlastung aus konjunkturpolitischen Gründen gewartet werden muß. Die Antragsteller, also die Abgeordneten der CDU/CSU, haben im Finanzausschuß hierzu insbesondere vorgetragen, daß das Schicksal der Stabilitätspolitik zu einem sehr wesentlichen Teil in den Tarifverhandlungen der kommenden Monate entschieden wird und daß es folglich richtig wäre, auf diese Tarifverhandlungen mit einem Angebot des Steuergesetzgebers einzuwirken, einem Angebot, das geeignet ist, auf diese Tarifverhandlungen einen mäßigenden Einfluß auszuüben.Die CDU/CSU hat zur Begründung insbesondere angeführt, daß die Arbeitnehmerorganisationen selbst bei der Berechnung ihrer Lohnforderungen die Steuererhöhungen, die steuerliche Erfassung der Bruttolohnsteigerungen als einen Faktor zugrunde legen. Die CDU/CSU hat die Auffassung vertreten, es könne nicht unterstellt werden, daß sich die Arbeitnehmervertretungen einem Vorschlag entzögen, der geeignet sei, bei erheblicher Kosteneinsparung für die Wirtschaft im Nettoergebnis für die Arbeitnehmer dasselbe zu bringen. Hierzu ist insbesondere auch gesagt worden, daß dann, wenn man unterstellt, mit einem solchen Angebot des Gesetzgebers könne nicht auf die Tarifverhandlungen eingewirkt werden, alle Maßhalteappelle an die Tarifpartner ohne konkretes Angebot des Gesetzgebers mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt sein würden.Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen sind auf der Grundlage folgender Zahlen zu sehen. Die Bundesregierung hat im Ausschuß vorgetragen, daß für 1974 mit einer Bruttolohn- und -gehaltssumme von 500 Milliarden DM und mit einer Nettolohn- und -gehaltssumme von 370 Milliarden DM gerechnet wird. Hieraus haben die Antragsteller gefolgert, daß ihre Vorschläge bei der Nettolohn- und -gehaltssumme eine Entlastung um 2 bis 3 v. H. bedeuten würde, was Bruttolohnerhöhungen um 3 bis 4 v. H. entsprechen würde.Die Mehrheit des Ausschusses hat insbesondere den Zeitpunkt kritisiert, ,der gewählt worden ist. Sie hat zunächst darauf hingewiesen, daß hier steuerliche Entlastungsmaßnahmen vorgeschlagen würden, die den Gesamtzusammenhang der Steuerreform I störten und eine spätere Steuerreform erschwerten. Sie hat ferner den Entlastungseffekt als geringer bezeichnet, als die Antragsteller dies getan haben. Sie rechnet mit einem Entlastungseffekt von 2,2 v. H. netto und nur 1,64 v. H. brutto. Über diese Frage konnte keine Einigkeit erzielt werden.Insbesondere hat aber die Mehrheit vorgetragen, eine nennenswerte Auswirkung einer derartigen Steuerentlastung auf ,die Tarifverhandlungen sei nicht gesichert; folglich bestehe die Gefahr, daß sich sehr starke Lohnerhöhungen mit der zusätzlichen Kaufkraft aus den Steuersenkungen kumulieren würden.
— So ist es gesagt worden, und so steht es auch im Schriftlichen Bericht des Ausschusses, auf den ich mich hier beziehe.Zusammenfassend darf ich sagen, daß die Mehrheit im Ausschuß daher der Auffassung war, der Zeitpunkt für Steuerentlastungen sei jetzt noch nicht gekommen und es sei geboten, mit Steuerentlastungen bis zur Steuerreform, die auf den 1. Januar 1975 vorgezogen werde, zu warten.Abschließend ist zu sagen, daß die Antragsteller, also die CDU/CSU, an ihrem Gesetzentwurf festgehalten haben.Der Antrag des Ausschusses ist im Bericht ausgedruckt. Er ist mit den Stimmen der Koalitionsparteien gegen die Stimmen der CDU/CSU beschlossen worden. Dieser Antrag der Mehrheit des Ausschusses lautet:Der Bundestag möge beschließen, die Vorlage der CDU/CSU abzulehnen.
Als weiterer Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Weber das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben im Ausschuß den Antrag der Opposition aus folgenden Gründen abgelehnt.Erstens. Die Ausschußmitglieder sind mit Mehrheit der Meinung, daß durch diese vorgezogene gesetzliche Maßnahme die Steuerreform verhindert wird. Der vorliegende Entwurf läßt sich mit den Steuervorstellungen der Koalition nicht vereinbaren. Der Entwurf verursacht Mindereinnahmen von 8 Milliarden DM. Allein die Änderung des Familienlastenausgleichs, die Sie ja auch wollen, wird im Jahre 1975 zusätzliche Aufwendungen in Höhe von 4 Milliarden DM verursachen.Das Argument, die Erhöhung des Grundfreibetrages entspreche den Eckwerten, ist nicht stichhaltig; denn die Erhöhung des Grundfreibetrages muß zusammen mit der vorgesehenen Proportionalzone und
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Dr. Weber
) der neuen Tarifkurve gesehen werden. Eine ganzheitliche Betrachtung der Eckwerte zeigt, daß sie insoweit trotz gleicher Zahlen mit Ihrem Entwurf überhaupt nicht vergleichbar sind.
Sie wollen linear anheben; wir wollen den ganzen Tarif und nicht nur einen Freibetrag ändern.Zweitens. Der Ausschuß war der Meinung, daß der Entwurf der Opposition keinen Einfluß auf Tarifabschlüsse hat und daß es unzulässig ist, eine Verquickung zwischen Tarifpolitik und Steuerpolitik zu suchen und hier zu finden.Der Ausschuß war mit Mehrheit der Meinung, daß die von Ihnen vorgelegten und errechneten Zahlen nicht stimmen. Sie konnten das nicht wissen, Herr Dr. Wagner, denn Sie waren als Berichterstatter bei der abschließenden Beratung am vergangenen Freitag nicht anwesend. Wir sind von den Zahlen der Bundesregierung ausgegangen, die 500 Milliarden DM Bruttolohn- und -gehaltssumme und rund 370 Milliarden DM Nettolohn- und -gehaltsumme angeben, und daraus leitet sich ein Entlastungseffekt von 1,64 v. H. brutto ab und nicht, wie Sie meinen, von 3 bis 4 v. H.Wir haben drittens im Ausschuß auf die Widersprüchlichkeit hingewiesen, die sich daraus ergibt, daß Sie auf der einen Seite noch vor wenigen Monaten den Konjunkturzuschlag für alle Bürger in diesem Lande gefordert haben — und wir erheben ja heute noch den Stabilitätszuschlag —, andererseits jetzt aber augenscheinlich aus Augenwischerei eine Gesetzesvorlage bringen, von deren Widersprüchlichkeit Sie selbst überzeugt sein müßten.
Herr Abgeordneter Weber, hatten Sie sich auch zur Debatte gemeldet? Wir müssen zunächst die Berichterstattung in der Sache abschließen.
Vielen Dank, Herr Präsident! — Der Ausschuß hat viertens festgestellt, daß die Behauptung, die Arbeitnehmer würden von den Lohnsteigerungen in Wirklichkeit nichts erhalten, falsch ist. Der Ausschuß hat festgestellt, daß es nicht zutrifft, daß die Löhne nur nominell erhöht worden seien, sondern daß in diesem Jahr der reale Kaufkraftzuwachs rund 3 % beträgt und daß die Löhne in den Jahren 1966 bis 1973 um etwa 66 bis 70 O/o gestiegen sind.
Der Ausschuß hat weiter festgestellt, daß die Opposition bei der Betrachtung der Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre die sozialen Leistungen, die in keiner Lohnstatistik erscheinen, nicht vergessen darf. Wenn also das Hineinwachsen vieler Arbeitnehmer in die Progressionszone besonders herausgestellt wird, muß konsequenterweise auch gesagt werden, daß dies ein Zeichen einer erhöhten steuerlichen Leistungsfähigkeit ist.
Der Ausschuß war, meine Damen und Herren, schließlich der Meinung, daß es konjunkturpolitisch nicht vertretbar ist und daß stabilitätspolitisch unerwünschte Folgen eintreten, wenn dieser Gesetzentwurf der Opposition angenommen würde. Das ist im nachhinein von den fünf wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten und von der Deutschen Bundesbank bestätigt worden. Der Ausschuß hat erklärt, daß dieses Gesetz nur dazu dienen könne, die Stabilitätspolitik der Bundesregierung zu unterlaufen.
Letztlich hat der Ausschuß mit Mehrheit seine Vorstellung bekräftigt, zum 1. Januar 1975 die umfassende Reform der Einkommen- und Lohnsteuer im Sinne der Regierungsvorlage zu schaffen. Ich bitte daher, den Entwurf der Opposition abzulehnen.
Ich danke den Herren Berichterstattern herzlich.
Wir treten nunmehr in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Häfele. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 25 Minuten angemeldet.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abbau der heimlichen inflations- und progressionsbedingten Steuererhöhungen ist überfällig geworden. Dies ist im Grunde unbestritten. Auch die Vertreter der Regierungskoalition haben im Finanzausschuß zugeben müssen, daß das ein aktuelles Thema ist. Die Regierung selbst hat das mittelbar zugegeben, indem sie von diesem Problem überrollt worden ist und entgegen ihrer ursprünglichen Absicht die dritten Eckwerte der Steuerreform schon am 1. Januar 1975 in Kraft treten lassen will und nicht erst — wie ursprünglich beabsichtigt — am 1. Januar 1976. Die Opposition rechnet sich hier selbst ein gewisses Verdienst an. Denn ohne den Druck in der Sommerpause auf diese Problematik wären diese Beschlüsse der Bundesregierung am 12. September wohl nicht zustande gekommen.
Trotzdem, meine Damen und Herren, hat der Herr Bundesfinanzminister Schmidt, der leider wiederum, wie es üblich geworden ist, nicht anwesend ist,
gestern in seiner Haushaltsrede dies zu verniedlichen versucht.
Herr Abgeordneter Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wehner?
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Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht davon unterrichtet sind, daß der Finanzminister erst heute nachmittag hier sein kann. Ich möchte Sie fragen, ob es fair ist, ihm seine Abwesenheit vorzuwerfen, zumal erst gestern die Verabredung über die heutige Sitzung getroffen worden ist.
Herr Wehner, ich nehme das gerne zur Kenntnis. Es wäre aber nett gewesen, wenn wir unterrichtet worden wären; ich selbst jedenfalls war nicht unterrichtet.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern wieder versucht, dieses Problem zu verniedlichen. Er sprach unter anderem davon, daß das erfreuliche Steigen der Lohnsteuer Ausdruck steigender Realeinkommen sowie Ausdruck dafür sei, daß die Leistungsfähigkeit, eben auch die steuerliche Leistungsfähigkeit, gestiegen sei. Wenn das so wäre — oder wenn es wenigstens ganz überwiegend so wäremeine Damen und Herren, dann wäre das in der Tat erfreulich.
In Wirklichkeit handelt es sich darum, daß Scheineinkommen — ganz überwiegend — zusätzlich besteuert werden.
Ich darf das an einem praktischen Beispiel erläutern, das draußen in der Wirklichkeit durchaus, und zwar sehr oft, vorkommt. Nehmen wir einmal an, ein durchschnittlicher Arbeitnehmer verdient brutto 1 500 DM im Monat. Wenn er eine Lohnerhöhung von 10% durchsetzt, dann bekommt er 150 DM im Monat mehr. Davon hat er monatlich etwa 20 .% Lohn- und Kirchensteuer abzuführen; das sind 30 DM. Zusätzlich hat er 15% Sozialversicherungsbeiträge abzuführen; das sind 22,50 DM. Zusammen sind also abzuführen: 52,50 DM. Von der Lohnerhöhung in Höhe von 150 DM bleiben ihm also weniger als 100 DM; 7% Kaufkraftschwund, meine Damen und Herren, sind 115 DM. Ergebnis: Der Mann verdient, trotz einer Lohnerhöhung von 10%, real weniger als vor einem Jahr.
Der Fall wird noch schlimmer, meine Damen und Herren, sobald der Mann durch höheren Lohn immer mehr in die Progression hineinkommt. Ich habe 1 500 DM Lohn angenommen. Das Steigen der Löhne wäre erfreulich, wenn es nicht inflationär wäre. Unerfreulicherweise kommen die Leute immer mehr in die Progression hinein. Es ist nun einmal eine Tatsache, meine Damen und Herren, daß im Jahre 1970 nur ein Drittel der Einkommen- und Lohnsteuerzahler mehr als die 19 % Steuern der Proportions-stufe bezahlt haben, 1974 es aber schon 85 % sein werden. Im Jahre 1970 war es also, wie gesagt, ein Drittel, im nächsten Jahr werden es bereits 85 % sein, die in der Progression sein werden. Das, meine Damen und Herren, trifft gerade die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen unverhältnismäßig stärker als die Bezieher höherer Einkommen.
Beweis: Die Progressionsstufe steigt bei einem Jahreseinkommen zwischen 8 000 DM und 30 000 DM um 22 Punkte. Aber bei einem Jahreseinkommen von 30 000 DM bis 110 000 DM steigt sie nur um 12 Punkte. Genau in diesem Bereich der niedrigen und mittleren Einkommen ist die Progressionswirkung unvergleichlich stärker.
Niemand, meine Damen und Herren, kann ernsthaft bestreiten: das Auseinanderklaffen von Brutto und Netto ist zu einem immer unerträglicheren Ärgernis in Deutschland geworden.
Mit unserem Gesetzentwurf beabsichtigen wir wenigstens Teile der Inflationsschäden durch ein Sofortprogramm wieder zu beseitigen. Im Ergebnis erhält jeder Verheiratete im nächsten Jahr eine monatliche Entlastung von 46 DM. Es ist nun einmal eine nicht zu bestreitende Tatsache, daß die Anhebung des Grundfreibetrags — meine Damen und Herren von der SPD, ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie das Argument, daß die Reichen hier stärker entlastet würden, allmählich fallen ließen — alle absolut gleichmäßig, aber relativ die Schwächeren stärker entlastet als die Stärkeren.
Meine Damen und Herren, wenn Sie gegen die Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages polemisieren, muß man Ihnen sagen, daß das eine Forderung aus dem Gewerkschaftslager ist, und zwar eine Forderung aller Gewerkschaften, die es gibt. So finster und reaktionär kann das ja wohl nicht sein, was wir fordern, wenn etwa am Wochenende die Arbeitnehmerkonferenz der SPD dies auch gefordert hat.
Unser Vorschlag ist auch verwaltungsmäßig noch rechtzeitig durchführbar. Entgegen Beteuerungen bei der ersten Lesung im Plenum ist im Ausschuß erfreulicherweise von der Regierungskoalition und von der Regierung bestätigt worden, daß das technisch noch machbar sei.Ich darf der Koalition ausdrücklich danken, daß sie eine solche rasche Beratung — das war natürlich erforderlich — ermöglicht hat. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, ob diese rasche Beratung nicht in erster Linie Ihrem Wunsch entsprochen hat, dieses leidige Thema möglichst schnell vom Tisch zu bekommen.
Meine Damen und Herren, daß dieses Thema überfällig ist, daß das Problem gelöst werden muß, ist eigentlich unbestritten. Jetzt ist aber Ihr Haupteinwand, den man ernst nehmen sollte, unser Vorschlag verstoße gegen die Stabilitätspolitik. Was ist dazu zu sagen?In der Tat, rein theoretisch ist das natürlich richtig, daß man ein Inflation dann mit Steuererhöhungen
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Dr. Häfelebekämpfen kann, wenn diese tatsächlich zur Kaufkraftabschöpfung führen. Immerhin ist bemerkenswert, daß dieses theoretisch richtige Argument auf Regierungsseite in den letzten Jahren nicht ganz ernst genommen wurde, obwohl es vielleicht am Platze gewesen wäre, es in die Tat umzusetzen. Es wird jetzt erst in den Vordergrund gerückt, ausgesprochen jetzt, wo es erste Anzeichen dafür gibt, daß es im Jahre 1974 mit der wirtschaftlichen Entwicklung vielleicht ein bißchen anders läuft, als es in den letzten Jahren gelaufen ist. Meine Damen und Herren, Ihre Haltung ist: Für die Inflationsbekämpfung sagen wir ja zu heimlichen Steuererhöhungen, aber nein zu offenen und ehrlichen; das wagen wir nicht. Man kann auch so sagen: Hintenherum machen wir gerne Steuererhöhungen, aber offen und ehrlich ins Gesicht hinein wollen wir das nicht zugeben.
Die theoretisch richtige Erkenntnis räume ich ohne weiteres ein, und die Wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die in diesen Tagen ihr Gutachten veröffentlicht haben, haben das theoretisch wieder bestätigt. Aber obwohl ich das einräume, meine ich, daß wir heute in Deutschland in einer ganz besonderen Situation sind, in der das theoretisch Richtige psychologisch total falsch ist. Meine Damen und Herren, Sie und wir alle wissen, daß wir vor ganz entscheidenden Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen stehen. Man muß sogar sagen, der Erfolg der Stabilitätspolitik in diesem Staat wird in den nächsten Wochen und Monaten ganz überwiegend davon abhängen, ob es gelingt, bei diesen Tarifverhandlungen einigermaßen vernünftige Ergebnisse zu erzielen. Damit steht und fällt Ihr Programm, meine Damen und Herren von der Koalition.
Da sind nun wir im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, daß unser Vorschlag genau diese Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen in maßvollem Sinne, günstig, wohltuend beeinflussen kann. Das kann, wenn man es richtig macht, zu einer Verbesserung des sozialen Klimas führen; das kann die richtige Signalsetzung sein, wenn man es richtig macht; das kann dem Herrn Bundeswirtschaftsminister im Sinne des § 3 des Stabilitätsgesetzes etwas in die Hand geben, um die Konzertierte Aktion durchzuführen. Er steht dann nicht da, ohne etwas in der Hand zu haben. Er hat etwas in der Hand; mit anderen Worten, er kann von der öffentlichen Seite her ein Angebot machen und steht nicht mit „nackten Hosen" da.
Wir sind uns völlig einig, daß es für ihn in der Konzertierten Aktion zweifellos günstiger ist, wenn er den Weihnachtsmann spielen kann, als wenn er den Buhmann spielen muß.Sie können nicht bestreiten, daß unser Angebot hier eine maßgebende Wirkung haben könnte. Unser Vorschlag, der sich im nächsten Jahr auf die öffentlichen Kassen in einer Größenordnung von 8 Milliarden DM auswirkt, wird sich mit 10 Milliarden DM zugunsten der Arbeitnehmer auswirken, indem sie das Geld tatsächlich auf die Hand bekommen. Das ist kein Taschenspielertrick, sondern hängt damit zusammen, daß dies bei den öffentlichen Kassen teilweise erst im Januar 1975 anfällt. Diese 10 Milliarden DM Entlastung bei der Steuer hätten zur Folge, daß die durchschnittlichen Nettolöhne um 2 bis 3 % angehoben würden. Meine Damen und Herren, das ist etwas! Um diese 2 bis 3% Nettolohnerhöhung zu erreichen, müssen Sie die Bruttolöhne um 3 bis 4 % erhöhen. Wir wissen, was für ein Brocken das bei Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen ist.
Wir wollen mit unserer Maßnahme ein Signal setzen, um in dieser ganz schwierigen Zeit die Steuer-Preis-Lohn-Spirale zu durchbrechen, damit die Arbeitnehmer, die mit Recht immer mehr auf das schauen, was sie „unter dem Strich" erhalten, 2 bis 3 % Erleichterung erhalten. Denken Sie etwa an die Teuerungszulage, die auch Sie versprochen haben, von 300 DM etwa, die sogar „netto" zugesagt wurde — immer mehr interessiert die Leute, was „netto" zugesagt wird —, die brutto unvergleichlich mehr ausmacht, außerdem die Kosten steigert und zu öffentlichen Ausgabensteigerungen führt. Denn wir alle wissen: Nettosteigerungen um 300 DM bedeuten brutto unvergleichlich mehr. Es werden also die Kosten gesteigert, wenn Sie netto mehr abschließen, und dies gerade zu einem Zeitpunkt, wo wir viel stärker in einer Kosteninflation als in einer Nachfrageinflation sind, mindestens auf dem Konsumsektor.An sich müßten Sie heute diesem Gedanken nähertreten, da Sie ihn im Grunde bei anderen Maßnahmen genauso verfolgen wie wir. Wie wäre es sonst anders zu erklären, daß Sie gerade in diesen Wochen die Einkommensgrenzen für das Wohngeld erhöhen wollen, daß Sie die Einkommensgrenzen für das Zweitkindergeld erhöhen wollen, daß Sie das volle — volle! — 13. Monatsgehalt im öffentlichen Dienst versprochen haben, was allein im Monat Dezember über 3 Milliarden DM an Mehrausgaben bei allen öffentlichen Händen ausmacht? Wir haben nichts gegen diese Maßnahmen. Sie wollen mit diesen Maßnahmen das soziale Klima verbessern, um überhaupt weitermachen zu können. Mit anderen Worten, Sie wollen die Folgen der Inflation lindern, Sie wollen Fehlentwicklungen korrigieren, und genau das wollen wir auf steuerlichem Gebiet,
aber aufgeteilt auf die 12 Monate des nächsten Jahres, also nicht mit dieser Wirkung, wie sie bei Ihnen eintritt, massiert im Monat Dezember mit den über 3 Milliarden, die Sie zugesagt haben.So geht es nicht, meine Damen und Herren. Keine doppelte Moral! Es kann in diesem Hause nicht so weit kommen, daß, wenn Sie hier Erleichterungen oder soziale Verbesserungen vorschlagen oder beantragen und durchsetzen, das dann stabilitätsgemäß ist, und wenn wir es beantragen, es stabilitätswidrig ist.
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Dr. HäfeleZugleich wird ein Druck auf die öffentlichen Haushalte dahin ausgeübt — ich betone: auf alle öffentlichen Haushalte, auch auf die in Ländern, die von der CDU regiert werden, auch auf die Gemeindehaushalte, das räume ich ein; und der Druck ist notwendig —, daß sie zum Sparen gezwungen werden. Die Menschheit hat bisher nichts Besseres erfunden, um die öffentliche Hand zum Sparen zu zwingen, als daß von der Einnahmenseite her eine Schwierigkeit für die öffentliche Hand entsteht. Wenn sie aus dem Vollen schöpfen können, dann werden — erfahrungsgemäß — die öffentlichen Hände nicht sparen. Bis heute ist nicht bewiesen, daß die Mark, die in der Hand des Bürgers bleibt, stabilitätswidriger ausgegeben wird als die Mark, die in der Hand des Staates ist.
Die Werbungskostenpauschale speziell für die Sparer wollen wir verdreifachen, um einen zusätzlichen Sparanreiz zu schaffen. Denn wir alle wissen, die Sparquote ist leider gesunken — eine ganz gefährliche Entwicklung! Also eine ausgesprochen stabilitäskonforme Maßnahme!Es ist auch nicht wahr, was Sie immer behaupten, die Opposition befinde sich in Widerspruch zu ihren Einlassungen von früher. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wie war es denn? Im Mai dieses Jahres, als die Stabilitätsgesetze beraten wurden, haben wir von der Oppositionsseite ein Angebot zum Zusammenwirken mit der Regierungskoalition gemacht. Wir haben vorgeschlagen, daß für freiwilliges Sparen von 500 DM eine Sparprämie von 30% für diejenigen ausgeworfen werde, die von der Stabilitätsabgabe nicht erfaßt werden. Wir haben vorgeschlagen, daß die Mineralölsteuererhöhung um 5,6 Pf., weil sie in sich preistreibend ist, unterbleiben solle. Sie sind auf unser Angebot nicht eingegangen. Wir haben damals ausdrücklich erklärt — lesen Sie das bitte im Finanzausschußbericht in der Drucksache 7/592 vom 22. Mai 1973 nach, wo es ähnlich formuliert ist! —, daß wir dann, wenn Sie auf unsere Vorschläge eingehen, geneigt wären,auf ,die Verwirklichung ausgabenerhöhender oder einnahmenmindernder Initiativen zu verzichten, obwohl dies zum Beispiel— und jetzt hören Sie hin! —angesichts der inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen kaum vertretbar ist.Wir haben im Mai ein Angebot gemacht. Das ist von einer Opposition ein Wort: wir haben ein Angebot zum Zusammenwirken gemacht. Sie von der Regierungskoalition haben dieses Angebot nicht angenommen. Da brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß die Opposition zetzt nicht mehr stillhalten kann. Die Opposition ist heute verpflichtet, alles zu tun, damit wenigstens die Folgen der Inflation gelindert werden.
Ganz zum Schluß der Beratung im Finanzausschuß haben wir an die Vertreter der Regierungskoalition sogar die Frage gestellt, ob es nicht wenigstens im Kompromißwege möglich sei, die Sache zwar jetzt zu beschließen — denn es muß für die Tarifverhandlungen Klarheit bestehen —, die Beträge aber erst Ende des Jahres 1974 auszubezahlen. Auch dieses Angebot als Kompromiß haben Sie abgelehnt. Es wäre heute noch für Sie möglich, auf diesen Kompromiß hier einzugehen.Der zweite Einwand, den Sie vorbringen, ist vor allem, die „Große" Steuerreform im Jahre 1975 würde gefährdet. Wie ist es? Wir beantragen die Anhebung — das ist der Hauptpunkt unseres Paketes — des Grundfreibetrages auf 3 000 DM. Genau die gleiche Anhebung sehen Sie in Ihren dritten Eckwerten — bloß ein Jahr später als wir - vor. Wie unser Vorschlag gegen die Steuerreform verstoßen kann, ist unerfindlich.
