Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister des Innern hat am 15. Dezember 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Gruhl, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Althammer und der Fraktion der CDU/CSU betr. Finanzplanung zum Umweltschutz — Drucksache VI/1421 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1606 verteilt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 15. Dezember 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Götz, Struve, Dr. Ritz, Frau Griesinger, Dasch, Bewerunge, Niegel, Horstmeier und Genossen betr. Krankenversicherung der Landwirte — Drucksache VI/1176 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1623 verteilt.
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen hat am 16. Dezember 1970 die Kleine Anfrage der Abg. Strauß und Genossen betr. Äußerungen von Bundesminister Leber — Drucksache VI/1506 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1628 verteilt.
Der Bundesminister der Finanzen hat am 16. Dezember 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Spilker, Gewandt und Genossen betr. Heizölsteuer — Drucksache VI/1463 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1629 verteilt.
Die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Zonenrandgebietes wird als zu Drucksache VI/1548 verteilt.
Einziger Punkt der heutigen Tagesordnung ist die Fragestunde
Drucksache VI/ 1581 —
Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, Zur Beantwortung ist Herr Bundesminister Professor Ehmke hier.
Ich rufe die Frage 101 des Herrn Abgeordneten Dr. Früh auf:
Auf Grund welcher Gesetze oder Gesetzesvorlagen kommt der Bundesminister Prof. Ehmke in seinem Interview zum Zeitgeschehen zu dem Ergebnis, daß die Bundesregierung die Altershilfe neu geregelt und die Krankenkassenversicherung für Landwirte im zurückliegenden Jahr eingeführt habe?
Bitte schön, Herr Bundesminister!
Herr Abgeordneter, zunächst darf ich Sie darauf hinweisen, daß in dem von Ihnen zitierten Interview weder von Gesetzen noch von Gesetzesvorlagen die Rede ist, sondern dort wird von „einem Jahr Regierungsarbeit" gesprochen. Die dort aufgeführte Liste von beispielhaft genannten Reformvorhaben bezieht sich also auf die Regierungstätigkeit. Sie erhebt auch keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.
Die von Ihnen aufgegriffene Frage einer Neuregelung der Altershilfe für Landwirte war bereits in anderem Zusammenhang einmal Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage, und zwar am 5. November dieses Jahres. Trotzdem bin ich gern bereit, den Standpunkt der Bundesregierung hier nochmals darzulegen.
Das von der Bundesregierung eingebrachte und inzwischen von Bundestag und Bundesrat verabschiedete Gesetz zur Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der Landwirtschaft sieht im Art. 1 eine Erhöhung der Landabgaberente und eine Erweiterung des begünstigten Betriebsgrößenbereichs vor. Die Landabgaberente stellt eine Ergänzung des landwirtschaftlichen Altersgeldes dar, wenn der Betrieb strukturverbessernd abgegeben wird. Der Begriff „Altershilfe" subsumiert also beide Maßnahmen, Altersgeld und Landabgaberente.
Zur Einführung einer gesetzlichen Regelung der Krankenversicherung für Landwirte hat die Bundesregierung nicht nur generell ihre Zustimmung gegeben. In der Kabinettssitzung vom 22. Oktober hat das Bundeskabinett bereits sehr detaillierte Grundsätze angenommen, die das Gerüst für den zu erstellenden Gesetzentwurf abgeben. Hierauf zielte die Bemerkung in meinem Interview ab.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Bundesminister, 'haben Sie nicht auch den Eindruck, daß in der Öffentlichkeit und besonders bei den betroffenen Personen, bei den Landwirten, ein falscher Eindruck dadurch entstehen konnte, daß Sie Altershilfe und Krankenversicherung im Zusammenhang mit bereits verabschiedeten Gesetzen genannt haben, die sozusagen dazwischen eingepackt waren? Aus Anfragen dieser Leute ist deutlich geworden, warum diese Dinge noch nicht realisiert sind.
Ich würde es bedauern, wenn ein solcher Eindruck entstanden sein sollte. Es war jedenfalls nicht beabsichtigt, ihn zu erwecken, Herr Abgeordneter.
4866 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 102 des Herrn Abgeordneten Freiherr von und zu Guttenberg auf:
Ist der Bundesminister Ehmke tatsächlich der Auffassung, wie dies aus seinem Interview vom 6. Dezember 1970 hervorzugehen scheint, daß jeder, der in unserem Volk die Hoffnung auf eine friedliche und einvernehmliche Änderung des gegenwärtigen Status quo der Oder-Neisse-Linie im Rahmen einer den europäischen Zielsetzungen entsprechenden friedensvertraglichen Regelung für ganz Deutschland bewahrt, „mit dem Kriege spielt"?
Herr Abgeordneter, Sie beziehen Ihre Frage auf etwas, was nach Ihren eigenen Worten aus meinem Interview vom 6. Dezember „hervorzugehen scheint". Ich kann meine Antwort nur auf das beziehen, was ich tatsächlich gesagt habe. Und das will ich mit freundlicher Erlaubnis der Frau Präsidentin — gern wiederholen. Ich habe gesagt:
Königsberg, Breslau und Stettin und das schöne weite Land zwischen Oder, Neiße, Weichsel und Memel bleiben uns in Geschichte und in Erinnerung als unvergeßliches deutsches Land. In Gegenwart und Zukunft aber gehören sie zu Polen. Das mag eine bittere Erkenntnis sein. Ändern daran können wir nichts. Und wer glaubt, die Hoffnung auf eine Änderung bewahren oder gar jungen Menschen beibringen zu sollen, daß sie auf diese Änderung warten sollten, der muß wissen, daß er mit dem Krieg spielt.
Es geht also allein um die Frage, ob wir es ändern können, daß die ehemaligen deutschen Gebiete ostwärts der Oder und Neiße heute zu Polen gehören und von Polen bewohnt sind. Ich glaube nicht — und allein dies habe ich gesagt, und dazu stehe ich —, daß eine Änderung dieses Zustands ohne einen Krieg möglich wäre.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, müssen Sie sich nicht vorhalten lassen, daß Sie mit dieser Ihrer eben wieder zitierten Äußerung, nach der derjenige, der irgendeine Hoffnung auf eine Änderung der gegenwärtigen Grenzsituation in den Oder-Neiße-Gebieten bewahre, mit dem Kriege spiele, mindestens leichtfertig in Kauf genommen haben, daß Sie von jenen im Osten als Zeuge in Anspruch genommen werden, die einer auf freiheitliche und friedliche Entwicklungen und Änderungen zielenden Politik der CDU/CSU revanchistische Kriegsgelüste unterstellen?
Herr Kollege, wenn Sie den Tenor meines Statements im Fernsehen gehört haben, wissen Sie, daß mir das sehr fern liegt. Ich glaube auch, daß aus dem Text selbst nichts dergleichen zu entnehmen ist. Sie wissen, daß ich selbst bei mehreren anderen Gelegenheiten betont habe, daß es unser Wunsch ist, diese Grenze in ihrem Charakter zu ändern, daß der Versuch gemacht werden soll, in einer gesamteuropäischen Lösung ebenso wie nach
Westen auch nach Osten den Grenzen ihren trennenden Charakter zu nehmen. Dazu stehe ich.
Ich mache aber kein Hehl daraus — ich würde mich wundern, wenn Sie diese Meinung nicht teilten, Herr Abgeordneter —, daß keinerlei Hoffnung darauf besteht, durch eine einverständliche Regelung etwas an der Tatsache zu ändern, daß diese früheren deutschen Gebiete, aus denen ich selbst stamme, auch in Zukunft von Polen bewohnt sein und zu Polen gehören werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, da Sprecher Ihrer Regierung sowohl im Auswärtigen Ausschuß als auch an anderer Stelle gesagt haben, daß sie den Grenzvorbehalt sowohl substantiell als auch formell wahren wollten, muß ich Sie nun fragen, ob Sie nicht mit den Äußerungen im Fernsehen, die ich selbst gehört und gesehen habe, die selbstverständliche Solidarität zwischen allen demokratischen und zum Frieden entschlossenen Kräften und Gruppen in unserem Lande verletzt haben.
Nein, ich glaube es nicht, Herr Abgeordneter. Ich bin eher der Meinung, dab ich mich wie Ihr CDU-Kollege Dichgans dar um bemüht habe, klarzumachen, daß man bei allen notwendigen juristischen Vorbehalten, die wir schon aus Zuständigkeitsgründen machen müssen, nicht die falsche Hoffnung in diesem Volk bestehen lassen solle an diesen beiden Tatsachen, daß diese Gebiete von Polen bewohnt sind und zu Polen gehören, könne von uns etwas geändert werden.
