Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, wir nehmen heute Abschied von Heinrich Georg Ritzel,
der am 19. Juni 1971 nach schwerer Krankheit in der Universitätsklinik in Basel verstorben ist.Alle Mitglieder des Deutschen Bundestages haben mit ihm einen ehemaligen Kollegen verloren, der sich während seines 16jährigen Wirkens im Deutschen Bundestag von 1949 bis 1965 hohe Anerkennung und den Respekt aller Fraktionen erworben hat. Seine umfangreichen parlamentarischen Kenntnisse und Erfahrungen, die er als engagierter Sozialdemokrat schon in der Kommunalpolitik, in der Landes- und in der Reichspolitik der Weimarer Republik gewonnen hatte — er war von 1930 bis 1933 Mitglied des Reichstags —, stellte er nach harten Jahren der Emigration erneut in den Dienst einer jungen Demokratie.Er war der Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung und damit Mitschöpfer der Geschäftsordnung dieses Hauses, die für viele Jahre Grundlage des parlamentarischen Verfahrens wurde. Er hat durch seine Mitarbeit im Haushaltsausschuß seine umfangreiche politische Erfahrung, seinen Mut und seine Energie immer wieder bewiesen.Es bedeutet neben manchen anderen Ehrungen und Ämtern ein Zeichen besonderer Wertschätzung des Demokraten und des Europäers Heinrich Ritzel, daß ihm als erstem Deutschen vom WeizmannInstitut in Rehovot in Israel im Jahre 1962 die Würde eines Ehrensenators verliehen wurde.Der Deutsche Bundestag wird das Andenken an Heinrich Georg Ritzel, der auch nach seinem Ausscheiden aus diesem Hause politisch und publizistisch aktiv blieb, dankbar lebendig halten.Ich danke Ihnen.Meine Damen und Herren, der Ältestenrat empfiehlt, für die Einreichung von Fragen während der Sommerpause abweichend von der Geschäftsordnung folgende Regelung zu treffen: Jedes Mitglied des Hauses ist berechtigt, in den Monaten Juli undAugust je vier Fragen einzureichen. Die Fragen für den Monat Juli müssen spätestens bis Freitag, den 30. Juli, 11 Uhr, die Fragen für den Monat August bis Dienstag, den 31. August, 11 Uhr, im Parlamentssekretariat, Zimmer 26 A, eingehen. Fragen, die in den Monaten Juli und August eingereicht werden, werden von der Bundesregierung schriftlich beantwortet.Fragen, die im Monat September gestellt werden, werden gemäß den Richtlinien für die Fragestunde beantwortet. Sperrfrist für die Einreichung von Fragen für die Fragestunde der ersten Plenarsitzungen nach der Sommerpause ist gemäß Nr. 9 der Richtlinien für die Fragestunde Freitag, der 17. September, 11 Uhr. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.Dann gebe ich bekannt, daß die Fraktion der SPD mit Schreiben vom 23. Juni 1971 mitgeteilt hat, daß der Abgeordnete Hermsdorf aus dem Gremium gemäß § 9 Abs. i des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ausscheidet. Als sein Nachfolger wird der Abgeordnete Becker (Nienberge) benannt. Das Haus ist damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Becker (Nienberge) als Mitglied des Gremiums gemäß § 9 Abs. 1 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses gewählt.Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am 16. Juni 1971 die Kleine Anfrage der Abgecrdneten Dr. Martin, Pfeifer, Frau Dr. Walz, Dr. Goiter, Dr. Probst und der Fraktion der CDU/CSU betr. Preissteigerungen bei Bildungsausgaben -Drucksache VI/2193 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V1/2346 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 18. Juni 1971 die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Inanspruchnahme und finanzielle Auswirkungen des Dritten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer — Drucksache VI/2186 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/2349 verteilt.Der Präsident des Deutschen Bundestages hat am 21. Juni 1971 gemäß § 96 Abs. 2 Salz 3 GO den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung bewertungsrechtlicher Vorschriften — Drucksachen VI/1888, VI/2334 — in der vom Finanzausschuß beschlossenen Fassung dem Haushaltsausschuß überwiesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts so rechtzeitig, daß der Gesetzentwurf in der Woche vom 21. Juni im Plenum verabschiedet werden kann.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:EG-VorlagenRichtlinien aber die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr für bestimmte selbständige Tätigkeiten auf dem Gebiet der Pharmazeutik— Drucksache V/4013 —
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7498 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Präsident von Hasselüberwiesen an den Ausschuß für Jugend, Familie find Gesundheit , Ausschuß fur Wirtschaft mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußtassung im RatVerordung des Rates über die Beihilfearten, zu denen derEuropäische Sozialfonds einen Luschuß gewähren kannDrucksache VI 2320 -überwiesen an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung , den Haushaltsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Bericht rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußtassung im RatZorn Ablaut des heutigen Tages möchte ich auf folgendes hinweisen. Wir beginnen mit Punkt 2 a), b) und c) der Tagesordnung. Die Fragestunde findet von 13.00 bis 14.00 Uhr statt. Von 14.00 bis 15.00 Uhr ist Pause, um 15.00 Uhr Fortsetzung, und zwar mit der Lesung des Rentenanpassungsgesetzes. Wir müssen uns darauf einrichten, daß wir bis heute abend 21.00 Uhr tagen.Ich rufe den Punkt 2 auf:a) Mündlicher Bericht des Petitionsausschusses über seine Tätigkeit gemäß § 113 Abs. 1 der GeschäftsordnungBerichterstatter: Abgeordneter Hussingb) Beratung der Sammelübersicht 23 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 31. Mai 1971 eingegangenen Petitionen- Drucksache VI/2309 --c) Beratung der Sammelübersicht 24 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache VI/2345 —Ich danke dem Berichterstatter. Das Wort wird begehrt? — Bitte schön, Herr Kollege. — Ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar gewesen, wenn Sie Ihren Namen angemeldet hätten, damit wir es wissen. — Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Eintritt in die Sommerpause ist nahezu die erste Hälfte der 6. Wahlperiode vorüber. Darum erscheint es dem Petitionsausschuß angebracht, im Rahmen des Mündlichen Berichts des Petitionsausschusses über seine Arbeit einen kurzen statistischen Rückblick zu halten.In der 5. Legislaturperiode gingen die Petitionen, die Bitten und Beschwerden der Bürger an den Deutschen Bundestag auffällig zurück, was zu der Annahme verleitete, daß die Sorgen und Nöte der Bürger geringer geworden sind, daß mehr und besseres 'Recht in Gang gesetzt worden ist, daß sorgfältigere Entscheidungen den Bürger erreicht haben. Aber bedauerlicherweise werden voraussichtlich die Zahlen der Petitionen in der 6. Wahlperiode wieder wesentlich ansteigen. Allein bis Ende Mai 1971 beträgt die Zahl der Einzelpetitionen 11 347. Viele spiegeln Auswirkungen der gesetzgeberischen Tätigkeit wider, die dichter und komplizierter wird und betroffene rat- und hilfslose Bürger schafft.Bei den 11 347 Einzelpetitionen sind 624 sogenannte Sammelpetitionen mitgezählt, bei denen sich jemand in Gemeinschaft mit anderen an den Bundestag wendet. Nicht berücksichtigt sind die sogenannten Massenpetitionen, mit denen Interessengruppen eine Vielzahl von Eingaben meist gleieben Inhalts und gleichen Textes einsenden. In diesen schlägt sich in besonderem Maße die aktuelle Diskussion des Bundestages nieder.Im 6. Deutschen Bundestag stehen voran Masseneingaben im Rahmen der „Aktion Porno-Stop", ausgelöst durch die aktuelle Diskussion in diesem Hause und im Lande. Zum Thema „Pornographie" sind beim Petitionsausschuß 35 965 Petitionen eingegangen. Bei den Sachgebieten stehen nach wie vor die Sozialversicherung, die Alterssicherung der freien Berufe und Fragen des Familienlastenausgleichs im Vordergrund. Hier schafft eine komplizierte, lückenhafte und fehlende Gesetzgebung oft den Anlaß für eine Petition. Einen ganz wesentlichen Niederschlag finden immer noch die Folgen des letzten Krieges und das Problem der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Ein anderes Anliegen, mit dem sich der Petitionsausschuß in der Vergangenheit in wachsendem Maße i zu beschäftigen hatte, waren Bitten um Zurückstellung und Befreiung von der Wehrpflicht. In der 6. Wahlperiode gingen bisher 64 Petitionen ein, die die Zurückstellung, und 45 Petitionen, die die Befreiung von der Wehrpflicht zum Gegenstand hatten.Auffallend ist wie stets die Zahl der Petitionen, die nach Prüfung der Sach- und Rechtslage als erledigt angesehen worden sind, nämlich 18,54 %. Das läßt den Schluß zu, meine Damen und Herren, daß die Verwaltung gut arbeitet. Andererseits aber darf nicht verkannt werden, daß einer Vielzahl von Petitionen nur deshalb nicht entsprochen werden kann, weil dem Ausschuß die rechtliche Möglichkeit fehlt, die ihm vorgelegten Sachverhalte genauer zu prüfen. Der Anteil der positiv erledigten Eingaben könnte mit Sicherheit erhöht werden, wenn der Ausschuß die in seinem Gesetzentwurf über die Erweiterung der Befugnisse des Petitionsausschusses angestrebten Rechte erhielte. Hierzu gehören neben anderen vor allem das Recht auf Auskunft und Aktenvorlage seitens der Bundesregierung und Verwaltung und das Recht auf Anhörung des Petenten und anderer Beteiligter sowie das Recht auf Hilfe durch Gerichte und Verwaltungsbehörden. Kollege Hansen gab in seinem Bericht am 24. März 1971 der Erwartung Ausdruck, daß das Gesetz über die Erweiterung der Befugnisse noch vor der Sommerpause, in der die Arbeit des Petitionsausschusses weitergeht, verabschiedet werde. Beklagenswerter-weise ist das nicht geschehen. Angesichts der wieder steigenden Zahl der Petitionen besteht eine dringende Notwendigkeit zur Verabschiedung dieses Gesetzes, und ich bitte Sie namens des Ausschusses sehr herzlich, dieses alsbald nach der Sommerpause zu verabschieden.Als positives Ergebnis der Arbeit des Petitionsausschusses ist ganz besonders zu begrüßen, daß besondere Erleichterungen für die Einbürgerung
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7499
Hussingfremder, mit deutschen Ehegatten verheirateter Staatsangehöriger erzielt worden sind. Der entsprechend dem Antrag des Petitionsausschusses gefaßte Beschluß des Deutschen Bundestages, u. a. die Petition eines seit 11 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebenden, mit einer Deutschen verheirateten Staatsangehörigen der Bundesregierung zur Erwägung zu überweisen, gab dem Bundesministerium des Innern Veranlassung, im Benehmen mit den Vertretern der Länderinnenminister die allgemeine Problematik der Einbürgerung derjenigen fremden Staatsangehörigen, die mit deutschen Ehegatten verheiratet sind, zu überprüfen. Als begrüßenswerte Folge dieser Uberprüfung sind nunmehr in den Richtlinien Erleichterungen für die Einbürgerung der mit deutschen Ehegatten verheirateten ausländischen Staatsangehörigen vorgesehen, die es ermöglichen, eine cien existenziellen Interessen des einzelnen gerecht werdende Entscheidung zu treffen und Härtefälle zu vermeiden.Unter den Eingaben, die zu einer positiven Erledigung gebracht werden konnten, fielen in letzter Zeit einige besonders erfreulich dadurch auf, daß recht erhebliche finanzielle Leistungen zugunsten der Petenten durchgesetzt werden konnten, obwohl zunächst negative, sogar bindende Bescheide erteilt worden waren. Lassen Sie mich einen dieser Fälle kurz skizzieren.Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte lehnte 1968 den Antrag einer Petentin auf Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente ab. Auch die hiergegen erhobene Klage wurde im Jahre 1970 durch Urteil des Sozialgerichts abgewiesen. Daraufhin wandte sich die Witwe an den Petitionsausschuß. Unter Hinweis auf die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Frage der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau wurde der Arbeitsminister um Stellungnahme zu der Eingabe gebeten. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erklärte sich nunmehr auf Grund der Petition bereit, eine Geschiedenen-Witwenrente ab Antragsmonat zu gewähren. Die Rente betrug etwas mehr als 500 DM, die Nachzahlung fast 18 000 DM.Meine Damen und Herren, das Besondere an dem vorgetragenen Fall wie auch an ähnlich gelagerten Fällen ist, daß hier den Petenten geholfen werden konnte, obwohl die Entscheidungen des Versicherungsträgers bereits durch rechtskräftige sozialgerichtliche Urteile bestätigt waren. Der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages vertritt nicht die Meinung, daß derartige Eingaben nicht behandelt werden könnten, weil sich die Beschwerde ja nicht oder nicht allein gegen das nicht angreifbare Gerichtsurteil, sondern gegen die von der Verwaltung getroffene Entscheidung richtet. Gleichwohl wird sich die Verwaltung aber in der Regel auf die für sie günstige Beurteilung der Rechtslage durch das Gericht als die für die Entscheidung rechtlicher Streitigkeiten ausdrücklich vorgesehene Institution berufen können. Unter diesen Umständen richtet sich die parlamentarische Prüfung vor allem auf die Frage, ob neue rechtserhebliche Umstände vorliegen, die zu einer anderen Beurteilung führen müßten. Hierbei geht es nicht nur um neu vorgetragene Tatsachen oder Beweismittel, über die schondie Verwaltungsbehörde erneut befinden müßte, sondern auch um neue rechtliche Gesichtspunkte, die in der gerichtlichen Entscheidung noch nicht berücksichtigt sind, etwa, wie in den aufgezeigten Fällen, um eine Änderung in der Gesetzgebung oder in der höchstrichterlichen Rechtsprechung.Meine Damen und Herren, zuletzt möchte ich Sie noch darauf hinweisen, daß die Drucksache VI/2309 eine systematische Ubersicht über die insgesamt in der Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 31. Mai 1971 eingegangenen Petitionen enthält, aus der sich weitere statistische Einzelheiten über die Arbeit des Ausschusses entnehmen lassen.Abschließend bitte ich Sie, den in den Sammelübersichten 23 — Drucksache VI/2309 — und 24 —Drucksache VI/2345 — enthaltenen Anträgen zu Petitionen zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort weiter gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Der Herr Berichterstatter hat vorgeschlagen, die Anträge des Ausschusses auf den Drucksachen VI/2309 und VI/2345 anzunehmen. Dem wird nicht widersprochen; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf:
a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. finanz- und währungspolitische Absichten der Regierung
— Drucksachen VI/2205, VI/2326 —
b) Beratung des Sondergutachtens „Zur konjunktur- und währungspolitischen Lage im Mai 1971"
Drucksache VI/2230 —
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Strauß. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es eines Beweises bedurft hätte, ob die zur Behandlung anstehende Große Anfrage, wie gelegentlich gefragt worden ist, nach Inhalt und Zeitpunkt begründet vorgelegt wurde, so hat die Antwort der Bundesregierung, wenn man die Drucksache VI/2326 vom 16. Juni 1971 überhaupt als Antwort bezeichnen will, was schon eine große Selbstverleugnung voraussetzt,
den letzten Zweifel beseitigt, daß dem so ist.Die Frage i nach den wirklichen Gründen für den Rücktritt des Bundesfinanzministers ist von der Bundesregierung so beantwortet worden, daß der frühere Finanzminister in einem persönlichen Schreiben an den Herrn Bundeskanzler seinen Rücktritt begründet hat. Daran haben wir nie gezweifelt, da- nach haben wir auch gar nicht gefragt.
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7500 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
StraußDanach ist wirklich nicht gefragt worden. Diese Antwort ist nicht nur unmöglich, sondern sie stellt auch eine Verhöhnung der Fragesteller und des Parlaments dar.
Wenn die Bundesregierung schon nicht die Gründe bekanntgeben will, dann hätte sie sagen müssen, sie sei nicht bereit dazu, die wirklichen Gründe der Öffentlichkeit mitzuteilen. Dann kann jedermann daraus schließen, warum sie nicht dazu bereit ist.Der Rücktritt eines Bundesfinanzministers ist eine schwerwiegende Angelegenheit, wenn nicht gesundheitliche, nicht private Gründe, sondern Gründe der Aufgabenstellung des Finanzministers für den Rücktritt entscheidend sind.Im Bulletin vom 14. Mai 1971 erschien unter der Überschrift „Konzentration der Kräfte für die Stabilitätspolitik" — schon eine fatale Formulierung -eine offizielle Verlautbarung über den Rücktritt Möllers, d. h. er wurde von Staatssekretär Ahlers auftragsgemäß dienstunfähig geschrieben. Es heißt dort, Möller sehe die großen Schwierigkeiten, angesichts der Anforderungen der Ressorts einen stabilitätsgerechten Haushalt vorzubereiten. Dies sei mit großen, auch körperlichen Anstregungen verbunden. Er habe es deshalb für richtig gehalten, jetzt um seine Entlassung zu bitten und nicht erst bis zum September zu warten, einem Zeitpunkt, zu dein dann möglicherweise ein solcher Rücktritt doch hätte erforderlich werden können.Herr Möller hat sich daraufhin sofort wieder kv geschrieben und hat in einem Interview in der „Welt" am Tage darauf ganz scharf reagiert:Es ist falsch, was behauptet worden ist, daß ich gesundheitlich angeknackst sei. Ich bin gesund und in bester Form, und davon werde ich Andersgläubige überzeugen.
Richtig ist, daß der einzige Grund die Bilanz für die Haushaltsführung ist.
In einer Illustrierten meldet sich Herr Möller unter dem 23. Mai 1971 zu Wort: „Um die Jahreswende kam mir zum erstenmal der Gedanke, daß es so nicht weitergehen kann." Möller habe zu Brandt gesagt: „Herr Bundeskanzler, Sie müssen jetzt von Ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und die Herren Minister zum Sparen veranlassen." Es heißt dort weiter:Im Mai diktierte er eine Bestandsaufnahme „der ausweglosen Situation" und war selbst „noch einmal erschüttert, als die schwarz auf weiß dastand".Dann schrieb er seinen Rücktrittsbrief an den Bundeskanzler mit eingehender Begründung und fügte ihm eine Dokumentation über die haushaltswirtschaftliche Lage für das Jahr 1972 und für die Fortschreibung des mittelfristigen Finanzplans bis 1975 bei.Wenn der Bundeskanzler jetzt mitteilt, er beabsichtige nicht, das Schreiben zu veröffentlichen, dannist das nicht nur eine Brüskierung des Parlaments, sondern ein Eingeständnis, daß man es nicht wagt, Rücktrittsschreiben und Dokumentation der Öffentlichkeit bekanntzugeben.
Die Öffentlichkeit hat aber Anspruch darauf, die Wahrheit zu erfahren und nicht durch falsche Begründungen getäuscht zu werden.
Denn der Bundesfinanzminister ist für die Aufstellung des Haushaltsplans der mittelfristigen Finanzplanung und für den Vollzug des Haushaltsplans verantwortlich. Ihm wird in Verfassung, Gesetz und anderen Rechtsvorschriften eine besondere Stellung eingeräumt. Er wird als Hüter der Stabilität angesehen.Alex Möller selbst war einer der Spitzenstars der im Herbst 1969 neu gebildeten Regierung, und das nicht ohne Grund. Ihm sind damals besonders große Vorschußlorbeeren bewilligt worden. Noch im März 1970 erschien „Kapital" mit der Überschrift: „Der neue Schiller heißt Möller."
Er selbst hatte den — ich darf sagen: durchaus verständlichen — Ehrgeiz, als einer der großen Steuerreformer in die Finanzgeschichte einzugehen, und stellte sich noch einen Monat vor seinem Rücktritt im „Vorwärts" in eine Reihe mit Matthias Erzberger, dem großen Steuerreformer der Weimarer Republik. Er selbst wollte laut eigener Aussage — und sein Rücktritt beweist das — ein solider Finanzier der inneren Reformen werden.. Am Nachmittag des Tages, an dem er seinen Rücktritt erklärte — es war der 13. Mai 1971 —, wollte er die Eckwerte seines Steuerreformplans im Kabinett behandeln.Wenn ein Mann mit diesem Hintergrund das aufgibt, was er sich als letzte Aufgabe seines politischens Lebens selbst gesetzt hat, so ist das ein wirkliches Signal und mehr als ein Anhaltspunkt für die Ausweglosigkeit, in die sich die Regierung auf finanziellem Gebiete hineinmanövriert hat.
Noch am 11. Juni 1971, nach seinem Rücktritt, hat er — ich habe mich nicht verlesen — im „Rheinischen Merkur", nicht im „Vorwärts", geschrieben:Während meiner Amtszeit habe ich immer wieder hervorgehoben, daß das politische Handeln in Einklang stehen muß mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten und den Möglichkeiten einer soliden Finanzpolitik.Wenn er trotz bester Gesundheit gleichwohl den Weg des Rücktritts gewählt hat, so kann das doch nur bedeuten, daß das politische Handeln der Regierung nach seiner Überzeugung eben nicht mehr in Einklang steht mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten und den Möglichkeiten einer soliden Finanzpolitik.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7501
StraußDie Opposition hat diese Frage gestellt, weil dieRegierung hier zuerst die Öffentlichkeit über die wirklichen Gründe irreführen wollte und sich jetzt weigert, die Gründe bekanntzugeben und den Rücktrittsbrief mit Dokumentation zu veröffentlichen.
Man kann allerdings bei Lektüre der Illustrierten wohl vieles von dem finden, was der Bundeskanzler der Öffentlichkeit verschweigt; denn sie ist offenbar im Besitz der Informationen, die man dem Parlament vorenthält.
Die Öffentlichkeit hat aber einen Anspruch, weil es hier um ihre eigene Sache geht
und nicht um ein Familiengeheimnis der Bundesregierung oder ihrer Koalition,
Anspruch, die volle Wahrheit zu erfahren. Und darum stellen wir diese Frage, auf die wir leider eine Antwort bekommen, über die ich mich einer näheren Qualifikation jetzt zunächst enthalten will.
Hat nicht der Bundeskanzler am 28. Oktober 1969 in der Präambel seiner Regierungserklärung feierlich versichert — ich zitiere ihn wörtlich —:Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun.
Wir werden darauf hinwirken, daß durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken.
Der Bundeskanzler hat sich besonders an die von ihm so gern als frustriert bezeichnete junge Generation gewandt und hat von ihr verlangt, sie solle ihn beim Worte nehmen. Sie soll ihn beim Worte nehmen! Er wolle sich beim Worte nehmen lassen! Nun nehmen wir ihn — gleichgültig welcher Generation man angehört hei diesem Worte von damals, und wir erhalten als Auskunft eine Antwort, die man praktisch nur als Hohn und Spott bezeichnen kann.
Gerade an diesem Beispiel erweist sich wieder die für diese Regierung typische Kennzeichnung des Unterschieds von Theorie und bombastischen Ankündigungen einerseits und von Praxis und Wirklichkeit andererseits.
Was ist hier übriggeblieben von mehr Demokratie, von mehr Information, von mehr Durchsichtigkeit der Regierungsvorgänge, von mehr Transparenz des Regierungsapparates? Falsche Erklärungen, irreführende Auskünfte und dann die Verweigerung einer wirklichen Antwort. Das ist kennzeichnend für den Stil, der mit dem Herbst 1969 hier eingezogen ist.
Mit fragwürdigen organisatorischen Änderungen, mit Zusammenlegung großer Ministerien in einer Hand und mit Beschwichtigungsversuchen können die Probleme, die offensichtlich zum Rücktritt des Bundesfinanzministers geführt haben, nicht gelöst werden. Das wird gerade an der taktischen Entscheidung Möllers klar, der bis in die jüngste Zeit hinein und über die Grenze der Selbstverleugnung hinaus versucht hatte, die Finanz- und Konjunkturpolitik der Regierung zu verteidigen, die Lage zu beschönigen und unsere Warnungen vor dem gefährlichen Weg in die Finanzkrise vom Tisch zu wischen und als Schwarzmalerei des Franz Josef Strauß zu bezeichnen, so wörtlich im Pressedienst vom 1. März 1971.Der Rücktritt beweist die Richtigkeit unserer Warnungen, unserer Kritik und vor allem unserer konkreten Alternativ-Vorschläge zur Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung. Die Vorschläge der CDU/CSU haben bereits angefangen mit Warnungen im Herbst 1969, mit Warnungen vor den verheerenden sowohl psychologischen wie praktischen Wirkungen haltloser Steuersenkungs- und Ausgabenerhöhungszusagen
oder mit den Vorschlägen des CDU-Präsidiums vom Mai 1971, den Anträgen zum Haushalt vorn Mai 1970 bei der Verabschiedung des viel zu spät beschlossenen Konjunkturzuschlages oder der ersten Lesung des Haushalts 1971 im September vorigen Jahres. All das wurde verlacht, als Panikmache verdammt oder, noch besser, mit der Bemerkung ignoriert, die Opposition biete ja keine Alternativen in dieser Situation.
Der SPD-Sprecher Junghans sagte am 29. Januar 1970 im Bundestag: Jetzt muß Schluß sein mit der Preishysterie! Derselbe Experte der SPD-Fraktion bezeichnete unsere wiederholten Warnungen und Mahnungen — darunter meine Vorstellungen zur Notwendigkeit der Einführung des Konjunkturzuschlages bereits im Herbst 1969 — am 4. Juni 1970 als „Kalten Kaffee" und meinte zuversichtlich — wörtlich —: „Wir stellen fest, daß das Vertrauen der Bevölkerung in die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung auch durch Ihre an mich gerichteten fünfmaligen Angriffe auch durch Ihr dauerndes Aufwärmen — „kalter Kaffee" wird nach meiner Auffassung nach fünfmaligen Aufwärmen ungenießbar — nicht gebrochen ist." Er selbst wurde am 10. Juli 1970 gezwungen, diesen „kalten Kaffee" bei der Verabschiedung des Gesetzes ´über den Konjunkturzuschlag selbst zu trinken!
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7502 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
StraußFrisch aufgeschüttet wäre er sicher ihm und unserer Wirtschaft besser bekommen! Jetzt müssen Sie auch leidvoller die Richtigkeit der früheren Erkenntnisse Ihres eigenen Wirtschaftsministers erfahren, der im Jahre 1968 in bezug auf die Wirtschaftspolitik gesagt hat, daß Zögern immer bedeutet, daß man später mehr machen muß und daß es teurer wird.
Ich muß hinzufügen, daß eine allzu lange Verzögerung schließlich in die Ausweglosigkeit hineinführen kann, in die krisenhafte Zuspitzung einer Stagnation mit anhaltenden inflationären Erscheinungen, bei der sich fortwirkend hohe Preissteigerungen mit Gefahr eines Risikos für die Beschäftigungslage kombinieren.
Gerade deshalb fordern wir die Regierung nochmals auf weil, es hier nicht ihre Privatangelegenheit ist —, den Brief des ehemaligen Bundesfinanzministers an den Bundeskanzler und die beigefügte Dokumentation zu veröffentlichen. Hier gibt es weder eine Geheimhaltung aus staatspolitischen Gründen noch den Anspruch darauf, daß es sich um eine private Korrespondenz oder Dokumentation handle.
Welche Gründe veranlassen die Regierung zu dieser sonst gar nicht so geübten Schweigsamkeit? Wenn es heißt: „Konzentration der Kräfte für die Stabilitätspolitik", so bedeutet das, daß der frühere Finanzminister der Stabilitätspolitik wegen der Zweiteilung der Aufgaben im Wege gestanden habe und daß sie mit der Konzentration in einer Hand — eines Mitsünders — nunmehr gewährleistet sei. Sind Möllers Argumente sachlich falsch? Aber auch dann könnte man sie der Öffentlichkeit mitteilen. Oder sind Möllers Argumente unangenehm, weil sie der Opposition recht geben? Auch dann wäre es ein Gebot der Sachgerechtigkeit und Ehrlichkeit, sie bekanntzugeben. Kommt man der Wahrheit nahe, wenn man nicht ohne Grund davon ausgeht, daß sich Herr Möller nicht mehr imstande sah, seinen Amtspflichten nach seiner Vorstellung nachzukommen, ohne vom Bundeskanzler in vollem Umfang gedeckt und unterstützt zu werden?
Wird der Brief deshalb nicht veröffentlicht, weil der Zweifel hier an höheren Thronen rüttelt als dem des Finanzministers?
Damit ist es kein Problem Möller mehr; damit ist es ein Problem Brandt geworden.
Wir haben mit dieser Großen Anfrage nicht beabsichtigt — aus Zeit und Anlaß heraus —, eine Konjunkturdebatte zu führen,
schon deshalb nicht, weil sie bei diesem Anlaßwenig Sinn hätte, denn angesichts der Fehler undVersäumnisse der Bundesregierung ist die durch siehereibegführte Konjunktursituation unübersichtlicher und verworrener denn je geworden.
Die diffuse, widerspruchsvolle, vielfältige Deutung der Konjunkturlage durch eine Reihe von kompetenten oder halb kompetenten Stellen beweist, daß sich selbst die Weisen in unserem Lande nicht mehr auskennen und nicht mehr wissen, wo wir uns eigentlich im Koordinatensystem der Wirtschaft befinden. Das weiß wahrscheinlich nur der Wunderdoktor und Oberzeremonienmeister Karl Schiller.
Es gibt in dieser Situation auch kein Patentrezept mehr, weshalb einerseits die Frage nach den Alternativen immer so dümmlich-treuherzig ist
und andererseits diese Frage von einer gewissen publizitischen Schutzgarde immer als Ablenkungsmanöver verwendet wird.
Die großen Fehler und Versäumnisse sind in den ersten neun Monaten der Regierungspolitik begangen worden. Man wollte die eingetretenen Risiken, Gefahren und Fehlentwicklungen nicht einsehen. nen wollen, daß es viel schwieriger ist, die SchwungMan hat vor allem nicht erkannt oder nicht erken- masse des Inflationsmotors wieder auf normale Tourenzahlen zu bringen, als sie von vornherein daran zu hindern, auf überhöhte Tourenzahlen zu kommen. Deshalb hat auch die Politik der halben Maßnahmen nicht gegriffen, die „Gammelei vor dem Wind", wie es jüngst in einer großen Tageszeitung hieß, das Übel nicht gebändigt. Vielmehr ist sein weiteres Anwachsen dadurch unvermeidlich geworden.Es ist einfach falsch, wenn der Bundeskanzler noch am 9. Mai des Jahres im Fernsehen sagte: Die Bundesregierung ist für die immensen Dollarzuflüsse ebensowenig verantwortlich wie für die Preissteigerungen. Hier kann ich nur sagen: entweder weiß er es nicht, oder er sagt wider besseres Wissen die Unwahrheit.
Wir behaupten ja nicht, daß die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen schlechthin falsch sind. Wir unterstützen sie ja, vor allem die Maßnahmen zur Dämpfung der binnenwirtschaftlichen Konjunktur. Aber sie sind die unzulänglichen Folge' rangen nach einer Kette von Irrtümern, Fehlern und Versäumnissen.
Die Große Anfrage ist nicht zuletzt deshalb eingebracht worden, weil es sich die Opposition nicht länger gefallen läßt, von einem Bundeskanzler, der die wahren Gründe für den Rücktritt seines Finanzministers verschweigt, als Panikmacher bezeichnet zu werden.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7503
StraußDer Bundesregierung ist doch sicherlich die jüngst ergangene Emnid-Umfrage bekannt, wo im Hinblick auf die eingetretenen Preissteigerungen und unter Einrechnung der Gehalts- und Lohnerhöhungen in den letzten drei Monaten 37 % der Befragten zugegeben haben, daß sie heute genauso viel einkaufen können wie vor einem Jahr; 9 % können nach eigener Angabe sogar mehr einkaufen als zur gleichen Zeit im Vorjahr, 47 % jedoch weniger einkaufen als im Vorjahr.
6 % gaben keine Antwort. Demnach laufen wir auf einen Zustand zu, in dem es heißen wird: Vollbeschäftigung ohne Wohlstand. Aber das ist auch kein erstrebenswertes Ziel.Die Angst vor der Geldentwertung ist so stark gestiegen, daß nach einer Umfrage des Allensbacher Instituts mit Abstand die meisten Befragten als wichtigste Forderung an die Wirtschaftspolitik anmelden, daß die allmähliche Geldentwertung verhindert wird, daß die Preise nicht von Jahr zu Jahr steigen, und zwar mit erheblichem Abstand von der Forderung nach genügenden und gesicherten Arbeitsplätzen.Wir sagen nicht, daß die Bundesregierung allein schuld ist. Aber sie hat im Herbst 1969 das falsche Signal gesetzt. Sie ist der Selbsthypnose des Wahlspruchs vom „modernen Deutschland" verfallen.
Sie hat damit den Tanz um das goldene Kalb derzweistelligen Zuwachsraten auf allen Gebieten zu3) einem bewundernswerten und erhaltenswerten Dauerzustand erheben wollen. Sie hat nicht begriffen, daß die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft damit bei weitem überfordert wird. Sie wollte und konnte es nicht begreifen, weil sie gleichsam ein neues Zeitalter einleiten wollte, statt auf den festen und soliden Grundlagen der Vergangenheit ruhig, stetig und bescheiden weiterzubauen.
Die Bundesregierung verlangt heute aus gutem Grunde und zum Teil unter wörtlicher Nachahmung der ehedem von ihr verlachten Mahnungen früherer Regierungen Einsicht und Mäßigung von den Tarifpartnern. Was ist eigentlich aus der Konzertierten Aktion geworden? Ist daraus der von Ihnen, Herr Bundesminister Schiller, öffentlich verkündete Stabilitätspakt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geworden oder nicht vielmehr ein Theater der großen Worte, das nunmehr unter der Regie des Oberintendanten Schiller dessen eigene Dramen zu spielen hat?
In der Theorie haben beide Sozialpartner ihre Bekenntnisse zur Unterstützung der Stabilitätsbemühungen der Regierung als Pflichtübung absolviert. Die Wirklichkeit sieht anders aus, wenn ich an die beginnenden Arbeitskämpfe denke. Es mutet geradezu wie ein Witz an, wenn als Ergebnis der letzten Konzertierten Aktion neben der deklamatorischen Pflichtübung die Vereinbarung zustande kam, in Zukunft durch einen besonderen Ausschußwenigstens gemeinsame Zahlen für die Einkommensentwicklung in beiden Lagern zu erarbeiten und als Grundlage für künftige Gespräche zu verwenden. Ja, warum hat man denn das bisher nicht getan, in den letzten vier Jahren nicht vermocht, wenigstens gemeinsame Zahlen als Grundlage für Überlegungen — die sicherlich nicht zu gemeinsamen Schlußfolgerungen führen — zu erarbeiten? War denn der Wirtschaftsminister nicht in der Lage, solche Zahlen, von beiden Sozialpartnern anerkannt und für beide verbindlich, wenigstens als Grundlage der Gespräche auf den Tisch zu legen? Warum hat der Bundeskanzler nicht mit der vollen Autorität der Bundesregierung, auf die er sich sonst so gern beruft, den beiden Sozialpartnern Leitlinien an die Hand gegeben und ihre Überschreitung als Verstoß gegen das Gebot der Stabilität so schwer gemacht wie nur irgend möglich?Ich möchte nicht die Kunst der Schwarzweißmalerei üben und die Unternehmer als unschuldige Opfer der Regierungspolitik beweinen oder sie als Heroen der Marktwirtschaft vergolden, aber gerade deshalb sagen, daß es wenig hilfreich ist, allein den Unternehmern die Schuld für die Preisentwicklung in die Schuhe zu schieben, indem man ihnen vorhält, sie hätten die Preise nach Lust und Laune erhöht und spielten sich jetzt als Stabilitätsapostel auf — wie es Herr Loderer von der IG Metall jüngst geäußert hat —, oder ihnen vorzuwerfen, sie seien zu nachgiebig gegen Lohnforderungen, und deshalb müßte ihr lohn- und preispolitischer Spielraum durch Änderung der Marktlage beschnitten werden, wie es die Regierung tut.Das Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut hat noch am 19. Juni erklärt, es sei nicht zu erwarten, daß die Preissteigerungen in der unmittelbaren Zukunft nachlassen werden. Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Preisstabilisierung seien jedenfalls nicht darauf angelegt, den Lohn- und Preisauftrieb rasch zu brechen, zumal sich das ohnehin verhaltene Tempo der konjunkturellen Entspannung beträchtlich verlangsamt habe. Jetzt komme es darauf an — heißt es dort —, daß die Tarifpartner, die bisher kaum Anlaß zu zurückhaltender Preis- und Lohnpolitik gesehen hätten, ihre Erwartungen den realen ökonomischen Möglichkeiten anpassen. Solange die Lohnanhebungen noch weit über dem Produktivitätsfortschritt lägen, werde auch versucht werden, die Preise im Rahmen der von der Nachfrage gegebenen Möglichkeiten zu erhöhen. Angesichts der weiterhin kräftig zunehmenden Konsumentennachfrage bedeute dies für die Verbraucherpreise vorerst ein erhebliches Anstiegspotential. Hinzu kämen die bereits feststehenden Erhöhungen öffentlicher Tarife sowie der Preise für Agrarwaren, die den EWG-Marktordnungen unterliegen. Unter diesen Umständen müsse damit gerechnet werden, daß auch gegen Jahresende noch Steigerungsraten des Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte um 41/2 his 5 % im Vorjahresvergleich, der auch schon nicht rosig aussah, erreicht würden. Hat nicht der Bundeskanzler bei der Eröffnung der Messe in Hannover im letzten Jahr erklärt: Wenn es 4 % werden, dann wird es
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Straußallerdings ernst werden? Wenige Tage vorher hat der Bundesverband Deutscher Banken in seinem jüngsten Konjunkturbericht festgestellt, daß es für Erfolg oder Mißerfolg der Bemühungen um eine Beschleunigung des Stabilisierungsprozesses entscheidend sein werde, ob es gelinge, neue Daten für die Lohnpolitik zu setzen; trotz der Wechselkursfreigabe seien neue, intensive Bemühungen um die Begrenzung der Lohnsteigerungen auf ein stabilitätskonformes Maß unerläßlich.Damit kommen wir wieder zu der von den Verantwortlichen nicht gern gehörten Wahrheit, daß die Inflation, erleichtert durch Versäumnisse und Fehler der Bundesregierung, hausgemacht ist. Es ist nicht wahr, daß die Bundesregierung an dem außergewöhnlichen Dollarzufluß völlig unschuldig sei und das Opfer von Kräften und Strömungen geworden sei, auf die sie keinen Einfluß habe.
Die Bundesregierung sollte doch endlich zugeben, was die Spatzen überall von den Dächern pfeifen. Die Bundesregierung ist nicht unschuldig an der Währungskrise im Wasserglas. Sie hat diese Krise herbeigeführt, um wieder einmal das Instrument der Währungspolitik als Ersatz für versäumte Konjunkturpolitik einzusetzen,
für versäumte Konjunkturpolitik, die in rechtzeitiger Einflußnahme auf die Tarifpartner hätte bestehen müssen und nicht in einem Appell an die Gewerkschaftsführer, jetzt bei den Löhnen kräftig zuzupacken, wie es Herr Schiller seinerzeit gesagt hat.
Die wissen selbst, was sie zu verlangen haben. Aber sie werden durch solche Appelle in ihren eigenen Kreisen in die größte Verlegenheit und in die größten Schwierigkeiten gebracht, weil damit bei ihnen der Eindruck entsteht, daß sie nicht genügend getan hätten, um das aus dem Sozialkuchen herauszuholen, was ihnen zustehe.
Sparsamste Gestaltung und Verwaltung des Haushalts von Anfang an, vom ersten Tage des „modernen Deutschland" an, und rechtzeitige Steuererhöhungen wären notwendig gewesen. Aber man hat wieder einmal die Währungspolitik als Ersatz für versäumte Konjunkturpolitik eingesetzt und einen Schuldigen gefunden, um nunmehr den Ersatzschuldigen vor der Öffentlichkeit gebührend prügeln zu können. Warum soll man denn nicht öffentlich sagen, daß Herr Schiller den Einstrom von Milliarden von Dollars brauchte, um die Währungspolitik als Instrument der Konjunkturpolitik ersatzweise mißbrauchen zu können?
Wir wollen doch einmal die Tatsachen festhalten:Erstens. Die Bundesbank wäre nicht zu ihren restriktiven Maßnahmen zur Verknappung und Verteuerung des Kredits zum Zwecke der Konjunkturdämpfung in diesem Ausmaß gezwungen worden,wenn die Bundesregierung rechtzeitig und richtig gehandelt hätte.
Zweitens. Das aus diesem Grunde übermäßig erhöhte Zinsniveau der Bundesrepublik hat schon im Jahre 1970 Auslandsgelder, besonders Dollars, in beträchtlichem Umfang angelockt.Drittens. Die Maßnahmen der Bundesbank haben in erster Linie die kleineren und mittleren Kreditnehmer getroffen, die Kredite nur zu einem abenteuerlich hohen Zinsniveau von 11 und 12 % erlangen konnten, während Kreditnehmer mit Auslandsverbindungen jede gewünschte Menge zu einem wesentlich niedrigeren Zinssatz erhalten konnten. Deshalb verpufften die Maßnahmen der Bundesbank zum größten Teil. Denn es kam mehr Liquidität in das Land, als zusätzlich entzogen werden konnte.
Viertens. Wenn die Bundesregierung die Absicht gehabt hätte, spekulative Dollarzuflüsse in das Land zu locken, hätte sie es nicht anders zu machen brauchen, als sie es gemacht hat. Bereits im April waren Presseinformationsdienste voll von Berichten über die bevorstehenden Forderungen der Wirtschaftsforschungsinstitute nach Freigabe von Wechselkursen „mit Aufwertungserwartung", wie es dann in dem Gutachten wörtlich heißt. Warum ist die Bundesregierung nicht diesen gefährlichen Gerüchten mit Energie und Entschiedenheit entgegengetreten? Sie hat im Gegenteil auf der Hamburger EWG-Finanzministerkonferenz am 27. April mit größter Publizität eine gemeinschaftliche Verbreiterung der Bandbreiten der EWG-Währungen — in der Sache ein durchaus interessanter Vorschlag, wenn er ohne Publizität gemacht worden wäre — zur Diskussion gestellt, wohl wissend allerdings, daß die wesentlichen Partner dabei nicht mitziehen. Spätestens am 30. April lag das Gutachten dem Finanzminister vor. Am 3. Mai wurde es veröffentlicht. Der Finanzminister — der Wirtschafts- und Finanzminister, muß ich jetzt wohl sagen — ist nicht nur den mit der Veröffentlichung dieses Gutachtens unvermeidlicherweise heraufbeschworenen Spekulationen nicht entgegengetreten, sondern er hat den Vorschlag der Freigabe der Wechselkurse als nützlichen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion positiv gewertet und damit ein Signal für die Spekulation gesetzt.
Am 4. Mai wurde die Absicht währungspolitischer Maßnahmen vom Kanzler und vom Wirtschaftsminister vor der SPD-Fraktion angekündigt und in der Pressemitteilung als „nationaler Alleingang" veröffentlicht. Und dann will man sich wundern, daß innerhalb von 48 Stunden — vom 3. Mai bis zum 5. Mai morgens — nahezu 8 Milliarden DM in Form von Dollars in die Bundesrepublik einströmten und durch riesenhafte Vergrößerung der umlaufenden Geldmenge die Maßnahmen der Bundesbank zur Farce machten.
Deshalb fragen wir in der Frage 3 nach den währungspolitischen Absichten der Bundesregierung.
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StraußDie Bundesregierung erlaubt sich in ihrer sogenannten Antwort auf diese Frage, auf die Ziffern 1 und 2 des Brüsseler Kommuniqués hinzuweisen, als ob uns dieses Kommuniqué nicht bekannt wäre. Sie entzieht sich auch hier wieder ganz klar der Antwort auf die Frage, ob sie die Rückkehr zur alten Parität als eine Verpflichtung der internationalen Vertragstreue anerkenne und ob sie zweitens diese Verpflichtung über kurz oder lang vorbehaltlos erfüllen wolle. Die Bundesregierung hat damit sowohl bei unseren EWG-Partnern wie in der deutschen Wirtschaft Verstimmung, Unsicherheit und Unruhe hervorgerufen. Sie hat es getan, nicht weil sie die Folgen nicht kannte, also nicht aus Naivität oder Ahnungslosigkeit, sie hat es getan mit Bewußtheit und Absicht. Dieses ist die Politik der geplanten Unsicherheit als Instrument der Konjunkturpolitik.
Die Bundesregierung sah keinen anderen Ausweg mehr, als Dollar- und EWG-Partner einerseits und die Exportwirtschaft andererseits als Hindernis für die Stabilität darzustellen. Sie wollte EWG-Partner und Sozialpartner in eine Zwangslage versetzen, um damit das Alibi für eigene Versäumnisse und Fehler zu gewinnen.Henry Ford I hat in seinem Buch „Erfolge im Leben" — ohne eine Ahnung von der heutigen Bundesregierung haben zu können
folgenden Satz geschrieben:
Wenn die Regierungen mit den Maßen und Gewichten so umgingen wie mit den Wechselkursen des Geldes, so wären sie von ihren Völkern schon längst davongejagt worden.
Wenn Minister Schiller, der sich am 13. Mai mit einer Verdoppelung seines Aufgabengebiets hat betrauen lassen, sein früheres Amtsgebiet mit der Zuständigkeit für Währungsfragen sehr ernst wahrgenommen hätte, hätte er sich spätestens bei der Bildung der jetzigen Bundesregierung mit der Frage des sogenannten Eurodollars befassen und gemeinsam mit allen anderen EWG-Partnern und allen Notenbankpräsidenten in aller Stille, unter Verzicht auf Publizität, wenn es auch schwergefallen wäre, die Abwehrmaßnahmen gegen das Einströmen unerwünschter Liquidität vorbereiten müssen.
Es genügt nicht, sich als Hüter der Marktwirtschaft und Gegner des Dirigismus aufzuspielen — wobei beides nur Feigenblätter für Versäumnisse sind; denn die im Außenwirtschaftsgesetz vorgesehenen Maßnahmen sind natürlich nicht für den Normalfall gedacht, woran niemand denkt, sondern für besondere Umstände. Diese besonderen Umstände liegen so lange vor, wie der internationale Geldmarkt und, vereinfacht ausgedrückt, der Eurodollarmarkt eine Geldfülle aufweisen, die nicht durch marktwirtschaftliche Mittel bewältigt werden kann. Ich darf hier in aller Deutlichkeit sagen, daß auch Wechselkursmanipulationen dirigistische Eingriffe in den Ablauf der Kräfte der Marktwirtschaft sind.
Auch die Antwort auf die Frage 4 beweist wieder eine Umkehrung von Ursache und Wirkung. Die Bundesregierung hat die Gefahr der heranziehenden hausgemachten Inflation nicht rechtzeitig erkannt oder erkennen wollen. Sie hat jedenfalls zu spät zu handeln begonnen. Sie hat ja zum Teil das Gegenteil des Notwendigen und Richtigen getan und damit die Fiebertemperatur erhöht. Sie hat die Bundesbank zum Handeln gezwungen. Das Handeln der Bundesbank hat das Einströmen des ausländischen Geldes beschleunigt und erleichtert, weil die Regierung auf mit den EWG-Partnern gemeinsam durchzuführende Schutzmaßnahmen verzichtet hat. Und jetzt sagt die Bundesregierung in ihrer Antwort, durch die beschlossenen Maßnahmen werde angestrebt, den autonomen Gruppen — sprich: Tarifpartnern — ein stabilitätskonformes Verhalten zu erleichtern. Anders ausgedrückt: auf die Exportwirtschaft soll ein Druck ausgeübt werden, durch die enge Verflechtung der Exportwirtschaft mit der Gesamtwirtschaft sollen Erlöseinbußen in allen Bereichen herbeigeführt werden. Als ob diese Erlöseinbußen nicht wieder zu Preissteigerungen im Inland führen würden, was die Bundesregierung einmal prüfen sollte! Durch diesen Würgegriff auf die Wirtschaft sollen die Unternehmer zur Unnachgiebigkeit und die Gewerkschaften zum Maßhalten gezwungen werden. Das ist die einzige erkennbare Deutung der Verweigerung der Antwort auf unsere Frage nach der vorbehaltlosen Bereitschaft, die versprochene Rückkehr zur alten Parität zu verwirklichen, und der ausweichenden Antwort auf unsere Frage, ob das von der Regierung beschlossene Stabilitätsprogramm von ihr als ausreichend angesehen werde.Wiederum jagt man dem Phantom nach, durch eine Verlagerung von Auslandsnachfrage auf Inlandsnachfrage ohne Rücksicht auf Verluste sich um das Eingeständnis der Unerfüllbarkeit der versprochenen Programme herumdrücken zu können.
Sieht man denn nicht, daß dieses Spiel frevelhaft gegen das Gebot der Sicherung unserer Exportmärkte für Anlagegüter und längerlebige Gebrauchsgüter verstößt? Sieht man denn nicht, daß eine entsprechende Ersatznachfrage im Inland überhaupt nicht geschaffen werden kann? Sieht man denn nicht, daß dieses Spiel mit der geplanten Unruhe und Unsicherheit nichts anderes ist als der Offenbarungseid eines Ministers, der zur Anerkennung für sein Versagen auf dem Gebiet einer Zuständigkeit mit doppelter Zuständigkeit ausgestattet worden ist?
Diese Rechnung geht nicht auf.
Der „Schwarzwälder Bote", ein Organ, das in der Heimat des früheren Bundesfinanzministers angesiedelt ist und ihm vielleicht nicht ganz unbekannt ist — dabei denke ich an die dort jüngst erschienenen Artikel —, schreibt unter dem 18. Mai 1971 — mehr ironisch als bissig —, daß auch ein gigantisches, rhetorisch untermaltes Lavieren des in vielen Auftrit-
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Straußten bewährten Stars Karl Schiller nicht zu bewerkstelligen vermögen werde, was der Kanzler einmal namens seiner Koalition versprochen habe; denn die Koalition werde kleine Brötchen backen müssen und sie als große Backkünste anzupreisen versuchen.
Sieht man denn nicht, daß der deutsche Alleingang in der EWG für Holland gar keine Wahl gelassen hat, als sich der Freigabe anzuschließen, und Osterreich und die Schweiz zu einer begeisterungslosen, wenn auch gekonnten Aufwertung gezwungen hat, uns international in eine immer ungünstigere Rolle drängt und uns alle negativen Gefühle sichert, die auf eine Mischung von Spielverderber und selbsternanntem Klassenprimus hinauslaufen? Bei der letzten EWG-Finanzministerkonferenz ist die Krise nur vertagt, nicht gelöst worden.Man sollte nicht vergessen, was der französische Staatspräsident in seiner Pressekonferenz am 26. Mai in Brüssel laut allen Agenturen erklärt hat. Er sagte:Die jüngsten währungspolitischen Entscheidungen waren eine schlechte Tarnung für eine nichtgemeinschaftliche und sogar gegen die Gemeinschaft gerichtete Lösung. Es erschien uns für uns und unsere Partner besser, den getroffenen Entscheidungen unseren Segen zu erteilen. Aber wir hatten ein wenig den Eindruck, einen Pakt mit dem Teufel zu unterzeichnen.
Mit dem „Teufel" ist nicht die Bundesrepublik gemeint, auch nicht ihr Wirtschafts- und Finanzminister; das möchte ich ausdrücklich sagen. Pompidou sagte weiter:Ich kritisiere Deutschland nicht. Es hat seine Probleme und trifft seine Entschlüsse. Manches könnte gemeinschaftswidrig erscheinen, und wahr ist, daß Deutschland manchmal dazu neigt, seine Probleme selbst zu schaffen.So sagte er wörtlich. Ausnahmsweise könnte man bei dieser Bemerkung, Deutschland neige dazu, seine Probleme selbst zu schaffen, „Deutschland" mit seinem gegenwärtigen Superminister identifizieren. Er bemüht sich offensichtlich, das Wort einer Romanschriftstellerin rechtfertigen zu wollen, nämlich daß die meisten Mißlichkeiten der Welt von Menschen herrühren, die zu geschäftig sind.
Man kann aus der Umgebung des französischen Staatspräsidenten hören, er habe sich über die Durchsetzung des deutschen Standpunkts zur Frage des D-Mark-Wechselkurses in Brüssel sehr verärgert gezeigt und habe sich hier offensichtlich wieder an den Alptraum einer sich festigenden Hegemonie der Bundesrepublik im Rahmen der EWG erinnert. Es ist kein Zufall, wenn man aus der gleichen Ecke hört, Herr Schiller hätte es nicht besser machen können, wenn er eine Krise hätte haben wollen; denn er habe alles getan, zu einem schnellen Zufluß von Dollars nach Deutschland zu ermutigen. Weiß denn die Bundesregierung nicht, so fragen wir, daß es bei dieser Situation richtig gewesen wäre, rechtzeitig, in aller Ruhe, lautlos und unauffällig Konsultationenzu pflegen, statt den langen Marsch zur Wirtschafts- und Währungsunion noch länger zu gestalten?
Die Bundesregierung hat das Gegenteil von dem, was notwendig war, gewollt, getan und erreicht. Sie hat nämlich Unsicherheit und Unruhe erzeugt, wo Stetigkeit und Vertrauen notwendig gewesen wären.
Sie hat Posaunen geblasen, damit der letzte auf lukrative Möglichkeiten hingewiesen wurde, statt lautlos und ruhig zu operieren.Die Richtigkeit und Zweckmäßigkeit unserer Frage ist durch den französischen Außenminister Schumann am 11. Juni 1971 vor dem Europäischen Parlament in Straßburg bestätigt worden, als er sagte:Die Aufgabe der festen Wechselkurse für zwei Währungen der Gemeinschaft kann nur für kurze Zeit toleriert werden. Die gegenwärtige Situation, die zweifellos unbefriedigend ist, sollte deshalb innerhalb kürzester Frist verschwinden.Es ist schade, daß die Bundesregierung nicht die Möglichkeit unserer Anfrage genutzt hat, um hier wieder für Klarheit und Ruhe zu sorgen. Wenn die Bundesregierung glaubt, in der EWG einen Erfolg errungen zu haben, dann sollte sie zur Kenntnis nehmen, daß das nicht einmal ein Pyrrhussieg war.Die Bundesregierung ist auf ihr Stabilisierungsprogramm s o stolz, daß wir gerade deshalb noch einige weitere Fragen zu stellen hatten. Wir waren und sind der Meinung, daß die Freigabe der Wechselkurse nicht der Weisheit letzter Schluß war. Unsere Hoffnung, daß wir in diesem Punkt widerlegt werden, hat aber getrogen, denn auch auf die Frage 5 bleibt uns die Bundesregierung eine genaue Antwort schuldig. Wir haben gefragt: Wo sollen die Ausgabesperren und die Sperren der Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt 1971 verwirklicht werden? Die Bundesregierung will uns doch mit ihrer Antwort an der Nase herumführen, denn die Ausgabebeschränkungen, über deren Einzelheiten sie keine Auskunft geben kann, gehen doch gar nicht weiter als die vom früheren Bundesfinanzminister in seinem Rundschreiben vom 5. März 1971 bereits längst angeordneten Beschränkungen.
Hier werden alte Hüte erneuert, hier werden Hemden zu Oberhemden ernannt und als frische Wäsche ausgegeben.
Damals hat man die über 70 bis 80 0'o der Gesamtansätze hinausgehenden Haushaltsbeträge gesperrt. Die Herabsetzung der Prozentsätze, nämlich für alles, was über 60 oder 70 % hinausgeht, die Sperre vorzusehen, ist doch Roßtäuscherei, weil die Berechnungsgrundlage jetzt nicht mehr die Gesarntansätze, sondern die um den rechtlich gebundenen Teil gekürzten Ansätze sind. Diese neue Berechnungsgrundlage macht in der Praxis weniger als die Hälfte des Gesamtansatzes aus. Die Erhöhung der Sperrsätze für die Verpflichtungsermächtigungen könnte
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Straußvon praktischer Bedeutung sein, wenn sie streng durchgeführt würde. Die Zielgröße ist doch aber nur 10 % des Gesamtbetrages. Auch die Kreditbeschränkungen bringen nichts Neues, denn sie haben nur dann Bedeutung, wenn die Ausgabekürzungen tatsächlich eingehalten werden.Die Bundesregierung hat die Kühnheit, in ihrer Antwort auf unsere Anfrage das zu wiederholen, was sie in ihrer Antwort vorn 17. Mai auf unsere frühere Kleine Anfrage vorn April geantwortet hat. Sie sagt jetzt abermals, sie könne die Auswirkungen der am 9. Mai beschlossenen Maßnahmen im einzelnen erst ermitteln, wenn die von den Ressorts durchzuführenden Erhebungen über die Höhe der rechtlichen und internationalen Verpflichtungen ausgewertet seien. Sie sagte damals am 17. Mai aber, daß die Erhöhung noch nicht habe festgestellt werden können, daß die obersten Bundesbehörden aber beauftragt seien, die Erhebungen his zum 1. Juni 1971 abzuschließen und dem Finanzminister mitzuteilen. Wir Fragesteller haben deshalb darauf hingewiesen, daß wir uns bereits gegen Ende des Monats Juni befinden und die Bundesregierung uns noch immer die Auskunft unter Hinweis auf die durchzuführenden Erhebungen, die schon vor fast vier Wochen hätten abgeschlossen sein sollen, vorenthält.
Gerade der Verweis auf diese Antwort vom 17. Mai, den Sie leider vorgenommen haben, berechtigt uns doch zu fragen, wo die Sperren denn nun verwirklicht werden sollen. Der wirkliche Grund für die Auskunftsverweigerung ist doch nicht das Ausstehen der Erhebungen, sondern die Uneinigkeit über die durchzuführenden Einsparungen. Hier liegt doch des Pudels Kern. Also auch hier wieder Fehlanzeige!Auch bei der nächsten Frage weicht die Bundesregierung jeder Festlegung aus und gibt vernebelnde Antworten. Wir erwarten gar keine Einzelheiten über die Zahlen des Haushalts 1972 und die Finanzplanung bis 1975. Wir haben diese Frage aber auch im Zusammenhang mit den noch vor dem Inkrafttreten der Steuerreform beabsichtigten Steuererhöhungen gestellt. Solange es für den Ausgabenbedarf der öffentlichen Hand, von Bund, Ländern und Gemeinden, und für die für die Deckung des Bedarfs vorgesehene Aufbringung der Mittel nicht klare Grundaussagen gibt, bleiben doch — neben allen sonstigen Gründen — Unruhe und Unsicherheit in unserer Wirtschaft erhalten.Wir waren auf Grund der bisherigen Steuerschätzungen von folgender Rechnung ausgegangen. Wenn die Ausgaben der öffentlichen Hand, von Bund, Ländern und Gemeinden, nur um 8 % gesteigert werden, die steuerliche Belastung gleichbleibt und von 1972 bis 1975 eine jährliche Kreditaufnahme von 12 bis 15 Milliarden DM als unbedenklich vertreten werden kann, dann beträgt die Finanzierungslücke — ohne Berücksichtigung von Bahn, Post usw. — für die Jahre 1972 bis 1975 bei 8%iger Ausgabensteigerung 38 Milliarden DM, bei 9%iger Ausgabensteigerung 61 Milliarden DM, bei 10%iger Ausgabensteigerung 87 Milliarden DM und bei11%iger Ausgabensteigerung 110 bis 120 Milliarden DM.
Vor wenigen Tagen ist nun gesagt worden, die Steuereinnahmeschätzungen könnten erhöht werden. Diese Erhöhung machte jährlich einen Betrag von maximal 3 bis 31/2 Milliarden DM aus. Von den vorher genannten Summen könnte also lediglich dieser Betrag viermal abgezogen werden. Damit ist auch noch nichts Entscheidendes getan; es kann noch nichts Genaues über den wirklichen Ablauf der Dinge gesagt werden. Abgesehen davon sind Steuerschätzungen, die auf inflationären Annahmen beruhen, fragwürdig. Dabei ist doch die Wahrscheinlichkeit, daß sich die Ausgaben der öffentlichen Haushalte nur um 8 % durchschnittlich erhöhen, denkbar gering. Denn die von der Bundesregierung verursachten, inflationär bedingten Mehrkosten auf allen Gebieten in Verbindung mit den ohnehin abgegebenen regierungsamtlichen Versprechungen werden höhere Steigerungsraten erzwingen. Die Regierung hat sich doch zum Gefangenen — —
— Ich habe schon Verständnis dafür, daß Sie auf ein baldiges Ende meiner Ausführungen warten; sie sind Ihnen unangenehm.
Aber ich habe Ihnen heute an Hand mehrerer Beispiele dargetan, wie es Ihnen nur um äußerliche Wirkungen und nicht um die Substanz geht.
Sie sollten den Inhalt dieser Ausführungen, der Sie und uns noch sehr lange beschäftigen wird,
ernster nehmen als mit den höhnischen und spöttischen Worten von ehedem.
Die inflationären Mehrkosten und die Versprechungen werden höhere Steigerungsraten erzwingen. Die Bundesregierung hat sich doch zur Gefangenen dieser Versprechungen gemacht und wird jetzt zur Kasse gebeten.Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Steuereinnahmen erhöht werden — eine sehr vage Annahme —, so bleiben Finanzierungslücken, die eine schreckliche Ungewißheit — ich sage das Wort: schreckliche Ungewißheit — über das Ausmaß der dadurch bedingten Krediterhöhungen der öffentlichen Hand und über das Ausmaß der außerhalb der Steuerreform und vor ihr geplanten Steuererhöhungen ohne jeden Zweifel aufrechterhalten müssen.
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StraußDas ist ein weiterer Grund für die schreckliche Ungewißheit in diesem Lande.
Herr Abgeordneter Strauß, die angemeldete Zeit geht langsam zu Ende.
Sie würden ein nobile officium erfüllen, wenn Sie angesichts der vielfältigen Möglichkeit der Wahrnehmung der Redezeit für Regierungskoalition und Regierung die Möglichkeit geben würden, bei dieser Materie einmal die Tiefen auszuleuchten, statt dies durch geschäftsordnungsmäßige Regulationen zu verhindern.
— Ausgezeichnet!
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/CSU beantragt eine Verlängerung von 15 Minuten. Auf Grund der Geschäftsordnung
Ich verpflichte mich, Herr Kollege Wehner, innerhalb der 15 Minuten zu dem zu kommen, was man das Ende dieser Begründung nennt.
— Nicht so schwer wie Ihnen. Vor allem fällt mirmanches; andere nicht so schwer, wie es Ihnen fällt.Wenn nicht Klarheit über das Ausmaß und die Beseitigung dieser Deckungslücken,
sei es durch Ausgabenkürzungen, sei es durch Kreditaufnahme, sei es durch Steuererhöhungen, rechtzeitig geschaffen wird, dann dürfen Sie sich doch nicht wundern, daß Ungewißheit und Unruhe, Unsicherheit und Angst in unserer Wirtschaft und in weiten Kreisen unserer Öffentlichkeit auch weiterhin anhalten. Das sollten Sie ernst nehmen.
Die Bundesregierung weicht aus. Sie verweist auf die Sitzung des Finanzplanungsrates am 28. Juni dieses Jahres. Die Regierung hat sich im Finanzplanungsrat im April auf Druck der Länder erst verpflichten müssen, ihrer gesetzlichen Aufgabe zur rechtzeitigen Vorlage von Eckdaten zwecks Fortschreibung der mehrjährigen Finanzplanung endlich nachzukommen und diese Daten in der nächsten Sitzung am 28. Juni nachzuliefern. Sie hat im Bulletin vom 27. April 1971 diese Nachlieferung ausdrücklich angekündigt. Wir müssen jetzt der Antwort auf unsere Anfrage entnehmen, daß sie diese Eckdaten nur für den Haushalt 1972 und nicht für die Finanzplanung bis 1975 zur Verfügung stellen will. Wenn nunmehr in der nächsten Sitzung des Finanzplanungsrates am 28. Juni nur die Eckdaten für den Haushalt 1972 mit den Ländern besprochen werden und das Kabinett, wie angekündigt, im September die Entscheidungen für die weitere Finanzplanung bis 1975 treffen will, dann heißt das doch, das dieses berechtigte Petitum der Länder wiederum nicht erfüllt wird. Wir wollten darum mit unserer Anfrage gerade erreichen, daß Sie vor der Sitzung des Finanzplanungsrates am 28. Juni sich veranlaßt sehen, Klarheit über die Eckdaten der Gestaltung der öffentlichen Haushalte von 1972 bis 1975 zu schaffen.Eine koordinierte Aufstellung der Haushaltspläne aller Gebietskörperschaften auf der Basis eines Finanzplans ist eine der großen Errungenschaften der Haushaltsreform der letzten Legislaturperiode.
Diese Errungenschaft wird jetzt zunichte gemacht. Damit wird auch die so mühsam errungene Einheit zwischen dem Haushaltsplan für ein Jahr und den weiterreichenden Plänen für die Folgejahre, die ja erst die Wirkungen der im Jahreshaushalt und in Zusammenhang damit getroffenen Entscheidungen sichtbar machen, leider zerstört.Warum das Ganze? Das Ganze doch nur, weil diese Regierung nicht den Mut hat, die schreckliche Wahrheit über die erreichte Finanzkrise einzugestehen.
Sie ist erkennbar noch schlimmer als das, was wir 1966/1967 bei der damaligen Sanierung der Bundesfinanzen in gemeinsamen Anstrengungen bewältigt haben. Nur um die bloße Illusion völlig irrealer Reformversprechungen noch über die Gnadenfrist bis zum Herbst aufrechtzuerhalten, wird das, was an wirklichen Reformen auf dem Gebiet der Haushaltspolitik erreicht ist, mutwillig preisgegeben. Die Deckungslücken können Sie doch nicht eliminieren.Niemand wird angesichts dieser Zahlen leugnen, daß die Frage, ob die öffentlichen Haushalte um 8, 9, 10 oder 11 % nach den Vorstellungen der Bundesregierung steigen sollen, von einer schlechthin lebenswichtigen Bedeutung für die Gestaltung von Finanzen und Währung ist. Die Bundesregierung hat Bewegungen in Gang gesetzt, hat Risiken geschaffen, die sich bei Ländern und Gemeinden fortpflanzen. Deshalb kann die Bundesregierung nicht erwarten, daß Opposition und Öffentlichkeit als obrigkeitshörige Untertanen geduldig abwarten, was auf sie zukommt.Nicht von ungefähr — und damit komme ich zum letzten Komplex —
haben wir in den Fragen 7, 8 und 9 steuerlicheProbleme angeschnitten. Es ist jetzt nicht an der
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StraußZeit, die von der Bundesregierung erarbeiteten und aus Ihren Kreisen heraus schon wieder in Frage gestellten Eckwerte zur Steuerreform im einzelnen zu besprechen. Die Bundesregierung bezeichnet ja selbst neuerdings ihre als Steuerreform benannten Beschlüsse nur als Verhandlungsgrundlage. Hier ist kein Riese geboren worden, sondern eine Maus, und die Maus hat noch Giftzähne.
Ich beschränke mich auf folgende Hinweise. Erstens.
— Das wird Ihnen noch genug Sorge machen bei den Kreisen, denen Sie das moderne Deutschland und das Leben vor morgen versprochen haben!
Den Beziehern kleinerer Einkommen wird Entlastung versprochen. Untersucht man die Entlastung, so gelangt man sehr schnell zu der Feststellung, daß der von dieser Entlastung Beglückte davon gar nicht so viel hat, weil er anderweitig geschröpft wird: durch Erhöhung der Umsatzsteuer, durch die vor Inkrafttreten der Steuerreform geplanten, in mannigfaltigen Ankündigungen bereits ausposaunten Erhöhungen von Verbrauchsteuern.Zweitens. Es zeigt sich immer deutlicher, daß diese sogenannte Steuerreform zu Lasten der Bezieher mittlerer Einkommen gehen soll. Vielleicht ist es der Ausdruck der neuen Haltung der FDP, wenn sie diese Steuerreform als für sie völlig befriedigend dargestellt hat.