Es kommt hinzu, daß man die dritten Eckwerte, die Sie jetzt so loben, nicht in allem als der Weisheit letzten Schluß ansehen kann. Darüber wird auch in diesem Hause noch einiges zu reden sein. So ist zum Beispiel der Sprung von 22 auf 30,8 % bei der Progression von Herrn Fredersdorf, dem Chef der Steuerbeamten, zu Recht als ein „eingebauter Inflationsmechanismus" bezeichnet worden.
Auch der Abzug von der Steuerschuld ist ein ganz wunder Punkt; darüber wird in diesem Hause noch viel zu reden sein.Sie wollen Steuergelder horten. Aber Sie horten sie nicht für die Steuerreform, sondern Sie wollen Sie im Jahre 1974 wieder ausgeben. Wenn Sie das Argument der Verfügungsmasse, die für eine Steuerreform notwendig wäre, ernst nehmen würden, hätten Sie in den letzten Jahren nicht laufend selbst solche Steuererhöhungen beschließen dürfen, die nach den ersten und zweiten Eckwerten sogar ausdrücklich hätten für die Steuerreform zur Verfügung stehen müssen, etwa die Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen. Hier haben Sie Verfügungsmassen vervespert, die Ihnen im Jahre 1975 nicht mehr zur Verfügung stehen.
Nein, es ist ganz klar, was Sie wollen. Sie wollen die Fortsetzung — nächstes Jahr sogar die Steigerung — dieses steuerlichen Unrechts, um dann plötzlich ab 1. Januar 1975 sagen zu können: jetzt haben wir in Deutschland endlich die große steuerliche Gerechtigkeit. Es drängt sich einem das Bild auf, daß in der Tat im Vergleich zum Bettlägerigen der Humpelnde ein Gesunder ist. Genau das wollen Sie ab 1. Januar 1975. In Wirklichkeit — das läßt sich heute schon sagen — wird die Steuerreform real nur teilweise eine Wiederherstellung des Status quo mit sich bringen, wie er vor Jahren schon bestand, als die inflationäre Entwicklung in Deutschland noch gar nicht vorhanden war.
Die gesamte CDU/CSU-Fraktion steht hinter diesem Antrag. Wir haben in der Tat darüber diskutiert, ob wir das kassenmäßige Volumen von 8 Milliarden DM eventuell mit anderen Entlastungsmaßnahmen
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3447
Dr. Häfelegemischt ausschöpfen sollen. Aber daß wir diese 8 Milliarden DM dringend für Entlastungsmaßnahmen verwenden müssen, ist völlig unbestrittene, einmütige Meinung in unserer Fraktion. Trotzdem erklärte gestern der Herr Bundesfinanzminister, daß nicht einmal die Hälfte der CDU/CSU-Fraktion hinter unserem Entwurf stünde.Es ist immer etwas schwierig, wenn ein Außenstehender es besser wissen will. Aber gehen wir einmal von dieser Erklärung eines Außenstehenden aus. Dann ist es für uns mindestens zulässig zu fragen: warum haben Sie dann in Ihrer Fraktion so lange darüber diskutiert, ob Sie es nicht vielleicht doch machen müssen? Warum hat Ihre Arbeitnehmerkonferenz am Wochenende sogar mit Stimmen Ihrer Kollegen, die hier anwesend sind, Beschlüsse gezeitigt, die genau das beinhalten, was wir hier beantragen?
Sie werden nachher bei der namentlichen Abstimmung Gelegenheit bekommen — vor allem diejenigen, die bei diesen heroischen Beschlüssen am Wochenende mitgewirkt haben —,
hier genau zu zeigen, daß Sie hier genauso stimmen, wie Sie bei der Arbeitnehmerkonferenz gestimmt haben.
Deswegen, meine Damen und Herren, machen Sie bitte mit! Sie haben heute noch Gelegenheit dazu.Abg. Wehner: Das war zu billig!)Hier ist eine Chance für mehr steuerliche Gerechtigkeit und für mehr Stabilität.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Offergeld.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir danken Herrn Häfele für sein freundliches Angebot. Aber Sie können sicher sein, daß wir nicht darauf eingehen werden. Wir können nicht darauf eingehen, Herr Häfele, obwohl dies populär wäre; das wissen auch wir genau. Einen Zahn muß man Ihnen wohl einmal ziehen, nämlich den, daß die Arbeitnehmerkonferenz — das sollte sich auch gleich Herr Katzer notieren — in Duisburg das gefordert hätte, was Sie heute hier verlangen. Das ist nur in einem Punkt, und zwar nur für dieses Jahr, der Fall gewesen.
Im übrigen unterscheiden sich die Beschlüsse dieser Arbeitnehmerkonferenz grundsätzlich von dem, was Sie hier wollen; denn sie hat nicht eine Steuerpolitik nach dem Gießkannenprinzip verlangt, sondern das gefordert, was Herr Häfele gerade unterschwellig kritisierte, nämlich bei einzelnen Freibeträgen einen Abzug von der Steuerschuld vom Beginn des nächsten Jahres an. Das ist qualitativ etwas völlig anderes als das, was Sie hier verlangen.
Unsere Argumentation aus der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs ist im wesentlichen unverändert geblieben. Wir glauben, daß wir den Gesetzentwurf aus verschiedenen Gründen im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht annehmen können. Wir halten ihn für konjunkturwidrig, und wir halten ihn auch haushaltspolitisch und steuerpolitisch im Augenblick für unvertretbar. Ich wiederhole: die Stabilisierungspolitik der Bundesregierung zeigt erste Erfolge. Wenn die Opposition sagt, dies sei alles nur kurzfristig und saisonal bedingt, sollte sie das auch einmal sagen, wenn es zu Ausschlägen in die andere Richtung kommt. Wir sind der Überzeugung, dies sind erste Erfolge unserer Stabilisierungspolitik. Die Opposition versucht in diesem Augenblick, diese Politik zu unterlaufen.Meine Damen und Herren, Sie versuchen, mit diesem Gesetzentwurf im kommenden Jahr Kaufkraft von über 8 Milliarden DM in die Wirtschaft zu pumpen. Diese Kaufkraft wirkt sich natürlich irgendwo aus, genauso wie die Kaufkraft in Höhe von über 1 Milliarde DM, die Sie noch für dieses Jahr schaffen wollen. Die Argumentation von Herrn Häfele, daß das Geld in der Hand des Bürgers besser aufgehoben sei als in der Hand des Staates, ist zu durchsichtig und zu vordergründig,
als daß sie jemand ernst nehmen könnte. (Beifall bei der SPD.)
— Herr Leicht, es ist doch durchaus nicht so, daß Sie sagen: 8 Milliarden DM in die Hand des Bürgers, und dafür geben wir weniger aus. Im Gegenteil, Sie haben uns noch keine einzige Streichung vorgeschlagen.
Ihre Politik in bezug auf Einzelmaßnahmen besteht doch vielmehr darin, daß Sie immer noch mehr Ausgaben fordern.
Sie verlangen hier Mindereinnahmen und in der nächsten Runde des Bundestages wieder Mehrausgaben. Es war doch grotesk, daß Sie, nachdem wir Anfang Oktober in erster Lesung über dieses Inflationsförderungsgesetz mit 8 Milliarden DM Mindereinnahmen diskutierten, am nächsten Tag Mehrausgaben in Höhe von Hunderten von Millionen DM in der Debatte über die Kriegsopferversorgung vorschlugen. Das ist Ihre Politik.
Das ist zu durchsichtig, und solche Widersprüche wird man wohl auch draußen in der Öffentlichkeit erkennen.Wir sind uns mit allen Experten darüber einig — ich erinnere an die Gemeinschaftsdiagnose der wirtschaftswissenschaftlichen Institute und an die Stellungnahme der Bundesbank —, daß im gegenwär-
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3448 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Offergeldtigen Zeitpunkt kein Anlaß besteht, die Stabilitätspolitik der Bundesregierung zu lockern. Nur die Opposition meint — sie findet dafür aber nirgendwo Verbündete —, sie könne die Gesetze der Fiskalpolitik auf den Kopf stellen. Wir meinen, es besteht kein Grund zu einem Signal für eine Lockerung der Stabilitätspolitik. Wir glauben im Gegensatz zu Herrn Häfele, daß das theoretisch Richtige in diesem Augenblick auch das praktisch Richtige ist.Die Opposition müßte sich besonders schwertun — ich wundere mich immer wieder, mit welcher Unbefangenheit die Herren für dieses Inflationsförderungsgesetz votieren , wenn sie sich daran erinnert, welche Politik sie noch im Sommer dieses Jahres vertreten hat.
Erinnern Sie sich z. B. noch daran, was Herr Biedenkopf noch Ende .Juli oder Anfang August — um diese Zeit war es gefordert hat? Er hat einen Stabilitätszuschlag gefordert.
Ich erinnere an den vielstimmigen, zum Teil auch sehr mißstimmigen Chor der Opposition. Alle in diesem Chor forderten das gleiche, nämlich einen Konjunkturzuschlag
— natürlich ist es wahr —, einmal mit Sparförderungsmaßnahmen, einmal mit Einkommensgrenze, einmal ohne Einkommensgrenze, einmal verzinslich und einmal nicht verzinslich. Genau das ist wahr, Herr Häfele.
-- Herr Häfele, natürlich haben Sie einen Konjunkturzuschlag gefordert, und zwar sehr deutlich.
Sie erinnern sich wohl nicht mehr an das — oder wollen sich nicht mehr daran erinnern —, was Sie im Finanzausschuß verlangt haben.
Herr Häfele, Sie haben ja in der letzten Debatte schon einmal etwas Ähnliches erzählt. Ich habe mir deshalb ein Papier mitgebracht, aus dem ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren möchte. Herr Häfele, es handelt sich um einen Bericht Ihres Kollegen Sprung das ist also sicher authentisch — aus der 35. Sitzung des Deutschen Bundestages am Mittwoch, dem 23. Mai. Dort heißt es zu dem ersten Stabilitätspaket der Bundesregierung:Die Opposition war darüber hinaus der Auffassung, daß das Programm außerdem nicht ausreichend sei. Sie erklärte zu Beginn der Beratungendes Ausschusses, daß sie bereit sei, wirksame zusätzliche Maßnahmen zu unterstützen, auch wenn diese unpopulär sein könnten, ...
Das Stabilitätsgesetz
— so heißt es doch, Herr Häfele -biete hierfür die Handhabe.
Jetzt machen Sie mir einmal klar, ob das etwas anderes ist als das Verlangen nach einem Konjunkturzuschlag! Etwas anderes sieht das Stabilitätsgesetz nicht vor.
Nochmals: Die Opposition hat einen allgemeinen Stabilitätszuschlag gefordert. Sie wissen es heute vielleicht selber nicht mehr.
— Herr Seiters, das ist bei diesem vielstimmigen Chor durchaus möglich. Meine Herren von der Opposition, im Grunde liegt es natürlich daran, daß Sie mit der Bekämpfung Ihrer Inflation, nämlich mit der Bekämpfung der Inflation Ihrer Sprecher keine Erfolge haben. Ich erinnere hier an einen Artikel im „Handelsblatt" vom 1. Oktober: „Union will die Inflation ihrer Sprecher eindämmen."
Es ist natürlich schwierig, wenn jeder von Ihnen etwas anderes fordert.
Ich möchte hier noch einmal aus dem „Handelsblatt" zitieren und Sie an Ihre eigenen Beschlüsse erinnern; Sie sollten sie vielleicht schneller verwirklichen:Mit dem Beschluß, daß sich die finanz-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Sprecher der Fraktion gegenseitig abzustimmen haben, soll vor allem dem Eindruck der Vielzüngigkeit und Widersprüchlichkeit von Ausführungen der Opposition entgegengewirkt werden. Ist eine Abstimmung der Sprecher untereinander nicht möglich, sollen sie vor öffentlichen Erklärungen eine jederzeit erreichbare technische Clearingstelle konsultieren. Eine solche Evidenzstelle ist allerdings noch nicht eingerichtet worden.Meine Damen und Herren, das gilt wahrscheinlich heute noch.
Herr Carstens, vielleicht nehmen Sie diese Anregung mit aus dieser Sitzung. Ich glaube, es wäre dringend notwendig, diese technische Clearingstelle oder Evidenzstelle, von der hier die Rede ist, einmal einzurichten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3449
Herr Kollege Offergeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wagner ?
Ja, bitte schön!
Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Offergeld, da Sie im Moment nicht zu dem Gesetzentwurf, sondern über die Opposition sprechen, möchte ich die Frage stellen: Glauben Sie nicht, daß eine Clearingstelle dieser Art bei der Regierungskoalition, namentlich bei der SPD, besonders wünschenswert wäre, möglichst mit Konferenzschaltung und direktem roten Draht, rotem Telefon zwischen Bonn, Moskau, Kiew und anderen Orten in der Sowjetunion?
Herr Wagner, dies ist nun zu albern, als daß ich dazu auch nur ein Wort sagen möchte.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht zu diesem Gesetzentwurf, sondern zur Argumentation der Opposition zu diesem Gesetzentwurf gesprochen. Das wird ja wohl möglich sein. Ich glaube, es ist sogar notwendig.
Ich frage Sie: Was für einen grundsätzlichen Wandel hat es denn seit Ende Juli, Anfang August gegeben, als Herr Biedenkopf so getönt hat? Es hat doch in der wirtschaftspolitischen Situation keinen grundsätzlichen Wandel gegeben, es sei denn, die Stabilisierungserfolge, die sich jetzt zeigen, seien für die Opposition ein Anlaß zum Umschwenken. Wir halten es — ich fasse noch einmal zusammen für geradezu widersinnig, wenn wir in der jetzigen konjunkturellen Lage, wo es darauf ankommt, die Nerven zu behalten, bis wir über den Berg sind, steuerlich bremsen — wir erheben ja noch Stabilitätsabgabe und Investitionssteuer — und gleichzeitig mit Ihrem Inflationsförderungsgesetz, dessen Entwurf Sie uns hier vorlegen, aufs Gaspedal drücken. Wenn wir in absehbarer Zeit — über den Zeitpunkt kann man noch nichts sagen — zu der Auffassung gelangen sollten, daß wir unsere Restriktionspolitik lockern müßten, dann würden wir es anders tun als Sie mit der Gießkanne. Wir meinen, hier ist bei dem empfindlichen Räderwerk der Konjunktur dann nicht der Holzhammer angebracht, sondern ein anderes Instrumentarium.
Man muß auch einige Worte zu der merkwürdigen Argumentation der Opposition sagen, die quasi zu einer Saldierung zwischen Tarifpolitik hier und Steuerpolitik dort kommt. Dies ist ganz gewiß ein gefährlcher Weg im Hinblick auf die Tarifautonomie einerseits und die Finanzpolitik unseres Gemeinwesens auf der anderen Seite. Auch hier muß man wieder darauf hinweisen, wie grotesk die Argumentation dieser Opposition ist, die noch im Sommer — und da war die tarifpolitische Lage nicht sehr viel anders — einen allgemeinen, bis in die unteren Einkommensschichten hinabreichenden Konjunkturzuschlag verlangte.
Wie widersprüchlich ist diese Opposition! Ich glaube, dieser Gesetzentwurf ist ein sehr großes Problem Ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, auch sich selbst gegenüber, meine Damen und Herren.Wir glauben auch, daß dieser Gesetzentwurf ein Steuerreform-Verhinderungsgesetzentwurf ist. Ich habe das schon in der ersten Lesung gesagt. Die Dispositionsmasse, die wir für eine Steuerreform benötigen — das weiß die Opposition genauso gut wie wir — geht verloren.Es ist auch wieder eine ganz flache und vordergründige Argumentation, wenn gesagt wird: Ihr wollt ja auch die Erhöhung des Grundfreibetrags auf 3 000 DM. Unser Einkommensteuertarif setzt sich natürlich aus mehreren Elementen zusammen, aus einem Grundfreibetrag, aus einer Proportionalzone und anderen Elementen. Man kann natürlich nicht ein Element gesondert herausgreifen und sagen: Dies paßt in die Steuerreform hinein. Wir wollen einen neuen Tarif unter Anhebung des Grundfreibetrags schaffen, der aber nicht Entlastungen bis zu den höchsten Einkommensstufen bringt, wie Sie es vorsehen. Wir wollen den Tarif künftig anders gestalten. Darum ist die isolierte Erhöhung des Grundfreibetrages natürlich eine Maßnahme, die im Gegensatz zu der geplanten Steuerreform steht.Das muß man der Opposition im Ernst auch nicht sagen. Sie glaubt wahrscheinlich selber nicht so recht, was sie hier sagt. Herr Häfele, ich darf Sie daran erinnern, was Herr Gleichauf in seiner Haushaltsrede im Landtag von Stuttgart gesagt hat. Er hat sich ganz klar gegen Steuerermäßigungen im gegenwärtigen Zeitpunkt gewendet. Sie sollten in Baden-Württemberg ja die Möglichkeit haben, sich kurzzuschließen. Auch hiermit, so meine ich, ist wieder das Problem einer Clearing-Stelle angesprochen. Er hat gesagt, er halte das für konjunkturwidrig und er halte diesen Gesetzentwurf im Hinblick auf die geplante Steuerreform auch für gefährlich.Es ist bezeichnend, daß die Opposition alles versucht hat, eine gemeinsame Debatte dieses Gesetzentwurfs mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf zu vermeiden; denn da wären Sie natürlich gezwungen gewesen, Herr Leicht, etwas über die Haushaltsseite zu sagen.
Vielleicht holen Sie das in dieser Debatte noch nach. Dazu sind Sie herzlich aufgefordert. Wir werden Sie dazu noch ein paarmal auffordern.
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3450 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
OffergeldWie sollen denn diese Einnahmeausfälle gedeckt werden? Wie paßt das mit der Politik Ihrer Ministerpräsidenten draußen in den Ländern zusammen, die über die ach so große Finanzmisere der Länder klagen? Sie muten ihnen hier doch Einnahmeausfälle von 4 Milliarden DM zu, nicht nur dem Bundeshaushalt, sondern auch den Länderhaushalten und auch den Gemeindehaushalten in Höhe von 1,5 Milliarden DM. Wie paßt das denn in Ihre Haushaltspolitik, Herr Leicht? Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich dazu äußerten.
Wollen Sie Ausgaben streichen oder beim Bund höher in die Verschuldung gehen? Wir haben von Ihnen bisher keinen konkreten Vorschlag gehört.Ich kann das Wort von Herrn Häfele nur unterstreichen. Wir meinen, hier sollte keine Politik der doppelten Moral betrieben werden. Die Opposition kann nicht einmal mehr Ausgaben, zum anderen weniger Einnahmen fordern, aber auch die Kreditfinanzierung ablehnen. Die Opposition kann nicht draußen in den Ländern mehr Geld verlangen und hier das Geld mit der Gießkanne verschleudern wollen. Wir meinen wirklich: Hier sollte keine Politik der doppelten Moral betrieben werden.
— Wir stehen daher zu unserer Ablehnung dieses Gesetzentwurfs, Herr Jenninger. Ich kann Ihnen sagen, wir nehmen die Beschlüsse dieser Arbeitnehmerkonferenz natürlich sehr, sehr ernst.
Wir werden sie in unsere Beratungen einbeziehen. Ich habe Ihnen darzulegen versucht — wenn Sie genau zugehört haben —, daß die Beschlüsse kaum etwas mit Ihren Vorschlägen zu tun haben. Wir werden diese Vorschläge der Arbeitnehmerkonferenz, die ab kommendem Jahr einen Systemwandel beim Abzug von Freibeträgen im Arbeitnehmerbereich vorsehen, sehr, sehr ernst nehmen. Wir haben auch großes Verständnis für diese Vorschläge angesichts der hohen Bedeutung und ,der hohen Einnahmen aus der Lohnsteuer. Darum wollen wir auch eine strukturverändernde Steuerreform, die wir uns nicht von Ihnen durch diesen Gesetzentwurf verhindern lassen.
Wenn Herr Katzer hier an die Solidarität der Arbeitnehmer appelliert, so muß man ihn fast fragen, ob das eigentlich ein Hilferuf ist angesichts des bevorstehenden Parteitags.
Sie können darauf Gift nehmen, Sie können sicher sein, daß wir uns mit diesen Beschlüssen des Duisburger Parteitags auseinandersetzen werden und daß wir insbesondere ,ganz intensiv prüfen werden im Rahmen der Beratungen zum Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes, wie wir den Forderungen dieser Konferenz nachkommen können.Insgesamt halten wir jedoch Ihren Gesetzentwurf für unseriös. Wir halten ihn für konjunkturpolitisch, haushaltspolitisch und steuerpolitisch für unvertretbar. Wir werden ihn daher ablehnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Fraktion ,der FDP lehnt das Inflationsförderungsgesetz der CDU/CSU ab,
und zwar im wesentlichen aus drei Gründen.
Wenn es etwas gab, was Ihre endlosen Stellungnahmen und Anwürfe, meine Herren und Damen von der CDU/CSU, in den letzten drei Jahren zur Stabilitätspolitik in diesem Hause widerlegen konnte, so ist es dieser Antrag; denn mit ihm sagen Sie deutlich, daß dies alles Wortgeklingel war, und das war es auch, wenn man es nachliest.
Sie haben ja nie ernsthafte, konkrete Vorschläge zur Herstellung der Stabilität gemacht. Ich habe absichtlich einmal einige dieser Reden von Ihrer Seite aus den letzten drei Jahren gelesen, weil es mich gereizt hätte, Sie heute mit einem Wort des Großen Vorsitzenden zu widerlegen. Aber dies ist mir nicht gelungen; denn dieser Große Vorsitzende
- muß ich das sagen? — hat keine konkreten Angaben gemacht, hat mit all den vielen Wörtern, die er gebraucht hat, kein einziges Mal konkret dargelegt, was die CDU sich unter Stabilitätspolitik vorstellt. Das ist Ihr Glück; denn sonst könnte man Sie heute damit widerlegen. Aber weil es halt so unkonkret war, können Sie wieder Politik mit vielen Wärtern machen.Meine Herren und Damen, man kann nicht immer von Stabilität reden und das im Grunde dann mit den eigenen Anträgen widerlegen. Was ist denn mit diesem Antrag? Wollen Sie 10 Milliarden DM zusätzliche Kaufkraft auf den Markt bringen? In jeder Fragestunde und in allen Anträgen — bis hin zum Bundesrat und Ihren Vertretern dort — wird an dem derzeitigen Stabilitätsgesetz gerüttelt. Da sollen regionale Erleichterungen geschaffen werden, da muß die Bauwirtschaft jetzt wieder angekurbelt werden, da müssen 10 Milliarden DM Kaufkraft in der breiten Schicht der Bevölkerung geschaffen werden, und da müssen die Haushaltseinsparungen natürlich wieder eingeschränkt werden, indem man publikumswirksame Anträge stellt. So kann man aber keine glaubwürdige Stabilitätspolitik machen. Sie müssen es dann schon der verantwortlichen Regierung und den sie tragenden Parteien überlassen, konsequent zu handeln, und das werden wir tun.Das Stabilitätsgesetz, das Sie selbst mit beschlossen haben, sagt eindeutig, daß man in Zeiten der Hochkonjunktur Steuern erhöhen und daß man in
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3451
Frau FunckeZeiten der Rezession Steuern senken muß. So haben Sie es beschlossen, und zwar, wie ich glaube, ziemlich einmütig. Aber dann haben Sie das bereits während der Zeit der Großen Koalition durchbrochen, als Sie in der Zeit der Rezession zehn Steuererhöhungen gemacht haben. Und jetzt machen Sie es umgekehrt; jetzt wollen Sie in der Zeit der Hochkonjunktur Steuersenkungen, die in die Milliarden gehen. Meine Herren und Damen von der Opposition, Sie müssen sich doch einmal an den Gesetzen orientieren, die Sie selber beschlossen haben, und sie können nicht genau dagegen verstoßen. Das wirkt sonst unglaubwürdig.
Niemand von uns verkennt das, was Herr Häfele deutlich ausgesprochen hat, nämlich daß in der gegenwärtigen Situation
mancher durch die progressive Steuer einschließlich der Sozialversicherungsabgaben von möglichen Lohnerhöhungen nicht viel, im Einzelfall vielleicht sogar gar nichts hat. Dies wird nicht bestritten. Es ist ja der Wunsch der Koalitionsparteien und der Regierung — das hat ja auch die FDP in früheren Zeiten bewiesen —, hier durch eine Korrektur nach unten einen Ausgleich zu schaffen. Es liegt im Wesen von progressiven Steuern, daß sie gelegentlich zurückgestuft werden müssen. Aber doch um alles in der Welt
— nicht in einem Augenblick, wo wir uns gerade bemühen, die Stabilität zu erreichen.Wenn Sie die Hausfrau auf dem Markt fragen, werden Sie durchgängig hören: Lieber verzichten wir mal auf etwas mehr in der Lohntüte, wenn wenigstens die Preise stabiler werden.
Das können Sie durchgängig hören, und genau dies ist unser Bemühen um Stabilität.