Freiherr von und zu Guttenberg Zwischen falschen Hoffnungen und „mit dem Krieg spielen" besteht ein Unterschied.
Herr Kollege Sperling zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, bedauern Sie mit mir, daß der CDU-Vorsitzende Kiesinger zumindest gedanklich mit dem Krieg zu spielen scheint — oder diesen Eindruck erweckt —, wenn er etwa sagt, daß ein Volk, das etwas auf sich hält, das Ergebnis des Krieges nicht einfach hinnimmt, auch nicht um des Friedens willen?
Herr Abgeordneter, ich halte diese Äußerung des CDU-Vorsitzenden nicht für glücklich. Aber ich stehe nicht an, Ihnen ebenso zu erklären, daß ich die Äußerung, die daraufhin von der SPD-Fraktion in Hannover erfolgt ist, für noch unglücklicher halte. Ich bin der Meinung, wir sollten die Diskussion und die Entscheidung um diese unser Volk moralisch und politisch so tief berührenden Fragen nicht in dieser Art führen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970 4867
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß die CDU-Pressestelle die Äußerungen des früheren Bundeskanzlers Kiesinger gestern richtig wiedergegeben hat? Sie lauten:
Kein Volk, das etwas auf sich hält, nimmt aber ein solches Ergebnis einfach hin, gerade auch nicht um des Friedens willen. Dabei bildet sich auch in der CDU niemand ein, daß alles wieder so werden kann, wie es einmal gewesen ist.
Mir war diese Korrektur nicht bekannt, aber sie bestärkt mich in meiner Meinung.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Marx.
Herr Bundesminister, ich möchte noch einmal auf das umstrittene Statement zurückkommen und Sie fragen, ob Sie auch gegenwärtigen oder früheren Kollegen aus Ihren Reihen, die die Hoffnung nicht aufgeben, daß eine einvernehmliche Regelung eines Tages möglich sein würde, vorwerfen, daß sie mit der Äußerung dieser Hoffnung mit dem Kriege spielten.
Das habe ich ja gar nicht gesagt, Herr Abgeordneter! Ich verstehe nicht, wie irgend jemand, der es mit unserem Volk ehrlich meint, sagen kann, wir könnten die Hoffnung haben, die heute von Polen zum Teil schon in der zweiten Generation bewohnten Gebiete einverständlich wiederzubekommen. Was über den Charakter des Ganzen zu sagen ist, habe ich schon in der Antwort auf die Frage des Herrn Kollegen Guttenberg gesagt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bach.
Herr Bundesminister, halten Sie es nicht für gefährlich, in diesem Zusammenhang überhaupt das Wort „Krieg" in den Mund zu nehmen? Rücken Sie denn nicht — vielleicht unbewußt — auch diejenigen in Deutschland, die sich gegen diese Verträge aussprechen, in die Nähe derjenigen, die von der anderen Seite — wie z. B von Herrn Rudenko — als Gegner des Friedens angesehen werden und, wie Herr Rudenko es sagte, den Nürnberger Prozessen unterworfen werden müßten?
Herr Kollege, ich halte es nicht nur für nicht gefährlich, sondern ich halte es für erforderlich, in -diesem Zusammenhang von Krieg zu sprechen; denn das, was heute das demokratische Deutschland nach Osten hin zu liquidieren hat, ist das Erbe eines grausamen Krieges. Ich glaube, das Hohe Haus ist sich in allen seinen Fraktionen einig, daß das nie mehr passieren darf.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geßner.
Herr Minister, vermute ich
richtig, daß Sie bei Ihrer Erklärung, daß eine einvernehmliche Regelung keine Hoffnung zulasse, daran gedacht haben, daß im Verlauf der europäischen Geschichte Grenzen so gut wie nie einvernehmlich geregelt worden sind, sondern zum größten Teil durch Austragung von Kriegen?
Herr Abgeordneter, wir sind uns doch alle einig einschließlich der Opposition und der Vertriebenenverbände —, daß wir nicht eine zweite Vertreibung und Umsiedlung wollen. Warum sollte dann dieses Gebiet von den Polen einverständlich wieder aufgegeben werden? Es kann doch nur der Versuch gemacht werden, eine Politik zu betreiben, die es auf lange Sicht ermöglicht — ich sage es noch einmal —, diesen Grenzen ihren trennenden Charakter zu nehmen, so wie die Politik der Aussöhnung mit dem Westen etwa den deutsch-französischen Grenzen ihren trennenden Charakter genommen hat.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Hauff.
Herr Bundesminister, würden Sie die Freundlichkeit besitzen, die Fragesteller von der Opposition darauf hinzuweisen, daß es ein Mitglied ihrer Fraktion war, Herr Petersen, der vor mehreren Monaten bereits darauf hingewiesen hat, daß seiner Meinung nach der derzeitige Grenzverlauf sich nur durch einen neuen Krieg verändern lassen würde?
Ich nehme das gern zur Kenntnis, Herr Abgeordneter.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Klepsch.
Frau Präsident, ich will brav sein und nach keiner Meinung fragen, wie das bei den vorherigen Fragestellern doch wohl der Fall war.
— Ich habe ja mehrere gemeint.
Ich möchte nur gern wissen, ob ich dem entnehmen muß, daß jede Diskussion und jedes Gespräch
4868 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970
über eine friedliche Änderung des Status quo als kriegerische Politik bezeichnet werden muß.
Aber, Herr Klepsch, nach allem, was ich gesagt habe, ist diese Frage doch von mir kaum noch ernst zu nehmen; entschuldigen Sie!
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von Fircks.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß Sie im Grunde genommen nur den extremen Kräften Dienste leisten, wenn Sie in der Diskussion, um die es bei uns in unserem Volk geht, mit Vokabeln argumentieren, wie „Wenn man dafür ist, gefährdet man die Friedenssituation und beschwört die Kriegssituation herauf"?
Ich wäre dankbar, wenn Sie noch einmal sehr genau nachläsen, was ich hier heute zitiert habe. Im übrigen habe ich nicht das Gefühl, daß diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien es sind, die den Extremisten Vokabeln liefern.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Griesinger.
Herr Minister, ich möchte Sie noch einmal fragen: könnten Sie nicht bereit sein — wenn Sie schon glauben, daß eine Änderung nicht mehr möglich ist —, zu akzeptieren, daß sämtliche Vertriebenenverbände 1950 bereits in einer sehr kritischen Situation erklärt haben, daß sie auf alle Gewalt verzichten und hoffen, daß in einer friedensvertraglichen Regelung eine gerechte Lösung in Europa gefunden werden kann? Wären Sie bereit, auch das einmal hier ausdrücklich zu sagen?
Gnädige Frau, ich habe es schon zitiert. Ich habe vorhin erklärt: Sowohl die Opposition als auch die Vertriebenenverbände haben mehrfach gesagt, daß nicht noch einmal eine Vertreibung oder Umsiedelung stattfinden darf.
Gerade das, wonach Sie mich jetzt fragen, habe ich vorhin schon gesagt.
— Sie haben mich nach den Vertriebenenverbänden gefragt. Diese Frage habe ich, glaube ich, beantwortet.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 103 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner wird im Rahmen der Beantwortung der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern beantwortet.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister Professor Ehmke.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Westphal zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Weltgesundheitsorganisation allen Staaten empfiehlt, Arzneimittel, die langdauernd angewendet werden, nur nach einem abgeschlossenen Krebsversuch zuzulassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege zu Sayn-Wittgenstein, der Bundesregierung ist ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation, der „technical report no. 426, principles for the testing and evaluation of drugs for carcinogenicity", bekannt.
In dem Bericht sind wissenschaftliche Richtlinien für die Überprüfung von Arzneimitteln auf krebsauslösende Wirkungen niedergelegt. Sie sind das Resultat einer Beratung von wissenschaftlichen Sachverständigen.
Zur der Frage „abgeschlossener Krebsversuch" wird in dem Report gesagt, daß bei der Ermittlung des krebsauslösenden Risikos tierexperimentelle Tests angewandt oder auch nicht angewandt werden können.
Unter dem Kapitel „Abschätzung des Risikos für den Menschen" heißt es in dem Report sogar, daß es Umstände geben kann, unter denen es angezeigt ist, ein Arzneimittel anzuwenden, das sich im Experiment als krebsauslösend erwiesen hat. Es handelt sich dabei um das therapeutische Risiko, das von Fall zu Fall abgewogen werden muß.