Drittens. Die Eckwerte beweisen die Zielsetzung, mit der Steuerreform eine allgemeine Gleichmacherei zu Lasten des selbständigen und unselbständigen Mittelstandes, der freien Berufe und der Beamten herbeizuführen.
Viertens. Kinderreiche Familien werden weniger entlastet bzw. mehr belastet als Unverheiratete oder Familien ohne Kinder oder mit einem bis zwei Kindern. Man kann hier wirklich die Richtigkeit der bekannten spitzen Formulierung feststellen, daß noch nie so viele so lange auf so wenig gewartet haben.
Ja, Muthesius! — Man kann auch sagen, daß die Beglückten es gar nicht merken, daß aber offensichtlich die Regierung Wert darauf gelegt hat, so viele Bürger wie möglich zu enttäuschen. Im Vergleich dazu waren die vom früheren Finanzminister Möller zur Steuerreform erarbeiteten Vorschläge — gleichgültig, wie man im einzelnen zu ihnen stand — noch ein ausgewogenes Programm. Was hier vorliegt, ist unüberlegte und unausgereifte Flickschusterei. Dasist ein böses Omen für den Steuerminister Karl Schiller.
Dann bitten wir noch um eine Auskunft; die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus Ihrer Antwort. Sie sagen, daß die endgültige Beschlußfassung des Kabinetts im Oktober erfolgen soll. So die Antwort der Bundesregierung. In der Presse lesen wir: im Dezember. Sollte bei dieser Terminverschiebung die Tatsache eine Rolle spielen, daß im November der Außerordentliche Parteitag der SPD, der sich speziell mit der Steuerreform befassen soll, vorher abgehalten werden muß, damit die Mitglieder der Bundesregierung hernach nach ihrem Gewissen über die Steuerreform frei entscheiden können?
Oder haben Sie die Absicht, noch im Oktober endgültige Entscheidungen — soweit man bei dieser Regierung „endgültig" sagen kann — herbeizuführen und damit dem Parteitag der SPD bereits vorzuschreiben, was sich die Bundesregierung ihrerseits vorgenommen hat?
I Es ist doch ein eigenartiger Vorgang, daß derselbe Minister der Bundesregierung, Herr Eppler,
der Vorsitzender Ihrer Steuerreformkommission ist und der in der Bundesregierung an diesen Grundwerten, diesen Eckdaten, mitgewirkt hat, ausgerechnet jetzt angesichts der Kritik an diesen Steuerreformplänen mit einem neuen Reformplan herauskommt, von dem man nur sagen kann, daß er geeignet ist, Unsicherheit und Unruhe zu erhalten und zu verstärken und damit den Leidensweg unseres Volkes fortzusetzen.
Natürlich haben wir die Fragen 7, 8 und 9 im Zusammenhang gestellt. Was heißt denn Steuerreform mit Wirkung vom 1. Januar 1974, deren Belastungen mehr Arger schaffen, als ihre Entlastungen Freude bereiten, wenn man noch vorher Steuererhöhungen — anscheinend Erhöhungen der Verbrauchsteuern — bringen will? In der Antwort ist davon die Rede, daß Steuerrechtsänderungen nur im Rahmen der Steuerreform vorgenommen werden sollen; Ausnahmen seien zwingende Gründe oder konjunkturpolitische Erwägungen. Da Verbrauchsteuern nicht zum konjunkturpolitischen Instrumentarium gehören, ist damit angedeutet, Herr Bundesminister Schiller, daß man erwägt, den Konjunkturzuschlag zu verlängern oder von § 26 des Stabilitätsgesetzes Gebrauch zu machen? Denn die sonstigen Steuererhöhungen dienen ja der Deckung des durch diese Bundesregierung noch besonders aufgeblähten Bedarfs. Hier wollen wir doch wissen: was ist mit dem, was seit Monaten von allen mög-
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Straußlichen Seiten der Regierungskoalition und ihren Ministern ausposaunt und hier so schamhaft als ungewiß in der Zukunft liegend verschwiegen wird, gemeint? Was kommt denn im Jahre 1972 an Steuererhöhungen? Mineralölsteuer, Branntweinsteuer, Tabaksteuer?
Man spricht von 5 bis 10 Pfennigen je Liter Benzin. Das sind doch Daten, die in unserer Wirtschaft von einer erheblichen Bedeutung sind, und wer darüber lacht, der nimmt die Grundanliegen unserer Wirtschaft in beiden Tarifbereichen nicht ernst.
Diese Steuererhöhungen machen doch den Entlastungseffekt für 1974 zunichte. „Diese Regierung entschuldigt sich mit der Vergangenheit, versagt in der Gegenwart und vertröstet auf die Zukunft."
— Ja, von Mathias Walden!
Die Entlastungen, die am 1. Januar 1974 kommen sollten, werden durch Belastungen mehr als ausgeglichen und durch vorhergehende Mehrbelastungen bereits in das Gegenteil verwandelt.
Ein weiteres Zukunftssignal ist die Ankündigung von Vermögensbildungsplänen für den 1. Januar 1974. Hier ist doch wiederum nur eine Zukunftserwartung in die Welt gesetzt worden. Wenn diese Vermögensbildungspläne verwirklicht werden sollen, muß die Wirtschaft in die Lage versetzt werden, Gewinne und Erträge, ohne daß dies zu Lasten der Investitionen geht, zu erwirtschaften, die diese Zukunftsmusik überhaupt mit einem halbwegs erträglichen Prozentsatz von Realität erfüllen. Das ist doch auch die Wirklichkeit!
Darum soll uns die Bundesregierung endlich sagen, welche Steuererhöhungen sie vor Inkrafttreten der Steuerreform plant. Wie sehen denn angesichts der Eppler-Pläne die wirklichen Vorstellungen der Bundesregierung zur Großen Steuerreform aus, zumal wenn man feststellt, daß der größere Koalitionspartner stark abweichende Vorstellungen davon hat? Wie sieht es denn mit unserer Wirtschaft im Zusammenhang mit den Vermögensbildungsplänen aus, die wir im Prinzip zwar bejahen, die aber in ihren Einzelheiten noch geprüft werden müssen? Daß wir auf die Fragen 7, 8 und 9 ausweichende, irreführende, entstellende, hinhaltende Antworten erhalten,
spricht nicht dafür, Herr Minister Schiller, daß SieIhr Amt unter einem guten Stern angetreten haben.Sie hätten mit der Antwort, die Sie uns gegebenhaben, einen neuen Stil in der Bundesrepublik beweisen können. Sie hätten gerade hier beweisen können, daß nicht nur das Umschalten von der Außen- auf die Innenpolitik, sondern auch das Umschalten von dem Stil der Optik auf den Stil der Wirklichkeit endlich eingeleitet worden ist.
Herr Kollege Schiller, Ihr großer Namensvetter ist mit dem Drama „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua" in die Weltgeschichte eingegangen. Sie werden zwar nicht in die Weltgeschichte, aber in die Zeitgeschichte als der „Beschwörer des großen Fiaskos von Bonn" eingehen.
Über diese Ihre Antwort oder Nicht-Antwort kann man nur eines sagen: Ob der Antwort des Kandidaten Jobses gab es nur ein allgemeines Schütteln des Kopfes.
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, habe ich die Ehre, die Herren Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments von Kolumbien mit ihrer Delegation im Deutschen Bundestag recht herzlich zu begrüßen.
Wir freuen uns, zum erstenmal eine offizielle Delegation von Senatoren und Abgeordneten des Kolumbianischen Kongresses in der Bundesrepublik willkommen heißen zu können, und hoffen, daß dieser Besuch der Vertiefung der Beziehungen und der Festigung der Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern dienen möge.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen, Herr Bundesminister Schiller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle in diesem Hause hätten am heutigen Tage in der Begründung des Sprechers der Opposition zu der Großen Anfrage, die von Ihnen gestellt worden war, und zu der Antwort der Bundesregierung darauf etwas mehr erwartet.
Lieber Herr Strauß, Sie haben wieder einmal eine Prognose der von Ihnen ein wenig unglimpflich behandelten Journalisten bestätigt: Zu vier Fünfteln war wieder einmal das, was Sie gesagt haben, nicht eine klare Aussage zu heute und morgen, sondern war schlechthin Vergangenheitsbewältigung, nichts weiter.
Sie haben, lieber Herr Strauß, das schöne und alte Bild gebraucht: „Wenn Berge kreißen und ein Mäuslein wird geboren ...", und Sie haben dann, Herr Strauß, von den Giftzähnen gesprochen. Ich kann nur sagen, bei Ihnen ist folgendes passiert,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7511
Bundesminister Dr. Schillerder Berg hat gekreißt, und die Maus wurde geboren, aber die Maus hatte nicht einmal Zähne.
Sie werden verstehen, Herr Strauß, daß ich persönlich mich zu den Fragen 1 und 2 und den Antworten der Bundesregierung, die sich mit dem persönlichen Vorgang befassen, sehr zurückhalte.
— Selbstverständlich, das ist auch ganz richtig. Wir halten es da mit der Kleiderordnung.Auf jeden Fall möchte ich eins sagen: Sie sprechen in Ihrer ersten Frage von den „wirklichen Gründen" Alex Möllers. Ich kann Ihnen nur eines sagen, wir hatten überhaupt keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß die Gründe, die Alex Möller für seinen Entschluß angegeben hatte, nicht seine wirklichen Gründe waren. Wir hatten keinen Anlaß, daran zu zweifeln!
Deswegen haben wir Ihnen auch so klipp und klar und lapidar geantwortet, daß diese Gründe in einem persönlichen Schreiben angegeben wurden, und nichts weiter.
— Die wirklichen Gründe sind Ihnen bekannt, es ist nicht daran zu zweifeln.
— Das tut er nie!
Dann sprechen Sie, Herr Strauß, von Ihren Alternativen, die Sie ein für allemal für den Rest der Legislaturperiode gekennzeichnet haben, daß nämlich die Alternativen der Opposition dümmliche Alternativen seien — das haben Sie gesagt, nicht ich.
Wo sind Ihre Alternativen? Ich habe Sie immer und immer wieder gefragt.
— Ich kann Ihnen nur eines sagen, Sie sind wieder auf den Konjunkturzuschlag vom Juli 1970 zurückgekommen.
— Darf ich meinen Satz zu Ende sprechen! — Sie haben gesagt, das sei „kalter Kaffee" gewesen.
Nun, wie auch immer, ob es heißer Kaffee oder kalter Kaffee war: Herr Strauß, als dieser Kaffee angeboten wurde, haben Sie ihn verweigert, Sie haben nicht den Mut gehabt, ihn zu trinken.
Und jetzt tun Sie noch so, als wenn Sie sogar der Urheber, der Erfinder des Konjunkturzuschlags gewesen wären.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Herr Minister Schiller, hatten Sie vielleicht schon Gelegenheit, einmal die Anträge der Opposition aus dem Jahre 1970 durchzublättern,
und haben Sie vielleicht dabei dann die Feststellung gemacht, daß jetzt einiger dieser Anträge — zwar verspätet um ein Jahr und nicht im ganzen Umfang — - endlich bei Ihnen aus der Schublade gezogen worden sind, und sind Sie bereit zuzugeben, daß z. B. unser Vorschlag vor genau einem Jahr in diesem Haus, einen Eventualhaushalt für das Jahr 1971 aufzustellen, richtiger gewesen wäre,
als damals 12 % Steigerungen zu verkünden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Leicht, von den 12% Steigerungen des Haushalts 1971 —
— Lassen Sie mich doch antworten! Herr Leicht, wenn Sie leicht geneigt sein würden, mir zuzuhören!
Sie wollen doch ruhig, stetig und bescheiden Ihre Politik machen. So hat Herr Strauß das vorhin in der ihm eigenen bescheidenen Weise gekennzeichnet.
Wenn ich Sie an die 12 % Zuwachsrate des vorigen Jahres erinnern darf: darüber sollten Sie lieber den Mantel der Nächstenliebe decken! Sie haben im Herbst vorigen Jahres, als leichte Anzeichen der Entspannung der Konjunktur, leichte Befürchtungen einer Rezession emporkamen, selber in der Opposition durch Ihren Sprecher Stoltenberg und andere recht deutlich zu verstehen gegeben, die 12 % seien richtig und es sei sogar der Haushalt in dem neuen
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7512 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Bundesminister Dr. SchillerKonjunktursinne zu überprüfen. Schweigen Sie bitte darüber!
— Das ist ein ganz anderer Punkt!Sie sprechen von Anträgen. Ich kenne viele Ihrer Anträge. Ich kenne Anträge von Ihnen auf allen möglichen Einzelplangebieten, die nicht gerade stabilitätsorientiert sind,. sondern auf Mehrausgaben gehen. Herr Leicht, wir kennen sie!
Erinnern wir nur an den letzten Fall: Sie wollen die Mehrwertsteuer um einige Punkte im Bereich der agrarischen Produkte erhöhen. Das nenne ich einen fulminanten Beitrag zu einer Stabilitätspolitik in einer Lage, wo wir wissen, daß heute jedes Prozent der Erhöhung der Mehrwertsteuer in dieser Situation in diesem Jahr 1971 0,7 % an Steigerung des Lebenshaltungskostenindex bedeutet. Das ist Ihre Stabilitätspolitik im Konkreten, Herr Leicht!
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte!
Sind Sie mit mir der Meinung, Herr Minister Schiller, daß, wenn die Maßnahmen, die Sie jetzt vom Haushaltspolitischen her durchzuführen versuchen, bereits vor einem Jahr durchgeführt worden wären, die krisenhafte Situation zumindest nicht so weit gekommen wäre, und gestehen Sie zu, daß so manche Anträge der Opposition — nicht wegen Einzelplänen, sondern hier im Plenum zur dritten Lesung —, wenn sie angenommen worden wären, dazu beigetragen hätten, daß heute das Fundament ein bißchen stärker wäre, als es ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Leicht, wenn ich antworten darf: ich bin nicht Ihrer Meinung, ich stimme Ihnen nicht zu. Ich kann Ihnen gleich beweisen, daß diese Bundesregierung im vorigen Jahr durch ihre eigene Fiskalpolitik erhebliche Mittel eingespart hat. Der Bundestag ist dem mit Kürzungen gefolgt. Das Ganze wurde aber von jenen Devisenzuflüssen unterlaufen,
über die ich gleich sprechen werde, Herr Strauß. Sie haben gesagt, wir hätten sie bestellt. Sie wissen ganz genau, daß wir sie nicht bestellt haben. Der Prozeß ist seit vorigem Jahr gelaufen.
Herr Strauß, und wenn wir sie nicht bestellt haben, sind diese Devisenzuflüsse in die Bundesrepublik im Jahre 1970 und im Jahre 1971 doch nicht gekommen, weil in dieser Bundesrepublik Deutschland und ihrer Wirtschaft jene phantastische, grauenhafte Unsicherheit besteht, von der Sie faseln, sondern weil diese Bundesrepublik Deutschland mit ihrer D-Mark mehr Vertrauen genießt als andere Währungen und andere Wirtschaften in der Welt. Das ist doch die Wahrheit!
Präsident von Hass&: Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Niegel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten uns jetzt — eigentlich in dem Sinne, wie Herr Strauß es hätte tun sollen — in ein paar Fragen den unmittelbaren Problemen dieser Wochen zuwenden und nicht in der Vergangenheit herumwühlen.
Sonst könnte ich Ihnen vorlesen aus dem letzten Sondergutachten des Sachverständigenrates von Ende Mai, das auf Ihren Tischen liegt. Da steht ein Versäumnis einer Bundesregierung als Hauptursache unserer aller Schwierigkeiten. Es steht in der Ziffer 38: das Hauptversäumnis bestand in dem Nichtdämpfen des Booms im Jahre 1969.
— Sie wissen genau, wann das war! Lesen Sie es nach! 1969 waren Sie derjenige, der dem, der den richtigen Entschluß durchbringen wollte, in den Arm fiel, Herr Strauß!
— Lassen Sie die Vergangenheitsbewältigung! Ich sage dies noch einmal. Ich darf folgende Feststellung machen. Was immer Sie sagen mögen, unsere am 9. Mai beschlossenen stabilitätspolitischen Maßnahmen waren notwendig und wirkungsvoll. Blicken Sie auf die Stellungnahmen sowohl des Sachverständigenrats wie der Bundesbank und auch der Teilnehmer an der konzertierten Aktion! In allen kommt zum Ausdruck, daß wir mit unseren Maßnahmen vom 9. Mai dieses Jahres auf dem richtigen Weg sind.
An dieser Stelle möchte ich besonders dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für die zusätzliche Mühe danken, die er mit dem Sondergutachten vom 24. Mai auf sich genommen hat.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7513
Bundesminister Dr. SchillerDieses Gutachten, das heute mit zur Debatte steht,— so glaube ich — durchaus in der Lage, unsere Einsichten zu vertiefen. Es macht uns auf Zusammenhänge aufmerksam, die vielleicht in der heftigen oder hitzigen Tagesdiskussion leicht vergessen werden.Als wichtigstes Ergebnis, Herr Strauß, der Beschlüsse vom 9. Mai 1971 ist doch festzuhalten, daß die Bundesbank mit ihrer Befreiung von der Interventionspflicht am Devisenmarkt ihren kreditpolitischen Handlungsspielraum wiedergewonnen hat. Sie kann wieder Zinspolitik betreiben, sie kann wieder Liquiditätspolitik betreiben, ohne das ungefähre Gegenteil dessen zu bewirken, was beabsichtigt war.Mit der Freigabe des Wechselkurses der D-Mark wurde der Devisenzustrom in die Bundesrepublik auf marktwirtschaftliche Weise gestoppt. Her Strauß, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, es wurde nicht nur dieser Zustrom gestoppt, darüber hinaus haben wir Beträge in der Größenordnung von per Saldo 6 Milliarden DM wieder an das Ausland zurückgeben können. Das ist schon ein Erfolg dieser Maßnahme vom 9. Mai und das sollten Sie zur Kenntnis nehmen!Im übrigen hätten Sie, bevor Sie hier Ihr Sammelsurium von Friedrich Schiller bis Wilhelm Busch zusammenstellten, einmal den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Juni nachlesen sollen.
Dort wird die gesamte Geschichte von 1970 und 1971 noch einmal sachlich beschrieben. Dort wird alles, was wir 1970 stabilitätspolitisch bei offener außenwirtschaftlicher Flanke unternommen haben, sei es geld- oder fiskalpolitischer Art, zutreffend als „Sisyphus-Arbeit" bezeichnet. Die Bundesbank hebt in diesem neuesten Juni-Bericht treffend hervor, daß „die Bundesrepublik bei den auf den internationalen Kreditmärkten vorherrschenden Bedingungen über keine geeigneten wirtschaftspolitischen Instrumente zur Bekämpfung der inflatorischen Tendenzen mehr verfügte, sofern sie ihrer Interventionspflicht gegenüber dem Dollar nachkommen mußte".
— Ja, natürlich.
Und dann ist eine kurze, aber aufschlußreiche Aufstellung angefügt, die unsere Anstrengungen illustriert. Wir hatten seit Anfang 1970 bis zum 5. Mai dieses Jahres einen gigantischen Devisenzustrom. Das waren 46 Milliarden DM. Diesem Devisenzustrom standen — so wörtlich von der Bundesbank beschrieben — „die kontraktiven Wirkungen" der Politik der öffentlichen Haushalte in Höhe von 12 Milliarden DM und der kreditpolitischen Maßnahmen von 17 Milliarden DM gegenüber. Unsere Restriktionsmaßnahmen seit Anfang 1970, Herr Strauß, sind also offensichtlich nicht zaghaft gewesen.Mit diesem neuesten Bericht der Bundesbank und mit diesen Zahlen — ich wiederhole: wir haben durch die Fiskalpolitik und auch und gerade durch die Tätigkeit von Alex Möller im Jahre 1970 insgesamt 12 Milliarden DM restriktiv behandelt, gekürzt bzw. stillgelegt — ist die Legende vom Tisch gefegt, wir hätten im Jahre 1970 oder in diesem Jahr die Bundesbank alleingelassen. 12 Milliarden DM fiskalpolitische Restriktion! Das sehen Sie selber im Bericht der Bundesbank.
Weitere 2 Milliarden DM sind sonstigen kontraktiven Markteinflüssen zuzuschreiben gewesen. Als Saldo dieser Anstrengungen und dieser Zuflüsse blieb ein unbewältigter Rest der Liquiditätszunahme bei den Banken von immer noch 15 Milliarden DM. Angesichts der Erweiterungen dieses monetären Rahmens in einer solchen Größenordnung muß man sich der Schlußfolgerung der Bundesbank anschließen: Wenn das Geldvolumen um 16 %, das güterwirtschaftliche Angebot dagegen nur um 5 % wächst, dann kann das nicht ohne Einfluß auf die Preise und Löhne bleiben.Deshalb war, Herr Strauß, die außenwirtschaftliche Absicherung notwendig, und wir sind vom Sachverständigenrat in unserer Haltung bestätigt worden, indem er sagte: Ende April dieses Jahres war die währungspolitische Lage klar und reif zum Handeln. Wir haben in der Tat zu jenem Zeitpunkt zur Aktion angesetzt; denn am 26. April 1971— nicht am 22., wie Sie sagten — haben wir in Hamburg intern, ohne Publizität nach draußen, den europäischen Währungsdialog begonnen. Das ist die Wahrheit, Herr Strauß; wir haben uns nicht in Hamburg hingestellt und öffentlich unsere Vorschläge gemacht.Sie sprechen wieder von den Spekulationen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie diese lange Entwicklung überblicken — 46 Milliarden DM seit Beginn des Jahre 1970 —, müssen Sie doch zugeben, daß die Spekulation des letzten Tages oder der letzten zwei Tage tatsächlich nur Endpunkt und Höhepunkt einer lange vorgegebenen Entwicklung war.
— Ich komme gleich darauf. — Tatsächlich hat die Spekulation einen Tag gedauert, auf der Basis, wenn Sie so wollen, des veröffentlichten Gutachtens der Institute. Die Äußerungen — Herr Kollege Strauß, Sie müssen die Geschichte genau nachlesen! — von dem Herrn Bundeskanzler und von mir in der SPD-Bundestagsfraktion an jenem Tage, dem 4. Mai, erfolgten am Abend nach normaler Schließung der Börsen,
hatten überhaupt keinen Einfluß auf die Spekulationen jenes Tages.
— Hören Sie doch mal zu! Sie wissen es auch ganz genau. Sie reden immer an der Wahrheit und an der Wirklichkeit vorbei.
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7514 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Bundesminister Dr. Schiller— Regen Sie sich nicht auf! Nehmen Sie zur Kenntnis, daß die Bundesregierung in der Nacht vom 4. auf den 5. Mai die Schließung der Devisenbörsen beschlossen hat, daß sie aber aus Höflichkeitsgründen das Einvernehmen der Bundesbank haben wollte. Das dauerte am Tage darauf, am 5. Mai, noch eine Stunde, und diese eine Stunde hat nochmals Spekulation gebracht. Das lag nicht an der Bundesregierung.
— Nun regen Sie sich ein bißchen ab! Sie verstehen ohnehin nicht allzuviel davon.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren von der Opposition:
Sie sollten nun auch die Lage im internationalen Währungssystem nicht überdramatisieren. Man darf nicht denjenigen, der Feuer löscht, mit denjenigen verwechseln, die den Brand in der internationalen Währungslage entfacht oder begünstigt haben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht? — Bitte schön!
Würden Sie es bestätigen, Herr Bundesminister, daß am 4. bzw. 5. Mai nach Ihren Aussagen in der Fraktion innerhalb von 40 Minuten bei der Deutschen Bundesbank 2 Milliarden Dollar eingegangen sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich kann Ihnen das nicht bestätigen.
Der Bundeskanzler und ich haben unsere Äußerungen -- die übrigens notwendig waren —nach der Schließung der Devisenbörsen gemacht — in zurückhaltender Form —; wir haben in der Nacht die Schließung der Devisenbörsen verfügt, dann aber höflichkeitshalber eine Stunde warten müssen, bis der Zentralbankrat seine Zustimmung gab. Das ist die Geschichte, Herr Leicht, und mehr braucht dem nicht hinzugefügt zu werden.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abg. Leicht?
Wären Sie auch bereit, Herr Bundesminister Schiller, auf die Feststellung von
Sachverständigenrat und Deutscher Bundesbank einzugehen, daß die Inflation bei uns überwiegend hausgemacht ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Leicht, wenn Sie jetzt so leichthin mit einem ganz anderen Komplex kommen, dann darf ich Ihnen folgendes sagen. Jawohl, wir haben im Laufe der Jahre 1969/70 einen breiten Kreis von internen Faktoren gehabt, die zu den Preissteigerungen beigetragen haben. Aber wir bekamen gegen Ende des Jahres 1970, Anfang 1971 sicherlich die Dinge etwas mehr in den Griff.
Es waren Zeiten leichter Entspannung, ja eine gewisse Rezessionsfurcht zu bemerken.
— Darf ich meine Ausführungen auf eine Anfrage eines Mitglieds dieses Hohen Hauses zu Ende führen. — Dann haben wir im neuen Jahr festgestellt, daß nun der angesammelte riesige Betrag von ausländischen Devisen stärker und stärker in inländische Währung umgetauscht wurde, damit in den internen Kreislauf eintrat und damit einen zusätzlichen inflatorischen Impuls veranlaßte, der weit über alles Vorhergehende hinausging. — Das, Herr Leicht, ist die ganze Geschichte von internen und externen Faktoren.
Die Preis- und Kostensteigerungen des letzten halben Jahres sind doch überhaupt nur durch die eingeflossene internationale Liquidität möglich gewesen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Breidbach?
Herr Professor Schiller, bedeutet diese Ihre letzte Aussage, daß Sie von Ihrer eigenen Aussage, etwa im Beisein des Bundesbankpräsidenten und von Mitgliedern dieses Hauses: „Diese Inflation ist hausgemacht" abgerückt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Kollege, diese Aussage bedeutet das nicht. Diese Aussage bedeutet klipp und klar, daß Sie selber über diese komplizierten Zusammenhänge mal ein bißchen nachdenken sollten. Das ist es.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine letzte Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7515
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke jetzt. Ich möchte erst einmal meine Ausführungen fortsetzen ...
— Der hat sich auch noch ein wenig auf den Hosenboden zu setzen und ein bißchen über die Währungspolitik nachzudenken.
— Ja, meine Damen und Herren, jetzt steigt bei Ihnen die Temperatur ein bißchen. Das ist ganz schön. Was Herr Strauß nicht fertiggekriegt hat, das bringt so ein bescheidener Bundesminister bei Ihnen fertig, Ihre Leidenschaften ein bißchen zu animieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte ein Weiteres dazu sagen. Die internationalen Wirkungen und die europäischen Wirkungen sind beide angesprochen worden. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen: wir wollen uns mit unseren Maßnahmen den Reformen des internationalen Währungssystems nicht in den Weg stellen, im Gegenteil. Wir haben die Anstrengungen zur Auflockerung des Weltwährungssystems mit unseren Maßnahmen unterstützt. Im Blick auf die Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds im Herbst dieses Jahres in Washington sollten diese Reformbestrebungen, die wir unterstützen, intensiviert werden.Nun sprechen Sie von der Europäischen Gemeinschaft. Herr Strauß, Sie unterschlagen immer, daß wir am 9. Mai und am 8. Mai einen europäischen Vorschlag für eine gemeinsame wechselkurspolitische Maßnahme hinsichtlich der Gemeinschaftswährungen nach außen und für engere Bandbreiten im Innern gemacht haben. Das war der Versuch einer europäischen Antwort gemeinschaftlicher Art auf das internationale Problem.
— Es war niemand so frech, uns nicht zu folgen, sondern dieser Vorschlag, Herr Strauß, der zugleich mit einer Offerte verbunden war, daß die Bundesrepublik in einem solchen Fall monetären Beistand durch Interventionen in Gemeinschaftswährungen geben würde, wurde von verschiedenen Mitgliedern des Rates als außerordentlich honorig kommentiert und gewürdigt. Wir haben lange über das Problem geredet.Ich will Ihnen gleich sagen, jetzt am 15. Juni waren wir wieder zusammen. Das war eine Besprechung im Ministerrat der Finanz- und Wirtschaftsminister, die von einem durchaus freundlichen und von Verständnis füreinander getragenen Klima geprägt war. Wir haben dabei erneut darin übereingestimmt, Herr Strauß, daß für die Gemeinschaft die Wiedererlangung der inneren Stabilität derzeitig die eindeutige Priorität hat.Es muß in der Tat — das wollen Sie immer nicht gern wahrhaben — festgehalten werden, daß wir uns auch jetzt immer durch unsere Taten zu den Beschlüssen zur Wirtschafts- und Währungsunion vom 9. Februar dieses Jahres bekennen. Wir haben in der letzten Sitzung z. B. befürwortet, daß vom Ministerrat gemeinschaftliche Orientierungsdaten für die Budgetpolitik, für die Preispolitik und für die Einkommenspolitik in den Mitgliedstaaten entsprechend den Art. 1 und 3 der Entscheidung des Rates vom 9. Februar und 22. März formuliert würden. Wir haben zusammen mit anderen dafür gekämpft. Da sehen Sie unsere europäische Politik. Wir haben auch unsere Bereitschaft zur Lösung der noch ausstehenden Fragen und zur Abwehr künftiger Gefahren für unser Währungsgefüge wiederholt.Die Bundesregierung strebt — wie schon am 9. Mai, so auch heute und in Zukunft — eine gemeinschaftliche Lösung an, mit der Europa allmählich seine eigene Währungspersönlichkeit entwickeln könnte. Bestehen bleiben allerdings unsere Kriterien, die wir an alle Vorschläge, die in dieser Hinsicht gemacht werden, anlegen: Effizienz einerseits und marktwirtschaftliche Qualität andererseits.Herr Strauß, ich weiß, Ihnen fällt nichts weiter zu diesem ganzen Problem ein als das ewige Wiederholen des § 23 des Außenwirtschaftsgesetzes.
Wir haben ihn angewandt in einem Punkt — das wissen Sie ganz genau — auf Wunsch der Bundesbank, und wir haben dies auch in der Ratssitzung am 15. Juni den staunenden Mitgliedern dargelegt. Dabei kam heraus, daß Kontrollen dieser Art — nämlich ein Zinsverbot für Auslandsguthaben — außer in der Bundesrepublik nur nòch in einem einzigen anderen Lande der Europäischen Gemeinschaft durchgeführt werden; bei allen anderen bestünde — das war unsere Konsequenz — anscheinend noch Nachholbedarf an Kontrollen auf diesen und anderen Gebieten. Aber darüber wollen wir jetzt nicht sprechen. Wir sind für marktwirtschaftliche Lösungen, und selbst Mitglieder Ihrer Fraktion sind der Auffassung, daß das Zinsverbot gemäß § 23 Nr. 7 des Außenwirtschaftsgesetzes für Ausländerguthaben bei Banken im Inland noch unter die marktwirtschaftlichen Maßnahmen zu rechnen ist.Im übrigen haben wir unsere Vorschläge für eine gemeinsame stärkere Außenflexibilität der Gemeinschaft und eine Verringerung der Bandbreiten zwischen den Gemeinschaftswährungen wiederholt. Am 1. und 2. Juli werden wir erneut in jenem Kreise zusammenkommen und darüber diskutieren. Hier befinden wir uns mit einigen anderen Ländern auf derselben oder auf einer ähnlichen Linie, nämlich der Linie der Bandbreitenerweiterung nach außen.Mein Fazit lautet: Der europäische Horizont ist heller, als manche Zweckpessimisten es wahrhaben wollen. Ich darf Ihnen nur eines sagen: Mit dem Floaten haben wir — Sie wissen es — eine ganze Menge in Europa und in der Bundesrepublik in
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7516 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Bundesminister Dr. SchillerGang gebracht und in Bewegung gesetzt. Ein Nebenprodukt ist doch, daß mit einem Male sehr viele Hindernisse gegen den Beitritt Großbritanniens zur Gemeinschaft hinweggefegt waren.
— Jawohl, das ist auch ein Nebenprodukt gewesen. Das wissen Sie ganz genau.Nun, meine Damen und Herren, ein paar Worte zur inneren Situation. Herr Strauß, ich weiß nicht, was Sie nun eigentlich von den autonomen Gruppen dieser Gesellschaft verlangen. Wir haben den autonomen Gruppen die Situation seit dem 9. Mai dargelegt, und sie alle haben festgestellt, daß durch die Wechselkursfreigabe und durch die finanzpolitischen Maßnahmen der Regierung eben eine neue Lage eingetreten sei, daß sie alle auf Unternehmer und Gewerkschaften einwirken wollten mit dem Ziel, daß sich die Beteiligten in ihren Preisvorstellungen und in ihren Einkommenserwartungen nicht mehr an den Verhältnissen des Booms, sondern an den Erfordernissen einer Konsolidierungsphase orientieren. Das ist das Ergebnis der letzten Konzertierten Aktion. Ich kann Ihnen also nicht folgen, wenn Sie sagen, wir hätten uns da nur geeinigt über gemeinsame Zahlenwerke. Herr Strauß, auch da sind Sie flüchtig gewesen, da haben Sie nicht genau gelesen. Wir haben uns nicht selber auf gemeinsame Zahlenwerke geeignigt — die haben wir schon lange, seit viereinhalb Jahren, geliefert; Sie wissen das —, nein, es wurde festgestellt, daßunabhängig von der Konzertierten Aktion
die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften zu neuen Spitzengesprächen zusammengekommen sind und daß sie sich untereinander auf gemeinsame Zahlenwerke einigen wollen. Wir haben diese unmittelbare Verständigung begrüßt, und es war richtig, dies zu begrüßen.Nun etwas zur eigenen Haushaltsgestaltung. Auch hier sollten Sie in dem neuen Sondergutachten des Sachverständigenrats nachlesen, wo es heißt, daß wir durch unsere Maßnahme, Herr Strauß, in diesem Jahr auf eine Milliarde DM Haushaltskürzung beim Bund und 800 Millionen DM Kürzung bei den Ländern und einer Zurückdrängung einer gewissen Summe der Verpflichtungsermächtigungen bei Bund und Ländern und damit in diesem Jahr, 1971, zu einem konjunkturneutralen Haushalt kommen. Das wird uns in Ziffer 30 des Sondergutachtens ausdrücklich bescheinigt. Sie sollten auch das lesen und entsprechend würdigen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Herr Minister, wäre es nicht — genauso wie im vergangenen
Jahr — besser gewesen, diese Reduzierungen nicht während des Haushaltsjahrs, sondern bereits bei der Einbringung des Haushalts vorzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nicht dieser Meinung; denn auch der Sachverständigenrat sagt sehr deutlich — Sie können es nachlesen —, daß zwar jetzt durch die neuen Umstände die Konjunkturneutralität erst durch die Kürzungen herbeigeführt werden kann, weil im Laufe des ersten Halbjahres 1971 einiges eingetreten ist, was man nicht voraussehen konnte; aber er sagt wörtlich: Das Ausgabevolumen der öffentlichen Hand kann kaum stärker als auf den Betrag, der als konjunkturneutral gilt, reduziert werden. Damit bliebe man hinter dem zurück, was angesichts des für vordringlich gehaltenen Nachholbedarfs bei wichtigen staatlichen Aufgaben auf mittlere Sicht angemessen wäre. Der Sachverständigenrat bescheinigt also mit anderen Worten, daß wir mit zu weitgehenden Kürzungen die Erfüllung für vordringlich gehaltener Aufgaben der öffentlichen Hand beeinträchtigen würden.Meine Damen und Herren, diese strengen Stabilitätsmaßstäbe, die wir für den Vollzug des Haushalts 1971 angelegt haben und mit denen wir den Haushalt zur Zeit durchführen, legen wir auch für die Erarbeitung des Haushalts 1972 und die Fortschreibung und Anpassung der mittelfristigen Finanzplanung bis 1975 an.Ich darf Ihnen dazu noch folgendes sagen. Wir sind mitten in einem großen Prozeß der AusgabenUmstrukturierung beim Bund und bei den anderen öffentlichen Haushalten. Wir sind der Meinung, daß nach der Explosion der Personalkosten nun ein Ungleichgewicht zwischen Personal- und Sachausgaben in den öffentlichen Haushalten eingetreten ist. Wir sind der Meinung, daß, bevor man vor die Bevölkerung tritt, nun erst einmal die Ausgabenseite der öffentlichen Haushalte insgesamt umgestaltet werden muß. In dieser Arbeit stecken wir.Augenmaß und Nüchternheit, meine Damen und Herren, beides sollte auch im Herbst dieses Jahres unsere Hand führen, wenn wir uns möglicherweise über zusätzliche Deckungsmittel für die Jahre 1972 und 1973 unterhalten sollten.
— Jawohl, ich halte es für falsch, jetzt, heute und hier auf Grund der großen Mehrbedarfsanmeldungen der öffentlichen Hände, besonders bei den Ländern und den Gemeinden, auf allen Ebenen sozusagen grenzenlos und ohne Einschränkung den Ruf nach Steuererhöhungen überall und an allen Orten erschallen zu lassen. Ich bin der Meinung, das ist keine gute haushälterische Politik. Wir sind im Bund dabei, erst einmal unsere Ausgabenstruktur den neuen Verhältnissen anzupassen, und wir werden am 28. Juni im Finanzplanungsrat, auf den Sie, Herr Strauß, Bezug nahmen, versuchen, dies auch im Hinblick auf die anderen öffentlichen Hände zu schaffen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7517
Bundesminister Dr. SchillerÜber die Fortschreibung der Haushaltsplanung bis 1975 werden wir erst im Herbst alle Tatbestände zusammenhaben.
— Wir haben inzwischen abgesprochen, daß sich der Finanzplanungsrat am 28. Juni mit dem Haushalt 1972 befaßt. Die Damen und Herren des Finanzplanungsrates wissen das auch.Im übrigen möchte ich auch folgendes betonen. Eine Bereitschaft der Bevölkerung, in der Zukunft zu konkreten öffentlichen Aufgaben einen Beitrag zu leisten, ist sicherlich gegeben, aber die Bereitschaft zum Opfer sollte hier nicht durch unbegrenzte Äußerungen überstrapaziert oder gar mißbraucht werden.
Zuerst einmal müssen wir unsere eigene Haushaltsstruktur für die kommenden Jahre straffen und neutransparent machen. Nur dann, wenn der StaatBund, Länder und Gemeinden — das bis zum Herbst getan hat, hat er das Recht, von der Bevölkerung weitere Deckungsmittel zu verlangen. Nur mit einer klaren, nicht überhasteten, sondern wohlüberlegten Rechnungslegung werden wir im Herbst vor die deutsche Öffentlichkeit treten können.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn in Frage 1 der Großen Anfrage der CDU/CSU nach den wirklichen Gründen für den Rücktritt des Herrn Kollegen Möller gefragt wurde, so wurde damit zu Unrecht unterstellt, es gebe einen Gegensatz oder einen Widerspruch zwischen genannten und wirklichen Gründen. Ich muß diese Unterstellung zurückweisen.Ich habe den Brief des Herrn Kollegen Möller, in dem er mich bat, seine Entlassung beim Herrn Bundespräsidenten zu veranlassen, am Nachmittag des 12. Mai erhalten. Am 13. Mai habe ich dem Kabinett, meiner Fraktion und dem Koalitionspartner den von ihm mir überzeugend dargelegten wirklichen Grund genannt, und zwar unter wörtlicher Zitierung dieses Abschnittes aus seinem Brief. Dies ist der Öffentlichkeit nicht vorenthalten worden, sondern dies ist der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden. Der entsprechende Satz in dem Brief des Herrn Kollegen Möller vom 12. Mai lautet — ich zitiere — :Die Feststellungen über die haushaltswirtschaftliche Bestandsaufnahme sind allein für meine Entscheidung maßgebend.Herr Kollege Möller folgerte daraus, daß er es angesichts der erwähnten Bestandsaufnahme für seine Person unter den gegebenen Umständen nicht mehr für möglich halte, der Bundesregierung seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen.Auf Frage 2 hat die Regierung geantwortet, daß ich nicht beabsichtige, das persönliche Schreiben Herrn Möllers vom 12. Mai zu veröffentlichen. Aus grundsätzlichen Erwägungen muß ich hierbei bleiben. So entspricht es auch bisheriger, insoweit bewährter Staatspraxis. Ich würde nicht widersprochen haben, wenn Herr Kollege Möller seinerseits den Wunsch gehabt hätte, seinen Brief zu veröffentlichen. Der Bundeskanzler — wer immer dies ist — sollte aber nicht Briefe, die er von Kabinettskollegen erhält oder an diese schreibt, der Öffentlichkeit bekanntmachen.
Meine Damen und Herren, mir liegt aber daran, hier noch einmal zu tun, was ich auch im Kabinett getan habe, nämlich Herrn Kollegen Möller meinen Respekt zu bekunden und meinen Dank zu sagen für das, was er über Jahrzehnte hinweg für die deutsche Demokratie geleistet hat und was er seit dem Oktober 1969 gerade auch als Bundesminister der Finanzen geleistet hat.
Herr Kollege Möller hat seine Pflicht mit letzter Hingabe erfüllt. Das sollte, was sonst immer umstritten ist in diesem Haus, von allen gewürdigt werden. Der Opposition, Herr Kollege Strauß, wird es jedenfalls nicht gelingen, Herrn Möller gegen die Bundesregierung auszuspielen oder gar von seinen politischen Freunden zu trennen. Das wird hier niemandem gelingen.
Darf ich dann noch zwei Bemerkungen zur Sache anfügen, nachdem der Herr Kollege Schiller sich im übrigen ausführlich geäußert hat.Erstens. Ich war, wie die Mitglieder des Hauses wissen, in der vergangenen Woche in den Vereinigten Staaten. Dort ist mir von keiner Stelle vorgehalten worden, was hier heute morgen zu Beginn der Debatte im Hinblick auf unsere Währungspolitik vorgebracht worden ist. Ich sage Ihnen allen Ernstes: es dient nicht den Interessen der Bundesrepublik Deutschland, hier Beschuldigungen zu erheben, die kein sachlicher ausländischer Partner vorbringt.
Bei dem, was Herr Strauß zu Europa vorgebracht hat, habe ich mich gefragt, von welchem Europa er spricht oder von wann sein Manuskript dazu stammt.
Gestern, am 22. Juni 1971, hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen mit seinen Kollegen in Luxemburg die entscheidenden Beschlüsse über die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft gefaßt.
Diese Bundesregierung hat ihre Rolle gespielt, um die westeuropäische Stagnation zu überwinden.
Wir werden aller Schwarzmalerei zum Trotz mit unseren Partnern weitere Fortschritte erzielen. Darauf kann sich hier jeder verlassen.
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7518 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Bundeskanzler BrandtDie zweite Bemerkung: Wer es mit dem Ringen um Stabilität ernst meint, der muß der Aufgeregtheit und der Demagogie entsagen
und sich um eine ruhige Argumentation bemühen. Was Herr Strauß hier wieder einmal überzogen und übertrieben heute früh vorgebracht hat, erleichtert nicht, sondern erschwert das Ringen um Stabilität. Ich muß aber alle Verantwortlichen in diesem Hause, in der deutschen Wirtschaft und in der Öffentlichkeit eindringlich darum bitten, sich von dem Weg der mühevollen Sachlichkeit beim Ringen um Stabilität nicht abbringen zu lassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Intervention des Herrn Bundeskanzlers betraf den Rücktritt des Kollegen Möller. Nur zu dieser Frage möchte ich mich hier in die Debatte einstellen. Der Herr Bundeskanzler hat eingeräumt — dies war doch etwas anders, als die Rede des Kollegen Schiller hier versuchte deutlich zu machen —, daß — dies waren eben seine Worte, und es ist richtig, daß das der Öffentlichkeit gesagt worden ist — „die Feststellungen über die haushaltswirtschaftliche Bestandsaufnahme allein für meine Entscheidung maßgebend sind" ; so der Kollege Möller.Herr Bundeskanzler, es ist ebenso richtig, daß Ihr Regierungssprecher bei der Bekanntgabe dieses Rücktritts von den großen „körperlichen Anstrengungen" gesprochen hat, die nun vor dem neuen Minister stehen sollten, und er hat den Eindruck erweckt, daß der Kollege Möller dem nicht gewachsen sei. Ich deute Ihre Erklärung dahin gehend, daß Sie hiermit den Pressesprecher zunächst einmal dementieren und zur Sache zurückkommen.Nun, Herr Bundeskanzler, erklären Sie hier soeben, daß es nicht Ihre Absicht sei, den Brief zu veröffentlichen. Das ist auch nicht das Wesentliche. Das Wesentliche, Herr Bundeskanzler — und das wäre der Beitrag zur Stabilität gewesen, um den Sie am Schluß baten —, wäre gewesen, die Dokumentation hier dem Hause vorzulegen, welche die Anlage des Rücktrittsschreibens war.
Danach haben wir in Ziffer 2 unserer Anfrage gefragt. Diese Frage ist weder schriftlich noch durch den Kollegen Schiller noch durch den Bundeskanzler soeben beantwortet worden.
Die Dokumentation über die haushaltswirtschaftliche Lage zu sehen, hat die Öffentlichkeit, hat dieses Haus Anspruch. Wir wollen wissen, welche Lage der Bundesfinanzminister als — dies sind seine Worte — „ausweglos" ansah und damit seinen Rücktritt begründete. Dies wollen wir wissen.
Dies heute zu wissen, wäre im Interesse der Stabilität wichtig.Sie machen zum drittenmal dieselbe Sache, Herr Bundeskanzler. Als wir Sie in der Haushaltsdebatte fragten: Wie ist es mit der Finanzierung Ihrer Vorhaben?, sagten Sie: Das gehört nicht hierher, das machen wir demnächst, wenn wir die Debatte über die großen Reformen haben werden. Da haben wir gesagt: Na gut. — Dann kam die Debatte über die großen Reformen. Da standen Sie auf und sagten: Was wollt Ihr denn eigentlich schon wieder von Geld sprechen? Wir hatten doch gerade den Haushalt. Daraufhin haben wir Ihnen das alte Zitat vorgelegt, und die Debatte schloß mit unseren Worten, daß Sie offensichtlich die Absicht hätten, dieses Haus an der Nase herumzuführen. Nun kriegen wir heute die Dokumentation nicht, alles wird auf den Herbst vertagt.Nun gut, das stärkt, Herr Bundeskanzler, natürlich das Ausmaß an Verantwortung, das Sie übernehmen. Wir haben auch den Teil des Sachverständigengutachtens vom 28. Mai, Herr Wirtschafts- und Finanzminister, im Kopf, in dem davon gesprochen wird, daß nun das „Risiko für die Beschäftigung" nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Indem Sie heute erneut darauf verzichten, Klarheit zu schaffen in den Fragen, zu denen Kollege Strauß hier gesprochen hat, laden Sie erhöht Verantwortung auch in dieser Richtung auf sich. Das muß heute festgehalten werden.
Der Rücktritt des Bundesministers der Finanzen Alex Möller erfolgte nach 18 Monaten praktischer Arbeit dieser Regierung. Als diese Regierung antrat, haben wir bei der ersten Debatte, ich glaube, mit gutem Grund, eine ökonomische Eröffnungsbilanz in die Debatte eingeführt. Niemand hat damals bestritten, daß der Bundeskanzler Brandt und seine Regierung auf dem Fundament geordneter öffentlicher Finanzen beginnen. 18 Monate später sieht der Kollege Möller die Lage als „ausweglos" an und tritt zurück. Einen Monat später weigert sich der Bundeskanzler, in diesem Hause die Daten und die Dokumentation darüber vorzulegen. Dies bedarf keines Kommentars. Dies ist schlechter Umgang mit dem Parlament. Dies ist eine Steigerung der Verantwortung für die Dinge, die auf uns zukommen. Herr Bundeskanzler, um diese gesteigerte Verantwortung durch Zögern beneiden wir Sie nicht. Sie haben hier die Chance, durch Klarheit die Dinge schneller in den Griff zu bekommen. Das tun Sie nicht.
— Alte Leier? Ja, wir sind seit einem Jahr dabei, diese Regierung zum Handeln zu zwingen.
— Sie lachen, wenn wir über Preisstabilität sprechen, meine Damen und Herren.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie also zum drittenmal in diesem Jahr alles auf den Herbst zu vertagen die Absicht haben, dann haben Sie die Verantwor-
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Dr. Barzeltung für die weiter um sich greifende Unsicherheit. Wir halten fest: diese Regierung verschleiert eine Lage, die der Kollege Möller mit seinen Worten als „ausweglos" bezeichnet hat, und dies 18 Monate nach dem Regierungswechsel. Dies hier heute festzuhalten, meine Damen und Herren, ist eine Notwendigkeit. Wir werden dann also im Herbst, Herr Bundeskanzler, auf die gestiegenen Erwartungen in bezug auf Klarheit zurückzukommen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kirst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf an die Schlußworte des Herrn Kollegen Barzel — ich komme darauf vielleicht später noch einmal zurück — anknüpfend sagen: Beruhigen Sie sich, Herr Dr. Barzel! Der Herbst kommt bestimmt.
Ich möchte zunächst feststellen, daß die FDP die schon vor dieser Debatte draußen geäußerten Zweifel am Sinn und der Notwendigkeit einer solchen Debatte, wie sie heute noch einmal geführt wird, teilt. Ich möchte ferner feststellen, daß der Kollege Strauß selbst diese Zweifel erwähnt, meines Erachtens unterstützt und schließlich durch seine Ausführungen entscheidend bestätigt hat.
Es gibt doch zumindest seit der Debatte, die wir am 12. Mai geführt haben, keine entscheidend neuen Daten aus dem wirtschaftlichen Geschehen, die es unbedingt erforderlich und der Sache nützlich erscheinen ließen, diese Debatte zu führen. Ich werde mich daher darauf beschränken, namens meiner Fraktion in sehr kurzen Ausführungen einiges zu den Antworten der Regierung auf die Große Anfrage der Opposition zu sagen.
Ich darf mir zunächst eine generelle Bemerkung zu dem, was der Kollege Strauß heute morgen in 60 Minuten geboten hat, erlauben und sagen: Das war eine schlechte Reprise des Horrorfilms „Das Gruselkabinett des Dr. Strauß" in kleiner Besetzung und zu herabgesetzten Preisen.
Meine Damen und Herren, die Fragen 1 und 2 der Opposition sind, insbesondere nach den Ausführungen des Bundeskanzlers und Dr. Barzels, praktisch erledigt. Bei allem Respekt vor der Entscheidung des früheren Bundesfinanzministers möchte ich sagen, daß ich persönlich natürlich diese Entscheidung angesichts der harmonischen und guten Zusammenarbeit in 18 Monaten, für die ich ihm danke, bedaure.
Man muß aber doch wohl auch sagen, daß die Opposition nicht immer auf das kurze Gedächtnis der
Öffentlichkeit spekulieren sollte. Ich meine, die Ausführungen, die Herr Kollege Strauß heute morgen in nahezu 20 Minuten zu diesem Thema gemacht hat, stehen in einem peinlichen Gegensatz zu der Art und Weise, wie die CDU/CSU in diesen 18 Monaten gerade gegen diesen Minister Opposition getrieben hat.
Herr Kollege Barzel hatte die Absicht — ich wollte darauf ja noch einmal zurückkommen —, erneut die Frage der Dokumentation zu vertiefen. Ich meine, die Dokumentation über die haushaltswirtschaftliche Lage im Jahre 1972 und die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung bis 1975 wird das sein, was die Regierung, wie versprochen, im September bzw. Oktober als Haushaltsplan 1972 und Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung vorlegen wird. Ich glaube, man muß doch sehen — das betrifft auch einiges andere, was hier gesagt worden ist —, daß es ein Fehler wäre, aus der Addition
— ich habe das sinngemäß oder fast wörtlich auch schon im März hier gesagt, Herr Leicht — von Ressortforderungen, die von diesen Ressorts entsprechend ihrem Auftrag — dafür werden sie bezahlt aufgestellt werden, Schlüsse in bezug auf die Gesamtsituation zu ziehen. Denn die Gesamtanforderung muß dann die politische Entscheidung des Gesamtkabinetts sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Ja, bitte!
Herr Kollege Kirst, kennen Sie die Modellrechnung des Kollegen Möller?
Nein, ich kenne sie nicht, aber ich kann sie mir auf Grund dessen, was zu Recht oder zu Unrecht, d. h. auf legale oder illegale Weise seit Monaten über Pläne aller Art publiziert wird, vorstellen.
Gestatten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Herr Kollege Kirst, halten nicht auch Sie als Parlamentarier es für eine peinliche Sache, daß sich die Abgeordneten aus Zeitungsverlautbarungen über die Fakten dieser Modellrechnung unterrichten müssen?
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Herr Kollege Althammer, erstens ist das sicher immer so gewesen, wie hier eben schon durch Zwischenruf verdeutlicht wird. Das ist der normale Gang der Dinge. Das Parlament ist mit der Entscheidung der Regierung zu konfrontieren, und diese Entscheidung der Regierung — ich glaube, wir kommen darauf bei Frage 6 noch einmal zurück — ist aus gutem Grund für August/September terminiert.
Aber es ging Ihnen doch gar nicht um diese Dokumente — Herr Dr. Barzel, Sie haben es ja deutlich gemacht mit Ihrer gekonnten Art, die Dinge darzustellen; ich will das nicht anders bezeichnen —, es ging Ihnen doch nur darum, an diesem Streit über diese Dokumentation Ihre ebenso falsche wie unverantwortliche Behauptung aufzuhängen, daß wir nach 18 Monaten, nachdem wir nach 20 Jahren ein solides Fundament übernommen hätten, vor dem Bankrott stünden. Darauf kommt es Ihnen doch bei dieser Argumentation an.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Herr Kollege Kirst, kennen Sie zumindest die Modellrechnung, mit der im Finanzplanungsrat zu Beginn dieses Jahres — wir haben es aus der Presse entnommen — unter der Voraussetzung „nichts Neues, keine Reformen, nur Zahlung von Bestehendem bei einem Wachstum der öffentlichen Haushalte um 8 O/0 jährlich" die Lücken festgestellt worden sind, die Herr Strauß heute morgen genannt hat und die im öffentlichen Haushalt in vier Jahren insgesamt bis zu 100 Milliarden DM betragen werden?
Herr Kollege Leicht, über diese Zahlen haben wir, wenn ich mich recht entsinne, schon im Februar oder März gesprochen: dadurch werden sie nicht beweisbarer, nicht richtiger. Im übrigen waren dabei — auch darauf haben wir hingewiesen — z. B. die Finanzierungsreserven, die bei dieser Gegenrechnung auch zu berücksichtigen sind, schon damals im Februar oder im März vom Kollegen Strauß nicht berücksichtigt.
Herr Leicht, machen wir es uns doch nicht unnötig schwer. Wir werden, wenn die Regierung — ich sagte das eben schon — diese Dinge diesmal aus guten Gründen etwas später vorlegt, darüber zu reden und darüber zu entscheiden haben. Ich warne davor, um es noch einmal zu sagen, aus der Addition von Ressortvorstellungen auf Gesamtplanungen und Gesamtanforderungen zu schließen. Diese Einzelanforderungen von Ressorts bedürfen bekanntlich immer noch der Absicherung durch die Entscheidung des Kabinetts, später des Parlaments, und beide Entscheidungen werden nur an den finanziellen Möglichkeiten orientiert sein.
Um es aber noch einmal zu sagen: es ist wirklich ein starkes Stück, wie das hier geschieht, wie Herr Dr. Barzel das eben gesagt hat.
Meine Damen und Herren, ich darf daran erinnern, daß ich in einer früheren Debatte — ich glaube, es war in der ersten Lesung des Haushalts 1970 — gesagt habe: Diese Bilanz — auf die sich offenbar diese Einlassung stützt —, die der frühere Bundesfinanzminister Strauß am 18. Oktober 1969 vor seiner Amtsübergabe der Öffentlichkeit übergeben hat, würde nach dem, was wir hinterher an nicht fortgeschriebenen Belastungen festgestellt haben, nicht das Testat eines Wirtschaftsprüfers bekommen haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Ja, bitte!
Herr Kollege, nachdem Sie vorher von dieser falschen Addition gesprochen haben: Würden Sie deshalb die Meinung vertreten, daß der Kollege Möller hier einem Irrtum, einer falschen Addition zum Opfer gefallen ist, als er seinen Rücktritt erklärt hat?
Nein, natürlich ist er insofern keinem Irrtum zum Opfer gefallen. Natürlich verlangt diese, wie ich sagte, Addition dann noch politische Auseinandersetzungen. Das hat der Bundeskanzler doch eben in diesem Zusammenhang sehr deutlich dargestellt. Ich warne nur — Sie brauchen das immer nur für die Verunsicherung der Öffentlichkeit; das ist doch das Entscheidende, warum Sie diese Dinge aufs Tapet bringen — vor einem Fatalismus der Gesamtregierung und des Parlaments — das möchte ich auch deutlich sagen — gegenüber den immer stärker wachsenden Anforderungen der Ressorts.
Insofern begrüße ich außerordentlich, was Herr Minister Schiller hier zum Schluß seiner Rede gesagt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Nennen Sie es Fatalismus erwecken, Herr Kollege Kirst, wenn es Bürger dieses Landes gibt, die sich die Freiheit nehmen, darauf hinzuweisen, daß die Entwicklung der Steigerungsraten in den Preisen, und zwar im Lebenshaltungskostenindex, jetzt bei über 5 % gelandet ist?
Herr Kollege Leicht, ich weiß nun wirklich nicht, welcher sachliche Zusammenhang
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Kirstzwischen meiner eben getroffenen Feststellung und dieser Frage besteht.
Ich habe vom Haushalt gesprochen; über die Preise reden wir auch noch. Darauf komme ich noch.
— Was habe ich da gesagt?
— Sicher! Tun wir ja auch!
Nun, meine Damen und Herren, zurück zu den Fragen der Opposition. Die Fragen 1 und 2 halte ich, wie gesagt, in diesem Augenblick für hinreichend erörtert.Ich meine auch, daß zur Frage 3 festzustellen ist, daß die Debatte vom 11. Mai dieses Jahres eigentlich ausgiebig und ausreichend Gelegenheit geboten hat, die damit verknüpften Fragen zu erörtern. Die Situation war doch damals die: die gleiche Opposition, die uns immer zum Handeln drängt, war, als die Regierung gehandelt hatte, wieder einmal nicht einverstanden, wie immer. Sie wissen, daß ich damals einen etwas scherzhaften Vergleich für die Haltung der Opposition gewählt habe. Die Frage ist natürlich sehr problematisch formuliert, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Ich halte es eigentlich nicht für angängig, in einer Frage die Vertragstreue einer Regierung in Frage zu stellen. Das sollten sich die Fragesteller einmal überlegen, wenn sie wieder solche Fragen stellen.
Meine Damen und Herren, darüber hinaus führt, glaube ich, jeder Interpretationsversuch des Kommuniqués und der Äußerungen, die dazu überall gemacht wurden, doch nur zu der Gefahr von neuen Spekulationen. Deshalb möchte ich mich daran nicht beteiligen. Aber ich meine, daß in dieser Frage eines steckt, was wir hier auch einmal ganz deutlich feststellen sollten: der entscheidende Zusammenhang zwischen der Frage einer Europäischen Währungsunion und unserer binnenwirtschaftlichen Stabilitätspolitik. Ich glaube, dieser Zusammenhang, der so gerne vergessen oder verniedlicht wird, steckt hier ganz deutlich darin, und diesen sollten wir uns immer sehr deutlich vor Augen führen. Ich muß auch nach den Ausführungen des Kollegen Strauß sagen, daß mir nicht klar geworden ist, wo denn die Opposition im Ernstfall zwischen dem Zielkonflikt zwischen Europäischer Währungsunion und Stabilitätspolitik im Innern stehen würde. Darauf verschweigen Sie uns jede Antwort.
Sie versuchen nur immer, die Illusion zu erzeugen, daß beides ohne Abstriche gleichzeitig möglich sei. Daß beides zur Zeit nicht möglich ist, sehen wir, und die Auswirkungen davon sind die Beschlüsse vom9. Mai dieses Jahres, deren Gegenstand diese Frage gewesen ist.
Ich habe schon bei anderer Gelegenheit gesagt, daß es eine große Kunst der CDU/CSU ist, immer Unvereinbarkeiten — entweder endgültige oder zeitweilig Unvereinbares — als Ziel aufzustellen, um dann natürlich die Chance zu haben, der Regierung vorzuwerfen, daß zumindest eines der beiden zur Zeit oder endgültig unvereinbaren Ziele nicht zu erreichen gewesen ist.
Ich würde, wie gesagt, gerne einmal eine klare Äußerung der Opposition dazu hören,
wofür sie sich im Konfliktfall zwischen diesen beiden Zielvorstellungen entscheiden würde.In der Frage 4 steckt ja wohl als Entscheidendes wieder der Vorwurf des Eigenprodukts, der eigengemachten, der hausgemachten Geldentwertung. Ich sage bewußt „Geldentwertung". Ich vermeide den anderen Begriff aus Gründen, die ich x-mal vorgetragen habe.
— Daß es nicht dasselbe ist, das wissen hoffentlich und sicherlich immer mehr; denn sie hätten kein Geschichtsverständnis, wenn sie wirklich nicht begriffen, daß wir 1971 und nicht 1923 oder 1948 haben.
— Wir führen hier eine politische und keine philologische Debatte. Sicherlich ist es richtig, daß in dieser wirtschaftlichen Entwicklung, in dieser Geldverschlechterung, in dieser Geldentwertung vieles Eigengemachtes, viel Eigenprodukt, vieles Hausgemachte steckt. Doch das Politikum liegt ja darin— das scheint mir nötig zu sein noch einmal herauszustellen —, daß Sie, wenn Sie und manche andere in diesem Lande von hausgemacht und Eigenproduktion sprechen, damit die falsche Suggestivabsicht verbinden, daß in den Augen der Öffentlichkeit Eigenprodukt und hausgemacht als Regierungsprodukt erscheint.
Das ist doch der entscheidende Punkt, in dem wir uns unterscheiden, indem wir zu Recht von Anfang an gesagt haben: soweit hier binnenwirtschaftliche innere Entwicklungen, innere Faktoren maßgebend sind ich habe Ihnen hier im Februar 1970 bei der ersten Lesung einen langen Vortrag über die Grenzen der antizyklischen Haushaltspolitik gehalten, ich will darauf nur verweisen --, liegt ein unvergleichlich höherer Anteil der Wirtschaft, der wirtschaftlichen Gruppen, der autonomen Gruppen vor. Ich
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Kirstglaube, darüber muß man sich im klaren sein. Es genügt auch nicht, dann wieder Kritik zu üben an der Regierung, an Orientierungsdaten usw. Sie müssen die Grenzen der Einflußmöglichkeiten des Staates in der von uns gemeinsam geschaffenen und bejahten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung auf wirtschaftliche Abläufe auch dann respektieren und anerkennen, wenn es einmal schwerfällt!
Ich habe immer den Eindruck, daß Sie an die Möglichkeiten dieser Regierung oder anderer Regierungen in einer solchen wirtschaftlichen Situation Maßstäbe anlegen, die nur mit Mitteln zu erreichen wären, die Sie wie wir als nicht marktkonform ablehnen müssen. Ihre Argumentation läuft darauf hinaus, daß ich Sie deutlich fragen muß: wollen Sie Lohn- und Preisstopp? Diese Frage muß man Ihnen einfach einmal stellen;
denn Sie können es sich nicht so einfach machen, immer nur zu lamentieren selbst keine Alternative zu bieten und bei allem, was die Regierung will, nein zu sagen.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Wenn ich nur auf das Haushaltspolitische abstellen darf, Herr Kollege Kirst: würden Sie so freundlich sein, die Reden, die in diesem Hause im Jahre 1970 zum Haushalt gehalten worden sind, auch Ihre eigene, nachzulesen, die Anträge zu prüfen und sie zu vergleichen mit dem, was an Anträgen jetzt von der Regierung in der Zwangssituation, in der wir uns befinden, vorgelegt wird, und wäre das vielleicht vermeidbar gewesen?
Herr Kollege Leicht, ich hatte mir ohnehin vorgenommen, auf die Zwischenfrage gleicher Art und fast gleichen Wortlauts einzugehen, die Sie vorhin dem Kollegen Schiller gestellt haben. Herr Kollege Leicht, ich glaube, Sie haben dabei nicht gesagt und vergessen, daß wir gemeinsam — da haben Sie nicht dagegen gestimmt, das sei anerkannt — den Haushalt 1970 um 2 Milliarden gekürzt haben, und zwar in politisch ganz entscheidenden Positionen, wo uns das nicht leichtgefallen ist, ich darf nur an die 1 Milliarde DM bei der Verteidigung erinnern.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir entgegen Ihrer Panikmache und entgegen Ihren Befürchtungen am 31. Dezember 1970, als für das Jahr 1970 Bilanz gemacht wurde, festgestellt haben, daß die Ausgaben des Bundes nicht um 9 %, wie nach dem Haushaltsplan möglich, sondern um 7 % gestiegen sind.
— Herr Leicht, was haben Sie gemacht? Sie haben hier einen Globalantrag gestellt, weil Sie nicht den Mut hatten, angesichts der — auch das ist Ihnen vorhin schon gesagt worden — bei jedem Einzelplan vorgetragenen Meinung Ihrer Fraktionskollegen, es sei in jedem Bereich an sich zu wenig, doch insgesamt sei es zu viel — das ist doch Ihre Haushaltspolitik —,
auch Einzelanträge zu stellen und zu sagen: 100 Millionen hier, 200 Millionen da, 300 Millionen da. Das war der Unterschied, das können wir doch nachlesen! Sie haben nur einen Einzelantrag gestellt; da haben Sie etwas mit Personalausgaben — das sei Ihnen zugestanden — mit 330 oder wieviel Millionen richtig berechnet. Aber das war auch alles.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Leicht?
Bitte schön. Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Nur damit es klar wird, Herr Kollege Kirst; ich will nicht mehr aufs Rednerpult. Sicherlich ist Ihnen bekannt, daß wir mehr als einen Einzelantrag gestellt haben. Aber was ich Sie eigentlich fragen wollte: Sind Sie nicht der Meinung, daß die Wachstumsraten in den jeweiligen Situationen zu betrachten sind und daß es eben nicht richtig war, daß im ersten Halbjahr 1970 das Wachstum weit über 12 % lag und jetzt in den ersten vier Monaten bei 18,5 % liegt?
Ach, wissen Sie, Herr Leicht, die Kamellen werden immer oller, um es mal so zu sagen.
Zunächst bleibt noch folgendes. Sie sollten nicht immer nur Ihre Anträge parat haben, sondern Sie sollten auch in Erinnerung haben, was der Kollege Zimmermann beim Verteidigungshaushalt, ein anderer Kollege — Lemmrich heißt er, glaube ich — beim Straßenbau sagt usw.
Aber zu Ihrer Frage, Herr Kollege Leicht. Das haben wir doch hier x-mal durchgenommen, wie in der Schule immer wiederholt. Die Steigerung im ersten Quartal des Jahres 1970 war u. a. — das ist der Punkt, der mir gerade einfällt —
darauf zurückzuführen, daß die von der CDU geführte Regierung des Jahres 1969 nicht bereit war, die Beamtengehälter schon zum 1. Januar 1969 zu erhöhen, sondern sie erst zum 1. Mai 1969 erhöhen wollte, und selbst da mußte die damalige Opposition noch kräftig mithelfen, damit es nicht erst der 1. Juli würde. Der Umstand, daß in der Vergleichsrate der ersten vier Monate des Haushalts 1970 gegenüber
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Kirstden ersten vier Monaten des Jahres 1969 zwei Gehaltserhöhungen waren — immerhin sind Personalausgaben ein ganz wesentlicher Faktor im Haushalt —,
hat dieses Wachstum entscheidend und überproportional beeinflußt, neben einigen anderen Sonderfaktoren, die Sie genauso kennen wie die Zahlen — um das gleich abzufangen; wir bekommen doch die Zahlen — für die Monate Januar his April oder Januar bis Mai. Trotz dieser Steigerung in den ersten zwölf Monaten ist dann dieses Ergebnis insgesamt im Jahre 1970 erzielt worden.Nun wenige Worte zur Frage 5, der Frage nach den Ausgabesperren. Wir werden ja morgen im Haushaltsausschuß — wenn es dabei bleibt— von der Regierung im einzelnen über die Auswirkungen dieser Sperren unterrichtet werden. Ich darf nur darum bitten — das ist wohl ein Wunsch, den alle Fraktionen teilen —, diese notwendigen Sperren nicht zu schematisch zu handhaben.