Ein gewisser Erfolg dieser Bemühungen zeichnet sich ja schon ab. Mit einem Zurückgehen der Preissteigerungen ist eine Bewegung in Gang gesetzt, die wir sorgfältig fördern, aber doch nicht sofort wieder konterkarieren dürfen. Sonst ist dieser Wunsch der Hausfrauen nicht zu erfüllen. Hausfrauen sind nüchtern und praktisch denkende Menschen, und ich glaube, daß sie Verständnis dafür haben, daß sie vorübergehend, wie alle anderen Teile der Bevölkerung, Opfer auf sich nehmen müssen,
damit diese Stabilitätsbemühungen zu einem nachhaltigen Erfolg führen.Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wissen es natürlich besser als alle wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute der Bundesrepublik! Dort wird eindringlich gesagt, daß wir die Stabilitätsmaßnahmen jetzt nicht aufgeben dürfen, sondern fortsetzen müssen. Ich habe mich gefragt, Herr Häfele, warum Sie in diesem Augenblick nicht die sonstige Klage über die hohen Zinsen angestimmt haben. Aber das haben Sie wohl mit gutem Grund unterlassen. Sicherlich kommt das heute nachmittag wieder in der Fragestunde, weil man dann vielleicht den Zusammenhang mit dem Vormittagsthema nicht mehr glaubt wahren zu müssen. Meine Herren und Damen von der Opposition, wer jetzt an der Stabilitätspolitik rüttelt und sie konterkariert, der kann doch nichts anderes erreichen, als daß die Bundesbank um so schärfer die Aufgabe wahrnehmen muß, von der wir uns nun entlasten würden, und das hieße doch, daß wir genau in jenem Bereich, wo wir schon große Sorgen haben, ob die Finanzierung der Betriebe und damit der Arbeitsplätze angesichts der Zinshöhe und der Kreditrestriktion noch sichergestellt werden kann, noch schärfere Eingriffe zu erwarten hätten.
— Deswegen muß vor allem verhindert werden, daß eine Übernachfrage den Nachfragedruck verstärkt und die Preisgestaltung wieder nach oben bringt. Wir sind alle Marktwirtschaftler genug, um zu wissen, daß Preissteigerungen immer dann erfolgen, wenn die Nachfrage nicht mit der Produktion übereinstimmt, und genau dies wird sich doch ergeben.Ein zweiter Grund. Herr Offergeld hat ihn schon deutlich gemacht; ich will nur kurz darauf hinweisen. Wir warten mit einiger Spannung auf Ihre Einsparungsvorschläge zum Haushalt; wir warten darauf, daß Sie uns in den kommenden Wochen sagen werden, wie man zehn Milliarden DM im Haushalt einspart. Denn Sie wollen doch nicht zusätzliche Kaufkraft schaffen, sondern nur umverlagern. Was jetzt mit zehn Milliarden DM in der Bevölkerung an zusätzlicher Kaufkraft geschaffen werden soll, muß ja dann aus dem Bundeshaushalt herausgestrichen werden, und wenn Sie dann gleichzeitig von der Länderseite noch mit zusätzlichen Ansprüchen kommen, sind wir um so mehr gespannt darauf, zu erfahren, wie Sie den Haushalt ausgleichen wollen.
Das dritte ist die Steuerreform. Meine Herren und Damen, wir haben den nachdrücklichen Eindruck, daß alle Ihre an der Steuerreform vorbeizielenden Anträge — so stückweise hier ein bißchen Vorschaltgesetz und dort ein paar publikumswirksame Einzelanträge — die CDU/CSU letztlich nur davor bewahren sollen, endlich ein geschlossenes Steuerreformkonzept vorzulegen.
Sie kommen um dieses Konzept nämlich herum,wenn Sie mit lauter unzusammenhängenden Einzelanträgen, die dann nicht gedeckt sein müssen, lau-
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3452 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Frau Funckefend an einer Gesamtkonzeption vorbei operieren. Wir warten seit langem auf Ihr Konzept, das uns ständig für „nächste Woche" angekündigt worden ist, aber nun schon seit ungefähr zwei Jahren auf sich warten läßt.Ich habe den Eindruck, es fällt Ihnen schwer, ein zusammenhängendes Konzept, das in sich geschlossen ist, vorzulegen. Deswegen hängen Sie sich immer an einzelne Vorstellungen der Regierung; und zwar immer an solche, die ganz hübsch aussehen, ohne daß Sie die Konsequenzen auf der anderen Seite auf sich nehmen wollen.Diese Regierung und diese Koalition haben sich vorgenommen, eine zusammenhängende und verantwortliche Steuerreform zu verabschieden. Das geht nicht, wenn man ständig vorzeitig Rosinen herauspickt,
um sie in schöner Verpackung in die eigene Auslage zu legen, den Preis aber hinter der Verpackung versteckt, weil man ihn nicht gerne vorzeigt. Denn jede Vergünstigung hat ihren Preis das wissen wir alle —, und dieser Preis muß dann auch auf den Tisch. Dies aber ersparen Sie sich bei dieser Methode.Was Sie jetzt vorschlagen, hat ja schon die nachdrückliche Kritik des Familienbundes der deutschen Katholiken herausgefordert; er hat Ihnen mit Recht gesagt: Wir warten auf die Verbesserung des Kindergeldes und sind „zutiefst enttäuscht", daß Sie nur einseitige Entlastungen ohne unser Anliegen vorsehen. Die Forderungen zum Kindergeld werden mit dieser Methode von der CDU/CSU mit einem Federstrich beiseitegefegt. Sie wollen vorrangig andere Dinge. Ob dann für den Familienlastenausgleich noch Geld vorhanden ist, ist dem Familienverband sicherlich einigermaßen zweifelhaft. Darum der nachdrückliche Protest aus diesem Bereich.
Es geht eben nur im Zusammenhang. Diese Koalition ist entschlossen, die Steuerreform verantwortlich im Zusammenhang zu lösen, nicht aber mit einzelnen Anträgen, die herausgepickten Rosinen gleichen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Narjes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich darf dieser Debatte vielleicht drei allgemeine Bemerkungen vorausschicken.
Erstens. Die Notwendigkeit einer entscheidenden Politik gegen das soziale Unrecht der Inflation besteht für die CDU/CSU nicht erst seit Anfang diesen Jahres. Sie hat für uns Vorrang vor allen anderen
Zielen der Wirtschafts- und Sozialpolitik bereits seit dem Winter 1969/70 gehabt. Unsere Sprecher, gnädige Frau, haben seitdem unablässig auf die drohenden Gefahren der Teuerung im Lande und auf die großen Ungerechtigkeiten hingewiesen, die für viele damit verbunden sind. Ich glaube, Sie haben nicht alle Reden nachgelesen. Wir haben auch immer wiederholt, daß die Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation um so härter ausfallen müssen, um so einschneidender und gefährlicher wirken werden, je länger damit gewartet wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?
Bitte sehr. Aber mit Rücksicht auf die Zeit bitte sehr kurz.
Herr Kollege Narjes, ist Ihnen entgangen, daß ich nicht davon gesprochen habe, daß die CDU/CSU nicht laufend über die Stabilität geredet hat, sondern davon, daß sie keine konkreten Vorschläge gemacht hat, was Sie jetzt ja gerade indirekt bestätigen?
Gnädige Frau, wenn ich allein darauf hinweise, was wir im letzten Wahlkampf zur Inflationsbekämpfung präzise gesagt haben,
so entdecke ich bis in die Wortwahl hinein Ähnlichkeiten mit dem, was sich diese Regierung jetzt zu eigen gemacht hat.
Wenn insbesondere die SPD heute so tut, als ob dieses Problem erst seit Anfang dieses Jahr besteht, sucht sie sich offensichtlich aus der Verantwortung herauszumogeln, aus einer Verantwortung also für alles, was in Ihrem Namen die Finanzminister Möller und Schiller getan haben oder — genauer - unterlassen mußten, weil ihre Fraktionen ihnen die Gefolgschaft verweigert haben.
Wenn Sie heute den Eindruck zu erwecken suchen, als ob die Notwendigkeit und Möglichkeit der Inflationsbekämpfung erst in diesem Jahr begonnen habe, so spekulieren Sie offensichtlich auf die Vergeßlichkeit der Bürger im Lande, denen es in der Tat vielfach schwerfällt — wegen der unvermeidbaren Wirkungsverzögerungen, also wegen des langen Abstands zwischen Ursache und Wirkung bei der Anwendung konjunkturpolitischer Instrumente -, die inflationären Erscheinungen noch den richtigen Ursachen zuzuordnen.Zweitens. Man mag drüber streiten, ob es zweckmäßig ist, den sich laufend wandelnden konjunkturpolitischen Prozeß mit Hilfe gesetzgeberischer Maßnahmen zu steuern, die nach der Natur des Entscheidungsprozesses schwerfällig arbeiten und auch mit
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3453
Dr. Narjesnicht immer wünschenswerten Ankündigungsfristen belastet sind. Dieser Umstand darf aber für eine verantwortungsbewußte Opposition kein Anlaß sein, darauf zu verzichten, in jeder Phase der Konjunkturpolitik deutlich zu machen, welches ihre eigenen Lösungsvorschläge zu einem bestimmten Zeitpunkt sind. Wir haben das mit dem vorliegenden Initiativantrag getan und werden es auch in der Zukunft so halten.Eine dritte Vorbemerkung. Unsere Überlegungen zu einer richtigen Politik gegen die Inflation unterscheiden sich ganz wesentlich von denen der Regierung hinsichtlich der Vorstellungen über die sozial gerechte Verteilung der Lasten und Belastungen, die der Kampf gegen die Inflation unvermeidbar mit sich bringt.Wir haben dem Konjunkturzuschlag so, wie Sie ihn eingeführt haben, nicht zugestimmt, weil für uns das notwendige Stillegen von Kaufkraft und Nachfrage nicht gleichbedeutend ist mit dem endgültigen Wegnehmen, also dem Wegsteuern. Das Ziel der Stillegung hätte auch durch einen Zwangssparprozeß, also durch Einführung eines rückzahlbaren und möglicherweise verzinsbaren Konjunkturzuschlags, gerechter erreicht werden können als durch Ihre Lösung. Unser Vorschlag hätte es auch erlaubt, die Grenzen etwas tiefer zu legen.Wir waren — um ein anderes Beispiel zu nehmen — auch bereit — Herr Kollege Häfele hat darauf hingewiesen , die notwendige Nachfragedämplung des privaten Verbrauchs mit vermögenswirksamen Maßnahmen zu verbinden. Auch da haben Sie den unnötigen kofiskatorischen Weg vorgezogen.Ein letztes Beispiel: Besonders deutlich haben wir uns von Ihnen in der Frage der Erhöhung der Mineralölsteuer zum 1. Juli unterschieden. Diese haushaltsmäßig nicht notwendige Steuererhöhung war für Sie der unter dem falschen Etikett „Mineralölsteuererhöhung" laufende Versuch, die Verbrauchsausgaben der Arbeitnehmer mit mittlerem und kleinerem Einkommen auf dem Umweg über ihr Auto nachhaltig zu treffen.
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Auch dies haben wir im Interesse einer gerechten Verteilung der Lasten der Stabilitätspolitik nicht mitgemacht. Unsere Ablehnung der Erhöhung der Mineralölsteuer wäre im übrigen kaufkraftmäßig ausgeglichen worden durch das höhere Aufkommen eines nach unseren Vorschlägen kozipierten Konjunkturzuschlages bis hinunter zu Einkommen von 3 000 DM im Monat.Dasselbe Motiv der sozialen Absicherung einer von uns als mehrjährig erkannten Stabilitätsstrategie hat auch bei dem hier und heute zu entscheidenden Vorschlag Pate gestanden. Ich sage ausdrücklich: mehrjährig, weil wir der Ansicht sind, daß ein abruptes Abwürgen der Konjunktur, ein Übersteuern, untragbare Schäden für Arbeitnehmer wie auch besonders für die Bereiche der mittelständischen Industrie mit sich bringen würde. Die von uns heute für notwendig gehaltene soziale Absicherung der Stabilitätspolitik betrifft letztlich das Beschäftigungsrisiko der Arbeitnehmer vor allem in den Branchen, in denen entweder auf Grund der Hochzinspolitik oder aus anderen Gründen die Wettbewerbsfähigkeit auf deutschen oder ausländischen Märkten über Gebühr beeinträchtigt ist. Ich denke an das ganze Bauwesen, ich denke an Textil und Bekleidung, ich denke an Teile des Maschinenbaus und andere Branchen.Niemand bestreitet nun, daß in der gegenwärtigen Phase den bevorstehenden Lohnverhandlungen die alles entscheidende Bedeutung über den Erfolg Ihres Pakets zukommt. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute haben das in ihrer Gemeinschaftsprognose vor einigen Tagen ebenso deutlich gemacht wie einige Zeit zuvor das Berliner Institut für Wirtschaftsforschung, aus dessen Stellungnahme ich mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, einige Sätze zitieren möchte:Die Dämpfung des Preisauftriebs ist allerdings noch nicht groß und überzeugend genug, um harte Arbeitskämpfe um hohe Nominallohnsteigerungen auszuschließen. Die konjunkturellen und konjunkturpolitischen Daten zwingen aber zum Kompromiß. Lohnaufbesserungen, die über 10 °/o hinausgehen, verringern 1974 die Chance für eine weitere Dämpfung des Preisanstiegs. Sie erzwingen ein um so längeres Festhalten an der Restriktionspolitik. Dazu wüchse die Gefahr, daß sich die schon seit Frühjahr dieses Jahres steigende Arbeitslosigkeit beschleunigt erhöht.Auch der Bundesfinanzminister hat gestern auf diese Zusammenhänge hingewiesen.In dieser Situation, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchten wir noch einmal einen dringenden Appell an Sie richten, Ihre Position zu unserer Initiative noch einmal zu überdenken und nicht aus falschem politischem Stolz oder Prestigedenken heraus etwas abzulehnen, was unserem gemeinsamen Stabilitätsziel nur dienen und soziales Unrecht mindern kann.
Ich leugne keine Minute, daß unsere Initiative auf den ersten Blick nicht den bisherigen theoretischen Modellen der Nachfragedämpfung entspricht. Sie ist aber realistisch konzipiert in der Erkenntnis und in der Absicht, gerade mit ihrer Hilfe das Stabilitätsziel, zu dem wir uns ausdrücklich und mit vollem Nachdruck bekennen, auch 1974 weiterverfolgen zu können.Unser Vorschlag soll einen Weg weisen, um die unverändert notwendige Stabilitätspolitik in der politischen und sozialen Wirklichkeit auch durchzusetzen und durchzuhalten. Im Vergleich zu den theoretischen Modellen können wir in eben dieser Wirklichkeit drei Tatbestände nicht übersehen.Erstens. Wir haben die Unruhe in den Betrieben. Wir hatten eine Welle wilder Streiks, aufgenommen von Arbeitnehmern, die nach ihrer Urlaubsrückkehr in die teure Heimat unter den Bedingungen der Monate Juli und August um ihre realen Einkommenszuwächse fürchteten.
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3454 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Dr. NarjesZweitens. Wir haben die im Vergleich zu allen vergleichbaren früheren konjunkturellen Situationen völlig neue Lage, daß sich zwei Drittel der Arbeitnehmer in der Progressionsstufe der Besteuerung ihrer Löhne befinden, in einer Progressionsstufe, die sie nicht überwiegend auf Grund höherer Realeinkommen und damit auf Grund größerer persönlicher Leistungsfähigkeit erreicht haben, sondern auf Grund der Nominalsteigerungen der Inflation.Wir haben es drittens mit der sich aus diesem Mißstand ergebenden Ankündigung der Gewerkschaften — und ihrem entsprechenden Verhalten — zu tun, daß sie die Belastungen der Steuerprogression mit in die Berechnung ihrer Lohnforderungen für 1974 einbeziehen werden.Infolgedessen schlagen wir mit unserer Initiative vor, dem verheirateten steuerpflichtigen Arbeitnehmer — und damit der großen Masse der Arbeitnehmer — im Laufe des Jahres 1974 Steuererleichterungen in Höhe von etwa 600 DM zu gewähren. Dieser namhafte Betrag reicht aus, um jedenfalls bis zum Januar 1975 die Progressionsautomatik auszuschalten. Der dafür erforderliche kassenmäßige Aufwand im Jahre 1974 von etwas mehr als 8 Milliarden DM beläuft sich auf weniger als 2 % der Bruttolohnsumme des kommenden Jahres.Wir fordern die Bundesregierung auf, durch die Übernahme unserer Initiative ein unübersehbares Signal für die laufenden und bevorstehenden Lohnverhandlungen zu setzen, es aber auch am runden Tisch der Konzertierten Aktion, in der verantwortlichen Diskussion mit den Tarifpartnern also, nachhaltig zur Geltung zu bringen.
In der Bundestagsdebatte zur ersten Lesung unseres Gesetzes hat es nun zwischen Regierung und Opposition insoweit Übereinstimmung gegeben, als der Bundeswirtschaftsminister unsere Vorschläge für den Fall für diskutabel gehalten hätte, daß sie zu einer im Volumen gleich hohen Minderung der Lohnabschlüsse führen würden. Eine solche Wirkung hat er ihnen jedoch, gestützt auf eine Befragung der Konzertierten Aktion, abgestritten. Wir sind nun — und darin unterscheiden wir uns — der Ansicht, daß die Erkenntnisquelle Konzertierte Aktion keinesfalls ausreicht, um die Ablehnung unserer Vorschläge zu rechtfertigen.
Denn:Erstens. Nach dem vorher Gesagten ist es selbstverständlich, daß die Gewerkschaften in diesem Fall den Ausgleich der Progressionsautomatik nicht mehr in ihre Berechnungen einbeziehen könnten.Zweitens. Der Betrag von 600 DM ist so groß, daß die Tarifpartner ihn bei ihren Verhandlungen nicht außer acht lassen könnten, wenn sie ihrer in diesem Herbst besonders hohen stabilitätspolitischen Verantwortung gerecht werden wollen. Niemand, der solche Verhandlungsergebnisse bewerten müßte, könnte an einer von der Regierung gesetzten Tatsache dieses Ausmaßes vorübergehen. Solange dieses Faktum aber noch nicht geschaffen ist, kann man sogar Verständnis dafür haben, daß sich die Sozialpartner bei einer vorsorglichen Befragung aus taktischen Gründen zurückhaltend verhalten.
Drittens. Vorab, vor den Lohnrunden, könnte die Bundesregierung in einer Sondersitzung der Konzertierten Aktion eben diesen ihren Beitrag, wenn sie ihn sich zu eigen machen würde, auf den Tisch legen und ihn insbesondere unter Hinweis auf die Beschäftigungsrisiken, zu denen falsche Lohnabschlüsse führen können, so eindrücklich darstellen, wie es dem Ernst der Lage entspricht.Viertens. Vor allem aber kann der Staat selbst — das ist mir besonders wesentlich — als der größte Arbeitgeber in seinen eigenen Lohnverhandlungen — im Guten wie im Schlechten — entscheidende Signale setzen, die für alle anderen Tarifbereiche richtungweisend sind.
Wie könnte eine Bundesregierung, die jedem verheirateten Arbeitnehmer für das Jahr 1974 600 DM Steuererleichterungen zubilligt, bei ihren eigenen Verhandlungen ein solches Faktum außer acht lassen?!
Fünftens. Die Bundesregierung könnte auch darauf drängen, daß die Gewerkschaften, deren Mitglieder — wie etwa im öffentlichen Dienst — kaum Beschäftigungsrisiken kennen, zur Solidarität mit den Arbeitnehmern in den schon erwähnten Bereichen der Bauwirtschaft, der Textilindustrie, der Bekleidungsindustrie sowie des Maschinenbaus — teilweise — aufgefordert werden, damit sie durch ihre Solidarität dazu beitragen, daß in diesen Bereichen keine Arbeitsplätze gefährdet werden.Die Gemeinschaftsprognose der Konjunktur-Institute ist in der Presse mit Recht dahin gedeutet worden, daß sich Ereignisse an der Lohnfront abzeichnen, die später zu bereuen sind, die man aber trotzdem eintreten läßt, selbst auf die Gefahr einer zwangsläufigen Arbeitslosigkeit hin. — So etwa die „Süddeutsche Zeitung".Wenn dies richtig ist, dann wäre ein Schweigen der Regierung nicht zu verantworten. Alle Beteiligten — vor allem die betroffene Arbeitnehmerschaft — müssen durch öffentlich nachprüfbare Erklärungen in die Lage versetzt werden zu erkennen, wo die Verantwortung für Fehlverhalten gelegen haben wird. Die Tarifautonomie steht in diesem Herbst vor einer großen Bewährungsprobe. Sie ist keine Ermächtigung für schrankenlose Willkür, sondern kann nur bestehen, wenn alle Beteiligten sie im Geiste verantworteter Freiheit nutzen und ausfüllen.Dabei entscheiden nicht die optisch niedrigen Nominallohnerhöhungen, sondern die Gesamtergebnisse. Desgleichen ist mehr Disziplin als bisher nötig, um zu verhindern, daß Tariflöhne und Effektivlöhne nicht wieder auseinanderfallen. Dies alles in dieser Deutlichkeit hier zu sagen, mag für manchen der Akteure bitter sein, ist aber angesichts der immer noch bestehenden Gefahren für unsere Preisent-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3455
Dr. Narjeswicklung einerseits und der mit einem Mißerfolg der Inflationsbekämpfung verbundenen großen Gefahren für ,die gesamte freiheitliche soziale Wirtschafts- und Verfassungsordnung auf der anderen Seite unvermeidbar.Die Gewerkschaften selbst, insbesondere die DAG und der DGB und auch der CGB, haben wiederholt zu erkennen gegeben, daß Lohnsteuererleichterungen eine fühlbare Klimaverbesserung zur Folge haben würden. Wir halten es deshalb schlicht für falsch, zu behaupten, daß unsere Initiative, würde sie von einer kraftvollen Bundesregierung aufgenommen, ohne jeden Einfluß auf die kritische Lohnentwicklung in diesem Herbst wäre. Ich halte es sogar durchaus für erreichbar, daß die aus den Lohnverhandlungen entstehende zusätzliche Kaufkraft wenigstens um denselben Betrag gesenkt wird, den der Staat auf Grund unserer Vorschläge durch Verzicht auf Steuereinnahmen freisetzt. Das ist keine Verschleuderung von Steuergeldern, Herr Offergeld. Wir meinen, daß unsere Maßnahmen zur sozialen Absicherung der Stabilitätspolitik genau das Gegenteil von dem sind, als was Sie sie eben bezeichnet haben.
Wir können im übrigen nicht übersehen, daß die Bundesregierung in anderen Zusammenhängen die Schöpfung zusätzlicher Nachfrage weniger streng beurteilt, ob es sich um die erwähnten Fälle zum Jahresende handelt oder um die Ostkredite, die doch auch als kaufkräftige Nachfrage auf dem deutschen Markt wieder erscheinen werden. SchließlichI müßte die Bundesregierung, wenn sie konsequent wäre, auch zögern, das Datum des 1. Januar 1975 für ihre sogenannte Steuerreform so verbindlich festzulegen, wie sie es im Augenblick getan hat,
denn auch Ende 1974, Anfang 1975 haben wir noch Inflationsraten von vielleicht 5 oder 6% im optimistischen Falle. Auch in einer solchen Situation müßte man sich je nach konjunktureller Lage überlegen, ob der 1. Januar 1975 dann nicht genauso schlecht ist, wie Sie heute den 1. Januar 1974 darstellen.
Den Faktor Zeit muß man schließlich auch für den Fall ins Spiel bringen, daß es bei einzelnen Ländern und Gemeinden zu teilweisen Erhöhungen der Nettokreditaufnahme kommen sollte. Auch dieser Kreditbedarf könnte gut und gerne in das dritte oder vierte Quartal 1974 verschoben werden, wie ich ohnehin meine, daß die Schuldendeckelverordnung in diesem Jahr sehr viel elastischer als in der Vergangenheit ausfallen müßte.
Herr Abgeordneter Dr. Narjes, ich muß jetzt leider auch den Faktor Zeit in die Erinnerung zurückrufen.
Herzlichen Dank! Noch drei Sätze?
Bitte!
Ich wollte noch darauf hinweisen, daß wir uns in einem Punkte auch mit der Argumentation des Bundesfinanzministers in Einklang befinden, wenn er auf die Gefahr einer überproportionalen Einbuße deutschen Exports hinweist, die eintreten kann, wenn die allgemeine weltweite Abflachung 1974 eintreten sollte. Gerade wenn dies der Fall ist, hätten wir doch aber jedes Interesse daran, unsere Kostenentwicklung durch Maßnahmen der von uns vorgeschlagenen Art auf das denkbar tiefste Niveau herabzuschrauben, und zwar eben wegen dieser möglichen Beeinträchtigung unserer Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten, die schon heute erkennbar ist. Auch dieser Grund spricht für unsere Strategie, und deshalb erneut unsere Aufforderung an die SPD und an die FDP, ihre Position zu überdenken und unserer Vorlage zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein verehrter Ausschußvorsitzender, der Kollege Narjes, hat hier auf die berechtigte Zwischenfrage von Frau Funcke darauf hingewiesen, wie konkret und präzise die Opposition die Inflationsbekämpfung im Wahlkampf vertreten hat. Ich habe mir, schnell wie wir sind, hierzu eine konkrete Unterlage besorgt,
und zwar haben Sie, Herr Narjes, am 8. November 1972 in einem Telefoninterview mit der Ihnen ja sehr wohlgesonnenen „Bild"-Zeitung folgendes konkrete Programm zur Inflationsbekämpfung vorgelegt. Sie haben gesagt: Wir wollen im ersten Jahr die Inflation brechen, im zweiten Jahr gegen sie kämpfen, im dritten Jahr stabilisieren.
Ich muß gestehen: ein sehr konkretes Programm,
so konkret wie alle Ihre Vorschläge — bis auf diesen, allerdings, Herr Breidbach, konkreten Inflationsförderungsgesetzentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben und den wir nicht annehmen werden, weil er eben ein Inflationsförderungsgesetzentwurf ist.