Außerdem enthält der Bericht nicht unterschiedslos die Empfehlung, die Zulassung von Arzneimitteln, die über einen längeren Zeitraum hinaus genommen werden sollen, von der experimentellen Erprobung auf Karzinogenität abhängig zu machen. In dem Bericht wird vielmehr die experimentelle Prüfung von Voraussetzungen abhängig gemacht, und es können Prioritäten gesetzt werden. Unbedingt notwendig ist eine eingehende Prüfung, wenn chemische Beziehungen zu bekannten Carcinogenen bestehen oder aus dem Wirkstoff im Körper durch Umwandlung krebsauslösende Stoffe entstehen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970 4869
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, diese Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zusammen mit Ihren einschränkenden Feststellungen in Zukunft beim Zulassungsverfahren und bei der Registrierung neuer Arzneimittel anzuwenden?
Herr Kollege, in meiner Antwort auf Ihre zweite Frage findet sich der Hinweis darauf, daß die Bundesregierung und die dafür zuständigen Stellen das schon tun.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte!
Ist die Bundesregierung bereit, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bei Medikamenten gleicher Ausgangslage und gleichen Wirkungsbereichs auch die gleichen Auflagen bei ihrer Zulassung zu machen?
Ich glaube, daß ich das ohne weiteres zusagen kann.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Prinz zu Sayn-Wittgenstein auf:
Sind solche Versuche von Sachverständigen vor der Zulassung der Arzneimittel Rifampicin und Rimactan verlangt worden, und aus welchen Gründen hat sich die Zulassungsbehörde über diese Forderung hinweggesetzt?
Herr Kollege, vor der Eintragung von Rifampicin und Rimactan in das Spezialitätenregister fand im Bundesgesundheitsamt im Dezember 1969 eine Anhörung von Experten statt, die über die Frage des krebsauslösenden Risikos von Rifampicin und Rimactan beraten haben. Dabei wurde nach ausführlicher und eingehender Diskussion Einigkeit darüber erzielt, daß der genannte WHO-Bericht hier keine Veranlassung bot, die Registrierung dieser Arzneimittel von der Vorlage tierexperimenteller Untersuchungen zur Frage der Karzinogenität abhängig zu machen. Das Bundesgesundheitsamt hat dennoch in einer Empfehlung vorsorglich auf den WHO-Bericht Bezug genommen und den betroffenen Firmen zusammen mit der Eintragung dieser Arzneimittel mit Bescheid vom Januar 1970 folgendes mitgeteilt:
Unter Bezug auf die Richtlinien des WHO-Berichtes 426 ist es angezeigt, die Frage nach einer etwaigen karzinogenen Wirkung des Mittels sowohl experimentell wie auch durch prospektive statistische Erhebungen weiter zu verfolgen. Ergebnisse experimenteller Untersuchungen und geplanter statistischer Erhebungen bei Patienten sollten dabei zueinander in Beziehung gesetzt werden.
Das Bundesgesundheitsamt bitte ich über geplante Untersuchungen und Ergebnisse zu unterrichten.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft wurde über diese Problematik und das Verfahren vom Bundesgesundheitsamt informiert.
Eine Zusatzfrage, bitte schön!
Ist Ihnen, Herr Staatssekretär, bekannt, ob die Firmen, die diese Medikamente auf den Markt gebracht haben, die Auflagen, die Sie soeben angedeutet haben, in der Zwischenzeit schon erfüllt oder ob sie zumindest mit weiteren Versuchen begonnen haben?
Ich möchte Thnen darauf schriftlich antworten.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatssekretär, ist die Tatsache, daß die genannten Mittel, von denen ich eben gesprochen habe, zugelassen sind, ohne daß Krebsversuche angestellt worden sind, den Ärzten—etwa auf dem Wege der sogenannten Waschzettel — auch mitgeteilt worden?
Ja, Herr Kollege. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft hat die Ärzte durch eine Bekanntgabe in Heft 12 des „Deutschen Ärzteblatts" über das Risiko der Anwendung von Rifampicin ausführlich unterrichtet. Wie Sie wissen, geht das „Deutsche Ärzteblatt" als offizielles Mitteilungsblatt der Bundesärztekammer allen Ärzten laufend zu.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Alber auf:
Aus welchen Gründen wurden das Europäische Abkommen über gegenseitige medizinische Unterstützung auf dem Gebiet spezieller Behandlungen und thermo-klimatischer Hilfsquellen und das Europäische Abkommen über den Austausch von Reagenzien zur Ermittlung von Blutgruppen, die beide im Juni 1962 unterzeichnet wurden, bis heute noch nicht ratifiziert?
Bitte schön!
Herr Kollege Alber, bei der Vorbereitung der Ratifizierung des Europäischen Abkommens über gegenseitige Hilfe auf dem Gebiet der Spezialbehandlungen und der klimatischen Einrichtungen haben sich erhebliche Schwierigkeiten ergeben, die bis heute
4870 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
nicht völlig ausgeräumt werden konnten. Dies gilt insbesondere für die finanziellen Auswirkungen auf die Ausgaben der Sozialleistungsträger und auf die Haushalte von Bund und Ländern. Angesichts der angespannten Haushaltslage und finanziellen Lage der Betroffenen erscheint es notwendig, das Abkommen, dessen finanzielle Tragweite zur Zeit nicht in vollem Umfange übersehen werden kann, den parlamentarischen Körperschaften erst dann zur Ratifizierung vorzulegen, wenn die Auswirkungen des Abkommens auf die Betroffenen aus heutiger Sicht ausreichend und abschließend geklärt sind.
Das Ratifizierungsverfahren zum Europäischen Übereinkommen über den Austausch von Reagenzien zur Blutgruppenbestimmung hat sich durch Textänderungen des Europarates, die eine erneute fachliche Überprüfung der deutschen Übersetzung durch das Bundesgesundheitsamt erforderlich machten, verzögert. Nachdem diese Arbeiten nunmehr abgeschlossen sind, Wird die Rechtsförmlichkeitsprüfung des Gesetzentwurfs durch den Bundesminister der Justiz in der nächsten Zeit veranlaßt und danach der Gesetzentwurf dem Kabinett zugeleitet werden können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Alber.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß Ihr Ministerium im Januar 1965 und im November 1967 auf wiederholte Anfragen ausweichend geantwortet hat, obwohl das Bundesgesundheitsministerium auf eine ähnliche Anfrage im März 1963 geantwortet hat, daß mit einer Ratifizierung der beiden Abkommen in Kürze gerechnet werden könne?
Herr Abgeordneter, dies ist mir bekannt. Die Antwort auf das, was in Ihrer Frage intendiert ist, ist aber, glaube ich, schon in meiner ersten Antwort enthalten gewesen. Auf der einen Seite gibt es Bedenken im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen auf die Betroffenen und auf der anderen Seite hat sich eine Veränderung des Textes ergeben, die nun noch einmal eine neue Prüfung bewirkt hat. Ich möchte damit nicht den langen Gang der Verhandlungen über eine Ratifizierung entschuldigen, muß aber sagen, daß jetzt erst in einem der beiden Bereiche die Voraussetzungen für die Einleitung der Ratifizierungsgesetzgebung gegeben sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Alber.
Aus welchem Grunde hat es die Bundesregierung im vergangenen Jahr unterlassen, in der Aufstellung über den Stand der Ratifizierungen, die jährlich dem Ministerkomitee vorgelegt werden sollen, Angaben über diese beiden Konventionen zu machen?
Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten; ich würde Ihnen gern eine schriftliche Antwort darauf geben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Richter.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, hier zu bekunden, daß Sie mit den internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten bereit sind, und sind Sie weiterhin bereit, zu prüfen, ob es notwendig ist, das praktische Verfahren zu beschleunigen?
Ich bin bereit, dies zu unterstützen und zu unterstreichen. Ich glaube schon, daß wir mit der Ratifizierung von europäischen Vereinbarungen etwas schneller vorankommen müssen, als das bisher der Fall gewesen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Maucher.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß laut einer Entschließung des Ministerkomitees des Europarats Konventionen in der Regel 18 Monate nach ihrer Unterzeichnung ratifiziert werden sollen?