Soweit wir unterrichtet sind, ist ja schon ein entsprechender Erlaß ergangen.Außerdem möchte ich nun auch einmal ein Wort für die Öffentlichkeit sagen. Wir werden ja seit dieser Sperre mit Zuschriften bombardiert.
So geht es natürlich auch nicht. Stabilität tut natürlich .dann weh, auch wenn es so bescheidene Maßnahmen sind wie diese, wobei ich damit nicht sagen will, daß sie nicht ausreichend wären. Sie sind sicherlich ausreichend.Nun zur sechsten Frage, der Frage nach den volks- und haushaltswirtschaftlichen Grundannahmen und Grunddaten, praktisch nach der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung und nach dem Haushalt. Ich kann das kurz machen. Wir sind ja vorhin schon im Zwiegespräch auf diese Dinge eingegangen. Eines möchte ich aber doch gern sagen: Wer sich einmal die Debatte im März dieses Jahres ansieht, der muß eigentlich zu dem Ergebnis kommen — nehmen Sie es mir nicht übel — : die politische Auseinandersetzung mit der Opposition, jedenfalls in diesem Punkt, ist eigentlich ein Dialog mit Schwerhörigen.
Müssen wir eigentlich alles das wiederholen, was wir hier im März gesagt haben? Die Entscheidung des Kabinetts Ende Februar hatte ihre guten Gründe. Wenn ich die Dinge richtig sehe, wäre die Einschätzung bei einer früheren Planung und Fortschreibung, sagen wir einmal noch im Frühjahr, zwangsläufig eine schlechtere gewesen — man kann ja nur die Daten als Basis zugrunde legen, die man hat —, als sie es nach allem, was wir wissen, jetzt im August/September sein wird. Um eine unnötige Verunsicherung zu vermeiden und um nicht unnötige Deckungslücken mit allen entsprechendenKonsequenzen in die Welt zu setzen und schließlich auch im Interesse des parlamentarischen Ablaufs und einer Verabschiedung dieses Haushalts im Zusammenhang mit der Beratung der mittelfristigen Finanzplanung hat das Kabinett Ende Februar gesagt — das ist eine gute Entscheidung gewesen —: Zumindest in der Situation des Jahres 1971, wo wir für 1972 bzw. 1972 bis 1975 zu entscheiden haben, wollen wir einmal abwarten, bis insbesondere das Steueraufkommen des Jahres 1971 zur Hälfte als Basis für die Fortschreibung der Steuerschätzung mit allen Konsequenzen, die damit zusammenhängen, feststeht. Daß man das nicht begreifen kann oder nicht begreifen will, das begreife nun ich wiederum nicht, es sei denn, es liegt politische Methode dahinter, um hier immer wieder etwas demonstrieren zu können.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Leicht?
Warum haben sie diese Begründung, Herr Kollege Kirst, nicht vor einem Jahr, Anfang Juli 1970, gegeben, als der damalige Finanzminister den Haushalt für 1971 vorgelegt hat, mit Steigerungsraten, die mit Sicherheit in die damalige Situation nicht gepaßt haben? Warum haben Sie da die Begründung nicht gebracht, die Sie jetzt für das Hinauszögern zum Herbst bringen? Sie
haben uns angegriffen.
Allenfalls haben wir uns gegen Ihre Angriffe gewehrt. Von uns aus sind wir doch gar nicht aggressiv; das wollen wir doch einmal feststellen, Herr Leicht.
Das ist ja etwas ganz anderes. Sie versuchen dochjetzt hier wieder, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Die Situation für 1972 ist — um es noch einmal deutlich zu sagen —, daß die Regierung in der meiner Ansicht nach richtigen und begründeten Erwartung, daß die Einnahmeschätzungen sich im August günstiger darstellen, als sie sich im Februar darstellten,
diese Entscheidung zurückgestellt hat. Im Jahre 1970 ging es bei der Aufstellung des Haushalts 1971 gar nicht darum, ob das Geld da sein werde, das wir ausgeben müssen, sondern darum, ob wir unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten das Geld ausgeben können und dürfen, das ja nach dem Haushaltsplan 1971 da war.
Dann ist seit dem 10. Juli monatelang eine Debatte geführt worden, als handelte es sich nicht um
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Kirstden Haushalt 1971, sondern um einen Nachtragshaushalt für das zweite Halbjahr 1970. Das war doch das große Mißverständnis in der öffentlichen Auseinandersetzung; vielleicht ein von Ihnen oder anderen ganz gern gesehenes Mißverständnis. Insofern sind beide Dinge wirklich nicht miteinander vergleichbar.
Sie können immer nur gleiches miteinander vergleichen. Das einzige Gleiche ist, daß es sich um Haushaltspläne handelt. Aber doch mit ganz anderen Voraussetzungen und ganz anderen Fragezeichen.
Das Fragezeichen des Haushalts 1972 steht noch auf der Einnahmeseite, das Fragezeichen des Haushalts 1971 stand zur Zeit der Diskussion bei der konjunkturpolitischen Möglichkeit auf der Ausgabenseite. Das ist der klare Unterschied.
Herr Abgeordneter Kirst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Althammer?
Herr Kollege Kirst, würden Sie jetzt auch an der Aussage festhalten, die Sie bei einem Rundfunkinterview gemacht haben, daß nach Ihrer Überzeugung für die Ausgleichung des Haushalts 1972 Steuererhöhungen in keinem Falle notwendig sind?
Herr Kollege Althammer, ich freue mich, daß Sie mich sogar im Rundfunk hören. — Vielleicht darf ich auf Ihre Frage später zurückkommen; nicht weil ich ausweichen will, sondern weil sie zu den Fragen 8 und 9 gehört. Ich werde darauf zurückkommen.Damit wären wir also schon bei der Frage 7, bei der Steuerreform. Meine Damen und Herren, auch ich halte es nicht für sinnvoll — Kollege Strauß hat ja auch nur einige generalisierende Bemerkungen gemacht —, jetzt in eine detaillierte Diskussion über die Steuerreform und die Eckwerte der Steuerreform einzutreten. Ich weiß nicht, wen von uns Sie zitieren wollten; Sie haben uns nur generell zitiert, Kollege Strauß. Ich habe dieses Konzept als ein Konzept bezeichnet, das ausgewogen ist zwischen Entlastung in dem einen und Mehrbelastung in dem anderen Bereich. Sicher wird niemand bei einer Steuerreform voll befriedigt sein; das kann man nicht erwarten, dafür gibt es viel zu viele gegensätzliche Interessen.Aber ich glaube, eines sollten wir politisch auf jeden Fall festschreiben, das für uns entscheidend gewesen ist — deshalb unterstreiche ich es hier —: die reinliche und säuberliche Scheidung zwischen der Frage einer Änderung des Steuersystems und der Frage einer Erhöhung von Steuern aus fiskalischen Gründen. Ich glaube, das ist eine gute und säuberliche Scheidung, die das Kabinett hier vorgenommen hat und zu der wir stehen.Insofern war auch Ihre Meinung, Herr Kollege Strauß, man würde vor der Steuerreform das, was man hier als Entlastung gibt, schon wieder wegnehmen — ich komme dann gleich zum Kollegen Althammer —, natürlich von der Ausgangsbasis her falsch. Kein Mensch hat behauptet, daß die Steuerreform insgesamt eine Entlastung der Steuerzahler bringt. Ausgangsbasis war und ist und wird bleiben, daß diese Steuerreform aufkommensneutral ist. Wenn sie das ist, dann kann man auch keine Entlastungen, die sie angeblich bringt, durch Steuererhöhungen — zu denen ich gleich noch ein paar Worte sagen will — vorwegnehmen.Aber mir kommt es, weil Sie es angesprochen haben, Herr Kollege Strauß, in diesem Zusammenhang auf etwas anderes an. Als ich heute morgen nach dem Frühstück die tägliche Lektüre der „Welt" begann, da war mir völlig klar, was Sie hier sagen würden.
Aber, Herr Kollege Strauß, ich würde Ihnen einmal zu überlegen geben: Wenn wir hier im Parlament jede Äußerung jeder denkbaren Konstellation von Gruppen, Kräften, Grüppchen, Kreisen in der CDU/ CSU zum Gegenstand parlamentarischer Auseinandersetzungen machen wollten, wo kämen wir da hin? Womit wir uns hier im wesentlichen auseinandersetzen sollten, das sollten endgültige und geschlossene Meinungen von Parteien sein.
Wenn Sie es mit dem Anliegen, das Ihrer Kritik zugrunde liegt, ernst meinen, dann würde ich Sie auch warnen, durch solche Auftritte wie hier und durch solche Äußerungen gegenüber solchen Plänen sonst vermeidbare Identifikationen oder Solidarisierungen zu erreichen. Das sollten Sie bedenken, wenn es Ihnen wirklich ernst ist mit dem, was Sie sagen.
— Ja, sicher, warum soll er das nicht?
— Für uns gilt der Kabinettsbeschluß. Wir werden vielleicht ebenfalls in der Partei abweichende Meinungen haben. Das ist doch unser tägliches Brot als Politiker, daß wir in den Parteien unterschiedliche Meinungen haben. Sie konzentrieren sich zur Zeit ganz auf unterschiedliche Meinungen in Personalfragen. Aber wenn Sie das hinter sich haben, kommen Sie vielleicht auch wieder zu unterschiedlichen Meinungen in Sachfragen.
— Dann haben wir noch viel Ruhe, Herr Wehner.Meine Damen und Herren, zur letzten Frage und damit auch zur Zwischenfrage des Kollegen Althammer. Ich habe das im Rundfunk so gesagt. Ich habe das auch hier im Parlament gesagt. Ich wiederhole es hier, und nach den Äußerungen des Bundeswirt-
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Kirstschafts- und -finanzministers von vor etwa einer Stunde habe ich Anlaß, anzunehmen, daß wir uns da in Übereinstimmung befinden: daß die Zielvorstellung ist — anders habe ich es auch im Rundfunk nicht gesagt; ich kann keine Garantie übernehmen, weil ich die Zahlen selbst noch nicht kenne —,
auch den Haushalt 1972 — so habe ich es hier immer gesagt ohne Steuererhöhungen auszugleichen. Mehr kann man in der heutigen Situation, wenn man das berücksichtigt, was zu den anderen Fragen gesagt worden ist, nicht sagen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend zu dieser, wie gesagt, in ihrer Notwendigkeit umstrittenen Debatte noch folgende Berner-kung machen. Die FDP hier und draußen im Lande hat nie zu denen gehört, die falsche Erwartungshorizonte hervorgerufen haben, die falsche Versprechungen gemacht haben, um die Beruhigung des Augenblicks gegen den Arger in der Zukunft einzutauschen. Deshalb sind wir auch nicht der Meinung, daß es möglich ist, im Rahmen dieser Debatte heute schnelle, grundlegende Wandlungen in dieser wirtschaftspolitischen Situation zu prophezeien. Der Weg zur Stabilität ich glaube, der Bundeskanzler hat es vorhin gesagt — wird lang und eine undankbare Aufgabe sein. Darüber müssen wir uns im klaren sein. Auf der anderen Seite — damit möchte ich schließen — hoffe und glaube ich — und daran wollen wir auch mitwirken —, daß die Panikmache und — wenn man Theorie und Praxis analysiert — das Doppelspiel der Opposition in dieser Frage langsam aber sicher ins Bewußtsein der Bevölkerung kommen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur in wenigen Minuten ein paar Auskünfte geben zu den Fragen, die hier gestellt wurden in Sachen Haushalt 1971 und 1972.Von Herrn Leicht wurde die bekannte Zuwachsrate von Januar bis April dieses Jahres erwähnt.
— Herr Leicht, ich will Ihnen jetzt eine Auskunft geben. Ich halte es für notwendig, daß man als zuständiger Minister, wenn solche Fragen hochkommen, auch Auskunft über den weiteren Vollzug und die jüngste Entwicklung gibt.Ich kann Ihnen nur folgendes sagen. Im Mai haben wir 14,6 % erreicht. Sie sehen also: durch unsere Maßnahmen — wenn es auch knirscht — haben wir die Zuwachsrate fühlbar heruntergebracht. Wir hoffen, für Mai und Juni zusammen durch unsere Bewirtschaftungsmaßnahmen auf rund 14 % zu kommen, soweit man das jetzt schon sagen kann. UnserZiel ist für die Phase Januar bis Juli dieses Jahres, auf die Gesamtzuwachsrate des Bundeshaushalts 1971 zu gelangen, also das Ziel dann schon zu erreichen. Das sind die Überlegungen, und das sind die tatsächlichen Maßnahmen zum konjunkturgerechten Vollzug des Haushalts 1971, die wir in- zwischen eingeleitet haben und die sich niederschlagen.Ein Zweites zum Haushalt 1972! Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat ja versucht, gegenüber dem Herrn Bundeskanzler darzulegen, daß wir unsere Auskünfte, unsere zahlenmäßigen Auskünfte in unseren Aussagen über die künftige Haushaltsgestaltung im Jahre 1972 immer wieder hinausschöben. Meine Damen und Herren, dem ist nicht so.Zugleich möchte ich Ihnen auch an einem Zahlenbeispiel zeigen, wie inopportun es ist, jetzt im Augenblick eine Zwischenbilanz zu geben. Ich will Ihnen für das Haushaltsjahr 1972 folgendes sagen. Wir gehen aus von den Wünschen und Vorstellungen, die der Kollege Wehner einmal in bezug auf die Ressorts als die „in Kladde geschriebenen" Wünsche und Vorstellungen der Ressorts zu Anfang dieses Jahres für den Haushalt 1972 bezeichnet hat. Die lagen relativ hoch. Wir wollen uns damit gar nicht befassen. Dann gab es als zweite Stufe die effektiven Budgetanträge der einzelnen Ressorts. Es ist schade, daß der Kollege Barzel nicht hier ist; denn dies wäre eine direkte Antwort auf sein Monitum. Die Budgetanträge selbst lagen schon erheblich tiefer. Dann sind wir in die Verhandlungen eingetreten, in denen wir zur Zeit noch 1 stehen. Wenn wir die erste, in Kladde geschriebene Ausgangszahl aller Anforderungen für 1972 nehmen und dann den heutigen Stand unserer gemeinsamen Bemühungen betrachten, können wir feststellen, daß wir von jenem Ausgangsbetrag zu Anfang des Jahres bis heute das Ausgabevolumen in der Planung für 1972 um 6 Milliarden DM zurückgeführt haben, Herr Leicht. Diese Zahlen möchte ich Ihnen nennen. Und wir wollen auf diesem Wege noch weiterschreiten.Sie werden gerade an diesem Punkt, wo ich Ihnen die derzeitige Ergebnisdifferenz unserer Bemühungen nenne, sehen, daß es völlig unangemessen wäre, hier jetzt Ausgabenvorstellungen aus einer vergangenen Zeit — Anfang des Jahres — mit dem heutigen Stand zu vergleichen und dann etwa noch weiteres zahlenmäßig anzukündigen. Nein, wir sind zur Zeit in dem internen Aktionsfeld mit allen Ressorts und auch mit den Ländern und Gemeinden in diesem Ringen um eine konjunkturgerechte Gestaltung des Haushalts 1972. Wir haben bisher die Wünsche aller gemeinsam — von den Ressorts wie vom federführenden Ministerium für Wirtschaft und Finanzen —, wie ich schon sagte, für 1972 um 6 Milliarden DM zurückgeführt. Ich glaube, die Differenz zwischen der ersten in Kladde geschriebenen Risikoliste und dem heutigen Zustand läßt sich sehen.Als drittes möchte ich Herrn Kollegen Strauß etwas zum Finanzplanungsrat sagen. Wir haben am 14. Mai dieses Jahres eine gemeinsame Sitzung des
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Bundesminister Dr. SchillerKonjunkturrats für die öffentliche Hand und des Finanzplanungsrats gehabt. Dort haben wir uns für die neue Sitzung am 28. Juni verabredet. Für diese steht auf der Tagesordnung unter Punkt 3: Erörterung von Grundannahmen für die Haushalte 1972. Nichts weiter! Die Herren wurden von uns schon im Mai orientiert, daß wir die Grundannahmen für die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung unter den neuen Umständen nicht am 28. Juni besprechen könnten, sondern erst im September, wenn die Bundesregierung ihrerseits für den Haushalt 1972 und die mehrjährige Finanzplanung ihre Entscheidung getroffen hat.Das sind die Auskünfte zu drei Fragen, die hier gestellt wurden. Ich glaube, die Antworten waren präzis genug.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, im Deutschen Bundestag eine Delegation der Republik Irland zu begrüßen. Es ist uns eine besondere Freude, Gäste aus diesem Lande hier willkommen zu heißen. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß auch dieser Besuch einen weiteren Beitrag zur Vertiefung der guten Beziehungen zwischen unseren Ländern darstellt. Herzlich willkommen!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von uns aus möchte ich zum Abschluß dieser Debatte — die wir aber gern fortzusetzen bereit sind, wenn es gewünscht wird — nur noch einige Bemerkungen zu den Beiträgen machen, die der Herr Bundeskanzler und der Bundesminister Schiller hier geliefert haben.Erstens. Der Bundeskanzler hat wenigstens einen Satz aus dem Rücktrittsbrief des ehemaligen Bundesfinanzministers zitiert und dessen in diesem Brief genannte Gründe hier dem Parlament mitgeteilt. Ich frage mich, warum dann in der schriftlichen Antwort auf unsere Anfrage steht, daß diese Gründe in einem persönlichen Brief an den Bundeskanzler mitgeteilt sind —, aber unsere Frage, welches die Gründe sind, nicht beantwortet wird. Erst unter dem Druck unserer Frage und ihrer Begründung — —
— Ja, warum denn sonst hat sich der Bundeskanzler bequemt, einen Satz zu sagen? Warum werden denn dann nicht der ganze Brief
und vor allen Dingen, wie Kollege Barzel noch einmal moniert hat, die beiliegende Dokumentation veröffentlicht? Hier kommt man nicht damit durch, zu sagen, daß Briefe von Kabinettskollegen grundsätzlich diskret seien und nicht veröffentlicht werden dürften.
— Herr Kollege Wehner, ich behaupte nicht — auch ich bin zwölf Jahre Mitglied verschiedener Bundesregierungen gewesen —, daß das Parlament etwa Anspruch darauf habe, alle Briefe, die von Bundesministern an den Regierungschef geschrieben werden, in vollem Wortlaut zu erfahren. Das habe ich nie behauptet. Ich habe nur gesagt — und dabei bleibe ich —, daß bei einem Brief, in dem ein Rücktritt offensichtlich mit sehr dramatischen Argumenten begründet wird, und zwar in einer Angelegenheit, die das ganze Volk angeht, keine Geheimhaltung möglich ist und daß sich ein solcher Brief grundsätzlich von anderen Briefen von Kabinettskollegen an Regierungschefs unterscheidet.
— Herr Kollege Wehner, es ist großartig, daß Sie mich daran erinnern. Der Unterschied im Fall Schäffer bestand darin, daß Herr Schäffer mehrmals Rücktrittsbriefe an den damaligen Bundeskanzler geschrieben hat, daß sie aber von Adenauer nicht angenommen wurden,
weil dieser Kanzler seinem Finanzminister Rückendeckung gegeben hat, um die Alex Möller vergeblich gebeten hat.
Warum ist der Brief denn vom Bundeskanzler jetzt nicht veröffentlicht worden? Warum hat er nur einen Zipfel vorgezeigt und den Rest dann gleich wieder in der Versenkung verschwinden lassen?
Doch deshalb — um das zu sagen, braucht man kein Prophet und kein großer, genialer Kombinatoriker zu sein —, weil in diesem Brief gesagt worden ist: Ich will zurücktreten, wenn ich vom Bundeskanzler nicht die volle Rückendeckung und Unterstützung erhalte. Da der Bundeskanzler nicht bereit war, diesem Alex Möller die volle Rückendeckung und Unterstützung zu geben, hat er ihn lieber entlassen und durch organisatorische und personelle Ausweichlösungen Sachfragen zu lösen versucht, die so nicht gelöst werden können.
— Lieber Kollege Wehner, wenn ich jetzt unrecht habe, dann blamieren Sie mich doch durch Veröffentlichung dieses Briefes. Mehr wollen wir doch gar nicht!
Ich glaube auch nicht, daß Herr Möller, dessen Eigenart Ihnen ja besser bekannt ist als mir — nach ihm hat sich heute hier ja ein gewisses Heimweh entwickelt, nachdem wir Herrn Schiller gehört haben —,
in der Öffentlichkeit etwas anderes sagt, als er in diesem Brief gesagt hat.
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StraußAus Zeitgründen habe ich vorhin sein Interview vom 17. Mai in der bekannten Sendung „Report" des Deutschen Fernsehens nicht erwähnt. Wenn Sie das haben möchten, hole ich gerne nach. In diesem Interview sagte Möller wörtlich:Ich habe mit dem Schreiben an den Herrn Bundeskanzler, in dem ich um meine Entlassung gebeten habe, eine Dokumentation über die haushaltswirtschaftliche Lage für das Jahr 1972 und für die Fortschreibung des mittelfristigen Finanzplanes bis 1975 vorgelegt. Und das Ergebnis: Diese eindeutigen Zahlen haben mich zu der Konsequenz geführt, zu erklären: Auf dieser Basis sehe ich keine Möglichkeit, auf die Gestaltung des Haushaltes und des Finanzplanes den Einfluß zu nehmen, der erforderlich ist, damit vertretbare Plafonds gesichert werden.Auf eine weitere Frage erklärt er:Ja, wir haben bereits am 25. Februar eine erste Bilanz vorgelegt — mit umfangreichem Material — und haben gebeten, nun an die Arbeit zu gehen, um die Reduzierungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um überhaupt eine solide Grundlage für die Haushaltsgestaltung zu finden. Der Bundeskanzler hat sich auch unterstützend später noch einmal mit einem Brief an die Ressorts eingeschaltet. Aber die Forderungen sind nicht reduziert worden; die Forderungen wurden immer höher, und jeden Tag bekam ich neue Wünsche, zum Teil auch für das Jahr 1971, auf den Tisch gelegt, so daß es für mich ausweglos war, hier nun Lösungen zu finden, die vom gesamten Kabinett hätten getragen werden können.Das ist das wörtliche Zitat der Antwort des zurückgetretenen Finanzministers auf die Frage nach den Gründen seines Rücktritts.Ich habe mir heute doch nur erlaubt, darauf hinzuweisen, daß der Regierungssprecher doch sicherlich nicht auf Grund eigener schöpferischer Phantasie, sondern auf Grund einer Weisung oder in dem verzweifelten Bemühen, hier eine Nebelwand zu legen, Herrn Möller auf einmal krankgeschrieben, dienstunfähig geschrieben hat und dies als Grund für die Niederlegung des Amtes angegeben hat. Das hat wiederum zu der Reaktion von Herrn Möller geführt: Die werden noch etwas erleben, wenn Sie mich krankschreiben wollen. Ich fühle mich körperlich und geistig völlig gesund und werde das beweisen.
Ist es denn nicht — hier war von Stilfragen die Rede; ich komme gerne darauf zurück, wenn Sie unbedingt wollen — ein ganz miserabler Stil, einem Minister, der gesund ist und gesund sein will, Krankheit zu bescheinigen, damit man der Öffentlichkeit und dem Parlament die wirklichen Gründe für seinen Rücktritt vorenthalten kann?
Halten Sie es für einen guten Stil, in der Schriftlichen Antwort auf unsere Anfrage zu erklären, mansei nicht bereit, die wahren Gründe zu nennen --Herr Möller habe sie in einem persönlichen Brief mitgeteilt —; man sei auch nicht bereit, die Dokumentation zu veröffentlichen; dann aber auf unsere Frage hin doch wenigstens das bekannt zu geben, was in einem Teil dieses Briefes als Begründung für den Rücktritt gestanden hat? Sie sollten endlich einmal das ganze Briefwerk auf den Tisch legen.
Dann wird sich ja zeigen, ob Herr Möller hier die Wahrheit gesagt hat, so wie er sie versteht, oder ob er etwas Unrichtiges gesagt hat.
Herr Kollege Wehner, Ihr ganzes Geschrei und Ihr ganzer Grimm, mit dem Sie hier auftreten, beweisen doch nichts anderes als Ihr ganz schlechtes Gewissen auf diesem Gebiet.
Ich möchte noch zwei weitere Bemerkungen zum Stil machen. Lieber Herr Kollege Schiller, wir haben ja drei Jahre am gleichen Tisch gesessen und sind uns auch sonst in mancherlei Rollenverteilung begegnet. Ich verlange gar nicht, daß man mir etwa letzte Feinheiten eines ästhetisch geschliffenen Stiles und ätherischer Verhaltensweise unterstellt. Das behaupte ich nicht. Da sind wir uns ausnahmsweise wieder einmal einig. Aber eines würde ich mir nicht erlauben. Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Schiller, endlich diesen schwer erträglichen Oberlehrerstil, der heute schon an den Schulen verpönt ist, abzulegen,
anderen zu raten, sich auf den Hosenboden zu setzen,
kurzum, hie ein schlecht vorbereitetes, ja, nicht einmal für eine Volkshochschule ausreichendes Halbkolleg zu bieten.
Nun auch noch die zweite Stilfrage. Der Bundeskanzler ist der Meinung, man pflege einen schlechten Stil und verstoße gegen das von ihm so betonte Gesetz der nationalen Solidarität, wenn man es sich erlaubt, in diesem Hause Dinge zu sagen, die der Regierung unangenehm sind.
Das ist auch ein Beitrag zu mehr Demokratie, zumehr Diskussion, zu mehr Aufklärung, zu mehrTransparenz, zu mehr Durchsichtigkeit, zu mehr
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Straußl Mitgestaltung und Mitwirkung des Bürgers im Staate usw.
— Woher wissen Sie denn das?
— Ich enthebe Sie heute der Notwendigkeit, selbst in die Arena zu treten, Herr Kollege Apel. Aber da ich Sie gerade sehe: Sie wären doch ein so dankbares Objekt für ein Kolloquium privatissime et gratis von seiten des Doppelministers. Wissen Sie, warum? Bei den vielen Möglichkeiten, die einem diese Regierung und ihre Helfershelfer zum Kopfschütteln bieten, habe ich etwas von Ihnen gelesen: Dr. Hans Apel im Kreuzfeuer von Casdorff und Rolinger im Fernsehen. Da sagt er:Wenn die Chemie-Konzerne das letzte Mal 20% Dividende gezahlt haben, kann man wenig Verständnis von den Arbeitern verlangen, daß sie nun ihrerseits mit 5 % abgefunden werden sollen.
Herr Kollege Schiller, ich glaube, Sie könnten mir die Arbeit abnehmen. Dann könnte ich sie von meiner, Redezeit abziehen. Hier wäre ein Kolloquium oder besser eine Vorlesung privatissime et gratiserforderlich,
ganz abgesehen davon, Herr Kollege Apel, daß es nicht 5, sondern 6,5 °/o sind, wobei ich mich weder mit dem einen noch mit dem anderen, weder mit dem Angebot der einen Seite noch mit der Forderung der anderen Seite, identifiziere. Aber Sie sprechen von Vermögensbildung. Sie wollen die Aktie auch zu einem Gegenstand der breiten Vermögensstreuung machen. Ein Arbeiter, der vor eineinhalb Jahren eine Chemie-Aktie mit 50 DM Nennwert für 250 DM gekauft hat, erhält heute für zwei solcher Aktien, die 500 DM gekostet haben, 20 DM Zins. Halten Sie 20 DM Zins für eine Aktie, für die man 500 DM ausgegeben hat, etwa für eine kapitalistisch überzüchtete Verzinsung?
Wie wollen Sie denn die Aktie als Finanzierungsinstrument breitester Massen überhaupt salonfähig machen, wenn Sie eine Ist-Verzinsung von 4 % schon als eine Entartungserscheinung kapitalistischer Wirtschaftsform bezeichnen?
— Was das für eine Rechnung ist? Für Sie gebe ich es noch einmal privatissime et gratis, wenn Sie es haben wollen.
Eine Chemie-Aktie — Sie können von den drei Großen nehmen, welche Sie wollen —
— Nein, kindlich ist Ihre Ansicht dazu, wenn Siees schon hören wollen, aber nicht die Rechnung.Wer im Glauben an eine stabile und gleichgewichtige Wirtschaftspolitik diese Aktie vor einigen Jahren auch im Vertrauen darauf, daß sie auch ein Vermögensbildungsinstrument des kleinen Mannes sein muß, gekauft hat, der hat für eine 50-DMAktie 250 DM gezahlt, d. h. er hat für Aktien von nominal 100 DM 500 DM ausgegeben. Für diese 500 DM erhält er heute 20 °/o Dividende, das sind 4 % Zins. Wenn Sie sagen wollen, daß diese Verzinsung unangemessen ist, dann weiß ich nicht mehr, wie Sie die Aktie überhaupt noch als ein Instrument der Vermögensbildung in den Kreis Ihres Instrumentariums einbeziehen wollen.
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Apel?
Dazu kommt noch — Herr Kollege Apel, damit Sie Ihre Frage darauf noch ausdehnen können --, daß der Mann, wenn er das Vertrauen in eine gleichgewichtige und stabile Wirtschaftspolitik hatte, damals nicht damit gerechnet f hat, daß die Aktie von damals 250 DM auf heute 150 oder 140 DM Kurswert sinken würde. Das heißt, daß er als Folge dieser Wirtschaftspolitik neben einer sehr mäßigen Verzinsung auch noch Verluste wegen seiner Beteiligung am Produktivvermögen hat hinnehmen müssen, die nicht geeignet sind, die Aktie als Finanzierungsinstrument in weiten Kreisen akzeptabel zu machen, leider.
— Das gehört zum Kolloquium privatissime et gratis, weil es nämlich dankbarere Objekte für solche Bemühungen gibt als mich, nämlich Sie. — Bitte sehr!
Herr Kollege Strauß, können Sie sich vorstellen, daß es unglaubwürdig wirkt, wenn große Chemiekonzerne 20 % Dividende bezahlen, aber anschließend in Lohnverhandlungen erklären, sie seien nicht in der Lage, über ein minimales Angebot hinauszugehen, und daß hier in der Tat psychologische Wechselwirkungen da sind, die man nicht übersehen kann, und wollen Sie mir zweitens zugestehen, daß Arbeitnehmer normalerweise nicht in der Lage sind, hoch im Kurs stehende, mit spekulativen Kursen versehene Aktien zu kaufen?
Herr Kollege Schiller, können Sie mir wirklich nicht helfen? Ich glaube, ein
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Straußsolcher Fall sollte doch fraktionsintern geregelt werden.
Was heißt denn „20%", Herr Kollege Apel? 20% sind doch in Wirklichkeit 4 % Verzinsung. Noch bezeichnender ist, daß Sie hier sagen, eine Aktie ist eine hochspekulative Vermögensanlage, von der man dem Arbeiter abraten muß. Ja, man muß ihm abraten, solange eine Regierung am Werke ist, die solche hektischen Schwankungen der Wirtschaftspolitik mit solchen Verlusten an Substanz herbeigeführt hat. Da haben Sie allerdings recht.
Nächster Punkt! Herr Kollege Schiller, Sie haben davon gesprochen, daß ein großer Dollarfluß in das Land der D-Mark erfolgt ist. Aber Sie haben sich zu den Ursachen sehr selektiv, partiell, exkulpatorisch, exquisit geäußert.
Sie haben hier sozusagen eine Partialanalyse geliefert.
Ihr Beitrag in der Geschichte der deutschen Sprachschöpfung wird möglicherweise Ihre Leistungen in der Wirtschaftspolitik übersteigen..
— Sie meinen, nicht mal dazu würde es reichen? Nein, das habe ich nicht gemeint.
Aber Sie haben sich ausgeschwiegen über die Gründe für diesen Zustrom. Es gibt doch nicht den leisesten Zweifel, Herr Kollege Schiller, daß durch das von der Bundesbank im Zielkonflikt in Kauf genommene Hochzinsniveau in den Jahren 1970 und Anfang 1971 viele Milliarden von Ihren erwähnten 46 Milliarden DM, bestimmt die Mehrheit in dieses Land geflossen sind, weil das Geld sich eben die Anlagemöglichkeiten sucht, wie sie der internationale Markt bietet. Warum dieses Hochzinsniveau? Warum hat denn die Bundesrepublik als einziges Land innerhalb der EWG, ja innerhalb des Kreises der größeren Industrieländer dieses Hochzinsniveau erreicht und längere Zeit gehalten? Heute gibt es auch noch ein Zinsgefälle, aber nicht mehr so groß. Wenn mich nicht alles täuscht, hat die Bundesbank in ihren Berichten — und andere Institutionen — doch mehrmals erwähnt, daß Fehler und Versäumnisse in der Bundesregierung auf konjunkturpolitischem Gebiete zu einer einseitigen Inanspruchnahme des kreditpolitischen Instrumentariums geführt haben mit der Folge der Verknappung und Verteuerung der Kredite. Aus diesem Grunde sind wir ein Hochzinsland geworden und haben einen anomal hohen Zustrom von Dollars erhalten.Weiterhin, Herr Kollege Schiller, haben Sie vorher etwas gesagt, was in einer Habilitationsschrift sowieso nicht stehen dürfte. Denn Sie haben versucht, den Vorwurf der prozyklischen Haushaltspolitik durch eine Berechnung der Bundesbank im Monatsbericht vom Juni 1971 zu widerlegen. Schauen Sie doch bitte diesen Bericht an! Lesen Sie ihn doch voll vor! Da steht doch drin, daß durch Devisenzustrom zur Bundesrepublik 46 Milliarden DM mehr Liquidität entstanden ist und daß davon 12 Milliarden DM durch kontraktive Wirkung der öffentlichen Haushalte, 2 Milliarden DM durch sonstige Einflüsse und 17 Milliarden DM durch kreditpolitische Faktoren abzuziehen sind. Das heißt, daß 31 Milliarden DM Liquiditätsentzug 46 Milliarden DM Liquiditätsvermehrung gegenüberstehen.
Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zander?
Bitte sehr!
Darf ich Sie bei dieser Gelegenheit auf den Ablauf Ihrer Redezeit hinweisen.
Zunächst eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Zander!
Herr Kollege Dr. Strauß, glauben Sie nicht auch, daß es dazu beiträgt, Devisenspekulationen anzureizen, wenn in diesem Hause offen von einer möglichen neuen Aufwertung gesprochen wird, wie es am 31. März Ihr Kollege Dr. Müller-Hermann getan hat?
Der Kollege Müller-Hermann brauchte gar nicht mehr von Aufwertung zu reden, nachdem bereits in der Vorgeschichte die Hintergründe, Pläne, Absichten und Tendenzen der Bundesregierung in bezug auf ihr währungspolitisches Verhalten längst durchsichtiger geworden waren als ihr Verhalten in Sachen Bekanntgabe der Gründe für den Rücktritt von Alex Möller.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Apel?
Bitte!
Dann sind Sie also der Meinung Ihres Kollegen Dr. Klepsch, der den Hinweis von Herrn Müller-Hermann auf eine mögliche neue Aufwertung als „hochintelligente Bemerkung" bezeichnet hat, während Herr Mertes zu Recht von „unverantwortlich" sprach?
Ich habe heute schon zur Vorgeschichte Stellung genommen, Herr Kollege
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StraußApel, und die Vorgeschichte — das ist nun einmal nicht zu leugnen — sieht so aus, daß die Bundesbank als einzige Notenbank der Welt mit der Erhöhung des Diskont- und Lombardsatzes ein Hochzinsniveau herbeigeführt hat, um wenigstens durch den überzogenen Einsatz des kreditpolitischen Instrumentes diejenigen Gegenwirkungen zu erzielen, die leider durch eine antizyklische Haushaltspolitik und eine rechtzeitige Fiskalpolitik, nämlich Steuerpolitik, nicht erzielt worden sind.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann?
Ich muß meine Ausführungen noch einen Moment fortsetzen, Herr Präsident. — Das ist doch der typische Fall — Herr Schiller, ich muß jetzt wieder einen von Ihnen zwar nicht erfundenen, aber oft gebrauchten Begriff zitieren — eines self-defeating effect! Einerseits hat die Bundesbank dämpfen wollen und dämpfen müssen, weil die Regierung zu spät zuwenig und nicht das Richtige getan hat. Sie hat mit dieser ihrer Dämpfungspolitik das Auslandsgeld ins Inland gelockt, weil es dort abenteuerlich hohe Zinssätze vorfand. Andererseits hat die Bundesbank damit weniger an Liquiditätsentzug herbeigeführt, als sie an Liquiditätszuwachs bis zum 5. Mai fortgesetzt hereingeholt hat.
Das Schlimme an dieser Tatsache ist, daß die kleinen und mittleren Kreditnehmer diese abenteuerlich hohen Zinssätze zahlen mußten, während die großen Kreditnehmer — weil die Bundesregierung in diesem Fall auf dem völlig falschen marktwirtschaftlichen Bein hurra schreit und sich zu Unrecht als Gegner des Dirigismus ausgibt — die Möglichkeit hatten, um mehrere Prozent niedrigere Kredite in unbegrenzter Höhe im Ausland aufzunehmen. Solange diese Lücke nicht geschlossen wird, müssen sie die Wechselkurse weiterhin freischwebend im Raume lassen und damit ein Element der Unsicherheit für die Wirtschaft, die heute abermals auf Dollarkredite für ihre Exportfinanzierung ausweicht, bestehen lassen. Außerdem müssen sie den ohnehin langen Weg zur Währungsunion in der EWG noch viel, viel länger gestalten,
weil mit jeder Woche, die vergeht, die Rückkehr zu einer festen Parität und zu einer gemeinsamen Planung der EWG immer schwieriger und immer weniger möglich wird.
Dabei rede ich noch nicht einmal von den psychologischen Belastungen, die der Stil des deutschen Vorgehens innerhalb der EWG verursacht hat, was nur die Schuldigen nicht merken, während alle anderen, oft nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand, ihren Kopf darüber schütteln.
' Herr Abgeordneter Strauß, gestatten Sie eine letzte Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann? — Ich wäre Ihnen, da Sie keine längere Redezeit angemeldet haben, dankbar, wenn Sie dann zu Ende kämen.
— Herr Kollege Stücklen, der Herr Kollege Strauß wird mir bestätigen, daß ich in der Auslegung der Vorschrift der Geschäftsordnung großzügig war.
Nett von Ihnen!
Herr Kollege Strauß, würden Sie bitte Herrn Kollegen Zander darauf aufmerksam machen, daß ich in der erwähnten Fragestunde den Vertreter des Herrn Bundeswirtschaftsministers auf zwei Pressedienste der SPD und der FDP hingewiesen habe, in denen von einer bevorstehenden Aufwertung die Rede war.
Ich brauche dieser Frage, die die Antwort schon „built in" enthält, nichts hinzuzufügen.
Schließlich, Herr Kollege Schiller — —
— Ein paar Fragen wollte ich noch stellen. Wir können auch, wenn Sie unbedingt wollen, den Antrag auf Verlängerung der Redezeit stellen.
Wenn Ihnen meine Fragen so unangenehm sind,
— Sie sollten Ihren steilvertreten Fraktionsvorsitzenden doch ernst nehmen. Er hat es wirklich trotz einiger Lücken verdient.
Herr Abgeordneter Strauß, nachdem Ihre Fraktion keine Redezeitverlängerung angemeldet hat, mußte ich von 15 Minuten Redezeit ausgehen. Ich bitte daher, daß Sie zum Ende kommen.
Herr Kollege Schiller, Sie haben leider folgende Fragen nicht beantwortet:1. Warum haben Sie in Ihrer Antwort vom 17. Mai auf unsere Kleine Anfrage erklärt, daß die Erhebungen, wo diese Einsparungen in Wirklichkeit vollzogen werden, bis zum 1. Juni dauern und erst dann eine Auskunft gegeben werden kann, und heute am 23. Juni das Fehlen Ihrer Antwort, die Verweige-
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Straußrung Ihrer Antwort abermals mit den schon damals als Entschuldigung angeführten Erhebungen mit Fristsetzung 1. Juni begründet und sich jeder konkreten Aussage darüber entzogen? Das ist die erste Frage.
Die zweite Frage.
Herr Abgeordneter Strauß, entschuldigen Sie, wenn ich Sie dringend bitte, nunmehr zum Ende zu kommen, da die Geschäftsordnung mich sonst zwingen würde, Ihre Rede abzuschneiden. Sie können sich nachher ohne weiteres erneut zu Wort melden.
So ist noch eine ganze Reihe weiterer Fragen unbeantwortet geblieben. Sie haben hier eine Darstellung gegeben, die mit der Beantwortung einer Großen Anfrage oder Stellungnahme zu meinen schriftlichen Anfragen und mündlichen Zusatzfragen überhaupt nichts zu tun hatte, Herr Kollege Schiller.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf für die sozialdemokratische Fraktion erklären, daß wir mit der Antwort der Regierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU einverstanden sind, daß sie uns die notwendigen) Informationen gegeben hat, deren es vielleicht noch zusätzlich bedurft hat.
— Wollen wir weitermachen? — Diese Antworten haben Ihnen anscheinend nicht genügt, denn Herr Kollege Strauß hat zweimal gesprochen. Er hat in seinen Reden wiederum nicht das entwickeln können, was dieses Haus, was die Regierungsfraktion und was die deutsche Öffentlichkeit doch nun von der CDU/CSU einmal erwartet, nämlich eine formulierte Wirtschaftspolitik für den Tag, für morgen und übermorgen.
Meine Damen und Herren, für uns ist ,die Sache klar. Wir unterstützen die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung, wie sie heute hier wieder vorgetragen wurde, wir unterstützen die Aktionen, die in diesem Frühjahr ergriffen worden sind, insbesondere die Freigabe des Wechselkurses der D-Mark; wir unterstützen damit nicht nur die Politik der Bundesregierung, sondern auch die der Bundesbank. Zum erstenmal seit langer Zeit greifen die binnenwirtschaftlichen konjunkturpolitischen Instrumente. Die Bundesbank gibt in ihrem letzten Monatsbericht darüber unzweideutig Auskunft: sie ist über die Aktionsfähigkeit, die sie hat, befriedigt. Ich muß sagen, nach dem ersten Monat — Monat Mai — des Floating, in dem die Bundesbank nicht intervenierte, ist im Juni, nachdem die Bundesbank als Verkäufer von Dollars auftrat, ein Devisenabflußin sehr großer Höhe erreicht worden. Ich glaube, der Herr Bundeswirtschaftsminister nannte in seiner Rede 5 bis 6 Milliarden DM. Das ist für zwei Wochen eines intensiven Floating ein unglaublich hoher Betrag, das ist eine Leistung, auf die die Bundesbank stolz sein kann. Ich stehe nicht an, das hier für die Fraktion der Sozialdemokraten zu erklären.
Selbstverständlich kann der unmittelbar preisstabilisierende Effekt dieses vorübergehenden Freisetzens des D-Mark-Wechselkurses bei 3 % Differenz zum alten De-facto-Kurs vor dem Mai 1969 nicht allzu groß sein. Die Bundesbank schätzt ihn immer noch gewichtig ein. Er wäre sicherlich größer, wenn der Kurs nicht bei 3,50 DM läge, sondern tiefer. Doch kann man eines nicht übersehen: Wenn die Deutsche Bundesbank zu einem Kurs von 3,50 und 3,51 DM Dollars in großem Umfang verkaufen kann, muß man wohl Verständnis für die Politik ,der Bundesbank haben, daß sie es nicht zu 3,40 DM tut und weitere zusätzliche Verluste in Kauf nimmt. Ich halte das für eine sehr vernünftige Position für den Augenblick.Das heißt, Regierung und Bundesbank sind in der Lage, binnenwirtschaftlich zu versuchen, die Konjunktur so in den Griff zu bekommen, daß wir in ein gutes Jahr 1972 hineingehen können. Sie sind sicher, daß sie außenwirtschaftlich nicht gestört und nicht blockiert werden. Das ist der große Unterschied. Daß solche außenwirtschaftlichen Störungen nach wie vor vorkommen können, sagt uns die heutige Zeitungsmeldung über den neuesten Lebenshaltungskostenindex in den Vereinigten Staaten: die größte Steigerung seit 15 Monaten in einem Jahr. Das heißt, der inflatorische Prozeß ist dort nicht zu Ende. Es wäre töricht, wenn die Regierungsfraktionen die Regierung ermuntern würden, vor diesem Problem das Auge zu verschließen und das zu tun, was Sie der Regierung laufend raten: sich nur auf die binnenwirtschaftliche Front zu konzentrieren und die Außenwirtschaft unberücksichtigt zu lassen.
Sie haben bisher in der Frage der außenwirtschaftlichen Absicherung noch keine klare Position bezogen, auch heute nicht.
Nach wie vor steht das aus. Herr Strauß hat wiederum eine Präferenz für Maßnahmen der Devisenbewirtschaftung erkennen lassen, wenn auch nur vorübergehend.
Aber da darf ich Ihnen eines sagen: wenn Sie zwischen zwei Maßnahmen — Freigabe der Wechselkurse, eine marktwirtschaftliche Maßnahme, und § 23, Genehmigung von Auslandskrediten durch deutsche Unternehmen — sofort nach der zweiten greifen, dann ist Ihr Verhältnis zur Marktwirtschaft einfach nicht in Ordnung.
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7532 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Herr Abgeordneter Arndt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Althammer?
Herr Kollege Arndt, nachdem Sie soeben die Zahl der Vereinigten Staaten genannt haben, habe ich auf Grund Ihrer Prognose für das Jahr 1971, nachdem der Statistische Wochendienst des Statistischen Bundesamts vom 11. Juni 1971 für die Bundesrepublik die Preissteigerungszahlen von -1- 4,7 % im März, + 4,8 % im April und 5,1 % im Mai ausweist, die Frage, ob Sie erwarten, daß in den nächsten Monaten auf Grund der Maßnahmen der Bundesregierung diese Preissteigerungsrate sehr wesentlich rückläufig sein wird.
Das Interessante ist doch, daß die Amerikaner — deswegen erwähnte ich das — bei 6 % Arbeitslosen immer noch diese Preissteigerungsrate haben. Das sind sechs Millionen Menschen; auf unsere Verhältnisse übertragen wären das 11/2 Millionen Menschen. Das Floating, Freigabe der Wechselkurse, zusätzliche binnenwirtschaftliche Maßnahmen und eine notwendige Beruhigung in der Lohnentwicklung — ich sage absichtlich nicht Lohnpolitik, denn Löhne werden nicht nur gefordert, sie werden auch bewilligt,
an der Lohnentwicklung sind zumindest immer beide Seiten beteiligt — werden erreichen, daß wir von diesen Preissteigerungsraten herunterkommen. Ich bin nicht in der Lage, zu sagen, ob das im Juni oder Juli, etc. geschehen wird.
Herr Arndt, wären Sie nicht meiner Meinung, daß das Problem, das Sie jetzt angesprochen haben, eigentlich darin liegt, wenn die Floating-Zeit zu Ende ist und was am Ende dann steht?
Die Regierung und die Bundesbank sind zur Zeit frei zur Aktion, einer Aktion, die für dieses Land gut ist, die uns mehr Stabilität bringen wird und die nicht das Beschäftigungsniveau aufs Spiel setzen wird.
— Herr Leicht, ich brauche Ihre Frage ja nicht weiter zu beantworten, wenn Sie nicht mögen. Darüber können wir uns sehr leicht einigen, aber ich wollte sie ja beantworten.
Diese Politik — ob es erreicht wird, wissen wir nicht — eine durchgreifende Verbesserung des internationalen Währungssystems, eine Entlastung des amerikanischen Dollars und Fortschritte in der EWG. Der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen konnte schon darüber berichten, daß jetzt im Ministerrat über Dinge gesprochen wird — die Kommission wird darüber Ausarbeitungen vorlegen —, die vernünftig sind und von denen vor vier oder acht Wochen noch nicht die Rede war.
Diese Chance muß einfach genutzt werden. Wir können nicht einfach sagen, wir konzentrieren uns hier ganz auf unsere eigenen Probleme, und darauf, warum der Herr Minister Möller zurückgetreten ist und was wer von der SPD einmal dann und dann gesagt hat. Das ist doch das Dilemma Ihres heutigen Vortrags gewesen, Herr Kollege Strauß, daß Sie eben nichts Materielles sagten, sondern sich bei personellen Dingen Minute um Minute, Viertelstunde um Viertelstunde aufhalten mußten.
Ich finde es einfach nicht fair, wenn ein Mann wie Minister Möller, der in seinen eineinhalb Jahren als Bundesfinanzminister sich voll eingesetzt hat, die Haushaltsaufstellung des Jahres 1970 in einer vernünftigen, konjunkturgerechten Weise ermöglicht hat — wir haben nur 7 % Zuwachsrate in den Bundesausgaben gehabt —, so angegriffen wird. Er hat ferner die Vorbereitungen für die Steuerreform getroffen, über die die Regierung vorläufige Entscheidungen gefällt hat. Ich halte sie für eine Steuerreform des Maßes und der Mitte. Da werden sicherlich das Haus und auch die SPD-Fraktion in Details auch mit der Regierung noch zu ringen haben, aber es ist insgesamt eine ausgewogene Lösung. Auch das wäre ohne die Vorarbeit von Dr. Möller nicht geschehen.
Wenn jemand von sich aus aus ehrenhaften Gründen, die er nicht zu erklären braucht, zurücktritt, dann soll man das akzeptieren.
— Nein, das ist etwas ganz anderes, als wenn jemand unter öffentlichem Feuer zurücktritt. Wir
haben Minister gehabt, bei denen das der Fall war.
Dann hat das Parlament auf totaler Aufklärung zu bestehen. Aber entschuldigen Sie, ich bin auch einmal im Staatsdienst der Exekutive gewesen, auch ich hätte es mir verbeten, hier gefragt zu werden, warum ich nun aus dem Staatsdienst ausscheide. Man muß doch auch die Möglichkeit haben, wieder aufzuhören, ohne sich alle möglichen Fragen gefallen zu lassen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Strauß?
Ja, bitte!
Herr Kollege Arndt, halten Sie es für fair gegenüber dem Bundesfinanzminister, und zwar für fair aus den eigenen Reihen, wenn er durch den regierungsamtlichen Sprecher als nicht mehr ausreichend leistungsfähig für die auf ihn zukommenden Aufgaben bezeichnet wird, während er gleichzeitig in mehreren doch nicht zu leugnenden Veröffentlichungen klipp und klar diese Begründung öffentlich als unwahr erklärt hat in Verbindung mit
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Straußder Feststellung, er fühle sich körperlich und geistig vollauf gesund und allen Aufgaben gewachsen? Sind Sie nicht der Meinung, daß es unfair ist, den Rücktritt eines Mannes unter diesen Umständen mit solchen Minderwertigkeitsprädikaten zu versehen?
Nein, da liegt nicht das Problem, Herr Kollege Strauß.
Wenn mein Kollege Dr. Alex Möller das so empfinden würde, wie Sie meinten, würde er sich sicherlich sein Recht beim Kanzler und beim — so sagten Sie, glaube ich — stellvertretenden Chef des Bundespresseamtes holen. Worum es hier geht, ist, daß er den Schutz der SPD-Fraktion genießt gegen Ihre dauernden Fragen in der Öffentlichkeit,
die einfach nicht zur öffentlichen Sphäre gehören, sondern in die Nähe von — es tut mir leid, diesen Ausdruck zu gebrauchen — Schnüffelei kommen.
Herr Kollege Strauß, Sie haben Herrn Junghans mit einigen Bemerkungen angegriffen, die er in früherer Zeit gemacht hat. Diese Bemerkungen waren zeitbezogen, ortsbezogen; sie paßten in die damalige Landschaft. Wir alle wissen, daß ein Zitat aus einer anderen Zeit, aus dem Zusammenhang gerissen, in die jetzige Zeit transponiert, natürlich anders wirken kann. Lassen Sie mich nur eins sagen: an den Dingen, die für dieses Land und für Europa und ein bißchen auch sogar für die Vereinigten Staaten wirtschaftlich wichtig sind, nämlich an den Schritten in der außenwirtschaftlichen Absicherung und am Zustandekommen dieser Schritte hat gerade der Kollege Junghans, der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, als einer der ersten seine Präferenz erkennen lassen — weitsichtig, nicht erst in diesem Jahr. Ich muß tatsächlich sagen: fachlich — wo Sie nach wie vor der Meinung sind, Herr Kollege Strauß, man komme mit ein bißchen Gerede über Lohnpolitik und über Personalien in einer Konjunkturdebatte durch —
spricht alles für Herrn Junghans.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu Europa sagen. Europa ist vorangekommen, nicht nur was die Beitrittsverhandlungen anbelangt, sondern auch ein bißchen in den Dingen, die später in einer Wirtschafts- und Währungsunion klappen sollen. Da wollen wir doch nicht Dirigismen am laufenden Band haben. Wir wollen doch nicht Unsinn in Europa harmonisiert sehen.
Das wollen doch auch Sie nicht. Wir wollen doch
nicht alles harmonisieren. Wir wollen doch auch
nicht elf Parteien in unserem Parlament haben, weil die Holländer das haben. Wir wollen auch nicht ein Mittel zwischen drei und elf haben, damit wir ein harmonisches europäisches Mittel bekommen. Wir wollen auch kein Mittel zwischen den Stimmen der Faschisten in Italien und ihren Stimmen hier haben, weil das vielleicht harmonisch wäre. Wir müssen uns doch die Sachen angucken, die wir harmonisieren wollen.
Ich finde, es ist ein großer Fortschritt, daß nun auch noch mehr Regierungen und auch die Kommission ein bißchen darüber nachdenken, wie die Außenbeziehungen auf dem Wege zu einer westeuropäischen Währung sein sollen. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist eben der Wechselkurs ein Preis, nämlich ein Preis für ausländisches Geld, und wenn man diesen Preis als Planpreis behandelt — von 1949 — dann landet man in den unlösbaren Problemen einer Planwirtschaft.
Von Europa erwartet die Welt nämlich eine ganze Menge, wie auch Europa von uns allerhand zu erwarten und zu verlangen hat. Für viele Menschen draußen in den dritten Ländern ist der Europäer nach wie vor auch derjenige, der ihnen die Maschinen für den industriellen Aufbau liefert, unabhängig von allen politischen und ideologischen Gegensätzen, der ihnen sogar die Nahrungsmittel liefert, alles das, was ihnen die Planwirtschaften des Ostens eben nicht bieten können. Diese Menschen sind auf uns, auf unsere wirtschaftliche Stärke angewiesen, und diese wirtschaftliche Stärke Europas und auch dieses Landes können wir nicht wegen einiger Ideologien und einiger falscher Wirtschaftspolitiken in anderen Ländern opfern.
Deshalb haben — damit möchte ich meine Ausführungen schließen — sowohl die Bundesregierung als auch die Bundesbank bei diesem Kurs der Freiheit in der Aktion und des geduldigen Verhandelns mit der Außenwelt die volle Unterstützung meiner Fraktion. Die Regierung kann auf die Fraktion zählen, so wie die Bevölkerung in diesem Lande auf die Regierung zählen kann. Die Richtung stimmt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höcherl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Arndt hat sich hier ausdrücklich mit der Beantwortung der Großen Anfrage sehr zufrieden gezeigt. Seit wann sind Sie so bescheiden, Herr Kollege Arndt? Es ist schon vom Kollegen Strauß gesagt worden, daß sich ein merkwürdiger Stil in der Beantwortung einbürgert. Man sieht offenbar etwas Besonderes darin, nicht mehr eine klare und offene und faire Aussprache zu führen, sondern die Dinge etwas rotzig und ruppig zu beantworten. Ich glaube
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Höcherlnicht, daß das der Stil ist, der uns über den zweiten Teil dieser Legislaturperiode in ordentlicher Form bringen wird.
Herr Abgeordneter Höcherl, bei der Kritik des Stils würde ich dann mit dem Begriff „rotzig" beginnen.
Herr Präsident, ich habe das gehört. Ich nehme das Wort „rotzig" zurück. Aber ich sage: ruppig.Herr Kollege Arndt, Sie haben hier einer ganzen Reihe von Kollegen ein Sündenregister in bezug auf ihr wirtschaftliches Prognosenvermögen vorgehalten. Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie bei der letzten Aussprache zur Konjunkturpolitik hier erklärt haben, nach Ihren Vorstellungen wäre es nötig, schon wieder etwas anzuheizen. Wie die heutige konjunkturelle Situation ist, wissen Sie, und daß Sie sich damals erheblich getäuscht haben, steht fest. Heute verlangen Sie eine Alternative, und Sie finden gelegentlich mit dieser Frage nach der Alternative auch Zustimmung in der Presse. Sehen Sie denn nicht, daß Sie durch Ihre Handlungen ständig neue Daten setzen, so daß wir ständig gezwungen sind, uns mit den Alternativen an Ihre Daten anzupassen?
Welche Daten haben Sie heute gesetzt? 6% Preiserhöhung für den allgemeinen Index, 10 und 12 % für industrielle Preise und eine Explosion bei den Barpreisen von 20 und 30 %. Das sind die ständig sich wandelnden Daten, an die eine Alternative angeknüpft werden muß. Ich werde Ihnen eine Alternative sagen, meine Damen und Herren.
— Ich werde Ihnen eine sagen. Mit den Mitteln, Herr Bundeswirtschaftsminister, die Sie jetzt in Gang gesetzt haben — sehr, sehr spät —, hätte alles nicht so laufen müssen, wenn Sie früher gehört hätten und wenn Sie die Unterstützung Ihrer Regierung, die Unterstützung des Bundeskanzlers mit seiner Richtliniengewalt und die Unterstützung der Fraktion zur rechten Zeit, z. B. im Februar 1970, gehabt hätten. Damals waren Sie doch im Schlagschatten und konnten sich nicht durchsetzen. Zweimal hat der Bundeskanzler den wichtigsten Konjunkturminister im Stich gelassen: früher Schiller und jetzt Möller, der sich als Lebensziel gesetzt hatte, als sozialdemokratischer Finanzminister ein Beispiel zu geben. Er wurde im Stich gelassen. Wenn der Bundeskanzler Sie gestützt hätte, wären Sie heute noch im Amt und hätten nicht kapituliert. So ist es doch und nicht anders. Schiller wurde im Februar im Stich gelassen, als er in richtiger Erkenntnis der Situation steuerliche Vorschläge nach dem Stabilitätsgesetz machte. Sie haben ihn im Stich gelassen, und Sie haben ihn in der Fraktion schlecht behandelt. Die Lage, die sich heute entwickelt hat, ist darauf — —
— Nein, was ich sage, stimmt, Herr Wehner.
— Herr Wehner, Sie haben ihn in Stich gelassen. Das können Sie doch gar nicht bestreiten.
Und warum auf einmal Stabilitätspolitik? Es wird doch alles sichtbar. Schiller konnte den Bundeskanzler überzeugen, daß die nächsten Wahlen nicht über Außenpolitik, sondern vor allem auch wirtschaftspolitisch entschieden werden. Das war das Entscheidende. Deswegen auf einmal die neue Erkenntnis. 14 Tage vor dem Rücktritt des Finanzministers Möller hat der Bundeskanzler noch erklärt, ein Zusammenlegen dieser beiden großen Ressorts, deren jedes eine volle Arbeitskraft und eine beachtliche Fähigkeit verlangt, komme nicht in Frage. Warum ist das 14 Tage später überstürzt gemacht worden? Weil Sie die Angst befällt, daß Sie die Gunst der Bevölkerung für die Wahlen 1973 mit dieser Wirtschaftspolitik nicht bekommen. Das war der nackteGrund. Es zeichnet sich doch folgendes ab.
— Ich komme schon mit der Alternative. — Sie wol- len die Ostverträge mit einer ausgelaugten, ausgewaschenen Berlin-Lösung durchbringen. Jetzt haben Sie nurmehr das große Problem der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik.
Jetzt haben Sie in einer Art und Weise gehandelt, die bei allen Sachverständigen der Weltöffentlichkeit Anstoß erregt hat, wie schon damals, 1969, als Sie die Aufwertung auf dem offenen Markt verkündeten. Es kam das Gutachten der wissenschaftlichen Institute. Schiller hat es begrüßt, und in aller Öffentlichkeit wurde darüber gesprochen. Die Spekulation hat das wahrgenommen. Ich wende mich gar nicht dagegen, daß Sie den Wechselkurs freigesetzt haben. Aber die Art und Weise und die Form, wie Sie sich dann in Europa angelegt haben, ist das Entscheidende.
Ich bin der Meinung, Sie kommen nicht zurecht mit dieser Maßnahme. Warum nicht? Sie mußten sich in Europa verpflichten — in der Beantwortung dieser Anfrage steht das —, in kürzester Zeit die alte Parität wiederherzustellen. Auch darüber gab es merkwürdige Äußerungen und einen offenen Gegensatz zwischen der Bundesbank und dem Wirtschaftsminister, der, wie ich meine, überhaupt nicht in die währungspolitische Landschaft paßt. Diese Gemeinsamkeit ist zusammengeflickt worden.Aber ich will Ihnen einmal die Alternative erklären,
und da darf ich Sie an etwas erinnern, meine Damenund Herren. Die deutsche Wirtschaft hat unter IhrerWirtschaftspolitik, unter Ihrer Konjunkturpolitik,
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Höcherlder Hochzinspolitik der isolierten, allein gelassenen Bundesbank
fast 30 Milliarden DM kurz- und mittelfristige Kredite am Eurodollarmarkt aufgenommen. Der Gegenwert kam in den Kreislauf. Wenn Sie auf Seite 68 des letzten Notenbankberichts nachlesen, werden Sie finden, daß das Monat für Monat Beträge von 1 bis 3 Milliarden DM waren. Das war das Entscheidende. Sie haben damals keine Kreditkontrolle eingeführt, und Sie kommen auch heute ohne internationale Kreditkontrolle nicht über die Runden. Das ist das Entscheidende.
— Ist das nichts? Zu den Maßnahmen, die beschlossen worden sind?
— Bitte?
— Das Floating ist eingeführt, und Sie haben versprochen, das Floating in angemessener Frist in gemeinsamer Politik innerhalb der EWG zu beenden. Ich wende mich nicht gegen das Floating. Aber ich wende mich dagegen, daß Sie ein Jahr lang zugesehen haben und nichts dagegen unternommen haben,
daß diese Kreditmassen hereinströmten und nicht zuletzt eine Ausweitung des Geldumlaufs um mehr als 20 °/o sowie die Teuerung ganz erheblich verursacht haben.
— Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Wehner. Sie hätten bei dem Einfluß, den Sie als Fraktionsvorsitzender mit Ihrem Führungsstil in Ihrer Fraktion haben, Ihrem Finanzminister Möller und dem Minister Schiller Rückhalt geben sollen. Sie tragen wahrscheinlich mehr Schuld an dieser Entwicklung als die beiden, die Ihre Unterstützung nicht bekommen haben.
Jetzt bekommen Sie Angst, daß die Dinge schwierig werden.
Das ist ja nur ein Wahlmanöver. Sie wollen jetzt auf einmal all das, was Sie noch vor wenigen Monaten auf unsere Einwendungen hin verworfen und verbrannt haben, vorbringen und vollziehen.Herr Bundeswirtschaftsminister, ich stehe zu Ihrer Stabilitätspolitik, und ich bin der Meinung, daß die haushaltsmäßigen und fiskalischen Stabilitätsmaßnahmen, die Sie vorgenommen haben, absolut in die Landschaft passen. Aber sie reichen angesichts der fortgeschrittenen Situation nicht aus. Ich bezweifle, daß Sie aus Ihrer Fraktion und innerhalbder Bundesregierung die notwendige Unterstützung zu ergänzenden Maßnahmen bekommen. Hier geht es nicht um Dirigismus usw., hier geht es um Wiederherstellung der Stabilität, um die Marktwirtschaft wieder wirken zu lassen. Die Marktwirtschaft ist durch diese Entwicklung gestört. Wir haben gesetzliche Möglichkeiten im Außenwirtschaftsgesetz; § 23 Abs. 6 gibt die Maßnahmen, die Sie anwenden sollten.Herr Kollege Arndt hat auf die amerikanischen Verhältnisse hingewiesen: eine hohe Arbeitslosigkeit mit steigenden Preisen. Das war die Folge einer inflationären Politik in diesem Lande. Daran können wir ablesen, was wir noch zu erwarten und zu gewärtigen haben; denn Preissteigerung und leichtfertige Konjunkturpolitik enden in Arbeitslosigkeit und Stagnation. Das ist doch die Entwicklung, die sich in Amerika, bei dem entscheidensten Verbündeten, leider man muß es sagen —, eingestellt hat.Der Herr Bundeskanzler hat hier erklärt, bei seiner Reise nach Amerika habe er dort keine Vorwürfe bekommen, was unsere Währungsmaßnahmen betrifft. Meine Damen und Herren, hier ist vom Bundeskanzler das gefährliche Wort gefallen, daß der amerikanische Dollar mehr oder weniger die Hauptschuld an dieser Entwicklung trage.
Ist das die richtige Sprache gegenüber einem Verbündeten, der weltweite Verantwortung trägt?
— Auf Ihren persönlichen Eindruck kommt es nicht an, Herr Wehner.
— So war das hier. Herr Wehner, Sie können das nicht leugnen.
— Nein, das sagen wir eben nicht. Herr Wehner, wir sagen folgendes: Wir halten es für falsch, daß der Dollar in dieser Form in das Gespräch einbezogen wird,
weil man die weltweiten Sicherheits- und Verteidigungsaufgaben sehen muß, die es fast unmöglich machen, im Dollarbereich eine ganz korrekte Währungspolitik zu führen. Das wissen wir, und das verlangt unsere Rücksichtnahme und nicht Anspielungen, die als Alibi für eigenes Fehlverhalten dienen sollen.
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7536 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Antwort der Bundesregierung steht unter Ziffer 3, daß das Floating möglichst bald beendet wird. Das steht verbindlich darin. Aber eine Äußerung währungspolitischer Art, wie sie aus dem ganzen Verfahren herausgekommen ist, macht es ja unmöglich, das eigentliche Ziel zu erreichen. Herr Professor Schiller, Sie wollten ja folgendes erreichen. Sie wollten mit diesem Floating die beiden Tarifpartner disziplinieren. Wenn Sie aber gleichzeitig — ohne richtige Vorbereitung — schon den Endpunkt angeben müssen, statt die Unsicherheit aufrechtzuerhalten, — —
— Das haben Sie in der Antwort geschrieben.
— Herr Dr. Apel, hier steht, daß Sie sich voll und ganz zu dem Beschluß vom 8. und 9. Mai bekennen. Dort aber ist das genau festgelegt,
und damit sind Sie um die Wirkung dieser Maßnahme gebracht.