Aber Herr Narjes, um ernsthafter zu sprechen
als mit diesem „Bild"-Zeitungs-Interview! Ich hatte gehofft, daß Sie ausführlicher auf die neue Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute eingehen würden.
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3456 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Dr. EhrenbergDenn diese Gemeinschaftsdiagnose, die, wie ich glaube, auch von Ihnen ernstgenommen wird, hätte eigentlich dazu führen müssen, daß der Vertreter der Opposition hier von diesem Tisch den Gesetzentwurf der CDU CSU-Fraktion mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgezogen hätte.
Aber wenn man diese Diagnose richtig liest, dann findet man dort nachträglich eine Begründung für Ihren Entwurf. In der Gemeinschaftsdiagnose heißt es präzise und exakt: „Finanzpolitik auf Stabilitätskurs".Die Konjunkturforscher kommen weiterhin dazu, der Bundesrepublik — und außer der Bundesrepublik in Europa nur noch Österreich und der Schweiz — zu bestätigen, daß der stabilitätspolitische Kurs Erfolg gehabt hat. Diese Erfolgsbestätigung für die Stabilitätspolitik der Bundesregierung gibt die Argumentation und das Motiv für Ihren Entwurf ab. Denn Sie mißgönnen der Bundesregierung diesen Erfolg und versuchen, durch einen kurzfristig populären Effekt — weil er jedem Einwohner dieser Republik etwas geben will — diese Stabilitätspolitik vorn rechten Wege abzubringen.
Das wird Ihnen —
1 Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen?
Von Professoren immer!
Herr Ehrenberg, wenn Sie Bezug nehmen auf den Konjunkturforschungsbericht, dürfte Ihnen doch nicht entgangen sein, daß in dem zentralen Punkt, um den im Grunde genommen die gesamte Stabilitätspolitik kreist, die Konjunkturforscher auch mit anhaltend hohen Preissteigerungen rechnen. Ist das nicht das Kernanliegen des Stabilitätsprogramms der Regierung gewesen?
Verehrter Herr Zeitel, zu dem, was Sie eben fragen, auf die Diagnose bezogen — und die Diagnose bezogen auf Ihren Entwurf —, muß ich folgendes erwidern: Ich kann hier wörtlich den einen Satz zitieren, daß eine erfolgreiche Fortsetzung nur möglich ist, wenn die künftige kurzfristige Politik — jetzt kommt es wörtlich — „Steuererleichterungen als auch die Lockerung der monetären Restriktionen ausschließt". Das ist der Kernsatz des Gutachtens und nichts anderes.
Weil die Gemeinschaftsdiagnose so klar bestätigt hat, was von seiten der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen hier schon bei der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes so deutlich gesagt worden ist, wird die Mehrheit dieses Hauses diesen Entwurf ablehnen.Aber ich glaube, es ist m i Anschluß an das, was mein Kollege Offergeld schon gesagt hat, notwendig, noch einmal für die Öffentlichkeit festzuhalten, in welcher erstaunlichen Vielfalt sich diese parlamentarische Opposition stabilitäts- und finanzpolitisch hier präsentiert. Ich darf noch einmal daran erinnern: am vergangenen Freitag — es ist nur wenige Tage her — forderte diese Opposition in der Kriegsopferdebatte die zusätzliche Belastung des Bundeshaushalts für 1973 und 1974 mit mehreren hundert Millionen DM. Heute wollen Sie die Einnahmen des Bundes, der Länder und der Gemeinden um jeweils mehr als 4 Milliarden DM kürzen. Morgen werden Sie aller Wahrscheinlichkeit nach im Anschluß an Ihre bisherige Haushaltsargumentation wiederum, wie ich annehme, den Haushalt insgesamt für zu groß und an allen populären Einzeletats für zu klein erklären. Das ist eine Vielfältigkeit der Ausdrucksweise, wie sie Ihnen sicher angemessen, aber nicht zufällig ist.Ein weiteres Motiv für Ihren Entwurf läßt sich sehr deutlich — ich darf die verehrte Frau Kollegin Funcke in der Wortwahl zitieren — in der sehr kurzen Stellungnahme des „großen Vorsitzenden der CSU" zum Haushaltsentwurf 1974 entnehmen, wo er erklärt hat: Dieser Haushaltsentwurf ist eine Dokumentation gescheiterter Reformpolitik. Sie wissen alle, daß das nicht so ist,
und weil Sie es wissen, haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den Bundeshaushalt um 4 Milliarden DM erleichtern soll.
Dann könnte allerdings tatsächlich einiges an notwendigen Reformmaßnahmen nicht stattfinden, wenn man das für 1974 täte.
Wir werden das nicht tun, und wir werden uns auch durch Ihre Hinweise, daß Sie die Sorgen und Nöte der Arbeitnehmer in diesem Lande besser kennten als wir, nicht vom richtigen Kurs abbringen lassen.
Seien Sie versichert, daß die Arbeitnehmer in diesem Lande sehr genau wissen, bei wem sie mit ihren Sorgen und Nöten gut aufgehoben sind.
Zu dem, was Herr Narjes hier zuletzt gesagt hat, daß es in den nächsten Wochen und Monaten sehr wohl darauf ankommen wird, die Konjunktur sehr sorgfältig zu beobachten, verdient er Zustimmung. Das möchte ich dadurch ergänzen, daß wir diesen Stabilitätskurs fortsetzen müssen, daß wir gleichzeitig aber von den bisherigen Globalmaßnahmen-Aktionen zu einer viel differenzierteren Betrachtung regional wie sektoral, übergehen müssen.
Ich hoffe, wenn es soweit ist, werden Sie auch nochklatschen und uns Ihre Zustimmung nicht versagen.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3457
Dr. EhrenbergDiese Differenzierung der Konjunkturpolitik, die notwendig wird und die der Bundesfinanzminister hier und der Bundeswirtschaftsminister schon bei anderer Gelegenheit angesprochen haben, ist das, was die Arbeitnehmer im Laufe des Winters von dieser Regierung erwarten. Sie erwarten keine pauschalen Maßnahmen, die genau das, was notwendig ist, mangels Masse nicht möglich machen würden.Weil im Laufe des Winters und für die darauffolgende kurze Zeit bis etwa zum Herbst nächsten Jahres eine Vielzahl differenzierter Konjunkturmaßnahmen notwendig sein wird und weil, langfristig gesehen, das gilt, was die verehrte Frau Kollegin Funcke hier gesagt hat, daß wir nicht durch einen kurzfristigen Entlastungsakt ,das Ziel größerer Steuergerechtigkeit, wie es mit der Steuerreform angestrebt wird, gefährden dürfen, werden die Regierungsfraktionen diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vohrer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einige Fehlschlüsse in der Argumentation der Opposition während dieser Debatte richtigstellen.
Sie machen den Vorschlag, 10 Milliarden DM in den Konsum zu pumpen, haben aber gleichzeitig keinerlei Vorstellung, wo Sie im Haushalt kürzen könnten, und zwar weder im Bundeshaushalt noch in den Länder- oder Gemeindehaushalten. Die Ausfälle müssen Sie bei der gegebenen Finanzsituation zwangsläufig durch Kreditaufnahme ausgleichen. Insofern ist das Argument von Herrn Häfele falsch, daß eine Mark in der Hand des Bürgers beim Staat noch lange nicht besser aufgehoben wäre. Ihre Alternative heißt aber gerade nicht: in der Hand des Bürgers oder des Staates. Ihr Vorschlag bedeutet, daß das Geld vom Bürger und vom Staat ausgegeben wird, und das ist konjunkturpolitisch falsch. Sie sollten besser dafür sorgen, daß es bei 10,5 % Ausgabensteigerung im Haushalt des Bundes bleibt
und daß alle Steuermehreinnahmen auf Grund des progressiven Steuersystems stillgelegt werden. — Herr Leicht, wenn es nicht dabei bleibt, sollten Sie Anträge zur Stillegung dieser Gelder stellen. Das ist der richtige Weg. Das ist stabilitätskonform.
Die Opposition hat uns dann noch eine Milchmädchenrechnung zur kommenden lohnpolitischen Auseinandersetzung präsentiert. Herr Häefele versuchte, uns klarzumachen, daß eine Nettoerleichterung bei den Lohnverhandlungen von 2 %
brutto 3 bis 4 "in weniger Lohnsteigerung bringen würde.
Wenn man bei dem Beispiel von Herrn Narjes bleibt, daß nämlich Lohnsteigerungen in der Größenordnung von 10 % zu erwarten sind, wäre es natürlich recht interessant, wenn Sie nachweisen könnten, daß Ihre Vorschläge nur zu Lohnerhöhungen in der Größenordnung von 6 bis 7 % führten.
— Nein, das ist Ihr Beispiel, das ich nur einmal durchgerechnet habe. Darum geht es doch. Wenn Sie sich hier schon zum Sprecher der Gewerkschaften machen, sollten Sie vorher dort auch abklären, inwieweit Ihre Aussagen überhaupt zutreffen.
Wir haben doch die Aussagen der Gewerkschaften präsentiert bekommen, Hier in diesem Hohen Hause hat Wirtschaftsminister Dr. Friderichs vorgetragen, daß er dieses Thema in der Konzertierten Aktion angesprochen habe und daß Ihre Rechnung dort nicht bestätigt worden sei.Sie sollten auch einmal eine Rechnung über die Reallohnsteigerungen während Ihrer Regierungszeit aufmachen. Wir haben in diesem Jahr leider Preissteigerungen in der Größenordnung von 7 %, haben aber Nominallohnsteigerungen von über 10 % zu verzeichnen. Das heißt, der Reallohn, ist immerhin noch um über 3 % gestiegen. Das hat es während der Zeit Ihrer Regierung nicht immer gegeben. Wenn Sie aber fortwährend mit Ihrem inflationsstimulierenden Gerede die Begehrlichkeit nach höheren Lohnraten vergrößert und 01 in das Feuer der Tarifverhandlungen gießen, kann man nur sagen, daß Ihr Antrag nicht nur in finanzpolitischer Hinsicht theoretisch und praktisch falsch ist, sondern auch psychologisch, Herr Häfele.Wenn Sie zu Ihrem Antrag hier namentliche Abstimmung beantragen,
dann wollen Sie damit doch nur die Koalitionsfraktionen beim Weihnachtsgeld auf die Probe stellen.
Das ist doch der Punkt, den Sie hier hochreizen. Deshalb möchte ich nicht versäumen, noch einmal darzulegen, wie unsozial die Wirkung des von Ihnen geforderten Weihnachtsgeldfreibetrages ist.
Sie machen den Vorschlag, den Freibetrag von 100 auf 300 DM zu erhöhen.
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3458 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Dr. VohrerDas würde sich so auswirken, daß die kleinen Einkommen, für die Sie sich doch so sehr einsetzen, mit 38 DM und die großen mit 106 DM begünstigt würden.Das darf einfach nicht vergessen werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Breidbach?
Bitte!
Herr Kollege Vohrer, sind Sie sich darüber im klaren, daß Ihre gerade gemachte Aussage auch bedeutet, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Teilnehmer der Arbeitnehmerkonferenz der SPD die größeren Einkommen bevorzugen und die kleineren benachteiligen wollten?
Wir sind uns bewußt, daß es sich bei der Forderung der Gewerkschaft mit 600 Millionen DM um einen dicken Brocken handelt. Der DGB möchte damit für seine Mitglieder ein Zeichen setzen.
Aber wir setzen unsere Zeichen mit der Steuerreform, und zwar ganz deutlich. Diese Reform ist in der Gesamtauswirkung wesentlich sozialer als Ihr hingeschustertes Flickwerk.
Herr Narjes, wie wollen Sie es denn einigermaßen miteinander in Einklang bringen, wenn Sie einerseits wegen der Bauindustrie neuerlich Zweifel an der Hochzinspolitik wecken, andererseits Steuererleichterungen beantragen und gleichzeitig noch in Frage stellen, ob Steuererleichterungen zum 1. Januar 1975 gerechtfertigt sind. Hier wird doch die ganze Unlogik, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, präsentieren, deutlich. Sie wollen bei Preissteigerungen in Höhe von 6,4% jetzt zinspolitisch und steuerpolitisch durchstarten. Dabei wissen Sie überhaupt nicht, in welche konjunkturpolitischen Turbulenzen Sie hineinfliegen. Sie reden immer von einer sogenannten Steuerreform. Mit solchen Anträgen, wie Sie sie heute stellen, machen Sie eine echte Steuerreform aber erst zu einer sogenannten Steuerreform. Wir lassen uns die Brocken nicht einzeln wegschnappen. Wir wollen am 1. Januar 1975 unter Einschluß der Teile, die bereits am 1. Januar 1974 wirksam werden, eine echte Steuerreform durchziehen. Aus diesem Grunde lehnt die Fraktion der FDP Ihren Gesetzentwurf ab.
Meine Damen und Herren, ich habe die große Freude, eine Delegation von Kollegen des britischen Oberhauses und Unterhauses auf der Tribüne des Hauses begrüßen zu können.
Wir alle hoffen, daß die Beziehungen der beiden Parlamente durch das Treffen der beiden deutschenglischen Parlamentariergruppen in ein neues Stadium getreten sind. Herzlich willkommen!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Katzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf einige Bemerkungen der Kollegen Ehrenberg und Offergeld eingehen, die sich etwas über Gebühr mit der Clearingstelle der CDU befaßt haben. Der von uns allen so sehr geschätzte Kollege Ahlers hat in dem letzten „Bericht aus Bonn", den wir ja alle kolossal ernst nehmen und verfolgen, gesagt: Es klappt nicht im Kanzleramt. Es klappt nicht zwischen dem Kanzleramt und Presseamt. Es klappt nicht zwischen Kanzleramt und den Ressorts und auch nicht zwischen Regierung und Regierungsparteien. — Ich habe den Eindruck, darum sollten Sie sich zuerst kümmern und sich erst dann mit der Opposition befassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen hier eines festhalten. Diese Beratung heute und auch viele andere Beratungen der letzten Wochen wären doch überflüssig, wenn diese Bundesregierung und insbesondere der Herr Bundeskanzler die inflationäre Entwicklung in unserem Lande nicht jahrelang geleugnet und die ganze Zeit heruntergespielt hätten, so als wenn sie überhaupt nicht da wäre. Das ist der Kernpunkt, und das ist der Ausgangspunkt der Diskussion.
Meine Damen und Herren, diese Regierung hat die Probleme der schleichenden Geldentwertung immer wieder verharmlost. Ich sage es hier und heute nicht zum erstenmal, sondern ich habe es schon oft gesagt: Am schädlichsten war die Behauptung des Herrn Bundeskanzlers, daß für die Arbeitnehmer unter dem Strich immer noch etwas übrigbleibe. Meine Damen und Herren, schon anläßlich der Aussprache zum Kanzeramtsetat vor anderthalb Jahren haben wir darauf hingewiesen, daß diese Rechnung nicht stimmt und daß die Schere zwischen Preissteigerungen und Lohnerhöhungen zuklappt.Der Herr Bundeskanzler hat vor wenigen Wochen auf einer seiner Wahlreisen in Salzgitter — das ist in der Öffentlichkeit unbemerkt geblieben; deshalb will ich das hier doch noch etwas verdeutlichen — zu seiner eigenen Bemerkung folgendes festgestellt — ich zitiere aus dem Bulletin —Es könnte uns Schlimmeres passieren, als wenndas gegenüber früher verbesserte Realeinkommen einmal für kürzere Zeit real nicht ansteigt.Nun, meine Damen und Herren, damit haben wir das Eingeständnis, daß „unter dem Strich" eben nichts mehr übrigbleibt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3459
KatzerMeine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, ich möchte Sie heute hier doch einmal fragen: Wo ist denn eigentlich noch Ihre Basis in den Betrieben und Gewerkschaften? Haben Sie denn nicht heute morgen gelesen, daß im Saarbergbau sämtliche sechs Bergwerke in einen wilden Streik getreten sind? Da werden 300 DM gefordert. Das ist doch eine Bestätigung für meine Annahme. Das tun die Leute dort doch nicht aus lauter Lust und Liebe, sondern das tun sie doch, weil unter dem Strich eben nichts übriggeblieben ist. Das ist die Position, die wir hier zu sehen haben.
Ich wiederhole hier sehr nachdrücklich, daß diese jahrelange Verharmlosung der Geldentwertung durch den Herrn Bundeskanzler einer allgemeinen Inflationsmentalität Vorschub geleistet hat.Wir haben im Oktober 1972 — das war inmitten des Wahlkampfs — an die Gewerkschaften die Bitte gerichtet, sich in vorderster Linie in den Kampf gegen die Inflation einzureihen. Eine arbeitnehmerfreundliche Politik kann nur die schonungslose Abkehr von papiernen Geldillusionen und eine konsequente Antiinflationspolitik bedeuten. Dabei haben wir darauf hingewiesen, daß die Gefahren für die Vollbeschäftigung desto größer werden, je weiter der inflationäre Prozeß fortschreitet. Es ist sehr bemerkenswert, wie die Sozialdemokraten, die sich im Wahlkampf dauernd als die Partei der Gewerkschaften hinstellten, heute über die Gewerkschaften reden und die Forderungen der Gewerkschaften kalt ablehnen. Das werden wir ja in der nächsten Stunde bei der Abstimmung erleben.Es geht nicht darum, Herr Kollege Offergeld, ob hier irgendeine Koalition oder die Regierung in Schwierigkeiten gebracht wird, sondern schlicht und einfach darum, ob dieselben Abgeordneten, die am Wochenende die Tinte ist noch nicht trocken -für die Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages gestimmt haben, hier den Mut haben, mit uns zu stimmen, oder ob sie da so und hier anders reden.
Das, meine Damen und Herren, ist keine Frage von Koalitionsarithmetik oder so. Ich sage das hier mit einer gewissen Erbitterung; denn ich habe Ihre Worte vom sozialen Feigenblatt und was weiß ich noch zu gut im Ohr, um nicht zu sehen, wie es ist, wenn man Regierungsverantwortung trägt. Hier müssen Sie den Offenbarungseid leisten. Hier müssen Sie bekennen, daß Sie draußen so und hier anders stimmen. Das ist der Punkt, um den es geht.
Meine Damen und Herren und Herr Kollege Ehrenberg, Sie müßten es doch eigentlich am besten wissen, welches Mittel man wählt, um ein gutes Klima für die bevorstehende Tarifrunde zu schaffen. Herr Kollege Häfele hat vorhin mit Recht darauf hingewiesen. Wir haben ja dieses wissenschaftliche Gutachten. Aber jeder politisch Handelnde weiß, daß es bei der Politik und ihrer Durchsetzung entscheidend auch darauf ankommt, in welchem Klima diese Politik stattfindet. Da paßt unser Antrag eben genau richtig, um auf beide Tarifvertragsparteien in sinnvoller Weise hilfreich einzuwirken, d. h. ihnen hilfreiche Unterstützung zu geben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Ehrenberg?
Herr Kollege Katzer, würden Sie, da Sie von dem Klima bei Tarifverhandlungen reden, diesem Hause Ihre Ansicht darüber bekanntgeben, wie das Klima in Tarifverhandlungen dadurch beeinflußt wird, daß der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, der CDU-Abgeordnete Narjes, den DGB und den CGB hier in einem Atemzug als gleichberechtigt nennt?
Entschuldigen Sie Herr Kollege Ehrenberg, wenn ich Ihnen sage: Dies ist kleinkariert. Wir haben hier Meinungsfreiheit, und jeder kann sich da gewerkschaftlich organisieren, wo er will. Das wollen wir doch mal deutlich festhalten.
Ich würde deshalb gern wiederholen, meine Damen und Herren: Wenn es überhaupt ein Mittel gibt — und ich spreche Sie noch einmal an, Sie müssen es wissen —, für die kommende Tarifrunde ein Klima zu schaffen, um reale Verbesserungen für die Arbeitnehmer durchzusetzen, dann ist es dieses Programm, das wir Ihnen hier vorgelegt haben.
Ich komme nicht umhin, hier festzustellen, daß Sie — und das sollten Sie sich, jeder einzelne, bitte vor der Abstimmung gut überlegen — die Gewerkschaften in einer ganz schwierigen tarifpolitischen Situation im Stich lassen und damit zu Schuldigen werden für alle Schwierigkeiten, die bei den kommenden Tarifverhandlungen entstehen können. Wer die Interessen der Arbeitnehmer vertritt, muß jetzt für Steuersenkungen bei den Arbeitnehmereinkommen stimmen. Wir sind in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften und mit dem Arbeitnehmerteil der SPD in der Frage der Verdreifachung des Weihnachtsfreibetrages. Von dieser Arbeitsgemeinschaft hat Herr Kollege Wehner gemeint, sie sei Auge, Ohr und Herzkammer der SPD. Ich vermisse da einige Dinge, insbesondere die Sprache der SPD und vor allem das Abstimmen hier, um das es jetzt geht. Deswegen rufe ich Ihnen noch einmal zu: Überlegen Sie sich sehr wohl, wie Sie sich bei dieser Abstimmung verhalten. Wir werden unseren Beitrag leisten und sind überzeugt davon, daß dieser unser Weg der im Augenblick einzig mögliche ist, um für die kommende Tarifrunde überhaupt sinnvolle Voraussetzungen zu schaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Staak.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren ! Ich habe in Duisburg Verantwor-
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3460 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Staak
tung durch Funktion übernommen und möchte über die Auslegung dieser Konferenz durch Herrn Katzer hier doch einige Bemerkungen machen. Ich stelle interessiert fest, daß es hier von der CDU großen Beifall gab auf die Bemerkung des Abgeordneten Häfele, daß Sie die Forderungen der Arbeitnehmerkonferenz hier übernehmen.
Aber ich bin auch etwas amüsiert, daß Sie sich auf diese Weise selbst ein imperatives Mandat unterschieben wollen. Wir Sozialdemokraten sind da etwas freier.
Meine Damen und Herren, diese Konferenz hat mit Selbstbewußtsein die Forderungen aus den Betrieben diskutiert.
Wir haben deutlich gemacht: diese Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen ist kein Flügel in der SPD, sondern sie ist Ausdruck dieser Arbeitnehmerpartei. Das ist etwas anderes als das, was bei Ihnen mit Flügeln und Flügelehen so am Rande dahinlebt.
Wir sind uns einig darüber, daß die Steuerreform1 kommen muß. Das ist auf der Konferenz eindeutig festgestellt worden. Hier gab es eine einhellige Meinung. Natürlich haben die Arbeitnehmer, die sich dort artikulierten, in Sachen Weihnachtsfreibetrag ein sofortiges Vorziehen verlangt.
Aber wenn Sie den Arbeitnehmern unterstellen wollen, daß sie nur auf Einzelteile aus sind, die Sie ihnen anbieten, dann haben Sie diese Menschen nicht begriffen. Denen geht es um die Gesamtkonzeption.
Die Strategie der CDU, die Sie hier durch pauschale Erhöhung der Freibeträge entwickeln und die zu Mindereinnahmen von fast 10 Milliarden DM führt, schafft keine Gerechtigkeit insgesamt.Wenn der Weihnachtsfreibetrag das einzige ist, was Sie anzubieten haben, muß ich sagen: wir, die Arbeitnehmer, wollen dieses CDU-Gesamtkonzept nicht, weil es keins ist und den Menschen draußen nicht hilft.
Das ist die Situation. Wir brauchen hier auch keine Belehrungen.
Wir wollen, daß die Steuerreform nicht zerschlagenwird. Diese Steuerreform schafft erstmals nach demKriege endlich die Gerechtigkeit für untere und mittlere Einkommen, die die Menschen erwartet haben, und sie belastet die hohen Einkommen.
Das ist die Situation.Herr Katzer, ich möchte Ihnen noch eines sagen. Man muß auch über etwas reden, was kein Antrag geworden ist. Es hat viele besorgte Stimmen gegeben, und die Betreffenden sind heraufgegangen und haben gefragt: Was wird mit dem CDU-Vorschlag nach der Einführung eines Konjunkturzuschlages? Die Arbeitnehmer waren aber selbstbewußt genug, um dazu gar nichts zu fordern, weil sie sich auf diese Regierung verlassen können, weil sie sich darauf verlassen können, daß er nicht kommt.
Herr Katzer, Sie haben gesagt, Sie seien in Übereinstimmung mit dieser Arbeitnehmerkonferenz.
Ich stelle hier fest: Sie sind damit nicht in Übereinstimmung, weil Sie gar nicht in die Sachdebatte eingestiegen sind. Ihnen stehen unsere Federn nun einmal nicht. Das ist der Unterschied zwischen uns.
Wir haben in Duisburg auch festgestellt — Bundesminister Schmidt hat das gesagt, und dies ist mit Beifall aufgenommen worden —, daß die Nettoeinkommen von 1969 bis heute real um 20'0/o gestiegen sind und somit den Arbeitnehmern unter dem Strich etwas gebracht haben. Entscheidend ist doch, was in der Tüte bleibt.Sie haben dann gesagt, die Tinte sei noch nicht trocken, und nun sollten wir hier mal zum Schwur kommen und mit Ihnen stimmen. Auf solche Abenteuer lassen wir uns nicht ein. Wir erinnern Sie an Ihre Haltung beim Betriebsverfassungsgesetz, und wir haben noch einige Proben bei der Frage der Mitbestimmung und anderen gesellschaftspolitischen Forderungen wie auch der Humanisierung der Arbeitswelt vor uns. Da werden Sie zum Schwur kommen. Sie brauchen hier eine Plattform, um sich Gewichte für den Parteitag der CDU in Hamburg anhängen zu können.