Dies ist der Bundesregierung bekannt.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Ruf auf:
Sind die Arbeiten der laut Sozialbericht 1970, Teil A Nummer 93, von der Bundesregierung eingesetzten Experten-Kommission abgeschlossen, die die Regelsätze der Sozialhilfe und ihre Bemessungsgrundlage mit dem Ziel einer Leistungsverbesserung überprüfen sollte?
Herr Kollege Ruf, die im Sozialbericht erwähnte Expertenkommission zur Überprüfung der Bemessungsgrundlagen der Sozialhilferegelsätze ist nicht von der Bundesregierung eingesetzt, sondern beim Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge in Frankfurt gebildet worden. Die Beratungen sind inzwischen abgeschlossen. Der Bericht hierüber, den der Vorstand des Deutschen Vereins gebilligt hat, soll der Bundesregierung in Kürze zugeleitet werden.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Ruf auf:
Wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, über das Ergebnis zu berichten?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970 4871
Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge wird, wie mir bekannt ist, das Ergebnis der Beratungen der Kommission in seinem Nachrichtendienst im Februarheft 1971 selbst veröffentlichen. Das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit wird das Beratungsergebnis der Kommission zum Anlaß nehmen, die Regelsatzverordnung zu überprüfen, und die erforderlichen Änderungen vornehmen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wann kann mit einer Änderung des Bundessozialhilfegesetzes gerechnet werden? Wann wird die Bundesregierung in etwa eine Novelle vorlegen?
Herr. Kollege Ruf, die Bundesregierung ist in den Ressorts damit beschäftigt, die Vorbereitungen für eine Novelle zu treffen. Wir haben uns vorgenommen, im Laufe des Jahres 1971 so weit zu kommen, daß der Gang der Novelle über das Kabinett in die parlamentarischen Beratungen angetreten werden kann.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 75 des Herrn Abgeordneten Niegel auf:
Wird die Bundesregierung den Bundesjugendring auch dann finanziell unterstützen, wenn die Bemühungen bestimmter Kreise, die SDAJ in den Bundesring aufzunehmen, und die kürzlich artikulierte Forderung der DGB-Jugend, die Deutsche Jugend des Ostens aus dem Bundesjugendring auszuschließen, zum Erfolg kommen?
Herr Kollege Niegel, die im Deutschen Bundesjugendring zusammengeschlossenen Verbände werden nicht mittelbar über den Bundesjugendring, sondern unmittelbar aus Mitteln des Bundesjugendplanes gefördert. Die Frage der Mitgliedschaft im Bundesjugendring ist daher von der Frage der Förderung zu trennen. Weder führt der Eintritt in den Bundesjugendring automatisch zur Aufnahme der Förderung noch bedingt ein Ausscheiden aus diesem Bundesjugendring die Einstellung der Förderung. Aus demselben Grunde kann auch die Förderung der Geschäftsstelle des Bundesjugendringes durch den Ein- bzw. Austritt eines einzelnen Verbandes nicht in Frage gestellt werden. Ob ein Jugendverband in die Förderung einbezogen oder davon ausgenommen wird, richtet sich allein nach den Voraussetzungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes und der Richtlinien für den Bundesjugendplan.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Niegel, bitte!
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung also der Ansicht, daß nur solche
Jugend- und Studentenverbände aus dem Bundesjugendplan gefördert werden dürfen, deren Arbeit den Zielen des Grundgesetzes förderlich ist, wie es z. B. im Urteil gegen den SDS formuliert wurde?
Nicht nur weil das in dem Urteil formuliert ist, sondern weil das in unseren Richtlinien und in § 9 des Jugendwohlfahrtsgesetzes steht.
Zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung dann der Auffassung, daß die Arbeit der SDAJ den Zielen des Grundgesetzes zuwiderläuft, während die DJO nachdrücklich für die Ziele des Grundgesetzes eintritt?
Herr Kollege, in eine Prüfung, ob die Ziele und Arbeiten der SDAJ mit unserer Verfassung in Konflikt geraten sind, sind wir nicht eingetreten. Wir haben bisher nicht vor dieser Frage gestanden. Wir treten auch in eine Prüfung erst ein, wenn uns eine solche Frage durch einen entsprechenden Antrag oder ähnliches vorgelegt wird.
Eine Vergleichbarkeit mit dem anderen von Ihnen gleichzeitig aufgeworfenen Fragekreis ist für uns ebenfalls nicht gegeben. Deswegen bedauere ich es etwas, daß diese beiden Dinge in einer Frage zusammengefaßt sind. Tatsache ist, daß die Deutsche Jugend des Ostens aus Mitteln des Bundesjugendplans gefördert wird.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Raffert.
Herr Staatssekretär, erinnere ich mich richtig, wenn ich sage, daß der Bundesjugendring und seine Geschäftsstelle schon aus Bundesmitteln gefördert wurden, als es die Deutsche Jugend des Ostens noch nicht gab bzw. als sie noch nicht Mitglied des Bundesjugendringes war?
Ja, das ist richtig.
Keine weitere Zusatzfrage. — Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Westphal.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Reischl zur Verfügung. Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Picard auf. — Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage zum Sitzungsbericht abgedruckt. Das gleiche gilt für die Beantwortung der Fragen 27 und 28 des Abgeordneten Dr. Kempfler.
4872 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe die Frage 29 der Frau Abgeordneten Lauterbach auf:
Ist der Bundesregierung der Bericht im „Stern" vom 5. Dezember 1970 über das seit Kriegsende ausschließlich von der US-Armee benutzte Rasthaus am Chiemsee bekannt, und wie beurteilt sie ihn?
Ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 29 und 30 wegen ihres engen Zusammenhangs zusammen behandeln dürfte.
Einverstanden, dann rufe ich auch noch die Frage 30 der Abgeordneten Frau Lauterbach auf:
Entspricht es der Tatsache, daß das 340-Betten-Rasthaus seit Oktober bis zum 15. Mai 1971 geschlossen ist, und kennt die Bundesregierung die Gründe dafür und für die Weigerung der Freigabe bzw. Mitbenutzung von deutscher Seite, die durch Steuergelder seit Jahren zum Unterhalt beiträgt, durch General James H. Polk in Heidelberg, Chef der US-Armee in Deutschland?
Der Bundesregierung ist sowohl der in Heft Nr. 50 des „Stern" vom 6. Dezember 1970 veröffentlichte Artikel über das von den amerikanischen Streitkräften seit 1945 als Erholungsstätte für ihre Soldaten in Anspruch genommene Autobahnrasthaus am Chiemsee wie auch der diesem Artikel zugrunde liegende Sachverhalt bekannt. Die Bundesregierung teilt jedoch nicht die Auffassung des Artikel-Verfassers, daß aus der Haltung der amerikanischen Streitkräfte in der Angelegenheit auf ein Fortbestehen von Besatzungsdenken bei hohen amerikanischen Kommandostellen geschlossen werden könne.
Das bundeseigene Rasthaus am Chiemsee ist nach Auffassung der zuständigen Stellen als Autobahn-Raststätte nicht von Interesse, weil in der Gegend wirtschaftlicher zu führende Autobahn-Raststätten vorhanden sind. Es könnte daher mit seinen 350 Betten auch unter deutscher Regie allenfalls als Erholungsstätte verwendet werden.
Es trifft zu, daß die amerikanischen Streitkräfte dieses Rasthaus, das sie seit Inkrafttreten des NATO-Truppenstatuts als Erholungsstätte für ihre Soldaten nud deren Angehörige in eigener Finanzverantwortung betreiben, in der Zeit vom 1. Oktober 1970 bis 15. Mai 1971 geschlossen haben, weil es auch für sie ein Saisonbetrieb ist, der sich in den Herbst- und Wintermonaten nicht selbst trägt. Für die Frühjahrs- und Sommermonate besteht jedoch nach Mitteilung des US-Hauptquartiers auch weiterhin ein dringender Bedarf an dem Rasthaus für erholungsuchende Mitglieder der amerikanischen Streitkräfte und ihres Gefolges. Da die amerikanische Truppe aus Übersee kommt und im Gebiet der Bundesrepublik nur über eine recht begrenzte Zahl truppenbetriebener Erholungsstätten verfügt, wird man auf deutscher Seite hierfür Verständnis haben müssen.