Auch die bisherigen Abgänge waren sehr, sehr bescheiden, und Sie wissen genau, daß Zugänge kommen aus Termingeschäften, die die Bilanz ebenfalls noch nachteilig gestalten werden. Wären Sie verschwiegener gewesen, hätten Sie die europäischen Vorbereitungen behutsam und in aller Stille vorher getroffen, statt in der Öffentlichkeit an Hand eines Gutachtens solche Entscheidungen zu verkünden und sie auf öffentlichem Markt auszutragen, wären wir gemeinsam in einer besseren Situation.Ich darf abschließend folgendes sagen. Die Stabilitätspolitik kommt zu spät, aber sie ist richtig. Wir unterstützen sie, aber sie reicht nicht. Wenn Sie das vermeiden wollen, was Sie ein Jahr lang nicht beachtet haben, nämlich den unglaublichen Zugang an ausländischen Krediten, müssen Sie
§ 23 Abs. 6 in einem weiteren Rahmen anwenden. Sie können auf unsere Unterstützung rechnen. Halbzeiten aber — wie bisher —, Zuspätkommen und schwächliche Maßnahmen sind nicht unser Fall, sondern das war bisher Ihre Praxis.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Der Ältstenrat schlägt Ihnen vor, das Sondergutachten „Zur konjunktur- und währungspolitischen Lage im Mai 1971" an den Ausschuß für Wirtschaft — federführend — und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Andere Vorschläge liegen nicht vor. — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 5 der heutigen Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evers, Dr. Pohle, Dr. Schmidt , Höcherl, Dr. Schneider (Nürnberg) und Genossen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes— Drucksache VI/1844 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache VI/2263 —Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Huber
Ich frage, ob von der Frau Berichterstatterin das Wort gewünscht wird. — Es wird nicht gewünscht.Ich rufe Art. 1, 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei einigen Stimmenthaltungen in zweiter Beratung angenommen.Ich rufe zurdritten Beratungauf. -- Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei Stimmenthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.Ich rufe Punkt 6 der heutigen Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verlängerung der Amtszeit der Personalräte — Drucksache VI/2319 —Mündlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/2328 —Berichterstatter: Abgeordneter Becker
Wird von dem Herrn Berichterstatter das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall.Wir treten in die zweite Beratung ein. Zu § 1 liegt der interfraktionell eingebrachte Änderungsantrag Umdruck 197 *) vor. Wird dazu das Wort ge-*) Siehe Anlage 2
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7537
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenwünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen.— Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Wer § 1 in der nunmehr geänderten Fassung zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Angenommen.Ich rufe §§ 2, 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Angenommen.Dritte Beratung.Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Ich rufe Punkt 7 der heutigen Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderungen und zur Durchführung der Übereinkommen über die Fischerei im Nordwestatlantik und im Nordostatlantik sowie über weitere Maßnahmen zur Regelung der Seefischerei — SeefischereiVertragsgesetz 1971 — Drucksache VI/2246 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksache VI/2321 —Berichterstatter: Abgeordneter Schröder
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort begehrt. — Das Wort wird nicht begehrt.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer den aufgerufenen Bestimmungen sowie der Einleitung und der Überschrift in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe!— Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Dazu eröffne ich die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt, so daß ich die Beratung schließe. Wir stimmen ab. Wer dem Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Meine Damen und Herren, es ist noch über den Ausschußantrag Nr. 2 abzustimmen, der Ihnen vor-liegt. Wird dazu das Wort begehrt? — Es wird nicht begehrt. Wer Nr. 2 des Ausschußantrags, nämlich die Bundesregierung zu ersuchen, den Entwurf eines Seefischereigesetzes dem Bundestag alsbald zuzuleiten, zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltun gen? — Es ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 10 der heutigen Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 1 des Grundgesetzes— Drucksache VI/1643 Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache VI/2295 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Das Wort wird nicht begehrt.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. Ich danke Ihnen. Gegenprobe! —Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die Beratung.Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Ich danke Ihnen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Textilkennzeichnungsgesetzes— Drucksache VI/2297 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache VI/2235 Berichterstatter: Abgeordneter Lenders
Der Herr Berichterstatter begehrt nicht das Wort. Danke, Herr Kollege Lenders!Ich rufe in zweiter Beratung Art. 1, Art. 2, Art. 3 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Artikeln sowie Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimm-
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Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest.Wir treten in diedritte Beratungein. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen.Ich rufe nunmehr Punkt 24 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung— Drucksache VI/2303 Ich frage, ob hierzu das Wort begehrt wird. — Das Wort wird nicht begehrt. Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung — federführend — und dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. — Andere Vorschläge werden nicht gemacht; es ist so beschlossen.Wir kommen dann zu Punkt 25 der Tagesordnung.
— Dieser Punkt war mir als unstreitig mitgeteilt worden. Gut, wir stellen ihn zurück.Dann rufe ich Punkt 26 der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit über den Antrag der Abgeordneten Picard, Dr. Martin, Dr. Jungmann, Dr. Götz, Burger, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, von Thadden, Köster und der Fraktion der CDU/CSUbetr. Situation der Psychiatrie in der Bundesrepublik— Drucksachen VI/474, VI/ 2322 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schmidt
Ich frage den Berichterstatter, ob das Wort begehrt wird. — Das ist nicht der Fall.Wird in der Aussprache das Wort begehrt? — Das ist ebenfalls nicht der Fall.Wir kommen dann zur Beschlußfassung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache VI/2322. Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:Beratung des Berichts des Ausschusses fürWirtschaft über die von derBundesregierung erlassene Neunzehnte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung und Zwanzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen VI/2101, VI/2178, VI/2291 —Berichterstatter: Abgeordneter van DeldenVon dem Herrn Berichterstatter wird das Wortnicht begehrt.Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldungen.Wer dem Vorschlag des Herrn Berichterstatters, von dem Aufhebungsrecht keinen Gebrauch zu machen, zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke Ihnen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe denPunkt 28 der Tagesordnung auf:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
über die von der Bundesregierung vorgelegten1. Übereinkommen Nr. 129 über die Arbeitsaufsicht in der Landwirtschaft2. Übereinkommen Nr. 130 über ärztliche Betreuung und Krankengeld3. Empfehlung Nr. 133 über die Arbeitsaufsicht in der Landwirtschaft4. Empfehlung Nr. 134 über ärztliche Betreuung und Krankengeldder Internationalen Arbeitsorganisation — Drucksachen VI/ 1652, VI/2302 —Berichterstatter: Abgeordneter BredlWird das Wort dazu gewünscht? -- Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Beschlußfassung. Wer dem Antrag des Ausschusses, von der Vorlage Kenntnis zu nehmen, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen? ,Ich rufe nun den Punkt 29 auf:Beratung der Übersicht 8 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache VI/2311 —Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nichtder Fall.Dann bitte ich um Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7539
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Punkte 30, 32, 33, 34 und 35 auf:30. Beratung des Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission zur Änderung der Verordnung (EWG, EURATOM, EGKS) Nr. 2/71 des Rates vom 2. Januar 1971 zur Durchführung des Beschlusses vom 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften— Drucksachen V1/2133, VI/2308 Berichterstatter: Abgeordneter Röhner32. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der EG-Kommission füreine Verordnung des Rates über Sondermaßnahmen, die auf bestimmten Agrarmärkten nach Auftreten gesundheitspolitischer Schwierigkeiten getroffen werden könneneine Verordnung des Rates mit allgemeinen Regeln für die Gewährung von Beihilfen für die private Lagerhaltung von Flachs und Hanfeine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 985/68 zur Festlegung der Grundregeln für die Interventionen auf dem Markt für Butter und Rahmeine Verordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Ausfuhr von Milcherzeugnissen, die besonderen Ausfuhrbedingungen unterworfen sindeine Verordnung des Rates zur Änderung der durch die Verordnung Nr. 121/67/ EWG über die gemeinsame Marktorganisation für Schweinefleisch vorgesehenen Interventionsregelungeine Verordnung des Rates zur Festlegung der Interventionspreise für Rohreis für das Wirtschaftsjahr 1971/1972eine Verordnung des Rates über die Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Richtpreis und zum Interventionspreis für Ölsaaten im Wirtschaftsjahr 1971/72eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 876/67/EWG zur Einführung einer zusätzlichen Beihilfe für in Italien verarbeitete Raps- und Rübensameneine Verordnung des Rates betreffend die Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 766/68 zur Aufstellung allgemeiner Regeln für die Erstattungen bei der Ausfuhr auf dem Zuckersektor in bezug auf die Berichtigung der Erstattungeine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 2455/70und 166/71 zur Festsetzung gemeinsamer Vermarktungsnormen auf dem Fischereisektoreine Verordnung des Rates zum teilweisen Ausschluß des aktiven Veredelungsverkehrs für Erzeugnisse der Geflügelwirtschafteine Verordnung des Rates zur Festsetzung einer Übergangsvergütung für die am Ende des Wirtschaftsjahres 1970/71 vorhandenen Bestände an für die Brotherstellung geeigneten Roggen sowie Maiseine Verordnung des Rates zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EWG) Nr. 1052/68 des Rates vom 23. Juli 1968 über die Regelung für die Einfuhr und die Ausfuhr von Getreide- und Reisverarbeitungserzeugnissen— Drucksachen VI/ 1837, V1/1895, VI/2063,VI/1996, VI/2084, VI/2091, VI/2093, VI/2124,VI/ 2159, VI/2172, VI/2173, VI/2174, VI/2301 —Berichterstatter: Abgeordneter Lemp33. Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzausschusses über den von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung (EWG, EURATOM, EGKS) des Rates zur Änderung der Bestimmungen und des Verfahrens für die Erhebung der Steuer zugunsten der Europäischen Gemeinschaf ten— Drucksachen VI/2123, V1/2329 —Berichterstatter: Abgeordneter von Kühlmann-Stumm34. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft über den von der Bundesregierung vorgelegten Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Verordnung des Rates zur Einführung einer Beihilferegelung für Baumwollsamen— Drucksachen V1/1768, M/2336 — Berichterstatter: Abgeordneter Scheu35. Beratung des Mündlichen Berichts des Innenausschusses über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der EG-Kommission für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Regelung der Bezüge und der sozialen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in der Bundesrepublik Deutschland dienstlich verwendet werden— Drucksachen M/2109, M/2347 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.Ist das Haus damit einverstanden, daß wir der Einfachheit halber gemeinsam abstimmen? — Ich
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7540 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Vizepräsident Frau Funckehöre keinen Widerspruch. Ich komme also zur Abstimmung über die Ausschußanträge. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 36 auf:Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzenbetr. Veräußerung einer 264 ha großen Teilfläche des Rüstersieler Grodens in Wilhelmshaven an die Alusuisse Atlantik GmbHDrucksachen VI/2038, VI/2307 —Berichterstatter: Abgeordneter BremerWird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Es ist so beschlossen.Nunmehr rufe ich Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksache VI/2344 —Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan anwesend. Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Pawelczyk auf:Welche Kriterien werden für die Einweisung von Hauptfeldwebeln der Bundeswehr in die Besoldungsgruppe A 9 zugrunde gelegt?Bitte schön, Herr Staassekretär!
Frau Präsidentin, Herr Kollege, auf Grund des Ersten Gesetzes zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages am 17. Juni 1971 insgesamt 2310 Stellen der Besoldungsgruppe A 9 bewilligt. Es besteht nunmehr die Möglichkeit, etwa 10 °/o der Hauptfeldwebel in diese Stellen einzuweisen. Das reicht aber nicht aus, alle voll geeigneten und bewährten Hauptfeldwebel gleichzeitig zu berücksichtigen. Deshalb ist ein System erarbeitet worden, das die Qualität der Leistung sowie die Diensterfahrung auf Grund der Laufzeit im Dienstgrad und das Lebensalter angemessen berücksichtigt.
Dementsprechend sollen für die Einweisung nach A 9 Hauptfeldwebel ausgewählt werden, die diesen Dienstgrad mindestens drei Jahre innehaben und dem Jahrgang 1931 oder älteren Jahrgängen angehören. Aus dieser Gruppe sind zunächst alle Hauptfeldwebel zu berücksichtigen, deren Leistungen zuletzt mit „sehr gut" und über längere Zeit mit „gut" beurteilt worden sind. Im übrigen kann auch noch ein Teil der mit „gut" und „ziemlich gut" beurteilten Soldaten in die Besoldungsgruppe A 9 eingewiesen werden. Dies geschieht auf Grund einer
Reihenfolge, die nach der Dauer der Diensterfahrung festgelegt wird. An der endgültigen Auswahl durch die personalbearbeitenden Stellen werden auch die jeweiligen Truppenvorgesetzten beteiligt.
Über die Auswahlkriterien werden die Soldaten in diesen Tagen durch die Vorgesetzten unterrichtet werden.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Krall auf:
Ist dio Bundesregierung bereit, die Soldatenlaufbahnverordnung dahin zu ändern, daß sie die Beförderung zum Oberfeldwebel mit einer Mindestdienstzeit von sechs bis acht Jahren ermöglicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Frau Präsidentin, Herr Kollege, nach der derzeit geltenden Fassung der Soldatenlaufbahnverordnung können Soldaten bereits nach einer Mindestdienstzeit von fünf Jahren zum Oberfeldwebel befördert werden. Die Beförderung von Soldaten auf Zeit zu diesem Dienstgrad ist allerdings davon abhängig, daß sie sich für mindestens zwölf Jahre zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet haben . Deshalb unterstelle ich, daß Sie nicht eine Herabsetzung der Beförderungsdienstzeiten, sondern der Mindestverpflichtungszeit anstreben, um Soldaten auf Zeit die Beförderung zum Oberfeldwebel auch dann zu ermöglichen, wenn sie sich für eine Dienstzeit von weniger als 12 Jahren verpflichtet haben. Dieses Problem wird im Rahmen der anstehenden Novellierung der Soldatenlaufbahnverordnung geprüft.
Keine Zusatzfrage. Damit sind wir am Ende Ihres Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Berkhan.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft und Finanzen. Zur Beantwortung ist der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rosenthal anwesend.
Ich rufe Frage 19 des Herrn Abgeordneten Solke auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Wolfram auf:
Hat die Bundesregierung einen Überblick, wie sich in den letzten Jahren die Handelsspannen in den einzelnen Branchen entwickelt haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Wolfram, das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen hat bereits 1970 einen Auftrag an das Institut für Handelsforschung in Köln über die Produktivitäts- und Rentabilitätsentwicklung in den Fachgeschäften im Einzelhandel von
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Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal1949 bis 1969 gegeben. Ferner gibt es die Handels-und Gaststättenzählung 1968, die ebenfalls die Rohertragsentwicklung erkennen läßt. Diese Untersuchungen werden in den nächsten Wochen veröffentlicht werden.Für den Großhandel gibt es die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die ebenfalls die Rohertrags-quote angeben. Die Großhandelsunternehmen haben ebenfalls am Handelszensus teilgenommen, und für 1968 liegen Rohertragsquoten vor. Ich schicke Ihnen gern eine Ablichtung der von mir genannten Veröffentlichungen und der noch nicht veröffentlichten Angaben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, liegen Ihres Wissens unabhängige wissenschaftliche Untersuchungen über diesen Fragenkamplex, untergliedert nach Branchen und Regionen, vor, und sehen Sie eine Möglichkeit, daß die Bundesregierung die Veröffentlichung derartiger Untersuchungsergebnisse fördert?
Herr Kollege Wolfram, ja. Denn das Institut für Handelsforschung in Köln, das diese Untersuchung gemacht hat, die in wenigen Wochen veröffentlicht wird, ist ein wissenschaftliches Institut.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der Komplex Preisbildung/Handelsspannen/Preise insgesamt transparenter wird?
Herr Kollege, außer dort, wo es — vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen her — Möglichkeiten gibt, kartellrechtlich vorzugehen, sieht man hier keine Möglichkeiten. Das heißt: dort, wo keine Oligopole bestehen, wo freier Wettbewerb besteht, wird es nicht möglich sein. Die Transparenz allerdings kann man verbessern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, würden Sie angesichts der Bedeutung der Frage 21 vom Kollegen Wolram bereit sein, das Material — —
Herr Kollege, die Frage 21 ist noch nicht aufgerufen. Sobald sie aufgerufen und beantwortet ist, können Sie Ihre Frage stellen.
Keine weitere Zusatzfrage zu Frage 20? — Dann rufe ich die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Wolfram auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. Textilfabrikanten vom Handel aufgefordert wurden, ihre unverbindlichen Richtpreise, die 1969 bei 60 % über den Herstellungskosten lagen, auf z. Z. 100 % zu erhöhen, und was kann gegen solche unberechtigten Preistendenzen unternommen werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Wolfram, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß eine Aufforderung an Textil- und Bekleidungsfabrikanten ergangen sein soll, die Handelsspanne von 60 auf 100 % zu erhöhen. Es kann sich auch nur um Einzelfälle handeln. Denn unseres Wissens beträgt der Anteil der gebundenen, also direkt durch Preisbindung oder durch sogenannte Preisempfehlungen in der Bekleidungsbranche festgelegten Preise höchstens 5 %.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir abnehmen, daß es solche Empfehlungen gibt, wenn ich Ihnen sage, daß Textilfabrikanten mich in diesem Sinne informiert haben?
Herr Kollege, das muß ich Ihnen abnehmen, und ich würde Sie bitten, mir das zuzuschicken. Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß gerade in der Textil- und Bekleidungsbranche ein verhältnismäßig harter Wettbewerb herrscht. Denn die Erzeugerpreise für Textilien sind gegenüber April vorigen Jahres nur um 0,7 % und die Erzeugerpreise bei der Bekleidungsindustrie um 4,6 % gestiegen. Sie liegen damit immer noch 0,6 % unter der durchschnittlichen Steigerung der Erzeugerpreise.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Wolfram.
Herr Staatssekretär, können Sie meinen Eindruck bestätigen, daß eine Reihe von Wirtschaftsverbänden in der Vergangenheit und in der Gegenwart durch Preissteigerungsankündigungen und durch einseitige Begründungen von erfolgten Preissteigerungen die Öffentlichkeit beunruhigt haben?
Generell kann ich das zugeben.
Jetzt können Sie fragen, Herr Kollege Ott. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, wenn auch die Frage 20 bereits erledigt ist, im Zusammenhang mit der Frage 21 das Material, das Sie vorhin dem Kollegen Wolfram angeboten
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Otthaben, des allgemeinen öffentlichen Interesses wegen allen Mitgliedern dieses Hauses zur Verfügung zu stellen?
Herr Kollege, mein Gegenvorschlag wäre, daß ich es Ihnen zur Verfügung stelle, denn wir wollen die übrigen Abgeordneten nicht mit allzuviel Papier belasten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt!
Herr Staatssekretär, bezog sich Ihre Angabe , daß nur 5 % der Waren auf dem Textilsektor einer Preisempfehlung oder der Preisbindung unterliegen, auf die Zahl der Produkte oder auf den Umsatz?
Ich glaube, auf den Umsatz, Herr Kollege. Aber ich möchte Ihnen diese Frage lieber schriftlich beantworten.
Keine Zusatzfrage mehr. — Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Löffler auf:
Wird die Bundesregierung die jüngsten Vorgänge auf dem deutschen Markt für stickstoffhaltige Düngemittel zum Anlaß nehmen, um unter Berufung auf Artikel 89 des Vertrags von Rom bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eine Untersuchung des Marktverhaltens der Stickstoffindustrie zu beantragen, die vermutlich durch Vereinbarungen oder Beschlüsse, zumindest aber durch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt beschränkt?
Bitte schön!
Herr Kollege Löffler, ich darf vorweg sagen, daß zu dem Komplex Düngemittel, den Sie angeschnitten haben, auch Fragen der Kollegen Gallus, Marquardt, Schonhofen und Saxowski heute hier im Raum stehen, so daß sich eine Überkreuzung von Fragen und Antworten ergeben wird, die ich zu entschuldigen bitte.
Die Antwort auf Ihre Frage lautet: Wir halten in dieser Frage engen Kontakt mit der Europäischen Kommission. Dieses Verfahren wird bereits überprüft. Ich schätze, daß wir nach der Sommerpause werden mitteilen können, ob die Europäische Kommission in dieser Frage aktiv wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, sind die Aktivitäten der Bundesregierung bei der Kommission in Brüssel in das Verfahren einzubetten, das nach Art. 89 des EWG-Vertrages möglich und üblich ist?
Auf diesen Artikel habe ich mich bei meinem Hinweis auf das Verfahren bezogen.
Keine weitere Zusatzfrage! — Dann rufe ich die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Gallus auf:
Hält die Bundesregierung die Erhöhung der Stickstoffpreise für gerechtfertigt?
Herr Kollege Gallus, der Ihnen bekannte Arbeitskreis, dem das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, das Bundeskartellamt und das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen angehören, ist am 12. Mai wieder zusammengetreten. Die Beteiligten, die Abnehmer und auch die Vertreter des Bauernverbandes, die anwesend waren, sind zu dem Schluß gekommen, daß zwar eine Erhöhung der Preise für stickstoffhaltige Düngemittel auf Grund der Erhöhung der Kosten berechtigt war, nicht aber das Maß dieser Erhöhung Das ist auch die Ansicht der Bundesregierung.
Keine Zusatzfrage? — Dann eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, halten Sie angesicht der erfolgten Preiserhöhung bei Handelsdüngemitteln die im vorigen Jahr vorgenommene Aufhebung der Preisbindung im nachhinein tatsächlich für einen Beitrag zur Stabilität, wie es damals Ihr Haus kundgetan hat?
Herr Kollege, hier muß man differenzieren, denn die Listenpreise z. B. sind, insgesamt gesehen, nur um 5 % erhöht worden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Kapazität der deutschen Stickstoffindustrie zur Zeit nur zu 64 bis 70% ausgelastet ist, weil der Export zurückgegangen ist, und daß daraufhin und nicht wegen einer Kostensteigerung im Rahmen dieses Produktionszweiges die Preise erhöht worden sind?
Herr Kollege, wenn Sie einen Umsatzrückgang haben, steigen auch die Kosten. Die Bundesregierung ist sich dieser für die Landwirtschaft entscheidenden Vorkosten sehr bewußt. Ich darf darauf hinweisen, daß sich der Prozentsatz der Vorkosten für Düngemittel in den vergangenen Jahren nicht erhöht, sondern sogar verringert hat. Ich glaube, er liegt jetzt bei 14 %. Wir sind aber dabei — ohne jetzt nach den
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Parlamentarischer Staatssekretär RosenthalUrsachen zu suchen —, um den Preissteigerungstendenzen entgegenzutreten, zu prüfen, ob wir eine erhöhte Einfuhr aus den Staatshandelsländern zulassen. Rumänien ist bereits liberalisiert, und wir denken daran, die Kontingente für Polen und für Ungarn zu erhöhen.
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte schön!
Herr Staatssekretär, sind die Befürchtungen ausgeräumt, daß etwa Preissanktionen beim Bezug von Stickstoff aus Ostimporten da wären?
Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich habe den Sinn der Frage nicht ganz verstanden.
Sind die Befürchtungen ausgeräumt, daß die Stickstoffindustrie gegenüber Beziehern von Düngemitteln aus Ostblockstaaten zu Preissanktionen greifen würde?
Sie meinen, daß die Bezieher von Düngemitteln aus Ostblockstaaten benachteiligt würden?
Richtig!
Nachdem der Kollege, der vorhin zu diesem Thema eine Frage gestellt hat, darauf hingewiesen hat, daß die deutsche Stickstoffindustrie nicht ausgelastet sei, glaube ich, daß schon die Verhältnisse am Markt dagegen sprechen, wettbewerbshindernde Maßnahmen zu treffen. Sie wissen, wenn ein Werk nicht ausgelastet ist, hütet es sich vor solchen Maßnahmen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 24 des Herrn Abgeordneten Gallus auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, damit es trotz der marktbeherrschenden Stellung der Stickstoffindustrie, auf dem Stickstoffdüngemittelmarkt wieder zu einem echten Wettbewerb kommen kann?
Herr Kollege Gallus, ich habe, wie ich schon am Anfang gesagt habe, dadurch, daß sich Fragen überschneiden, Ihre Frage teilweise schon bei der Frage nach den Importen aus den Staatshandelsländern beantwortet. Ich kann dem aber noch hinzufügen, daß das Bundeswirtschaftsministerium in einem Brief an das Bundeskartellamt dieses generell gebeten hat, in Fällen von Oligopolen — um ein solches handelt es sich hier — auf Grund des § 22 Abs. 2 des Kartellgesetzes abgestimmtes Verhalten zu überprüfen. Das Bundeskartellamt ist dabei, diesen speziellen Fall zu überprüfen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gallus.
Herr Staatssekretär, auch die Frage, die ich jetzt stelle, ist zum Teil schon angesprochen worden. Ich frage Sie, welchen Standpunkt die Bundesregierung zu der Wohlverhaltensprämie einnimmt, die die Stickstoffindustrie in ihrer Rabattliste dem Großhandel angeboten hat, wenn er nicht importiert.
Entschuldigen Sie, darf ich das noch einmal hören. Sie sagen, die Stickstoffindustrie hat dem Großhandel eine Wohlverhaltensprämie
von 5 % angeboten, wenn er Importe ausschließt? Gallus : Ja.
Hier kann ich Ihnen nur für diese Information danken und Sie bitten, mir das zu geben, damit wir dem nachgehen können. Mir ist das nicht bekannt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind der Bundesregierung Fälle bekannt, daß Düngemittel importiert werden, die Preisvorteile aber nicht bis zum Verbraucher durchschlagen, weil der Dünger lose bezogen, abgepackt und als deutsche Ware weiterverkauft wird?
Das muß ich prüfen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Importe aus den Staatshandelsländern bei Stickstoff bestenfalls 5 % betragen und diese 5% kaum einen preisdämpfenden Einfluß auf unseren Markt haben, zumal auch noch die Vermutung besteht, daß die bestehenden Stickstoffvereinigungen diese Stickstoffmengen aus den Staatshandelsländern aufkaufen, damit keine preisdämpfende Wirkung auf dem Markt erzielt wird?
Herr Kollege, ich muß Ihnen zustimmen, daß das ein verhältnismäßig schwacher Anteil ist. Wir sehen ja auch die Hauptmöglichkeit in dem Vorgehen der Prüfung durch das Kartellamt. Des weiteren haben wir die Preisstellen der Länder gebeten, uns einen ständigen Bericht über diese Preise zu geben.
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Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in Gebieten, die langjährig eine erheblich über dem Durchschnitt liegende Arbeitslosenquote, besondere wirtschaftliche Strukturschwächen und dadurch keine Überhitzung der Wirtschaftskonjunktur aufweisen, durch eine gezielte Lockerung der Haushaltssperren sicherzustellen, daß die dringend erforderlichen strukturfördernden Maßnahmen weitergeführt werden können?
Herr Kollege Dr. Fuchs, wie ich bereits am 8. Juni 1971 Ihrem Kollegen Herrn von Thadden geantwortet habe, ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen zwar der Ansicht, daß im Hinblick auf verschiedene Belastungen in verschiedenen Gebieten diese Kürzungen flexibel gehandhabt werden müssen; aber ich mache noch einmal darauf aufmerksam, daß Ausnahmen in einem Stabilitätsprogramm sehr leicht zu anderen Ausnahmen führen und daß man hier sehr begrenzt und nur nach genauer Prüfung mit dem jeweiligen Land vorgehen wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, wie läßt sich Ihrer Auffassung nach dieses Ihr Verhalten damit vereinbaren, daß die Bundesregierung der regionalen Strukturpolitik in der Regierungserklärung eine besondere Priorität eingeräumt hat?
Herr Kollege, das läßt sich damit vereinbaren, daß man zu gewissen Zeiten eben nur machen kann, was man kann. Wenn man die Stabilität als erstes auf die Fahne geschrieben hat, dann kann man nicht an allen Ecken und Enden die Stabilitätsmaßnahmen durchlöchern. Ich wiederhole aber nochmals, es gibt die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit den Ländern solche Fälle, wo eine schroffe Benachteiligung eines Gebietes durch die allgemeine Kürzung entstehen würde, noch einmal nachzuprüfen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie also meine Befürchtung nicht, daß in den strukturmäßig besonders gefährdeten Gebieten durch eine solche Restriktion der Haushaltsmittel die Gefahr einer Rezession entsteht?
Herr Kollege, wir können, wenn in einer Industrie oder in einem Gebiet einmal eine Abkühlung erfolgt, nicht von einer allgemeinen Rezession sprechen. Da wird auch oft mit irreführenden Zahlen operiert. Zum Beispiel spricht man davon, daß sich die Arbeitslosigkeit um 20 % erhöht habe. In
Wirklichkeit kenne ich Gebiete, die schon immer strukturell schwach waren, die eine Arbeitslosigkeit von 2,4 % hatten, die sich jetzt durch die zurückhaltenden Maßnahmen im Baugewerbe auf 2,8% erhöht hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob die Bayerische Staatsregierung an das Wirtschaftsministerium herangetreten ist, um eventuellen Massenentlassungen im Tiefbau beim Straßenbau in der nördlichen Oberpfalz entgegenzuwirken?
Herr Kollege, das ist mir bekannt. Es sind auch von anderen Ländern bereits solche Fälle an das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen herangetragen worden. Das wird mit den Ländern geprüft werden. Nur mache ich darauf aufmerksam, daß es äußerst schwierig ist, für Teilbereiche der Wirtschaft Ausnahmegenehmigungen zu gewähren, denn Sie wissen ja, daß der Tiefbau gegenwärtig in vielen Orten in Schwierigkeiten ist, der Hochbau nicht.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Jobst.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß das Ziel, für die Bevölkerung im Zonenrandgebiet und in strukturschwachen Gebieten Lebensbedingungen zu schaffen, die den übrigen im Bundesgebiet in etwa gleich sind, nur dann erreicht werden kann, wenn die Förderung uneingeschränkt fortgesetzt und auch nicht durch konjunkturpolitische Entscheidungen unterbrochen oder eingeschränkt wird?
Langfristig gesehen stimme ich Ihnen zu, aber kurzfristig gesehen können wir auch die Fördergebiete von den konjunkturpolitischen Notwendigkeiten nicht ganz ausschalten.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung bereit ist, in konkreten Einzelfällen Ausnahmen zu machen, wenn Baumaßnahmen, die beispielsweise dem Hochwasserschutz in akut gefährdeten Gebieten z. B. in Gebieten des Alpenraums, dienen, wegen der Kürzung der Mittel unterbrochen werden müßten?
Nach den sehr vorsichtigen Äußerungen, Herr
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Parlamentarischer Staatssekretär RosenthalKollege, die ich gemacht habe — es wäre einfacher gewesen, weniger vorsichtig zu antworten —, kann ich sagen, daß es selbstverständlich in den Fällen, in denen sich die Länder und die Bundesregierung einig sind, immer Ausnahmen geben wird. Nur wird bei der Auswahl dieser Ausnahmen schärfstens vorgegangen werden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Dr. Fuchs auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten des Baugewerbes, insbesondere des Tiefbaus, in diesen Gebieten, wenn keine differenzierte Handhabung der Haushaltssperren eintritt?
Frau Präsidentin, ich müßte bei Beantwortung der Frage das wiederholen, was ich schon gesagt habe. Ich schlage vor, daß ich Zusatzfragen beantworte.
Der Fragesteller ist einverstanden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Fuchs.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im ostbayerischen Zonenrandgebiet die Beschäftigungslage vor allem bei den Tiefbaufirmen außerordentlich schlecht ist und daß angesichts der Tatsache, daß die Bauindustrie in den strukturschwachen Gebieten eine Schlüsselposition hat, zumindest in diesen Gebieten mit einer allgemeinen Rezession zu rechnen ist?
Das ist mir bekannt, und ich habe das eben bereits in der Richtung beantwortet. Nur habe ich das Wort Rezession hinsichtlich der strukturschwachen Gebiete vermieden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Ihnen das bekannt ist, frage ich Sie: Sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach dann nicht alles unternehmen, um eine solche Entwicklung zu verhindern?
Herr Kollege, für die Bundesregierung ist das vordringlichste Ziel die Stabilität, und das verlangt auch Ihre Fraktion. Wir können nicht zwei Ziele gleichwertig anstreben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jobst.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß die Frage der Stabilität, gerade was die unterstrukturierten Gebiete anbelangt, differenziert betrachtet und beantwortet werden muß, daß es also vor allem entscheidend ist, dort nicht in eine Rezession hineinzugeraten, weil feststeht, daß sich die Rezession dort eher bemerkbar macht und die Talsohle länger anhält?
Ich stimme mit Ihnen völlig überein, daß die Anfälligkeit bei den schwächer strukturierten Gebieten größer ist und daß man sowohl mit dem Nichtdurchgreifen nicht zu lange warten darf als auch mit dem Helfen schneller bei der Hand sein muß.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, da Herr Dr. Jobst bereits von Rezession in diesem Gebiet spricht, diese Aussage aber der Meinung der Bayerischen Staatsregierung widerspricht, frage ich Sie: Teilen Sie diese Meinung?
Herr Kollege, ich habe soeben das Wort Rezession zurückgewiesen; denn wir dürfen nicht anfagen, gleich von Rezession zu sprechen, wenn es in irgendeinem Ort einem Unternehmen oder einer Branche einmal nicht ganz gut geht.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Meister auf. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten von Bockelberg auf:
Ist es zutreffend, daß das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft beträchtliche Summen der nach dem Gesetz über Maßnahmen zur Sicherung der Altölbeseitigung vom 23. Dezember 1968 erhobenen Ausgleichsabgabe mangels Abforderung von Regenerationszuschüssen oder Vernichtungsbeihilfen hortet und in Wertpapieren anlegt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege von Bockelberg, die Antwort ist negativ. Die Einnahmeüberschüsse haben sich ganz überwiegend im Jahre 1969, dem Jahr des Inkrafttretens des Altölgesetzes, ergeben. Das ist auch dem Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages bekannt.
Im Jahre 1970 waren die Überschüsse wesentlich geringer. Im Verlaufe des ersten Halbjahres 1971 ergibt sich praktisch bereits ein Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben.
Soweit nötig, sind die Überschüsse sofort verfügbar; soweit vertretbar, sind sie als Festgelder mit Kündigungsfristen von drei bis neun Monaten angelegt.
Keine Zusatzfragen.
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7546 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten von Bockelberg auf:Treffen in der Presse veröffentlichte Ermittlungen eines Forschungsinstitutes zu, wonach etwa 16 % der Motorenölwechsel nicht an Tankstellen oder in Kraftfahrzeugwerkstätten, sondern auf Höfen oder in Privatgaragen vorgenommen werden, so daß mit einer Wasserverschmutzung durch erhebliche Altölmengen weiterhin gerechnet werden muß?
Herr Kollege, die von Ihnen zitierten 16% sind in dieser Untersuchung ermittelt worden. Sie beziehen sich aber nicht auf Altölmengen, die bei Motorenölwechsel auf Hinterhöfen oder in Privatgaragen anfallen, sondern das ist die unbekannte Restmenge von 90 000 t. Der Hauptbestandteil davon sind aber Emulsionen der Industrie, die noch in die Abwässer fließen. Was Sie mit „Hinterhöfen" meinen, das ist der Altölanfall beim Motorenwechsel von landwirtschaftlichen Maschinen, Baumaschinen und Pkws, der nur mit 3 % angegeben wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Rosenthal, hat die Bundesregierung die Möglichkeit und die Absicht, den Motorenölverkauf sowie den Ölwechsel im Interesse des Umweltschutzes auf Tankstellen und Kraftfahrzeugwerkstätten zu beschränken?
Herr Kollege, diese Frage liegt abseits der Grundfrage. Ich will das aber gern nachprüfen und Ihnen die Frage schriftlich beantworten.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Marquardt auf:
Mit welcher Mehrbelastung relativ und absolut in DM bzw. DM/ha LN — muß die deutsche Landwirtschaft auf Grund der von der chemischen Industrie angekündigten Preiserhöhung und der Änderung der Verkaufs- und Lieferbedingungen für stickstoffhaltige Düngemittel im Vergleich zum Vorjahr rechnen?
Herr Kollege Marquardt, wie sich die Verbraucherpreise und damit die Mehrbelastung für die deutsche Landwirtschaft im laufenden Düngemitteljahr gestalten werden, läßt sich noch nicht ganz übersehen, da hierfür verschiedene Faktoren, u. a. auch die Wettbewerbslage auf der Handelsstufe und das Kaufverhalten der Verbraucher, ausschlaggebend sind. Zur Zeit überprüft das Bundeskartellamt, ob das von den Herstellern neu eingeführte Preissystem, das für Warenbestellungen nach bestimmten Terminen Preiszuschläge vorsieht, mißbräuchlich ist. In Gesprächen mit dem interministeriellen Arbeitskreis für Preisgestaltung auf dem Düngemittelmarkt, der sich zusammensetzt aus Vertretern des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, des Bundeskartellamtes und des für die Arbeiten dieses Kreises federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen, haben die Hersteller zugesagt, ihre Rabattpolitik des vergangenen Jahres gegenüber Genossenschaften und dem Handel nicht zu verändern. Mit Schreiben vom 18. Juni 1971 hat der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen die Preisdienststellen der Länder gebeten, ihm über die Entwicklung der Verbraucherpreise für Kalkammonsalpeter von August 1971 bis zum März 1972 monatlich zu berichten. Außerdem hat das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in letzter Zeit durch verschiedene Veröffentlichungen der Landwirtschaft empfohlen, kostenbewußter zu düngen.
Herr Kollege Marquardt, nachdem aber so viele intensive Fragen zu diesem Thema der verschiedenen Düngemittel und ihrer Auswirkungen gestellt worden sind und da dies auch für die Landwirtschaft ein entscheidender Faktor ist, erlaube ich mir den Vorschlag, einmal eine Kleine Anfrage zu diesem Thema einzubringen, die wir dann gern systematisch beantworten würden.
Eine Zusatzfrage.
Schönen Dank für Ihren Rat, Herr Staatssekretär. Aber können Sie in Abrede stellen, daß die neuen Verkaufs- und Lieferbedingungen so undurchsichtig sind, daß beim Handel und bei den Genossenschaften keine Kalkulation für den Endverbraucher möglich ist?
Die Listenpreise für die stickstoffhaltigen Düngemittel Kalkammonsalpeter, Mehrnährstoffdünger, Ammonsulfatsalpeter und Harnstoffe sind im Düngemitteljahr um zwischen 3,5 und 6,5% erhöht worden. Ich gebe Ihnen allerdings zu, daß sich die Preissteigerung beim Mehrnährstoffdünger, die bereits am 1. Januar stattgefunden hat, auf 11,5 bis 13,5% beläuft. Das Problem besteht vielleicht weniger in der Undurchsichtigkeit als vielmehr in den Preisen als solchen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie in der Lage, dem Haus zu erklären, was „kostenbewußter zu düngen" heißt, und wenn ja, warum die Landwirtschaft das nicht schon früher getan hat?
Herr Kollege, das ist genau das, was die Landwirtschaft tatsächlich tut. Ich habe mich inzwischen informiert, daß die Preise der Düngemittel, die nicht alles enthalten, nicht so angestiegen sind und deshalb die Landwirtschaft auf den etwas unbequemeren Weg, Düngemittel zu kaufen, in denen nicht alles enthalten ist, übergeht und damit schon von sich aus einen gewissen Druck auf die Hersteller ausübt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7547
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, nachdem mein Kollege diese Frage schon gestellt hat, möchte ich Sie fragen, ob Sie die Möglichkeit haben, auf das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung dahin einzuwirken, daß es den Begriff „kostenbewußtes Düngen" so interpretiert, daß man ihn draußen versteht.
Herr Kollege, ich will Ihre Anregung gern weitergeben.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung schon einmal die in einem Schreiben des niedersächsischen Landwirtschaftsministers enthaltenen Angaben geprüft, nach denen durch die Verteuerung des Stickstoffs eine Mehrbelastung für die deutsche Landwirtschaft von zirka 20 bis 30 DM pro Hektar auftreten könnte?
Herr Kollege Löffler, ich habe mich, wie Sie sehen, mit der Frage der Düngemittel intensiv beschäftigt. Zu Fragen aber, die völlig außerhalb der ursprünglichen Frage stehen, kann ich Ihnen nur zusagen, daß ich sie untersuchen und schriftlich beantworten werde.
Frage 31 des Abgeordneten Schonhofen:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß — unabhängig vom Ausgang des vom Bundeskartellamt aus aktuellem Anlaß eingeleiteten Verfahrens — die durch ein offensichtliches Fehlen von Wettbewerb gekennzeichnete Marktlage bei stickstoffhaltigen Düngemitteln in der Bundesrepublik Deutschland noch das Fortbestehen eines Syndikats rechtfertigt?
Herr Kollege Schonhofen, es gibt zwar kein Syndikat, denn das Ruhrsyndikat, auf das Sie anspielen, hat meines Wissens nur etwa 30 % Anteil; wohl aber gibt es ein sehr enges Oligopol.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie würden Sie die Überlegungen beurteilen, die im Deutschen Bauernverband und auch bei bäuerlichen Genossenschaften zur Zeit angestellt werden, von sich aus ein eigenes Syndikat einzurichten, um den Stickstoff in eigener Regie aus idem billigeren Ausland einzuführen, und könnten solche Überlegungen von der Bundesregierung unterstützt werden?
Herr Kollege, ich muß mich hüten, hier in MarketingÜberlegungen einzelner Gruppen einzugreifen.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Saxowski 'auf:
Teilt die Bundesregierung die verschiedentlich in der Presse geäußerte Ansicht, daß die Marktlage bei stickstoffhaltigen Düngemitteln und das Marktverhalten der Industrie den Verdacht wettbewerbsbeschränkender Absprachen der wichtigsten Herstellergruppen in Westeuropa nahelegen?
Herr Kollege, darf ich die Gegenfrage stellen, welcher Teil Ihrer Frage in den bisherigen Antworten noch nicht beantwortet ist.
Die Frage ist berechtigt.
Wir haben in der Bundesrepublik, soweit ich orientiert bin, drei Stickstoffdüngemittelgruppen. Trifft es zu, daß sich die Preisgestaltung dieser drei Gruppen immer nach dem Schwächsten ausrichtet und man daher von einem Wettbewerb nicht sprechen kann?
Sie meinen, die Preisgestaltung richtet sich nach dem Schwächsten der drei Gruppen der Verkäufer.
— Ich glaube doch wohl eher, Herr Kollege, daß es, da es nur drei große Gruppen sind, praktisch keinen „Schwächsten" gibt und daß 'der einzige Weg wohl der ist, nach dem § 22 Kartellgesetz zu untersuchen, ob nicht ein Mißbrauch besteht. Denn soviel ich weiß — berichtigen Sie mich gegebenenfalls —, können auch die BASF und Höchst — das sind, glaube ich, die zwei anderen Hersteller — nicht als Schwache eingereiht werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich habe ja nicht 'den Schwächsten bezeichnet, aber es gibt einen Schwächsten in der Gruppe; ob 'das BASF oder Höchst oder die Ruhrstickstoff ist, darüber können wir uns persönlich unterhalten. — Aber: Besteht nicht die Möglichkeit, daß man sich nach dem schwächsten Produzenten ausrichtet und dadurch bedingt, von einem Wettbewerb auf diesem Sektor nicht gesprochen werden kann? Diese Gefahr besteht, ich frage ,deshalb bewußt danach.
Herr Kollege, wenn es einen „Schwächsten" oder, sagen wir einmal, „Schwachen" gäbe, würden die Preise mehr sinken. Ich glaube eher, daß es angemessen ist, davon zu reden, daß wir hier ein sehr gewichtiges Oligopol haben und daß wirklich eine Prüfung durch das Bundeskartellamt angebracht ist.
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7548 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Herr Kollege, Sie hätten noch eine Frage; denn die erste dürfen wir nicht zählen. Aber jetzt ist erst der Kollege Löffler dran
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie das Verhalten und die Wirksamkeit einer gewissen Züricher Firma, der acht bis zehn Stickstoffherstellergruppen in Westeuropa angeschlossen sind und die dafür sorgt, daß bestimmte Überschüsse vom westeuropäischen Markt verschwinden, um die Preise in ganz Westeuropa hochhalten zu können?
Herr Kollege Löffler, ich muß Sie bitten, diese Frage neu zu stellen. Denn dieser Punkt ist in keiner der bisherigen Fragen angeschnitten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Vogt.
Herr Staatssekretär, denkt denn die Bundesregierung tatsächlich daran, das Bundeskartellamt anzuweisen, das Marktverhalten der betroffenen Unternehmen zu kontrollieren und zu erforschen?
Herr Kollege, die Bundesregierung kann das Bundeskartellamt nicht in einer spezifischen Sache anweisen. Aber die Bundesregierung hat das Bundeskartellamt generell gebeten — und das kommt einer Aufforderung gleich —, nach dem § 22 enge Oligopole so zu prüfen. Es ist mir bekannt, daß dieser Fall vom Bundeskartellamt tatsächlich aufgenommen worden ist.
Keine Zusatzfragen. — Dann rufe ich die Frage 33 des Herrn Abgeordneten van Delden auf:
Hält die Bundesregierung die Ausnahmebereichsbestimmung des § 102 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch für das Gebiet der Preisfestsetzung der Feuerversicherer, die ohne Mitwirkung der Fachaufsicht erfolgt, für geeignet und ausreichend, den Grundsätzen der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs Rechnung zu tragen sowie die versicherungsnehmende Wirtschaft vor unangemessenen Prämienforderungen der Feuerversicherer zu schützen, zumal sich die Versicherer bei den Prämienerhöhungen auf die Rückversicherer — die sie ja im wesentlichen selbst sind — berufen?
Herr Kollege van Delden, die Ausnahmebestimmung des § 102 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen stellt Prämienkartelle und -empfehlungen der Feuerversicherer vom Kartellverbot frei, sieht aber zugleich eine Mißbrauchsaufsicht über solche Kartelle und Empfehlungen vor. Gegenwärtig prüft das Bundeskartellamt gemeinsam mit dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen, ob die letzten Prämienerhöhungen der Feuerversicherer mißbräuchlich sind. Der Ausgang dieser Prüfung muß abgewartet werden. Die Feuerversicherer berufen sich u. a. auf die stark angestiegenen Schäden.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Prämienerhöhungen von 300 bis 500 %, in der Spitze bis 700 °/o, zur Debatte stehen, was zum Teil damit begründet wird, daß die sogenannten Großschäden, die der Prämienberechnung bisher insgesamt zugrunde lagen, jetzt auf die einzelnen Branchen verteilt werden, und daß dadurch manche Branchen nunmehr bis zu 2 % vom Umsatz an Feuerversicherungsprämie zu zahlen haben, wenn das durchkommt?
Herr Kollege, das will ich nachprüfen.
Zweite Zusatz, frage.
ist die Bundesregierung bereit, falls die Frage 39 von Ihrem Kollegen Hermsdorf, was ich vermute, abschlägig beschieden wird — dazu kenne ich ihn zu genau unter Umständen das Vorhaben einzelner Branchen in der Wirtschaft, eine Feuerversicherung auf Gegenseitigkeit einzurichten, zu unterstützen?
Herr Kollege, ich kann nicht vorwegnehmen, was mein Kollege Hermsdorf noch nicht gesagt hat. Die Bundesregierung ist aber generell der Ansicht, daß eine Eingrenzung dieser Ausnahmebestimmungen des Gesetzes bei den Feuerversichern erwünscht wäre. Im ursprünglichen Referentenentwurf der Kartellnovelle hatten solche Überlegungen auch ihren Niederschlag gefunden. Sie wissen, daß man dies und anderes herausgelassen hat, weil man mit den wichtigsten und dringlichsten Dingen, nämlich Fusionskontrolle, Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und Kooperationserleichterungen, durchkommen wollte. Aber die grundsätzliche Einstellung der Bundesregierung zu dieser Frage mögen Sie aus dem Referentenentwurf ersehen.
Keine Zusatzfrage.Damit ist Ihr Teil der Fragen, Herr Staatssekretär Rosenthal, aus dem gemeinsamen Ressort erledigt. Ich danke Ihnen.Jetzt kommt der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hermsdorf.Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Pohle auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7549
Vizepräsident Frau FunckeDie Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 35 des Herrn Abgeordneten Dr. Pohle.Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß durch die Preissteigerungen bei landwirtschaftlichen Betriebsmitteln sich für die landwirtschaftlichen Unternehmen die pauschalierte Vorsteuer im Rahmen des Mehrwertsteuersystems erhöht hat und daß hierdurch der Landwirtschaft ein bisher vorhandener Besitzstand auf steuerlichem Gebiet geschmälert wird?
Frau Präsidentin, darf ich beide Fragen im Zusammenhang beantworten, weil sie unmittelbar zusammengehören?
Gut, ich rufe dann die Frage 37 mit auf:
Ist die Bundesregierung bereit, initiativ zu werden, uni den vor den Preiserhöhungen bei Betriebsmitteln vorhandenen Zustand wiederherzustellen?
Die in § 24 des Umsatzsteuergesetzes festgesetzten Durchschnittssätze für land- und forstwirtschaftliche Betriebe dienen der steuertechnischen Vereinfachung. Sie sollen der tatsächlichen durchschnittlichen Vorbelastung dieser Betriebe an Umsatzsteuer entsprechen. Materielle Vorteile sollen mit ihnen nicht verbunden sein. Ergeben sich im Einzelfall Härten, wie es bei einer Pauschalregelung
nicht zu vermeiden ist, so besteht für den betreffenden Unternehmer die Möglichkeit, auf die Durchschnittsbesteuerung zu verzichten und sich der Regelbesteuerung zu unterwerfen. Preissteigerungen bei den Betriebsmitteln oder ein Absinken der Erlöse sind Gründe, welche die jetzige Höhe der Durchschnittssätze in Frage stellen können. Indessen rechtfertigt ein nur vorübergehendes Ansteigen der umsatzsteuerlichen Vorbelastung ebensowenig eine Anhebung dieser Sätze wie eine nur vorübergehende Erlössteigerung eine entsprechende Senkung.
Die Bundesregierung verfolgt durch fortlaufende Untersuchungen bei geeigneten Betrieben und durch Auswertung der Ergebnisse des Grünen Berichts die langfristige Entwicklung der Vorbelastungen. Bisher hat sich noch nicht die Notwendigkeit ergeben, die Durchschnittssätze anzuheben. Das liegt u. a. daran, daß der Gesetzgeber die Durchschnittssätze bei der Einführung der Mehrwertsteuer relativ günstig festgesetzt hat, um ihnen eine längerfristige Gültigkeit zu geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär Hermsdorf, würden Sie immerhin einräumen, daß durch die Verteuerung auf dem Betriebsmittelsektor inzwischen doch eine Vorbelastung und damit eine zusätzliche Belastung für die Landwirtschaft entstanden ist? Sie liegt heute bei 5,6%. Würden Sie die Auffassung teilen, daß dies für die Landwirtschaft immerhin eine Verschlechterung in einer Größenordnung von 140 Millionen DM beinhaltet?
Ich räume ein, daß durch die Steigerung der Betriebsmittelkosten eine größere Vorbelastung entstanden ist. Ich würde es aber nicht ausschließlich auf diesen Steuersatz beziehen, wenn sich das Kostengefüge dort anders darstellt, sondern man muß auch sehen, daß die Bundesregierung außer diesen steuerlichen Maßnahmen eine Reihe von anderen Maßnahmen im Einzelplan 10 verfolgt hat, um diese Nachteile der Landwirtschaft aufzufangen. Ich halte es im Augenblick nicht für richtig, hier die Sätze zu ändern.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie also nicht die Chance sehen, ein Gesetz zu ändern, wären Sie dann wenigstens bereit, zu erwägen, konkret entstehende Belastungen aus dieser steuerlichen Vorbelastung der Landwirtschaft in anderer Form auszugleichen?
Herr Kollege Ritz, die Probleme der Landwirtschaft halten die Regierung dauernd in Atem. Wir sind am laufenden Band dabei, zu überlegen, was geschehen kann.
Eine weitere Zusatzfrage? Sie hätten noch zwei. — Herr Abgeordneter Dr. Früh!
Herr Staatssekretär, könnte man, da die Probleme der Landwirtschaft diese Regierung dauernd in Atem halten, etwa zu dem Eindruck kommen, daß sie über diesen Problemen außer Atem kommen wird?
Diesen Eindruck kann man nur haben, wenn man kurzsichtig ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmude auf:
In welchem Umfang decken die Einnahmen aus Kraftfahrzeug-
und Mineralölsteuer in der Bundesrepublik Deutschland die
Aufwendungen für den Straßenbau und die dazugehörigen Verkehrsanlagen?
Erstens. Die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für den Straßenbau und die dazugehörigen Anlagen betrugen im Jahre 1965 7,4 Milliarden DM, im Jahre 1970 11,1 Milliarden DM. Hierbei sind die Ausgaben für den Straßenbau im Jahre 1970
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7550 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Hermsdorfnach Teilergebnissen geschätzt. Allerdings sind die Ausgaben für den Straßenbau nur ein Teil der gesamten Ausgaben der öffentlichen Hand für den Straßenverkehr. Hinzu treten die Ausgaben für Instandsetzung und Unterhaltung der Straßen sowie für die Regelung des Verkehrs.Zweitens. Das Aufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer und der Mineralölsteuer auf Treibstoff betrug zusammen im Jahre 1965 9,4 Milliarden DM, im .Jahre 1970 14,4 Milliarden DM.Drittens. Nach dem Haushaltsgrundsätzegesetz sind die Kraftfahrzeugsteuer und auch die Mineralölsteuer als Teil der allgemeinen Deckungsmittel der öffentlichen Haushalte zu betrachten, mit Ausnahme der nach dem Straßenbaufinanzierungsgesetz vom 28. März 1960 in der Fassung des Gesetzes über die Umstellung der Abgaben auf Mineralöl vom 20. Dezember 1963 und mit Ausnahme der nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz vom 18. März 1971 zweckgebundenen Mittel. Grundsätzlich ist daher eine spezielle Zuordnung der direkten und indirekten Abgabelasten des Straßenverkehrs zu den Ausgaben des Straßenbaus nicht zulässig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Zusatzfrage!
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, daß in Ihrer Kostenübersicht auch diejenigen Aufwendungen enthalten sind, die für innerstädtische Fahrbahnen und dem Kraftfahrzeugverkehr dienende Verkehrsanlagen angefallen sind?
Dies habe ich so deutlich nicht zum Ausdruck gebracht.
— Das kann ich im Augenblick nicht einmal genau feststellen. Ich würde Sie bitten, damit einverstanden zu sein, daß ich diese Frage noch schriftlich beantworte.
Zweite Zusatzfrage!
Verstehe ich Ihre Antwort richtig, Herr Staatssekretär, wenn ich sage, daß es demnach falsch wäre, davon zu sprechen — wie es zuweilen geschieht , daß der Kraftfahrzeugverkehr die öffentlichen Straßen ganz oder teilweise zum Nulltarif benutzt?
Das ist sicher nicht richtig. Aber ich kann eine klare Antwort auf diese Frage erst geben, wenn ich überprüft habe, ob Ihre Annahme in der Zusatzfrage richtig ist oder nicht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten van Delden auf:
Wäre die Bundesregierung angesichts der für die Wirtschaft unbefriedigenden und teilweise untragbaren Prämiensituation in der privaten Feuerversicherung bereit, Bestrebungen der Wirtschaft, das Feuerrisiko im Wege eigener Rückstellungen abzudecken, durch steuerliche Begünstigung dieser Rückstellungen zu ermöglichen?
Herr van Delden, Sie haben meine Antwort schon vorweggenommen. Aber ich bin trotzdem bereit, noch einmal zu sagen, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, hier etwas zu ändern.
Nach dem geltenden Recht ist die Bildung von Rückstellungen für Feuerrisiko nicht zulässig. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die gegenwärtige Prämiensituation in der privaten Feuerversicherung keine steuerrechtliche Vergünstigung durch Zulassung systemwidriger und das Steuerrecht erschwerender Rückstellungen für Feuerrisiken rechtfertigt.
Eine Zusatzfrage.
Würden Sie damit, Herr Kollege Hermsdorf, meiner Feststellung zustimmen, daß Sie sich mit der Bemerkung über die Angemessenheit der Prämien — um es extrem zu sagen — im Widerspruch zu den Ausführungen Ihres Herrn Kollegen Rosenthal befinden? Sie beide sind ja gleichsam unter einem Hut.
Ich würde nicht so weit gehen wollen wie Sie in Ihrer Feststellung. Aber Sie sehen auch hier genau den Zielkonflikt zwischen Stabilität und Wachstum.
Zweite Zusatzfrage.
Würden Sie, Herr Staatssekretär, dann bereit sein, mir den Unterschied von Rückstellungen für ungewisse Risiken, z. B. für faule Kunden, und von Rückstellungen für das Risiko des Feuers erklären, das einmal eintreten kann?
Ich würde den Unterschied nicht erklären wollen, sondern sagen: Beides ist ein Risiko.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Sussetauf:Was hat die Bundesregierung bewogen, eine Sonderkommission zu bilden, die dem Kabinett bis zum 1. Oktober 1971 Vorschläge über den Abbau von Steuervergünstigungen für die Landwirtschaft vorlegen soll?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7551
Herr Abgeordneter Susset, die Beauftragung eines besonderen Kabinettsausschusses ist wegen der großen Bedeutung erfolgt, die einer sachgemäßen Durchforstung aller steuerlichen Subventionen zukommt. Wie sich aus dem Beschluß der Bundesregierung vom 11. Juni ergibt, der u. a. in Nr. 89 des Bulletins der Bundesregierung veröffentlicht wurde, ist entgegen Ihrer Ansicht an eine alleinige oder vornehmliche Überprüfung der Steuervergünstigung für ,die Landwirtschaft nicht gedacht.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, geben Sie zu, daß sich die derzeitige Einkommenslage der Landwirtschaft durch einen Wegfall von Steuervergünstigungen auf die Ertragslage der Betriebe noch negativer auswirken würde, als dies bei dem momentanen Stand der gestiegenen Produktionsmittelpreise ohnehin der Fall ist?
Ich habe Ihnen eben erklärt, daß an eine Streichung der Steuervergünstigung für die Landwirtschaft nicht gedacht ist. Ich sehe deshalb keine Logik in der Frage, wenn ich vorhin diese Feststellung getroffen habe; Sie fragten ja, ob ich zugebe.
Eine zweite Zusatzfrage.
Dann treffen also nach Ihren Ausführungen Pressemeldungen nicht zu, wonach der Herr Bundeswirtschafts- und -finanzminister diese Steuervorteile für die Landwirtschaft abbauen will.
Diese Pressemitteilungen treffen nach meiner Information nicht zu. Die Bundesregierung hat einen Kabinettsausschuß gebildet, um alle Steuervergünstigungen zu überprüfen. Es ist in gar keiner Weise eine Richtung angegeben und gesagt worden, daß ein bestimmter Sektor dort herausgenommen bzw. besonders hervorgehoben werden soll.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Susset auf:
Läßt der Ausschluß des Bundesernährungsministers darauf schließen, daß zwischen dem Bundeswirtschafts- und -finanzminister und dem Bundesernahrungsminister gravierende Meinungsverschiedenheiten über die künftige steuerliche Behandlung der Landwirtschaft bestehen?
Wie aus der Beantwortung der ersten Frage hervorgeht, sind die Vorschläge für den Abbau von Steuervergünstigungen nicht auf die Landwirtschaft bezogen. Es kann daher aus der Zusammensetzung des Kabinettsausschusses auch nicht geschlossen werden, daß zwischen dem Bundesminister für
Wirtschaft und Finanzen und dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gravierende Meinungsverschiedenheiten über die künftige steuerliche Behandlung der Landwirtschaft bestehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich muß mich nochmals auf Pressemeldungen beziehen. In den Meldungen verschiedener Pressedienste kommt zum Ausdruck, daß der Herr Wirtschafts- und Finanzminister für eine Abschaffung des GDL und der Steuervergünstigungen für die Landwirtschaft eintritt, während der Herr Ernährungsminister der Meinung ist, daß eine ersatzlose Streichung nicht möglich ist. Ich glaube, solche Pressemeldungen können doch nicht einfach aus der hohlen Hand gesogen werden.
Herr Kollege, auch aus meiner kurzen Erfahrung als Parlamentarischer Staatssekretär kann ich sagen, daß Pressemeldungen häufig nicht dem entsprechen, was im Kabinett besprochen worden ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es gerade um der sachkundigen Behandlung dieser Probleme willen dringend geboten wäre, den Fachminister bei der Behandlung landwirtschaftlicher Steuerprobleme in diesen Ausschuß mit einzubeziehen?
Herr Kollege Ritz, dieser Kabinettsausschuß ist nicht nach Fachressorts zusammengesetzt worden. Man hat vielmehr einfach gesagt: Es soll ein kleiner Kreis — meinetwegen von Staatssekretären sein, der sozusagen den Versuch macht, alles durchzuforsten. Dieser Ausschuß ist auch nach Gesichtspunkten der Beschäftigungslage, aber nicht nach Gesichtspunkten der Fachressorts zusammengesetzt worden.
Eine Frage des
Herrn Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, es ist unbestritten, daß auf dem Gebiet der Steuervergünstigungen auch die Landwirtschaft betroffen ist. Würden Sie es nicht doch für sinnvoll halten, auch den Ernährungsminister an der Arbeit in diesem Ausschuß zu beteiligen, wenn er sich aus Gründen der Arbeitsrationalisierung dazu bereit fände? Ich möchte eine weitere Frage anfügen. Liegt der Schwerpunkt bei Ihren Ausführungen, daß es zwischen dem Bundesernährungsministerium und dem Bundeswirtschafts- und Finanzministerium keine gravierenden Meinungsverschiedenheiten gebe, auf dem Wort „gravierend" oder auf dem Wort „Meinungsverschiedenheiten"?
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Der Schwerpunkt ist nur im ganzen zu sehen. Es ist durchaus möglich, daß es bei der Erörterung dieser Subventionsliste differenzierte Auffassungen geben kann. Es ist aber keinesfalls so, daß man hier von einer grundsätzlichen Meinungsverschiedenheit zwischen diesen beiden Ressorts sprechen könnte.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Antwort von vorhin bezüglich der Pressemeldungen ganz konkret, daß die Bundesregierung nicht die Absicht hat, die Besteuerung der Landwirte nach GDL in irgendeiner Form in Frage zu stellen?
Herr Abgeordneter, ich bin nicht bereit, dazu eine Aussage zu machen, bevor die Prüfung überhaupt begonnen hat. Ich kann schließlich das Ergebnis nicht vorwegnehmen und auch nicht sagen, wie es aussehen wird. Der Ausschuß ist bis zur Stunde noch gar nicht einmal zusammengetreten. Ich kann das Ergebnis der Arbeit also nicht vorwegnehmen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Susset.
Herr Staatssekretär, Sie sagen, daß der Ausschuß noch nicht zusammengetreten ist. Es erscheint mir um so notwendiger, daß der Sachverstand des Ernährungsministeriums hinzugezogen wird, wenn so grundlegende Gesetze bis zum 1. Oktober dieses Jahres hier beraten werden sollen.
Herr Kollege, dies war noch keine Frage. Dies war eine Feststellung, die der Herr Staatssekretär zur Kenntnis genommen hat.
Nein, das war eine Frage.
Nein! Sie müssen eine Frage stellen, die mit einem Fragezeichen aufhört.
Wann, glauben Sie, wird diese Kommission, die die ganze Arbeit bis zum 1. Oktober ohne den Ernährungsminister leisten soll, zu einem Ergebnis kommen?
Wenn Sie meine ganzen Antworten richtig verfolgt hätten, hätten Sie wahrscheinlich auch entdecken können, warum wir den Landwirtschaftsminister nicht hinzugezogen haben; denn ich hatte vorher eine Aussage zur Begünstigung der Landwirtschaft durch steuerliche Maßnahmen gemacht. Aber nachdem Sie dies überhört haben, stelle ich nochmals
fest: in dem Augenblick, wo ein bestimmtes Ressort von Maßnahmen betroffen würde, ist es in diesem Kabinett üblich, daß man auch den zuständigen Ressortminister hört und zuzieht.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Hermsdorf.
Damit der Parlamentarische Staatssekretär Logemann nicht vergeblich gekommen ist — wir haben noch drei Minuten , rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf, zunächst die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Solke:
Welche grundsätzlichen Vorstellungen hat die Bundesregierung fiber die künftige Gestaltung der EWG-Agrarpolitik in Anbetracht der währungsbedingten Schwierigkeiten auf dem Agrarsektor?
Bitte schön!
Herr Solke, um die besonderen Schwierigkeiten, die sich aus der stabilitätspolitisch gebotenen Freigabe der Wechselkurse für den Agrarmarkt ergeben, zu vermeiden, wurde am 12. Mai dieses Jahres in Brüssel ein Grenzausgleich beschlossen, der die deutsche Landwirtschaft vor währungspolitisch bedingten Einkommenseinbußen weitgehend abschirmt. Die Bundesregierung setzt sich mit allem Nachdruck dafür ein, daß die ergriffenen Maßnahmen durch eine wirksame konjunktur- und währungspolitische Kooperation aller EWG-Staaten ersetzt werden und damit die Funktionsfähigkeit der EWG-Agrarmarktpolitik gewährleistet wird. Im übrigen wird sich die Bundesregierung weiter bemühen, die Integration in anderen Bereichen, insbesondere bei der Wirtschafts- und Währungsunion, zu beschleunigen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie zu diesem Zeitpunkt die Frage besonders in Richtung des Grünen Dollars nicht zureichend beantworten können, kann ich dann damit rechnen, daß Sie bereit sind, mir nach der weiteren Prüfung dieses Sachverhalts das Ergebnis Ihrer Überlegungen schriftlich mitzuteilen?
Dazu wäre ich gern bereit, wenn sich neue Faktoren zeigten, die man als Aufhänger dafür benutzen könnte.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Lensing auf:Halt die Bundesregierung es für vertretbar, daß der mit der EWG-Verordnung Nr. 974 71 geregelte Grenzausgleich sich nur auf die preislich an den „Grünen Dollar" gebundenen Agrarerzeugnisse beschränkt, obgleich auch bei den Erzeugnissen des Blumen- und Zierpflanzenbaues sowie der Baumschulen, deren Preis sich frei nach Angebot und Nachfrage bildet, der Markt durch die veränderten Währungsparitäten gestört wird?
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Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen über ein landwirtschaftliches Grenzausgleichssystem nach der Freigabe der Wechselkurse der D-Mark und des Gulden mit Nachdruck eine Absicherung der Interessen der deutschen Landwirtschaft verlangt. Auf diese Weise sind u. a. die Einbeziehung eines umfangreichen Warenkatalogs in die Schutzregelung sowie eine gegenüber den Maßnahmen nach der Aufwertung der D-Mark erheblich niedrigere Fühlbarkeitsschwelle durchgesetzt worden. Geblieben ist — wie 1969 — die Bindung an die Rechnungseinheit als Voraussetzung für Ausgleichsmaßnahmen. Die Bundesregierung beobachtet und überprüft jedoch zur Zeit die Entwicklung in denjenigen Bereichen, die von dem Grenzausgleichssystem nicht oder nicht vollständig erfaßt sind. Mit Rücksicht auf die noch laufenden Arbeiten bin ich zur Zeit nicht in der Lage, die Frage, die Sie gestellt haben, abschließend zu beantworten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß zusätzlich zu den bestehenden Wettbewerbsverzerrungen, die Sie gerade geschildert haben, weitere auf diesem Sektor dadurch hinzugekommen sind, daß die Nachbarländer Holland und Belgien beispielsweise das Heizöl für diesen Betriebsbereich erheblich verbilligt haben?
Ja, das ist uns bekannt. Ich habe zu dem Problem schon in einer vorhergehenden Fragestunde ausgiebig Stellung genommen.
Wünschen Sie noch eine Frage? Bitte schön, Herr Kollege!
Glauben Sie trotzdem nicht, daß gerade auf diesem Sektor — ich denke jetzt z. B. an die Verbilligung des Heizöls — etwas getan werden könnte?
Hier müßte man durchaus prüfen — das haben wir damals zugesagt —, welche Wettbewerbsvorteile die Verbilligung des Heizöls den Gärtnereibetrieben in Holland für diesen Bereich bringt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Burgbacher.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung bewußt, daß mit der Fortdauer der flexiblen Wechselkurse, also vor Rückkehr zu neuer Parität, die große Gefahr besteht, daß die Liste der Produkte, für die der Grenzausgleich gewährt wird, systematisch verkleinert wird? Wenn ja, was gedenkt sie dagegen zu tun?
Herr Kollege Burgbacher, dieser Auffassung ist die Bundesregierung nicht. Wir haben ja einen Katalog von Waren festgelegt und in der EWG vereinbart, die bei einem Grenzausgleich Berücksichtigung finden würden. Wir würden uns widersetzen, wenn versucht würde, den Warenkatalog zu verändern und einzuengen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, würden Sie in den Rahmen der von Ihnen angekündigten Überprüfungen auch die Frage der Verluste, die bei den Exporteuren wegen der Altkontrakte entstehen, mit einbeziehen?