Nur: dies können Sie mit uns nicht machen; die müssen Sie sich schon selbst erarbeiten.Wo wir schon einmal beim Gewichteheben sind, Herr Katzer — da wollen wir beide mal lieber nicht anfangen —: das ist vor Ihrem Parteitag nur mit leeren Kugeln zu machen, aber nicht mit echten Eisengewichten, mit denen wir Arbeitnehmer ständig umzugehen haben.
Die SPD-Bundesarbeitnehmerkonferenz hat — das ist noch ein wesentlicher Unterschied auch hinsicht-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3461
Staak
lieh der Position in Ihrer Partei und auch in Ihrer Fraktion — ihre Forderungen an die Regierung und an die Fraktion gerichtet, nicht an die CDU.
Wir lassen hier nicht mit den Arbeitnehmerinteressen spielen. Unsere Wünsche und Forderungen werden wir in die Diskussion um das Steuerreformpaket einbringen, und das ist in der SPD-Fraktion. Das ist unser Weg, meine Damen und Herren von der Opposition. Stabilitätspolitik ist für uns immer auch Arbeitnehmerpolitik. Dies hat die Bundesarbeitnehmerkonferenz sehr deutlich gemacht.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen in der zweiten Beratung. Ich rufe zunächst Art. 1 Nr. 1 auf. Hierzu ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Wir stimmen über Art. 1 Nr. 1 in namentlicher Abstimmung ab.
Wir fahren inzwischen in der Abstimmung fort. Ich rufe Art. 1 Ziffern 2, 3, 4, 5 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Abgelehnt.
Ich rufe Art. 2 Ziffern 1, 2, 3 auf. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! Abgelehnt.
Art. 3, 4 sowie Einleitung und Überschrift! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Ich danke. Gegenprobe! Abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir warten jetzt noch auf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung. Ich nehme an, daß ich in etwa fünf Minuten das Ergebnis bekanntgeben kann und daß wir dann in die Fragestunde eintreten können.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich 410 Mitglieder des Hauses und 20 Berliner Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben 184 Mitglieder, mit Nein 226 Mitglieder gestimmt. Von den Berliner Kollegen haben 8 mit Ja und 12 mit Nein gestimmt.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 410 und 20 Berliner Abgeordnete, davonJa: 184 und 8 Berliner AbgeordneteNein: 226 und 12 Berliner AbgeordneteJaCDU/CSUDr. AbeleinAlbervon Alten-Nordheim D. AlthammerBaierD:. BarzelDr. Becher Dr. Becker
Frau. Benedix
BenzBerger BewerungeBiecheleBiehleD:. Dr. h. c. Birrenbach Dr. von BismarckDi. Blümvon BockelbergBöhm BraunBreidbachBremer Bremm Dr. BurgbacherBurgerCarstens
Dr. Carstens Dr. CzajaDreyer EigenEngelsbergerDr. ErhardErnesti Dr. EversEyDr. EyrichFerrangFreiherr von Fircks Franke Dr. FranzDr. FreiwaldDr. FrerichsDr. FrühDr. FuchsGeisenhoferGerlach Gerster (Mainz) GierensteinDr. GölterDr. Götz Dr. GruhlHaase
Dr. HäfeleDr. HammansHandlos von HasselHauser
Hauser (Krefeld)
Dr. Hauser Dr. HeckHöcherl HöslDr. Hornhues HorstmeierFrau HürlandJäger
Dr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJosten Katzer KiechleDr. Klein Dr. Klein (Stolberg) Di. Köhler (Wolfsburg) KösterD:. KraskeD:. KreileKroll-SchlüterFreiherrvon Kühlmann-StummDr. Kunz LagershausenLampersbachLeichtDr-. Lenz
Lenzer LinkLöherDr. LudaDr. MartinMaucherMemmelDr. MendeDr. Mertes
MickDr. MiltnerMilzMöller
Müller
Dr. Müller-HermannMursch
Dr. NarjesFrau Dr. NeumeisterNiegel NordlohneDr.-Ing. OldenstädtOrgaß PfeffermannPieroth PohlmannDr. PrasslerDr. ProbstRainer Rawe ReddemannDr. Riedl
Dr. RitgenDr. Ritz Röhner RollmannRommerskirchenRoser Russe Sauer
Sauter
Prinz zu SaynWittgenstein-HohensteinDr. SchäubleSchedl SchmidhuberSchmitt
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Dr. Schröder Schröder (Lüneburg)Schröder Schulte
Dr. Schulze-VorbergSeiters SickSolkeD:. FreiherrSpies von BüllesheimSpilker SprangerSpringorumDr. SprungDr. Stark
Graf StauffenbergDr. StavenhagenFrau StommelStrauß Susset de TerraThürk Tillmann
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3462 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Wiefel. WienandWilhelmWischnewskiDr. de WithWittmann
WolfWrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander Zebisch ZeitlerBerliner AbgeordneteDr. Arndt
BühlingDr. DübberEgertHeyen Löffler Dr. SchellenbergFrag SchleiSchwedlerSieglerschmidtWurcheFDPDr. BangemannBaumDr. BögerChrist EngelhardFrau FunckeGallus Geldner GroßGrünerDr. HirschHölscherHoffie JungKirstKleinert LogemannFrau LüdemannMertes MöllemannMoerschOllesch OpitzScheelSchmidt
Frau SchuchardtSpitzmüllerDr. VohrerWurbs ZywietzBerliner Abgeordneter HoppeDr. Todenhöfer Frau TüblerD:. UnlandVeharFrau VerhülsdonkVogel
VogtVolmerDr. Waffenschmidt Wagner
Dr. Wagner
Dr. WaigelDr. Wallmann Frau Dr. Walz D:. WarnkeWawrzikWernerFrau Dr. Wex Frau Will-Feld WindelenWissebachDr. Wittmann Dr. WörnerFrau Dr. Wolf Dr. WulffDr. ZeitelZeyerZieglerDr:. Zimmermann ZoglmannBerliner AbgeordneteFrau Berger Dr:. GradlKunz
Müller
Frau PieserDr. Schulz StraßmeirWohlrabeNein SPDAhlers Amling Anbuhl Dr. ApelArendt BaackBäuerle Barche BahrDr. BardensBatzDr:. BayerlBecker
Dr:. BeermannBiermannBlankDr. Böhme BörnerFrau von Bothmer BrandtBrandt BrückBüchler
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Dr. von BülowBuschfortColletConradi CoppikFrau Däubler-Gmelin DürrEckerlandD:. EhmkeDr. EhrenbergFrau Eilers
Dr. EmmerlichDr. Enders Engholm Dr, Eppler EstersEwenDr. Farthmann Fellermaier FiebigDr. Fischer Frau Dr. FockeFranke FrehseeFriedrich GanselGeigerGerstl
GertzenGlombig Dr. Glotz Gnädinger Grobecker Grunenberg Dr. Haack HaarHaase
Haase HaehserDr. Haenschke Halfmeier HansenHauckDr. Hauff HenkeHermsdorf HeroldHöhmann Hofmann HornFrau Huber Huonker ImmerJahn
Dr. JensJunghans JunkerKaffkaKahn-AckermannKaterKernKoblitzKonradKratzDr. Kreutzmann Krockert Kulawig LambinusDr. LauritzenLeberLempLendersLiedtkeLöbbertDr. Lohmar LutzMahneMarquardt Marschall Matthöfer Frau MeermannDr. Meinecke Meinecke (Oberhausen) MetzgerMöhringMüller Müller (Mülheim) Müller (Nordenham) Müller (Schweinfurt)Dr. Müller-Emmert NagelDr.-Ing. OettingOffergeld. FreiherrOstman von der Leye PawelczykPeiterDr. Penner Polkehn PenskyPorznerRapp
Rappe RavensReiserFrau Renger ReuschenbachRohdeRosenthal SanderSaxowskiSchäfer
Dr. Schäfer SchefflerScheuFrau SchimschokSchinzel Schirmer Schlaga SchluckebierDr. Schmidt Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Wattenscheid) Dr. Schmitt-Vockenhausen Dr. SchmudeDr. Schöfberger Schonhofen Schreiber Schulte
Dr. SchweitzerDr. SchwenckeSeibertSimonSimpfendörferDr. SperlingSpilleckeStaak
Stahl
SuckSundFrau Dr. TimmTönjesUrbaniak Vahlberg VitDr. Vogel VogelsangWalkhoff WaltematheWaltherDr. Weber
Wehner WendeWendtDr. Wernitz Westphal Dr. WichertDamit ist Art. 1 Ziffer 1 in zweiter Beratung abgelehnt. Da in den anderen Einzelabstimmungen auch alle übrigen Teile des Gesetzentwurfs abgelehnt worden sind, unterbleibt gemäß § 84 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung und Abstimmung.Die Sitzung wird nach einer kurzen Unterbrechung mit der Fragestunde fortgesetzt.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3463
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
Drucksache 7/1122, 7/1146 —
Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, daß wir — abweichend von den Richtlinien für die Fragestunde — in dieser Woche zwei Fragestunden mit einer jeweiligen Dauer von 90 Minuten durchführen. Gemäß § 127 unserer Geschäftsordnung muß diese Abweichung von der Geschäftsordnung beschlossen werden. Erhebt sich dagegen, daß wir so verfahren, wie soeben vorgeschlagen worden ist, Widerspruch?
Das ist nicht der Fall; dann verfahren wir so.
Damit, meine Damen und Herren, können wir mit der Fragestunde beginnen. Vor der Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer auf Drucksache 7/1146 aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft muß ich die Fragen 44 und 45 des Herrn Abgeordneten Schröder und die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Eigen auf Drucksache 7/1122 aufrufen, da sie zum selben Fragenkreis gehören und vorher eingereicht worden sind. Zur Beantwortungdieser Fragen steht der Herr Bundeswirtschaftsminister persönlich zur Verfügung.
Ich rufe also die Frage 44 ,des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Welche Möglichkeiten der Einflußnahme über das Bevorratungsgesetz hinaus hat die Bundesregierung gegenwärtig, um hei einem Anhalten des Nahostkrieges und sich daraus ergebenden Schwierigkeiten eine Versorgung mit Rohöl- und Mineralolprodukten über einen längeren Zeitraum sicherzustellen?
Bitte schön, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, für den Fall, daß es infolge des Nahost-Konflikts zu nennenswerten Ausfällen von Mineralöleinfuhren auf dem deutschen Markt kommen sollte, werden wir uns vor allem auf die Möglichkeit einer abgestuften mengenmäßigen Verknappung einzurichten haben. Hierfür sieht unser Stufenplan vor: Rückgriff auf die kommerziellen Bestände der Gesellschaften in Verbindung mit auf freiwilliger Grundlage praktizierten Maßnahmen der Mineralölgesellschaften zur ratenweisen Belieferung ihrer Abnehmer, sukzessive Freigabe der Pflichtvorräte, administrative Maßnahmen zur Verbrauchsbeschränkung.
Von wesentlicher Bedeutung für die Bewältigung einer Krise sind zunächst die Vorräte, die bei Raffinerien und Importeuren lagern und die zur Zeit einem Verbrauch von 68 Tagen entsprechen.
Zu diesen Vorräten auf Grund der gesetzlichen Bevorratungspflicht kommen Bestände beim Handel und beim Verbraucher. Beim Heizöl wird die Verbraucherbevorratung auf etwa vier Monate geschätzt. Diese günstige Bevorratungssituation gibt uns bei einer normalen Belieferung der Verbraucher ein weitgehendes Sicherheitspolster. Für den Fall, daß in einer ernsteren Versorgungskrise auch Einschränkungen beim Verbrauch von Mineralölprodukten erforderlich werden sollten, wären dann Nebenmaßnahmen zur Verbrauchsbeschränkung zu treffen.
Im Bundeswirtschaftsministerium liegt der Entwurf eines entsprechenden Gesetzes sowie der dazu gehörigen Verordnungen vor. Dieser Gesetzentwurf ist nach Verabschiedung des Energieprogramms der Bundesregierung unverzüglich erarbeitet worden. Ich habe bisher davon Abstand genommen, den Gesetzentwurf den gesetzgebenden Körperschaften zuzuleiten, weil uns der Zeitpunkt im Augenblick ungünstig erscheint; durch die Vorlage des Gesetzentwurfs wäre möglicherweise eine zusätzliche Paniksituation herbeigeführt worden.
Herr Kollege, bitte eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sehen Sie im Zusammenwirken mit den Mineralölgesellschaften — über das, was Sie soeben in Ihrer Antwort vorgetragen haben, hinausgehend — eine Möglichkeit, gegen überraschend einsetzende sogenannte Hamsterkäufe vorbeugend tätig zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt die theoretische Möglichkeit, auch auf der Preisseite Festsetzungen zu treffen. Die Bundesregierung hat jedoch von derartigen Reglementierungen bisher bewußt Abstand genommen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Keine.
Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Gibt es ein gemeinsames Koordinierungsgremium und ein abgestimmtes Krisenversorgungsprogramm der EG für den Fall der Rohölversorgungsschwierigkeiten infolge des Nahostkrieges?
Bitte, Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für den Fall, daß es zu Schwierigkeiten in der Mineralölversorgung in der Gemeinschaft kommen sollte, beruft die Kommission einen besonderen Ausschuß ein, der sich aus Vertretern aller Mitgliedsländer zusammensetzt. Aufgabe dieses Ausschusses ist vor allem die Konsultation und Koordinierung nationaler Maßnahmen über die Entnahme von Mineralölprodukten aus den Pflichtvorräten, Empfehlung von spezifischen oder globalen Einschränkungen des Mineralölverbrauchs und der dabei festzusetzenden Prioritäten, Preisvorschriften zur Ausschaltung anomaler Preiserhöhungen.
Weitere Einzelheiten sind in der Richtlinie des Rates vom 24. Juni 1973 über Maßnahmen zur Abschwächung der Auswirkungen von Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Erdöl und Erdölerzeugnissen enthalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
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3464 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Herr Bundesminister, handelt es sich bei dem, was Sie vorgetragen haben, lediglich um Empfehlungen, die von dem von Ihnen genannten Gremium ausgehen können, oder sind diese Beschlüsse für die nationalen Regierungen auch bindend?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Soweit ich Ihnen die Frage aus dem Stegreif beantworten kann, ist ein Teil der Maßnahmen für die Regierungen bindend.
Ich rufe die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Kann aus der Antwort der Bundesregierung auf meine Anfrage Nr. 23 vom 3. Oktober 1973, daß sie den von dieser Heizölpreisentwicklung im besonderen Maße betroffenen Unter-glasbetrieben des Gartenbaues keine Empfehlung zur Energieversorgung geben kann, geschlossen werden, daß sie keine energiepolitische Konzeption hat, die auf eine Sicherung der Energieversorgung der betroffenen Wirtschaftsbereiche abzielt?
Bitte, Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ungeachtet der Tatsache, daß die Formulierung Ihrer Frage darauf hindeutet, daß Sie eine negative Antwort erwarten, möchte ich nicht mit Nein, sondern mit einem Inhalt antworten.
Ich habe in meiner Antwort vom 5. Oktober bereits darauf hingewiesen, daß das Energieprogramm der Bundesregierung aus der Natur der Sache heraus keine Empfehlungen für einzelne Wirschaftszweige enthalten kann, sondern das Rahmenkonzept für die Sicherung der Energieversorgung der Volkswirtschaft insgesamt und die Lösung der damit verbundenen Probleme darstellt. Innerhalb dieses jeweils vorgegebenen Rahmens und der damit gesetzten Daten bedarf es dann der sorgfältigen Prüfung etwaiger Auswirkungen auf die einzelnen Wirtschaftszweige und Verbrauchergruppen und der Konkretisierung etwa für erforderlich gehaltener Maßnahmen.
Im übrigen stellt der Ihrer Anfrage zugrunde liegende Tatbestand kein Mengenproblem, sondern eine reine Preisfrage dar. Die weitere Preisentwicklung, deren hektische Ausschläge nicht als repräsentativ aufgefaßt werden können und die nicht nur die Kalkulation der Gartenbaubetriebe, sondern weite Bereiche der Wirtschaft beeinflussen dürfte, läßt sich angesichts der jüngsten Entwicklungen im Nahostkonflikt auch in ihren gesamten Auswirkungen noch nicht abschließend beurteilen. Sollte es sich um ein spezielles Problem einer einzigen Branche handeln, so kann dieses nicht über die Energiepolitik, sondern muß notwendigerweise über die für diesen Bereich zuständigen Kollegen gelöst werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte.
Sind Sie mit mir einer Meinung, Herr Minister, daß der deutsche Gartenbau, soweit er vor allen Dingen unter Glas tätig ist, einer ganz besonderen Konkurrenz aus den Niederlanden ausgesetzt ist, wo mit staatlicher Hilfe die Umstellung auf Erdgas durchgeführt worden ist, und daß die Konkurrenzsituation außerordentlich angespannt ist, weil über 60 % des gesamten Imports, beispielsweise Gurken, Tomaten und Salat, aus den Niederlanden kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Konkurrenzsituation der Gartenbaubetriebe bis zum Ende des Jahres 1969 war mir aus meiner Tätigkeit als Staatssekretär in einer Landesregierung im dafür zuständigen Ressort bekannt. Aus dieser Tätigkeit war mir auch die Ertragssituation dieses Bereiches bekannt. Ich gestehe, daß ich mich mit der Entwicklung seitdem wegen Übernahme einer anderen Funktion nicht im gleichen Ausmaß beschäftigt habe.
Keine weitere Zusatzfrage? — Danke schön.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Althammer — Drucksache 7/1146 — auf :
Trifft es zu, daß ein Großteil der Heizöleinzelhändler leichtes Heizöl für die Haushaltungen zurückhält, obwohl von den Lieferanten her keine Verknappung eingetreten ist, und wenn ja, welche Maßnahme will die Bundesregierung ergreifen, um die Heizölversorgung der Bevölkerung zu angemessenen Preisen sicherzustellen?
Bitte, Herr Bundesminister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist nicht auszuschließen, Herr Abgeordneter, daß einzelne Heizölhändler in der Tat Ware aus spekulativen Gründen zurückhalten. Für den Großteil des Heizöleinzelhandels hält die Bundesregierung dies jedoch für nahezu ausgeschlossen. Die zirka 17 500 Einzelhändler besitzen meist nur verhältnismäßig kleine Heizöltanks, die derartige Manipulationen in der Regel ausschließen. Außerdem sind etwa 80 0/o aller Lieferungen, die die Heizölhändler tätigen, sogenannte Streckengeschäfte, d. h. Geschäfte, bei denen die Ware direkt vom Steuerlager der Raffinerie oder des Großhändlers an den Verbraucher geliefert wird, ohne daß das Lager des Einzelhändlers berührt wird.Es dürfte richtig sein, daß die Lieferanten ihre Kunden in der letzten Zeit normal beliefert haben. Im Oktober werden allen 4,5 Millionen Tonnen gegenüber 3,5 Millionen Tonnen im Oktober vorigen Jahres über den Heizöleinzelhandel an die Verbraucher abfließen. Dementsprechend günstig wird die Bevorratung bei den Verbrauchern beurteilt. Etwa 75% des für die Wohnraumbeheizung bei den Verbrauchern vorhandenen Heizältankraums sind be-füllt. Das sind etwa 13 Millionen Tonnen, die bei den Haushalten lagern. Damit ist bereits jetzt die Hälfte eines Jahresbedarfs gedeckt. Die Bevorratung der kleingewerblichen Verbraucher dürfte ebenfalls recht günstig liegen. Dieser Sektor hat einen Gesamtjahresbedarf von 15 Millionen Tonnen und eine Tankraumkapazität von 8 Millionen Tonnen, von denen 5 Millionen Tonnen befüllt sein dürften. Somit ist etwa ein Drittel des Jahresbedarfs dieser Gruppe abgedeckt.Ich könnte mir vorstellen, daß der Eindruck des Zurückhaltens von Ware dadurch entstanden sein
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3465
Bundesminister Dr. Friderichskann, daß in einer Reihe von Fällen nicht die jeweils gewünschten Mengen, sondern nur eine Teilmenge ausgeliefert worden ist.Unabhängig von dieser relativ günstigen mengenmäßigen Versorgungslage zeigen sich erhebliche Diskrepanzen bei der Preisstellung der einzelnen Händler. Diese Unterschiede, die bei bis zu 10 Pfennig pro Liter liegen, beruhen darauf, daß die inländischen Raffinerien ihre Kunden zu einem Abgabepreis beliefern, der etwa bei 20 Pfennig pro Liter liegt, während die Händler, die sich aus Importen über Rotterdam versorgen müssen, dort jetzt 30 Pfennig und mehr pro Liter bezahlen müssen. Dabei fällt ins Gewicht, daß der Bedarf an leichtem Heizöl zu rund 37 °/o aus Importen gedeckt werden muß, da die Produktionskapazität der Inlandsraffinerien nicht ausreicht. Die Bundesregierung ist bemüht, das Preisniveau für alle Verbraucher in der Bundesrepublik möglichst niedrig zu halten, wobei allerdings im Vordergrund ihrer Sorge steht, daß der Bedarf der Verbraucher mengenmäßig voll gedeckt werden kann.Hierfür hat sie folgendes in die Wege geleitet. Die Raffineriegesellschaften werden eine Auffangstelle errichten, die auftretende Schwierigkeiten in der Belieferung der Verbraucherschaft in mengenmäßiger und preislicher Hinsicht beheben soll, seien die Schwierigkeiten auch nur sektoraler oder regionaler Art. Dabei sollen traditionelle Abnehmer entsprechend ihren bisher bezogenen Mengen berücksichtigt werden.Die Bundesregierung hat darauf hingewirkt, daß die in ihrem Einflußbereich operierenden inländischen Raffineriegesellschaften ihr Preisniveau stabilisieren und nicht an den gestiegenen Importpreisen in Rotterdam orientieren. Ich muß hinzufügen, daß diese Absprache mit den Mineralölgesellschaften kartellrechtlich zunächst abgesichert werden mußte. Dies ist geschehen.Die Bundesregierung hofft — gerade mit der letzten Maßnahme — einen mäßigenden Einfluß auf das Preisniveau in Rotterdam ausüben zu können. Sie hegt die Erwartung, daß der große deutsche Markt die Preisbildung in Rotterdam wesentlich mitbestimmt, und gründet darauf die Hoffnung, daß sich die Preisunterschiede zwischen Inland- und Importware und — damit verbunden — die ungleiche Belastung der deutschen Verbraucher in Kürze vermindern. Diese Hoffnung setzt allerdings voraus, daß der Waffenstillstand anhält und nicht neue Probleme in den Förderländern, sei es in der Förderung oder in der Verschiffung, auf uns zukommen.
Zusatzfrage? — Bitte, Herr Kollege.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß mindestens in Teilen der Bundesrepublik inzwischen Preissprünge für den Endverbraucher von Heizöl bis zu 48 Pf eingetreten sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Derartige Preissprünge sind uns bekannt. Ich muß allerdings darauf hinweisen, daß leider in häufigen Fällen das nicht sehr vernünftige Verhalten dazu beigetragen hat. Es ist unbestreitbar, daß Verbraucher, die noch ausreichend 01 in ihren Tanks haben, jede Chance nutzen, auch noch den letzten Kubikzentimeter aufzufüllen, obwohl dies von der derzeitigen Situaton her nicht erforderlich wäre. Dies trägt selbstverständlich zu derartigen Preissprüngen bei.
Weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, hat die Bundesregierung Möglichkeiten, über die von Ihnen bereits geschilderten Maßnahmen hinaus noch etwas zu tun, um sowohl hinsichtlich der Preisentwicklung wie auch der Versorgung eine bessere Situation herbeizuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind in einem ständigen Gespräch mit den Mineralölgesellschaften, am Montag auch mit den Mineralölimporteuren gewesen. Dies sind Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Von einem Eingriff in die Preisgestaltung mit administrativen Maßnahmen hat die Bundesregierung abgesehen. Sie beabsichtigt — sofern die Entwicklung ihren Erwartungen entsprechend verläuft —, weiterhin davon Abstand zu nehmen, da sie diesen aus ordnungspolitischen, aber auch aus versorgungspolitischen Gründen nicht für angebracht hält.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Evers.
Herr Minister, nachdem die von Ihnen eingenommene Haltung in der jetzigen Situation überwiegend erfolgreich gewesen ist, frage ich: Würden Sie bereit sein, nach der Beendigung der gegenwärtigen Versorgungsprobleme dem Hause Überlegungen darüber mitzuteilen, wie für künftige derartige Fälle möglicherweise die Bevorratung noch weiter verbessert werden könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens bin ich selbstverständlich dazu bereit. Zweitens beabsichtigen wir, die Pflichtvorräte noch einmal erheblich zu erhöhen. Schließlich, drittens, beabsichtige ich, unverzüglich nach Beendigung der Krise — in dem Augenblick, in dem zu einer panikartigen Situation auch keine Veranlassung mehr besteht — den gesetzgebenden Körperschaften einen entsprechenden Gesetzentwurf zuzüglich der dazugehörigen Verordnungen zuzuleiten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ehrenberg.
Herr Minister, sind Ihnen aus dem vielfältigen Meinungsspektrum der Opposition Überlegungen bekannt, mit welchen marktwirtschaftlichen Mitteln man dort einer solchen Situation zu begegnen gedächte?
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3466 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin überfragt, weil ich nicht genau katalogisiert habe, aus welchen Bereichen die Anregungen, die meinem Hause zugegangen sind, im einzelnen stammen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Biehle.
Herr Minister, haben Sie bei Ihrer sehr optimistischen Darstellung der Situation auch die Tatsache berücksichtigt, daß z. B. in Rotterdam die Entladung der Seeschiffe, der Tankschiffe, nicht in der bisher üblichen Form erfolgt, sondern nur minimale Mengen in die Tanks abgegeben werden — aus den verschiedensten Gründen — und dadurch die Seeschiffe von einem Hafen zum anderen verschoben werden müssen, weil man sehr zurückhaltend ist, u. a. wegen der Preissituation?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen auf diese Frage keine klare Antwort geben; ich bitte um Entschuldigung.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Haase.