Die Bundesregierung ist jedoch auch weiterhin bereit, gemeinsam mit den bayerischen Landesbehörden und Vertretern der Gemeinde Bernau zu prüfen, ob sich andere Lösungen für die Benutzung des Rasthauses finden lassen, die sowohl verständlichen
Interessen der Gemeinde wie auch den Bedürfnissen der Streitkräfte Rechnung tragen.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Lauterbach.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Lage, mir mitzuteilen, wie hoch die deutschen Beiträge von Bund, Land und Gemeinde für den Unterhalt des Rasthauses einschließlich Gelände und Seeufer gewesen sind und wie hoch sie zur Zeit noch sind?
Aus Bundesmitteln wird für die Anlage ein seit dem 1. Januar 1964 bisher unveränderter Betrag an Grundsteuern gezahlt, und zwar für Wirtschaftsgebäude monatlich 9175 DM und für die Zapfstellenfläche 196 DM, also eine Summe von 9371 DM monatlich oder 112 467 DM im Jahr.
Umstritten ist bis jetzt noch, ob die US-Streitkräfte diese Beträge nicht dem Bund zu erstatten haben. Eine grundsätzliche gerichtliche Klärung wird angestrebt. Die Grundsteuer wird seit dem 1. April 1958 an die Gemeinde Bernau abgeführt, und zwar seit dem Zeitpunkt, von dem ab das vorher sogenannte ausmärkische Gebiet der Rastanlage in die Gemeinde Bernau eingemeindet worden ist.
Dagegen kann ich nichts darüber sagen — ich kann das aber feststellen lassen —, ob das Land oder die Gemeinde eventuell selbst etwas zahlen. Bei der Gemeinde kann ich es mir allerdings kaum vorstellen, hier könnte es nur ein Ausfall irgendwelcher Steuern sein. Dagegen wäre denkbar, daß das Land auch etwas bezahlt. Ich lasse das gerne feststellen und teile es Ihnen schriftlich mit.
Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Lauterbach.
Ist die Bundesregierung darüber informiert, ob weitere Hotelprojekte dieser oder anderer Art auch den anderen in der Bundesrepublik stationierten NATO-Truppen zur ausschließlichen Benutzung durch sie und ihre Familien zur Verfügung stehen?
Das kann ich auswendig nicht sagen. Ich bin aber bereit, auch das feststellen zu lassen und schriftlich mitzuteilen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung meine Meinung, daß eine eventuelle gemeinsame deutsch-amerikanische Benutzung eines solchen Hotelprojekts ein ausgezeichneter Beitrag zur persönlichen Begegnung und Verständigung sein könnte?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970 4873
Diese Meinung kann man sicherlich teilen. In dieser Richtung gingen bisher unsere Bemühungen, die allerdings bis jetzt noch von keinem Erfolg begleitet waren.
Eine vierte Zusatzfrage.
Sehen Sie die Möglichkeit eines erneuten Gesprächs mit dem Chef der US-Armee in Deutschland in dieser Angelegenheit?
Die Gespräche laufen weiter.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Jahn wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Jahn wird im Zusammenhang mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 32 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Auf welche Weise wurden und werden die Zinsen und andere Erträge aus dem ehemaligen reichseigenen Filmvermögen verwendet?
Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn ich die Frage des Kollegen Dr. Meinecke und die folgende Frage des Kollegen Raffert gemeinsam beantworten könnte. Sie betreffen genau den gleichen Sachverhalt. Es läßt sich dann besser darstellen.
Die Herren sind einverstanden. Ich rufe dann auch die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Raffert auf:
Wie ist der Stand der Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens nach dem Gesetz vom 5. Juni 1953?
Die Liquidation des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens ist bis auf einen langwierigen Prozeß und bis auf die abschließende Regelung der Steuerfragen praktisch durchgeführt. Von mehr als 70 Gesellschaften des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens bestehen nur noch drei, davon zwei in Liquidation.
Bisher sind folgende Teilbeträge des Liquidationserlöses an den Bund abgeführt oder mit Zustimmung des Bundes im Sinne von § 15 des Gesetzes über die Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens vom 5. Juni 1953, d. h. zur Förderung der Filmwirtschaft, verwendet worden: erstens 1962 4 Millionen DM zur Deckung von Haushaltsausgaben des Bundesministers des Innern für Filmprämien, zweitens 1961 bis 1963 insgesamt 2,3 Millionen DM Darlehen an vertriebene Filmtheaterbesitzer als Grundlage für Existenzaufbau, drittens 1966 11,4 Millionen DM Darlehen an die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung für den Erwerb der deutschen Spiel- und Kulturfilmproduktion der Zeit von 1913 bis 1960, die in die USA verkauft werden sollte.
Über eine größere Teilausschüttung, in der auch die erwirtschafteten Zinsen und Erträge enthalten sind, wird zur Zeit verhandelt. Der Gesamtkomplex der Verwendung des Liquidationserlöses wird noch geprüft. Konkrete Angaben über die Verwendung der anstehenden Teilausschüttung sind daher noch nicht möglich.
Ich muß zuerst den Herrn Kollegen Dr. Meinecke fragen, ob er eine Zusatzfrage hat.
— Gut, also Herr Kollege Raffert!
Es liegt daran, Frau Präsidentin, daß die Fragen in einer falschen Reihenfolge in die Drucksache gekommen sind.
Herr Staatssekretär, Sie haben von einem Prozeßrisiko gesprochen. In welchem Verhältnis steht dieses Prozeßrisiko zu der Höhe des zu erwartenden Abwicklungserlöses von, wenn ich recht unterrichtet bin, etwa 30 Millionen DM.
In dem Prozeß wird eine Summe von 20 Millionen DM verlangt. Allerdings ist diese Summe kaum als realistisch anzusehen. Es ist nicht zu erwarten, daß der Prozeß so endet.
Herr Staatssekretär, darf ich davon ausgehen, daß wie bisher auch künftig die Teilausschüttungen und die weiteren Erträge getreu dem § 15 des Gesetzes über die Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens verwendet werden?
Selbstverständlich.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke.
Herr Staatssekretär, unbeschadet der Tatsache, daß man die durch den langen Prozeß erheblich verlängerte Abwicklung dieses Gesetzes beklagen kann, möchte ich Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß infolge der Abwicklungszeit von 17 Jahren seit dem Jahre 1953 der § 1 des Gesetzes und damit die Intention des Gesetzgebers wohl nicht er-
4274 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970
Dr. Meinecke
füllt werden konnte. Dort heißt es nämlich, daß dieses Gesetz erreichen soll, eine vom Staate unabhängige und auf demokratischen Grundsätzen beruhende gesunde Filmwirtschaft zu schaffen. Teilen Sie diese Auffassung?
Ich gebe gern zu, daß die Zeit außerordentlich lang ist. Aber das hängt mit der endlosen Dauer des bezeichneten Prozesses zusammen. Es liegt schon seit längerer Zeit nur noch an diesem Prozeß.
Herr Kollege Dr. Meinecke!
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause mitteilen, wie hoch die Erträge aus dem Vermögen sind, die sich jährlich lediglich an Zinsen und aus Kapitalbeteiligungen ergeben?
Das kann ich ohne Unterlagen nicht angeben. Ich bin aber bereit, das festzustellen und schriftlich mitzuteilen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Matthöfer auf:
Unter welchen Bedingungen sind in der Bundesrepublik Deutschland bei Auslandsgeschäften gezahlte Schmier- und Bestechungsgelder als Betriebsausgaben steuerlich absetzbar?
Schmiergelder und Bestechungsgelder sind Betriebsausgaben, wenn sie aus betrieblichem Anlaß gewährt werden, unabhängig davon, ob sie bei Auslands- oder Inlandsgeschäften gezahlt werden.
Voraussetzung für ihren Abzug bei der steuerlichen Gewinnermittlung ist jedoch, daß bei Zahlungen an Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, der Empfänger genau bezeichnet wird. Bei Zahlungen an Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, genügt für den Abzug als Betriebsausgaben im allgemeinen der Nachweis, daß die Zahlung tatsächlich geleistet worden ist und ihre Höhe in einem angemessenen Verhältnis zum gesamten Auslandsumsatz steht. Schmiergelder und Bestechungsgelder, die Geschenkcharakter haben, weil sie nicht mit einer konkreten Leistung in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, können nach § 4 Abs. 5 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes nur als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn ihr Wert je Empfänger und Jahr den Betrag von 100 DM nicht übersteigt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer,
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, trifft das auch für die Zahlung von Schmier- und Bestechungsgeldern an Beamte und Politiker in Entwicklungsländern zu?