Dieses Problem hat ja bei allen Beratungen jetzt schon eine Rolle gespielt. Es ist nach meiner Auffassung schon mit einbezogen
Keine weitere Zusatzfrage mehr. Wir sind am Ende der Frage' stunde. Es tut mir leid, Herr Kollege Lensing, daß ich gerade zwischen Ihren beiden Fragen abschneide, aber es geht ja weiter.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Logemann!
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.
Wir fahren in der unterbrochenen Tagesordnung fort.Ich rufe Punkt 4 der gedruckten Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung
— Drucksache VI/2199 a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache VI/2314 —Berichterstatter: Abgeordneter Franke
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache VI/2290 Berichterstatter: Abgeordneter Härzschel
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7554 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Vizepräsident Dr. SchmidDas Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Härzschel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir, meinen Schriftlichen Bericht vom 11. Juni um einige kurze mündliche Ergänzungen zu erweitern. Das ist deshalb notwendig, weil die ursprüngliche Zeitplanung eine frühere Verabschiedung des Gesetzes vorsah und der Schriftliche Bericht kurzfristig abgefaßt werden mußte. Deshalb konnte die spätere Beratung bei der schriftlichen Abfassung keine Berücksichtigung finden. Folgendes ist daher zu ergänzen.
Vor der Schlußabstimmung über das Vierzehnte Rentenanpassungsgesetz am 9. Juni im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung hat die Fraktion der CDU/ CSU angekündigt, daß sie dem Vierzehnten Rentenanpassungsgesetz zustimmen werde, sich jedoch vorbehalte, einen Änderungsantrag bei der zweiten Lesung im Plenum zu stellen. Dies war bei den Beratungen im Ausschuß nicht möglich, weil darüber erst die Fraktion entscheiden mußte. Es wurde jedoch der Wunsch geäußert, falls die Fraktion einem solchen Antrag zustimme und es terminlich durchführbar sei, sollte eine erneute Beratung über den Antrag im Ausschuß erfolgen. Der Vorsitzende hat diesem Wunsch Rechnung getragen, und der Ausschuß befaßte sich am Mittwoch, dem 16. Juni, mit dem Antrag der CDU/CSU.
Nach der Begründung des Antrags von seiten der Fraktion der CDU/CSU fand eine Aussprache statt, in der die Vertreter der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen Bedenken gegen die beantragte Rentenerhöhung äußerten. Wegen der Abstimmung im Ausschuß trug der Sprecher der SPD Bedenken hinsichtlich der Geschäftsordnung vor. Er war der Meinung, daß das Gesetz vom Ausschuß bereits verabschiedet und eine erneute Abstimmung nicht möglich sei. Der Vorsitzende erklärte, daß die Geschäftsordnung darüber nichts aussage und eine Abstimmung durchaus möglich sei, daß man es aber auch anders auslegen könne und er sich den Bedenken der Koalitionsfraktionen nicht verschließen wolle. Der Ausschuß hat sich daraufhin geeinigt, keine Abstimmung durchzuführen. Man nahm lediglich die Ankündigung der CDU/CSU, daß sie diesen Antrag in der zweiten Lesung im Plenum stellen werde, zur Kenntnis.
Dieser Antrag liegt Ihnen nun vor.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in zweiter Beratung § 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 191 *) unter Ziff. 1 vor.
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer. Seine Fraktion hat für ihn eine Redezeit von 30 Minuten erbeten.
*) Siehe Anlage 3
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dreizehnmal sind in diesem Hohen Hause seit der Rentenreform des Jahres 1957, die mit dem Namen des ersten Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, unseres Freundes Anton Storch, immer verbunden bleiben wird, die Renten erhöht worden. Das Versprechen, das der Deutsche Bundestag im Jahre 1957 gegeben hat, die Rentner am Produktivitätsfortschritt der Wirtschaft teilnehmen zu lassen, wurde seitdem bis ins vergangene Jahr eingelöst. Heute, kaum zwei Jahre nach Bildung einer Bundesregierung unter sozialdemokratischer Führung, stehen wir vor einer anderen Situation.In seiner Regierungserklärung hatte der Herr Bundeskanzler im Oktober 1969 erklärt:Wir werden Errungenes sichern und besonders für die Mitbürger sorgen, die trotz Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung im Schatten leben müssen, die durch Alter, durch Krankheit oder durch strukturelle Veränderungen gefährdet sind.Diese Feststellung der Regierungserklärung habe ich damals für die Opposition ausdrücklich begrüßt. Ich habe damals hinzugefügt:Ich hätte es hier sehr gerne gesehen, wenn sich die Bundesregierung dazu etwas näher geäußert hätte. Vielleicht ist das in der Aussprache möglich. Denn ich glaube in der Tat meine Damen und Herren, wir müssen unsere ganze Aufmerksamkeit sehr stark gerade auch jenen Schichten in unserem Volk zuwenden, die nicht durch organisierte Interessengruppen abgedeckt werden, die sich in aller Regel gut selbst helfen können.
Meine Damen und Herren, heute erwarten die alten Menschen — die alten Menschen, daran sollten wir heute und jeder, der heute von uns zu diesem Thema spricht, denken, das sind jene, die Last und Leiden vergangener Zeiten getragen haben und die unter großen persönlichen Opfern mit dazu beigetragen haben, daß sich der wirtschaftliche Aufschwung nach 1945 in dieser Form hat vollziehen können —,
daß wir den Worten von damals Taten folgen lassen. Täuschen wir uns nicht, meine Damen und Herren, wir stehen hier alle im Wort. Wenn wir den Rentnern gerecht werden wollen, müssen wir uns bei der 14. Rentenanpassung, die heute zur Beschlußfassung ansteht, von der alten Routine lösen.Immer wieder hat diese Bundesregierung die anhaltende inflationäre Preis- und Lohnentwicklung verniedlicht. Heute früh noch lese ich einen Beitrag von Herrn Spitzmüller im FDP-Pressedienst, in dem er sagt:Heute versucht die Opposition eine nicht vorhandene Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Rentner darzustellen.Nun, meine Damen und Herren, das übersteigt alle Formen auch der politischen Auseinandersetzung.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7555
KatzerIch bitte Sie, einmal mit unserem Volk zu diskutieren und festzustellen, wie unsere Rentner zu einer solchen Aussage stehen und was sie davon halten. Das richtet sich selbst.
Meine Damen und Herren, jetzt wird für alle sichtbar, daß die Rentner zu denjenigen gehören, die die Zeche bezahlen sollen. Die Situation der Rentner hat sich für jeden erkennbar in unvertretbarer Weise verschlechtert. Darüber hinaus droht ihnen ein dauernder Nachteil, während sich gleichzeitig und das ist die veränderte Situation die Kassen der Rentenversicherungen füllen. Wir hoffen deshalb, meine Damen und Herren, daß der Deutsche Bundestag
— für die Rentner ist sie in der Tat so schlecht; den Zwischenruf, verehrter Herr Kollege, muß ich ausdrücklich bestätigen; die Kassen der Rentenversicherung sind gefüllt, das ist in der Tat richtig heute eine der tatsächlichen Situation der Rentner angemessene Entscheidung trifft und damit — das möchte ich betonen — die Grundlage für den weiteren Fortschritt im Bereich der sozialen Alterssicherung schafft.Die Bundesregierung hat vorgeschlagen, die Renten ab 1. Januar 1972 wie bisher üblich anzupassen. Danach würden die Altrenten um 6,3% erhöht, die Renten aus dem Jahre 1971 würden nicht erhöht. Es war das Ziel der Rentenreform des Jahres 1957 — und, meine Damen und Herren, dieses Gesetz trägt den Namen „Reform" zu Recht im Gegensatz zu anderen Dingen, die uns hier als Reform von dieser Regierung permanent vorgestellt werden —,
die Teilnahme der Rentner am wirtschaftlichen Wachstum zu sichern. Die von der Regierung vorgeschlagene Erhöhung stellt demgegenüber praktisch nur noch einen Ausgleich für die Teuerungswelle dar, die über unser Land dahingeht. Von einer Teilhabe am Produktivitätsfortschritt würden die Rentner damit 1972 ebenso wie im Jahre 1971 praktisch ausgeschlossen. Bei Beibehaltung des bisherigen Anpassungsverfahrens würde nach den Vorausschätzungen der Bundesregierung auch in Zukunft der Auftrag der Rentenreform nicht erfüllt, den Rentnern eine Grundsicherung im Alter und bei Invalidität zu gewährleisten.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat deshalb auf Umdruck 191 einen Änderungsantrag zum Entwurf des Vierzehnten Rentenanpassungsgesetzes eingebracht. Dieser Antrag zielt darauf ab, vom 1. Januar 1972 an die seit der unterlassenen Rentenanpassung 1958 entstandene zusätzliche Verzögerung der laufenden Anpassung der Renten an die Lohnentwicklung zur Hälfte aufzuholen. Unser Vorschlag sieht also eine Aktualisierung der Rentenanpassung durch eine Verkürzung des Anpassungszeitraums von jetzt rund vier Jahren auf rund dreieinhalb Jahre vor. Wir wollen dann auch in Zukunft mindestens in diesem dreieinhalbjährigenZeitraum bleiben. Dies bedeutet, daß die Altrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung am 1. Januar 1972 nach unserem Vorschlag um 11,3 %, die Renten aus dem Jahre 1971 um 4,7% erhöht werden.Meine Damen und Herren, ein Altrentner mit einer Monatsrente von 500 DM bekommt nach diesem Vorschlag genau 25 DM monatlich mehr, als es nach der routinemäßigen Anpassung, die die Regierung vorschlägt, der Fall wäre. Das macht für das Jahr 1972 einen Betrag, auf diese Rente bezogen, von 300 DM aus. Das ist — Herr Bundesminister Ahrendt, lassen Sie mich das hier in aller Klarheit sagen -- kein „Tropfen, der im Meer versinkt". Ich glaube, man kennt die wirkliche Situation der Rentner zu wenig, wenn man einen solchen Vergleich in einer solchen Situation zieht.
Meine Damen und Herren, die Initiative der CDU/CSU-Fraktion ist sorgfältig überdacht, systemgerecht und solide in der Finanzierung. Die Rentenformel wird nicht verändert. Sie können versichert sein, daß die CDU/CSU die Vertrauensbasis, die unter ihrer Regierungsverantwortung in jahrzehntelanger Arbeit für die soziale Alterssicherung geschaffen wurde, nicht aufs Spiel setzt. Um es ganz deutlich zu sagen: es geht bei unserer Initiative nicht um einen Teuerungszuschlag, sondern es geht darum, den Rentnern den ihnen zukommenden Anteil am realen wirtschaftlichen Fortschritt zu sichern.
Mit diesem Vorschlag greifen wir übrigens auch ein Anliegen des Sozialbeirates auf, der die Ungleichbehandlung von Alt- und Neurenten bereits mehrfach als sozialpolitisch nicht gerechtfertigt bezeichnet. hat.Nun wird eingewandt: das hättet Ihr ja früher tun können. Dazu will ich gern eine Bemerkung machen. Wir haben seit Jahren — nebenbei: die Sozialpolitiker aller Fraktionen — nach dem richtigen Zeitpunkt gesucht, um diese Ungleichbehandlung zu beseitigen. Auch die Sozialdemokraten haben im Jahre 1958 diesen Unterschied mit ihrem Vorschlag, den Altrentnern ein Weihnachtsgeld zu geben, beseitigen wollen. Der derzeitige Arbeitsminister hat zu Beginn dieser Legislaturperiode ja einen ähnlichen Versuch gestartet. Die Versuche scheiterten alle bei einem im Vergleich zu heute reativ günstigen Rentenniveau an den unzureichenden Finanzmitteln der Rentenversicherung. Das ist heute anders, wie ich eingangs darlegte.Wie ist heute die Lage?Erstens. Die Rentenversicherung erzielt Überschüsse. In diesem Jahre sind es nahezu 5 Milliarden DM.Zweitens. Heute haben die Renten mit rund 41% den tiefsten Stand im Vergleich zu den Löhnen seit der Rentenreform des Jahres 1957 erreicht.
Drittens. Während bisher der Anteil der Renten, der noch unter dem Sozialhilfe-Rentenniveau lag,7556 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971Katzerrückläufig war, ist dieser Anteil im Jahre 1971 angestiegen. Auch die Bundesregierung bestreitet nicht, daß nunmehr bereits mehr als die Hälfte der Versicherten-Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung unter dem zum Ausgleich von Preissteigerungen erhöhten Regelsatz der Sozialhilfe im Bundesdurchschnitt liegen. Der Hinweis, den man von Regierungsseite hört, daß nur ein kleiner Teil dieser Rentner zugleich Sozialhilfe bezieht, weil sie andere Einkommen haben oder auch aus falscher Scham nicht zum. Sozialamt gehen, kann doch über die unbefriedigende Situation nicht hinwegtäuschen, in die Millionen von Rentner geraten.Das sind die Fakten, mit denen wir es hier und heute zu tun haben. Sie machen die grundlegenden Unterschiede zu früheren Jahren deutlich.Wer das ändern will, wer verhindern will, daß die Rentner die Leidtragenden dieser Wirtschaftspolitik werden, muß das Rentenniveau hier und heute erhöhen.
Ich füge hinzu: das ist zugleich eine wesentliche Voraussetzung für weitere Fortschritte in der Rentenversicherung. Nur so kann auch verhindert werden, daß die wünschenswerte flexible Altersgrenze zu Lasten aller finanziert wird, aber vor allem den Beziehern von Spitzenrenten zugute kommt. Denn ohne eine ausreichende Rente kann sich doch niemand früher zur Ruhe setzen, auch wenn ihm die Möglichkeit von Gesetzes wegen eingeräumt wird.
Ich glaube, meine Damen und Herren, ehe Sie heute zu einer Entscheidung kommen, sollten Sie vielleicht noch einmal das nachlesen, was in diesen Wochen Herr Professor Wilfried Schreiber, einer der geistigen Väter der Rentenformel von 1957, in der Zeitschrift „Die Wirtschaftswoche" gesagt hat. Er sagte:Die freie Wählbarkeit des Rentenalters können wir einführen, wenn wir das allgemeine Rentenniveau linear anheben.Genau das ist der Punkt, den wir Ihnen vorschlagen.
Ich erwähne in diesem Zusammenhang auch die Verbesserung der sozialen Sicherung der Frau und die Notwendigkeit einer zusätzlichen Maßnahme für benachteitigte Kleinstrentner und Kleinrenten. Dieses Problem — wir haben ferner eine Vorlage zur Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige vorgelegt wird die CDU/CSU-Fraktion noch in dieser Legislaturperiode im Deutschen Bundestag ebenfalls eindringlich zur Erörterung stellen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zur Finanzierung machen. Wir haben im Dritten Rentenversicherungsänderungsgesetz gemeinsam für eine solide Basis der Rentenversicherung gesorgt. Dabei bleibt die CDU/CSU. Wir haben deshalb vorgeschlagen, nur einen Teil der ausgefallenen Rentenanpassung des Jahres 1958nachzuholen. Diese Initiative bedeutet, daß wir etwa nur zwei Fünftel — zwei Fünftel! — der von der Bundesregierung bis 1985 geschätzten Überschüsse der Rentenversicherung in Anspruch nehmen. Es kann also keine Rede davon sein, daß für andere Reformvorschläge kein Raum und kein Platz mehr wäre.In diesem Zusammenhang begrüße ich es, daß die Bundesregierung im Rentenanpassungsbericht für verschiedene konjunkturelle Entwicklungen Alternativrechnungen vorgelegt hat, die das Entstehen dauerhafter Überschüsse in erheblicher Höhe nunmehr als fundiert erscheinen lassen. Im übrigen sind diese Überschüsse — das kann und darf in diesem Augenblick in diesem Hause doch niemand übersehen — zu einem erheblichen Teil die Folge des abgesunkenen Rentenniveaus, also eine Folge auf Kosten der Rentner selbst.
— Ich kann ja verstehen, meine Damen und Herren,daß Sie nervös sind. Es ist auch für mich fast unvorstellbar, daß Sie als sozialdemokratische Fraktion es wagen werden, nachher einem solchen Antrag Ihre Zustimmung zu verweigern. Das möchte ich hier heute wirklich einmal sehen, meine Damen und Herren.
Auf diesem Hintergrund stechen auch die konjunkturellen Bedenken nicht, die hier und da geltend gemacht werden. Sie wissen, daß ich mich immer für die Einpassung der Sozialpolitik in die Wirtschafts- und Finanzpolitik eingesetzt habe. Aber die Rede war immer von Einpassung und nicht von Unterordnung. Wir können und dürfen Konjunkturpolitik, zumal in diesem finanziellen Rahmen, nicht einseitig zu Lasten der Rentner machen.
In dieser Auffassung fühle ich mich einmal durch die Stellungnahme des Sozialbeirats bestätigt, zum anderen aber auch durch die Stellungnahme der Bundesregierung selbst im Rentenanpassungsbericht.Auch bei dem von uns vorgeschlagenen Anpassungsverfahren bleibt im übrigen — ich darf das entgegen einigen Pressemeldungen ausdrücklich feststellen — die 'antizyklische Wirkung der Rentenversicherung voll erhalten. Im übrigen gehen von den Rentenanpassungen, wenn überhaupt, nur geringe Signalwirkungen — das hört man ja neuerdings — auf die Tarifpartner aus. So hatten wir im Jahre 1967 eine hohe Rentensteigerung, aber nur eine sehr geringe Steigerung der Löhne, während umgekehrt im Jahre 1971 die Löhne sehr stark, die Renten aber nur sehr gering wachsen.Lassen Sie mich schließen und zusammenfassend sagen: Der Generationsvertrag, den dieses Hohe Haus im Jahre 1957 eingegangen ist, gebietet zwingend, daß wir das Absinken des Rentenniveaus nicht tatenlos hinnehmen. Eine Routineanpassung von 6,3% wird der wirtschaftlichen Situation der Rentner nicht gerecht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bittet daher das ganze Haus, sich bei dieser
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KatzerLage für die Belange der Rentner einzusetzen und unserem Änderungsantrag zuzustimmen, die Renten um 11,3 % zu erhöhen.
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß die Fraktionen wünschen, zunächst eine Art von Generaldebatte zu führen, und daß dann anschließend die einzelnen Punkte auf Umdruck 191 begründet und behandelt werden sollen
Dann werden auch die neun bisher gemeldeten Redner den ganzen Abänderungsantrag und nicht die einzelnen Punkte behandeln.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Katzer hat hier die Behauptung aufgestellt, die hohen Überschüsse der Rentenversicherung würden durch ein zu niedriges Rentenniveau erzielt. Herr Katzer, Sie versuchen damit einen Gegensatz zwischen den Rentnern und den aktiv Versicherten, die die Beiträge aufbringen, aufzureißen.
Wer behauptet, die Überschüsse gingen zu Lasten der Rentner, vergißt, daß am 1. Januar 1968 die Beitragssätze von 14 auf 17 % erhöht wurden
und daß in den Vorausberechnungen eine weitere Erhöhung auf 18 % per 1. Januar 1973 bereits gesetzlich beschlossen ist. Das gegenwärtige und zukünftige Finanzvolumen der Rentenversicherung beruht also auch auf den erhöhten Beitragssätzen, die die Versicherten und ihre Arbeitgeber zu zahlen haben.
Mit diesem Konsumverzicht durch erhöhte Beiträge erwerben die Versicherten einen moralischen Anspruch auf entsprechend verbesserte soziale Sicherung.
Politisch geht es darum, in unserer Rentenversicherung einen sinnvollen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Rentner einerseits und denen der Versicherten andererseits, die heute eine erhöhte Beitragslast tragen, herbeizuführen. Das ist die Grundlage für die politische Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben sich in diesem Hause, seitdem wir um Rentenfragen ringen, in ihrer Politik zur Verbesserung des Rentenrechts niemals von irgend jemand übertreffen lassen.
So war es, und so wird es bleiben.
Den vorliegenden CDU/CSU-Antrag lehnen wir ab, denn er ist das strikte Gegenteil einer soliden Leistungsverbesserung. Er verhindert den sozialen Ausbau unserer Rentenversicherung. Das will ich ihnen beweisen.
Erstens. Durch den Antrag sollen die Ausgaben der Rentenversicherung in dem Zeitraum von 15 Jahren, für den nach Gesetz die Finanzen der Rentenversicherung vorauszuberechnen sind, um 51,8 Milliarden DM erhöht werden. Es ist in der Geschichte dieses Hauses und sicher jedes Parlaments ein einmaliger Vorgang, daß über einen Antrag in einer derartigen finanziellen Größenordnung praktisch von einem Tag zum anderen entschieden werden soll.
So ist doch die Sache! Sie haben praktisch am Tage der Plenarberatung diesen 51-Milliarden-Antrag vorgelegt. Meine Damen und Herren, wer in dieser Weise mit den Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung jongliert, mit den Beiträgen der Versicherten, den Beiträgen der Arbeitgeber, den Bundeszuschüssen, der kann nicht erwarten, daß sein Anliegen besonders ernst genommen wird.
Er treibt ein durchsichtiges Propagandamanöver.
Herr Katzer, Sie haben falsch gerechnet mit den zwei Fünfteln der Reserven, die Ihr Antrag beansprucht. Denn es muß doch faktisch eine Mindestreserve bleiben. Faktisch wollen Sie durch Ihren Antrag auf einen Schlag die Hälfte aller in Zukunft zu erwartenden Reserven verplanen, ohne daß dadurch eine gerechte und sinnvolle Weiterentwicklung der Rentenversicherung erreicht wird.
Das halten wir für keine verantwortungsbewußte Politik.
Zweitens. Heute vormittag hat der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion große Worte über wirtschafts- und finanzpolitische Stabilität gesprochen, und am Nachmittag des gleichen Tages liegt hier der 51-Milliarden-Antrag der CDU auf dem Tisch. Wer so handelt, der ist politisch wenig glaubwürdig.
Es kommt hinzu, daß das Ganze nicht nur eine langfristige Ausgabenerhöhung für die Rentenversicherung bedeutet, sondern daß Ihr Antrag automatisch zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt bringt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
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7558 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Herr Professor Schellenberg, wollen Sie etwa die Konjunktur auf dem Rücken der Rentner stabilisieren?
Sie haben offenbar meine einleitenden Bemerkungen nicht vernommen, in denen ich gesagt habe, daß es sozialpolitisch darum geht, einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Beitragszahlern von gestern und den Beitragszahlern von heute gesetzlich zu sichern. Ich werde Ihnen das im einzelnen noch sehr konkret darlegen.
Ich komme jetzt zu den Auswirkungen Ihres Antrags auf den Haushalt. Einmal werden die Zuschüsse zur Knappschaftsversicherung erhöht, und zum andern ergeben sich aus dem CDU-Antrag zwangsläufig Mehrausgaben in der Kriegsopferversorgung, ohne daß irgendwelche strukturellen Verbesserungen erreicht werden. Der CDU-Antrag belastet die Finanzplanung für 1972 bis 1975 im Vorgriff zusätzlich mit rund 2,4 Milliarden DM.
Das ist finanzpolitisch unsolide. — Herr Russe, Sie müssen sich erst einmal mit der mittelfristigen Finanzplanung beschäftigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte.
Herr Professor Schellenberg, können Sie dem Hohen Hause einmal erklären, warum die SPD, als sie in der Opposition war und die Finanzverhältnisse noch schlechter waren, diese Anträge permanent gestellt hat?
Lieber Herr Kollege Härzschel, erst dadurch, daß die Sozialdemokraten Regierungspartei wurden, haben wir eine langfristige Finanzplanung in der Rentenversicherung für 15 Jahre und eine mittelfristige Finanzplanung für den Haushalt.
Vorher ging alles finanziell durcheinander.
Meine Damen und Herren, wir haben damals in der Opposition, als die wirtschaftlichen Schwierigkeiten evident wurden, durch unseren finanzpolitischen Sprecher alle Anträge auf Leistungsverbesserungen für alle Bereiche ausdrücklich zurückgezogen.
Was Sie, von der CDU, aber tun, ist, vormittags über Finanz- und Währungspolitik zu sprechen und nachmittags erhöhte Anträge zu stellen.
Herr Präsident, ich möchte jetzt meine Ausführungen weiterführen.
Der Redner läßt keine Zwischenfragen mehr zu.
Drittens. Dieses Rentenanpassungsgesetz wollen Sie grundlegend ändern. Es beruht auf dem Prinzip der nachholenden Rentenanpassung. Diesen Grundsatz hat die CDU 1957 gegen unsere Bedenken mit der Begründung durchgesetzt, die Rentendynamik sei nur als antizyklische Anpassung volkswirtschaftlich vertretbar. Herr Professor Erhard wird sich als damaliger Wirtschaftsminister daran ganz besonders erinnern.Jeder in diesem Haus wußte und weiß, daß die nachholende Anpassung Nachteile, aber auch Vorteile hat, nämlich niedrige Anpassungssätze in Zeiten des wirtschaftlichen Booms und hohe in der Rezession. Nachdem die politische Grundsatzentscheidung gefallen war, haben sich alle Parteien — ob in der Regierung oder in der Opposition — im Interesse der finanziellen Solidität der Rentenversicherung stets an diesen Grundsatz, der bei der Rentenreform beschlossen worden war, gehalten. Immerhin sind durch diese Anpassungsformel alle laufenden Renten seit der Rentenreform um 141 % erhöht worden. Auch unter Berücksichtigung der seitdem eingetretenen Preiserhöhungen von insgesamt 48 % hat sich also -- und darauf kommt es an — das Rentenniveau nachhaltig verbessert.
Gewiß ist der Anpassungssatz in den Jahren 1971 und 1972 relativ niedrig. Aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, muß ich Sie daran erinnern, daß das eine Spätfolge der Rezession ist, die Sie politisch zu vertreten haben?
Sie hoffen jetzt, von dieser Verantwortung mit Hilfe Ihres Antrags freizukommen.Selbstverständlich ist auch die Rentenanpassungsformel kein ehernes Gesetz.
In dieser und anderer Hinsicht sollten Bundestag und Ausschüsse natürlich Besseres überlegen, z. B. hinsichtlich der Koordinierung der unterschiedlichen Anpassungssätze in der Renten- und Unfallversicherung. Das haben wir bei der Einführung der dynamischen Rente in der Unfallversicherung vorgeschlagen, aber die CDU hat es damals abgelehnt.Was der Gesetzgeber auf keinen Fall tun darf, ist, die langfristig angelegte Anpassungsformel gewissermaßen aus dem Handgelenk zu verändern. Wer das tut, bringt die gesamte Leistungsdynamik der
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Dr. Schellenbergsozialen Sicherung, die wir zielbewußt aufgebaut haben, ins Schwanken.Im Jahre 1957 haben wir zuerst die Dynamik in der Rentenversicherung beantragt.
— Jawohl, am 18. April 1956, damit Sie es genau wissen.
Wir haben dann zuerst die Dynamik in der Unfallversicherung im Jahre 1960 beantragt und dann am 1. Januar 1970 gemeinsam mit unserem Koalitionspartner — gegen Ihr Schwanken — die Dynamik in der Kriegsopferversorgung durchgesetzt.
Schließlich haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner die Dynamik hinsichtlich der Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung ab 1. Januar 1971 eingeführt. Wenn heute der Antrag der CDU angenommen würde,
so wäre es in Zukunft möglich, je nach Wirtschafts-und Finanzsituation die Anpassungsformel in allen Sozialbereichen so oder so zu verändern.Es war schon ein verhängnisvoller Eingriff in das System der bruttolohnbezogenen Rente, als in der letzten Rezession mit dem doch von der CDU, von Herrn Katzer, erfundenen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag ein Abschlag von der Rente vorgenommen wurde.
Die CDU wollte damals 4 % durchsetzen. Wir haben den Satz schließlich auf 2% herunterdrücken können. Aber dieser Abschlag hat schon das Vertrauen in die Rentenversicherung beeinträchtigt. Kein Rentner hat das vergessen.
Als eine der ersten sozialpolitischen Leistungen hat die sozial-liberale Koalition diesen Rentnerversicherungsbeitrag abgeschafft und damit die volle lohnbezogene Rente wiederhergestellt. Das sind die Tatsachen.
Anfang 1970, als wir den Gesetzentwurf der sozialliberalen Koalition behandelten, gab es in der CDU Kräfte, die sich von diesem Rentenabschlag sehr ungern trennen wollten.Die CDU, die gestern noch für einen Rentenabschlag, für diesen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag war, beantragt heute einen Zuschlag.
Wer einmal bei der Rentenanpassung mit einem Abschlag und das andere Mal, wenn es ihm politisch nützlich erscheint, mit einem Zuschlag operiert, treibt ein gefährliches Spiel.
Eine Annahme des CDU-Antrags würde — das ist die große Gefahr — die bisherige automatische Anpassung nicht nur in der Rentenversicherung, sondern auch in der Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung und der Krankenversicherung politisch manipulierbar machen; und das wollen wir nicht.
Die Dynamisierung ist für uns ein entscheidender Grundsatz unseres Sozialsystems.Viertens. Herr Katzer sprach von der 1958 unterlassenen Rentenanpassung, die jetzt zur Hälfte nachgeholt werden sollte. Dazu hätte die CDU in den vielen Jahren, in denen sie den Bundeskanzler und den Bundesarbeitsminister stellte, nun wirklich reichlich Gelegenheit gehabt.
Nachdem 13 Jahre tatenlos verstrichen sind, ist die Forderung, eine halbe Anpassung für 1958 nachzuholen, doch nichts anderes als ein Deckmantel für einen unausgegorenen Agitationsantrag.
Fünftens. Die von der CDU beantragte mehr oder weniger gegriffene prozentuale Heraufsetzung des Anpassungssatzes bringt den Beziehern niedriger Renten kaum Nutzen. Im Gegenteil, die CDU vergrößert durch ihren Antrag die Schere zwischen niedrigen und höheren Renten.Typisch dafür ist Ziffer 4 des Antrags der CDU. Danach will sie die Höchstrente des Regierungsentwurfs um 65 DM auf 1 436 DM monatlich erhöhen. Herr Katzer war sehr großzügig und hat das Beispiel von den 500-DM-Rentnern gebraucht.
Aber wenn ein Rentner dagegen 200 DM Rente hat und zusätzlich Sozialhilfe erhält, dann würde er nach Ihrem Antrag monatlich 10 DM bekommen, aber nach § 13 des Gesetzentwurfs würden ihm nach Ablauf der fünf Monate diese 10 DM von seiner Sozialhilfe wieder abgezogen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das hier als einen Fortschritt darstellen, dann nimmt Ihnen das niemand ab.
Sechstens. Herr Katzer hat hier auch von der Sozialhilfe gesprochen. Eine prozentuale Erhöhung bringt den Rentnern, die Sozialhilfe erhalten, keine echten Leistungsverbesserungen. Im übrigen steht fest, — das ist im Ausschuß geklärt worden und7560 Deutscher Bundestag — G. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971Dr. Schellenbergmuß hier ausgesprochen werden —, daß nach denFeststellungen des Statistischen Bundesamtes nur1,9 "/o aller Rentner zusätzlich Sozialhilfe erhalten.Herr Katzer hat in der Öffentlichkeit verbreitet, daß mehr als die Hälfte der Versichertenrenten unter den Regelsätzen der Sozialhilfe lägen. Das ist eine grobe Irreführung der Öffentlichkeit, wenn wir berücksichtigen, daß nur 1,9 % aller Rentner Sozialhilfe erhalten.
Herr Katzer, Sie haben ferner — wörtlich! — behauptet: Durch eine solche Entwicklung wird unser ganzes System der sozialen Sicherung in Frage gestellt. — Eine solche Behauptung ist doch nichts anderes als Polemik.Diese Ihre falsche Behauptung führt selbst in Ihrer eigenen Fraktion zu Verwirrung. Z. B. fordert — diese Forderung wurde in der „Saarbrücker Zeitung" erhoben der von mir sehr geschätzte Herr Kollege von Thadden eine zusätzliche Leistung — eine Teuerungszulage oder so etwas — für die Rentner in Höhe eines halben Monatsgehalts, die noch in diesem Jahre ausgezahlt werden müsse. Meine Damen und Herren, damit werden doch bei den Rentnern leichtfertig Hoffnungen erweckt, die in unserem System der sozialen Sicherung nicht erfüllbar sind.
Siebtens. Herr Katzer, Sie sprachen weiter davon, wir hätten gegenwärtig mit 41 % das niedrigste Rentenniveau seit der Rentenreform. Diese Behauptung von Ihnen enthält zwei Fehler. Herr Katzer unterstellt nämlich, um zu diesem niedrigen Rentensatz zu kommen, daß ein volles Arbeitsleben 40 Jahre dauert. Da aber Fehlzeiten — Ausbildung, Krankheit, Militärzeit — mitgerechnet werden, muß davon ausgegangen werden, daß ein volles Arbeitsleben 45 Jahre, nach dem gegenwärtigen Recht sogar 49 oder 50 Jahre dauert.Um zu einem so niedrigen Satz zu kommen, vergleicht Herr Katzer ferner die Renten als Nettoeinkommen mit den Bruttoverdiensten der Arbeitnehmer. Tatsächlich beträgt nach den amtlichen Berechnungen — das können Sie im Bundesarbeitsblatt nachlesen, Herr Katzer — das Altersruhegeld nach 45 Jahren 60% und nach 50 Jahren 67 % des Arbeitseinkommens eines gleichartig Versicherten. Das ist der gegenwärtige Stand.Achtens. Das Rentenniveau des Jahres 1971 ist trotz aller Schwierigkeiten, die sich für die Rentner ergeben — wir kennen diese Schwierigkeiten und wirken ihnen im Rahmen der allgemeinen wirtschafts- und währungspolitischen Maßnahmen nachdrücklich entgegen , im Vergleich zum Rentenniveau einer ganzen Reihe von früheren Jahren höher. Die CDU/CSU hat damals niemals einen Antrag auf grundsätzliche Veränderung der Rentenanpassung oder auf Erhöhung des Rentenniveaus gestellt.Unser Rentenniveau der Jahre 1971 und 1972 liegt ungeachtet der Schwierigkeiten international — ich sehe einmal von Schweden ab, das ein völlig ande-res System hat - an der Spitze. Dennoch wissen wir Sozialdemokraten, daß es noch Härten und Ungerechtigkeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung gibt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat bereits 1969 die Initiative ergriffen, die Bundesregierung zu beauftragen, über alle Unzulänglichkeiten im Rentenrecht zu berichten. Die Bundesregierung hat dem Bundestag dazu einen besonders gründlichen Bericht vorgelegt. Im Hinblick darauf würde der Bundestag, würde jeder Abgeordnete wenig verantwortungsbewußt handeln, wenn er jetzt eine prozentuale Erhöhung von mehr als 51 Milliarden DM in einer langfristigen Größenordnung, nämlich für die nächsten 15 Jahre, beschließen würde. Vor einer so weitgehenden Entscheidung muß doch der vom Bundestag einmütig angeforderte Bericht sorgfältig auf die Möglichkeit zur Beseitigung von Härten im Rentenrecht geprüft werden.
Das ist eine ganz wichtige politische Entscheidung, und diese Auffassung haben Sie selbst noch vor kurzem vertreten.
— Bitte schön, Herr Kollege!
Herr Professor Schellenberg, Sie sprachen vorhin von der Notwendigkeit der weiteren Entwicklung der Rentenversicherung. Wir stimmen mit Ihnen darin überein. Sind Sie bereit, hier zu erklären, daß bei der Weiterentwicklung der Rentenversicherung die Ergebnisse des Härteberichts und die Beseitigung dieser Härten einen Vorrang haben?
Herr Götz, ich erkläre, daß bei der Weiterentwicklung der Rentenversicherung alle sozial wichtigen Tatbestände berücksichtigt werden müssen, selbstverständlich auch der Härtebericht. Dazu haben wir ihn angefordert. Denken Sie, wir fordern diesen Bericht an, um ihn in den Papierkorb zu werfen?
Er ist für uns eine wichtige Grundlage für weitere gesetzgeberische Entscheidungen.Neuntens. In finanzieller Hinsicht hat sich bei den Ausschußberatungen ergeben, daß die CDU/CSU sich von dem, was Herr Dr. Barzel am 9. März erklärt hatte er sprach von leichtfertig genährten Hoffnungen in bezug auf die Finanzberechnung der Bundesregierung —, faktisch distanziert hat. Die CDU/CSU hat im Ausschuß erklärt, die Rechnungen der Bundesregierung würden als richtig anerkannt. Jetzt endlich ist im Bundestag unbestritten, daß die Finanzlage der Rentenversicherung bei bruttolohnbezogener Rente kurzfristig und langfristig günstig ist. Daraus zieht der Entschließungsantrag der Koalition, den ich mit Ihrer freundlichen Genehmigung, Herr Präsident, jetzt gleich begründen darf, die notwendigen Folgen. Die Bundesregierung wird ersucht, den Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Rentenversicherung vorzulegen.
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Dr. SchellenbergDer sozialdemokratischen Fraktion geht es dabei um den zielbewußten Ausbau der sozialen Sicherheit in-1 Interesse der Rentner, der Versicherten und jedes Bürgers.
— Das erkläre ich hier im Namen der sozialdemokratischen Fraktion vor dem Deutschen Bundestag.
Die Weiterentwicklung der Rentenversicherung ist selbstverständlich im Rahmen der wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten zu verwirklichen. Leistungsverbesserungen sind aus Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber und aus den gesetzlich vorgeschriebenen Bundeszuschüssen zu finanzieren. Sie dürfen nicht zu zusätzlichen Belastungen des Bundeshaushalts führen; denn das würde unsere Bemühungen um Stabilität, über die wir heute morgen hier verhandelt haben und an der die Rentner das allergrößte Interesse haben, gefährden.Bei der Weiterentwicklung unserer Rentenversicherung geht es um ein großes Konzept, das sich nur Schritt für Schritt verwirklichen läßt. Aber entscheidend ist, daß die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung jetzt nach dem Gebot sozialer Gerechtigkeit systematisch vorangebracht wird.Dabei denken wir — das ist die Antwort auf die Fragen der CDU/CSU — erstens an die, die ein Leben lang gearbeitet und laufend Beiträge gezahlt haben, aber dennoch im Alter eine unzulängliche Rente erhalten. Das ist ein unwürdiger Zustand.
Ich erkläre das namens der SPD-Fraktion.
Dabei denken wir zweitens an die, die sich in einem langen Arbeitsleben verbrauchen und nicht selten um ihre Renten kämpfen müssen. Auch das ist ein unwürdiger Zustand.
Er soll selbstverständlich Schritt um Schritt — darauf hat der Arbeitsminister immer wieder hingewiesen — durch mehr Freiheit bei der Wahl des Rentenalters beseitigt werden.
Dabei denken wir drittens an die vielen Frauen, die durch Erziehung ihrer Kinder Versicherungszeiten verloren haben und deshalb heute im Alter bei ihrer Rente benachteiligt sind.Dabei denken wir viertens an die Selbständigen, die mithelfenden Familienangehörigen, die nicht erwerbstätigen Frauen, die heute noch von der sozialen Sicherung ausgeschlossen sind.
Dabei denken wir fünftens an die Millionen von Rentner und Versicherten, die dem kompliziert gewordenen Sozialrecht hilflos gegenüberstehen und die endlich ein 'Recht auf Beratung über ihre Ansprüche erhalten müssen.Gemeinsam bringen die Koalitionsparteien den Antrag auf Vorlage pines Regierungsentwurfs zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Gemeinsam wird die sozial-liberale Koalition in dieser Legislaturperiode die Reform der Rentenreform verwirklichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Als fleißiger Plenumbesucher des heutigen Morgens kommt mir, nachdem ich die Reden von Herrn Katzer und Herrn Strauß gehört habe, ein Zitat aus Goethes „Faust" in den Sinn, nämlich jenes Zitat, das so lautet: Mir ist von alledem so dumm, als ginge mir ein Mühlrad im Kopfe herum.
Denn heute vormittag und heute nachmittag gab es doch erstaunliche Widersprüchlichkeiten: 1 Milliarde Kürzungen im Haushalt sind zuwenig, aber 2,1 Milliarden zusätzliche Ausgaben aus den Beitragseinnahmen der Rentenversicherungen sind unschädlich; unschädlich sind aber auch die daraus sich automatisch, zwingend ergebenden 250 Millionen DM zusätzlicher Ausgaben im Haushalt für die Knappschaft und die sich höchstwahrscheinlich ergebenden Ausgaben von zusätzlichen 250 Millionen DM für die Kriegsopfer. Aber da ich auf der Rednerliste gesehen habe, daß Herr Strauß sich auch in dieser Debatte melden wird, nehme ich an, daß es ihm gelingen wird — oder daß er den Versuch unternehmen wird —, diese Widersprüchlichkeiten durch seine Rede aufzunebeln — denn mehr kann sicherlich nicht herauskommen.Herr Kollege Katzer hat behauptet, die Überschüsse in der Rentenversicherung seien eine Folge des abgesunkenen Rentenniveaus. Herr Kollege Schellenberg hat darauf schon geantwortet. Ich möchte nur eines sagen, Herr Kollege Katzer: die jetzt gestiegenen Überschüsse sind das Ergebnis der kolossal gestiegenen Löhne und Gehälter und der sich daraus ergebenden Beitragssätze und des time-lag, den damals die CDU mit der FDP und mit der Deutschen Partei aus konjunkturpolitischen Gründen eingebaut hat. Wenn wir also glauben, irgendwo den Finger auf eine Wunde legen zu müssen, dann müssen diejenigen, die damals für eine antizyklische Regelung in der Rentenversicherung gewesen sind, sich auch dazu bekennen. Wir bekennen uns dazu — im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU.
Meine Damen und Herren, ich hätte eigentlich nie geglaubt, daß wir alle miteinander, die beinahe 400 Kollegen, die schon dem letzten Bundestag angehört haben, so schnell die schrecklichen Wochen und Monate des Jahres 1966/67 vergessen könnten,
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7562 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Spitzmüllerdaß wir so schnell vergessen könnten, in welch schwieriger Situation wir damals gerade in der gesetzlichen Rentenversicherung gestanden haben, welche Ankündigungen der damalige Bundeskanzler Kiesinger gemacht hat, welche Andeutungen der damalige Finanzminister Strauß gemacht hat, welche Regelungen und Eingriffe im Rentenrecht erfolgen müßten und welche Eingriffe, wenn auch in gemäßigter Form, dann tatsächlich im Finanzänderungsgesetz in beinahe hundertfältiger Weise erfolgt sind. Einiges davon haben wir wieder abgebaut durch diese sozial-liberale Koalition.Ich habe volles Verständnis dafür, daß die Zahl 100 Milliarden DM höhere Überschüsse oder höhere Reserven im Jahre 1985 aus der Drucksache VI/2040, die plötzlich im Raum schwebten, die Phantasie von Journalisten und vielen Bürgern beflügelt hat, auch die Phantasie von Parlamentariern, was man damit alles machen könnte. Unsere Schreibtische waren doch auf einmal alle voll mit Briefen — das sah doch aus wie beim Weihnachtsmann —, was man mit diesen plötzlich vorhandenen 100 Milliarden DM anfangen könnte. Ich habe damals zu vielen meiner Freunde, meiner Koalitionsfreunde und zu vielen draußen immer wieder gesagt: Um Gottes willen, laßt Euch doch nicht von dieser Zahl faszinieren! Noch sind diese Milliarden nicht disponiert, noch stehen sie erst in einer Rechnung, und man kann nur sehr vorsichtig und sehr langsam an sie herangehen.Ich glaube, die Überschrift in der „Welt" von gestern, Dienstag, trifft den Nagel auf den Kopf: „Opposition will die Koalition bei Rentenerhöhung übertreffen." — Großartig!
Aber wer genau nachliest, stellt fest, daß die Opposition die Koalition bei der Rentenerhöhung nur im Jahre 1972 und im Jahre 1973 übertreffen will. Danach sieht es dann wieder anders aus.
Wir sollten uns doch einmal vor Augen halten, daß die Opposition aus dem verständlichen Drang, publikumswirksam zu werden, einen Antrag beschlossen hat, der künftig tief in die Reserven der Rentenversicherung eingreifen wird. Ich habe volles Verständnis dafür, daß sich die Sozialpolitiker um diese Frage bemüht haben. Aber ich hätte es für unmöglich gehalten, daß eine Partei, die 20 Jahre lang die Regierungsverantwortung getragen hat, einem solchen Antrag einstimmig — oder angeblich einstimmig — zustimmen würde, einem Antrag, der in einem Ad-hoc-Verfahren jede weitere Änderung der Rentengesetzgebung verbaut.
Ich muß sagen, ich hätte die CDU in ihrer Gesamtheit für solider gehalten, als es in diesem Antrag zum Ausdruck kommt.
Ich möchte, damit ich ja nicht mißverstanden werde, folgendes klarstellen. Ich muß, was das Verfahren betrifft, das Sie gewählt haben, sehr hart sprechen. Nicht das Anliegen, das Sie hier vortragen, sondern das Verfahren bedarf einer sehr harten I Kritik. Der Vorschlag, bei der Anpassung der Altrenten im Jahre 1972 von der bisherigen Praxis abzugehen, erweckt nämlich bei näherer Betrachtung den begründeten Verdacht, daß hier von seiten der CDU ein Spiel politischer Stimmungsmache mit den Rentnern betrieben werden soll,
das den Methoden entspricht, die man in der Außen-, Wirtschafts- und Konjunkturpolitik immer wieder anzuwenden versucht. Die CDU bringt sich aber doch mit diesem Antrag selber auf die politische Anklagebank, weil es sich hierbei um Änderungen des Rentensystems und seiner Wirkungen handelt, die sie im Jahre 1957 mit ihrer absoluten Mehrheit und oft gegen bessere Vorschläge von SPD und FDP selber durchgesetzt hat.
Genau das sind doch die Anträge der CDU/CSU, die hier auf dem Tisch liegen.Nun will ich einmal sehr hart werden, und ich bitte, mir das nachzusehen, denn Sie wissen, wie sehr ich mich in den letzten 12 Jahren sozialpolitisch engagiert habe. Die CDU/CSU-Anträge sind in meinen Augen — ich werde das begründen — unsozial in ihren Auswirkungen, inkonsequent im Verhältnis zu anderen Sozialleistungen, sie sind konjunkturwidrig, sie sind eine Abkehr von der geltenden Rentenformel und der Praxis der Rentenanpassung der letzten 14 Jahre,
und sie sind eine Selbstanklage der CDU/CSU wegen ihres Verhaltens gegenüber Gen Kleinstrentnern seit 1957.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Spitzmüller, stimmt es, daß Sie am 27. Mai dieses Jahres in Stuttgart vor dem Verband der Arbeiterersatzkassen zur Frage der Grundgedanken der Anpassungsgesetze folgendes erklärten: „Dabei hat es sich nicht um die unbesehene Übernahme der Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung gehandelt; wir Freien Demokraten haben dabei Wert darauf gelegt, daß die politische Verantwortung für Umfang und Höhe der Leistungsanpassung von Fall zu Fall beim Parlament liegt und nicht automatisch an bestimmte Indices gekoppelt ist"?
Lieber Herr Kollege Müller, dazu stehe ich vollinhaltlich. Dabei habe ich aber nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern von den anderen Anpassungen gesprochen, und
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7563
Spitzmüllerich habe vorhin — darauf deutet Ihre Frage —erklärt, daß Ihre Anträge in der Knappschaft zusätzlich rund 250 Millionen DM haushaltswirksam werden lassen und daß in der Folge diese Forderung auch bei den Kriegsopfern aufkommen kann;
denn Sie können doch bei den Kriegsopfern nicht mit 6,3% operieren, wenn Sie bei den anderen mit 11,3% operieren.Es geht Ihnen in Ihrer Diskussion nach außen um die Kleinstrentner. Ist Ihnen dabei entgangen, daß Kleinstrentner teilweise weniger als 5 DM im Monat durch Ihren Antrag mehr bekommen, während Höchstrentner 75 DM im Monat mehr bekommen können? Wo bleibt hier also der soziale Effekt zugunsten der Kleinrentner? Diese Frage stelle ich.Nun, Sie sagen natürlich, das sei versicherungsmathematisch. Natürlich, — —
— Aber nein, Herr Kollege Russe, ich wehre mich nur dagegen, daß Sie versuchen, Ihren Antrag damit zu verkaufen, daß Sie in erster Linie den Kleinstrentnern helfen wollen.
— Lesen Sie einmal die Verlautbarungen, die Ihre Kollegen draußen abgeben und die Sie selbst abgegeben haben!
Nun zu dem zweiten Punkt. Der Antrag der CDU/ CSU ist inkonsequent, weil er sich nämlich nur auf die Empfänger von Renten der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Das ist für mich eine Inkonsequenz, die man aufzeigen muß.Der CDU/CSU-Vorschlag ist auch konjunkturwidrig, denn die CDU/CSU hat in der Vergangenheit unabhängig vom jeweiligen Rentenniveau das Berechnungsverfahren für die Neu- und Altrentner als richtig bezeichnet, weil es im Auf und Ab der Konjunktur der jeweiligen Phase relativ stabilisierend wirkt: in der Flaute durch höhere und in der Überhitzung durch geringere Rentenzuwachsraten entsprechend den vorangegangenen Lohn- und Gehaltsentwicklungen mehrerer Jahre. Das war bisher Ihr Standpunkt. Wenn Sie den verlassen wollen — gut, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, dann wollen wir uns darüber unterhalten, aber doch nicht über einen Ad-hoc-Antrag, der noch nicht einmal im Ausschuß intensiv beraten werden konnte und zu dem der Haushaltsausschuß nicht Stellung nehmen konnte. Das ist doch keine Methode, Politik und schon gar nicht verantwortlich langfristige, gute, solide Sozialpolitik zu machen.
In der Zeit der Regierungsverantwortung der CDU/CSU hat die CDU/CSU die Rentenformel geradezu als politisches Dogma behandelt. Ich erinnere mich an viele Gespräche damals, punktuelle Verbesserungen durchzusetzen, und an die Schwierigkeit, auf diesem Gebiet mit der CDU/CSU zu einer Übereinstimmung zu kommen. Aber nach Ihrem neuesten Vorschlag, meine Damen und Herren, soll offensichtlich nunmehr die Rentenformel oder die Anpassung der Renten zum Spielball politisch-taktischer Oppositionsmanöver werden. — Bitte schön, Herr Kollege Katzer!
Herr Kollege Spitzmüller, darf ich Ihrer Ankündigung, daß Sie bereit wären, mit uns über das Verfahren zu sprechen, entnehmen, daß Sie das auch jetzt noch tun können, denn wir haben ja für die Rentenanpassung Zeit, so daß wir noch eine Ausschußsitzung — wenn Sie wollen, auch zwei oder drei — durchführen können? Der Bundestag kommt ohnehin noch einmal zusammen, so daß wir dann am 19. Juli 1971 über diese auch von Ihnen gewünschte Frage entscheiden könnten. Darf ich das daraus entnehmen?
Herr Kollege Katzer, Sie können aus meinen Ausführungen entnehmen, daß wir bereit sind, über alles zu seiner Zeit zu sprechen, nämlich wenn der auf grünem Papier verteilte Antrag im Ausschuß liegt und die Regierung den Auftrag — ich bin überzeugt, daß wir dafür eine Mehrheit haben — erfüllt hat.
Dann ist der geeignete Zeitpunkt, mit entsprechendem Zahlenmaterial und unter Berücksichtigung des Härteberichts, den wir alle miteinander im letzten Bundestag angefordert haben, über diese Frage zu entscheiden, aber nicht heute und nicht am 19. Juli.
Ich habe gesagt, die CDU sitzt selbst auf der Anklagebank. Es ist nämlich die Schuld der ChristlichDemokratischen Union, wenn es heute das Problem der Kleinstrenten in diesem Umfang gibt. Sie waren es nämlich, die im Jahre 1957 mit Ihrer absoluten Mehrheit gegen SPD und FDP die vorhandenen Grundrenten — Sockelrenten nannte man sie damals — beseitigt haben, statt sie entsprechend den Vorstellungen der SPD und der FDP zu erhalten und auszubauen. Das wollen wir hier auch einmal festhalten.
Diese Mindestrenten haben auch in der Vergangenheit in vielen Anträgen der Sozialdemokratischen Partei eine Rolle gespielt. Aber die Christlich-Demokratische Union ist diesen Anträgen immer kühl begegnet mit dem Einwand, dort, wo die Rente nicht reicht, habe man ja die Fürsorge. Nach 1961 hat man erklärt, man habe ja die Sozialhilfe und die sei sogar etwas ganz anderes als die Fürsorge alten Stils.
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7564 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
SpitzmüllerIch will die Debatten von damals gar nicht aufleben lassen.Nun, hat Herr Kollege Katzer noch eine Presseverlautbarung von mir hier eingeführt, in der ich behauptet hätte, daß die Renten in ihrem Niveau nicht gesunken wären. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kommt immer darauf an, von welchem Standort und von welcher Position aus man an diese Frage herangeht. Man kann mit prozentuellen Rechnungen sehr vieles deuten, aber auch sehr vieles verschleiern. Es ist doch einfach nicht wahr, sondern eine intellektuelle Unaufrichtigkeit, zu behaupten, das Rentenniveau sei noch niemals so niedrig gewesen wie heute.
Tatsache und schlichte Wahrheit ist doch, daß die Renten noch niemals so hoch waren wie heute. Das Altersruhegeld eines Durchschnittsversicherten mit 40 Versicherungsjahren betrug im Reformjahr 1957 214,40 DM; seit dem 13. Rentenanpassungsgesetz beträgt es 515,90 DM
und ab 1. Januar 1972 548,40 DM. Das bedeutet eine Steigerung um 156 °/o gegenüber dem Rentenreformjahr von 1957.Ich möchte noch auf ein Protokoll aus der 184. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 16. Januar 1957 zurückkommen. Damals sagte hier einer Ihrer Kollegen:Es tut mir leid, daß es Personen gegeben hat, die im Leben so wenig verdient haben, daß sie mit den wenigen Beiträgen nicht in eine angemessene Rente hineinwachsen konnten. Aber diese aus den Beiträgen und aus der Versicherungszeit errechnete Rente ist gerecht. Wenn dann ein Bedürfnis vorhanden ist, müssen andere Instanzen eintreten, um den Mann lebensfähig zu machen.So weit ein Zitat eines führenden CDU-Kollegen aus dem Jahre 1957.Das Problem, das Sie ansprechen, war also im Jahre 1957 bekannt. Es hätte wesentlich gemildert werden können, wenn Sie damals wenigstens dem Erhalt des Sockelbetrages zugestimmt hätten. Dann wäre auch ein Ansatz für einen Ausbau im Verlauf der zurückliegenden 14 Jahre vorhanden gewesen. Das ist passé.Das Ziel der Rentenreform werde gefährdet. Das steht zwar nicht in Ihrem Antrag, wurde aber in vielen Erklärungen behauptet, die Sie draußen verbreitet haben. Ein Ziel, das von Anfang an ein illusionäres Ziel war, kann überhaupt nicht gefährdet werden. Auch in diesem Zusammenhang möchte ich nur eine Kollegin aus dem Deutschen Bundestag zitieren, nämlich Frau Kalinke, die am 26. Oktober 1967 ihren eigenen Parteifreund Stingl während der ersten Lesung des Finanzänderungsgesetzes mit einer Zwischenfrage unterbrach. Frau Kalinke stellte damals folgende Frage:Herr Kollege Stingl, fänden Sie es nicht redlich,vertrauenerweckend und beruhigend zugleich,wenn Sie sagen würden, daß sich viele Hoffnungen nicht erfüllten und viele Versprechungen nicht erfüllen ließen? Wäre es Ihnen möglich, ruhig und sachlich anzuerkennen, daß diejenigen, die 1957 ihre Sorgen und Bedenken geäußert haben, zumindest erleben mußten, daß das Ziel der SPD und auch unser eigenes Ziel trotz zehnjähriger Hochkonjunktur unter einer guten CDU-Politik nicht erreicht wurden?Schon allein diese Zwischenfrage der Frau Kollegin Kalinke aus dem Jahre 1967 ist der Beweis dafür, daß das Ziel der Rentenreform, nämlich bei 40jährigem Arbeitsleben 60 % zu erreichen, nach der Formel eigentlich nur erreicht werden kann — das müssen Sie sich einmal durchrechnen —, wenn drei Jahre lang das Lohnniveau nicht steigt. Ich glaube, einen solchen Zustand wünschen wir uns überhaupt nicht herbei; denn das Jahr 1967 hat uns gezeigt, was dann eintritt. Einfach von der Formel her ist, wie Sie sehen, dieses Ziel zwar ein Ziel, aber ein nie erreichbares Ziel, es sei denn unter solchen Konsequenzen, die wir alle miteinander, so hoffe ich. ablehnen.Wir mußten die Beitragssätze entgegen den damaligen Erwartungen mit unseren Stimmen erhöhen. Wir haben damals nicht gekniffen. Wir haben den 18 % zugestimmt, weil wir die Notwendigkeit einsahen. Aber wer dem pauschalen CDU/CSU-Vorschlag, so wie er heute vorliegt, zustimmte, würde den finanziellen Spielraum für dringend notwendige punktuelle Verbesserungen des Systems entscheidend einengen, d. h. es müßten abgeschrieben werden die stufenweise Einführung einer flexiblen Altersgrenze oder die längst überfällige Hausfrauenrente oder das Splitting, ein Babyjahr, besondere Rentenprobleme der Kriegsgeneration oder sonstige Probleme, die der auch von der CDU/CSU angeforderte Rentenbericht der Bundesregierung darlegt.Was in dieser Situation nottut, ist mehr Wahrheit und mehr Verantwortung gegenüber den Rentnern und den Beitragszahlern. Das erreicht man nicht mit einem Ad-hoc-Antrag, sondern durch gute, in der Öffentlichkeit lang diskutierte, immer zugängliche und durchschaubare Anträge, die in den Ausschüssen behandelt werden können. Dazu, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, geben wir Ihnen die große Gelegenheit, indem wir Ihren Antrag ablehnen und in der dritten Lesung unserem Antrag zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will auf die Ausführungen der Kollegen Schellenberg und Spitzmüller so ruhig und sachlich wie möglich eingehen.Herr Kollege Schellenberg, Sie haben unsere Aussage angegriffen, daß die Überschüsse zu Lasten der Rentner entstanden seien. Dazu einige Fakten. Beim 13. Rentenanpassungsgesetz hat uns die Bundesregierung im vorigen Jahr Vorausschätzungen
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Rufvorgelegt, die als Ergebnis bis zum Jahre 1985 einen Überschuß in Höhe von etwa 37 Milliarden DM auswiesen. Ein Jahr später, in diesem Jahr, ergeben die neuen Vorausschätzungen nicht mehr 37 Mil-barden DM, sondern über 130 Milliarden DM, also ca. 100 Milliarden DM mehr. Daß darüber natürlich einige von uns zunächst etwas schockiert waren, etwas mißtrauisch geworden sind und sich entsprechend geäußert haben, dafür müssen Sie Verständnis haben; denn wir haben im Ausschuß gehört, daß selbst Mitglieder des Sozialbeirats über die neuen Zahlen zunächst verblüfft waren. Ich bitte das also nicht übelzunehmen. Der Vertreter der Bundesregierung hat im Ausschuß ausdrücklich erklärt, daß drei Viertel dieser 100 Milliarden DM darauf zurückzuführen sind, daß wir ein neues Basisjahr, nämlich 1970, haben. In diesem Jahr sind die Löhne außerordentlich gestiegen. Infolgedessen konnten Überschüsse gebildet werden. Dagegen sind die Renten das ist doch gar nicht zu bezweifeln — im Verhältnis zu den explosiven Lohnsteigerungen zurückgeblieben,
und zwar auf einem Stand, der seit der Renten-reform noch nie so niedrig war wie in diesem Jahr.
Ich betone noch einmal, die neuen Überschüsse sind infolge der inflationären Entwicklung der letzten Zeit entstanden, weil die Löhne außerordentlich stark gestiegen, die Renten aber zurückgeblieben sind. Die Überschüsse sind letzten Endes gar nichts anderes als ein Spiegelbild des unzureichenden Rentenniveaus. Wir sind der Meinung: wenn schon in unserem Umlagesystem der Rentenversicherung Überschüsse gebildet werden, sollen sie vorab und in erster Linie den Rentnern, den alten Menschen zugute kommen.
Ich darf hier das Gutachten des Sozialbeirats zitieren, das dem Rentenanpassungsbericht beigefügt ist. Dort sagt der Sozialbeirat unter Ziffer 11 — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitierenEine solche Auslegung der im Gesetz genannten Kriterien kann indessen sozialpolitisch betrachtet zu keinem befriedigenden Ergebnis führen, wenn man nämlich in Rechnung stellt, daß— der Rentenanpassungssatz bereits 1970 mit 6,4 v. H. nur etwa halb so hoch war wie die gleichzeitigen Lohnsteigerungen— auch 1971 der Rentenanpassungssatz mit 5,5 v. H. aller Voraussicht nach ganz erheblich hinter den vorausgeschätzten Lohnsteigerungen zurückbleiben wird- der Vergleich zwischen der Entwicklung der Arbeitsverdienste und der Renten für die Rentner noch ungünstiger ausfällt, wenn man nicht die nominalen, sondern die realen Einkommen zugrunde legt.Abschließend heißt es dazu:Eine Anpassung der Renten um 6,3 v. H. zum1. Januar 1972 bedeutet unter diesen Umständen, daß die Nachteile, die die inflationäre Entwicklung der letzten Zeit für die Rentner im Zusammenhang mit dem Anpassungs-time-lag nach sich gezogen hat, 1972 noch keinesfalls ausgeglichen werden.Soweit der Sozialbereit der Bundesregierung!Sowohl von Herrn Kollegen Schellenberg als auch von Herrn Kollegen Spitzmüller ist immer wieder behauptet worden, wir würden Grundsätze der Rentenreform 1957 aufgeben, wir würden von der Rentenformel abweichen. Meine Damen und Herren, davon kann keine Rede sein. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen zu den Grundsätzen der Rentenreform zurückkehren, zu denen wir uns seinerzeit gemeinsam bekannt haben.
Wir haben doch damals gemeinsam gesagt, dieRentner sollen in ihrem allgemeinen Niveau von den Fürsorgeempfängern wegkommen und in dieNähe der Lohnempfänger gerückt werden. Das wollen wir jetzt mit unserem Antrag — ich möchte es bescheiden sagen — annähernd verwirklichen, indem wir die Schere zwischen Altrenten und Neurenten nicht ganz, aber wenigstens zur Hälfte schließen. Um es noch einmal zu sagen: wir wollen den Auftrag der Rentenreform verwirklichen, nicht mehr und nicht weniger. Darum geht es uns bei unserem Antrag.
Herr Kollege Spitzmüller, ich brauche Ihnen doch keinen Nachhilfeunterricht zu geben. Man könnte es bald meinen.
Ich möchte unterstellen, er kennt sich zu gut in diesen Dingen aus. Er hat die ganze Entwicklung mitgemacht. Um so mehr nehme ich es ihm übel, daß er, obwohl er es besser weiß, uns den Vorwurf macht, wir würden die Rentenformel ändern. Das stimmt einfach nicht. Wir wollen uns lediglich, wie Kollege Katzer es vorhin gesagt hat, von der bisherigen Routine der Anpassung lösen. Es bleibt bei der allgemeinen Bemessungsgrundlage für die Neuberechnung der Renten, es bleibt bei der individuellen Bemessungsgrundlage und bei den anderen Fakten auch. Es ändert sich mit unserem Antrag lediglich der Satz, um den wir die Renten erhöhen: die Renten, die vor 1971 zugegangen sind, werden statt um 6,3 % um 11,3% und die Neurenten des Jahres 1971 statt um O %, wie vorgesehen, um 4,7 % erhöht. Das ist der Inhalt unseres Antrags, das wollen wir dadurch erreichen, daß wir für die Rentenanpassung nicht nur, wie bisher, die allgemeine Bemessungsgrundlage des Jahres 1971 nehmen, sondern den Mittelwert der allgemeinen Bemessungsgrundlage 1971 und 1972. Das ist unsere Technik.Nun könnten Sie sagen es ist schon gesagtworden —: Aber das ist doch nicht der richtige Weg, da gäbe es bessere Wege. Da kann ich nur sagen, meine Damen und Herren von der SPD: Wenn Sie bessere Wege wissen, wenn Sie eine bessere Technik kennen, dann auf den Tisch damit, dann lassen
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Rufwir darüber mit uns reden. Aber nicht mit uns reden lassen wir über das Ziel, die Situation der alten Menschen zu verbessern. Darum geht es.
Nun ist gesagt worden — ich muß mich kurz fassen, um auf die verschiedenen Argumente eingehen zu können —, wir hätten die Auswirkungen auf andere Bereiche der Sozialleistungen nicht genügend bedacht; insbesondere hätten wir auch den Zusammenhang mit der Kriegsopferversorgung nicht überlegt. Nun, meine Damen und Herren, sind denn wir die Regierung? Die Regierung hat nach dem Gesetz die Pflicht, den Kriegsopferbericht vorzulegen und im Zusammenhang damit ein Kriegsopferrenten-Anpassungsgesetz vorzulegen. Das soll sie erst einmal tun, und dann werden wir uns entscheiden.
Zu den konjunkturpolitischen Einwendungen wird, wie Sie schon gehört haben, unser Kollege Strauß einiges sagen; ich will dazu nur ganz kurz folgendes bemerken.Erstens verteilen sich die 2 Milliarden DM Mehrausgaben auf das ganze Jahr — das sind also weniger als 200 Millionen DM im Monat —, und außerdem betragen diese 200 Millionen DM im Monat -das muß man wissen — etwa 0,5 °/o des gesamten privaten Verbrauchs.Aber hören wir doch einmal, was die Bundesregierung in der Begründung des von ihr vorgelegten Gesetzentwurfs zu diesen konjunkturpolitischen Dingen sagt. Die Bundesregierung sagt — und da möchte ich zustimmen — folgendes:Die konjunkturelle Situation, die zu Beginn des Jahres 1972 gegeben sein wird, läßt sich gegenwärtig nicht abschätzen. Es ist deshalb auch nicht möglich, die Auswirkungen des 14. Rentenanpassungsgesetzes auf Einzelpreise und Preisniveau heute schon vorauszusagen. Unabhängig davon— jetzt hören Sie einmal genau zu, meine Damen und Herren! —geht es nach Auffassung der Bundesregierung aus sozialpolitischen Gründen nicht an, mit restriktiven Maßnahmen bei den Einkommen der Rentner anzusetzen.Diesen Satz, meine Damen und Herren, unterstreichen wir von der CDU/CSU-Opposition hundertprozentig. Bei den Rentnern darf man erst zuletzt anfangen zu bremsen.Nun hat Herr Kollege Schellenberg noch einmal auf die Rentnerkrankenversicherung hingewiesen und gesagt, daß die damalige Bundesregierung ja nicht bloß die 2 %, sondern auch die 4 % vorgeschlagen habe. Herr Kollege Schellenberg, ich würde Ihnen empfehlen, noch einmal den Bericht unseres Kollegen Schoettle zum Finanzänderungsgesetz 1967 nachzulesen. Dort ist ausdrücklich gesagt worden, daß die Bundesregierung diese 4 % vorgeschlagen hatte, weil sie nicht nur die Finanzlage der Rentenversicherung, sondern auch die Finanzlage der Krankenversicherung konsolidierenwollte, und daß dies mit einem Satz von 2 % nicht möglich wäre. Man muß die Dinge eben immer von der damaligen Situation beurteilen und darf nicht von der heutigen Situation ausgehen, wenn man die Entwicklung wirklich gerecht beurteilen will. Wir hatten damals eine besondere Notsituation, und aus dieser Situation sind die von uns im übrigen gemeinsam beschlossenen Maßnahmen getroffen worden.Sie haben auf meine Ausführungen zur ersten Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Abschaffung des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner im Jahre 1970 angespielt. Nun, ich habe damals von Anfang an bei allen Bedenken zu erkennen gegeben, daß wir bereit sind zuzustimmen, und wir haben das Gesetz über den Wegfall dann auch einstimmig verabschiedet.Aber das müssen sich die Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen einmal sagen lassen: trotz des Wegfalls des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner hat sich die finanzielle Situation der Rentner — immer in Relation zu den Aktiven — nicht gebessert, sondern erheblich verschlechtert. Das ist doch die Tatsache, von der wir ausgehen, und das ist die Grundlage unseres Gesetzentwurfs. Daran bitte ich Sie zu denken.Nun hat Herr Kollege Schellenberg gesagt, unser Antrag würde die Schere zwischen niedrigen und höheren Renten vergrößern. Wenn ich noch recht im Gedächtnis habe, was Sie, Herr Spitzmüller, gesagt haben, so haben Sie erklärt, wir begründeten unseren Antrag mit den Kleinrenten. Davon kann nicht die Rede sein. Die Begründung für unseren Antrag hat Herr Kollege Katzer jetzt gegeben, und ich habe einiges ergänzend dazu gesagt. Das ist unsere Begründung, nicht die Kleinrenten.Ich kann Sie beide nur fragen, meine Herren: wollen Sie denn eigentlich die Einheitsrente mit einer Einheitsversorgung? Das steckt doch dahinter.