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die vom Handel verlangten Preise gegenüber dem Endverbraucher angemessen sind, gemessen an den Ölvorräten und der Situation, die wir im Augenblick haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage kann nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantwortet werden. Bei den Gesellschaften, bei denen wir die Raffinerieabgabepreise und die Letztverbraucherpreise kennen, scheint uns die Handelsspanne in etwa so zu sein, wie sie vorher auch war. Es ist im Einzelfall nicht leicht zu beurteilen, ob die für bestimmte Mengen verlangten Endverbraucherpreise in einer bestimmten Relation zu den Einkaufspreisen stehen; das gilt insbesondere für Importware. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß auch hektische Nachfragebewegungen dazu führen, daß überhöhte Preisforderungen gestellt werden. Dies ist in diesem Ordnungssystem beinhaltet.
Eine Zusatzfrage. Herr Kollege Sauter, bitte!
Herr Bundesminister, sind nicht auch Sie der Auffassung, daß nach Ablauf dieser Krisensituation der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem die Bevölkerung darauf aufmerksam gemacht werden müßte, daß wir auch im eigenen Lande noch hervorragende Brennstoffe haben, und daß diese stärker in das Bewußtsein der Bevölkerung gerückt werden müßten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß die Bundesregierung mit der Vorlage ihres Energieprogramms deutlich gemacht hat, auf welche Rohenergiearten sie die zukünftige Versorgung zu stellen beabsichtigt. Ich habe in den letzten Tagen auch zu der Frage Stellung genommen, ob es ohne weiteres möglich wäre, ausbleibende Mineralölmengen z. B. durch einheimische Kohle zu substituieren. Selbstverständlich werden wir nicht nur nach den konkreten aktuellen Ereignissen, sondern auch unter Berücksichtigung der Folgewirkungen, das Energieprogramm weiter bearbeiten.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Gansel wird auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Herr Bundesminister Eppler steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Der Herr Abgeordnete Dr. Jahn ist nicht im Saal; seine Frage 4 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Wie ist der gegenwärtige Stand unserer deutschen Gewerbeschulen im Ausland?
Herr Bundesminister!
Herr Kollege Josten, ich gehe davon aus, daß Sie die Projekte der gewerblichen Berufsausbildung ansprechen, die insbesondere in den ersten Jahren der deutschen Entwicklungshilfe in starker Anlehnung an die deutschen Gewerbeschulen konzipiert worden sind. Diese enge Anlehnung an das heutige deutsche Berufsbildungssystem entsprach naturgemäß nicht immer optimal den Bedürfnissen, den finanziellen Möglichkeiten und dem Entwicklungssystem in den jeweiligen Entwicklungsländern, ganz abgesehen davon, daß wir auch in der Bundesrepublik die bisher praktizierte Form der betrieblichen Berufsausbildung nicht für richtig halten.Der Bereich der beruflichen Ausbildung ist aber nach wie vor ein wesentlicher Bestandteil unserer Entwicklungspolitik. Im Grundsatzprogramm der Bildungs- und Wissenschaftshilfe der Bundesregierung vom Dezember 1971 ist festgelegt worden, daß die Förderung der beruflichen Bildung im Rahmen der länderbezogenen Hilfsprogramme in engem Verbund mit der Entwicklung eines Sektors geplant werden soll. Entsprechend den Schwerpunkten der entwicklungspolitischen Konzeption der Bundesregierung sollen vor allem in solchen Bereichen Fachkräfte ausgebildet werden, in denen durch arbeitsintensive Produktionsweisen Einkommen in sozial schwächeren Bevölkerungsschichten geschaffen werden. Daher wird die berufliche Ausbildung stärker im ländlichen Bereich, und zwar in Form einer möglichst
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3467
Bundesminister Dr. Eppleranwendungsnahen Ausbildung und Beratung, gefördert werden.Innerhalb der stärker industrialisierten Regionen sollen künftig multifunktionale Berufsbildungsvorhaben mit einem vielseitigeren Bildungsangebot unterstützt werden. Eine größere Breitenwirkung soll dadurch erzielt werden, daß Beratungshilfe beim Ausbau der Berufsbildungssysteme und die Ausbildung von Lehrkräften und mittleren Fachkräften stärker einbezogen werden sollen.Insgesamt wurden bzw. werden im Rahmen der technischen Hilfe 106 Berufsbildungsprojekte mit insgesamt 652,9 Millionen DM gefördert. Bei den 106 Projekten handelt es sich um 75 Ausbildungsstätten, 15 Beratungsvorhaben und 16 Gutachten bzw. Lehrmittellieferungen. In Afrika wurden 28 Berufsbildungsvorhaben mit 248,4 Millionen DM, in Asien 49 mit 215,2 Millionen DM, in Lateinamerika 29 Projekte mit 189,3 Millionen DM gefördert.
Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege!
Herr Minister, kann ich trotz der Änderung, die Sie angedeutet haben, nachdem sich die damalige Bundesregierung in der ersten Dekade, etwa von 1960 bis 1970, für die Schaffung von ca. 60 Facharbeiterschulen in Entwicklungsländern ausgesprochen hatte, davon ausgehen, daß dieses Ziel auch von der jetzigen Regierung weiterverfolgt wird und daß diese Größenordnung beibehalten werden soll?
Herr Kollege Josten, wir wollen weder die Zahl noch den Stellenwert innerhalb der Entwicklungspolitik verändern, sondern wir wollen die Art und Weise, wie wir solche Schulen aufbauen, ändern, um sie dem Bedarf in den Entwicklungsländern unmittelbarer anzupassen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie bereit, mir von Ihrem Hause eine Aufstellung über unsere gewerblichen Ausbildungsstätten in Entwicklungsländern anfertigen zu lassen, in der Finanzbedarf, Bauzustand, Lehrkräfte- und Schülerzahl aufgeführt sind, um daraus ersehen zu können, wieweit die von Ihnen neu entwickelte Phase der früheren Form noch entspricht bzw. Verbesserungen bringt?
Das werde ich sehr gerne tun, Herr Kollege Josten. Nur möchte ich einen Zusatz machen. Sie haben vom Bauzustand gesprochen. Wir bauen keine Schulen, gebaut werden sie von den jeweiligen Entwicklungsländern. Wir entsenden nur Experten und das entsprechende Material. Aber sonst bin ich, wie gesagt, gern bereit, Ihnen die gewünschte Information zukommen zu lassen.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Wolf.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, wie wird dafür gesorgt, daß die Absolventen dieser Gewerbeschulen einen ihrer Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz finden, sei es im städtischen Bereich durch Eingliederung in Industriebetriebe, sei es im ländlichen Bereich, um, wie Sie soeben angedeutet haben, selbständig tätig werden zu können?
Frau Kollegin Wolf, ich habe vorhin gesagt, daß wir stärker im Zusammenhang mit Sektorprogrammen arbeiten, d. h. immer weniger einzelne Ausbildungsstätten schaffen wollen. Wir wollen vielmehr innerhalb von bestimmten Sektorprogrammen z. B. der ländlichen Entwicklung auch Ausbildungsstätten für ländliche Entwicklungen schaffen, so daß also diese Projekte nicht mehr vereinzelt dastehen und damit die Probleme auftreten, von denen Sie sprachen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Bundesminister.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haar zur Verfügung. Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dr. Kempfler ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Frage 6 des Herrn Abgeordneten Sauer:
Hat die Bundesregierung Kenntnis genommen von der in der Zeitschrift der Deutschen Bundesbahn „Schöne Welt", Ausgabe Oktober-Heft 1973, Seite 6, gewählten Bezeichnung für die Bundesrepublik Deutschland — Deutsche Bundesrepublik —, und wenn dies der Fall sein sollte, hat sie Anweisung erteilt, zukünftig die offizielle Bezeichnung für unser Land in der Zeitschrift der Deutschen Bundesbahn zu verwenden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Sauer, die Bundesregierung hat mit Bedauern von der Bezeichnung Kenntnis genommen, die für die Bundesrepublik Deutschland in der Zeitschrift „Schöne Welt", Ausgabe Oktober 1973, verwendet worden ist. Die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn wird sicherstellen, daß in Zeitschriften der Deutschen Bundesbahn stets die offizielle Bezeichnung für die Bundesrepublik Deutschland verwendet wird.
Danke schön, Herr Staatssekretär! Ist die Bundesregierung ferner bereit, da auch bereits auf dem Flugsektor der Öffentlichkeit neue Landkarten vorgestellt werden, bei der Bundesbahn vorzusprechen, um zu erfahren, ob hier Änderungen vorbereitet werden?
Wir werden diese Frage mit dem Bundesbahnvorstand erörtern.
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3468 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Zusatzfrage, bitte Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich in der gleichen Ausgabe auch eine falsche Bezeichnung des Landes Berlin findet?
Herr Kollege, das ist mir nicht bekannt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 7 ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen zu Frage 8 des Herrn Abgeordneten Wende. — Der Fragesteller ist nicht im Saal. Dann wird diese Frage ebenso wie seine Frage 9 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Nach welchen Gesichtspunkten will die Deutsche Bundesbahn den Stückgutverkehr auf zahlreichen Bahnhöfen aufgeben, wie ist dies der Wirtschaft und der Bevölkerung förderlich, und wie vereinbart sich dieses Vorhaben mit den raumordnerischen Zielen, eine passive Sanierung der ländlichen Räume zu verhindern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, wie Ihnen bekannt ist, hat die Deutsche Bundesbahn erst kürzlich ihre Absichten konkretisiert. Es handelt sich hierbei zunächst um Überlegungen der Bundesbahn unter unternehmenspolitischen Aspekten, die auch auf Vereinbarkeit mit den raumordnerischen Zielvorstellungen geprüft werden. Darüber ist in der letzten Sitzung des Verkehrausschusses eingehend diskutitert worden.
Es kann aber schon heute gesagt werden, daß keine Verschlechterung in der Gesamtbedienung eintreten wird. Es ist beabsichtigt, im Zuge der Stückgutkonzentration die individuelle Bedienung in der Fläche mit den geeigneteren Transportmitteln, z. B. dem Kraftwagen, zu verbessern.
Bitte, Herr Kollege, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, besteht dann, wenn Sie die Bedienung in der Fläche in der eben geschilderten Weise gestalten, nicht die Gefahr, daß der sich möglicherweise ergebende Gewinn durch den erhöhten Aufwand an Lkws und Personal wieder aufgezehrt wird?
Herr Kollege, die Vorschläge des Vorstandes der Bundesbahn werden gegenwärtig regional im Detail geprüft. Es ist grundsätzlich von folgendem Gesichtspunkt auszugehen. Wir wollen dort, wo die Bundesbahn im schienengebundenen Verkehr keine Bedienung unter wirtschaftlichen Aspekten anbieten kann, weil die Fixkosten des Kraftwagens geringer sind, erreichen, daß auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten eine möglichst gute Bedienung zu günstigen Tarifen gegeben ist. Dies soll auf Grund der Konzeption des Vorstandes der Bundesbahn in enger Zusammenarbeit auch mit anderen Verkehrsträgern erreicht werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie stellt sich für Sie das Problem der Annahmestellen dar? Die Verteilung mag möglich sein, aber die strukturschwachen ländlichen Gebiete würden auf jeden Fall empfindlich getroffen, wenn die Annahmestellen nicht mehr vorhanden sind.
Die Schließung bzw. Beibehaltung von Annahmestellen wird gegenwärtig vom Vorstand der Bundesbahn und den einzelnen Bundesbahndirektionen unter regionalen Gesichtspunkten noch überprüft.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Fuchs.
Herr Staatssekretär, trifft die Auffassung von Wirtschaftskreisen in diesen strukturschwachen und ländlichen Gebieten zu, daß durch die Schließung von Stückgutbahnhöfen eine nicht unwesentliche Verteuerung beim Zubringerverkehr entstehen wird und außerdem zeitliche Verzögerungen zu befürchten sind?
Diese Frage kann ich im Hinblick auf Einzelfälle nicht beantworten. Das müßte an Hand des Einzelvorganges geprüft werden. Herr Kollege, wenn Sie mir einen solchen Vorgang zuleiten, will ich das in der Sache gern überprüfen lassen.
Herr Kollege Immer!
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren bisherigen Antworten entnehmen, daß in den Bereichen von Förderungsprogrammen im ländlichen Raum die Maßnahmen der Bundesregierung oder Ihres Ministeriums synchronisiert werden, d. h. daß dort kein Abbau erfolgt, sondern die Entwicklung weiter positiv beeinflußt wird?
Herr Kollege, ich kann diese Frage grundsätzlich mit Ja beantworten und darüber hinaus versichern, daß der Vorstand der Deutschen Bundesbahn nach Absprache mit meinem Hause wiederholt die Absicht bekundet hat, daß eine Verbesserung der Verkehrsbedienung eintreten müsse und keine Verschlechterung eintreten dürfe.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3469
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Kroll-Schlüter.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung und Befürchtung, daß durch die Stillegung der Stückgutbahnhöfe nach und nach auch die Stillegung ganzer Strecken provoziert wird, zumal Herr Staatssekretär Wittrock zum Ausdruck gebracht hat, daß der Stückgutverkehr der Deutschen Bundesbahn in absehbarer Zeit eingestellt werden könnte?
Herr Kollege, Sie kennen sicher die Beschlüsse des Bundeskabinetts vom 5. September dieses Jahres und ,die Aufträge an den Bundesverkehrsminister. Was die Überprüfung von Nebenstrecken angeht, so kann es sich nur darum handeln, inwieweit der Vorstand der Deutschen Bundesbahn nach seinen vorliegenden Plänen in Anträgen die Absicht äußert, betriebswirtschaftlich nicht mehr haltbare Strecken zu dem Zeitpunkt zu schließen, zu dem Neuinvestitionen notwendig sind, nachdem erhebliche Gütermengen in den letzten zwei Jahrzehnten bereits auf die Straße abgewandert sind. Es handelt sich hierbei um eine Schlußfolgerung aus einer Entwicklung.
Herr Kollege Tillmann.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung dort, wo die Infrastruktur eines Raums durch Streckenstillegungen oder durch Stilllegungen von Stückgutbahnhöfen beeinträchtigt wird, einen Ausgleich dadurch herbeiführen, daß gegebenenfalls der Straßenbau verstärkt wird?
Das wird im Einzelfall geprüft und ist schon bislang so gehandhabt worden, Herr Kollege.
Herr Kollege Ollesch.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es kaum angängig ist, einerseits das Defizit der Bundesbahn zu kritisieren und nach Handlungen zu rufen, die geeignet sein können, das Defizit abzubauen, andererseits gegen Stillegungen und Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen, die das Defizit verkleinern sollen, schwerwiegende Bedenken zu äußern?
Herr Kollege, ich stelle selbstverständlich diesen Widerspruch auf Grund der hier gestellten Fragen fest. Es steht mir aber nicht zu, jetzt in der Fragestunde eine politische Wertung darüber vorzunehmen.
Herr Kollege Kiechle.
Herr Staatssekretär, können Sie hier ausschließen, daß das Wegfallen der Bedienung im Stückgutverkehr gleichzeitig eine Art Vorläufer für Stillegungen ist?
Diese Frage ist hier bereits gestellt worden. Ich habe sie beantwortet, Herr Kollege. Die Konzentration des Stückgutverkehrs hat mit der betriebswirtschaftlichen Gesamtsituation von Einzelstrecken im Grunde nichts Entscheidendes zu tun.
Herr Kollege Kunz zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, führt die geplante Veränderung beim Stückgutverkehr, insbesondere bei der Zustellung, zu einer Erhöhung der Fracht, vor allem aber der von den Empfängern zu tragenden Zustellungskosten, besonders in den dünner besiedelten Räumen?
Das läßt sich im einzelnen noch nicht beantworten. Es hängt von den Entscheidungen ab, die der Vorstand der Deutschen Bundesbahn im Rahmen der Überprüfung fällt. Er wird tarifarische Maßnahmen in Anpassung an die Marktsituation innerhalb der ihm gegebenen Rahmengenehmigungen treffen. Im Detail läßt sich das heute nicht beantworden, Herr Kollege.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Böhm .
Herr Staatssekretär, da auch im Zonenrandgebiet eine Reihe von Stückgutabfertigungen geschlossen werden sollen, frage ich Sie, ob die Bundesregierung bereit ist, das Zonenrandförderungsgesetz so anzuwenden, daß bei der Prüfung der Schließung von Stückgutabfertigungen in diesem Gebiet besondere Gesichtspunkte berücksichtigt werden?
Herr Kollege, diese Fragen stehen jetzt zwar öffentlich zur Diskussion, aber im Augenblick sind die einzelnen Bundesbahndirektionen mit den Vorstellungen des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn befaßt. Sie dürfen sicher sein: Wenn die Überlegungen der einzelnen Mittelinstanzen, der Bundesbahndirektionen, beim Vorstand eingegangen sind und die Gesamtvorlage bei uns überprüft wird, wird auch innerhalb der Ressorts die weitere Erörterung über diese Fragen in Ihrem Sinne geführt werden.
Herr Kollege Biehle.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß Sie von seiten der Bundesregierung bzw. der Bundesbahn die Schließung der Stückgutstellen zwar beschlossen haben, sich aber über die Konsequenzen absolut nicht im klaren waren, nicht nur hinsichtlich der eventuellen Verteuerung für den Kunden, sondern auch hinsichtlich der
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3470 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
BiehleTatsache, daß die Verlagerung auf die Straße unter Umständen auch eine Veränderung des Verkehrsträgers mit sich bringt?
Herr Kollege, die Frage ist sehr subjektiv gestellt. Ich kann sie auch gar nicht sofort beantworten, es sei denn mit Nein.
Ich kann Ihnen nur folgendes sagen: Offensichtlich haben Sie sich mit den Fragen der Konzentration des Stückgutverkehrs in den letzten Jahren und den Anstrengungen des Vorstandes der Bundesbahn nicht befaßt; sonst hätten Sie die Frage in dieser Form jetzt nicht gestellt.
Herr Kollege Dr. Evers.
Herr Staatssekretär, haben Sie sich im Hinblick auf den Interessengegensatz, von dem der Kollege Ollesch gesprochen hat, einmal Gedanken darüber gemacht, ob es vielleicht möglich wäre, den regional besonders interessierten Wirtschaftskreisen ein Modell anzubieten, wie man den Stückgutverkehr aufrechterhalten kann, nämlich indem die betriebswirtschaftlich nicht zu deckenden Kosten der Deutschen Bundesbahn von örtlichen Kreisen übernommen werden?
Herr Kollege, diese Fragen werden mit den Spitzenverbänden im Verkehrsbereich immer wieder erörtert. Sie dürfen sicher sein, daß der Bundesbahnvorstand auch Weisung gegeben hat, diese Gespräche über seine Fachdezernate regional weiterzuführen.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Warnke.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen auch nur eine einzige Stimme — sei es aus der Kommunalpolitik, sei es aus den Gewerkschaften, sei es aus den Wirtschaftsverbänden, sei es aus SPD, CDU/CSU oder FDP aus den betroffenen Gebieten bekannt, die Ihre Auffassung teilt, daß mit einer Stillegung des Stückgutverkehrs eine Verbesserung der Verkehrsbedienung der betroffenen Gebiete zu vereinbaren wäre?
Herr Kollege, bei dem Konzept, das der Vorstand der Deutschen Bundesbahn vorgetragen hat und jetzt in die Praxis umzusetzen versucht, kann von einer Stillegung des Stückgutverkehrs bei der Bundesbahn keine Rede sein. Im übrigen habe ich noch keine Stimme aus den Reihen der Opposition gehört, die deutlich macht, daß sie anderer Auffassung ist als die Bundesregierung, etwa daß 1,1 Milliarden DM Steuermittel so hoch sind die roten Zahlen im Stückgutverkehr — nach Auffassung der Opposition zum Bereich der Daseinsvorsorge gehören sollen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie die
Auffassung Ihrer Kollegen im Haushaltsausschuß einmal einholen wollten, Herr Kollege.
Herr Kollege Schröder, möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte! Aber damit machen wir dann wirklich Schluß.
Herr Staatssekretär, ich wollte von Ihnen gern noch einmal hören, ob Sie Kostenerhöhungen, insbesondere beim Empfänger, infolge dieser Maßnahme definitiv ausschließen können.
Ich kann das im Augenblick nicht voll ausschließen, Herr Kollege. Das muß noch geprüft werden. Wir sind mit der Organisation der Neugliederung noch nicht soweit, daß darüber schon eine verbindliche Aussage gemacht werden kann.
Ich danke Ihnen besonders, Herr Staatssekretär, daß Sie so ausführlich geantwortet haben.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Reiser auf:
Wie steht die Bundesregierung zu Plänen, Giftmüll auf hoher See zu verbrennen und abzuladen?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Reiser, die Frage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern wie folgt. Giftmüll, sofern es sich ausschließlich um chlorierte Kohlenwasserstoffe handelt, wird seit geraumer Zeit auf See verbrannt. Dieses Beseitigungsverfahren gilt weitgehend als ungefährlich. Deshalb können hiergegen keine Bedenken erhoben werden.Von anerkannten Meereschemikern wird sogar empfohlen, an der Verbrennung chlorierter Kohlenwasserstoffe auf See als der derzeit saubersten Methode zu ihrer Beseitigung festzuhalten, da dabei zu 99,9 0/0 Stoffe entstehen, die ohnehin im Meerwasser in großen Konzentrationen enthalten sind.Pro Jahr fallen in Europa etwa 100 000 t derartiger Abfälle an, davon etwa 40 000 t in der Bundesrepublik, die auf diese Weise schadlos beseitigt werden können.Zur Zeit werden in einem seit 1972 auch in den deutschen Seekarten besonders bezeichneten Gebieten vor der holländischen Küste drei Verbrennungsschiffe betrieben, um chlorierte Kohlenwasserstoffe der deutschen, belgischen und holländischen Industrie zu beseitigen.Die Rückstände der deutschen chemischen Industrie werden über den Rhein nach Rotterdam verschifft, wo sie entweder über einen Landsammeltank oder direkt an Bord der Verbrennungsschiffe gelangen. Die Verbrennung wird von den holländischen Behörden überwacht.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3471
Parl. Staatssekretär HaarDer Bundesminister für Verkehr prüft. zur Zeit., inwieweit auch in deutschen Häfen Verbrennungsschiffe beladen werden können, um ein neu einzurichtendes Verbrennungsgebiet in der Nordsee anzusteuern.Die Versenkung von Giftmüll auf hoher See ist nach den Bestimmungen der beiden internationalen Übereinkommen von Oslo und London aus dem Jahre 1972 genehmigungspflichtig. Die Genehmigung ist an strenge Voraussetzungen gebunden, unter anderem enthalten die Übereinkommen Verbotslisten für bestimmte Stoffe. Eine weitere Bedingung bestimmt, daß die Seeversenkung nur dann statthaft ist, wenn die schadlose Beseitigung bzw. Aufbereitung der Abfälle an Land nicht möglich ist. Voraussetzung jeder Genehmigung durch den Bundesminister für Verkehr ist daher eine ausdrückliche Bestätigung aller zuständigen Landesministerien, daß die Abfälle nicht an Land beseitigt werden können. Die Bundesregierung hat beide Übereinkommen gezeichnet. Das Vertragsgesetz wird gegenwärtig vorbereitet.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Grüner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Biehle auf:
Was hat diese Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt unternommen, um ihre in Zeitungsinseraten gemachte Aussage, sie unterbinde „das Geschäft mit Mogelpackungen" zu rechtfertigen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege,,, Mogelpackungen" sind durch § 35 des Eichgesetzes verboten. Der Vollzug dieser Vorschrift obliegt den Ländern. Um ein verstärktes und einheitliches Vorgehen gegen „Mogelpackungen" zu erreichen, hat unser Ministerium damit begonnen, Grundsätze für die Beurteilung von „Mogelpackungen" aufzustellen. Für zwei in dieser Hinsicht besonders wichtige Bereiche, nämlich für Pralinen und Kosmetika, liegen diese Grundsätze bereits vor. Darüber hinaus ist das Bundesministerium für Wirtschaft in besonders gelagerten Einzelfällen an die betroffenen Verbände und Firmen unmittelbar herangetreten, um Verstöße abzustellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, unabhängig von Ihrer Feststellung, daß Grundsätze für die Beurteilungen aufgestellt wurden und man darüber im Zweifel sein kann, ob das zur Verhinderung unbedingt beiträgt, frage ich Sie: teilt die Bundesregierung mit mir die Auffassung, daß sie die in den Zeitungsinseraten des Presse- und Informationsamtes enthaltene Kampfansage an die „Mogelpackungen" sicher glaubwürdiger machen würde, wenn sie mit gutem Beispiel voranginge und in den gleichen Anzeigen, die sie veröffentlicht hat, die zuständigen Stellen der Bundesregierung mit ihren richtigen statt mit falschen, irreführenden Bezeichnungen anführte?
Herr Kollege, mir ist leider nicht klar, wohin Ihr Vorwurf zielt.
Ich glaube, der Zusammenhang war nicht verständlich, Herr Kollege.
Vielleicht klingt es etwas verständlicher, wenn ich frage: ist es nicht eine bewußte Irreführung der Öffentlichkeit, wenn den Lesern dieser zitierten Inserate des Presse- und Informationsarztes der Bundesregierung in den gleichen Anzeigen z. B. ein Referat „Verbraucher" vorgemacht wird, das in der Tat im Bundespresseamt überhaupt nicht besteht?