Wenn die Zahlung dieser Gelder in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit einem Betrieb steht, gilt die Regelung meinem Gefühl nach auch für diesen Fall. Aber ich kann nicht sagen, ob so etwas vorgekommen ist.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, angesichts der wohl unbestrittenen Tatsache, daß die Korruption die wirtschaftliche Entwicklung in diesen armen Ländern der Welt schwer behindert, was übrigens auch Bundesminister Eppler in einer Antwort in der gestrigen Fragestunde bestätigte, wäre es da, wenn wir schon Entwicklungspolitik betreiben, nicht wenigstens unsere Aufgabe, Korruptionsversuche, die von unserem Land aus in Entwicklungsländern unternommen werden, nicht auch noch steuerlich zu belohnen?
Die Frage muß jetzt im Zusammenhang mit der Steuerreform geprüft werden. Das ist der geltende Rechtszustand, den ich hier wiedergebe.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, gibt es bei der Behandlung dieser Frage einen Unterschied zwischen Schmier- und Bestechungsgeldern?
Ich muß ehrlich gestehen, daß ich das selbst nicht sagen kann. Ich habe nur den Doppelbegriff „Schmier- und Bestechungsgelder" in meiner Unterlage vor mir. Für mich ist es auch fast dasselbe.
Das würde ich auch sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie diese Art von Geldern dann, wenn es darauf ankommt oder davon abhängig ist, daß Auslandsaufträge nicht zu erzielen sind, wenn hier nicht gewisse Betriebe im Interesse ihrer Beschäftigung im angemessenen Rahmen nachhelfen?
Na ja, schön ist die Geschichte nie. Aber daß es gemacht wird, ist
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970 4875
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
klar. Davon geht wohl auch die steuerliche Regelung aus. Man will das eben begünstigen, soweit es in einem angemessenen wirtschaftlichen Zusammenhang steht.
Eine Zusatzfrage des Herr Abgeordneten Hansen.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, einmal festzustellen, inwieweit Bestechungs-
und Schmiergelder von Firmen zur illegalen Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte von der Steuer abgesetzt werden?
Das würde einen Verwaltungsaufwand verursachen, der in keinem Verhältnis zum Ergebnis stünde. Wir können das auch gar nicht feststellen; dem steht weitgehend das Steuergeheimnis entgegen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Lauterbach.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bitte einmal näher erläutern, was Sie unter dem Begriff „angemessenes Verhältnis" verstehen.
Dieser Begriff wird im Steuerrecht verwendet. Das muß also „angemessen" sein im Verhältnis zum Erfolg.
Kann man das prozentual ausdrücken?
Nein, das glaube ich nicht. Das wird wohl vom Einzelfall abhängen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, haben Sie den Eindruck, daß ,diese Frage schon-vor Ihrem Amtsantritt für das Ministerium ein Probleme gewesen ist, oder gibt es gar keine Vorarbeiten zu diesem Komplex?
Soweit ich es übersehe, gibt es keine Vorarbeiten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Peiter auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die verschiedenartige Beheizung von bundeseigenen Wohnungen für Bundeswehrangehörige unterschiedliche Belastungen der Mieter auftreten, und wie gedenkt die Bundesregierung in Zukunft für einen Ausgleich zu sorgen?
Bitte schön.
Die unterschiedlichen Heizkosten in den Bundesmietwohnungen sind in erster Linie auf die unterschiedliche Art der Beheizung mit Koks, 01 oder Gas zurückzuführen. Die unwirtschaftlichen Koksheizungen aus früherer Zeit sind bereits weitgehend, soweit die Haushaltsmittel und die Lage auf dem Baumarkt es zuließen, auf Gas oder 01 umgestellt worden. In diesen Fällen werden die Heizkosten nach dem tatsächlichen Verbrauch auf die Mieter umgelegt. Um die Mieter der noch mit der teureren Koksheizung ausgestatteten Wohnungen nicht unzumutbar zu belasten, hat der Bundesminister der Finanzen angeordnet, daß unabhängig von den tatsächlichen höheren Heizkosten nicht mehr als 9 DM pro qm und Jahr beheizbarer Wohnfläche dem Mieter berechnet werden dürfen. Die Umstellung der Wohnungen von Koksheizung auf 01 oder Gas wird voraussichtlich 1972 abgeschlossen sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peiter.
Herr Staatssekretär, wann ist diese Anordnung, die Sie zitiert haben, ergangen?
Vor noch nicht allzu langer Zeit. Es hat eine Menge von schwerwiegenden Fällen gegeben. Ich kenne selber solche Fälle. Früher standen eben die Richtlinien einer Bereinigung entgegen. Aber jetzt ist diese Regelung getroffen worden.
Es muß also künftig danach verfahren werden?
Ja, es muß danach verfahren werden.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind wir am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Reischl.
Wir kommen zu den Fragen aus den Geschäftsbereichen des Bundesministers für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen. Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Dr. Bach auf:
Ist mit der Fertigstellung der inzwischen zur Autobahn aufgestuften EB 1 in ihrem gesamten Verlauf zwischen Aachen und Düsseldorf im Jahre 1973 zu rechnen, und welche Zeitplanung ergibt sich aus der Sicht des Bundes?
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Börner.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
4876 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970
P
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin, wegen des Sachzusammenhangs der Fragen 76 und 77 wäre ich dankbar, wenn ich beide Fragen gemeinsam beantworten könnte.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe ferner die Frage 77 des Abgeordneten Dr. Bach auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die EB 1 Aachen—Düsseldorf in ihrem gesamten Verlauf zumindest in den ersten Fünfjahresplan gemäß § 5 des Gesetzentwurfes über den Ausbau der Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 bis 1985 aufzunehmen, sofern keine Aussicht besteht, die vorgesehene Baumaßnahme 1973 abzuschließen?
Herr Kollege, die geplante Autobahn zwischen Aachen und Düsseldorf kann bis 1973 noch nicht durchgehend fertiggestellt werden. Im ersten Fünfjahresplan wird es nur möglich sein, zusätzlich zu der bereits fertigen Teilstrecke zwischen Jackerath und Hemmerden einige weitere Abschnitte zu verwirklichen und die restlichen Teilstrecken in Bau zu nehmen. Durchgehend wird die neue Autobahn zwischen Aachen und Moers erst Mitte des zweiten Fünfjahresplanes zur Verfügung gestellt werden können.
Bei den nur in beschränktem Umfang zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln können im ersten Fünfjahresplan nicht alle Maßnahmen der ersten Dringlichkeitsstufe voll berücksichtigt werden. Vorrangig müssen die baulich bereits laufenden
3) Strecken finanziell abgedeckt werden. Der Abschluß des Baues der neuen Autobahn Aachen — Düsseldorf kann im ersten Fünfjahresplan somit nicht voll finanziert werden. Eine solche Finanzdisposition entspricht im übrigen auch dem derzeitigen Planungs- und Vorbereitungsstand.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bach.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können Sie mir sagen, um welche Teilstrecken, die fertiggestellt werden können, es sich bei dieser Strecke handelt?
Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich Ihnen das schriftlich nachreichen dürfte, weil dazu eine Rückfrage bei der Auftragsverwaltung in Nordrhein-Westfalen notwendig ist.
Ich möchte hier keine Globalantwort geben, sondern muß, wenn Sie genau fragen, erst in Düsseldorf nach dem jetzigen Bauzustand rückfragen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 78 und 79 werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 80 des Abgeordneten Josten auf:
Treffen die Meldungen der „Rhein-Zeitung" Koblenz vom 8. Dezember 1970 zu, daß man bei Untersuchungen für den Nordrhein-Westfälischen Generalverkehrsplan den die Ländergrenze überschreitenden Verkehr unberücksichtigt gelassen habe?
Herr Kollege, der Generalverkehrsplan Nordrhein-Westfalen hat in seinen Untersuchungen alle Tatbestände für den Verkehr innerhalb Nordrhein-Westfalens, aber auch die Verbindungen zu anderen Bundesländern berücksichtigt. Die Aussage der „Rhein-Zeitung" in Koblenz ist also nach meiner Auffassung nicht zutreffend.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär habe ich recht verstanden, daß also kein Grund zu der Besorgnis besteht, wie sie in der Ausgabe der „Rhein-Zeitung" zum Ausdruck kam?
Ja, ich würde das auf Grund der uns vorliegenden Informationen so sehen.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 81 des Herren Abgeordneten Josten auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung der Industrie- und Handelskammer Bonn, daß in Zusammenarbeit mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz der S-Bahn-Verkehr der Bundesbahn das Gebiet Köln/Bonn mit der Rheinstrecke bis Koblenz verbinden soll?