Oder wollen Sie bei dem Grundsatz der Rentenreform bleiben,
daß sich die Höhe der Rente auch in Zukunft nach der individuellen Lebensarbeitsleistung des einzelnen richten soll, daß der Mann, der aus dem Arbeitsleben ausscheidet, als Rentner in dem Lohngefüge drinbleibt, in dem er als Aktiver gewesen ist, und daß, je mehr einer gearbeitet, je mehr einer geleistet, je mehr einer Beiträge gezahlt hat, desto höher auch die Rente sein soll? Von diesem Grundsatz, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, wollen Sie mit Ihren Hinweisen doch hoffentlich nicht abgehen. Sie würden uns dabei jedenfalls nicht auf Ihrer Seite finden.Herr Kollege Schellenberg hat die Aussage des Herrn Kollegen Katzer bestritten, daß mehr als die Hälfte aller Renten unter dem Sozialhilfesatz liege. Nun, meine Damen und Herren, da darf ich einmal das „Bundesarbeitsblatt" zitieren, und zwar einen Aufsatz von Herrn Dr. Hensen, dem Versicherungs-
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Rufmathematiker des Bundesarbeitsministeriums. Dort heißt es auf Seite 331 wörtlich:Etwa die Hälfte der in diese Ausarbeitung einbezogenen Versichertenrenten der Arbeiterrentenversicherung und der Angestelltenversicherung liegt unter dem bundesdurchschnittlichen Regelsatz der Sozialhilfe.So das „Bundesarbeitsblatt", so Herr Dr. Hensen. Das ist doch gar nicht zu bezweifeln. Im übrigen wollen wir nicht darüber streiten. Aber Sie können doch nicht bestreiten, Herr Kollege Schellenberg daß wir bisher bezüglich der Entwicklung der Durchschnittsrenten aus der 'Rentenversicherung feststellen konnten, daß immer mehr Renten in ihrer Höhe über den Sozialhilfesatz hinausgewachsen sind. Dieser Trend der Vergangenheit ist jetzt umgekehrt. Jetzt geht es wieder nach unten. Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein.Herr Kollege Spitzmüller, Sie haben gemeint, wir würden mit unserem neuen Anpassungsverfahren der Manipulation Tür und Tor öffnen, wir würden damit die Rentenversicherung zum Spielball der Interessengruppen machen usw. Ich muß sagen, Herr Kollege Spitzmüller, mir ist dieser Einwand völlig unverständlich. Denn wir bemühen uns doch nun seit Jahr und Tag darum, die Ungleichbehandlung von Alt- und Neurenten zu beseitigen und die Renten wieder etwas näher an die Lohnentwicklung heranzuführen. Wenn Sie hier und heute die Gelegenheit dazu haben und wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ganz klar unserem Willen Ausdruck geben, auch in Zukunft bei dem neuen Anpassungsverfahren zu bleiben, so sollte das doch, Herr Kollege Schellenberg und Herr Kollege Spitzmüller, eine solide Grundlage für einen guten Brauch von morgen abgeben.Angesichts der Bedeutung unseres Antrags beantrage ich im Namen meiner Fraktion namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
— Meine Damen und Herren, ich habe keine Klarheit mehr. Bei mir sind noch fünf Redner gemeldet. Man sagt mir, es solle keiner mehr sprechen. Sie können den Rednern nicht das Wort abschneiden, wenn sie sprechen wollen. — Herr Abgeordneter Schmidt , Sie haben das Wort; ich hatte es Ihnen schon gegeben.
— Dann streiche ich sämtliche CDU-Redner, die hier gemeldet sind.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf nur feststellen, daß ich mich erst nach anderen Namensnennungen gemeldet hatte; aber ich bin gern bereit, meine Meldung später noch einmal nachzuholen.Ich darf jetzt nur auf die Ausführungen des Kollegen Ruf eingehen; denn Herr Kollege Ruf hat hier eine Reihe von Feststellungen getroffen, zu denen es zweifellos einiges zu sagen gibt.Herr Kollege Ruf, Sie haben darauf hingewiesen, daß erfreulicherweise in diesem Jahr durch den Rentenanpassungsbericht eine andere Finanzsituation für die Zukunft entstanden ist, und Sie haben — dafür bin ich Ihnen auch dankbar — neu bestätigt, daß nunmehr die sehr harte Kritik, die Sie und sehr maßgebliche Sprecher Ihrer Fraktion in unserem Ausschuß an der Berechnung und der Solidität der 100 Milliarden DM geübt haben, von Ihnen hiermit wohl zurückgezogen worden ist. Ich darf allerdings feststellen, daß das noch nicht unbedingt von seiten aller Sprecher Ihrer Fraktion geschehen ist. Auch wurde bisher noch nie das gesagt, was Herr Katzer heute hier dankenswerterweise über die Weiterentwicklung der Renten, wie wir sie sehen, gesagt hat, was aber in völligem Widerspruch zu den bisherigen Äußerungen von Ihrer Seite steht. Er hat nämlich gesagt, daß in diesen Überschüssen genug für alle enthalten sei. Das stelle ich hier fest. Ihre Auffassung, daß im Zusammenhang mit unserem Entschließungsantrag und der aus diesem folgenden Aufgaben der Bundesregierung noch eine sorgfältige Beratung stattfinden müsse, ist bereits vom Kollegen Spitzmüller geteilt worden.Ein Zweites, Herr Kollege Ruf. Sie haben erklärt, die Überschüsse seien ein Spiegelbild des unzureichenden Rentenniveaus; es müsse hier also etwas geschehen, um dieses Rentenniveau anzuheben. Der Kollege Spitzmüller hat vorhin schon darauf hingewiesen, daß die seinerzeit mit der Rentenreform verfolgten Ziele — zunächst 60 %, später 50 % -nicht erreichbar waren und nicht erreichbar sind. Das ist auch aus den Reihen Ihrer Fraktion bestätigt worden. Aber wie sähe es denn nun aus, wenn Ihr Antrag, den die FDP-Fraktion ablehnen wird, eine Mehrheit in diesem Hause fände? Dann würde die Rente im Jahre 1972 — die Zahlen, die ich hier nenne, stammen aus Ihrem Planungsstab — statt 42,6 % 44,5 % betragen, also 1,9 Punkte mehr. Am Ende des Zeitraums bis 1985 — ich will die Zwischenzahlen einmal weglassen —, wenn sich Ihre 5% wieder abwärts entwickelt hätten, würde die Rente bei weiterer Anpassung nach den Anpassungsgesetzen 47,6 % betragen, dagegen, wenn wir Ihrem Rat folgten, 48,9 %. Auch dann träte also nur eine Erhöhung um 1,3% ein. Es würde sich also nicht, wie Sie hier vorzutäuschen versuchen, eine erhebliche Niveauerhöhung ergeben.Dieses Beispiel macht doch schon deutlich, wie sehr Ihr Antrag auf die Optik und auf Emotionen ausgerichtet ist, wie wenig er durchdacht ist, weil es nun einmal Tatsache ist, daß die Ziele der Rentenreform, wie sie von Ihnen damals propagiert wurden — ich könnte hier eine Reihe von Zitaten von 1956 bezüglich 50 oder 60 % vortragen —, auf diesem Wege nicht erreichbar sind.Lassen Sie mich ein Drittes sagen. Sie haben erklärt: Wir weichen mit unserem Antrag nicht von der Rentenformel ab. Herr Kollege Ruf, das dürfte doch wohl ein wenig an den Tatsachen vorbeigehen.
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Schmidt
Oder rechnen Sie die allgemeine Bemessungsgrundlage nicht in die Formelberechnung mit ein? — Also! Sagen Sie mir ehrlich: manipulieren Sie nicht mit Ihrem Antrag die allgemeine Bemessungsgrundlage, Herr Kollege Ruf, indem Sie die 5 % wieder zurückführen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Härzschel?
Herr Kollege Schmidt, haben Sie nicht gelesen, daß der Vorschlag des Sozialbeirats in die gleiche Richtung geht und daß er diese Anpassung als systemkonform betrachtet?
Der Sozialbeirat hat diese Vorschläge in seine Berichterstattung einbezogen. Aber die Beratungen haben ergeben, daß dieser Weg nicht der richtige ist.
Nun ein Viertes. Herr Kollege Ruf, Sie haben hier erklärt, Sie begründeten Ihren Antrag nicht mit der Situation der Kleinstrentner. Das haben Sie selber auch im Ausschuß erklärt. Sie wissen aber sehr genau auch, daß von anderer Seite im Ausschuß und vor allem in der Öffentlichkeit die Dinge eindeutig nur damit begründet worden sind, daß es — und dabei spielt die von Ihnen abgelehnte Mindest- oder Sockelrente eine Rolle — solche Kleinstrenten bedauerlicherweise eben gibt. Damit haben Sie es hauptsächlich begründet.
Nach einer dpa-Meldung von heute morgen hat Herr Kollege Katzer immerhin erklärt, man sollte die Konsequenz aus der Tatsache ziehen, daß die Rentner die Leidtragenden der anhaltenden inflationären Entwicklung seien, während sich die Kassen der Rentenversicherung füllten. Auf der einen Seite sagen Sie hier, es sei kein Teuerungszuschlag, auf der anderen Seite polemisieren Sie draußen so. Meine sehr geehrten Damen und Herren, bitte, beantworten Sie einmal diese Fragen: Was ist nun wirklich Ihr Grund? Wollen Sie hier nur Polemik machen — darauf hat mein Kollege Spitzmüller schon mehrfach hingewiesen —, oder ist es Ihnen wirklich ehrlich mit dem Anliegen? Wenn Sie es ehrlich meinen, dann ist diese Entscheidung, die die Disparität erhöhen würde, die den Kleinstrentnern weniger und den anderen mehr geben würde, zweifellos der schlechteste Weg.
Wir werden uns im Rahmen der Beratungen im Zusammenhang mit dem Härtebericht der Bundesregierung und dem Entschließungsantrag über Möglichkeiten unterhalten müssen, und wir werden dies auch bei den Regierungsfraktionen tun.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Herr Kollege Ruf — ich will mich ja auf den Kollegen Ruf beschränken —, Sie haben aus dem Bundesarbeitsblatt einen Artikel von Herrn Hensen zitiert: Etwa die Hälfte der in diese Ausarbeitung einbezogenen Versicherungsrenten usw. — Sie haben dann aufgehört zu lesen. Anschließend heißt es aber:
Spezialuntersuchungen haben ergeben, daß
zwar rund 60 v. H. aller Empfänger von laufen-
den Hilfen zum Lebensunterhalt aus der Sozialhilfe auch eine Rente beziehen, daß aber nur knapp 3 v. H. aller Empfänger von Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen laufende Leistungen zum Lebensunterhalt aus der Sozialhilfe beziehen.
Woran liegt es, daß nur knapp 3 % laufende Leistungen aus der Sozialhilfe beziehen? Die Zahl von 60 % beruht doch darauf, daß wir unendlich viele Mehrfachrentenbezieher und Nebenrentenbezieher haben, wodurch natürlich die Durchschnittsrenten-höhe in einer solchen Berechnung, wie sie bis heute vorliegt, immer weiter nach unten gedrängt wird; das wissen auch Sie. Daher sollte man nicht versuchen, hier die Stimmung anzuheizen. Wir sollten vielmehr einmal versuchen — ich darf das abschließend sagen und damit auch die Bundesregierung bitten —, über den Mikrozensus oder auf anderem Wege eine genaue Feststellung der wirklichen Einkommenssituation der Rentner — es gibt ja das Zusammentreffen mehrerer Renten, und dann beziehen Rentner auch andere Einkommen — zu treffen, um hier tatsächliche Niveausituationen zu erkennen und nicht immer wieder Gefahr zu laufen, wie es auch geschehen ist, mit einer Zahl, die ohne weiteres widerlegbar ist, hier Gefühle zu wecken.
Meine Damen und Herren, das technische Wunderwerk unserer Abstimmungsanlage scheint das Kind im Manne zu wecken. Hier erschienen soeben etwa zehn Namen von Abgeordneten auf dem Bildschirm, die bestimmt nicht die Absicht haben, das Wort zu ergreifen. Das ist vielleicht humoristisch, aber es macht die Führung der Amtsgeschäfte des Präsidenten unmöglich.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Bundeskanzler, der leider bei dieser so wichtigen Debatte, in der es um das Schicksal von zehn Millionen Rentnern geht,
nicht auf der Regierungsbank sitzt,
sondern, wie ich eben feststelle, als Abgeordneter diese Debatte verfolgt, hat in seiner Erklärung zur Reformpolitik seiner Regierung am 24. März 1971 vor diesem Hohen Hause gesagt, wir stünden im Augenblick in einer großen Reformdebatte, in einer öffentlichen Auseinandersetzung über innere Reformen, und das sei eine gute Sache. Er hat alle diejenigen, die diese Reformdebatte beobachten, gewarnt, daß das zarte Pflänzchen des öffentlichen Reformbewußtseins nicht zertreten werden dürfe; das gehe beide Seiten im Bundestag an.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7569
Frau KalinkeWer die Debatte heute morgen verfolgt und die Reden der Vertreter der Regierungsparteien gehört hat, muß allerdings tief über das Niveau und auch über die Form bekümmert sein, wie hier über das zarte Pflänzchen der Reformdebatte und über das harte Schicksal der Betroffenen, über die wir hier diskutieren, geredet worden ist. Meine Herren und Damen, es geht hier nicht etwa um das Problem der Mindestrenten, auch nicht um das Problem einer Reform unseres Rentensystems, wie der Herr Kollege Schellenberg gemeint hat. Es geht auch nicht um die Änderung der Rentenformel. Es geht vielmehr schlicht und einfach um das Schicksal der Rentner, um den Kaufwert ihrer Renten und die Tatsache, daß Herr Schellenberg hat das heute wieder zitiert; es war aber in viel deutlicherer Form in diesem Monat im Nachrichtendienst des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu lesen — große Bevölkerungsgruppen, die in der Vergangenheit hei ihrem geringen Lebensstandard in der Tat einen großen Beitrag zum Wiederaufbau unserer demokratischen Ordnung geleistet haben und denen von allen Parteien in diesem Hause eine Anpassung ihrer Renten an die Produktivität und an die Lohnentwicklung versprochen worden ist, jetzt zum erstenmal — niemand kann das bestreiten — in eine Situation geraten sind, in der die Regierung nach unserer Auffassung nach dem Auftrag der Rentenformel hätte handeln müssen.
Die Rentner werden nicht die Worte hören, die heute hier gesprochen worden sind. Sie werden nur das „Nein" zu einer notwendigen Anpassung hören, die Sie, meine Herren und Damen von der Regierungsbank und von den Regierungsparteien, bei 13 Rentenanpassungsgesetzen von dieser Stelle aus immer gefordert haben und heute nicht mehr wahrhaben wollen. Und Sie, die Sie landauf, landab jeder Hausfrau und jeder berufstätigen Frau und jeder Rentnerirr ein Paradies von morgen versprechen,
werden antworten müssen, was Sie heute tun wollen.
Ich will mich mit Ihnen nicht über Zahlen streiten, die hier von meinem Kollegen Ruf schon richtig-gestellt worden sind. Aber wenn wir uns darüber unterhalten, was ein Rentner nach 50 Versicherungs- und Beitragsjahren bekommen kann, dann sage ich Ihnen: die soziale Verantwortung zwingt uns, über Realitäten zu sprechen, und die Realität ist, daß die meisten Rentner, vor allem die Frauen, 50 Beitragsjahre gar nicht erreichen. Die Zahlen, die hier auch im Hinblick auf die Inanspruchnahme der Sozialhilfe genannt worden sind, sind von den Vertretern dieser Regierung im Ausschuß und in der Literatur dargestellt worden und können daher nicht bestritten werden.Natürlich können Sie die Auffassung haben, daß es andere Pläne und Vorhaben gibt, die Sie verwirklichen wollen, die Sie für wichtiger halten. Wir aber meinen, daß wir den Rentnern nicht versprechen dürfen, im Wahljahr dies oder das zu tun,sondern das wir den Rentnern heute helfen müssen,
heute in einer Situation, in der ich zu dem stehe, was die Freien Demokraten leider alle vergessen haben.
— Ich stehe zu dem, was wir gemeinsam in einer gemeinsamen Koalition mit der FDP damals vertreten und durchgesetzt haben. Wir stehen mit jedem Wort dazu. Wir haben durchgesetzt, daß die Regierung verpflichtet ist, in jedem Jahr darüber nachzudenken, ob die Renten nach der Rentenanpassungsformel angepaßt werden sollen. Bei einer geänderten Produktivität, bei einer geänderten Situation der Wirtschaft, bei einer Preissituation, wie sie noch nie dagewesen ist, solange wir in diesem Haus über die Kaufkraft der Renten gesprochen haben, stehen wir vor der Frage, ob wir uns nicht in der gemeinsamen Verantwortung vereinigen sollten, das sozialpolitisch Notwendige, das sozialpolitisch Dringende zuerst zu tun.Vor wenigen Tagen hat vor dem großen Frauenkongreß des DGB ein sehr sachverständiger Sprecher des Deutschen Gewerkschaftsbundes erklärt, daß sie natürlich ihre Forderung nicht vergessen haben, daß die Rentenhöhe ausreichen muß, um die Vorstellung vom Alter ohne Not zu verwirklichen, und daß diese Rentenhöhe ein angemessenes Verhältnis zum Lebensstandard der Aktiven haben muß. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Sozialdemokraten diese ihre Auffassung ändern könnten. Ich kann mir mit meinem Kollegen Katzer nicht denken, wie Sie den Rentnern, an die Sie so oft Flugblätter verteilt haben, dies klarmachen wollen.
Darum bitte ich alle diejenigen, die diesen Grundsatz ernst nehmen, alle diejenigen, die als Gewerkschaftler oder Arbeitgeber von ihrer Verantwortung gegenüber dem Rentnerschicksal ernsthaft Gebrauch machen wollen, heute unserem Antrag zuzustimmen. Denn es kommt nicht darauf an, meine Kollegen von der SPD, für morgen und übermorgen neue Versprechungen zu machen, sondern darauf, eine notwendige Sache vorab und heute zu erledigen.
Sie haben meinen Freunden vorgeworfen, wir hätten Ihre Anträge bei 13 Rentenanpassungsgesetzen nicht verwirklicht. Nun, Ihre Anträge waren bunt genug. Es ging da um Mindestrenten, Teuerungszulagen, Anpassungen jeder Art. Damals war die Situation der Rentenversicherungsträger, wie Sie nachlesen können, so, daß wir gemeinsam um die Finanzen der Rentenversicherung besorgt waren. Es ist ein Unterschied, ob in den Kassen der Rentenversicherungsträger eine Milliarde oder 100 Milliarden Überschuß sind.Was wir mit unserem Antrag heute fordern, rührt das Prinzip der Rentenformel, um deren Funktion wir gemeinsam besorgt sind, Herr Kollege Schellenberg, überhaupt nicht an. Wenn Sie zu
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7570 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Frau KalinkeIhrer damaligen Vorstellung noch stehen, die Rentenformel automatisch an die Lohnentwicklung anzupassen Ihre Vorstellung war wesentlich anders als die der FDP —, dann müßten Sie unserem heutigen Antrag mit zwei Armen zustimmen, weil einer gar nicht ausreichen würde.
Jeder Mann in der Bundesrepublik weiß und jede Frau spürt es und jeder Rentenempfänger hat es schmerzhaft erfahren, daß nicht nur die Preise für den Lebensmittelkorb des Rentnerhaushalts, sondern daß vor allen Dingen die Preise in jedem Altersheim für jeden Rentner unerträglich geworden sind. Geben Sie doch den alten Menschen die Sicherheit und die Ruhe, die wir ihnen gemeinsam versprechen sollten, damit sie nicht im nächsten oder im übernächsten Jahr, sondern jetzt in der Lage sind, auch ihr bescheidenes Zimmerchen im Altersheim noch zu bezahlen,
und vielleicht auch noch 20 Mark übrig haben, um ihren Enkeln ein Geschenk zu machen. Sie wissen so gut wie ich, wir Sozialpolitiker wissen es gemeinsam, was die alten Menschen drückt.Wir sprechen nicht von der kleinen Zahl derjenigen, die in der Lage waren, hohe Beiträge zu zahlen, und die verhältnismäßig hohe Renten bekommen, sondern wir sprechen von denen, die, aus welchen Gründen auch immer — und es gibt sehr viele Gründe —, nicht in der Lage waren, ausreichende Beiträge zu zahlen, oder es versäumt haben. Diesen Personenkreis dürfen Sie, ja Sie können ihn nicht mit einer so billigen Entschließung abfinden. Sie dürfen nicht mit einer Entschließung sagen, wenn Sie als Sozialdemokraten noch Ihr Gesicht behalten wollen: „Wir wollen irgendwann irgendwas verbessern." Wenn Sie diese Meinung vertreten, dann frage ich Sie heute: wann ist das Irgendwann, und was wird es sein, was Sie den Rentnern anbieten? Was Herr Kollege Schellenberg hier in einem Katalog dargestellt hat, das haben wir landauf und landab in den Zeitungen gelesen. Das sind die Erklärungen Ihres Arbeitsministers. Das sind die Erklärungen, die sich immer wiederholen. Das sind Absichtserklärungen, für die Sie noch an keiner Stelle gesagt haben, was diese Absichten wirklich kosten, wer sie finanzieren soll und wohin die Reise gehen wird.Sie sprechen dauernd von Hausfrauenrenten. Sie wissen sehr genau, wie kompliziert dieses Problem ist. Es ist dankenswert, daß ein Sozialpolitiker aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund endlich auch mal ehrlich gesagt hat, daß man so etwas nicht versprechen kann, wenn man nicht den Preis einer solchen Leistung nennt. Sie sprechen neuerdings vom „Baby-Jahr". Wir haben schon zehn Jahre Überlegungen angestellt, wie man das komplizierte Problem der Ersatzzeiten, wie man die schwierige Situation des laufenden Absinkens gerade der Frauenrenten ändern kann. Wir meinen, daß Sie den nicht berufstätigen Frauen keinen Dienst erweisen, wennSie ihnen laufend neue Versprechungen machen, ohne endlich klar zu sagen, wie Sie die verwirklichen wollen, und was die Frauen dafür bezahlen müssen.
In diesem Hause ist von einigen Kollegen bezweifelt worden, daß die Preisentwicklung die Rentenerhöhungen aufgefressen habe. Nun, kein geringerer als Ihr eigener Geschäftsführer, Herr Wischnewski hat vor ganz kurzer Zeit eine zusätzliche Rentenerhöhung gefordert. Sicherlich war es auch Ihrem Arbeitsminister sehr ernst, als er kurz nach Antritt seiner Aufgabe meinte, es müsse etwas Zusätzliches geschehen — wenn jene Vorstellung auch keineswegs in dem System war und blieb, das wir verteidigen wollen.Die Beratungen bei diesem Rentenanpassungsgesetz haben ganz deutlich gemacht, daß Sie nicht die prekäre Situation der Rentner sehen, sondern wahrscheinlich eine ganz andere Situation und ganz andere Zielsetzungen. Kollegen der SPD haben hier mehrfach von dieser Stelle aus erklärt, daß es traurig ist, ja daß es beängstigend ist, wenn Rentner unter Umständen gezwungen werden, auf die Straße zu gehen. Wir sollten gemeinsam verhindern, daß sie das tun müssen. Wir sollten gemeinsam verhindern, daß die harten Debatten, die wir hier in der Vergangenheit führen mußten, die aber dem Ziel dienten, in dem Rentenempfänger den Menschen zu sehen — vor allen anderen Formeln und Vokabeln —, sich in dieser Weise wiederholen.
Der Kampf um die Rentenreform hat nach Ihrer Ankündigung begonnen. Nach unserer Meinung hat auch die Auseinandersetzung begonnen, die die Ruhe an der Rentenfront beendet hat. Niemand bedauert das so wie meine politischen Freunde. Deshalb meine ich, meine Herren, daß es nicht damit getan ist, daß der Herr Arbeitsminister in einer Reihe von Erklärungen wie auch in den letzten Wochen wieder immer neue Versprechungen macht, wie sich der Lebensstandard der Rentenempfänger erhöhen werde. Wenn er das erreichen will, sollte er seine Freunde — Sie haben noch bis zu der Sondersitzung im Juli Zeit — und uns alle davon überzeugen, daß er eine vernünftige, eine bessere Anpassung vornehmen kann, als Sie hier vorschlagen.Mein Kollege Strauß hat heute morgen gesagt, die Regierung entschuldigt sich mit der Vergangenheit. Ich sage Ihnen: sie versagt in der Gegenwart und vertröstet die Ärmsten der Armen auf eine Zukunft,
die sehr viele von ihnen wahrscheinlich nicht mehr erleben werden. Zögern Sie nicht, das zu tun, was Sie ja im Grunde auch alle denken und was Ihnen allen höchst unangenehm ist! Zögern Sie doch nicht, etwas zu tun, wofür wir gemeinsam, ganz besonders aber diese Regierung, Verantwortung tragen. Richtig ist auch das, was der Kollege Strauß heute morgen gesagt hat: Was Sie heute und in diesem Jahr tun werden, wird billiger sein; tun Sie das Not-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7571
Frau Kalinkewendige jetzt! Wie es sich im Wahljahr auswirkt, wird sich noch erweisen.
Ich bitte Sie, ungeachtet Ihres Fraktionszwangs
nicht an das zu denken, wovor Sie sich wahrscheinlich zu Recht fürchten müssen. Ich verstehe ja Ihre Furcht vor 1973!
Ich bitte Sie, daran zu denken, daß es Probleme der Gesellschaftspolitik gibt, in denen Regierung und Koalition übereinstimmen sollten! Die Regierung hat nicht gehandelt. Die Opposition fordert sie auf, gemeinsam mit ihr zu handeln und unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nölling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Daß die Sozialdemokraten die Situation der Rentner nicht sähen, ist eine unverschämte Unterstellung,
1 die ich im Namen meiner Fraktion zurückweisen muß. Bei diesem Problem geht es nicht darum, in eine totale Emotionalisierung zu geraten, sondern es geht darum, sachverständig, mit Verstand, die Dinge, um die es heute geht, darzulegen, allerdings mit Gründen und nicht mit Emotionen.
Ich darf doch wohl nach wie vor davon ausgehen, Frau Kalinke, daß Sie wie wir der Meinung sind und uns nichts anderes unterstellen wollen — ich muß Sie insofern fragen, ob Sie nicht zu weit gegangen sind —, daß alle Rentner an der Steigerung des Lebensstandards teilnehmen sollen. Ich glaube, das ist eine unbestrittene Politik, und davon gehen wir in diesem Hause alle aus.
Meine Damen und Herren, wir waren uns aber bisher darin einig, daß dies aus guten Gründen mit einer zeitlichen Verzögerung geschehen sollte. Dazu haben Sie bisher gestanden, und das haben Sie bisher für richtig gehalten. Es hat Schwankungen in unserem System gegeben; das ist unverkennbar. Einmal sind die Lohnempfänger, ein anderes Mal die Rentner stärker begünstigt worden. Das hat sich aber längerfristig immer wieder ausgeglichen. Die Rentner sind dabei nicht schlecht gefahren. Etwas anderes können Sie hier nicht behaupten. Nun will die Opposition die bisher gemeinsam getragene Rentenpolitik zum zweitenmal aufgeben. Sie hat sie zum erstenmal im Jahre 1967 aufgegeben, als sie systemwidrig eine Kürzung der Renten durchsetzte. Es geschieht nun zum zweitenmal, daß die gemein-
same Rentenpolitik aufgegeben wird, indem die Tür aufgestoßen werden soll, um die Rentenversicherung, wie Herr Kollege Spitzmüller gesagt hat, end- gültig zum Spielball der Konjunktur- und Preislage zu machen.
Der Kollege Katzer, der heute gesprochen hat, hat dies bestritten; andere haben es meines Wissens ebenfalls bestritten. Ich möchte aber zitieren, was in der „Welt" von heute über eine Aussage von Herrn Katzer wiedergegeben ist:
Je nach der Finanzlage der Rentenversicherung und den Stabilitätsverhältnissen in der Wirtschaft will die CDU/CSU nach den Worten Katzers jährlich neu entscheiden, ob sie eine weitere außerplanmäßige Rentenerhöhung beantragt.
Meine Damen und Herren, damit tritt die totale Unsicherheit in unser Rentenrecht ein, Unsicherheit sowohl für die Rentner als auch für die Beitragszahler. Ich glaube, daß muß man deutlich sehen.
Meine Damen und Herren, welche Begründungen werden von der Opposition vorgebracht, um eine solchen einschneidende Abkehr von der gemeinsam betriebenen Politik zu begründen? Erstens wird behauptet, die Preise seien so stark gestiegen wie nie zuvor und eine Steigerung der Realeinkommen der Rentner habe nicht stattgefunden.
Frau Kollegin Kalinke, das ist schlichtweg falsch und die Unwahrheit. Seit dem 1. Januar 1970 sind die Renten um 14,5 °'o gestiegen, der Preisindex für die Lebenshaltungskosten eines Rentnerhaushaltes dagegen um 6 "/o. Ich meine, man kann mit anderen Zahlen hier nicht argumentieren, sie sind falsch.
Herr Kollege Katzer hat zu meiner Überraschung heute die Behauptung aufgestellt, daß auch im Jahre 1972 mit einer Preissteigerungsrate gerechnet werden müsse, die etwa die Steigerungsrate des Rentensatzes erreichen werde.
Herr Kollege Katzer, ich finde, daß Sie damit in unverantwortlicher Art und Weise zu erkennen geben, daß Sie dazu beitragen, daß die Preiserwartungen in dieser Gesellschaft verfestigt und nicht abgebaut werden.
Herr Kollege Nölling, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Kalinke? — Nein, Frau Kollegin, der Kollege möchte nicht.
Er möchte nicht? Wie schade!
Ich möchte im Moment keine Zwischenfragen zulassen.
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7572 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Dr. NöllingMeine Damen und Herren, wer so etwas behauptet, kapituliert vor der Inflation, anstatt mit uns dafür zu kämpfen, daß wir die Preissteigerungen wieder verringern.
Es wird weiter behauptet, das Rentenniveau sei gesunken. Hier wird ein irreführendes Spiel mit Begriffen getrieben, auf das Kollege Schellenberg schon hingewiesen hat. Ich frage nur die Damen und Herren von der Opposition: Wie haben Sie denn die Entwicklung von 1957 bis 1964 beurteilt, als die Verhältniszahl von Lohnniveau zum Rentenniveau ebenfalls von 50,9 % auf 43,5% absank? Mir ist nicht bekannt, daß die Opposition — damals Regierungspartei — etwa deshalb etwas an der Rentensystematik hätte ändern wollen.Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß das Vertrauen der Rentner und der Beschäftigten in die langfristige Solidität der Rentenversicherung nicht um kurzfristiger Effekte willen aufs Spiel gesetzt werden sollte. Wir Sozialdemokraten bekennen uns zur Notwendigkeit und zu den Möglichkeiten von Leistungsverbesserungen, meinen aber, daß di ese gründlich überlegt und sozialpolitisch optimal sein sollten.Durch die Äußerungen der Oppositionssprecher heute sind auch unsere weiteren Sorgen, die Sorgen der SPD, nicht ausgeräumt worden. Bei diesen Sorgen geht es darum, ob die Opposition bei ihrem Antrag hinreichend überlegt hat, welche kurz-, mittel- und langfristigen Wirkungen ihr Antrag haben muß. Ich möchte dazu vier Punkte nennen:Erstens. Man kann nicht einfach, wie es Herr Kollege Katzer getan hat, vom Tisch wischen, daß die anderen autonomen Gruppen und die Bezieher von fixen Einkommen in diesem Staat in einer vom Parlament beschlossenen Nettoeinkommenssteigerung von 11,3 % unter Umständen ein Signal für die Rechtfertigung eigenen stabilitätswidrigen Verhaltens sehen können. Das kann man nicht einfach vom Tisch wischen, wie Sie es getan haben.
Ähnlich ist es mit den 2,5 Milliarden DM, die Sie im nächsten Jahr auf diese Weise zusätzlich — nachfrageneutral, wie Sie behaupten — ausgeben wollen. Ich wehre mich mit aller Entschiedenheit gegen Ihre Unterstellung, daß wir Sozialdemokraten die Sozialpolitik der Konjunkturpolitik unterordnen wollten.
Gerade das Gegenteil ist der Fall. Man kann aber auch nicht so tun, als ob es hier keine Zusammenhänge gäbe, auf die wir achten müßten.Zweitens. Wenn man einmal Zuschläge dieser Art wegen der Preisentwicklung eingeführt hat, mit welcher Begründung will man solche in der Zukunft verhindern? Meine Damen und Herren, wir müssen uns doch fragen, ob man solche Preiszuschläge, solche Inflationszuschläge, sowohl auf einzelne Gruppen als auch im Zeitablauf begrenzen kann. Mit einer solchen Politik aber — darauf müssen wir in dieser Stunde hinweisen — würden diese Praktiken gangund gäbe, würden sie zur Gewohnheit werden, würde der Marsch in die Inflation angetreten. Das kann nicht im Interesse der Rentner liegen.Meine Damen und Herren, ich komme zum dritten Punkt. Herr Kollege Katzer hat die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt überhaupt nicht erwähnt. Ich weiß nicht, ob es wegen des schlechten Gewissens war, denn man kann doch nicht so tun, als ob der Haushalt gar nicht belastet würde. Ich will gar nicht fragen oder unterstellen, warum Sie etwa die Kriegsopferfrage so zögernd angehen, denn der Kol- lege Ruf hat gesagt: „Sind denn wir in der Regie-! rung", um uns Gedanken über unsere eigenen finanziellen Vorschläge zu machen. Er hat dies entrüstet zurückgewiesen. Ich meine sehr wohl, daß Sie über diese finanziellen Konsequenzen in diesem Plenum ebenfalls Aussagen machen müssen.
In einer einzigen Woche, meine Damen und Herren, hat die Opposition 150 Millionen DM mehr Kindergeld verlangt, 70 Millionen DM mehr für die Ausbildungsförderung und — das muß man unterstellen — 500 Millionen DM mehr für die Kriegsopfer, wenn sie diese Rentenanpassung haben sollen. Die Opposition setzt damit — das erleben wir seit 11/2 Jahren — eine verhängnisvolle, kurzsichtige und isolierte Sozialpolitik fort, natürlich in der Absicht, sich bei allen Gruppen in dieser Gesellschaft beliebt zu machen. Das ist es, was Sie motiviert ohne Rücksich auf die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen!
Vierter Punkt. Wie soll man das erneute Bedienen der Gießkanne sozialpolitisch motivieren?
Ich will das nicht weiter ausführen; dazu ist ausführlich gesprochen worden. Sie lösen damit die strukturellen Probleme unserer Rentenversicherung nicht.Meine Damen und Herren, kann man eine Opposition eigentlich noch ernst nehmen, die heute einen Antrag einbringt, der 52 Milliarden DM kosten soll, und gleichzeitig erklärt, daß sie selbstverständlich prüfen will, d. h. daß sie es für möglich hält, daß die Kleinstrenten angehoben werden, daß für Hausfrauenrenten etwas getan wird, daß die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige kommen soll und die flexible Altersgrenze selbstverständlich ebenfalls möglich sein soll? Hier findet eine Täuschung auch der Arbeitnehmer statt.Herr Kollege Katzer, Sie haben Herrn Schreiber zitiert, und Sie haben in Interviews in Tageszeitungen der letzten Tage darauf hingewiesen, daß manI erst dann eine flexible Altersgrenze einführen könne, wenn man das Rentenniveau angehoben habe. Wenn Sie sich mit Herrn Professor Schreiber identifizieren — und Sie haben es hier getan —, dann müssen Sie doch zugeben, daß der Kollege Schreiber ausdrücklich von Abschlägen bei dieser vorgezogenen Rente gesprochen hat. Sie tun hier
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7573
Dr. Nöllingeinerseits so, als 01) Sie das Rentenniveau erhöhen wollten,
damit die Wahlfreiheit überhaupt eine reale Chance hat, und andererseits geben Sie zu, daß Sie gar nicht anders können, wenn Sie neben Ihrem Programm hier -- würde es verwirklicht — die flexible Altersgrenze einführten, als daß Sie dann systemwidrige Abschläge für die Finanzierung brauchen. Ich kann das nur als Täuschung der Beschäftigten in unserem Volke bezeichnen und muß es hier auch so nennen.Meine Damen und Herren, Sie haben der Koalition vorgeworfen, sie tue nicht genug für die Rentner. Wenn man die Gesamtaktivitäten dieser Regierung auch im Zusammenhang mit den zu erwartenden Rentensteigerungen betrachtet, so muß man diesen Vorwurf auf das entschiedendste zurückweisen.Ich möchte Ihnen an Hand von sieben Punkten sagen, daß diese Koalition nicht mit leeren Händen vor den Rentnern steht und auch im Jahre 1973 nicht mit leeren Händen vor den Rentnern stehen wird.
Erstens. Diese Regierung hat ganz energisch Front gemacht gegen die Preissteigerungen.
— Ja, meine Damen und Herren, wo ist die Politik der CDU in den letzten anderthalb Jahren glaubhaft und glaubwürdig dargestellt worden,
daß ihre Alternativen etwa die Preissteigerungen in der Bundesrepublik in den Griff bekommen hätten? Ich stelle hier die Behauptung auf — und es gibt genug Beweise dafür, meine Damen und Herren —, daß die Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Sie in dieser Zeit hier vertreten haben, zu noch sehr viel höheren Preissteigerungen geführt hätte.
Das können Sie ganz einfach daran ablesen, daß Sie zweimal dagegen gewesen sind, in diesem Staate Aufwertungen zu beschließen. Welche Auswirkungen das auf das Preisniveau 1970 gehabt hätte, kann sich jeder ausrechnen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, daß das Preisklima inzwischen zurückgegangen ist. Das ist der Fall, weil wir eine entsprechende Politik betrieben habenZweitens. Diese Regierung hat die Wohngeldzahlungen seit dem 1. Januar 1971 außerordentlich verbessert. Seit Anfang dieses Jahres profitieren von diesen Verbesserungen vor allein auch die Rentner. Sie haben im Jahre 1970 280 Millionen DM an Wohngeld erhalten. Sie werden in diesem Jahr 153 Millionen DM mehr erhalten, d. h. 55 % der vorgesehenen Mehrausgaben.Drittens. Die Koalition wird eine Verbesserung des Mieterschutzes einführen, die gerade unseren älteren Mitbürgern die Angst vor einer Kündigung ihrer Wohnung nehmen soll.
Wenn wir schon über Sozialpolitik sprechen in bezug auf den Rentner, muß auch das erwähnt werden.Daneben läuft das Wohnungsbauintensivprogramm der Bundesregierung, das ebenfalls gezielt und verstärkt den Bau von Altenwohnungen vorsieht.Viertens. Die Rentenanpassung im nächsten Jahr erreicht mit 6,3 °/o das projektierte Niveau der Bruttolohnerhöhung für das nächste Jahr. Dieser Satz von 6,3 °/o ist innerhalb unserer Rentensystematik nur deshalb möglich, weil sich die Erfolge der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik jetzt im Steigerungssatz niederschlagen,
und zwar aus den Jahren 1968 und 1969. Die Rentner werden es dankbar empfinden, daß das Erbe, das aus dem Jahre 1967 in diese Formel noch mit hineinragt, dieses unglückliche Erbe der damaligen Rezession mit der Anpassung von 6,3 % jetzt zu Ende ist. Wir brauchen ab 1973 mit dieser Sünde der CDU/CSU-Vergangenheit nicht mehr zu leben. Ich glaube, das ist ein Vorteil.
Fünftens. Es wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß der Krankenkassenbeitrag für Rentner ab- geschafft wurde.
Meine Damen und Herren, verdeutlichen Sie sich einmal die Größenordnungen, um die es geht. Da- mit hat diese Koalition von 1970 bis 1972 noch einige hundert Millionen mehr an Kaufkraft für die Rentner zur Verfügung gestellt, als Sie mit Ihrem Vorschlag 1972 erreichen würden.
Sechstens. Allein in den beiden Jahren 1973 und 1974 — die Redner der Opposition haben das natürlich verschwiegen wird die Rentensteigerung über 20 % ausmachen. 1973 werden es voraussichtlich 9,5 % sein, 1974 11 %. Von 1970 bis 1974 werden es fast 50 % sein. Sehen so Rentenniveausenkungen aus, wie von der Opposition behauptet wird?
Die Opposition hat heute wohlweislich verschwiegen — sie hat es gar nicht in die Debatte eingeführt —, daß nach ihrem Vorschlag ab 1974 und 1975 geringere Rentensteigerungen vorgesehen sind als nach unseren Vorschlägen, wenn es bei der jetzigen Rentenformel bleibt.
— Darüber kann man streiten.
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7574 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Dr. NöllingIch behaupte: auch realiter. Dann hätten Sie doch darauf hinweisen können,
daß mit Ihrem Konzept diese Reduktion der Steigerungsraten untrennbar verbunden ist.Siebtens. Die Regierung wird noch in dieser Legislaturperiode mein Kollege Schellenberg hat das angekündigt — ein sozial-politisches Reformprogramm vorlegen, das strukturelle Verbesserungen und den Ausgleich von Härten bringen wird.
Es wird im Gegensatz zu Ihrem Antrag ein wohlüberlegtes Programm sein, der zweite Teil der Rentenreform unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Stabilitätspolitik, der vor allem die Solidarität der arbeitenden und der Rentnergeneration in unserem Lande erhält und stärkt. Auf diesen Gesichtspunkt hat Herr Professor Schellenberg hingewiesen.Wenn ich den Kollegen Katzer soeben richtig verstanden habe, hat er doch schon einen Rückzieher gemacht. Er hat doch gesagt, wir sind bereit, zu einem späteren Zeitpunkt ein solches wohlüberlegtes, durchdachtes Rentenreformprogramm mit der Koalition zu beschließen.
Schön. Sie geben doch zu, daß das heute unmöglich ist. Ich habe Sie so verstanden, daß Sie unter Umständen bereit wären, von Ihrem Antrag zurückzugehen, ihn zurückzuziehen. Ich kann Ihnen nur empfehlen, dies um der Glaubwürdigkeit der Sozialpolitik der Opposition willen heute noch zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strauß.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um von vornherein jeden Zweifel aus der Welt zu schaffen, darf ich sagen, daß die Fraktion der CDU/CSU an diesem Antrag festhält und die übrigen Mitglieder des Hohen Hauses auffordert, ihrem guten Beispiel zu folgen.
Wir haben nicht den leisesten Grund, diesen Antrag zurückzuziehen, um damit anderen zu helfen, ihr schlechtes Gewissen zu erleichtern.
Nun einige Bemerkungen zu den vorgebrachten Argumenten. Erstens. Bei den zahlreichen früheren parlamentarischen Aussprachen über die Rentenanpassung ist von seiten der SPD immer wieder und von ihrer Seite aus auch in verständlicher Weise die Forderung nach Nachholung der seinerzeit nicht vorgenommenen Anpassung erhoben worden.
Wir waren in all den Jahren, Herr Kollege Schellenberg, in einer gewissen Besorgnis, daß die Dynamik des heutigen Rentensystems schwierige, um nicht zu sagen unlösbare finanzielle Probleme nicht nur für den Bundeshaushalt, sondern auch für die Beitragszahler aufwerfen werde. Wir haben zu Beginn der Großen Koalition eine Rechnung aufgemacht, die etwas erfreulicher aussah. Sie ließ immerhin den Schluß zu — ich darf hier an den damaligen Arbeitsminister appellieren —, daß bis zum Jahre 1985 die finanziellen Anforderungen der dynamischen Rente zwar nicht leicht, aber doch knapp und sicher erfüllt werden können. Damals bestand keine Möglichkeit, damals bestand kein Spielraum für zusätzliche Maßnahmen, wenn nicht das System als solches in Frage gestellt werden sollte.
Ich darf daran erinnern, daß von zahlreichen Seiten, die ich deshalb gar nicht tadeln will, an mich als Finanzminister gegensätzliche Forderungen herangetragen worden sind. Die eine Seite sagte, man solle das bruttolohnbezogene Prinzip aufgeben, man solle die Referenzperiode ändern.
— Nein. Die andere Seite sagte — ich meine hier aus den eigenen Reihen heraus —: Hand weg! Wir haben im Jahre 1957 das Bruttolohnprinzip und die Referenzperiode eingeführt, und dabei bleibt es. — Ich habe damals nach gewissenhafter Prüfung, die gemeinsam mit dem Arbeitsminister vorgenommen wurde; dem Kabinett vorgeschlagen, keine Änderung vorzunehmen. Wir waren uns aber sicher, daß wir die finanziellen Anforderungen zwar nicht mit großen Überschüssen und Polstern, auch nicht ohne Verzicht auf Beitragserhöhung, aber doch würden bewältigen können. Darüber gibt es keinen Zweifel.Zweitens darf ich eine Bemerkung an die Adresse mehrerer Redner der SPD machen. Ich sage es, gerade, weil ich am wenigsten davon betroffen bin. Es ist mehr als schlechter Stil, wenn man Beschlüsse, die in der Großen Koalition gemeinsam im Kabinett unter Zustimmung auch der anwesenden Kabinettsmitglieder der SPD zum Zwecke der Sanierung der Bundesfinanzen und zum Zwecke auch der Sicherstellung der langfristigen Rentenversorgung gefaßt worden sind, nunmehr in einer polemischen Weise behandelt, als ob Belastungen oder Minderleistungen allein eine Angelegenheit der CDU/CSU gewesen seien, mit der der andere Koalitionspartner nichts zu tun gehabt habe.
Wenn man damit anfangen würde — ich deute es nur an —, dann müßte man auch einen Streit von damals wieder ins Bewußtsein zurückrufen, wer denn die Besteuerung der Soizalversicherungsrenten als einen möglichen Weg zur Erleichterung der
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7575
StraußBürde vorgeschlagen hat. Es gab damals eine Fülle von Vorschlägen, die bei den langen Verhandlungen über die mittelfristige Finanzplanung über die Ordnung der Bundesfinanzen, über die Sicherstellung der Rentenversorgung gemacht worden sind. Sie sind gemeinsam diskutiert worden. Was als Ergebnis herauskam, hat den Segen des ganzen Kabinetts gefunden und beruhte nicht auf einer Mehrheitsentscheidung des etwas größeren Koalitionspartners gegenüber dem kleineren Koalitionspartner. Man sollte endlich einmal mit diesem System, das Sie noch einmal teuer zu stehen kommen wird, hier im Hause aufhören.
Zum nächsten Punkt. Ich war auch etwas überrascht und wahrscheinlich nicht ich allein —, daß schon so kurze Zeit nach Beginn der neuen wirtschaftspolitischen Ara eine neue langfristige Rentenfinanzierungsprognose aufgestellt worden ist, die bis zum Jahre 1985 entgegen den Sorgen, die wir vor der Großen Koalition hatten, aber auch nicht in Übereinstimmung mit der damals sehr realistischen Rechnung des knappen Zurechtkommens Überschüsse von 140 Milliarden DM aufweist. Wir brauchen hier die Diskussion im einzelnen nicht zu wiederholen, aber die Frage wird im Raume stehen bleiben, ob diese Überschußrechnung in der nächsten Regierung — ganz gleich, von wem sie gebildet werden wird — noch erhalten sein wird. Wenn ich an die Kurzlebigkeit salcher langfristigen, angeblich mit größter Gewissenhaftigkeit aufgestellten Prognosen denke, dann würde ich auf die 140 Milliarden DM Überschuß im Jahre 1985 nicht mit absoluter Sicherheit bauen, darüber gibt es keinen Zweifel. •
— Herr Schellenberg. Sie legen mich dabei nicht herein! Ich bleibe schon logisch, keine Angst! Diese Überschußrechnung ist auf einer Entwicklung des nominalen Bruttosozialproduktes und auf einer Entwicklung des Lohnniveaus aufgebaut, wie sie in den letzten beiden Jahren zwar zugrunde gelegt, aber nicht einfach linear in die Zukunft fortgeschrieben werden können.
Hier hat heute großes ein Schattenboxen stattgefunden. Sie haben doch hier für etwas gekämpft, was Sie heute nicht sagen wollen, Sie haben doch hier gegen etwas gekämpft, was Sie am liebsten selbst durchgesetzt hätten. Hier hat doch die Schlacht von Issos stattgefunden, die große Keilerei mit verkehrten Fronten. Herr Kollege Schellenberg, ich rede zum erstenmal auf einer solchen Debatte, aber ich bin so lange in dem Hause hier, ,daß ich Sie sehr genau kenne.
— Noch nicht ganz, aber dafür bleiben wir hoffentlich noch lange zusammen in dem Hause hier! Man kann bei Ihnen immer noch etwas dazulernen.Ich komme zu einem zweiten Gesichtspunkt. Wenn Sie sagen, von einer solchen 5%igen Erhöhung werden die Bezieher größerer Renten stärker begünstigt als die Bezieher kleinerer Renten, und wenn Sie das beanstanden, müssen Sie das System insgesamt ändern. Dann müssen Sie eine ganz andere Form einführen und von der Form, die Sie heute wieder beschworen haben, endgültig Abschied nehmen. Das ist im System drin, wobei ich das System bejahe, aber trotzdem sagen würde, wir wollten mehr für die Bezieher der Kleinstrenten tun, die ohne eigene Schuld heute noch Hungerrenten haben,
weil sie damals mit Naturallohn und nicht mit Geldlohn entlohnt worden sind. Da haben Sie alle Möglichkeiten, diesen Schaden demnächst zu reparieren und dem Antrag zuzustimmen, der aus dem Bereiche der CDU/CSU kommt.
Zum zweiten. Wenn Sie, Herr Kollege, aber weiter sagen, die Rentner hätten in den beiden letzten Jahren ja nur eine Preissteigerung von 6 % und 14 % Steigerung erlebt, so möchte ich jetzt nicht wieder in diese Prozentarithmetik eintreten, aber fragen Sie einmal einen Rentner! Gehen Sie einmal in eine Rentnerversammlung und erzählen Sie ihm, daß er 14 % mehr Rente bekommen habe, aber nur 6 % mehr bei den Preisen zu bezahlen gehabt habe. Wie schaut es denn aus mit den öffentlichen Tarifen, wie schaut es aus mit der Kohle, wie schaut es aus mit Versicherungen usw.
Herr Kollege Strauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Die Vorredner taten dies ebenfalls nicht. Ich bitte jetzt, mich ungestört zu Ende sprechen zu lassen, dann werden wir eher fertig.Die meisten Rentner haben natürlich nicht die Rente als einziges Einkommen, sie haben noch ein weiteres Einkommen. Meistens sind das ihre Ersparnisse. Daß diese Ersparnisse — besonders wenn es sich um Bausparer handelt — durch die von dieser Politik herbeigeführte inflationäre Entwicklung besonders stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind, kann doch wirklich kein Mensch bestreiten.
Nun eine dritte Bemerkung. Es ist hier so viel in, ich darf sagen: an die FDP der fünfziger Jahre erinnernder stabilitätsbewußter Pflichthaltung vor der Mehrausgabe gewarnt worden. Wenn es nur nicht aus d e m Mund gekommen wäre! Dann wäre es glaubhafter gewesen.Aber ich kann Ihnen hier sehr wohl einen hilfreichen Wink geben. Das Einkommen der Rentner hat sicherlich nominal zugenommen, — nominal; real bestimmt nicht.
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7576 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
StraußAber die Differenz zwischen dem Einkommen der im aktiven Arbeitsleben Stehenden und der Renteneinkommen hat gewaltig zugenommen. Wir sind heute statt bei den 60 0/e, die wir damals angestrebt haben — im Laufe der letzten Jahre sind wir am allerstärksten abgesunken —, bei 40 °/o, die die Renteneinkommen im Verhältnis zu den Einkommen aus aktiver Arbeit ausmachen.
Je mehr diese hohen Zuwachsraten beim Einkommen aus aktiver Arbeit anhalten, desto mehr müssen die Rentner zurückfallen, auch wenn sie prozentual, im Durchschnitt der Jahre gesehen, mitziehen.Ich gebe Ihnen hier einen ganz guten Rat: Sie müssen nur Farbe bekennen! Wenn Sie Angst haben vor mehr Kaufkraft, wenn Sie Angst haben um die Stabilität, — man soll auch späte Bundesgenossen begrüßen. Wenn Sie allerdings sagen, Herr Kollege, daß durch unsere Wirtschaftspolitik eine höhere Preissteigerungsrate herbeigeführt worden sei, wenn Sie das ernsthaft zu sagen wagen, dann muß ich fragen: Haben Sie den in den beiden letzten Jahren in diesem Hause hier geschlafen?
Haben wir denn nicht vor diesen überhöhten Ausgabeversprechungen permanent gewarnt?
Wie steht es denn mit dem Versprechen der Steuersenkung und der Verdoppelung der Arbeitnehmerfreibeträge zum 1. Januar 1970? Jetzt kommen sie zum 1. Januar 1974, und die, die es kriegen, werden durch Mehrbelastungen auf andere Weise um mehr als Ihr damaliges Versprechen gebracht. Wir haben damals unpopulärerweise Steuererhöhungen frühzeitig verlangt; ein wenig dankbares Brot für die Opposition.Aber wenn Ihnen der Kaufkraftzuwachs Sorge macht, dann denken Sie bitte mal über folgendes nach!
Der Konjunkturzuschlag läuft im Juli dieses Jahres aus. Von diesem Moment an werden im Laufe von sechs Monaten allein etwa 2,6 bis 3 Milliarden DM mehr Kaufkraft bei denen entstehen, die über ein aktives Arbeitseinkommen verfügen, im Laufe eines Jahres 5,5 bis 6 Milliarden DM. Wenn Sie dagegen nichts machen, wenn Sie glauben, daß das unschädlich ist, dann kommen Sie nicht mit dem Argument, daß 2,2 Milliarden DM mehr für die Bezieher der kleinsten Einkommen von Schaden sind!
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie brauchen nicht zu befürchten, daß
ich den Eindruck erwecken möchte, wie mir eben hier entgegengerufen wurde, ich wolle als Rentenexperte sprechen.
Ich wollte Ihnen erstens ein Kompliment machen, weil Sie sich ganz genau überlegt haben, welche Wirkung dieser Antrag draußen hat. Das ist das einzige, was an Ihrem Antrag beachtenswert ist.
Das gestehe ich Ihnen neidlos. Dies hier wäre ein Wettbewerb in dem, was man heute in der Politik modisch das Verkaufen von etwas nennt. Sie verkaufen etwas sehr gut.
Vereinfacht ist Ihr Antrag natürlich ein Antrag, der die auch jetzt so simpel aufgemachte Rechnung fortsetzt: Rente soundsoviel Prozent, Lebenshaltungskosten soundsoviel Prozent, und dann noch einiges drangehängt für die Bezieher der Kleinstrenten, obwohl Ihnen hier nachgewiesen wird: Mit Ihrem Antrag kriegen die nichts mehr, und prozentual werden sie genauso schlecht dastehen, wie sie jetzt dastehen.
Ich würde Ihnen die Hand geben, meine Damen und Herren, wenn Sie etwas Ernsthaftes machen würden — mit uns zusammen — für die Bezieher der Kleinstrenten.
Ich habe mich immer gewundert, und es hat mich, der ich kein Rentensystematiker bin, immer gewurmt, daß die Systematiker jeder Couleur — ich betone: jeder Couleur — über diese Dinge so schnell hinweggegangen sind. Jetzt berufen Sie sich in einem Zusammenhang darauf, der gar kein echter Zusammenhang ist. Das ist für mich enttäuschend. Sie bedienen sich hier einer Sache — der man sich annehmen müßte —,
um sie in Wirklichkeit gar nicht zu machen.
Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie sich den Antrag lediglich in einer Richtung durchgerechnet haben: in der Wirkung. Und da habe ich Ihnen gesagt: Kompliment! Aber ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, die Sie heute so fröhlich sind: ich beneide Sie dennoch nicht. Die CDU/CSU geht mit diesem Antrag einen schlimmen Weg. Sie werden daran denken.
Herr Kollege Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Entschuldigen Sie bitte, ich werde mich hier jetzt doch nicht anlegen mit dem früheren Finanzminister aus der Zeit der Großen Koalition. Ich teile die Meinung, daß es ungut ist, mal das und mal jenes auszupacken. Aber wenn
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7577
WehnerSie hier so tun, sehr verehrter Herr Kollege, als sei mit Ihnen darüber zu reden, wie das System insgesamt geändert werden könne, und andere Dinge mehr, dann möchte ich doch einmal eine Gelegenheit erbitten, bei der wir über Ihre damaligen Einsparungsvorschläge ohne Ausschmückung, nackt und ohne daß wir dabei etwas verbrämen, sprechen können —
bis zu den Grundrenten der Kriegsopfer!
Herr Kollege Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber bitte sehr, wenn das zu einer anderen Zeit besser zu machen ist, ist das in Ordnung.
Meine Damen und Herren, dieser Antrag, der in der Publikumswirkung so durchgerechnet worden ist, daß man neidlos sagen muß: Sie verstehen das Handwerk, draußen Leute über das, was eigentlich los ist, zu täuschen, bindet, wie wir hier gehört haben — Sie haben das nicht widerlegt —, mehr als 50 Milliarden DM. Wenn Sie wirklich etwas wollten, was Sie hier zu wollen vorgeben, dann wäre ja darüber zu reden, ob denn nicht im Zusammenhang mit dem Antrag, den die beiden Koalitionsfraktionen hier stellen, genau das durchgerechnet werden kann, statt einer Publikumswirkung wegen jetzt mehr als
50 Milliarden DM über Jahre zu binden, einen Betrag, den Sie in Wirklichkeit sinnvoll für den inneren strukturellen Ausgleich der Ungleichheiten und der Benachteiligungen durch die schlechten Renten benutzen könnten. Darum ging es.
Ich wäre dafür, den Versuch zu machen — ich weiß, daß Sie festgelegt sind: der Publikumswirkung wegen —, etwas für diejenigen zu tun,
die außerhalb all dieser Spitzensätze zu leben haben, mit denen man immer — auch unsere Systematiker — paradiert.
Meine Damen und Herren, ich habe noch sehr in Erinnerung—ich nehme an, einige der Damen und Herren des Kabinetts der vorigen Periode haben es auch noch in Erinnerung —, wie jene graphischen Darstellungen des Rentenberges immer wieder an die Wand gemalt wurden und wie lange Jahre dieses ganz hohe Plateau vor uns stand. Ich sehe einen Herrn hier unten vor mir, der — warum nicht; es war seine Pflicht, es war auch sein Recht -- damals immer gesagt hat: Das muß erst bewiesen werden. Und heute schütteln Sie das so aus der Hand: 50,
51 Milliarden, die Sie binden.
Das ist der Unterschied. So verstehen Sie die Chance, in Opposition zu sein. Das ist ein gefährlicher Weg, meine Damen und Herren. Sie helfen damit den Rentnern nicht, Sie helfen damit der Rentenversicherung nicht, Sie helfen damit nicht der Reform jener noch reformbedürftigen Reform des Jahres 1957, von der immer wieder gesprochen worden ist.
Davon, daß es — einer meiner Kollegen hat es gesagt — inzwischen Beitragserhöhungen gegeben hat, wird geschwiegen. Davon, daß noch eine bevorsteht, eine ganz beträchtliche, wird geschwiegen. Ich weiß ganz genau: Wären wir hier nicht in dieser Situation, würden doch die meisten von Ihnen — ohne daß wir uns gegenseitig etwas vorzuwerfen hätten, wann das der eine oder der andere tut — sagen: Natürlich muß man überlegen, wie man mit dieser Finanzlage der Rentenversicherung und dem, was der Bund von Haushalts wegen dazuzugeben hat, das Bestmögliche für diejenigen macht, die noch am meisten benachteiligt sind. Das wäre eine gemeinsame Möglichkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Katzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Reaktion von Herrn Kollegen Wehner zeigt, daß er tief betroffen ist, und das ehrt ihn. Denn in der Tat könnten Sie nach der ganzen Tradition Ihrer Partei nicht anders, als hier und heute dem Antrag, den die CDU/CSU-Fraktion vorlegt, Ihre Zustimmung zu geben.
Ich möchte zwei Bemerkungen machen, Herr Kollege Wehner.
Erstens zur Frage der Beitragserhöhung. Diese haben wir auf meinen Antrag hin in der Großen Koalition gemeinsam schon für das Jahr 1973 beschlossen, vor und während des Bundestagswahlkampfes. Ich habe immer gesagt und wiederhole es hier: das ehrt das gesamte Haus; denn es war ein einstimmiger Beschluß.
Zweitens möchte ich sagen: Diese Regierung hat eine Rechnung vorgelegt, nach der am Ende des Jahres 1985 140 Milliarden DM überbleiben. Herr Wehner, ich verstehe Sie nicht; Sie sind doch sonst ein so starker Mann. Warum sprechen Sie denn nicht mit Ihrem Arbeitsminister und sagen ihm: Lieber Herr Arbeitsminister, ehe wir über die flexible Altersgrenze, die wir gern haben wollen, sprechen, lassen Sie uns gemeinsam über die Kleinstrenten sprechen!
Sie haben uns an Ihrer Seite, wenn es darum geht, dieses Problem anzufassen.
Lassen Sie mich hier eine dritte und letzte Bemerkung machen. Ich bin dankbar, daß sich durch den Antrag unserer Fraktion das ganze Hohe Haus endlich einmal mit den Problemen in der Sozialpoli-
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Katzer
tik geistig auseinandersetzen muß. Dafür danke ich sehr. Das sollten Sie aufgreifen.
— Aber entschuldigen Sie, verehrter Herr Kollege. Sie sollten uns doch dankbar sein. Das ist doch in dieser Debatte am heutigen Tag deutlich geworden. Wir haben doch nie behauptet, daß wir mit unserem Antrag alle Probleme lösen. Mitnichten! Es bleibt noch eine ganze Menge offen. Aber vor einem können und dürfen Sie sich heute nicht drücken: Sie können die Rentner von heute nicht darauf vertrösten, daß Sie ihnen morgen mehr versprechen. Wir müssen heute diese Entscheidung hier für die Rentner, die beide Jahre zurückgeblieben sind, treffen.
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann voll verstehen, daß es Ihnen unangenehm ist, heute an unsere gemeinsame Koalitionszeit erinnert zu werden. Hier sprechen Sie davon, Sie wollten mit Ihren Anträgen erreichen, daß insbesondere den Kleinrentnern geholfen wird.
Als die Freien Demokraten während der gemeinsamen Regierungszeit den Gedanken in die Debatte brachten, unser Rentensystem dahin zu überprüfen, ob nicht eine Sockelrente eingeführt werden sollte, wiesen Sie das hohnlachend ab. Heute tun Sie so, als seien Sie immer dafür gewesen.
Sie, Herr Kollege Strauß, haben eben davon gesprochen, ab 1. Juli werde der Konjunkturzuschlag frei. Draußen im Lande werden diese Regierung und diese Regierungskoalition verdächtigt, sie seien nicht bereit, ihr Wort einzuhalten, ab 1. Juli den Zuschlag nicht mehr zu erheben, und heute werfen Sie uns vor, daß das so geschieht. Das ist die unterschiedliche Argumentation, die Verdummung, die Sie treiben wollen.
Herr Kollege Mischnick, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Wenn Sie alles das, was der Kollege Strauß gesagt hat, aufmerksam nachlesen, werden Sie feststellen, daß außer dem ersten Satz
jedes Argument des Kollegen Strauß gegen den Antrag der CDU/CSU spricht. Deshalb stimmen wir auch dagegen.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag— —
Das Wort hat der Abgeordnete Härzschel.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich glaube, es muß hier doch noch einmal deutlich gemacht werden, daß Ihre Argumentation widersprüchlich ist.
— Doch! Das ist Ihnen zwar unangenehm, aber trotzdem werde ich es Ihnen sagen.
Die SPD, die jahrelang die Forderung erhoben hat, die wir heute in einer anderen Situation stellen, wendet sich jetzt dagegen. Ich frage Sie, wie Sie heute über das urteilen, was damals Professor Schellenberg hier im Plenum gesagt hat. Ich will Ihnen das einmal zur Kenntnis geben. Er hat gesagt:
Es ist ein schwerwiegender Mangel der bisherigen Rentenanpassung, daß die Altrenten ein Jahr hinter den Neurenten zurückbleiben. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß diese ausgefallene Anpassung unbedingt nachgeholt werden muß, damit endlich die Gleichbehandlung der Alt- und Neurentner verwirklicht werden wird. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit.
Anschließend hat er dann einen Vorschlag gemacht. Er schlug nämlich vor, in einem ersten Schritt die Hälfte der ausgefallenen Anpassung nachzuholen. Und genau das beantragen wir heute!
Ich habe nicht gehört, Herr Kollege Schellenberg, daß damals — in einer wesentlich schlechteren Finanzsituation — Herr Wehner das Wort ergriffen und eine solche Rede wie heute gehalten hat.
Ich meine, wir müssen glaubwürdig sein. Wenn Sie damals in einer wesentlich schlechteren finanziellen Situation so argumentiert haben, können wir heute auf Grund der einmaligen Lage nach der Rentenreform, daß die Rentenerhöhung durch die Preisentwicklung fast aufgezehrt wird, diese unsere Forde-
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Härzschel
rung mit noch viel mehr Berechtigung stellen. Die Rentner werden Sie daran messen, wie Sie sich verhalten. Wir wenden uns jedenfalls entschieden dagegen, daß dieser Antrag als Publikumsantrag abqualifiziert wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Katzer hat davon gesprochen, daß eine Entscheidung für die Rentner heute gefällt werden müsse und daß diese Entscheidung, wenn sie gerecht sein solle, nur so aussehen könne, wie die CDU/CSU sie sich vorstelle.
— Wir werden uns noch darüber unterhalten, ob das so richtig ist. Ich kann nur an das erinnern, was mehrere Kolleginnen und Kollegen der Opposition im Laufe des heutigen Tages hier in diesem Hohen Hause von diesem Platz aus vorgetragen haben. Der Kollege Härzschel hat gerade davon gesprochen, daß der Herr Kollege Wehner sich in einer Zeit, in der eine wesentlich schlechtere Finanzlage geherrscht habe, in diesem Hause nicht zu Wort gemeldet habe. Daraus kann man doch wohl den Umkehrschluß ziehen, daß die gegenwärtige Finanzlage
— im Gegensatz zu der Meinung, die der Kollege Strauß heute morgen geäußert hat — doch nicht so schlecht ist.