Herr Kollege, ich erinnere mich daran, daß der Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung zu dieser Frage sehr ausführlich und einleuchtend Stellung genommen hat. Es geht schlicht darum, daß Verbraucher die auf Grund solcher Anzeigen um zusätzliche Informationen bitten, die Stelle genannt bekommen, an der sie diese Informationen auch unter verwaltungstechnischen Gesichtspunkten rasch und unbürokratisch erhalten können. Das ist der entscheidende Punkt. Im übrigen gibt es im Bereich des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung diese, Aufgabenstellung, die in den Anzeigen angesprochen ist, wenn auch nicht als „Referat" in dem behördentechnischen Sinne, wie das Wort im allgemeinen verwendet wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege!
Sie teilen also mit mir die Auffassung, daß es eine Irreführung ist, wenn es wörtlich in diesen Anzeigen heißt: „Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Referat ,Verbraucher "?
Ich teile diese Meinung in keiner Weise, Herr Kollege; denn ich habe ja deutlich gemacht, daß es bei der Beantwortung von Anfragen für die Bundesregierung darauf ankommt, diese Anfragen sofort und unmißverständlich der richtigen Abteilung zuzuleiten.Ich würde hinzufügen, Herr Kollege: wenn das die einzige Sorge ist, die Sie bei den Anzeigen der Bundesregierung bewegt, würde ich mich darüber freuen.
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3472 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, daß das Eichgesetz die Grundlage zur Verhinderung von Mogelpackungen in der Bundesrepublik sei. Wie können wir in der Bundesrepublik sicherstellen, daß bei Importwaren die gleiche Kontrolle stattfindet und somit diese Mogelpackungen verhindert werden?
Das Eichgesetz hat auch für Importwaren Gültigkeit, und es ist Aufgabe der Länder, darüber zu wachen, daß unsere Bestimmungen eingehalten werden.
Das heißt — —
Sie haben nur eine Zusatzfrage. — Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 44 und 45 sind schon bei der Beantwortung der Dringlichkeitsfragen behandelt worden.
Ich rufe die Fragen 46 und 47 des Abgeordneten Sauter auf:
Ist nicht zu befürchten, daß durch die überdurchschnittliche Konjunkturabschwächung auf dem Bausektor viele Facharbeiter in andere Betriebe überwechseln und dann diesem wichtigen Wirtschaftszweig auf Dauer verlorengehen?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Sauter, die Bundesregierung ist sich bewußt, daß die stabilitätspolitischen Maßnahmen in der Bauwirtschaft im Gegensatz zu den meisten anderen Industriezweigen bereits deutliche Wirkungen zeigen. Die Arbeitsmarktlage auf dem Bausektor ist aber im allgemeinen, von einigen regionalen Problemgebieten abgesehen, nach wie vor günstig. So entfielen auf einen arbeitslosen Bauarbeiter Ende September 1973 im Bundesgebiet immer noch 8,4 offene Stellen. Befürchtungen, daß der Bauwirtschaft aus konjunkturellen Gründen im größeren Umfange qualifizierte Facharbeiter verlorengehen, sind deshalb zur Zeit nicht berechtigt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Sauter.
Herr Staatssekretär, da schon in ruhigeren Zeiten immer wieder zu befürchten ist, daß die Facharbeiter im Winter weggehen, frage ich Sie, ob diese Gefahr in der besonderen konjunkturellen Situation, die wir heute haben, nicht doppelt groß ist und ob die Bundesregierung unter diesen Umständen eine Möglichkeit sieht, eine kontinuierliche konjunkturelle Entwicklung der Bauwirtschaft zu gewährleisten.
Herr Kollege Sauter, gerade durch die Gesetze zur Winterbauförderung hat die Bundesregierung versucht, der von Ihnen angesprochenen Gefahr — wie wir meinen: erfolgreich — entgegenzuwirken. Wir werden auch in der speziellen Lage, in der wir uns im Augenblick befinden, durch die Winterbauförderung die Möglichkeit haben, dieser Gefahr da entgegenzuwirken, wo die Entscheidung des einzelnen Bauarbeiters, den Arbeitsplatz zu wechseln, nicht von anderen Motiven bestimmt ist als von dem, daß er etwa um seinen Arbeitsplatz fürchtet.
Herr Kollege Warnke, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung vorbereitet, um in den auch von Ihnen soeben zugegebenen Fällen der regionalen Problemgebiete — ich nenne beispielsweise Ostbayern, wo mit einschneidenden Verschlechterungen der Beschäftigung in der Bauwirtschaft zu rechnen ist — gegen die zu erwartende Arbeitslosigkeit Dämme aufzurichten?
Wir haben einmal — ich habe darauf schon hingewiesen, Herr Kollege — Vorkehrungen getroffen, daß die Winterbauförderung entsprechend zügig anlaufen kann und auch praktiziert wird. Zum anderen haben wir im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Strukturpolitik" in einem solchen Falle die Möglichkeit, gezielt zu helfen. Wir sehen dafür im Augenblick allerdings keine Veranlassung.
Das kann sich, Herr Kollege, sehr rasch ändern. Herr Bundesfinanzminister Schmidt hat ja vor diesem Hause darauf hingewiesen, daß in einem solchen Falle auch die Entsperrung der im Rahmen der Stabilitätspolitik gesperrten Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe in Frage kommen könne.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Fuchs.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in wirtschaftlich schwachen und klimatisch benachteiligten Räumen die Winterbaumöglichkeiten außerordentlich beschränkt sind und daß bei der ungewöhnlich niedrigen Auftragslage die große Gefahr besteht, daß aus diesen Gebieten Facharbeiter in wirtschaftlich starke und in Ballungsgebiete abwandern?
Herr Kollege, ist ist sicher richtig, daß unterschiedliche Witterungsbedingungen auch unterschiedliche Möglichkeiten des Winterbaus einschließen können. Aber der Bundesregierung — ich glaube, wir haben über diese Frage schon einmal gesprochen — ist nicht bekannt, daß sich etwa bei solchen unterschiedlichen Witterungsbedingungen eine Gesetzmäßigkeit feststellen ließe und daraus dann entsprechende zusätzliche Maßnahmen abgeleitet werden könnten.
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3473
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gerster.
Herr Staatssekretär, können Sie mir — falls es hier nicht möglich ist, schriftlich — mitteilen, mit wieviel Arbeitslosen Sie zum Ende des Winters rechnen bzw. wieviel Arbeitnehmer auf dem Bausektor nach Ihrer Ansicht umgeschult werden müssen?
Herr Kollege, es ist nicht möglich, eine solche Frage zu beantworten — leider auch nicht schriftlich —, da das eine Frage ist, die in die Zukunft hineinreicht.
Es ist klar, daß wir nicht die Absicht haben, am Ziel dieser Regierung, der Vollbeschäftigung, Abstriche zu machen. Die Maßnahmen dieser Regierung werden sich — neben der Stabilitätspolitik — gerade auch am Ziel der Erhaltung der Vollbeschäftigung orientieren.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß man zunächst einmal den nächsten Winter abwarten sollte, um die Erfahrungen des letzten Winters erst einmal zu verwerten, daß nämlich der Winterbau durchaus unter normalen Bedingungen hat durchgeführt werden können, auch in klimatisch wenig begünstigten Gebieten?
Herr Kollege, ich bin durchaus der Meinung, daß wir die Erfahrungen abwarten sollten. Trotzdem bin ich der Auffassung, daß selbstverständlich mit großer Sorgfalt die Entwicklung in den einzelnen Gebieten im Auge behalten werden muß, wobei wir bei allen unseren Äußerungen, auch in der Öffentlichkeit, sehr daran zu denken haben, daß die Stabilitätspolitik nur dann mit Aussicht auf Erfolg durchgeführt werden kann, wenn in der Öffentlichkeit kein Zweifel daran besteht, daß die Stabilitätspolitik global durchgehalten wird.
Herr Abgeordneter Dr. Schwencke.
Herr Staatssekretär, können Sie uns bestätigen, daß das Auftragsvolumen für das Baugewerbe auch in den für dieses Gewerbe ungünstigen vor uns liegenden Monaten immerhin noch bei 2,8 liegt, und daß diese 2,8 nicht so weit auseinanderklaffen, wie die ersten Fragen den Eindruck machten?
Es trifft durchaus zu, Herr Kollege, daß das Auftragsvolumen in der Größenordnung liegt, die Sie soeben hier genannt haben, und daß die Schwierigkeiten, die da und dort aufgetreten sind, nicht etwa regionaler Natur sind, sondern daß hier auch Strukturschwierigkeiten sichtbar geworden sind, nämlich daß in bestimmten Ballungsgebieten, die weit davon entfernt sind, etwa regional schwache Gebiete zu sein, am Bedarf vorbei produziert worden ist. Es treffen unterschiedliche Faktoren zusammen, die die Erscheinungen erklären, von denen wir hier sprechen.
Herr Abgeordneter Kunz, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß das Auftragsvolumen teilweise, beispielsweise in Ostbayern, nur noch für zwei Wochen ausreicht?
Herr Kollege, diese Zahl ist mir nicht bekannt.
Keine Zusatzfrage mehr.
Die Frage 48 wurde zurückgezogen.
Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Evers:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, bzw. welche Maßnahmen wird die Bundesregierung einleiten, um den Energiebedarf der Bundesrepublik Deutschland für die Zukunft zu ermitteln, und beabsichtigt die Bundesregierung, hierbei unabhängige Wissenschaftler und Institute einzuschalten, um zu einer objektivierten Meinungsbildung zu gelangen, die weder von den Argumenten der Stromerzeuger noch von den Argumenten der Gegner neuer Kraftwerke über Gebühr beeinflußt wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Dr. Evers, die Bundesregierung hat ihre Auffassung über die Entwicklung des Energiebedarfs in der Bundesrepublik im Energieprogramm vom September 1973 dargelegt. Sie hat sich zuvor ein objektives Bild der Situation verschafft und dabei insbesondere auch auf die Untersuchungen unabhängiger wissenschftlicher Forschungsinstitute zurückgegriffen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute Berlin, Köln und Essen haben erst kürzlich im Auftrage der Bundesregierung eine Prognose des Energieverbrauchs in der Bundesrepublik bis zum Jahre 1985 erstellt. Ferner läßt die Bundesregierung von verschiedenen wissenschaftlichen Instituten eine Untersuchung über die voraussichtliche Entwicklung des Strombedarfs und seiner Deckung bis zum Jahre 2000 durchführen. Schließlich macht sie sich ständig Energieprognosen internationaler Organisationen wie der EWG und der OECD sowie privater Experten zunutze, um zu einem möglichst objektiven Bild über diesen sehr komplexen Sachverhalt zu gelangen.
Bitte, eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung bereit, diese zusammengefaßten Untersuchungen
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3474 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Dr. Eversauch in einer zusammenfassenden Darstellung zu publizieren?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat das im Energieprogramm in einer sehr detaillierten Weise getan, indem sie ihre Voraussagen über den Energiebedarf quantifiziert und auch die Maßnahmen genannt hat, die von ihr vorgesehen sind im Sinne einer Prognose für die Zukunft, einer naturgemäß unsicheren Prognose, an der jederzeit bei einer veränderten Entwicklung eine Korrektur notwendig werden kann. Hier hat die Bundesregierung ihre Vorstellungen dargelegt. Selbstverständlich besteht durchaus die Möglichkeit, auch in detaillierterer Form diese Prognosen und ihre Grundlagen etwa in den daran interessierten Ausschüssen des Bundestages darzulegen. Das Energieprogramm hat dafür nicht den räumlichen Rahmen geboten, wofür ich um Verständnis bitte.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sie würden dabei bitte in Bestätigung einer Zusage, die Minister Friderichs vorhin hier gemacht hat, auch den möglicherweise neuen Erkenntnissen Rechnung tragen, die sich durch die jüngste Entwicklung bezüglich des Erdöls ergeben haben?
Das ist ganz selbstverständlich.
Frage 50 des Herrn Abgeordneten Evers:
Beabsichtigt die Bundesregierung, derartige Untersuchungen in regionaler Untergliederung für einzelne mögliche Standorte von Kraftwerken vornehmen zu lassen, und ist sie hierbei gegebenenfalls bereit, dabei auch die Verflechtungen über die Grenzen des Bundesgebiets hinweg zu berücksichtigen und im Fragenkatalog derartiger Untersuchungen die verschiedenen Gesichtspunkte prüfen zu lassen, wie sie etwa von Wissenschaftlern der Freiburger Universität im Zusammenhang mit dem möglichen Standort Breisach enumeriert worden sind?
Für den weiteren Ausbau der Energieversorgungsanlagen ist die Auswahl geeigneter Standorte besonders wichtig. Hier kommt es allerdings nicht nur auf die Entwicklung des regionalen Energiebedarfs an. Für die Entscheidung über die Standorte neuer Kraftwerke sind neben ökonomischen Kriterien die Aspekte des Umweltschutzes, der Raumordnung und der technischen Entwicklung wesentlich.
Die Bundesregierung wird, wie im Energieprogramm angekündigt, im Zusammenwirken mit den Bundesländern die Grundlagen für eine geeignete Standortplanung schaffen. Im Rahmen dieser Untersuchungen werden alle relevanten Gesichtspunkte der Standortplanung berücksichtigt. Das gilt auch für klimatologische Studien, wie sie z. B. von Wissenschaftlern der Universität Freiburg in Angriff genommen worden sind.
Was die Verflechtung über die Grenzen des Bundesgebietes hinaus angeht, so ist die Bundesregierung um eine Intensivierung der bereits bestehenden internationalen Zusammenarbeit bemüht.
Eine Zusatzfrage.
Bis wann werden die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorliegen, und werden sie so rechtzeitig vorliegen, daß die konkreten Entscheidungen über einzelne Standorte dadurch noch beeinflußt werden können?
Es ist hier leider keine zeitliche Voraussage möglich, aber wir sind mit größter Intensität um diese Koordinierung bemüht. Es ist durchaus denkbar, daß wir solche Planungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vorlegen werden, und dabei werden wir selbstverständlich auch die jetzt schon angelaufenen regionalen Überlegungen mit einbeziehen. Das ganze Programm ist darauf angelegt, durch Abstimmung mit allen beteiligten Instanzen, insbesondere natürlich mit den Ländern, zu einer Planung zu kommen, die gemeinschaftlich getragen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihren Antworten auf beide Fragen entnehmen, daß Sie in diesem Energieprogramm besonders der Erstellung von Kraftwerken große Bedeutung beimessen? Wie erklärt sich dann, daß Sie dem Problem der bivalenten Beschickungsmöglichkeit von Kraftwerken in diesem Programm kein Gewicht beigemessen haben und daß dieser Punkt nicht besonders erwähnt wurde?
Es ist mir im Augenblick nicht geläufig, ob die Frage der bivalenten Beschickung im Energieprogramm erwähnt ist oder nicht. Ich unterstelle, daß Sie Recht haben, daß sie also nicht erwähnt ist.
Es ist ganz selbstverständlich, daß die bivalente Beschickung nach wie vor eine außerordentlich große Bedeutung hat, gerade um dem Sicherheitsaspekt und um Wandlungen Rechnung zu tragen. Die besonders starke Betonung der Notwendigkeit des Kraftwerkebaus hängt einfach mit unseren Vorausberechnungen über die vorhandenen Reserven anderer Energieträger, deren mögliche Erschöpfung und die damit gegebene Notwendigkeit, rechtzeitig Ersatz für diese Energieträger zu finden, zusammen. Das hat in keiner Weise damit etwas zu tun, daß wir der bivalenten Beschickung keine Bedeutung beimessen würden.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 51 des Herrn Abgeordneten Immer auf:Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, durch eine grundsätzliche Änderung der regionalen Wirtschaftsförderung der Tatsache Rechnung zu tragen, daß sich eine große Anzahl von im ländlichen Raum angesiedelten Betrieben trotz großzügiger öffent-
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3475
Präsident Frau Rengerlicher Investitionsförderung und entsprechender kommunaler territorialer und technischer Vorleistungen gegenüber den Betrieben in industriell-gewerblichen Ballungsräumen als nicht wettbewerbsfähig erwiesen haben?
Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" am 1. Januar 1970 ist die regionale Wirtschaftsförderung gemeinsame Sache von Bund und Ländern, wobei die Durchführung dieser Förderung allein den Ländern obliegt.
In den zahlreichen bisherigen Sitzungen der Ausschüsse dieser Gemeinschaftsaufgabe ist die in Ihrer Frage als Tatsache bezeichnete Feststellung von den Ländern nicht vorgebracht worden. Daher wird gegenwärtig kein Anlaß gesehen, die regionale Wirtschaftsförderung entsprechend Ihrer Feststellung zu ändern.
Dies erscheint schon deshalb nicht notwendig, weil jährlich nur etwa 12 von 4 000 geförderten Unternehmen — das sind 0,3 % — als nicht wettbewerbsfähig ausscheiden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Immer.
Herr Staatssekretär, unter der Voraussetzung, daß Ihnen die sorgfältige Untersuchung der Industrie- und Handelskammer Koblenz für Rheinland-Pfalz mit dem Titel „Strukturpolitik mit Augenmaß" bekannt ist, möchte ich Sie fragen: Halten Sie das überwiegende Ansiedlungsmotiv — in 76 % der Fälle wurde die „Erlangung öffentlicher Mittel" angegeben nicht dann für bedenklich, wenn es sich um konjunkturabhängige Branchen handelt, die zum Ausbau von Überkapazitäten angereizt werden, welche nachher einer konjunkturellen Abschwächung zum Opfer fallen?
Herr Kollege, es gehört zu den schwierigsten Fragen der regionalen Strukturpolitik, sich über die Motive und die Erfolge einer solchen Strukturpolitik Klarheit zu verschaffen.
Ich bin nicht im Besitz der von Ihnen angesprochenen Untersuchung der Industrie- und Handelskammer Koblenz, aber ich nehme an, daß wir uns bei der Erörterung dieser Fragen in den dafür zuständigen Gremien mit dieser Studie befassen werden. Sie wissen, daß die Bundesregierung zusammen mit den beteiligten Ländern im Augenblick dabei ist, neue Förderkriterien für die regionale Strukturpolitik zu erarbeiten. Gerade die von Ihnen angeschnittene Frage wird in diesem Zusammenhang eine ganz wesentliche Rolle spielen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Immer.
Herr Staatssekretär, können Sie aufzeigen, wie es durch Steuerung dieser Maßnahmen, die eine Art Investitionssteuerung darstellen, erreicht werden kann, daß vermehrt Wachstumsindustrien mit qualitativ differenzierteren Arbeitsplätzen angesiedelt werden, damit der Unsicherheitsfaktor für ,die Arbeitnehmer im ländlichen Raum ausgeschaltet wird und sie bei Stillegung dieser Betriebe, wie es in diesen Bereichen doch vorkommt, nicht in Ballungszentren abwandern und damit die Probleme dort erhöhen?
Nach ,den uns vorliegenden Erkenntnissen gibt es im Augenblick keine Möglichkeit, solche Entwicklungen mit Sicherheit auszuschließen. Aber bei der Neuformulierung der Förderungskriterien wird der Versuch gemacht werden, auch solchen Entwicklungen Rechnung zu tragen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß eine Fehlerquelle von 0,3 O/o äußerst gering ist und daß sich die Fehlerquelle selbst angesichts einer Verzehnfachung — in Relation zum Erfolg in Höhe von 97 % — sehr günstig ausnimmt?
Ohne mich mit der Verzehnfachung dieser Fehlerquelle identifizieren zu wollen, Herr Kollege, möchte ich sagen, daß die genannte Fehlerquelle für uns insgesamt befriedigend ist. Jedenfalls geht die Tendenz der regionalen Strukturpolitik in der Zukunft in noch stärkerem Maße in Richtung auf die Förderung der Infrastruktur, weil die Erfahrungen zeigen, daß die hier angesprochenen Risiken — der Rückzug von Firmen etwa in Zeiten einer wirtschaftlichen Abschwächung — desto größer sind, je geringer der Anreiz für die Arbeitskräfte ist, in solchen ungünstig gelagerten Gebieten zu bleiben, d. h. je geringer das Angebot an ausreichender Infrastruktur ist.
Herr Kollege Gerster, bitte!
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß Betriebe, die nicht wettbewerbsfähig sind, im Rahmen der Marktwirtschaft auf Dauer ohnehin den Konkurs anmelden müssen und daß demzufolge die Frage des Kollegen Immer so verstanden werden könnte, daß er durch Wegnahme öffentlicher Zuschüsse Betriebe eben nicht wettbewerbsfähig machen will?
Ich habe den Herrn Kollegen Immer so nicht verstanden, sondern ich habe ihn so verstanden, daß er sich die berechtigte Frage stellt, ob diese Förderungsmaßnahmen auch tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen oder ob die uns
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3476 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Parl. Staatssekretär Grünervorliegenden Zahlen ausweisen, daß das nicht ,der Fall ist. Ich konnte die erfreuliche Mitteilung machen, daß wir mit dem Ergebnis dieser Förderungsmaßnahmen — übrigens in Übereinstimmung mit den Ländern — insgesamt zufrieden sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Warnke.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß, entgegen der Formulierung der Frage des Herrn Kollegen Immer, von einer großzügigen Investitionsförderung in einem Jahr, in dem Sie die Investitionszulage um 25 °/0 gekürzt und die Gemeinschaftsaufgabe um 100/0 gestreckt haben, und angesichts der Tatsache, daß Sie sie im nächsten Jahr um 20 % strecken werden, wirklich keine Rede sein kann?
Herr Kollege Dr. Warnke, ich bedauere sehr, daß ich Ihre Auffassung nicht teilen kann. Ich möchte darauf hinweisen, daß für die Förderungswirkung das Präferenzgefälle entscheidend ist und daß wir beim Einsatz staatlicher Mittel, insbesondere bei der von Ihnen angesprochenen Investitionszulage, im Grunde genommen alle Erwartungen übertroffen gesehen haben, d. h. daß die staatlichen Mittel, die für diese Investitionszulage aufgewandt worden sind, sehr viel höher waren, als es die gemeinsame Absicht derer war, die dieses Investitionszulagengesetz verabschiedet haben.
Von da her meine ich, es ist entscheidend, daß wir das Präferenzgefälle haben. Es ist Aufgabe einer staatlichen Politik in diesem Bereich, mit möglichst geringen Mitteln einen möglichst hohen Effekt für die wirtschaftsschwachen Gebiete zu erzielen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schröder .
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, ,dem Kollegen Immer eine Information dahin gehend zugänglich zu machen, daß auch nach den Erfahrungen Ihres Hauses die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe in den strukturschwachen Gebieten nicht nur eine Frage der Investitionsmöglichkeiten, sondern auch eine Frage der Entfernung zu den Absatzmärkten, die eine dauernde Belastung ist und die dauerhaft ausgeglichen werden müßte, und daß sich daraus für die regionale Strukturförderung Schlußfolgerungen in einer Richtung ergeben, die der vom Fragesteller, dem Herrn Kollegen Immer, aufgezeigten genau entgegengesetzt ist?
Herr Kollege, Sie haben sicher mit Recht einen Punkt hervorgehoben, der in der regionalen Strukturpolitik eine Rolle spielt. Es gibt eine Fülle anderer Gesichtspunkte, die hier zu berücksichtigen wären. Ich habe, um es noch einmal zu sagen, die Frage des Kollegen Immer nicht so verstanden, als ob er diese Gesechtspunkte etwa bei seiner Frage nicht mit im Auge gehabt hätte.
Es ging ihm, wenn ich ihn recht verstanden habe, einfach darum, in diesem Bereich kritisch nach einer Erfolgsbilanz zu fragen. Wir alle wissen, daß wir Anlaß haben und daß es Ziel dieser Gemeinschaftsaufgabe von Anfang an war, im Wege einer Überprüfung unserer eigenen Kriterien für diese Förderung uns selbst Rechenschaft über Erfolg oder Mißerfolg abzulegen.
Herr Kollege Stahl!
Herr Staatssekretär, inwieweit halten Sie es für vertretbar, eine regionale Konjunkturbeeinflussung zu praktizieren, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, daß dadurch auch strukturkranke Verhältnisse stabilisiert und notwendige Veränderungen verhindert werden?
Herr Kollege, das ist eine außergewöhnliche schwierige Frage, die Sie hier angeschnitten haben, inwieweit etwa durch eine staatliche Förderung der notwendige Strukturwandel verhindert wird. Wir meinen allerdings, auf Grund der bisherigen Erfahrungen sagen zu können, daß das Präferenzgefälle, das wir hergestellt haben, keine Förderung in einem Maße bedeutet, das den Strukturwandel verhindert. So hoch sind die Förderungsmaßnahmen nicht. Sie werden bewußt nicht über eine Schwelle angehoben, die den Strukturwandel, der im Sinne unserer Wettbewerbsordnung liegt, ausschließen würde.
Herr Kollege Sauter!
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß bei einer sogenannten Erfolgskontrolle im strukturschwachen Raum andere Kriterien anzuwenden sind als in normalstrukturierten Gebieten und in den Ballungsräumen?
Ja, ich teile diese Auffassung. Unsere ganze Förderungspolitik bezieht sich ja nicht auf die Ballungsgebiete, sondern auf die strukturschwachen Gebiete. Schon dadurch ist Ihrer Fragestellung Rechnung getragen.
Herr Kollege Böhm !
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von der Notwendigkeit der Verbesserung der Förderung der Infrastruktur in den strukturschwachen Gebieten. Ich frage Sie, ob Sie
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Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973 3477
Böhm
hier verbindlich erklären können, daß die dafür erforderlichen Mittel nicht zu Lasten der für die Wirtschaftsförderung bereitgestellten Mittel gehen werden.