Die Bundesregierung kann sich zu einer S-Bahn der Deutschen Bundesbahn zwischen Köln, Bonn und Koblenz erst dann äußern, wenn entsprechende Untersuchungen durchgeführt sind. Im übrigen sieht der Generalverkehrsplan Nordrhein-Westfalen zwischen Köln und Bonn — einschließlich Bad Godesberg — auf Grund eines Gutachtens von Professor Dr.-Ing. Nebelung keinen S-Bahn-Verkehr der Deutschen Bundesbahn vor. Diesen Verkehr soll die Köln-Bonner-Eisenbahn bedienen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, im Hinblick auf den wachsenden Verkehr und das immer weitere Zusammenwachsen der Städte und Gemeinden auf der Strecke Köln-Koblenz eine S-Bahn-Planung mit zu unterstützen?
Herr Kollege, soweit man Untersuchungen über diese Dinge anstellt, wird die Bun-
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Parlamentarischer Staatssekretär Börner
desregierung sicher zu einer Unterstützung bereit sein. Aber eine Zusage zu dem Projekt könnte auch als Finanzierungszusage mißverstanden werden. Deshalb möchte ich diese Frage heute etwas zurückhaltend beantworten und Ihnen sagen, daß nach den verkehrswissenschaftlichen Untersuchungen, die bisher vorliegen, S-Bahnen — wenn überhaupt — sich nur für Verdichtungs-, also für Ballungsräume rentieren. Hier im Rheintal liegen besondere Verhältnisse vor. Deswegen kann ein solches Projekt durchaus in späterer Zeit einmal gefördert werden.
Man muß aber auch die technischen Schwierigkeiten sehen. Es ist Ihnen bekannt, daß man z. B. für ein S-Bahn-Vorhaben eine besondere Gleistrasse braucht. Bei der städtebaulich sehr schwierigen Situation in Bonn eine solche Trasse durch diesen Raum zu führen, wirft eine Reihe sehr entscheidender technischer, aber auch finanzieller Probleme auf.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär , auf Grund Ihrer sehr positiven Einstellung zu dem gesamten Problem möchte ich Sie fragen: sehen Sie nicht auch die Möglichkeit, in Verbindung mit der Landesregierung von Rheinland-Pfalz solche in die Zukunft gerichteten Pläne schon jetzt zu entwerfen, auch wenn die notwendigen Mittel zur Ausführung fehlen, damit nicht zum gegebenen Zeitpunkt die Bauausführung sehr erschwert und sogar verteuert wird?
Herr Kollege, wenn die betreffenden Landesregierungen an uns mit einem solchen Projekt herantreten, werden wir das — genau wie bei allen anderen Vorhaben — im Rahmen unserer Zuständigkeit sehr sorgfältig prüfen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Durchführung solcher Maßnahmen auch in die Unternehmenspolitik der Deutschen Bundesbahn eingreift, für die ich mich hier nicht äußern kann. Das heißt also, daß die wirtschaftliche Seite der Angelegenheit auch von der Deutschen Bundesbahn durchgerechnet werden muß.
Keine Zusatzfrage. Die Frage 82 des Abgeordneten Engelsberger wird schriftlich beantwortet Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Fragen 83 und 84 des Abgeordneten Dr. Becker auf:
Aus welchen Gründen sind die Baumaßnahmen an der Verlängerung der Autobahn B 7, die von Düsseldorf bis zum Neersener Kreuz fertiggestellt wurde, weiter nach Westen bis Winkelner Kreuz eingestellt worden, obgleich diese Autobahn in der 1. Dringlichkeitsstufe des Bundesplanes für den Ausbau der Bundesfernstraßen aufgeführt ist, und ist sich die Regierung darüber klar, daß sich durch die starke Verzögerung des weiteren Ausbaus schwerwiegende negative wirtschaftliche Konsequenzen für das Gebiet Mönchengladbach, Rheydt und Viersen ergeben?
Kann der ursprünglich vorgesehene Baubeginn an der „Westtangente" Mönchengladbach an dem Stück Dülken über Winkeln bis Mönchengladbach-Holt ire Jahre 1971, der anscheinend in Frage gestellt ist, nicht aufrechterhalten werden, und bleibt auf jeden Fall gewährleistet, daß dieser wichtige Bauabschnitt der „Westtangente" im Jahre 1973 vollendet sein wird?
Herr Kollege, die Antwort auf Frage 83 lautet: Der Abschnitt der neuen B 7 zwischen dem Neersener Kreuz und dem Winkelner Kreuz befindet sich zur Zeit in der Bauvorbereitung. Baumaßnahmen — wie es in der Fragestellung heißt — laufen dort nach meiner Kenntnis noch nicht. Somit kann auch von einer eingestellten Baumaßnahme nicht gesprochen werden. Wie in der schriftlichen Beantwortung einer Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans Anfang November dieses Jahres ausgeführt wurde, ist vorgesehen, die neue B 7 zwischen der niederländischen Grenze und Düsseldorf etwa 1973/74 durchgehend fertigzustellen.
Nachdem bereits seit ,dem 16. Oktober 1970 die neue B 7 zwischen Düsseldorf und Neersen durchgehend zur Verfügung steht, ist für den Raum Mönchengladbach eine wesentliche Verbesserung erreicht, so daß bis zur Schließung der Lücke etwa 1973/74 nach unserer Auffassung keine schwerwiegenden wirtschaftlichen Nachteile zu erwarten sein dürften.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, bleibt tatsächlich gewährleistet, daß der Ausbau trotz der Verzögerung im Jahre 1973 abgeschlossen sein wird?
Das ist auf Grund der Informationen, die wir von der Auftragsverwaltung Nordrhein-Westfalen haben, anzunehmen.
Hat die Bundesregierung beim Ausbau der Autobahn B 7 genügend beachtet, ,daß es sich hier um eine wichtige Europa-Verbindung zwischen Holland und dem Ruhrgebiet handelt, nachdem die neue Brücke in Venlo fertiggestellt ist?
Ja, das ist berücksichtigt. Alle unsere Planungsmaßnahmen für die siebziger Jahre sind auf Grund sehr eingehender wissenschaftlicher Untersuchungen — auch des grenzüberschreitenden Verkehrs — zustande gekommen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Frau Präsidentin, ich darf dann die Frage 84 beantworten, die Sie mit aufgerufen hatten: Die „Westtangente" Mönchengladbach zwischen Dülken und der B 57 bei Mönchengladbach—Holt ist zur Zeit noch eine Baumaßnahme des Landes Nordrhein-Westfalen. Erst ab 1971 wird der Abschnitt Dülken bis Hochneukirch — B 230 — in das
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Parlamentarischer Staatssekretär Börner Autobahnprogramm übernommen. Die dort laufenden Brückenbauarbeiten werden im Jahre 1971 weitergeführt, und die Strecke wird bis etwa 1973/74 fertiggestellt werden. Für den südlich anschließenden Abschnitt der „Westtangente" Mönchengladbach bleibt die Baulast beim Land Nordrhein-Westfalen. Für den Fortgang der Arbeiten in diesem Abschnitt ist nach wie vor das Land Nordrhein-Westfalen zuständig.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist die Anbindung der Nordtangente der B 7 an die B 230 nach Roermond ebenfalls im Jahre 1973 gewährleistet?
Unter Berücksichtigung der jetzt zu übersehenden Planungen hoffen wir das erreichen zu können. Ich darf aber darauf hinweisen, daß beim Fernstraßenbau immer Grundstücksschwierigkeiten hinzukommen können, über die ich heute noch nichts aussagen kann.
Eine zweite Zusatzfrage: Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wäre es nicht sinnvoll, wenn der Bund auch die Baumaßnahmen der gesamten „Westtangente" übernehmen würde, weil es sich praktisch um die große Linie Roermond-Venlo-Mönchengladbach-Erft handelt, die später bis Karlsruhe weitergeführt werden soll? Ist diese linksrheinische Autobahn nicht auch eine der großen Europastraßen?
Herr Kollege, Sie müssen davon ausgehen, daß die gesetzlichen Bestimmungen, nach denen wir uns bei Baulastverpflichtungen zu richten haben, sehr eng sind. Wir können nur das in unserer Baulast machen, was wirklich durch das Fernstraßengesetz gedeckt ist. Es gibt auch die Möglichkeit, daß andere Baulastträger von uns unterstützt werden. Das ist bisher immer geschehen. Insofern wird sich dieses Problem auch lösen lassen, ohne daß hier die Baulastverpflichtung auf den Bund übergeht.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 85 des Abgeordneten Pieroth auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in allen öffentlichen Telefonzellen die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Benutzer der Telefonzellen von anderen Fernsprechteilnehmern in den Telefonkabinen angerufen werden können?