Lassen Sie mich ein Weiteres sagen. Frau Kollegin Kalinke hat vorhin hier verkündet, daß die Opposition, d. h. die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union, schon zehn Jahre darüber nachgedacht habe, wie man zu einer vernünftigen Regelung kommen könne.
— So haben Sie es gesagt. Ich habe es mitgeschrieben. Ich habe volles Verständnis dafür, daß Sie, solange Sie in der Regierung waren, hier nicht mit einem Ergebnis vor das Parlament getreten sind. Dieses Nachdenken Ihrerseits hat erst zu einem Ergebnis geführt, nachdem Sie von der Regierungsarbeit befreit worden sind; nunmehr tragen Sie diesem Hause Ihre Vorstellungen vor.
Frau Kollegin Kalinke, wenn Sie dann wenige Sätze später davon sprechen, daß für die Ärmsten der Armen hier eine Entscheidung getroffen werden muß, frage ich Sie allerdings: Wer hat denn in der Vergangenheit dafür gesorgt, daß die Rentner in dieser Frage bisher nicht zu einem besseren Ergebnis gekommen sind? Die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union, die 20 Jahre lang den Regierungschef in diesem Hause gestellt hat, hat verhindert, daß hier eine bessere Position eingenommen werden konnte.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem sagen, was der Kollege Strauß vorgetragen hat.
— Ich lasse genauso wie Ihre Kollegen keine Zwischenfragen zu.
Der Kollege Strauß hat gesagt, daß außer der Rente das zweite Einkommen der Rentner zu ihrem Lebensunterhalt beitragen müsse, nämlich ihre Ersparnisse. Herr Kollege Strauß hat gleichzeitig den auch durch noch so oftmaliges Wiederholen nicht richtiger werdenden Satz gebraucht, durch die Inflationspolitik dieser Regierung seien die Ersparnisse der Rentner geringer geworden. Auch das ist in der Sache falsch.
— Entschuldigen Sie, auch Sie vermögen nicht die Statistik des Bundesamtes zu widerlegen, nach der sich im Jahre 1970 die Ersparnisse bei Banken und Sparkassen um weitere 48 Milliarden DM erhöht haben.
— Herr Kollege Russe, damit kommen wir zu dem nächsten Thema: von wem? Wenn es nämlich um die Frage der Vermögensbildung geht, zu der gerade Sie und Ihre Kollegen des linken Flügels der CDU
sich in der Vergangenheit oft geäußert haben, beschreiten Sie einen Weg, der das Ergebnis, das Sie hier kritisieren, erst einmal beseitigt. Sie allein tragen dafür die Verantwortung, daß dieser Weg so gegangen worden ist.
Nun können Sie sich heute hinstellen und das alles beklagen. Sie können sagen: Das ist alles falsch gewesen. Aber das spricht Sie von der Verantwortung in der Vergangenheit nicht frei. Darüber müssen Sie sich genauso im klaren sein.
Meine Damen und Herren, wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Dann kommen wir zur Abstimmung. Es ist namentliche Abstimmung erbeten worden; der Antrag ist hinreichend unterstützt. Meine Damen und Herren, wir stimmen auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion über den gesamten Änderungsantrag auf Umdruck 191 ab.Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.Meine Damen und Herren, das vorläufige Ergebnis der Abstimmung liegt vor. Ihre Stimme haben 468 Mitglieder des Hauses und 21 Berliner Abgeordnete abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 229 und 8 Berliner Abgeordnete, mit Nein 239 und 13 Berliner Abgeordnete. Damit ist der Antrag abgelehnt.
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Endgültiges Ergebnis:Abgegebene Stimmen 467 und 21 Berliner Abgeordnete. DavonJa: 229 und 8 Berliner AbgeordneteNein: 238 und 13 Berliner AbgeordneteJa CDU/CSUDr. Abelein AdornoDr. Aigner Albervon Alten-NordheimDr. AlthammerDr. Arnold Dr. ArtzingerDr. BachBaierBalkenhol Dr. Barzel Dr. Becher
Dr. Becker
Becker BerberichBerdingBergerBewerunge BiecheleBiehleDr. BirrenbachDr. von Bismarck BittelmannBlankBlumenfeld' von BockelbergDr. BöhmeFrau Brauksiepe Breidbach BremerBremmBrück Dr. BurgbacherBurgerDr. Czaja Dammvan Delden Dichgans Dr. DittrichDr. DollingerDraegervon Eckardt EngelsbergerDr. ErhardErhard ErnestiErpenbeck Dr. Evers Dr. Eyrich von Fircks Franke
Dr. Franz Dr. Freiwald Dr. Frerichs Dr. FrühDr. Fuchs Dr. Furler Dr. GatzenFrau Geisendörfer Geisenhofer Gerlach GewandtGierenstein Dr. Giulini Dr. GleissnerGlüsing Dr. GötzGottesleben Frau GriesingerDr. Gruhl Haase
Dr. Häfele Härzschel Häussler Dr. HallsteinDr. HammansHanzHauser
Dr. Hauser
Dr. HelligeFrau Dr. HenzeDr. Hermesdorf HöcherlHöslHorstmeierHortenDr. HubrigHussing Dr. Huys Frau .Jacobi
Dr. Jaeger Dr. JenningerDr. Jobst JostenDr. JungmannFrau KalinkeKatzerDr. KempflerKiechle KiepDr. h. c. KiesingerFrau Klee Dr. KlepschDr. KleyDr. Kliesing KösterKrammig Krampe Dr. KraskeDr. KreileFrau Dr. Kuchtner LampersbachLeichtLemmrich LensingDr. Lenz LenzerLinkDr. LudaLücke
Majonica Dr. MartinDr. Marx MaucherMeister Memmel Dr. Mende MickDr. Mikat Dr. MiltnerMüller Müller (Remscheid)Dr. Müller-Hermann Mursch NiegelDr. von Nordenskjöld OrgaßOttPetersen PfeiferPicard PierothDr. PingerDr. PohlePohlmannDr. PrasslerDr. PreißDr. ProbstRainer Rasner RaweReddemannDr. ReinhardRiedel
Dr. Riedl
Dr. RinscheDr. RitgenDr. Ritz RockRöhner Rösing RollmannRommerskirchenRoserRufRussePrinz zu Sayn-WittgensteinHohensteinSchlee Schedl Dr. Schmid-BurgkDr. Schmidt Schmitt (Lockweiler)Dr. h. c. Schmücker Schneider Dr. Schneider (Nürnberg) Dr. SchoberFrau Schroeder Dr. Schröder (Düsseldorf) Schröder (Sellstedt) Schröder (Wilhelminenhof) SchulhoffSchulte Dr. Schulze-VorbergDr. SchwörerSeitersDr. SiemerSolkeSpilker SpringorumDr. SprungStahlbergDr. Stark
Dr. Starke
Stein
SteinerFrau StommelStormStrauß Struve Stücklen Susset von ThaddenTobaben Frau TüblerDr. UnlandVeharVogelVogtVolmerWagner
Frau Dr. WalzDr. WarnkeWawrzikWeber
WeiglDr. Freiherr von Weizsäcker WendelbornWindelenWinkelheideWissebachDr. WörnerFrau Dr. WolfBaron von Wrangel Dr. WulffZieglerDr. Zimmermann ZinkZoglmannBerliner AbgeordneteAmrehnBendaDr. GradlDr. KotowskiMüller Frau PieserSchmitz WohlrabeNein SPDAdamsDr. AhrensAnbuhl Dr. ApelArendt
Dr. Arndt
Baack BaeuchleBäuerle BalsBarcheDr. BardensBatzBauer
BayDr. BayerlDr. Bechert Becker (Nienberge)Dr. BeermannBergmannBerkhanBerlin BiermannBöhm Börner Frau von BothmerBrandtBrandt
BredlBrück
Brünen BuchstallerDr. von BülowBuschfortDr. BußmannCollet CorterierCramerDr. von DohnanyiDürrEckerlandDr. EhmkeFrau EilersDr. EndersEngholmDr. EpplerEsters Faller Dr. FarthmannFiebigDr. FischerFlämigFrau Dr. FockeFolgerFranke
Frehsee Frau FreyhFritschGeiger
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GertzenDr. GeßnerGlombig GnädingerGrobeckerDr. HaackHaar
Haase HaehserHalfmeierHansen Hansing HauckDr. Hauff HenkeHermsdorf HeroldHirschHöhmann
Hörmann HofmannHornFrau HuberDr. HupkaJahn
Jaschke Junghans Junker KaffkaKahn-AckermannKaterKernKillat-von CorethDr. Koch Koenig KohlbergerKonradDr. KreutzmannKrockert Kulawig LangeLangebeckDr. Lauritzen LautenschlagerFrau LauterbachLeberLempLemper Lenders Liedtke Löbbert Dr. LohmarLotzeMaibaum MarquardtMarx
Matthes MatthöferDr. Meinecke Meinike (Oberhausen) MetzgerMichels MöhringDr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Müller
Dr. Müller Müller (Nordenham)Dr. Müller-EmmertDr. MüthlingNeemannNeumannDr. NöllingOffergeldFrhr. Ostman von der Leye PawelczykPeiterPenskyPeters
Pöhler Porzner RaffertRavensDr. ReischlFrau RengerRichterDr. Rinderspacher RohdeRosenthalRoßSäcklSander SaxowskiDr. SchachtschabelDr. Schäfer Frau Schanzenbach ScheuDr. SchillerSchiller Frau Schimschok SchirmerSchlagaDr. Schmid Schmidt (Braunschweig) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Hamburg)Dr. Schmidt Schmidt (München) Schmidt (Niederselters) Schmidt (Würgendorf) Dr. Schmude Schollmeyer SchonhofenSchulte SchwabeSeibert Seidel Frau SeppiSimonDr. SlottaDr. SperlingSpilleckeStaak
Frau Strobel StrohmayrSuckTallertDr. TambléFrau Dr. TimmTönjes UrbaniakVitWalkhoffDr. Weber WehnerWelslauWende Wendt WestphalDr. WichertWiefel WienandWilhelmWischnewskiDr. de WithWittmannWolf WolframWrede Würtz Wüster Wuttke Wuwer Zander ZebischBerliner AbgeordneteDr. Arndt BartschBühling HeyenFrau KrappeLöfflerMattickDr. Schellenberg Frau SchleiDr. Schulz Dr. SeumeSieglerschmidtFDPDr. AchenbachFrau Dr. Diemer-Nicolaus DornErtlFrau FunckeGallus GeldnerGenscherGraaffGrünerHelmsJung KienbaumKirst KleinertKrall LogemannMertesMischnickMoerschOlleschPeters
Schmidt SpitzmüllerWurbsBerliner Abgeordnete BormWir kommen jetzt in zweiter Lesung zur Abstimmung über § 1 in der vorliegenden Fassung. Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —Das erste war die Mehrheit.Ich rufe die §§ 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Wer seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen und sich wenn möglich an der Abstimmung zu beteiligen. — Das erste war die Mehrheit.
Dann haben wir eine klarere Übersicht darüber, wie die Meinung im Hause ist.Wir kommen damit zurdritten Beratung. Das Wort hat Herr Minister Arendt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst als positiven Ertrag der Debatte folgendes festhalten. Der Streit um Berechnungsmethoden und Ergebnisse des Rentenanpassungsberichtes ist vorbei. Auch die Opposition bestreitet heute nicht mehr die Seriösität und die Solidität des von der Bundesregierung vorgelegten Zahlenwerks. Mit dieser Feststellung verknüpfe ich die Hoffnung, daß diese Übereinstimmung auch in Zukunft zur Versachlichung der sozialpolitischen Debatten beitragen wird.Wenn ich aber gerade von Versachlichung spreche, Herr Kollege Ruf, möchte ich ein Wort an Sie richten. Der Herr Kollege Schmidt hat schon darauf hingewiesen, daß das Zitat aus dem Bundesarbeitsblatt nicht vollständig war, und er hat es vervollständigt; das macht die Sache viel deutlicher. Sie haben aus dem Gutachten des Sozialbeirats zitiert und haben insbesondere auf die Ziffer 11 hingewiesen. Es wäre gut gewesen, und es wäre ein Beitrag zur Versachlichung gewesen, wenn Sie auch auf die Ziffer 16 hingewiesen hätten. Da
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Bundesminister Arendtsteht nämlich: „Trotz der in Ziffer 11 vorgetragenen Bedenken ist der Sozialbeirat daher einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, daß nur eine Fortsetzung der bisherigen Übung empfohlen werden kann, d. h. eine Anpassung der Bestandsrenten der gesetzlichen Rentenversicherung um 6,3 %." — Bitte!
Herr Kollege Arendt, haben Sie auch nicht übersehen, daß der Sozialbeirat nach seinem Gutachten eine volle Anpassung, eine volle Nachholung überlegt hat, daß wir aber diese Anpassung nur zur Hälfte machen wollen?
Natürlich, aber er hat das als Schlußfolgerung aus seinen Überlegungen gesagt, die ich anfangs zitiert habe. Seine Schlußfolgerungen stehen in Ziffer 16.Meine Damen und Herren, ich habe die Aussprache aufmerksam verfolgt. Ich will Ihnen offen sagen, es läge jetzt eigentlich nahe, eine lange Rede zu halten, um die Problematik unseres sozialen Sicherungssystems im einzelnen aufzuzeigen. Das will ich aber nicht tun, zumal wir in absehbarer Zeit bei der Behandlung des Sozialberichts 1971 Gelegenheit haben werden, über diese Fragen zu sprechen. Lassen Sie mich aber zu wenigen Punkten etwas sagen, die in der Debatte von besonderem Gewicht waren. Es ist sozialpolitisch notwendig, daß sich die Rentner und die Beitragszahler auf die Rentenformel von morgen und übermorgen verlassen können.
Es wäre sehr gefährlich, die Rentenanpassungsformel je nach Konjunkturlage zu ändern. Damit käme ein Element der Unsicherheit und der Unberechenbarkeit in die Entwicklung unserer sozialen Altersversorgung. Ich sage es hier freimütig: Ich wäre sehr froh, wenn ich für alle Mitglieder dieses Hohen Hauses aussagen könnte, daß aus der gesicherten Rentenanpassung nicht ein unsicheres Rentenroulett wird.
Ich stütze mich mit meiner Auffassung auf die bisherigen Erfahrungen. Die Anpassung der Renten an die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter hat sich — auch im Lichte internationaler Vergleiche — als für die Rentner vorteilhaft erwiesen. Weder eine Anpassung an die Produktivität noch an andere Kriterien hätte dazu geführt, ihnen auch nur annähernd einen solchen Einkommenszuwachs wie durch die geltende Anpassungsformel zu gewährleisten.Ich weiß, daß es populär ist, mehr zu verlangen und mehr zu bekommen, aber im Interesse der Versachlichung und der objektiven Wahrheit muß ich darauf hinweisen, daß im Vergleich zu 1957 mit diesem Vierzehnten Rentenanpassungsgesetz die Renten um 156 % steigen werden. Das ist das Zweieinhalbfache des Ausgangssockels der Rentenreform. Wer diesen Einkommenszuwachs auch für die Zukunft sichern will, muß der Versuchungwiderstehen, in den geordneten Ablauf der Rentenanpassungen von Fall zu Fall abschwächend oderverstärkend eingreifen zu wollen.
Meine Damen und Herren, nach meiner Meinung würde das auch im Widerspruch zu den Grundlagen des Dritten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes stehen. Alle Seiten dieses Hauses sind bei der Beschlußfassung über dieses Gesetz davon ausgegangen, daß mit ihm die finanzielle Lage unserer Rentenversicherung, die Ende der 60er Jahre unsicher geworden war, wieder konsolidiert wird und die bruttolohnbezogene Rente über den Gipfel des des Rentenberges hinweg finanziell sicher fundiert ist. Ich darf offen sagen, daß dieses einer der entscheidenden Grundsätze war, von denen ich auch bei der Arbeit in meinem Hause ausgegangen bin. Sie wissen wie wir — und das steht im Bericht —, daß die Rentnen auch in der Zukunft am Einkommenszuwachs beteiligt sind, und Sie wissen, daß wir Anpassungssätze zu erwarten haben im Jahre 1973 von 9,3 % und im Jahre 1974 von mehr als 10 % und daß in den folgenden Jahren die Steigerungsraten nur geringfügig geringer sind.Ich fasse noch einmal zusammen, meine Damen und Herren. Die Rentenanpassung orientiert sich an der Entwicklung ,der Arbeitseinkommen und nicht an kurzfristigen Preissteigerungen. Für die Rentner wäre es kein Gewinn, wenn man die Renten in Zukunft beliebig an kurzfristigen Preisschwankungen orientierte und dahinter die Anpassung an den steigenden Lebensstandard, wie er sich in der Entwicklung der Löhne und Gehälter ausdrückt, an Gewicht verlöre.
Das hätte auch für die Konjunkturpolitik, Herr Härzschel, weitergehende Auswirkungen, als manchem offenbar bewußt ist.Neben der Sicherheit und Verläßlichkeit der Rentenformel hat diese Debatte einen weiteren wichtigen Punkt deutlich gemacht: Es gibt Strukturprobleme im Bereich der Rentenversicherung, die allein mit einer Rentenanpassung — weder mit Ihrem Antrag noch wenn man über diesen Antrag hinausginge — nicht zu lösen sind. Diese Problematik kann man nicht damit lösen.
Sie brauchen nur einmal in den Rentenbericht der Bundesregierung hineinzuschauen, um zu erkennen, daß es noch viele ungelöste Fragen in der Rentenversicherung gibt. Ich habe eine umfassende Dokumentation von Unzulänglichkeiten und künftigen Notwendigkeiten dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Der Umfang dieses Berichtes — es sind mehr als 150 Punkte darin enthalten — zeigt, daß Parlament und Regierung sorgfältig prüfen müssen, wie strukturelle Mängel im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten und der Leistungsfähigkeit der 'Rentenversicherungen gezielt beseitigt werden können.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7583
Bundesminister ArendtDiesem Ziel, so möchte ich meinen, dient der diesem Hohen Hause vorliegende Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen. Mit dieser Entschließung wird zum Ausdruck gebracht, daß rentenpolitische Entscheidungen erst nach gründlicher Prüfung ihres sozialpolitischen Gehaltes und ihrer einwandfreien Finanzierbarkeit zu treffen sind.Dazu wird die Bundesregierung gründliche Vorarbeit leisten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur dritten Lesung des Vierzehnten Rentenanpassungsgesetzes darf ich im Namen der Fraktion der CDU/ CSU folgende Erklärung abgeben.Die Bundesregierung hat dem Parlament nach Beratung im Sozialbeirat das Vierzehnte Rentenanpassungsgesetz vorgelegt, zu dem sie durch § 1272 der Reichsversicherungsordnung verpflichtet ist. Sie schlägt bekanntlich vor, um 6,3% anzuheben. Damit entspricht sie aber nur dem Abs. 1 dieses Paragraphen hinsichtlich der Anpassung der Renten hei Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage. Dagegen hat die Bundesregierung den überaus wichtigen Abs. 2 des gleichen Paragraphen unberücksichtigt gelassen. Dieser Abs. 2 verpflichtet den Gesetzgeber, bei der Rentenanpassung der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie den Veränderungen des Volkseinkommens Rechnung zu tragen. Meine Fraktion hat im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und heute in der zweiten Beratung versucht, diesen ganz offensichtlichen Mangel zu beheben. Wir wollten den Rentnern durch unseren Antrag eine höhere Anpassung sichern, ohne das System der Rentenversicherung zu verändern.Wenn in der zweiten Beratung wiederholt gesagt worden ist, wir würden das System der Rentenversicherung verändern, muß ich dem widersprechen. Ich darf vielleicht auf den Bericht des Sozialbeirates in der Drucksache VI/2040 hinweisen, in dem ein solches System in Erwägung gezogen worden ist, weil selbst der Sozialbeirat der Meinung war, daß die 6,3 °/o nicht ausreichten.Wir wollten den Rentnern den Anspruch sichern, der in der Rentenreform von 1957 niedergelegt war, nämlich Beteiligung am wirtschaftlichen Wachstum und Sicherung des erarbeiteten Lebensstandards. Wir waren und wir sind weiter der Meinung, eine Erhöhung der Renten nach dem Vorschlag der Bundesregierung und nach Meinung der Regierungskoalition um nur 6,3 v. H. wird diesem berechtigten Anspruch der Rentner nicht gerecht.Schon die Anpassung zum 1. Januar 1971 um 5,5 v. H. war angesichts der Lohn- und Preisentwicklung, angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten eine Zumutung. Nunmehr hat die Steigerung der Lebenshaltungskosten ein solches Ausmaß erreicht — allein in Nordrhein-Westfalen im Mai die-ses Jahres eine Steigerung von 6,1 % —, daß wir befürchten müssen, die Erhöhung der Renten um 6,3 % ab 1. Januar 1972 reicht kaum zum Ausgleich dieser gestiegenen Lebenshaltungskosten. Sie schließt den Rentner von der Beteiligung am wirtschaftlichen Wachstum aus und sichert nicht mehr seinen erarbeiteten Lebensstandard.Herr Bundesarbeitsminister — und ich darf in diesem Zusammenhang sagen: Herr Kollege Arendt —, ich möchte Sie an eine Broschüre des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus dem Jahre 1967 erinnern, in der uns gemeinsam bekannte und sicherlich von uns gemeinsam sowohl fachlich als auch menschlich geschätzte Hermann Beermann zu der Frage der Lohn- und Rentenentwicklung Stellung genommen hat. Herr Beermann schreibt:Der Grund dafür liegt u. a. in dem Zurückbleiben der Renten hinter der Lohn- und Gehaltsentwicklung. Auch die 1958 nicht vorgenommene Rentenanpassung schlägt hier zu Buch. Aber nicht nur das Zurückbleiben der Renten hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung wirkte sich negativ auf die Rentnerhaushalte aus, hinzu kam die erhebliche Kaufkraftverschlechterung auf Grund der jährlichen Inflationsraten von 2 bis 4,5 v. H. Gerade die Rentner litten unter dieser Kaufkrafteinbuße. Ihre Rentenanpassung erfolgt immer erst mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung, so daß dieser Einkommenszuwachs der Rentner zur Zeit seiner Auszahlung stets schon wieder durch eine neue Kaufkraftverschlechterung beeinträchtigt wurde.Die Prozentzahlen und Absolutzahlen der Rentenhöhe sagen infolgedessen nicht alles aus. Man sollte sie vielmehr auch immer vor dem Hintergrund der permanenten Geldwertverschlechterung sehen. Außerdem— so Hermann Beermann —darf nicht übersehen werden, daß der Anstieg der Lebenshaltungskosten sich im Rentnerhaushalt stärker bemerkbar machte als im durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt. Der Unterschied stellte sich durchweg auf 1 bis 1,5 v. H. Die Mietsteigerungen der letzten Jahre schlugen hier besonders zu Buch.Wenn das vom Deutschen Gewerkschaftsbund im Jahre 1967 geschrieben worden ist, was sollte dann der Deutsche Gewerkschaftsbund eigentlich jetzt im Jahre 1971 schreiben?
Wir waren und wir sind eben der Meinung, daß das nicht ausreicht. Sie haben aber unseren Antrag abgelehnt, die Renten um 11,3 °/o anzuheben. Was die Betroffenen dazu sagen, wissen Sie so gut wie wir. Ich verzichte darauf, aus den Briefen zu zitieren. Wir könnten das; ich habe Briefe hier.Aber ich möchte noch etwas anderes sagen. Wenn die Meldung im „Kölner Stadt-Anzeiger" vom 14. Juni 1971 zutrifft, dann hat der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Figgen auf einer SPD-
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Müller
Arbeitnehmerkonferenz am 12. Juni dieses Jahres in Bochum versichert, solange in Bonn und Düsseldorf Sozialdemokraten Regierungsverantwortung trügen, werde dafür gesorgt, daß nicht einseitig die Arbeitnehmer die Folgen der Preisentwicklung zu tragen hätten. Wie ist das denn mit der Rentenversicherung?, müssen wir Herrn Figgen und die Sozialdemokraten fragen. Sind das keine Arbeitnehmer? Sollen ausgerechnet die Rentner die Folgen der unerfreulichen Preisentwicklung tragen? Wir sind anderer Meinung.Unser Vorschlag könnte auch angesichts der Vermögens- und Finanzentwicklung der Rentenversicherung realisiert werden. Es ist wiederholt von der langfristigen Prognose die Rede gewesen. Wir haben sie nicht vorgelegt, sondern die Bundesregierung hat die Daten vorgelegt. Das Geld für die Rentner ist also da.Meine Damen und Herrren der Regierungskoalition, wir wollen wie Sie dringende Strukturverbesserungen in der Rentenversicherung. Strukturverbesserungen — das hat der Kollege Katzer gesagt, und ich wiederhole das — sind aber erst dann möglich und sinnvoll, wenn die Rente eine angemessene Höhe erreicht hat. Wenn die Renten in ihrem Abstand zum Durchschnittseinkommen der aktiven Arbeitnehmer weiter absinken, wenn die Renten vor den geplanten Strukturverbesserungen nicht eine vertretbare Höhe erreicht haben, dann müssen sich die Sozialpolitiker den Vorwurf gefallen lassen, Strukturverbesserungen auf dem Rücken und zu Lasten der Rentner durchzuführen.
Wenn im übrigen die langfristige Prognose über die finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung stimmt — ich persönlich zweifle nicht an der Richtigkeit dieser Schätzung —, dann ist noch so viel Spielraum in der Finanzmasse der Rentenversicherung, daß Sie wie wir in Stufen die flexible Altersgrenze einführen und auch andere wichtige strukturelle Maßnahmen in Angriff nehmen können.Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Worte zum Entschließungsantrag der SPD/FDP sagen. Sie ersuchen die Bundesregierung, ein Gesetz zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung vorzulegen. Nun, meine Damen und Herren, viel Vertrauen in die eigene Initiative Ihrer Regierung oder Ihres zuständigen Ministers scheint bei Ihnen nicht vorhanden zu sein, wenn Sie ihn dazu auffordern müssen.
Gesichtspunkte für die Weiterentwicklung sind in der Entschließung nicht genannt worden. Sie sind heute vom Herrn Kollegen Schellenberg hier vorgetragen worden. Die Fraktion der CDU/CSU hat diesem Haus einen Gesetzentwurf für die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige vorgelegt. Die Verbesserung der Situation der Kleinstrentner, die trotz lebenslanger Arbeit ohne eigenes Verschulden eine Rente erhalten, die unter dem Sozialhilfesatz liegt, muß — das ist heute mehr als deutlich geworden — dringend erfolgen. Der Gesetz-entwurf der Fraktion der CDU/CSU hierzu ist in Vorbereitung und kann in den nächsten Wochen diesem Hause eingereicht werden.
Die selbständige soziale Sicherung der Frau ist ein weiteres Ziel. Ich erinnere an die Bundesfrauenkonferenz des Deutschen Gewerkschaftsbundes, wo auch Minister dieser Regierung das angekündigt haben. Die flexible Altersgrenze habe ich bereits genannt.Meine Damen und Herren, was ist bald, was ist auf Dauer zu realisieren? Wo liegt die Rangordnung all dieser strukturellen Probleme? Das hätten wir gern diskutiert. Der Sozialbericht liegt vor, ist aber noch nicht diskutiert und noch nicht überwiesen worden. Wir beantragen aus diesen Gründen die Überweisung des Entschließungsantrages an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung.Nun zurück zur dritten Lesung! Angesichts der unverständlichen Haltung der Regierungsparteien in der Ablehnung unseres Anpassungsvorschlages waren die Sozialpolitiker unserer Fraktion im Zweifel, ob sie der Fraktion bei der Verabschiedung dieser völlig unzureichenden Regelung für die Rentner eine Annahme empfehlen können. Wir werden zustimmen, weil wir die von CDU-Arbeitsministern geschaffene und gesicherte Rentenreform bejahen und weil wir sie positiv weiterentwickeln wollen. Unser Grundsatz ist, daß auch oder gerade in einer Leistungsgesellschaft derjenige Mitbürger nicht vergessen werden darf, der selbst nicht mehr aktiv arbeitet, aber durch seine Arbeit vorher entscheidend dazu beigetragen hat, daß diese Gesellschaft den heutigen Status erreicht. Die Mehrheit dieses Parlaments hat sich dieser Erkenntnis heute versagt und hat sich mit diesem unzureichenden Gesetz keine gute Note verdient.
Das Wort hat der Abgeordnete Geiger.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Verehrte Herren! Ich wäre fast — trotz einer Erklärung zur dritten Lesung für meine Fraktion — ein bißchen geneigt, dem Kollegen Müller, dem ich sonst nicht gerne widerspreche, zu sagen: wenn er diese Rede vor 14 Jahren gehalten und diese Erklärung vor 14 Jahren abgegeben hätte, dann wäre es eine mutige Erklärung gewesen. Das, was er heute getan hat — Herr Kollege Strauß ist leider nicht mehr da —, ist eine Gewissensentlastung für die CDU/CSU, ganz abgesehen davon, daß es mir wirklich so scheint, daß das Gewissen der CDU/ CSU verhältnismäßig neu und unbelastet ist, sonst hätte sie schon in den 14 Jahren darauf kommen müssen.
Ich darf für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zur dritten Lesung des Vierzehnten Rentenanpassungsgesetzes folgende Erklärung abgeben.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7585
GeigerDie sozialdemokratische Bundestagsfraktion gibt ihrer Freude darüber Ausdruck, daß es durch die Politik der Regierung Brandt/Scheel möglich ist, die Bestandsrenten mit Wirkung vom 1. Januar 1972 um 6,3 '°/o zu erhöhen. Damit wird, nachdem die Rentenerhöhung im Jahre 1971 5,5 % betragen hat, deutlich, daß langsam die Rezession der Jahre 1966 und 1967 auch in der Rentenversicherung überwunden wird. Manchem Debatteredner hätte es heute nicht schlecht angestanden, wenn er auch dafür ein Stück Verantwortung übernommen hätte, daß die Rentenversicherung durch die Rezession mit Verdienstminderungen und mit 600 000 Arbeitslosen 1,5 Milliarden DM Beitragsausfall hatte. Auch bei der Rentenversicherung ist dieser Zustand jetzt überwunden.Die Politik der Vollbeschäftigung der Regierung Brandt/Scheel und damit auch den sozialdemokratischen Vorstellungen entsprechend stellt sicher, daß die nicht mehr im Erwerbsleben stehenden Menschen und die Rentner an der Einkommensentwicklung der aktiv Tätigen beteiligt werden. Diese Politik wurde von der Bundesregierung in den letzten Jahren über die dynamische Rentenerhöhung hinaus unterstützt.So hat die Bundesregierung als eine ihrer ersten Maßnahmen zur Verbesserung des Renteneinkommens den im Jahre 1967 eingeführten sogenannten Rentenkrankenversicherungsbeitrag in Höhe von 2 % der jeweiligen Rente entsprechend ihrer Regierungserklärung gegen den harten Widerstand — das muß man einmal sagen — der Opposition, die später zwar zugestimmt hat, beseitigt. Die Rentner erhielten dadurch allein ca. 900 Millionen DM mehr anRente als im Jahre 1969. Hinzu kam noch die dynamische Rentenerhöhung dieses Jahres mit 5,5 v. H., so daß die Gesamterhöhung gegenüber dem Jahre 1969 7,5 v. H. betrug. Die Einkünfte der Rentnerhaushalte wurden dadurch bedeutend vergrößert.Eine bedeutende Verbesserung erfuhren die Rentnereinkommen aber auch durch die wesentliche Verbesserung des Gesetzes über Miet- und Lastenbeihilfen — Wohngeld — sowie durch die Erhöhung der Einkommensgrenzen für den Bezug dieser Leistungen.Die Politik der Bindung der Rentnereinkommen an die Einkommensentwicklung der Aktiven wurde von der Regierung Brandt/Scheel entschlossen fortgesetzt mit der Dynamisierung der Kriegsopferleistungen parallel zu den dynamischen Rentenerhöhungen in der Rentenversicherung. Seither gehören die würdelosen Auseinandersetzungen um die Erhöhung der Kriegsopferleistungen und die Protestmärsche der Kriegsopfer nach Bonn der Vergangenheit an, jener Opfer, die stellvertretend für uns alle ein ganzes Leben lang ihre Last zu tragen haben.Das sind wirkliche sozialpolitische Leistungen zur Integrierung der auf ein Renteneinkommen angewiesenen Menschen im Gegensatz zu den Propagandaanträgen, die die CDU/CSU-Opposition in der Rentenerhöhung heute ohne Rücksicht auf die Entwicklung der Rentenversicherung gestellt hat und die sie als Regierungspartei 14 Jahre lang immer wieder abgelehnt hat.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktionstimmt dem Antrag der Bundesregierung zu, dieRenten in der Rentenversicherung um 6,3 v. H. und die Renten in der Unfallversicherung um 12,7 v. H. zu erhöhen. Sie befindet sich dabei auch in Übereinstimmung mit den Sachverständigen, die in ihrem Gutachten zu der Schlußfolgerung kommen, daß eine andere Regelung, etwa eine Regelung, wie sie die CDU/CSU-Opposition vorschlägt, zu weiteren Beitragssteigerungen oder zur Minderung in anderen Leistungen führen müßte. Die Sachverständigen sagen, dies bedeute auch die Ausschöpfung allen Spielraums für weitere Leistungsverbesserungen innerhalb der Rentenversicherung. Wörtlich heißt es in diesem Gutachten zum Abschluß:Alle etwaigen weiteren Maßnahmen, welche die Einnahmen- oder Ausgabenseite der Rentenversicherungsträger wesentlich berühren, sollten erst in Erwägung gezogen werden, wenn größere Klarheit darüber besteht, wie der Übergang aus der jetzigen Phase der Hochkonjunktur in die weitere konjunkturelle Entwicklung gelingt, es sei denn, man kalkuliert Einnahmeerhöhungen, wie etwa zusätzliche Beitragssteigerungen oder Erhöhung der Bundeszuschüsse in die langfristigen Überlegungen mit ein.Die SPD-Bundestagsfraktion verurteilt den Versuch der CDU/CSU-Opposition, ihre Versäumnisse in der Rentenanpassung als Regierungspartei im Jahre 1958 und in den folgenden Jahren heute in der Opposition auf Kosten der Beitragszahler und der Stabilität nachzuholen.
Für die SPD-Bundestagsfraktion bleibt für morgen vorrangig die Aufgabe,
erstens die auf ein Renteneinkommen Angewiesenen an der Einkommensentwicklung der aktiv Tätigen teilhaben zu lassen, zweitens langjährig die Sicherstellung der bruttolohnbezogenen Rente zu garantieren und drittens die Rentenversicherung weiter auszubauen und vor allem im Interesse der beteiligten Menschen eine flexible Altersgrenze einzuführen und die Härten, die im Härtebericht aufgezeigt worden sind, zu überprüfen.Meine Damen und Herren, eine solche Politik ist frei von unsolider Augenblickshascherei. Sie bedeutet eine Politik der Stabilität und der Solidität. Die Rentner und die Beitragszahler in der Rentenversicherung können sich dabei auf die Sozialdemokraten verlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Geldner.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
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7586 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971
Geldnernamens der Fraktion der Freien Demokraten zum Vierzehnten Rentenanpassungsgesetz folgende Erklärung abgeben.Durch dieses Vierzehnte Rentenanpassungsgesetz, das im Ausschuß einstimmig beschlossen wurde, werden die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung um 6,3 °/o und die der gesetzlichen Unfallversicherung um 12,7 °/o erhöht. Diese Anpassung entspricht den durchschnittlichen Veränderungen der Löhne und Gehälter im jeweiligen Bezugszeitraum. Die Anpassung erfolgt in der gleichen Weise wie seit der Rentenversicherungsreform und seit der Unfallversicherungsreform. Damit ist, so wie es ursprünglich beschlossen wurde, die Teilnahme des anspruchsberechtigten Personenkreises an der Lohn- und Gehaltsentwicklung der Jahre 1967 bis 1969 bzw. der Jahre 1969 und 1970 gewährleistet. Die Anpassung wird insgesamt einen Zuwachs von 2,8 Milliarden DM in die Rentnerhaushalte bringen.Es erscheint mir wichtig, in diesem Zusammenhang zu erwähnen, daß das tatsächliche Rentenniveau gegenüber der Zeit der Großen Koalition, d. h. der Regierungsmitverantwortung der CDU/ CSU, höher ist. Durch die Beseitigung des sogenannten Krankenversicherungsbeitrags der Rentner ist diesen für das vergangene Jahr und alle weiteren Jahre eine zusätzliche Erhöhung von 2 % gewährt worden, so daß sie im vergangenen Jahr, in diesem Jahr und in den kommenden Jahren neben den allgemeinen Anpassungsbeträgen über zusätzlich 800 Millionen DM gegenüber der Zeit der RegierungI Kiesinger verfügen können.
Außerdem bedeutet die Fortführung der bisherigen Rentenanpassungspraxis, daß die beiden kommenden Rentenanpassungsgesetze, nämlich für 1973 und 1974 den Rentnern Zuwachsraten von mehr als 9 und 10 °/o in diesen beiden Jahren bringen werden. Damit ist entgegen allen. Ablenkungsmanövern der Opposition und allen irreführenden Darstellungen festzuhalten, daß die Rentner, langfristig gesehen, an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen.Die beiden vergangenen Jahre haben erfreulicherweise einen finanziellen Handlungsspielraum ergeben, der vor einigen Jahren nicht vorauszusehen war. Wir sind nicht bereit, diesen möglichen Handlungsspielraum leichtfertig zu vertun, um dann unter Umständen wie im Jahre 1967 in das bestehende Rentensystem, d. h. in die Rentenentwicklung, negativ eingreifen zu müssen. Diese Koalition hat die Absicht, den möglichen Spielraum in erster Linie für eine bessere Gestaltung der gesetzlichen Altersvorsorge in verschiedenen Teilbereichen einzusetzen. Wir treten daher für eine Anpassung ein, die wir ohne Risiko für die künftige Entwicklung verantworten können. Die anderen Entscheidungen und Verbesserungen werden nach gründlichen Vorarbeiten in den Ministerien und im Ausschuß diesem Hohen Hause vorgelegt werden.Wir Freien Demokraten stimmen der vorliegenden Fassung des Vierzehnten Rentenanpassungsgesetzes zu, genauso, wie wir uns im Ausschuß verhalten haben — im Gegensatz zur Opposition.
Das Wort wird nicht mehr begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung über den Gesetzentwurf.
Wer die Zustimmung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen ab über den Ausschußantrag unter Ziffer 2, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Es liegt uns ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Umdruck 198 *) vor. Dazu ist der Antrag auf Überweisung gestellt worden. — Das Wort dazu hat Herr Abgeordneter Schellenberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Inhalt des Antrags ist klar und eindeutig. Der Antrag bedarf keiner Ausschußberatung, die nämlich die Erteilung des Auftrags an die Bundesregierung um mehrere Monate verzögern würde. Wir werden deshalb der Ausschußüberweisung widersprechen und für den Antrag auf Erteilung eines Auftrags an die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Weiterentwicklung der Rentenversicherung stimmen. Damit dienen wir den Rentnern und Versicherten am schnellsten.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Katzer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte diesem Antrag widersprechen.
Dieser Antrag ist ein Globalantrag, der überhaupt nicht detailliert ist. Insbesondere unter dem Eindruck der Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner bin ich der Meinung, daß hier eine Konkretisierung er- folgen muß, vor allem bezüglich der Kleinstrenten, und daß wir hier nicht eine solch generelle Erklärung abgeben sollten. Deshalb würde ich dafür plädieren, diese Frage zuerst an den Ausschuß zu überweisen, damit dort beraten werden kann.
*) Siehe Anlage 4
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7587
Meine Damen und Herren, der Antrag auf Überweisung geht vor. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. Wer der Überweisung an den Arbeits- und Sozialausschuß zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag auf Überweisung ist abgelehnt.
Wir kommen zur Sachentscheidung. Wer dem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. -- Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen. Wir kommen zu Punkt 25 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Innenausschusses über den Entschließungsantrag des Abgeordneten Freiherr von Fircks und der Fraktion der CDU/CSU zur dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (23. ÄndG LAG)
— Umdruck 88, Drucksache VI/2261 — Berichterstatter: Abgeordneter Hofmann
Wird das Wort dazu gewünscht? -- Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über die Vorlage abstimmen. Wer dem Schriftlichen Bericht zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind"
— Drucksache VI/926 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksache VI/2337
Berichterstatter:
Abgeordneter Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/2300 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Henze
Wünscht die Berichterstatterin das Wort? — Bitte schön, Frau Abgeordnete Dr. Henze.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem Bericht möchte ich noch einige erklärende Worte hinzufügen; bei der ungewöhnlich komplizierten Materie dieses Gesetzes erscheint das sinnvoll.Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und der Rechtsausschuß haben sich — das möchte ich ausdrücklich betonen — in zahlreichen Sitzungen ausführlich mit diesem Gesetz beschäftigt und intensiv um eine Lösung gerungen, die für alle Beteiligten annehmbar ist.Es waren die verschiedensten Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Wir mußten eine Lösung finden, die der besonderen Situation der contergan-geschädigten Kinder und ihrer Eltern gerecht wird. Der Vergleich, den Vertreter der Kinder mit der Herstellerfirma des Contergan, der Chemie Grünenthal, geschlossen hatten, mußte berücksichtigt werden, insbesondere die Bedingungen, unter denen die Firma Chemie Grünenthal bereit ist, den ausgehandelten Betrag von 100 Millionen DM zu zahlen. Das heißt, es war gesetzlich sicherzustellen, daß die Träger der Sozialversicherung und Sozialhilfe keine Ansprüche gegen die Firma Chemie Grünenthal geltend machen können.Rechtlich sind Vergleich und Gesetz getrennte Regelungen. In der Sache werden Vergleich und Gesetz aber dadurch gekoppelt, daß für die Finanzierung der gesetzlichen Regelung die von der Firma Chemie Grünenthal zur Verfügung zu stellenden 100 Millionen DM herangezogen werden. Hierzu ist ein Rechtsgeschäft der diese Summe verwaltenden Treuhänder erforderlich. Öffentlich- und privatrechtliche Regelungen mußten somit in diesem Gesetz in Einklang gebracht werden.Gleichzeitig mußten wir jedoch im Ausschuß das möchte ich deutlich hervorheben — die Situation aller etwa 500 000 behinderten Kinder und die Leistungen im Auge behalten, die sie nach den verschiedenen gesetzlichen Regelungen bekommen. Wir haben versucht, die Leistungen, die nach diesem Gesetz an die contergan-geschädigten Kinder zu zahlen sind, im Zusammenhang mit unserem gesamten sozialen Leistungssystem zu sehen und sie dort — wenigstens im Grundsatz — einzupassen.In unsere Überlegungen einzubeziehen waren auch die Vorstellungen der Träger der freien Wohlfahrtspflege, die seit Jahrzehnten vorbildliche Arbeit für Behinderte leisten und durch die zu gründende Stiftung nicht beeinträchtigt werden dürfen.Dieses Gesetz bringt den contergan-geschädigten Kindern und deren Eltern eine Reihe entscheidender Verbesserungen:1. Es begründet einen Rechtsanspruch auf Kapitalabfindung oder lebenslängliche Rente.2. Der Bund bringt 50 Millionen DM in die Stiftung ein, die zusammen mit den 100 Millionen DM zuzüglich Zinsen der Firma Chemie Grünenthal ausschließlich den contergan-geschädigten Kindern zur Verfügung stehen.3. Der Leistungsrahmen für die Renten wurde gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf erhöht und beträgt jetzt mindestens 100 und höchstens 450 DM, während der Höchstbetrag für die Kapitalabfindung von 40 000 auf 25 000 DM herabgesetzt wurde. Die Ausschußmitglieder waren der Meinung, daß den Betroffenen auf diese Weise besser geholfen werden könne. Es liegt mehr im Interesse der
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Frau Dr. Henzeschwergeschädigten Kinder, eine lebenslängliche Rente zu erhalten als eine einmalige Kapitalabfindung.Lassen Sie mich dies bitte an einer einfachen Rechnung darstellen. Erhalten 2 000 contergan-geschädigte Kinder je 50 000 DM Kapitalabfindung, so ist der Betrag von 100 Millionen DM auf einmal aufgebraucht. Geht man hingegen von einer Zahl von etwa 3 000 entschädigungsberechtigten Kindern aus, würde jedes Kind nur etwa 35 000 DM erhalten. Bei einer lebenslangen Rente von 450 DM monatlich, d. h. 5 400 DM jährlich, wird in rund zehn Jahren die Summe von 50 000 DM erreicht. Ich glaube, daß dieses Beispiel verdeutlicht, welche Besserstellung eine Rente bedeutet, die mit diesem Gesetz garantiert wird.Eine Verankerung der Dynamisierung der Rente im Gesetz ist allerdings nicht möglich, allein schon wegen der beschränkten Mittel. Eine Erhöhung kann jeweils nur durch eine Gesetzesänderung erfolgen.4. Auch die weiteren von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten 50 Millionen DM, die beispielsweise für eine institutionelle Förderung von Einrichtungen für Behinderte oder für wissenschaftliche Forschungsaufträge gedacht sind, kommen allen contergan-geschädigten Kindern wie natürlich auch allen anderen Behinderten zugute.5. Bei den Leistungen nach diesem Gesetz handelt es sich um Grundrenten — ähnlich wie bei der Kriegsopferversorgung —, die den Bezug von Leistungen aus anderen Sozialgesetzen nicht ausschließen.Eine Regelung zugunsten aller behinderten Kinder, die von uns als dringlich angesehen wird, war in diesem Gesetz nicht möglich. Mit den von der Bundesregierung vorgesehenen 50 Millionen DM war Hilfe im Einzelfall — selbst im Härtefall — nicht zu leisten, zumal Kann-Leistungen den allgemeinen Grundsätzen unseres Sozialrechts widersprechen. Deshalb sieht der vorliegende Gesetzentwurf auch die Förderung von Einrichtungen und Forschungsvorhaben zugunsten aller Behinderten vor.In der Entschließung, die Bestandteil des Berichts ist, bringt der Ausschuß zum Ausdruck, daß weitere gesetzliche Initiativen erforderlich sind, um die Leistungen an alle Behinderten zu verbessern und somit eine Gleichstellung mit den contergan-geschädigten Kindern zu erreichen. Dabei sind insbesondere alle Möglichkeiten zu prüfen, die zu Verbesserungen von Einrichtungen in der Rehabilitation führen.Besonders eingehend befaßte sich der Ausschuß mit der Frage der Zuwendungen von dritter Seite. Nach Anhörung von Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege und nach entsprechenden Eingaben waren die Ausschußmitglieder sich darüber einig, daß die Stiftung zwar berechtigt sein soll, Zuwendungen anzunehmen, daß sie aber nicht selbst zu öffentlichen Sammlungen und Spenden aufrufen soll. Es kann nämlich nicht Sinn der Stiftung sein, die Arbeit der seit Jahrzehnten erfolgreich wirkenden Organisationen, die überwiegend auf Spendenangewiesen sind, dadurch zu erschweren, daß ein Teil der ihnen zufließenden Spenden jetzt der öffentlich-rechtlichen Stiftung zukommt.Im übrigen verweise ich auf den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht. Namens des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit bitte ich das Hohe Haus, in zweiter Beratung dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuß erarbeiteten Fassung zuzustimmen.
Ich danke der Frau Berichterstatterin und gebe dem Mitberichterstatter, Herrn Koenig, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um eine außergewöhnliche Vorlage, gilt es doch vor allem, durch dieses Gesetz Bürgern unseres Staates, behinderten Kindern, zu helfen, die durch eine Katastrophe auf die Schattenseite des Lebens gestellt worden sind.Außergewöhnliche Umstände wie die sogenannte Contergan-Katastrophe erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Das heißt, daß durch dieses Gesetz — systemfremd, wenn man diese Maßnahme mit den Maßnahmen unserer Sozialgesetzgebung ver- gleicht — eben außergewöhnlich im Rahmen einer Stiftung geholfen werden soll. Das heißt aber nicht — das möchte ich mit der gebotenen Deutlichkeit sagen —, daß der durch einen Vergleich beendete Strafprozeß gegen die Firma Chemie Grünenthal durch die Treuhänder auf der gesetzgeberischen Ebene jetzt mit anderen Mitteln fortgeführt wird. Das bedeutet, daß die der Stiftung vom Bund zur Verfügung zu stellenden 100 Millionen DM, die jeweils zur Hälfte dem sogenannten ConterganTeil und dem sogenannten allgemeinen Teil institutioneller Hilfe zufließen werden, vom Bund, selbst wenn es die Haushaltslage zuließe, nicht mehr aufgestockt werden können. Das bedeutet, daß alle Hilfsmaßnahmen dieses Gesetzes für die contergangeschädigten Kinder im Rahmen der zur Verfügung stehenden 100 Millionen DM plus angelaufener Zinsen von der Firma Grünenthal und 50 Millionen DM vom Bund abgewickelt werden müssen.Der federführende Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ist bei allen seinen Beratungen von dieser Voraussetzung ausgegangen. Sein einziges Motiv war dabei, diesen schwergetroffenen Kindern zu helfen. Dieser Wille ist dem Ausschuß durch die Erklärungen der drei Fraktionen dieses Hauses bei der ersten Lesung dieses Gesetzes klar mit auf den Weg gegeben worden.Worin liegt denn die Hoffnung dieser Kinder, wenn nicht darin, in einer Zeit zu leben, in der nicht der Wille des Stärkeren, sondern der stärkere Wille bestimmend ist?
Alle gesetzgeberischen Maßnahmen im Rahmen dieser Stiftung müssen auf dieses Ziel ausgerichtet sein. Sie müssen geeignet sein, diesen Kindern ihren Lebenswillen zu stärken. Die Maßnahmen müssen
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Koenigalso ihre Rehabilitation, ihre Ausbildung und ihre Eingliederung in unsere Gesellschaft zum eigentlichen Ziel haben.Während der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung von der Annahme ausging, erhebliche Spenden vor allem aus dem Kreis der Industrie, und zwar nicht nur der pharmazeutischen und chemischen Industrie, zu erhalten, trägt die jetzige Gesetzesvorlage dem Umstand Rechnung, daß diese Spenden bisher nicht zugeflossen sind. So finden wir im dritten Teil der Vorlage die sogenannten institutionellen Hilfen, die allen behinderten Kindern nützlich gemacht werden können und zu deren Finanzierung vorerst 50 Millionen im Ansatz stehen. Die individuellen Hilfen mußten wir aus dem Gesetz entfernen, nachdem feststand, daß die Finanzmasse für die große Zahl der etwa 500 000 behinderten Kinder nicht ausreichen kann. So hat der zweite Teil, der sogenannte Contergan-Teil, dieses Gesetzes eine deutliche Höherbewertung erfahren.Zweierlei galt es vor allem in langen Ausschußsitzungen zu bedenken: Erstens. Die im Hearing gewonnenen Erkenntnisse aus den Aussagen der geladenen Betroffenen und Verbände als auch die vor dem Rechtsausschuß von dem Treuhändergremium vorgetragenen Forderungen waren zu bedenken. Zweitens. Es galt, ein ausgewogenes System zu fordern, mit dessen Regeln sowohl die Kapitalentschädigung als auch die Rentenleistung zum optimalen Nutzen der Kinder vollziehbar sind.Zu beiden Gesichtspunkten kann ich namens desAusschusses feststellen, daß dies in maximaler und völlig einmütiger Weise geschehen ist. Nach dem Hearing wurde sichergestellt, daß die Stiftung einen eigenen Standort bei den Möglichkeiten des Spendenaufkommens erhält. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß wir die Hoffnung haben, daß sich die Industrie dieser Bitte gebührend annimmt. Durch eine Verstärkung des Schwergewichts der Rentenleistung zu Lasten der Kapitalentschädigung und unter Fortfall der Beihilfen mit Ausnahme der Beihilfen für diejenigen Eltern, deren behinderte Kinder bereits gestorben sind, soll der Sorge der Eltern dieser Kinder Rechnung getragen werden, daß ihre Kinder, auch wenn die Eltern nicht mehr sind, ihr ganzes Leben finanziell gesichert sind.Bei diesen Leistungen kann und soll es sich nur um Maßnahmen handeln, die im Gesamtrahmen der Sozialgesetzgebung subsidiär gesehen werden müssen im Verhältnis zu den Maßnahmen nach dem Bundessozialhilfegesetz, dem Jugendwohlfahrtsgesetz und dem Arbeitsförderungsgesetz. So hat der Ausschuß der Vorlage, die Sie im Schriftlichen Bericht finden, eine Resolution zugefügt, die wir das Hohe Haus anzunehmen bitten, um deutlich zu machen, daß im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes allen Behinderten gleiche und verstärkte Hilfe zukommen muß. Der Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung gebietet es, daß die Leistungen nach diesem Gesetz wie andere Leistungen auch nach den Sätzen der Grundrente des Bundesversorgungsgesetzes angerechnet werden. Daran kommen wir nun einmal nicht vorbei.Gestatten Sie mir noch einen Hinweis auf das An- liegen des Verbandes der contergan-geschädigten Kinder, vertreten durch ihre Eltern. In einer Resolution vom letzten Wochenende fordern sie von uns einerseits Klarstellung über die Verwendung der Mittel im Teil II, andererseits eine Verbesserung des Leistungssystems, außerdem die Hälfte der Sitze im Stiftungsrat.Menschlich ist jede Sorge verständlich, vor allem wenn sie von Eltern vorgetragen wird, die das Leben ihrer behinderten Kinder finanziell sichern wollen. Allerdings ist es mir unverständlich, daß das Treuhändergremium den Eltern zu dieser Resolutiontion geraten hat, weil völlig unbegründet dem Ausschuß und diesem Hohen Haus gegenüber Mißtrauen gesät wird. Die Ernte ist eine weitere Verzögerung des Wirksamwerdens des vorliegenden Gesetzes zum alleinigen Schaden der betroffenen Kinder.Das Gesetz ist ein Ganzes. Sowohl gehören Teil II und Teil III — der Contergan-Teil und der institutionelle Teil also — mit den 50 Millionen aus Bundesmitteln nach dem Gleichheitsgrundsatz unserer I Verfassung zusammen, wie auch die 100 Millionen plus der angelaufenen Zinsen auf Grund des Vergleichs zum finanziellen Teil dieses Gesetzes gehören. Ohne sie fehlt diesem Gesetz die Basis. Ich will dem Treuhändergremium keinen Eigennutz bei der Verwaltung dieses 100 Millionen-Topfes, der inzwischen schon auf 110 Millionen angewachsen ist, unterstellen. Aber gerade die Treuhänder müßten wissen, daß es nach dem Gesetzestext und dem Willen des Ausschusses und dem Willen der Regierung zweifelsfrei ist, daß die in den Teil II der Stiftung einfließenden Mittel ausschließlich und vollständig den contergan-geschädigten Kindern zugute kommen werden.Schließlich geht der federführende Ausschuß davon aus, daß das im Auftrag der Treuhänder in Arbeit befindliche Punktesystem zur Einstufung der verschiedenartigen Behinderungsgrade vom Stiftungsrat akzeptiert wird und die Kommission durch den Stiftungsrat übernommen wird, so daß der bisher auch im Hearing — nicht vorgetragene Wunsch auf Besetzung der Hälfte der Sitze im Stiftungsrat durch den Verband unverständlich ist.Zur Verbesserung des Leistungssystems ist zu sagen, daß der Vergleich zwischen der Firma Grünenthal und den Eltern in Vertretung der betroffenen Kinder abgeschlossen ist und eine weitere Verbesserung durch über die 50 Millionen DM hinausgehende Zuwendungen seitens des Bundes ausgeschlossen ist. Bei der Verteilung kann es sich nur darum handeln, die mathematische Formel zu finden, die die nach dem Punktesystem aufgefundenen Schädigungsgrade in eine Beziehung zur Gesamtfinanzmasse von jetzt 160 Millionen DM setzt. Dabei werden die Rentenzahlungen nach .dem jetzt üblichen Maßstab auf eine 50jährige Leistung berechnet.Das Gesetz ist ein Ganzes. Es kann, wie gesagt, nicht in verschiedene Teile zerlegt werden. Das würde den Sinn der Stiftung für uns in Frage stellen
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Koenigmüssen. Das Gesetz kann aber auch nur dann verabschiedet werden, wenn sichergestellt ist, daß die finanziellen Mittel wirklich einfließen, auf deren Verwendung die Beratungen im Ausschuß basierten. Die in Ausnahmen zur jetzigen Rechtsprechung auszuräumenden Regreßansprüche der Kassen gegen die Leistungsempfänger dieser Mittel bedürfen jedoch der gesetzlichen Regelung unabhängig von allen anderen Überlegungen.Es ist nur zu wünschen, daß das Treuhändergremium als Partner der Eltern der ConterganKinder die Saat des unbegründeten, wenn auch menschlich verständlichen Mißtrauens nicht aufgehen läßt.
Ziel aller Beteiligten kann nur die Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Kinder sein. Sie müssen ausschließlich den Willen haben, ihnen zu helfen.Ergänzend zum Schriftlichen Bericht muß ich noch darauf hinweisen, daß der Ausschuß für Jugend, Familie. und Gesundheit am 14. Juni den § 21 beschlossen hat, der besagt, daß die Treuhänder von eventuellen Regressen freigestellt werden, um ihnen ihre Arbeit zu erleichtern.
Das Wort hat der Abgeordnete Burger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute leider nur die zweite Lesung, hoffen aber, daß die dritte Lesung sehr bald folgen kann, denn jeder Monat ist kostbar für die contergan-geschädigten Kinder.Wir haben uns das haben Sie aus den Berichten der beiden Berichterstatter ersehen — im Ausschuß die größte Mühe gegeben, ein gutes Gesetz für die Contergan-Kinder zu schaffen, aber auch die anderen behinderten Kinder nicht zu vergessen. Ich möchte Sie herzlich um wenige Minuten Aufmerksamkeit für kurze Ausführungen bitten, die sich mit dem Schicksal der contergan-geschädigten Kinder befassen.Wie geht es den contergan-geschädigten Kindern heute? Dr. Simon, der Landesarzt für Körperbehinderte in Baden-Württemberg hat die DysmelieWelle mit einem Zug verglichen, dem man auf jedem Bahnhof betroffen, aber freundlich zuwinkt, ohne seine Ankunft bei der nächsten Station anzukündigen oder gar vorzubereiten. Viele der Kinder stehen bald vor einer Schulentlassung und müssen durch eine Berufsausbildung auf das Leben vorbereitet werden. Für manche wird es wie für tausend andere Behinderte die Endstation sein, wenn nicht weitere Vorkehrungen getroffen werden.In einem Forschungsbericht von Franz Schönberger wurden Ergebnisse einer Untersuchung von contergan-geschädigten Kindern und einer Gruppe cerebral-gelähmter Kinder bekanntgegeben. Diese zum Teil erschütternden Berichte sollten für das Parla-ment Veranlassung sein, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Es wurde festgestellt, daß fast jedes fünfte Dysmelie-Kind irregulär eingeschult worden ist. Von den contergan-geschädigten Kindern sind sechsmal so viele, nämlich 18%, noch nicht eingeschult. Schulbesuch und Schulleistung sind aber in unserer Gesellschaft das Vorfeld der Bewährung, welche von der psychischen, sozialen und körperlichen Verfassung des Kindes abhängt und diese wieder rückwirkend beeinflußt.Es liegt nahe, in der Schwere der Behinderung den Grund dafür zu suchen, daß rund ein Fünftel der Kinder ihren ersten Schulbesuch noch nicht erleben durften. Dazu kommen aber noch indirekte Auswirkungen der Behinderungen. Kinder mit einer langen Liegezeit im ersten Lebensjahr im Krankenhaus sind zu einem Viertel noch nicht in der Schule. Die Hospitalismusforschung hat gerade dem Krankenhausaufenthalt im ersten Lebensjahr eine psychisch schädigende Wirkung zugeschrieben. Kinder aus begüterten Familien wurden häufiger eingeschult. Erfreulicherweise wurden Landkinder, was die Einschulung angeht, nicht benachteiligt. Gleiches gilt jedoch nicht für die Möglichkeiten medizinischer Therapie. Landkindern wird krankengymnastische und beschäftigungstherapeutische Behandlung wesentlich seltener zuteil. Das therapeutische Defizit der Landkinder ist also größer als ihr schulisches. Etwa drei Viertel der Contergan-Kinder besuchen die Normalschule, mehr als ein Fünftel sitzt in Monster- klassen. Diese Tatsache bedeutet, daß für vier von fünf eingeschulten Kindern die Sorge um alles, was nicht im Unterricht geschieht, bei den Eltern, hauptsächlich bei der Mutter, liegt. Die Mütter sind überfordert.In Großstädten besuchen etwa 33 % eine Sonderschule, in kleineren Orten nur 18 %. Eltern und Lehrer halten etwa 40% der Kinder für sonderschulbedürftig. Motorische Schwierigkeiten im Schulalltag machen die Sonderbeschulung wünschenswert.Interessant ist auch der Bericht über die Bewährung der orthopädischen Hilfsmittel. Es wird festgestellt, daß sich in sehr vielen Fällen die bisherige Art der prothetischen Versorgung nicht bewährt hat. Insbesondere die kostspieligen pneumatischen Armprothesen werden von vielen Kindern entweder gar nicht oder nur gelegentlich getragen. Neben technischen Unzulänglichkeiten und schädlichen Nebenwirkungen hat dies ohne Zweifel auch psychologische Gründe. Für die Schule sind Armprothesen so gut wie nutzlos; nur ein Achtel wird nach Angabe der Lehrer und der Kindergärtnerinnen überhaupt jemals eingesetzt. Obwohl die Eltern berichten, daß die Kinder mit Prothesen gut versorgt sind, benutzen sie nur ganz wenige zum Malen und Schreiben in Schule und Kindergarten.Wichtigste Aufgabe für die Kinder: die beruflichen Chancen müssen schon jetzt abgesteckt werden. Dazu müssen Berater-Teams zur Verfügung stehen. Eine weitere sehr, sehr ernste Schwierigkeit: die Kinder fragen offen und versteckt nach dem Sinn ihres Lebens.Die CDU/CSU-Fraktion hofft, daß das heute in zweiter Lesung verabschiedete Gesetz bald in Kraft
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Burgertreten kann. Damit würde sich die Lage der contergan-geschädigten Kinder entscheidend verbessern. Ich möchte jedoch keinen Zweifel daran lassen, daß wir in der Verpflichtung stehen, auch an die anderen behinderten Kinder zu denken. Die Regierung ist aufgefordert, weitere Verbesserungen in den Sozialgesetzen vorzubereiten. Hierbei soll nicht nur eine Trägergruppe des gegliederten Systems der Rehabilitation, sondern das gesamte Leistungsrecht verbessert werden. Eine intensivere Behandlung in den Bildungsanstrengungen des Bundes und der Länder muß auch dem Sonderschulwesen zukommen. Bis heute liegen keine klaren Konzeptionen vor. Langfristig dürfen Eingliederungsmaßnahmen, an deren möglichst frühzeitiger Einleitung die Gesellschaft brennend interessiert sein muß, nicht durch Kostenbeitrags- und Kostenerstattungsvorschriften erschwert werden. Das Bundessozialhilfegesetz muß fortentwickelt und die Hilfen für Behinderte müssen ausgestaltet werden. Die Sozialversicherung ist weitgehender in die Rehabilitation behinderter Kinder einzuschalten. Ausreichende Bundesmittel zur Förderung von Einrichtungen für behinderte Kinder sind bereitzustellen. Die Länder sind zu bitten, die Beschulung behinderter Kinder zu intensivieren. Nur wenn es gelingt, das gegliederte System schlechthin und darüber hinaus im institutionellen Bereich den Bund und im schulischen Bereich die Länder für eine Intensivierung der Betreuung der behinderten Kinder zu gewinnen, kann die Lage der Behinderten auf Dauer verbessert werden.Ich darf nur noch die kurze Erklärung meiner Fraktion zu diesem Gesetz bekanntgeben: Die CDU/CSU-Fraktion sagt ja zum Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind". Von den bereitgestellten Mitteln sollen die 100 Millionen DM der Firma Grünenthal und die 50 Millionen DM Bundesmittel den contergangeschädigten Kindern für Renten und Kapitalabfindungen zur Verfügung stehen. Weitere 50 Millionen DM dienen der Schaffung von Einrichtungen, Forschungs- und Erprobungsvorhaben, um die Eingliederung der Behinderten in die Gesellschaft zu fördern..Die CDU/CSU-Fraktion erwartet, daß alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um derartige durch Nebenwirkungen von Arzneimitteln hervorgerufenen Katastrophen in Zukunft zu verhindern. Sie dankt den Eltern der Geschädigten, die mit großer Liebe und Sorgfalt ihre Kinder erzogen und ihnen damit die Grundlagen und Voraussetzungen für alle weitergehenden Hilfen gegeben haben. Dieser Dank gilt auch den Ärzten und allen Helfern, insbesondere auch den Elternverbänden.Ein Volk hat gesunde und behinderte Kinder. Sie zusammen sind sein kostbarster Besitz. Behinderte Kinder gelangen in ihrem Leben nicht auf den Wegen zum Erfolg, die das normale Kind einschlägt. Sie sind auf den ungewöhnlichen, den Sonderweg angewiesen, wenn sie glücklich und ein nützliches Glied der Gesellschaft werden sollen.Mit diesem Gesetz entstehen neue Rechtsansprüche für die contergan-geschädigten Kinder; ihre Lage wird dadurch verbessert. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich dafür einsetzen, das Leistungsrecht in den Sozialgesetzen zugunsten der Behinderten mit dem Ziel zu verbessern, für alle gleiche Hilfen zur Eingliederung in Arbeit, Beruf und Gesellschaft zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion möchte ich anläßlich der zweiten Lesung dieses Gesetzentwurfs folgende Erklärung abgeben. Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung, mit ihrem Gesetzentwurf den zwischen den Eltern der contergan-geschädigten Kinder und der Firma Chemie Grünenthal im April 1970 geschlossenen Vergleich auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Damit hat sie nach einem jahrelangen Rechtsstreit, dessen Ausgang noch völlig ungewiß war, versucht, den contergan-geschädigten Kindern und ihren Eltern eine Hilfe für die gesetzliche Regelung der materiellen Seite dieses Problems zu geben. Über die psychische Seite des Problems hat Herr Kollege Burger hier bereits Ausführungen gemacht.Der federführende Ausschuß hat in langen und auch mühevollen Beratungen versucht, die berechtigten Interessen der contergan-geschädigten Kinder in Übereinstimmung mit unserem Sozialleistungsrecht zu bringen.. Das war nicht immer ganz einfach. Dazu sind alle Beteiligten ausreichend gehört worden. Wir sind überzeugt, daß das vom federführenden Ausschuß angestrebte Ziel in vollem Umfang erreicht worden ist. Das kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Beschlüsse von allen Fraktionen dieses Hohen Hauses einmütig im Ausschuß gefaßt wurden.Der vom Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit einstimmig verabschiedete Gesetzentwurf enthält lassen Sie mich das ganz kurz zusammenfassen, für uns selbst und auch für die Öffentlichkeit, die an dieser Frage natürlich interessiert ist, nicht zuletzt auch auf Grund der Meldungen und Mitteilungen, die wir in den letzten Tagen gelesen und gehört haben —- folgende Regelungen zugunsten der contergan-geschädigten Kinder.Erstens. Die bisher von den Contergan-Geschädigten empfangenen Sozialleistungen, insbesondere der Krankenversicherung und der Sozialhilfe, brauchen nicht zurückgezahlt zu werden. Damit ist die Gruppe der contergan-geschädigten Kinder gegenüber allen Behinderten wesentlich besser gestellt. Wir sind überzeugt, daß wir diese Besserstellung verantworten können. Damit ist sichergestellt, daß die Vergleichssumme von 100 Millionen DM einschließlich der Zinsen voll und ohne Einschränkung den Contergan-Geschädigten zur Verfügung steht und die Eltern nicht mit der Rückzahlung empfangener Sozialleistungen belastet werden.Zweitens. Die Contergan-Geschädigten erhalten entsprechend der Schwere ihres Schadens und der
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Glombighierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen, also nicht nach dem Grad der Erwerbsminderung — auch das ist wichtig, hier zu betonen —, eine Kapitalentschädigung bis zu 25 000 DM und daneben eine lebenslängliche Rente bis zu 450 DM monatlich.Die Regierungsvorlage sah eine Kapitalentschädigung von maximal 40 000 DM vor. Die Berechnungen der Bundesregierung gingen dabei von 2000 contergan-geschädigten Kindern aus. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zeigte sich jedoch, daß die Zahl der Contergan-Geschädigten in Wirklichkeit mehr als 3000 beträgt. Aus diesem Grunde konnte die vorgesehene Höchstsumme der Kapitalentschädigung leider nicht aufrechterhalten werden. Der federführende Ausschuß hat jedoch die Höchstsumme für die lebenslängliche Rente gegenüber dem Regierungsentwurf von 400 DM auf 450 DM monatlich erhöht. Der Ausschuß hat damit den besonderen Interessen der Contergan-Geschädigten Rechnung getragen.Zur Sicherstellung dieser Leistungen soll die Vergleichssumme von 100 Millionen DM — zusätzlich der angelaufenen Zinsen — in die vorgesehene Stiftung eingebracht werden. Der Bund beteiligt sich an den Leistungen zugunsten der ConterganGeschädigten mit 50 Millionen DM, also mit rund einem Drittel des Gesamtaufwands. Es ist gesetzlich sichergestellt, daß diese Gesamtsumme nur für die Leistungen an die Contergan-Geschädigten verwandt werden darf. Das ist ausdrücklich in § 11 des Gesetzentwurfs festgelegt. Weitere 50 Millionen DM sind für institutionelle Hilfen, z. B. für die Errichtung von Rehabilitationseinrichtungen, vorgesehen, die neben den contergan-geschädigten Kindern auch den übrigen behinderten Kindern in unserem Lande zugute kommen sollen. Das bedeutet, daß die Contergan-Geschädigten Leistungen erhalten, die weit über das Finanzvolumen des Vergleichs hinausgehen.Der federführende Ausschuß war einmütig der Auffassung, daß über die vom Bund zur Verfügung gestellten 100 Millionen DM hinaus eine noch weitere Belastung des Bundeshaushalts nicht möglich ist, so daß zur Zeit eine automatische Dynamisierung, also Anpassung der lebenslänglichen Renten, wegen der beschränkten Haushaltsmittel nicht möglich ist. Dennoch ist eine künftige Erhöhung der Renten nicht von vornherein ausgeschlossen — wie sollte es auch? —, sondern bleibt einer späteren Gesetzesinitiative natürlich vorbehalten.Drittens. Alle Leistungen an die' Contergan-Geschädigten sind nach diesem Gesetz einkommen- und vermögensteuerfrei. Die Kapitalentschädigung bleibt auf künftige Sozialleistungen, insbesondere der Krankenversicherung und der Sozialhilfe, voll anrechnungsfrei. Ebenfalls anrechnungsfrei bleibt die lebenslängliche Rente in Höhe der vollen Grundrente für Kriegsbeschädigte.Das bedeutet für das laufende Jahr einen Freibetrag von 330 DM monatlich. Dieser Freibetrag wird sich mit der gesetzlich vorgeschriebenen Dynamisierung der Kriegsopferrenten laufend erhöhen. Die Contergan-Geschädigten werden also in dieserHinsicht den Kriegsopfern gleichgestellt. Damit nehmen sie gegenüber allen anderen behinderten Kindern eine Sonderstellung ein. Auch das glauben wir verantworten zu können, weil die Renten nach diesem Gesetz nur teilweise aus öffentlichen Mitteln gezahlt werden.Wir bedauern außerordentlich, daß wir den Gesetzentwurf heute noch nicht in dritter Lesung verabschieden können. Dazu fehlt uns leider immer noch die Zustimmung der Treuhänder für die Überführung des Vergleichsvermögens in die Stiftung. Um das Gesetz durchführen zu können, ist die Stiftung jedoch auf die Vergleichssumme angewiesen. Wir hoffen, daß wir in der Zeit zwischen der zweiten und dritten Lesung den Treuhändern und den Eltern der contergan-geschädigten Kinder klarmachen können, daß der Gesetzentwurf gegenüber dem Vergleich ein eindeutiger Vorteil für die contergangeschädigten Kinder bedeutet. Wir hoffen, daß die Zustimmung der Treuhänder recht hald gegeben wird, damit den contergan-geschädigten Kindern über die Vergleichssumme von 100 Millionen DM hinaus auch die zweckbestimmten 50 Millionen DM des Bundes in Form der Leistungen des Gesetzes zugute kommen.Sobald das Gesetz in dritter Lesung verabschiedet ist, kann die neue Stiftung an die Arbeit gehen. Wir gehen davon aus, daß bis zur endgültigen Feststellung der Entschädigungssumme und der Rente im Einzelfall ein Vorschuß auf die den Kindern zustehenden Leistungen gegeben werden kann.Der federführende Ausschuß ist der Auffassung, daß es auch im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz zulässig ist, den von der Firma Chemie Grünenthal GmbH für die contergan-geschädigten Kinder zur Verfügung gestellten Betrag aus Bundesmitteln aufzustocken. Daraus resultiert aber auch eine Verpflichtung gegenüber den anderen Behinderten, insbesondere den anderen 500 000 behinderten Kindern. Aus diesem Grunde hat der Ausschuß einen interfraktionellen Entschließungsantrag angenommen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, zu prüfen und dem Deutschen Bundestag zu berichten, welche Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungen an alle Behinderte bestehen. Es ist die einmütige Auffassung des Ausschusses, daß die Behinderten gleichgestellt werden sollten. Die Bundesregierung wird aufgefordert, als ersten Schritt dazu so bald wie möglich einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hilfen für Behinderte nach dem Bundessozialhilfegesetz vorzulegen.Abschließend stelle ich noch einmal im Namen meiner Fraktion mit großer Befriedigung fest, daß der Gesetzentwurf in der Ausschußfassung und die Entschließung von allen Fraktionen des Hauses gemeinsam getragen werden — ein seltener Vorgang, der, so meine ich, in diesem Zusammenhang natürlich seine besondere Bedeutung hat.Zum Abschluß auch von meiner Seite herzlichen Dank an die Organisationen und die Eltern der contergan-geschädigten Kinder. Wir wissen, um welch schweres Schicksal es hier geht. Ich kann im Namen meiner Fraktion zusagen, daß wir auch in der weiteren Entwicklung dieses Gesetzgebungsvorhabens an
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Glombigder Seite der contergan-geschädigten Kinder stehen werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den eingehenden ernsten und klarstellenden Ausführungen meiner vier Vorredner darf ich mich kurz fassen; denn ich kann das, was meine Vorredner gesagt haben, nur unterstreichen und unterstützen.