Eine solche verbindliche Erklärung ist mir, Herr Kollege, nicht möglich. Über das Ausmaß der zur Verfügung stehenden Mittel des Bundes entscheidet der Bundestag. Im Rahmen dieser Entscheidung und, was ich betonen möchte, in Abstimmung mit den Ländern, ohne die die Beschlüsse im Planungsausschuß nicht gefaßt werden können, werden die Kriterien festgelegt, nach denen gefördert wird.
Danke. — Die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Immer:
Inwieweit wird die Bundesregierung nach gründlicher Erfolgskontrolle der Förderungsprogramme die Investitionsförderung im Bereich der Privatwirtschaft zugunsten infrastruktureller Maßnahmen einschränken, damit auch in den ländlichen Räumen ein erwünschtes Maß an Wohnungs- und Versorgungskonzentration in Entwicklungsschwerpunkten mit zentralörtlicher Bedeutung entwickelt werden kann?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Zur Zuständigkeit für die Rahmenplanung der regionalen Wirtschaftsförderung, die auch die zu fördernden Maßnahmen umfaßt, darf ich auf meine Antwort zu Ihrer ersten Frage hinweisen. Zur Sache selbst möchte ich darauf aufmerksam machen, daß bereits jetzt rund 60 °/o der Haushaltsmittel der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für den Ausbau der wirtschaftlichen Infrastruktur wie z. B. Ausbau von kommunalen Verkehrsverbindungen, von Fortbildungsstätten und Anlagen für die Abwasserbeseitigung eingesetzt werden. Außerdem stehen speziell zur Verbesserung des Wohn- und Freizeitwertes von Schwerpunkten der Gemeinschaftsaufgabe z. B. durch den Bau von Hallenschwimmbäder und Kindertagesstätten zinsverbilligte Kredite aus dem ERP-Sondervermögen zur Verfügung. 1973 sind es 150 Millionen DM.
Weiterhin wird der Einsatz der Finanzhilfen des Bundes zur Förderung städtebaulicher Sanierungs-und Entwicklungsmaßnahmen nach § 72 des Städtebauförderungsgesetzes mit den Zielen der Gemeinschaftsaufgabe abgestimmt. Von den 1972 mit einer Bundesfinanzhilfe von 150 Milionen DM geförderten 303 Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen liegen 163 innerhalb der Gebiete der Gemeinschaftsaufgabe, davon wiederum 87 an Schwerpunktorten dieser Gemeinschaftsaufgabe.
Ob darüber hinaus die gemeinschaftliche Förderung von privaten gegenüber öffentlichen Investitionen weiter eingeschränkt werden soll, ist noch eingehend mit den Ländern zu beraten.
Bitte, Herr Kollege, zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich Ihre Aussage noch einmal aufgreifen darf — wenn ich das richtig verstanden habe —, daß Sie infrastrukturelle Maßnahmen im Zusammenhang mit Wirtschaftsförderung in stärkerem Maße gefördert haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie mir in folgendem zustimmen. Sollte man nicht einmal grundsätzlich prüfen, ob es nicht richtig wäre, statt wie bisher, ohne weiteres Wohnbereich und Arbeitsbereich zusammenzuordnen, künftig Wohnbereich, Versorgung, Kultur und Freizeit zusammenzuordnen und beide Faktoren mit einem besseren Verkehrsnetz zu verbinden.
Ich glaube, daß es eine sehr interessante Anregung ist, Herr Kollege, die Sie hier geben. Ich bin sicher, daß die Fachleute, die sich mit diesen Fragen im Rahmen der Neuabgrenzung unserer Förderungskriterien zu befassen haben, auch Ihrer Anregung nachgehen werden.
Noch eine Zusatzfrage.
Noch eine Frage, Herr Staatssekretär! In welcher Weise können in Zukunft alle regionalen Förderungsmaßnahmen, die man allgemein unter Wirtschaftsstrukturverbesserung und Infrastrukturverbesserung fassen kann, so aufeinander abgestimmt werden, daß auch die Förderungsmaßnahmen der einzelnen Ressorts — etwa im Sinne eines Bundesraumordnungsprogrammes — wirklich koordiniert und synchronisiert werden?
Eine solche Abstimmung ist ja Ziel des von der Bundesregierung geplanten Raumordnungsprogramms. Wir nehmen an, daß im Rahmen dieses Programms die notwendige Abstimmung zwischen den Ressorts, soweit sie nicht heute schon selbstverständlich ist, noch vertieft werden kann.
Herr Abgeordneter Schröder zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, worin sehen Sie eigentlich den Sinn von ansteigenden Infrastrukturmaßnahmen in den Fördergebieten, wenn es zur gleichen Zeit durch die Kürzung der direkten Objektförderung in immer geringerem Ausmaße möglich ist, Arbeitsplätze zu erhalten und zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, d. h. wenn die Bevölkerung das Gebiet verläßt?
Herr Kollege ich habe schon darauf hingewiesen, daß es im Rahmen der regionalen Strukturpolitik darauf ankommt, das Präferenzgefälle zu erhalten, und daß dieses Präferenzgefälle erhalten geblieben ist, so daß die Förderungsmaßnahmen trotz der Konjunkturpolitik und der Stabilitätspolitik der Bundesregierung weiter fortgeführt worden sind. Die Maßnahmen der Streckung dieser Mittel geben der Bundesregierung die Möglichkeit, für den Fall einer Änderung der Konjunktursitua-
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3478 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 60. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 24. Oktober 1973
Parl. Staatssekretär Grünertion durch die Freigabe dieser Mittel in verstärktem Maße die Förderung zu betreiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Warnke.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich bewußt, daß eine Verbesserung des Einkommensrückstandes, der insbesondere in weiten Gebieten Ostbayerns bei zwischen 20 und 30 % gegenüber dem Bundesdurchschnitt liegt, nicht eine Kürzung der Investitionszulage und eine Verringerung der Investitionsförderung aus der Gemeinschaftsaufgabe, sondern eine Erhöhung notwendig machen würde, und daß Sie mit der von Ihnen angedeuteten Politik einer Verstärkung des Einkommensrückstandes das Wort zu reden Gefahr laufen?
Herr Kollege, ich kann diese Auffassung nicht teilen, sondern ich muß noch einmal darauf bestehen, daß es für die Förderungsmaßnahmen entscheidend ist, daß die Investitionsentscheidung des Unternehmens durch das Präferenzgefälle beeinflußt wird. Wir wissen aber sehr genau, daß es schwierige Regionen gibt, in denen selbst eine hundertprozentige Förderung nicht dazu führen würde, daß Arbeitskräfte bereit wären, dort in Betrieben Arbeit aufzunehmen. Das macht die Relativierung aller dieser Förderungsmaßnahmen sehr deutlich sicher in einem jetzt überspitzt dargestellten Beispiel. Aber es ist einfach eine Tatsache, daß neben der finanziellen Förderung eine Fülle anderer Voraussetzungen gegeben sein müssen, um finanzielle Förderung überhaupt zum ausschlaggebenden Faktor für eine Entscheidung zugunsten einer bestimmten Region zu machen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Früh!
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht, da gerade auch im ländlichen Raum die Bildungsreform große Fortschritte macht, für notwendig, hier wegen des besseren Bildungsstandes dieser jungen Menschen Arbeitsplätze für qualifizierte Kräfte zu erhalten und speziell zu fördern?
Ich teile Ihre Auffassung voll. Aber die Schwierigkeit, mit der wir zu kämpfen haben, besteht gerade darin, daß in bestimmten Bereichen der Arbeitnehmer ein Trend besteht, aus diesen Gebieten in die Ballungszentren abzuwandern, unabhängig davon, welche — insbesondere finanziellen — Möglichkeiten ihnen in diesen Regionen geboten werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schwencke.
Herr Staatssekretär, meine Frage bezieht sich auf die Zusammenarbeit von Bund und Land. Meinen auch Sie, daß ohne diese
Zusammenarbeit diese Fragen etwa für den bayerischen Raum nicht lösbar sind, weil, wenn wir die Prioritäten gemeinsam setzen, auch die Abstimmung für das Raumordnungsprogramm so laufen müßte, wie sie im Augenblick noch nicht läuft?
Herr Kollege, wenn ich Sie recht verstehe, haben Sie darauf hinweisen wollen, daß es natürlich auch politische Gesichtspunkte gibt, die bei der Festlegung von Förderkriterien eine große Rolle spielen. Ich kann Ihnen nur bestätigen, daß solche Gesichtspunkte selbstverständlich die Orientierung der Gemeinschaftsaufgabe an ausschließlich objektiven Kriterien im Einzelfall aus mir durchaus verständlichen Gründen erschweren kann.
Eine Zusatzfrage Herr Dr. Fuchs!
Herr Staatssekretär, können Sie mir Beispiele nennen, in denen Arbeitnehmer angebotene Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten, wie Sie soeben angedeutet haben, nicht angenommen haben?
Ja, Herr Kollege. Ich kann das leider jetzt nur ganz global tun und darauf hinweisen, daß wir etwa im Großraum München einen ungeheuren Drang nach München hinein haben und daß eine der Schwierigkeiten der Industrieaussiedlung in den Randgebieten darin liegt, daß dort das Arbeitskräfteangebot nicht so groß ist, wie es für die Industrieansiedlung reizvoll wäre. Wäre das anders, brauchten wir bei unserer Überbeschäftigung in diesen Randgebieten wahrscheinlich überhaupt keine Förderung mehr. Dann würde in der gegenwärtigen Phase das ausreichende Angebot an Arbeitskräften allein schon ein genügender Anreiz sein.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Dr. Franz auf:
Zu welchen gesetzgeberischen Überlegungen gibt die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Nr. 219 vom 20. September 1973, Seite 10, Anlaß, wonach Konzessionen für den Betrieb einer Gastwirtschaft auch an Räuber, Hehler und Totschläger erteilt werden, so daß kriminalistische Sachverständige darauf verweisen, das Hotel- und Gaststättengewerbe drohe zum Tummelplatz organisierter, aufsteigender oder schon aufgestiegener Unterweltler zu werden, und wie gedenkt die Bundesregierung zu verhindern, daß ahnungslose Gäste zweifelhaften Wirten ausgeliefert sind und der Ruf des ehrbaren Gewerbes durch Zunahme unzuverlässiger Existenzen gefährdet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung kann die in dem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 20. September 1973 behaupteten Mißstände, insbesondere bei der Erteilung von Gaststättenerlaubnissen, nicht bestätigen. Für den Vollzug des Gaststättengesetzes sind die Länder zustän-
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Parl. Staatssekretär Grünerdig. Bei dem mit ihnen regelmäßig geführten Gedanken- und Erfahrungsaustausch ist dem Bundesministerium für Wirtschaft hierüber nichts bekannt geworden.Das geltende Gaststättengesetz von 1970 und die zu seinem Vollzug erlassenen Durchführungsvorschriften der Länder bieten eine ausreichende Handhabe, unlautere Elemente vom Gaststättengewerbe fernzuhalten. Nach § 4 des Gaststättengesetzes ist nämlich die Erlaubnis für den Betrieb eines Gaststättengewerbes zu versagen, wenn der Antragsteller die hierfür erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Dazu zählen insbesondere die Hehler, Räuber und Totschläger, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genannt worden sind.Die zuständigen Landesbehörden legen bei der Prüfung der Erlaubnisvoraussetzungen nach meiner Kenntnis einen strengen Maßstab an. Stellt sich nach Betriebsaufnahme die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden heraus, so ist ihm nach § 15 Gaststättengesetz die Erlaubnis zu entziehen. Der Verfasser des Artikels in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hätte also nur den Nachweis führen müssen, daß Totschläger und Hehler konzessioniert worden sind; dann wären diese Konzessionen nachträglich zu entziehen.Die genannten Vorschriften ermöglichen somit auch einen ausreichenden Schutz der Gäste und können verhindern, daß das Ansehen des Gaststättengewerbes gefährdet wird. Zusätzlicher gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf es deshalb zur Zeit nicht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 54 ist bereits beantwortet.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Teilt die Bundesregierung die in der ostfriesischen Presse wiedergegebenen Ansichten, wonach es durchaus möglich sein müsse, die Konjunkturpolitik zu regionalisieren u. a. durch eine zeitliche Steuerung der Aufträge?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß eine Regionalisierung der Konjunkturpolitik, d. h. also eine regionale und sektorale Aufspaltung der globalen Stabilisierungspolitik nicht sinnvoll ist. Sie hält jedoch eine regional und sektoral gestaffelte Freigabe von Haushaltsmitteln für möglich, falls im weiteren Konjunkturverlauf eine gewisse Lockerung im Bereich der Ausgabenpolitik vertretbar wird. Auch die entsprechende zeitliche Steuerung öffentlicher Aufträge könnte dazugehören.
Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß sich im ostfriesischen Raum gerade auf dem Bausektor ein Beschäftigungsmangel abzeichnet, weil keine Anschlußaufträge vorliegen, und wann wäre für Sie der Zeitpunkt gekommen, hier einzugreifen?
Eine zeitliche Voraussage darüber läßt sich nicht machen. Ich habe in Beantwortung früherer Fragen schon darauf hingewiesen, daß wir wegen des hier ebenfalls geschilderten Auftragsbestandes im Augenblick keine Veranlassung sehen, besondere Maßnahmen zu ergreifen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Stehen die Absichten, die Sie hier verkündet haben, nicht in einem krassen Widerspruch zu der sogenannten Streckung der Mittel für die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die in diesem Jahr 10'0/o betragen soll? Für nächstes Jahr hat der Finanzminister schon eine Streckung von 30% angekündigt. Liegt hier nicht ein eindeutiger Widerspruch vor?
Nein, ich sehe das nicht so, Herr Kollege, zumal diese Mittel nicht etwa gestrichen, sondern ausdrücklich dafür vorgesehen sind, freigegeben zu werden, wenn das konjunkturell angezeigt erscheint.
Zusatzfrage, Herr Kollege Immer!
Herr Staatssekretär, würden Sie meiner Meinung zustimmen, daß es etwas eigenartig anmutet, wenn aus einer Richtung, aus der die Bundesregierung sonst immer verdächtigt wird, die freie Marktwirtschaft zu verlassen, plötzlich, wo diese Marktwirtschaft ganz bestimmte Auswirkungen hat, nach dem Staat gerufen und sein Eingreifen nach dem Motto gefordert wird: Privatisierung der Gewinne, Sozialisierung der Verluste?
Herr Kollege, der Bundesregierung liegt außerordentlich viel daran, daß die globale Strategie der Stabilitätspolitik hier in diesem Hause verstanden und unterstützt wird. Andererseits habe ich durchaus Verständnis dafür, daß Kollegen aus der Sicht ihres Wahlkreises Besorgnisse haben.haben. Die Bundesregierung nimmt es nicht leicht, wenn in einzelnen Bereichen tatsächlich Schwierigkeiten auftreten. Es handelt sich dabei nämlich nicht etwa nur um Schwierigkeiten für die Betriebe, sondern vor allem um solche für die dort beschäftigten Menschen.
Präsident Frau Renger: Herr Dr. Warnke!
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Herr Staatssekretär, ist Ihnen bewußt, daß in der Massierung konjunkturpolitischer Maßnahmen, als da sind: Kürzung der Investitionszulage um ein Viertel, Streckung der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur" und ,,Verbesserung der Wirtschaftsstruktur" um 10 bzw. 20 %, Einschränkung der Straßenbaumittel um 700 Millionen DM, fast ganzjährige Zurückhaltung der Kredite für die Gemeinden und die mittelständische Wirtschaft, bereits eine Regionalisierng der Konjunkturpolitik, allerdings zu Lasten der Fördergebiete, liegt, und teilen Sie meine Auffassung, daß es höchste Zeit ist, entsprechend einem dem Hause vorliegenden Gesetzentwurf eine Regionalisierung zugunsten der Fördergebiete durchzuführen?
Herr Kollege, ich teile diese Auffassung nicht. Ich verweise zum wiederholten Male darauf, daß das Präferenzgefälle zugunsten der strukturschwachen Gebiete trotz der Streckungsmaßnahmen, die Sie mit Recht angesprochen haben, erhalten geblieben ist. Gerade diese Streckungsmaßnahmen werden uns in die Lage versetzen, wenn es not tut, in diesen Gebieten, dann allerdings auch mit regionalem Schwerpunkt, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, die, wenn diese Streckungsmaßnahmen nicht ergriffen worden wären, jetzt schon verbraucht wären oder sehr bald verbraucht sein würden.
Muß das sein, Herr Böhm?
— Vielen Dank!
Wenn ja, warum macht die Bundesregierung von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch, um das Ansteigen der Arbeitslosigkeit in den strukturschwachen Gebieten — vor allem auch in Ostfriesland — zu verhindern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Die konjunkturelle Lage ist insgesamt derzeit noch immer durch deutliche Spannungen gekennzeichnet. Trotz der günstigeren Entwicklung beim Lebenshaltungskostenindex ist in der konjunkturbedingten Preisentwicklung die angestrebte Tendenzwende noch nicht erreicht. Eine konsequente Fortführung des Stabilitätskurses ist deshalb bis auf weiteres erforderlich. Dies haben auch die unabhängigen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrer jüngsten Gemeinschaftsdiagnose voll bestätigt. Der Bundesminister für Wirtschaft wird sich dafür einsetzen, daß bei einer erheblichen Gefährdung der Beschäftigtenlage in strukturschwachen Gebieten gezielte Maßnahmen der regionalen Wirtschaftspolitik durchgeführt werden, z. B. die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe vorrangig entsperrt werden.
Bitte!
Frau Präsidentin, ich bitte um Verständnis: Ich war vorhin in dem Glauben, daß ,die beiden Fragen zusammen beantwortet würden.
Ich habe auch erst hinterher gemerkt, daß Sie dies vermutet haben. Sie haben jetzt noch zwei Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal folgende Bitte an Sie richten: Würden Sie den Kollegen Immer vielleicht in der Richtung aufklären, daß ja nicht etwa wir den Staat dazu aufgerufen haben, planungswirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen, sondern daß ich klären wollte, ob die Ausführungen des Abgeordneten Ehrenberg, der ja nach diesen Maßnahmen gerufen hat, mit der Auffassung der Regierung identisch sind oder ob es sich dabei in erster Linie um Wahlpropaganda handelt.
Herr Kollege, ich muß Sie leider korrigieren. Sie können die Regierung nicht nach Meinungsäußerungen der anderen Kollegen befragen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Böhm .
Herr Staatssekretär, teilen Sie unsere Sorge, daß die globale konjunkturpolitischen Maßnahmen, die nicht regional differenziert sind, jahrelange 'strukturpolitische Bemühungen in den strukturschwachen Gebieten zunichte machen, weil sie dort besonders hart greifen und zu schweren wirtschaftlichen Schäden führen?
Herr Kollege, ich teile diese Auffassung nicht. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß tatsächlich solche Wirkungen eingetreten sind.
Herr Kollege Warnke!
Herr Staatssekretär, ist meine Besorgnis auf Grund der eben gegebenen Antworten gerechtfertigt, daß im Falle von Beschäftigungsschwierigkeiten in den Fördergebieten die ganze Hilfe der Bundesregierung darin bestehen wird, die ursprünglich gekürzten Mittel allenfalls wieder auf den Stand von 1971 — das war der ursprüngliche Ansatz — anzuheben?
Herr Kollege, es ist nicht Aufgabe dieser Fragestunde, alle Möglichkeiten, die der Regierung im Falle eines Konjunkturrückschlages zur Verfügung stehen, zu erörtern. Ich würde eine solche Erörterung auch aus psychologischen Gründen nicht für günstig halten. Ich habe hier nur die auf der Hand liegenden Möglichkeiten und vor allem
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Parl. Staatssekretär Grünerdie Möglichkeiten, die diesen gefährdeten Gebietendann unmittelbar zugute kommen können, skizziert.
Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Immer.
Herr Staatssekretär, gibt es Anzeichen dafür, daß es nur zwischen Ostfriesland, das in der zweiten Frage des Kollegen Schröder angesprochen wurde, und Nordbayern verwandtschaftliche Beziehungen in bezug auf Strukturschwäche gibt, oder meinen Sie, daß es weitere Gebiete gibt, in denen ähnliche Verhältnisse herrschen, die reguliert werden müssen?
Es gibt sicher auch noch andere Gebiete, in denen diese Schwierigkeiten aufgetreten sind, wobei selbstverständlich die regionale Beurteilung und insbesondere auch die Ausweichmöglichkeiten sehr unterschiedlich sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für Ihre ausführlichen Antworten.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Herrn Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rohde zur Verfügung. Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf:
Kann die Bundesregierung angeben, wie sich im ersten Halbjahr 1973 bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen insgesamt und bei den einzelnen Kassen die Beitragseinnahmen zu den Ausgaben unter Einschluß der Verwaltungskosten und sonstiger Kosten gestaltet haben?
Frau Präsidentin, die Fragen 57 und 58 des Kollegen Kiechle sind mit der Frage 68 des Kollegen Niegel weitgehend identisch. Ich würde diese Fragen deshalb gern mit Zustimmung beider Kollegen gemeinsam beantworten.
Es bestehen keine Einwendungen.
Dann rufe ich noch die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Kiechle:
Welche landwirtschaftlichen Alterskassen haben bereits die Beiträge um wieviel Prozent im Jahr 1973 erhöht, und welche Kassen müssen in absehbarer Zeit die Beiträge in welchem Umfang anheben?
und die Frage 68 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die finanzielle Situation der landwirtschaftlichen Krankenkassen unter Berücksichtigung aller gesetzlich vorgeschriebenen finanziellen Aufwendungen , und wie hoch müssen die Beiträge angehoben werden, um alle Verpflichtungen erfüllen zu können?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Im ersten Halbjahr 1973 überstiegen die Beitragseinnahmen bei den landwirtschaftlichen Alterskassen die Leistungsaufwendungen für Mitglieder — ohne die Altenteiler — im Durchschnitt um knapp 10 v. H. Ein Überschuß hat sich bei 14 der insgesamt 19 landwirtschaftlichen Krankenkassen ergeben, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Er reichte von 5 v. H. bis 43 v. H. Bei den übrigen fünf Kassen waren die Ausgaben höher als die Beitragseinnahmen, und zwar zwischen 3 v. H. und 17 v. H. Ich werde Ihnen beiden, meine Kollegen, eine statistische Übersicht zuleiten, aus der Sie die Lage jeder einzelnen Kasse ersehen können.
Angaben unter Einbeziehung der Verwaltungskosten und der sonstigen Kosten kann ich Ihnen leider noch nicht machen, da diese Daten in der Statistik nur jährlich erfaßt werden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß die Beitragseinnahmen die Gesamtausgaben decken, wobei selbstverständlich gewisse regionale Unterschiede vorhanden sind. Infolgedessen hat erst eine landwirtschaftliche Krankenkasse, und zwar die Westfälische landwirtschaftliche Krankenkasse, ihre Beiträge erhöht. Nach meinen Informationen ist eine weitere Erhöhung von Beiträgen in diesem Jahr nicht mehr vorgesehen.
Die dargestellte finanzielle Situation halte ich deswegen für besonders bemerkenswert, weil sich die Beiträge der landwirtschaftlichen Krankenkassen mit den positiven Erwartungen der Bundesregierung vor Einführung der Krankenversicherungspflicht für Landwirte decken. Ich darf insofern auf die Bundestagsdrucksache VI/3012 aus der letzten Legislaturperiode hinweisen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kiechle.
Herr Staatssekretär, sind die landwirtschaftlichen Krankenkassen ihrer Verpflichtung nach § 71 zur Bildung einer Rücklage nachgekommen?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die landwirtschaftlichen Krankenkassen dies bei ihrem Aufbau nach den gesetzlichen Vorschriften berücksichtigen. Einen besseren Überblick werden wir erst dann haben und Ihnen geben können, wenn wir nicht allein statistisches Material besitzen, das nur auf das erste Halbjahr abstellt, sondern das sich auf ein ganzes Jahr bezieht.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kiechle.
Habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie mir die statistischen Angaben, die Ihnen zur Verfügung stehen, schriftlich zuleiten werden?
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Ja, Herr Kollege. Die Angaben sind nach einzelnen Kassen aufgefächert, so daß Sie daraus jeweils ihre Lage ersehen können.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Niegel.
Herr Staatssekretär, können Sie — die Unterlagen sind bei Ihnen sicherlich noch nicht vollständig vorhanden — auch eine Zusammenstellung darüber veranlassen, wann welche Kasse in etwa Beitragserhöhungen unter Berücksichtigung z. B. von Pensionsrückstellungen usw. ins Auge fassen wird?
Herr Kollege, ich will das wohl versuchen. Aber ich sage gleichzeitig, daß das zum gegenwärtigen Zeitpunkt wahrscheinlich noch nicht möglich ist. Sie müssen davon ausgehen, daß seinerzeit bei der Verabschiedung des Gesetzes die Krankenkassen die Schwierigkeit hatten, genau festlegen und angeben zu sollen, wie sich die Beiträge im einzelnen entwickeln würden. Hinzu kommt auch, daß sich die Ausgabetrends für Krankenbehandlung und gesundheitliche Leistungen im Bereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung ebenso wie in anderen Krankenkassen niederschlagen.
Ich werde also, um es korrekt zu sagen, versuchen, die von Ihnen gewünschten Angaben zu erhalten, mache aber auf die Schwierigkeiten, die in dieser Beziehung bestehen, aufmerksam.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Damit ist die Fragestunde beendet.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 25. Oktober 1973, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.