Wir Freien Demokraten sind froh, daß durch die Initiative der Bundesregierung dieses Gesetzgebungsverfahren in Gang kommen konnte. Wir I sind noch viel froher darüber, daß es uns gelungen ist, in einer interfraktionellen Arbeitsgruppe mit Unterstützung des Ministeriums eine Einigung zu erzielen, die bei der komplizierten Materie nicht leicht war. Sie machte aber deutlich, daß der Wille zur Einigung und zur Hilfsbereitschaft durch ein Gesetz auf diesem Gebiet in allen Parteien voll vorhanden gewesen ist.
Wir stimmen dem gefundenen Gesetzestext zu. Wir stimmen dem Antrag des Ausschusses zu. Wir können, wie es auch meine Vorredner getan haben, nur bedauern, daß die dritte Lesung und die Inkraftsetzung nicht unmittelbar erfolgen können. Wir hoffen, daß die noch ausstehende Einigung mit den Treuhändern der betroffenen Contergan-Kinder Anfang Juli gefunden wird, so daß wir dieses Ge- setz dann in der Sondersitzung im Juli verabschieden können. Die Verabschiedung liegt im Interesse aller betroffenen Kinder. Sie liegt im Interesse aller Behinderten, für die im Entschließungsantrag ein Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hilfen verlangt wird.
Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten hoffen mit Ihnen als Sozialdemokraten, als Christliche Demokraten, daß der gute Wille des Parlaments, der sich in diesem Gesetzestext niedergeschlagen hat, demnächst auch Gesetzeswirklichkeit sein wird.
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind wohl alle glücklich darüber, Zeuge einer Stunde geworden zu sein, die uns zeigt, daß politische Koalitionen — das wissen wir alle — zerbrechen mögen, daß es aber eine Koalition zwischen Menschen geben kann, die sich ohne Rücksicht auf ihre innere Einstellung in der Verantwortung für die zusammenfinden, die im Schatten leben. Aus diesem Grunde ersparen wir uns, Bemerkungen zu machen, die den Geist der Stunde stören könnten. Ich sage nur etwas, was aus ganzem Herzen kommt. Ich bedaure — Sie wohl auch —, daß solche Stunden oft zu einem Zeitpunkt stattfinden, wo kaum noch ein Besucher da ist, wo die vielen Gruppen, die hierhergekommen sind, längst mit dem Eindruck nach Hause zurückgekehrt sind, die da in Bonn zerfetzen sich nur gegenseitig, diese Demokratie lebe nur vom Streit untereinander, und was man so alles hören mag.Wir haben nun mit dieser Stunde vorliebzunehmen. So greife ich mit Dankbarkeit etwas auf, was vorhin mein verehrter Kollege Burger ganz zart hat anklingen lassen. Diese Frage gilt nicht nur für ein paar Tausend, die insbesondere in diesem Gesetzentwurf bedacht werden sollen, sondern sie gilt für die über halbe Million jugendlicher Menschen, die geistig oder körperlich behindert sind und die sich immer wieder fragen, welchen Sinn ihr Leben denn habe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann fragen: Gehört das in den Bundestag? Ich meine, es gibt ganz andere Fragen, denen wir vielleicht viel zuviel Zeit widmen, so daß es doch erlaubt sein mag, dieser Frage vorsichtig ein wenig nachzuspüren, ohne das Innerste zu verletzen, das der einzelne im Herzen trägt.Wer mit Behinderten zusammenkommt — hier istwohl niemand heute abend, der nicht reiche Erfahrungen dort hat —, kennt das, was sich in dem Brief einer Mutter aus Westfalen ausdrückt, die einem Kollegen berichtete, wie sie nun zum siebenten Male mit ihrem Kinde aus einer amerikanischen Klinik zurückgekehrt sei. Sie schrieb, wie es Stufe um Stufe vorwärtsgehe, wie sich die Sitzfähigkeit ihrer Tochter um 20 %, dann um 30 %, schließlich um 40 % verbessert habe. Gewiß, sie weiß und wir wissen es auch: völligen Erfolg wird es nicht geben. Aber diese Frau wie Hunderttausende von Eltern zeigen uns, daß es eine Freude unter Tränen geben kann.Wenn wir nach dem Sinn solchen Lebens fragen wollen, dann gibt es neben vielen anderen Orten, die deswegen nicht herabgesetzt werden sollen, Bethel bei Bielefeld. Bethel hilft uns vielleicht, der Antwort auf die Frage ein wenig näher zu kommen: was fangen wir mit solchem behinderten Leben an? Wir könnten in Bethel und anderswo nämlich erfahren, daß, soweit Menschen überhaupt in der Lage sind, darüber etwas auszusagen, zwei Vorantworten gegeben werden können.Die erste Antwort: Diese Menschen sind uns aufgetragen, damit wir, die wir gesund sind, die wir dauernd versucht sind, nur von dem Tageserfolg und von dem, was man so Glück nennt, zu leben, immer wieder erfahren, daß menschliches Leben nicht nur Glück, Erfolg, Wohlstand usw. umfaßt, sondern das Leben verbunden sein kann mit Scheitern, mit Enttäuschung und mit Leid.Die andere Antwort, die wir von dorther bekommen könnten, ist — ich meine, in unserer Zeit könnte das sehr wichtig sein , daß der Dienst für den Nächsten, der mir das materiell nicht vergelten kann, seinen Wert in sich selbst trägt. Gelegentlich — nicht zu knapp — werden auf dieser Tribüne politische Werturteile vorgetragen. Dann darf aber doch wenigstens mit einem Satz auch einmal gesagt werden: quer durch die Fraktionen hindurch gibt es auch in diesem Hause Frauen und Männer, die daran glauben, daß es eine endgültige Antwort auf die Frage nach dem Sinn von so viel Leid einmal geben wird. Wer so hofft, der erwartet diese Ant-
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von Thaddenwort nicht von Parteiideologen her, auch nicht von Augenblicksphantastereien oder von Modeartikeln, sondern hat seine Hoffnung auf die Zukunft ausgerichtet.Für einen der letzten Redner — wenn ich recht im Bilde bin, wird Herr Minister Jahn noch einiges sagen — ist dies nun nicht der Ort, die Frage, die von mir soeben aufgeworfen wurde, zu vertiefen. Ich kann darum nur noch einige Fragen anschneiden.Die eine Frage enthält gleichzeitig eine Bitte, nämlich auf Teilsektoren den Hunderttausenden zu helfen, die nun heute — das müssen wir offen zugeben wieder einmal in eine Wartestellung verwiesen worden sind, und zwar nicht, weil wir nicht wollen, weil wir ihre Not nicht sehen, sondern weil wir glauben, diesen Weg zunächst so gehen zu müssen. Meine Anregungen sind gewiß nur bescheiden. Sollten wir beim Bundessozialhilfegesetz nicht vordringlich prüfen, wie die Eltern, die bisher oft über ihre Kräfte hinaus körperlich, aber auch finanziell haben Beiträge leisten müssen, zumindest in der materiellen Belastung ein wenig Linderung erfahren können? Das Schwerste kann ihnen niemand abnehmen, aber ein Stück können wir helfen.Das Zweite. Ich bitte zu prüfen, ob wir die geltenden Pflegesätze gerade für Familienangehörige, die oft das allermeiste und das allerbeste tun an ihren behinderten Angehörigen, die manchmal Tag und Nacht für sie tätig sind, angesichts oft so großer und manchmal auch überspannter Anforderungen von anderen Lobby-Gruppen, hinter denen Millionen von Interessenten stehen, noch vertreten können?Nur einen Hinweis — die meisten von uns wissen ja, worum es dabei geht : Wie sieht es etwa um eine Mutter aus, die vierzehn-, fünfzehnmal in der Nacht aufsteht, um ihr Kind, das sich nicht selbst wenden kann, umzubetten? Das ist nur ein Beispiel, das sich leider ungezählt vermehren ließe. Hier eine Bitte an den Herrn Verteidigungsminister — er ist nicht hier, aber sie wird ihm sicherlich weitergegeben werden —: Müßte es nicht möglich sein — ich weiß, die Bundeswehr hat sehr viel guten Willen —, Menschen, die leider zur Zeit nur in Spezialkliniken in den Vereinigten Staaten Hilfe finden können, noch häufiger als bisher — es ist schon gelegentlich geschehen — mit Bundeswehrmaschinen zu transportieren? Ich bitte, diesen guten Willen unausgesetzt durchzuhalten.Das Dritte: Ist nicht eine wachsende Anzahl von behinderten jungen Menschen auf unsere Hilfe insofern angewiesen, als sie noch nicht einmal wissen, für welchen Beruf sie in Frage kommen? Müssen wir nicht erst mehr Berufsfindungsanstalten haben, bevor wir, so wichtig das nachher selbstverständlich ist, an die Berufsausbildungswerkstätten denken?Die vierte Frage: Jeder sollte sich in diesem Hause bedankt fühlen, der etwas tut, um den Eltern, die seit vielen, vielen Jahren schwer behinderte Kinder haben, auch einmal zu Ferien zu verhelfen. Ich stehe nicht an, als Angehöriger der Opposition Frau Minister Strobel dafür ausdrücklich zu danken, daß sie dieses Problem gesehen hat. Sie soll wissen, daß sie von diesem Hause darin voll getragen wird.Eine andere Sache, die vielleicht als Kleinigkeit erscheinen mag: Sollte dieser Bundestag, der von so vielen Gruppen angegangen wird, die zu uns kommen wollen — und sie sollen das ja auch —, sich nicht einmal im Jahr die Zeit nehmen, wenigstens eine Tribüne etwa bei einer solchen Debatte wie der heutigen für diejenigen freizumachen, an die wir in erster Linie zu denken haben? Ich glaube, wenn wir da Menschen im Rollstuhl, mit Krücken usw. vor uns haben, uns würden hoffentlich die hohlen Worte im Munde ersticken, und so dummes Geschwätz, was man draußen gelegentlich hören kann, als habe nicht auch das behinderte Leben seinen Wert, könnte dann in diesem Hause niemals eine Heimstätte finden.Ich schließe damit, Herr Bundesminister Jahn, daß ich mich an Sie noch ganz persönlich wende. In diesen Wochen kommt auf Sie manches an Versuchungen zu, den Wert des menschlichen Lebens anders einzuschätzen, als wir, die wir hier zusammen sind, es wohl sehen. Wir wissen, in Schülerzeitungen und sogar von einigen Theologen — Gott sei es geklagt — gibt es Stimmen, die uns raten: Werdet doch mit dem Problem durch Mord fertig! Wir sollten eine andere Antwort zu geben wissen als die, die der Nationalsozialismus mit seinen Tötungs und Mordkommandos gegeben hat. Es wäre schön, wenn auch in der Zukunft wir alle — natürlich nicht nur diejenigen, die hier sind , uns als Menschen ansehen, die das Leben schützen wollen, insbesondere das bedrohte Leben und das schutzlose Leben. Dann gilt es wieder zusammenstehen und den Menschen draußen zu sagen: Kein scheinbarer materialistischer Augenblicksvorteil, kein Verfangensein in faschistischen Gedankengängen, die nur das Recht des Stärkeren kennen, bringt uns davon ab, daß diese Menschen, deren Leben bedroht ist, uns besonders anvertraut sind. Wir werden dadurch geehrt -- wir, nicht die anderen —, wenn wir sie nicht vergessen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einem Jahr, am 16. Juni 1970, hatte ich die Ehre, den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind" einzubringen. Ausgangspunkt der Überlegungen war und ist die Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969, in der die Bundesregierung versprochen hat, Maßnahmen in die Wege zu leiten, die geeignet sind, den Benachteiligten und Behinderten in Beruf und Gesellschaft, wo immer dies möglich ist, Chancen zu eröffnen. Ich freue mich, daß wir heute der Verabschiedung des Gesetzes einen großen Schritt nähergekommen sind. Mit dem Abschluß der parlamentarischen Beratungen macht der Deutsche Bundestag klar, wie der von ihm vertretene Beitrag zur Lösung des Problems gestaltet ist. Alle Beteiligten werden nunmehr sorgsam prüfen können, welche Entscheidungen von ihrer Seite erforderlich sind, um
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Bundesminister Jahndie geplante Stiftung wirksam werden zu lassen. Dabei denke ich nicht nur an die sogenannten Contergan-Kinder, denen durch dieses Gesetz endlich die nötige Hilfe zuteil werden soll. Ich denke insbesondere auch an die Gesamtheit der behinderten Kinder, für die das Gesetz neue und zusätzliche Hilfen vorsieht, indem es der Stiftung die Möglichkeit einräumt, mit dein ihr hierfür zur Verfügung stehenden Kapital Einrichtungen, Forschungsvorhaben usw. zu fördern, die bestimmt und geeignet sind, behinderten Kindern die Eingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern, oder die das Ziel haben, das Übel an der Wurzel zu fassen und die Entstehung von Behinderungen von vornherein zu verhindern.Der Schriftliche Bericht des federführenden Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit und die Protokolle fiber die dort im einzelnen aufgeführten Sitzungen der mit dem Gesetz befaßten Ausschüsse zeigen in eindrucksvoller Weise, mit welcher Intensität und Gründlichkeit das Gesetz beraten worden ist. Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, allen beteiligten Damen und Herren meinen Dank und meinen Respekt vor der gründlichen Arbeit auszusprechen.Besonders beruhigend für uns alle ist die Tatsache, daß die Dauer der Beratungen nicht, wie dies zuweilen in der Öffentlichkeit behauptet oder zumindest befürchtet worden ist, zu einer Verzögerung der Leistungen an die sogenannten Contergan-Kinder geführt hat. Parallel zu den Erörterungen in den Ausschüssen haben die in dem Vergleich der Firma Chemie Grünenthal mit einem Vertreter der geschädigten Kinder eingesetzten Treuhänder damit begonnen, die notwendigen Vorarbeiten für eine Auszahlung durchzuführen. So haben die Professoren Lenz und Weicker, die unbestritten zu den kompetentesten Sachverständigen für das einschlägige Fachgebiet gehören, im Auftrag der Treuhänder die Mehrzahl der bei der Firma Chemie Grünenthal eingegangenen Schadensmeldungen bereits überprüft und entschieden, ob das jeweilige Kind zu dem durch den Teil II dieses Gesetzes begünstigten Personenkreis gehört oder nicht. Im Anschluß an diese Feststellungen muß ein entsprechendes Gutachtergremium in jedem einzelnen Fall zur Schwere des Schadens Stellung nehmen, damit eine gerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel gewährleistet ist. Wäre dieses Gesetz früher verabschiedet worden, so hätten die Stiftungsorgane die von den Treuhändern durchgeführten Maßnahmen treffen müssen. Sie wären keinesfalls in der Lage gewesen, bis zum heutigen Tag irgendwelche Zahlungen zu leisten. Es ist selbstverständlich, daß die Arbeitsergebnisse der Professoren Lenz und Weicker von der Stiftung übernommen werden. Ich danke den Treuhändern namens der betroffenen Kinder vielmals für ihre wertvolle Vorarbeit und gebe der Hoffnung Ausdruck, daß sie sich mit ihrer Sachkunde und Erfahrung auch weiterhin in den Dienst der betroffenen Kinder stellen.Mit besonderer Genugtuung kann ich feststellen, daß in den Beratungen der Ausschüsse dieses Hauses die Konzeption des Regierungsentwurfs im wesentlichen bestätigt worden ist. Das gilt insbesondere auch für Art und Umfang der Leistungen, die die sogenannten Contergan-Kinder nach dem Gesetz erhalten sollen. Ich halte nach wie vor das gemischte System, d. h. die Gewährung einer lebenslänglichen Rente und zusätzlich einer einmaligen Kapitalentschädigung, für die glücklichste Lösung. Das Schwergewicht muß auf der lebenslänglichen Rente liegen, weil dies in der Regel die wirksamste Hilfe für die Kinder bedeutet und sicherstellt, daß diese auch in späteren Jahren nicht mittellos dastehen, ihre Existenz vielmehr auf Dauer weitgehend gesichert ist. Die neben der Rente vorgesehene Kapitalentschädigung ist geeignet, dem Nachholbedarf Rechnung zu tragen, der dadurch entstanden ist, daß die Kinder, die jetzt durchschnittlich etwa zehn Jahre alt sind, bis jetzt auf eine wirksame Hilfe warten mußten. Sie kann etwa als eine kapitalisierte Rente für die Vergangenheit angesehen werden und fügt sich damit nahtlos in das soziale Leistungssystem des Gesetzes ein. In besonders gelagerten Fällen, in denen die Eltern ausnahmsweise ein am Wohl des Kindes orientiertes Interesse daran haben, über die Kapitalentschädigung hinaus sofort einen größeren Geldbetrag zu erhalten, schafft die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit einer teilweisen Kapitalisierung der Rente Abhilfe.Den Treuhändern des Vergleichs habe ich für die bisherige gute und verständnisvolle Zusammenarbeit zu danken. Von ihrer Entscheidung wird es nun abhängen, ob die Stiftung den in Teil II des Gesetzes gegebenen Auftrag erfüllen kann.Die Vorteile, die die gesetzliche Lösung den Kindern gegenüber den in dem Vergleich vorgesehenen Leistungen bringt, sind offenbar. Sie liegen zunächst darin, daß zusätzlich zu den von der Firma Chemie Grünenthal zur Verfügung gestellten Geldern 50 Millionen DM aus Bundesmitteln zur Verteilung gelangen. Damit ist gesichert, daß der Gesamtbetrag von 150 Millionen DM zuzüglich der bisher entstandenen Zinsen ausschließlich und uneingeschränkt den in Teil II des Gesetzes Begünstigten zur Verfügung stehen. Sollte sich ergeben, daß nach dem gegenwärtig vorgesehenen Berechnungsverfahren der Gesamtbetrag nicht ausgeschöpft wird, muß allen Beteiligten klar sein, daß die Verwendung der verbleibenden Beträge ausschließlich für diesen Kreis von Begünstigten sichergestellt bleibt.Darüber hinaus stellt § 21 Abs. 1 sicher, daß die Firma Chemie Grünenthal von dem Risiko, wegen des Contergan-Komplexes weiterhin in Anspruch genommen zu werden, freigestellt ist. Nur unter dieser Bedingung hat sie sich zur Leistung von 100 Millionen DM bereit erklärt. Ohne eine derartige gesetzliche Regelung wäre möglicherweise der ganze Vergleich hinfällig, und die Kinder würden nicht einmal in den Genuß dieses Geldes kommen.Außerdem gewährt das Gesetz für Leistungen an die sogenannten Contergan-Kinder weitgehende zusätzliche Vorteile in steuerlicher Hinsicht und bei der Ermittlung von Einkommen und Vermögen nach anderen Gesetzen, insbesondere dem Bundessozialhilfegesetz, dem Arbeitsförderungsgesetz und dem Jugendwohlfahrtsgesetz, Vorteile, die bei einer rein
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Bundesminister Jahnprivatrechtlichen Lösung auf der Grundlage des Vergleichs nicht gegeben wären.Die Treuhänder fordern u. a. eine Garantie, daß jedes einzelne Kind aus dein Gesetz mehr erhält, als es nach dem Vergleich erhalten würde. Es fällt mir nicht schwer, eine solche grundsätzliche Erklärung abzugeben; denn es ist der erkennbare Zweck des diesem Hohen Hause vorliegenden Entwurfs, den von der Firma Grünenthal den geschädigten Kindern zur Verfügung gestellten Betrag von 100 Millionen DM zuzüglich Zinsen um 50 Millionen DM aus Bundesmitteln autzustocken und den Gesamtbetrag von 150 Millionen DM zuzüglich Erträgnissen gerecht nach Maßgabe der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen auf die geschädigten Kinder zu verteilen. Diese Berechnung macht deutlich, daß die dem einzelnen Kind zukommenden Leistungen erheblich höher sind als bei einer ausschließlichen Verteilung der von der Firma Grünenthal bereitgestellten 100 Millionen DM. Ich muß mich mit Nachdruck dagegen wenden, wenn gelegentlich versucht wird, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken.Richtig ist allerdings, daß das Leistungssystem nach dem vorliegenden Gesetzentwurf anders ist als die Konzeption nach dem Vergleich mit der Firma Grünenthal. Dieser Vergleich sieht nur eine einmalige Kapitalentschädigung und keine Rente vor. Dem Gesetz liegt dagegen eine sozialpolitische Zielrichtung zugrunde. Der Schwerpunkt liegt auf der Gewährung von Rentenleistungen zusätzlich zu der vorgesehenen Kapitalentschädigung. Die Berechnungen haben eindeutig ergeben, daß durch diese vorgesehenen Leistungen die zur Verfügung stehenden Geldmittel ausgeschöpft werden. Nur ausnahmsweise — ich möchte das nicht verschweigen -- kann die gesetzliche Regelung zur Folge haben, daß geringere Leistungen als nach dem Vergleich mit der Firma Grünenthal herauskommen. Diese Fälle sind wohlüberlegt; es betrifft Leistungen an Eltern eines sehr früh verstorbenen Kindes. Hier würden die Eltern nach dem Vergleich noch nach dem Tode des Kindes die volle Kapitalentschädigung erhalten, während nach der vorliegenden gesetzlichen Regelung eine so weitgehende Begünstigung nicht vorgesehen ist. Es kann nicht der Sinn des Gesetzes sein, den Eltern der Kinder zu helfen; es soll sich vielmehr um eine wirksame Hilfe für die lebenden Kinder selbst handeln. Großzügigkeit am falschen Platz würde nur bewirken, daß die Mittel für die lebenden Kinder ohne sachlichen und sozialen Grund gemindert würden. Auch den Treuhändern sollte es angesichts der geschilderten großen Vorteile des Gesetzes nicht schwerfallen, ihre Bedenken zurückzustellen.Um jedoch allen Eventualitäten vorzubeugen, stellt § 21 Abs. 2 sicher, daß den Treuhändern aus ihrer verantwortungsbewußten und im Interesse der Gesamtheit der Kinder einzig möglichen und sinnvollen Handlungsweise keinerlei Schwierigkeiten erwachsen können. Im übrigen müssen alle Beteiligten wohl anerkennen, daß dem Gesetzgeber, der immerhin ein Drittel der Gesamtleistungen beiträgt,ein mitwirkendes Gestaltungsrecht nicht versagt werden kann.Bereits in meiner Einbringungsrede vor einem Jahr habe ich besonders darauf hingewiesen, daß die Stiftung, insbesondere soweit sie allen behinderten Kindern dienen und entsprechende Einrichtungen und Forschungsvorhaben fördern soll, den bewährten Trägern einschlägiger Hilfsmaßnahmen, insbesondere den Wohlfahrtsverbänden, keine Konkurrenz machen, sondern mit ihnen zusammenarbeiten soll. Ich habe Veranlassung, dies noch einmal ausdrücklich zu wiederholen und zu betonen. Schon die Zusammensetzung des Stiftungsrates, in dem die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die Behindertenorganisationen und die Träger der Sozialhilfe jeweils mit mehreren Mitglieder vertreten sind, zeigt, daß alle gegenteiligen Befürchtungen unbegründet sind.Zum Schluß möchte ich meine früheren Appelle noch einmal wiederholen. Eine öffentlich-rechtliche Stiftung, die den Zweck hat, allen behinderten Kindern zu helfen und ihre Eingliederung in die Gesellschaft zu fördern, ist keine Angelegenheit, die allein den Bund angeht. Vielmehr müssen alle gesellschaftlich relevanten Kräfte an diesem Werk der Menschlichkeit nach Kräften mitwirken. Diesem Anliegen kann sich niemand entziehen, der mit uns das Bestreben hat, die Lebensumstände in unserer Gesellschaft zu verbessern und denjenigen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen, die sie besonders nötig haben und die auf die Hilfe der Gesellschaft angewiesen sind. Ich rufe deshalb die bereits früher angesprochenen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen erneut auf, diese gute Sache durch großzügige finanzielle Zuwendungen zu unterstützen. Ich habe Verständnis dafür, daß sich die genannten Stellen und Institutionen bisher zum Teil abwartend verhalten haben und erst einmal sehen wollten, welche Gestalt der Gesetzgeber dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf geben wird. Wenn nun heute das Hohe Haus dem Gesetzentwurf in der vom Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit beschlossenen Fassung zustimmt, sehe ich keinen Grund mehr für eine weitere Zurückhaltung. Ich hoffe zuversichtlich, daß die Stiftung ihre allen behinderten Kindern zugute kommenden Hilfsmaßnahmen nicht lediglich mit den vom Bund zur Verfügung gestellten 50 Millionen DM bestreiten muß, sondern daß sie schon in naher Zukunft über Mittel verfügen wird, die es ihr ermöglichen, in weitaus größerem Umfange tätig zu werden.
Meine Damen und Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe ,die allgemeine Aussprache und rufe in der Einzelberatung der zweiten Lesung die §§ 1 bis 27 sowie Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 130. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Juni 1971 7597
Vizepräsident Dr. JaegerEinstimmig angenommen. Die 'dritte Lesung findet zu einem späteren Zeitpunkt statt.ich rufe nunmehr Punkt 14 der Tagesordnung auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über technische Assistenten in der Medizin
— Drucksache VI/385 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/2323 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hammans Abgeordneter Dr. Bardens
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jungmann, Frau Kalinke und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über technische Assistenten und Gehilfen in der Medizin
— Drucksache VI/445 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache VI/2323 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Hammans Abgeordneter Dr. Bardens
Ich danke den Berichterstattern, den Abgeordneten Dr. Hammans und Dr. Bardens, für ihre Schriftlichen Berichte.Meine Damen und Herren, wünschen Sie zuerst eine allgemeine Aussprache? — Nein.Wir treten in die Einzelberatung ein. Ich rufe in zweiter Beratung die §§ 1 bis 19, Einleitung und Überschrift auf. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Der Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und meine Herren! Wir werden draußen oft gefragt, wie eigentlich ein typischer Plenartag abläuft. Ich finde, der heutige Plenartag war ein sehr charakteristischer Plenartag mit zwei großen Debatten und mit einer Debatte, die bis zu der Frage nach dem Sinn des- Leides führte. Jetzt kehren wir zu einer Sachfrage zurück, der Länge der Ausbildung der medizinisch-technischen Assistentinnen.
— Frau Kollegin, ich komme jetzt dazu.Auch das ist nicht ohne menschliche Problematik. Es fällt mir sehr schwer, dem Kollegen Hammans zu widersprechen, dem ich freundschaftlich verbunden bin. Es fällt mir schwer, dem Landsmann und Mitschüler Dr. Jungmann zu widersprechen, und es fällt mir ganz besonders schwer, einer Dame eineBitte abzuschlagen, Frau Kalinke. Soviel zur menschlichen Seite der Sache.Meine Damen und Herren, § 2 Nr. 3 schlägt vor, die Zeit der Ausbildung der medizinisch-technischen Assistentinnen von zwei auf drei Jahre zu verlängern. Das ist die einzige Bestimmung, gegen die ich Bedenken habe. Im übrigen bin ich sehr mit dem Anliegen, die Ausbildung zu verbessern, einverstanden. Aber ich fürchte, daß die Verlängerung der Ausbildung nicht zu einer Verbesserung führt. Ich halte das für ein Vorurteil.Die Kernfrage lautet: Sind die medizinisch-technischen Assistentinnen, die etwa heute, am 23. Juni 1971, ihre Ausbildung beenden und am 1. Juli dieses Jahres ihre Stellung antreten, so schlecht ausgebildet, daß sie ihren Berufspflichten nicht gewachsen sind? Präziser: Haben die Institute, die diese Assistentinnen aufnehmen sollen, Bedenken, ob sie sie aufnehmen werden? Offensichtlich nicht. Im Bericht findet sich kein Wort darüber. Der Bericht führt sonderbarerweise die Institute, bei denen später diese Damen arbeiten sollen, nicht einmal als Betroffene auf. Als Betroffene werden nur die Schulen und die Verbände aufgeführt. Nun, ich bin sicher, daß diese Betroffenen hier besten Wissens ihre Erklärungen abgegeben haben. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß auch hier Interessen im Spiel sind. Die Schulen sind an einer Vergrößerung der Nachfrage interessiert und die Verbände an einer Erhöhung ihres Sozialprestiges.Noch einmal: Sind unsere medizinisch-technischen Assistentinnen eigentlich so schlecht? Das kann doch niemand behaupten. Es gibt eine Reihe vorzüglicher Kräfte, die vor vielen Jahren eine damals noch viel schwächere Ausbildung abgeschlossen haben und die in der Lage waren, in ihrem Beruf das dazuzulernen, was sie für ihre spezielle Berufsarbeit brauchen.Meine Damen und Herren, diese Situation wird immer so bleiben. Die Apparate des Jahres 1980 werden die heutigen Absolventinnen ebenso vor neue Aufgaben stellen wie die Apparate 1970 die Absolventinnen von 1960 und 1950. Es ist auch völlig illusorisch, zu hoffen, daß wir die medizinisch-technischen Assistentinnen so ausbilden könnten, daß sie ein ganzes Leben lang allen Aufgaben gewachsen wären. Gewiß gibt es auch schwache Absolventinnen. Aber das ist in einer Situation des höchsten Mangels an Arbeitskräften unvermeidlich. Ich bin überzeugt, daß auch nach einer dreijährigen Ausbildung noch schwache Absolventinnen übrigbleiben.Der Bericht führt die Notwendigkeit einer Verlängerung der Ausbildung unter anderem auf den wachsenden Wissensstoff zurück. Der wachsende Wissensstoff ist eine unbestreitbare Tatsache. Aber wenn man das als Argument annimmt, bedeutet das, daß man in zehn Jahren erneut verlängern muß, weil der Wissensstoff ja ständig weiterwächst. Ich glaube also nicht, daß das akzeptabel ist.Welche Folgen hat die Verlängerung der Ausbildung? Ich darf auf folgende hinweisen. Erstens. Wenn wir die Zeit der Ausbildung um 50% ver-
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Dichganslängern, steigt der Bedarf an Lehrern, Räumen und Lehrmitteln um 50 %. Wo sind diese Lehrer? Solange wir sie nicht haben, kann eine Verlängerung der Ausbildung doch nur dazu führen, daß die Ausbildungsintensität in der Zeiteinheit sinkt.Die zweite Überlegung! Wir sind, glaube ich, sozialpolitisch daran interessiert, eine genügende Anzahl kurzer Ausbildungen verfügbar zu haben. Was wir jetzt erleben, ist genau das Gegenteil. Eine Ausbildung nach der anderen wird aus diesen oder jenen Gründen verlängert.Das Dritte ist die Rücksicht auf die Gesundheitspflege. Wenn wir jetzt die Ausbildung von zwei auf drei Jahre verlängern, fällt in einem Beruf, der ohnehin die Stellen nicht voll besetzen kann, ein ganzer Jahrgang aus.
Deshalb meine ich: was wir brauchen, ist nicht eine Verlängerung, sondern eine Intensivierung der Ausbildung, Fortbildungsklassen für medizinisch-technische Assistentinnen aller Altersstufen. — Frau Kollegin, Sie haben mir gesagt, ich hätte das alles, was ich hier vortrage, im Ausschuß vortragen sollen.
Ich habe mich informiert. Ich kann dazu nur sagen, ich habe die gleichen Bedenken, wie Sie sich erinnern werden, vor einigen Jahren bei der Apothekerausbildung vorgetragen. Der Ausschuß für Gesundheit ist ja ständig dabei, alle Ausbildungen zu verlängern. Auch damals ist mir gesagt worden, ich hätte damit in den Ausschuß gehen sollen, und ich habe darauf geschwiegen. Heute möchte ich dem widersprechen. Wenn die zweite Lesung überhaupt einen Sinn haben soll, muß es Abgeordneten aus anderen Bereichen möglich sein, ihre Bedenken hier vorzutragen. Ich bin in meinem Rechtsausschuß so blockiert, daß es mir nicht möglich ist, an den Beratungen anderer Ausschüsse teilzunehmen. Aber ich glaube, ich habe das Recht, hier meine Bedenken vorzutragen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jungmann?
Herr Kollege Dichgans, ist Ihnen bekannt, daß der damalige Ausschuß für Gesundheitswesen die Ausbildung der Ärzte um zwei Jahre verkürzt hat?
Aber die Apothekerausbildung, Herr Jungmann, ist unbestritten damals verlängert worden, gegen den Rat des Wissenschaftsrates, verlängert worden bei einem Studium, das das einzige Studium in Deutschland war, dessen Zeitdauer von den Studenten vorher nicht überschritten wurde.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
Wir sind in der zweiten Beratung. Ich lasse abstimmen über die aufgerufenen Bestimmungen. Wer ihnen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
Enthaltungen? Bei einigen Gegenstimmen ohne Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? Ohne Gegenstimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zu den weiteren Punkten des Ausschußantrages, zunächst zu dem Punkt 2, den Gesetzentwurf Drucksache VI/445 — durch die Beschlußassung zu Ziffer 1 für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Sodann ist über den Antrag unter Ziffer 3 abzustimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Nun kommen wir zu Punkt 23, wie es interfraktionell vereinbart ist:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen
— Drucksache VI/2310 —
Zur Begründung Frau Bundesministerin Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit will ich mich, obwohl die Bedeutung dieses Gesetzes oft unterschätzt wird, so kurz wie möglich fassen.Mit dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts wird das bisher umfangreichste Vorhaben auf dem Gebiet der Verbraucherschutzgesetzgebung vorgelegt. Der durch das geltende Lebensmittelgesetz bereits gewährleistete Schutz des Verbrauchers vor Gefährdung der Gesundheit, aber auch vor Irreführung, soll erweitert und verbessert werden. Dies gilt für alle Bereiche, die seit jeher dem Oberbegriff „Lebensmittelgesetz" zugeordnet sind, also für Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, kosmetische Artikel und sonstige Bedarfsgegenstände. Die Regelung für alle diese Erzeugnisse in einem Gesetz hat den Vorzug, daß eine Reihe allgemeiner Vorschriften und die gesamten Überwachungsbestimmungen des Gesetzentwurfs gleichermaßen auf alle Erzeugnisse
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Bundesminister Frau Strobelangewendet und damit Wiederholungen, die in einer Reihe von Einzelgesetzen erforderlich wären, vermieden werden können.Bei der Entwicklung der in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Vorschriften, durch die der Schutz des Verbrauchers verbessert werden soll, wurde aber dafür Sorge getragen, daß der technologische und wirtschaftliche Fortschritt nicht unnötig behindert wird. Die vorgesehenen Ermächtigungen bieten die Möglichkeit, auf dem Verordnungswege flexible und auf das jeweilige Erzeugnis oder die Erzeugnisgruppen speziell zugeschnittene Regelungen zu tref-ten, die, anders als im Gesetz bereits verankerte globale Verbote und Gebote, dann eben dem technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt mehr Spielraum lassen, allerdings immer nur soweit dies mit dem Interesse des Verbrauchers vereinbar ist.Als wesentliche Schwerpunkte des Gesetzes zum Schutz der Gesundheit der Verbraucher möchte ich nennen: einmal die Verschärfung des mit der Novelle 1958 eingeführten Zusatzstoffverbots bei Lebensmitteln, ferner die Erweiterung der Schutzvorschriften, die sich auf die Verwendung von pharmakologisch wirkenden Stoffen in vom Tier gewonnenen Lebensmitteln beziehen, das Zulassungsverfahren für die Verwendung verschreibungspflichtiger Stoffe im Sinne des Arzneimittelrechts bei der Herstellung von kosmetischen Mitteln und die Einbeziehung weiterer Gegenstände des täglichen und häuslichen Bedarfs in den Kreis derjenigen Gegenstände, die den Schutzvorschriften dieses Gesetzes unterliegen. Hierbei handelt es sich z. B. um Waschmittel, um 'Reinigungsmittel, um Sprays zur Geruchsverbesserung in Räumen, als immerhin um Erzeugnisse, die erst in den letzten Jahren ständig an Bedeutung gewonnen haben. Denjenigen, die heute in den Zeitungen einen Bericht über eine Kunststoffkommission gelesen haben, die sich auch mit Spielzeug befaßt, möchte ich sagen, daß dieses Gesetz eben auch dafür zuständig ist.Eine entscheidende Verbesserung des Verbraucherschutzes gegenüber dem geltenden Recht soll ferner mit den im Entwurf vorgesehenen Werbevorschriften für Lebensmittel, Tabakerzeugnisse und kosmetische Mittel erreicht werden. Zunächst einmal sollen die Bestimmungen über irreführende Werbung für Lebensmittel verbessert werden. Für kosmetische Erzeugnisse wird eine entsprechende Regelung neu eingeführt. So soll sich das Irreführungsverbot u. a. ausdrücklich auf Aussagen erstrecken, die Lebensmitteln und Kosmetika Wirkungen beilegen, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen. Diese Bestimmungen sollen durch besondere Vorschriften über die gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel ergänzt werden, da sich die zur Zeit im Heilmittelwerbegesetz enthaltenen Regelungen insoweit als nicht besonders praktikabel und befriedigend erwiesen haben.In diesem Zusammenhang ist auch auf die vor-geschenen Werbevorschriften für Tabakerzeugnisse hinzuweisen. Über die Wirksamkeit von Werbege- es mir sehr lieb isi, daß wir auf ein Verbot der Zigarettenwerbung im Fernsehen in diesem Gesetz verzichten konnten, weil die Zigarettenindustrie eine entsprechende Verpflichtung freiwillig eingegangen ist.und -verboten bei Tabak gehen die Meinungen besonders weit auseinander. Ich möchte sagen, daß Mit dein Gesetzentwurf wird angestrebt, die Überwachung und Einhaltung lebensmittelrechtlicher Vorschriften zu intensivieren. Besondere Bedeutung kommt hierbei der vorgesehenen Einschaltung der Zolldienststellen bei der Kontrolle von Importen zu. Das ist auch ein Anliegen, das wir schon im Jahre 1958 hier im Bundestag vorgetragen haben. Damit wird insbesondere einem berechtigten Anliegen vor allem auch der deutschen Landwirtschaft nach einer effektiven Überwachung ausländischer Erzeugnisse bei der Einfuhr Rechnung getragen, die ja nicht ganz zu Unrecht hier immer Wettbewerbsnachteile für sich befürchtet.Der Gesetzentwurf soll ferner eine der Kernforderungen an die Reform erfüllen, nämlich das Lebensmittelstrafrecht neu zu gestalten. Damit wird nicht nur der berechtigten Forderung der Wirtschaft entsprochen, es geht vor allem darum, eine wirksame Durchsetzung der lebensmittelrechtlichen Vorschriften sicherzustellen.Der Entwurf trägt auch der Notwendigkeit einer umfassenden Rechtsbereinigung Rechnung. So werden eine Reihe überalterter Spezialgesetze, die zum Teil sogar noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen, durch dieses Gesetz abgelöst. Ihr Bereich soll durch besondere Rechtsverordnungen geregelt werden.Von der vorgesehenen Rechtsbereinigung und Neuordnung werden insgesamt 16 Gesetze betroffen; in Durchführung des Reformvorhabens werdenI mehr als 40 Rechtsverordnungen geändert. Für das Volumen will ich nur darauf hinweisen, daß allein' der Lebensmittelbereich einen Umsatzanteil von 50 Milliarden DM an der Gesamtwirtschaft hat. Es wird auch endlich möglich sein, eine bundeseinheitliche Hygieneverordnung zu erlassen. Bisher gab es dafür keine Rechtsgrundlage in einem Gesetz.Abschließend darf ich darauf hinweisen, daß dieses Gesetzgebungswerk 1958 vom Deutschen Bundestag bei Verabschiedung der sogenannten Fremdstoffnovelle gefordert worden ist. 1964 hat Frau Schwarzhaupt als damalige Gesundheitsministerin eine Kommission zur Lebensmittelrechtsreform berufen. Ich möchte die Gelegenheit benutzen, den Damen und Herren, die damals in dieser Kommission sehr engagiert gearbeitet haben, auch von hier aus zu danken.
1969 habe ich den ersten Entwurf für diese große Reform öffentlich zur Diskussion gestellt, und erst nachdem er öffentlich diskutiert war, haben wir den heute vorliegenden Entwurf erarbeitet. Wer weiß, wie engagiert ich 1958 in dieser Gesetzgebung war, wird verstehen, daß ich mich freue, wenn wir dieses Werk in dieser Legislaturperiode verabschieden können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jungmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Begründung, die Frau Minister Strobel soeben für den Gesetzentwurf zur Neuordnung und Bereinigung des Rechts im Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen gegeben hat, hat in der Sache nichts Neues gebracht. Ich sage das, weil wir deshalb auch keine Veranlassung sehen, unsere bisherige Ansicht über dieses Gesetz zu ändern, eine Ansicht, die wir übrigens schon 1964 geäußert haben, als noch Frau Schwarzhaupt im Amte war, und eine Meinung, die wir auch 1969 und seitdem geäußert haben.
Es ist selbstverständlich, daß wir den Grundgedanken dieses Gesetzes Schutz des Verbrauchers vor Gesundheitsschäden, aber auch vor Täuschung und Irreführung — uneingeschränkt bejahen. Unabhängig davon halten wir die Form dieses Gesetzes jedoch für verfehlt. Man kann in einem solchen Gesetz nicht zusammenfassen, was nichts miteinander zu tun hat: Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, Kosmetika und Gegenstände des täglichen Bedarfs, worunter auch noch alle möglichen sehr unterschiedlichen Dinge zu verstehen sind, ein wahres Sammelsurium von nicht zusammengehörenden Dingen, von Geschirr, Behältnissen, Verpackungsmaterial, Trillerpfeifen, Tabakpfeifen sowie anderen Gegenständen, die in den Mund genommen werden, nicht näher bezeichnete Gegenstände, die überwiegend zur Körperpflege verwendet werden, Spielwaren, Scherzartikel, Reinigungs-, Pflege- und Desinfektionsmittel für Bedarfsgegenstände, wie gehabt, Mittel zur Geruchsverbesserung, zur Insektenvertilgung usw. usw. Es ist nicht verwunderlich, daß der zuständige Bundesminister obendrein auch noch ermächtigt werden soll, diese Liste um weitere Gegenstände und Mittel des persönlichen und häuslichen Bedarfs zu erweitern.
Das Bestreben, alle gesundheitsschädigenden Einflüsse von Bürgern fernzuhalten, ist natürlich lobenswert. Nicht lobenswert ist aber, daß dieses Gesetz nicht praktikabel ist, jedenfalls nicht praktikabel erscheint, und daß es allenfalls für bestimmte Behörden, nicht aber für die unzähligen Menschen brauchbar ist, die damit und danach arbeiten müssen. Von der Übersichtlichkeit und Transparenz, die sich seine Verfasser selbst bescheinigt haben, kann meines Erachtens keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Der Gesetzentwurf ist unübersichtlich und alles andere als transparent.
Ich will nicht danach fragen, warum an diesem Gesetz mehr als sieben Jahre gearbeitet worden ist, mit anderen Worten, warum es trotz seiner Aktualität erst so spät, nämlich erst heute, vorgelegt worden ist. Ich will für meine Fraktion hier feststellen, daß der Gesetzentwurf im Gegensatz zu seinem offiziellen Titel den stozen Untertitel einer „Gesamtreform des Lebensmittelrechts" nicht verdient. Dieses Gesetz ist ein vielseitiger Katalog von Vorschriften, von mehr oder weniger notwendigen und sinnvollen Vorschriften, aber keine Gesamtreform des Lebensmittelrechts, als das es schon seit langem angekündigt und auch angepriesen worden ist.
Ich erkläre namens meiner Fraktion, daß wir dem Hause unmittelbar nach der Sommerpause einen Änderungsantrag vorlegen werden, nach dem dieses schwerfällige, undurchsichtige und unpraktikable Mammutgesetz in mehrere durchsichtige, praktikable Einzelgesetze aufgelöst wird. Wir entsprechen damit nicht nur unseren eigenen schon seit längerer Zeit erhobenen Forderungen. Wir entsprechen damit den Forderungen der beteiligten Wirtschaftskreise ebenso wie den Interessen der Verbraucher, die, ich möchte es noch einmal sagen, damit arbeiten müssen und die ein solches Gesetz mit Sicherheit nicht lesen können.
— Die Verbraucher müssen sich orientieren können. Die Verbraucherverbände wollen den Verbraucher ja verbraucherbewußt machen. -- Wir entsprechen damit auch der Forderung des Deutschen Bundestages, der die Bundesregierung schon 1964 vergeblich aufgefordert hat, ein besonderes KosmetikGesetz vorzulegen. Wir entsprechen damit schließlich auch den Absichten der EWG, die bereits Richtlinienentwürfe für Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel vorgelegt hat, von Lebensmitteln ganz zu schweigen. Wir hoffen zuversichtlich, daß wir damit nicht nur die Zustimmung der Öffentlichkeit, sondern auch die Zustimmung dieses Hohen Hauses finden werden.
Wir stimmen dem Vorschlag des Ältestenrates zu, diesen Gesetzentwurf dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit -- federführend — und dem Wirtschaftsausschuß — mitberatend — zu überweisen, und wir sind auch bereit zuzustimmen, wenn er außerdem dem Landwirtschaftsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden soll.
Das Wort hat der Abgeordnete Bay.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Sozialdemokratische Fraktion darf ich folgende Erklärung abgeben. Die Vorlage des Regierungsentwurfs zur Gesamtreform des Lebensmittelrechts weckt zunächst die Erinnerung an die Initiative aller Frauen der II. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, die sich damals gemeinsam für eine Novellierung des veralteten Lebensmittelgesetzes verwendet haben. Sie taten es unter zunächst sehr hartem Widerstand auch außerparlamentarischer Kräfte, aber mit solcher Hartnäckigkeit, daß ihrer Initiative der Erfolg nicht versagt blieb. Am 6. November 1958 wurde die Novelle zum Lebensmittelgesetz bei nur wenigen Gegenstimmen und zwei Enthaltungen angenommen. Es darf auch noch einmal vermerkt werden, daß zu den führenden Abgeordneten dieser Initiative Frau Käte Strobel gehörte, die nun heute als Bundesgesundheitsminister diesen umfassenden Entwurf zum Lebensmittelrecht vorlegen und damit einen großen politischen Erfolg verbuchen kann.
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BayDie Neuregelung des Lebensmittelrechts ist dringend nötig, weil die auch hier immer weiter wachsenden Möglichkeiten industrieller Produktion, die ja die landwirtschaftliche Urproduktion inzwischen einbezogen haben, von sich aus wenig veranlaßt sind, das Wohl des Verbrauchers ausreichend in Rechnung zu stellen, zumal eines Verbrauchers, der durch die Fülle und die Unübersichtlichkeit dieser neuen Entwicklungen zumeist verwirrt, sachunkundig und deshalb hilflos geworden ist und seine Qualitätsansprüche oft mehr auf Schönheit, Größe und Verpackungsweise als auf gesundheitliche Qualitäten richtet.Die Forderung nach der höchstmöglichen Qualität der in diesem Gesetz erfaßten Produkte — Lebensmittel, Tabakerzeugnisse, Kosmetika und sonstige Bedarfsgegenstände — ist unerläßlich, wenn nicht einer aktiven Gesundheitspolitik durch zahlreiche schleichende und schwer zu erkennende Übel, die an der Gesundheit unserer Menschen zehren, allmählich die Basis entzogen werden soll. Mit anderen Worten: Ein solches Gesetz muß seine Richtschnur in der Maxime des umfassenden Verbraucherschutzes haben. Es kann und darf deshalb nicht liberal in einem oberflächlichen Sinne sein. Bei aller Freude an der Freiheit, hier könnte sie ungezügelt nur zum Schaden aller gereichen und Unfreiheit in Gestalt gesundheitsschädlicher Zwangsverhältnisse schaffen, denen sich niemand mehr entziehen könnte.Es ist typisch für dieses Gesetz, daß 14 seiner 55 Paragraphen mit der Wendung „es ist verboten" beginnen. Aber nur so und mit den daraus sich ergebenden Konsequenzen ist es zu schaffen, durch den Dschungel der fast unbegrenzten Möglichkeiten moderner Produktion die wichtigsten Gassen zu hauen und damit zu einem wirksamen Verbraucherschutz, zu Klarheit und Wahrheit zu gelangen. Nur auf einer solch klaren Grundlage wird es in Verbindung mit aktiver Verbraucheraufklärung möglich sein, die weitgehende Desorientierung des Verbrauchers wenigstens teilweise in eine bewußte und gekonnte Einstellung auf Gesundheitswerte und Gesundheitsschutz zu verwandeln. Der Verbraucher muß sich in diesem Zusammenhang in besonderer Weise auf Gesetzgeber und Regierung verlassen können.Was mit dem Gesetzentwurf gemeint ist, läßt sich an vielen Stellen verdeutlichen. Zu einer der aktuellsten Aufgaben gehören nicht erst seit der Veröffentlichung des „Spiegel" in dieser Woche die in § 15 enthaltenen verbesserten Schutzbestimmungen gegen Stoffe mit pharmakologischer Wirkung in der tierischen Erzeugung. Die zuständigen Ausschüsse werden dieses Gebiet im Zusammenhang mit dem Arzneimittel- und Futtermittelrecht sehr gründlich zu beraten haben. Es kann und darf keinen Zweifel darüber geben, daß auch hier die Gesundheit das höchste der zu schützenden Güter sein muß. Dies festzustellen, dient nicht zuletzt den wohlverstandenen längerfristigen Interessen der Produzenten von Schlachttieren, nämlich unseren Landwirten.Neue Wege geht der Entwurf zum Teil mit Einschränkungen und Verboten besonders bei der gesundheitsbezogenen Werbung. Das ist nötig, weil diese Werbung mit dem Auftreten der Gesundheitswelle ein Ausmaß angenommen hat, das mit den tatsächlichen Gesundheitsqualitäten der Produkte nicht nur nichts zu tun hat, sondern in vielen Fällen als bewußte Irreführung betrachtet werden muß. Die Begriffe „naturrein" und „natürlich" sollen verboten werden in der ganz richtigen Erkenntnis, daß es naturreine und natürliche Lebensmittel unter den gegebenen Umweltvoraussetzungen kaum mehr geben kann. Auf dieser ehrlichen Diagnose fußend sollen erfreulicherweise Bestrebungen unterstützt werden, die unter besonderen Vorkehrungen nachweislich doch zur Gewinnung naturreiner Lebensmittel führen. Für diese Fälle soll dann das Verbot aufgehoben werden können.Bei den Bestimmungen über die Herstellung von Tabakwaren kann es so, wie die Dinge liegen, nicht darum gehen, das im Verbrauch nikotinhaltiger Erzeugnisse liegende Gesundheitsrisiko zu vermeiden, sondern nur darum, daß dieses Risiko nicht zusätzlich vergrößert wird. Es ist aber ebenso dringlich wie erfreulich, daß der Entwurf darangeht, durch Hinweisgebote und Werbeverbote auf das Risiko des Rauchens verstärkt aufmerksam zu machen. Das ist weitgehend Neuland für den deutschen Gesetzgeber; denn Verbraucherschutz bedeutet an dieser Stelle letztlich, zum Nichtgebrauch an sich erlaubter Erzeugnisse anzuregen.Das einstens vorgesehene Werbeverbot für Zigaretten ist, wie schon gesagt wurde, in Rundfunk und Fernsehen durch eine freiwillige Beschränkung der Zigarettenindustrie ersetzt worden. Es wird nötig sein, bei der Beratung des Gesetzes die tatsächliche Entwicklung auf dem Gebiete der gesamten Zigarettenwerbung genau zu verfolgen und aus ihr Konsequenzen zu ziehen. Denn es steht außer Zweifel, daß im Interesse der Volksgesundheit nicht wie bisher die alljährliche Steigerung, sondern eine deutliche Senkung des Zigarettenkonsums erreicht werden muß.Daß der Gesetzentwurf auf wirtschaftliche Notwendigkeiten Rücksicht nimmt, soweit die Gesundheit das zuläßt, ist selbstverständlich. Dies besonders hervorzuheben, erschiene aber untunlich in einer Zeit, in der sich die Priorität gesundheitlicher Erfordernisse trotz aller vorhandenen Erkenntnisse noch nicht ausreichend durchgesetzt hat.Möge die Beratung des Entwurfs und ihr Ergebnis dann auch unsere Rechtsprechung darin bestärken, daß das Recht auf Gesundheit im umfassenden Sinn angesichts der zahllosen Bedrohungen dieser Gesundheit zu einem besonders schützenswerten Rechtsgut geworden ist, daß sich derjenige, der die Gesundheit anderer auch nur mittelbar schädigt, sozialschädlich verhält.Ich darf zum Schluß noch bemerken, daß in Ergänzung des Überweisungsvorschlages des Ältestenrates eine interfraktionelle Vereinbarung auf Überweisung auch an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung getroffen worden ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Durch eine Reform des Lebensmittelrechts, wie sie heute vorgelegt wird, sollen insbesondere zwei Bereiche zeitgemäß geregelt werden, der Schutz vor möglichen Gesundheitsschäden und der Schutz vor Täuschung über die angebotenen Artikel. Im Zusammenhang damit stehen insbesondere Fragen über Zusatzstoffe. Sie waren 1958 im Ausschuß schon sehr umstritten. Ich erinnere mich, Frau Ministerin, daß wir da nicht immer einer Meinung waren. Aber ich hoffe, daß wir bei den Beratungen im Ausschuß eine einheitliche Meinung finden können. In Betracht kommen ferner Fragen im Zusammenhang mit Stoffen pharmakologischer Wirkung bei Lebensmitteln tierischer Herkunft, im Zusammenhang mit der Werbung und mit Kosmetika und der Neuordnung des Lebensmittelstrafrechts.
Viel diskutiert in der Öffentlichkeit ist die Werbung für Artikel, die einen gesundheitspolitischen Hintergrund haben, also insbesondere für Genußmittel. Wir müssen in diesem Zusammenhang erkennen, daß aus entsprechenden Einschränkungen der Werbung oder aus einem generellen Verbot positive gesundheitliche Wirkungen nur in beschränkten Umfang zu erwarten sind. Worauf es hier nach unserer Meinung entscheidend ankommt, ist ein beispielhaftes Vorleben und Verhalten derer, die das gesundheitsschädliche Verhalten bekämpfen wollen. Das ist wohl viel entscheidender als Gebote und Verbote. Hierdurch wird nicht nur darauf verzichtet, zu einem entsprechenden Verhalfen zu animieren, sondern gleichzeitig wird bewußt oder unbewußt eine gesundere Verhaltensweise demonstriert.
Wir sprechen von den Gefahren des Rauchens. Wir sollten uns einmal überlegen, ob wir die Nichtraucher unter den Kollegen dieses Hauses schützen könnten, indem wir uns dahin verständigen, daß in allen Ausschüssen beispielsweise zu geraden Stunden geraucht und zu ungeraden Stunden nicht geraucht werden darf. Das wäre wenigstens ein Kompromiß, auf den ich in diesem Zusammenhang einmal hinweisen möchte. Für den Nichtraucher ich gehöre zu den Nichtrauchern — ist es manchmal eine böse Zumutung, acht bis zehn Stunden in einem bös verräucherten Lokal sitzen zu müssen.
Deshalb bewundere ich auch Herrn Kollegen Wehner, daß er so oft im Plenum sitzt. Aber er geht gelegentlich hinaus. Ich sitze deshalb lieber im Plenum als im Ausschuß, weil ich hier vom Rauch nicht belästigt werde.
— Eine neue Idee für die Uhrenindustrie, ja!
Der Bundesrat geht noch weiter als die Regierungsvorlage. Ich meine, damit überspitzt er die Dinge ein bißchen. Er will die Werbung für Tabakwaren, grundsätzlich, nicht nur wegen der Jugendgefährdung verbieten. Der Bundesrat will diese Werbung im Fernsehen und im Rundfunk grundsätzlich verboten wissen. Meine Damen und Herren, ich glaube, man macht sich selbst ein bißchen blauen Dunst vor, wenn man meint, dadurch Abhilfe schaffen zu können. Was mehr not tut, scheint mir Aufklärung und Vorleben im toleranten gegenseitigen Sich-Ertragen. Wir sollten das nicht in das Gesetz einbauen. Ich möchte aber anregen, daß wir uns einmal darüber unterhalten, inwieweit wir auch in weite Bereiche unseres Wirtschaftslebens gelegentlich für den Nichtraucher etwas mehr Schutzmöglichkeiten einbauen können.
Der Gesetzentwurf ist sehr umfangreich und ich habe erhebliche Befürchtungen nach dem, was Herr Dr. Jungmann hier vorgetragen hat. Wir wollen unter keinen Umständen erleben, daß durch den Umfang des Gesetzes eine Verabschiedung womöglich verzögert oder gar verhindert wird. Die Verabschiedung erscheint uns dringend notwendig. Wenn wir deshalb einen Punkt ausklammern sollten, würde mir das zwar leid tun, aber ich wäre einer solchen Frage gegenüber nicht unaufgeschlossen.
Einen wesentlichen Fortschritt sehen wir in der Entkriminalisierung des Lebensmittelstrafrechts. Der Entwurf wird dem Verbraucher wesentlich mehr Schutz vor gesundheitlicher Gefährdung und irreführender Anpreisung bringen. Er stempelt aber denjenigen, der im Umgang mit entsprechenden Waren im Regelfall ohne böswillige Absicht die eine oder andere Vorschrift nicht beachtet hat, nicht gleich zum Kriminellen. Durch die Aufnahme der Ordnungswidrigkeiten in das Gesetz kann mit angemessenen Mitteln gegen bestimmte Verstöße nunmehr tatsächlich auch echt vorgegangen werden.
Der Bundesrat hat zahlreiche Änderungsvorschläge unterbreitet. Diese und viele Vorstellungen. der Verbraucher, der Produzenten und der Händler werden im weiteren Verlauf der Beratungen eingehend erörtert werden müssen. Als Politiker werden wir aber sehr darauf zu achten haben, daß wir den Gleichklang behalten und nicht dein einen oder dein anderen Interessenten den Vorzug geben. Die Gefahr ist sehr groß. Wenn ich an den „Spiegel"-Artikel denke, der hier eben angeführt wurde, so meine ich, er ist alarmierend. Aber ich glaube, man kann mit Recht sagen, es ist nicht so, daß es über all so zuginge, wie es im „Spiegel-Artikel dargestellt wird. Wir sollten uns also nicht an extremen Einzelfällen orientieren, sondern sollten versuchen, eine gesunde Mitte der berechtigten sich widerstrebenden Interessen bei der Beratung des Gesetzes im Ausschuß im Auge behalten.
Ich glaube sagen zu können, daß wir uns — unabhängig von den jeweiligen Verbesserungswünschen -- einig sind in dem Ziel, daß der Verbraucher in Zukunft die entsprechenden Artikel und Waren in genauer Kenntnis ihres Inhalts ohne Bedenken erwerben soll und kann. Dafür im Ausschuß zu sorgen wird unser aller Aufgabe sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Biermann. — Das Wort hat der Abgeordnete Marx . — Meine Damen und Herren, die Maschine ist hier nicht dazu da —
— Ich habe soeben abgeschaltet. Ich habe nicht die Absicht, mich von einer Maschine regieren zu lassen, schon gar nicht von Spaßvögeln.
Wir können jetzt, nachdem weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, überweisen, wie der Ältestenrat vorschlägt, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit --- federführend —, an den Ausschuß für Wirtschaft — mitberatend -- und, wie interfraktionell vereinbart wurde, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe als letztes nach einer interfraktionellen Vereinbarung den Tagesordnungspunkt 22 auf:
a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über den Einspruch des Werner Heisterkamp, Villingen, gegen die Gültigkeit des Volksentscheids im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg
-- Drucksache VI /2338 — Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über den Einspruch des Wolfgang Feurstein, Gemeinde Vörstetten, Landkreis Emmendingen, gegen die Gültigkeit des Volksentscheids im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg
— Drucksache VI /2339 — Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
c) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über den Einspruch des Albert Reinhold Schaffnit, Heidelberg, gegen die Gültigkeit des Volksentscheids im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg
--- Drucksache VI /2340 —
Berichterstatter: Abgeordneter Frehsee
d) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über den Einspruch der Cooperative Baden, Karlsruhe, und den Einspruch des Tilman Mildenberger u. a., Karlsruhe, gegen die Gültigkeit des Volksentscheids im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg vom 7. Juni 1970
Drucksache VI /2341 —Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
e) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über den Einspruch des Rechtsanwalts Stefan Müller, des Rechtsanwalts Heinz Jendrusiak und des Assessors Teja Chowanecz, alle Karlsruhe, gegen die Gültigkeit des Volksentscheids im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg vom 7. Juni 1970
— Drucksache VI /2342 —Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
f) Beratung des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung über den Einspruch der Eva Zippelius, Karlsruhe, gegen die Gültigkeit des Volksentscheids im Gebietsteil Baden des Landes Baden-Württemberg vom 7. Juni 1970
Drucksache VI/2343 —Berichterstatter: Abgeordneter Schlee
Das Haus verzichtet, wie ich denke, auf eine mündliche Berichterstattung. Zur Aussprache will sich auch niemand melden. Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich nehme Ihr Einverständnis damit an, daß ich die Einsprüche unter a) bis f) gemeinsam zur Abstimmung stelle. — Das ist der Fall. Der Ausschuß schlägt in allen Fällen vor, den Einspruch gegen die Gültigkeit des Volksentscheids zurückzuweisen.
Wer den Ausschußanträgen auf Drucksache VI /2338 bis VI /2343 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir stehen am Ende der heutigen Beratungen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Juni 1971, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.