Herr Kollege, die Bundesregierung zieht eine solche Maßnahme nicht in Erwägung, weil dafür nach den Erfahrungen der Deutschen
Bundespost kein allgemeines Bedürfnis besteht und weil die technische Realisierung und insbesondere die betriebliche Abwicklung sehr schwierig sein würden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Anrufbarkeit in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten gewährleistet ist, ist das dort doch wohl technisch geregelt, und außerdem dürfte dafür eine gewisse Notwendigkeit vorliegen; sonst hätte man das ja in der Zwischenzeit wieder abgeschafft.
Herr Kollege, ich bin nicht sicher, ob die von Ihnen genannten Fernmeldeverwaltungen bei einer weiteren Verdichtung des Fernsprechverkehrs dieses Prinzip auf die Dauer aufrechterhalten können. Ich habe mich gerade auf Grund Ihrer Frage einmal umfassend informiert, und ich bin der Meinung, daß es sinnvoll wäre, wenn ich Ihnen in einem Brief ergänzende Informationen gäbe, weil das Problem fernmeldetechnisch sehr kompliziert ist.
Eine Zusatzfrage.
Sosehr ich Ihnen jetzt schon im voraus für den Brief danke, frage ich Sie: Würden Sie dann bitte bei Beantwortung der Frage in einem Brief — soweit Sie die Antwort nicht doch gleich geben wollen — den Gesichtspunkt berücksichtigen, daß es weniger gut verdienende Familienangehörige gibt, z. B. Studenten und Rentner, die auf diese Art mit besser verdienenden Familienangehörigen telefonisch in Kontakt treten können — eben deshalb, weil sie angerufen werden —, und würden Sie in Ihrem Gedankengang bitte auch berücksichtigen, daß auch anderen das Kleingeld einmal ausgehen kann, zumindest ab Mitte nächsten Jahres in noch stärkerem Maße als heute?
Das ist alles richtig. Nur für die Zeit, wo jemand vor einer öffentlichen Fernsprechzelle auf einen Anruf wartet, kann darin, soweit ich das technisch übersehe, kein anderer telefonieren.
Für 20 Pf kann man anrufen und zurückgerufen werden.
Herr Kollege, Sie haben keine Zusatzfragen mehr.
Es ist sehr schwierig, das jetzt im Rahmen der Fragestunde zu klären. Es gibt eine
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970 4879
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
ganze Menge Gesichtspunkte, die fernmeldetechnisch dagegen sprechen.
Ich bin gern bereit, Ihnen die ergänzenden Informationen zu geben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Storm auf:
Frau Präsidentin, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 86 und 87 gemeinsam beantworten könnte.
Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 87 des Abgeordneten Storm auf:
Wieweit sind dahin gehende Besprechungen schon mit dem Land Schleswig-Holstein geführt worden?
Herr Kollege, alle Planungen des Bundes berücksichtigen bereits seit Jahren wegen der engen internationalen Verflechtungen in Europa die Belange des internationalen Verkehrs. Nichtsdestoweniger ist die Bundesregierung bereit, für den Fall des Beitritts skandinavischer Länder zur EWG die von Ihnen angesprochenen Planungen — falls notwendig — zu überprüfen und zu verbessern.
Spezielle Besprechungen im Hinblick auf die Erweiterung der EWG sind mit dem Land Schleswig-Holstein bisher nicht geführt worden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß bei allen Planungen des Bundes, z. B. im Bundesfernstraßenbau und bei der Deutschen Bundesbahn, enge Kontakte mit den beteiligten Landesverwaltungen gepflogen werden. So ist z. B. der Bedarfsplan für den Ausbau der Bundesfernstraßen in enger Zusammenarbeit mit dem Lande Schleswig-Holstein aufgestellt worden.
Eine Zusatzfrage.
Haben Sie bei diesen Planungen auch berücksichtigt, wie man den Engpaß in Hamburg, insbesondere den der Bundesbahn, überwinden kann?
Ja, Herr Kollege. Sie wissen, daß im Straßenbau z. B. der Bau des Elbtunnels zügig durchgeführt wird, daß darüber hinaus eine weitere Elbüberquerung im Laufe der nächsten Jahre vorgesehen ist und daß wir uns sehr bemühen, die Gleisanlagen der Bundesbahn im Raum Hamburg zu verbessern. Ich darf insbesondere darauf hinweisen, daß der Bau des Verschiebebahnhofs Maschen, der über 300 Millionen DM kostet, unter dem Gesichtspunkt der Stärkung des Großraums Hamburg sowie des ganzen norddeutschen Küstengebiets gesehen werden muß.
Eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung dann, wenn weitere Gespräche und Planungen notwendig sind, bereit, sich vorher ein wissenschaftliches Gutachten erstellen zu lassen?
Herr Kollege, alles, was wir planen, erfolgt in sehr enger Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten. Jede Planung, die z. B. im Fernstraßenhaushalt, aber auch bei der Deutschen Bundesbahn für diesen Raum und für diese Zeit vorgenommen wird, ist wissenschaftlich abgesichert. Dazu verpflichtet uns schon die Höhe der Kosten, die ja sehr sorgfältig zu prüfen ist, ehe ein Bauauftrag vergeben wird.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Erpenbeck auf:
Ist die Bundesregierung bereit, durch Ermäßigung der Anschlußgebühr und Senkung der Grundgebühr für Telefonanschlüsse für alleinlebende ältere Menschen, den Auftrag des Gesetzgebers aus dem Jahre 1961 zu konkretisieren „Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu überwinden und Vereinsamung im Alter zu verhüten" ?
Herr Kollege, weder die Einrichtungsgebühren noch die laufenden Grundgebühren decken die Selbstkosten der Post. Damit stellen sie bereits eine „verbilligte Eintrittskarte" zum öffentlichen Fernsprechnetz dar.
Die Deutsche Bundespost ist kraft gesetzlichen Auftrags nicht zur Erfüllung allgemeiner Fürsorgemaßnahmen berufen. Sie sieht sich als wirtschaftliches Unternehmen deshalb auch nicht in der Lage, zugunsten bestimmter Personengruppen ganz oder teilweise auf die Fernsprechgebühren zu verzichten.
Der Bund hat zwar die Gesetzgebungskompetenz für die Sozialhilfe. Mittel aus dem Bundeshaushalt stehen aber leider nicht zur Verfügung, da die Durchführung des Gesetzes bei den Ländern liegt und die Kommunen Träger der Sozialhilfe sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden hat, daß die Kosten für einen Telefonanschluß und die Zahlung der laufenden Grund-
4880 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Dezember 1970
Erpenbeck
gebühren nach dem Bundessozialhilfegesetz ein Mittel der Altenhilfe sind, frage ich Sie: glaubt die Bundesregierung nicht, daß sie aus diesem Urteil Konsequenzen zu ziehen hat?
Natürlich. Das steht doch nicht im Gegensatz zu dem, was ich gesagt habe. Ich bin durchaus der Meinung, daß dieses Urteil eine Verpflichtung für die Träger der Sozialhilfe einschließt, Entsprechendes auch zu tun. Nur ist die Post für diese Dinge nicht der richtige Adressat.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre Ihr Haus im Rahmen seiner Zuständigkeiten dann bereit, mit Ländern und Gemeinden in diesem Sinne ein Gespräch zu führen?
Herr Kollege, sicherlich ist die Bundesregierung bereit, die Fragen, ,die Sie ansprechen, im Rahmen der gemeinsamen Bemühungen um die Lösung der Probleme der alten Menschen mit den Ländern zu besprechen, nur ist es keine spezifische Aufgabe der Post. Aber ich fasse Ihre Anregung so auf: Es geht darum, daß das zuständige Ressort in erster Linie mit den Sozialministern der Länder sprechen müßte. Ich werde diese Anregung an Frau Kollegin Strobel weitergeben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kleinert.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es bei der immer häufiger werdenden Berufung der Bundespost darauf, daß sie ein wirtschaftliches Unternehmen und nicht etwa — ich glaube, das kann man da hineinlegen — eine Behörde sei, notwendig sein könnte, auch im Umgang mit dem Publikum eine Entbürokratisierung und eine Annäherung an die Gepflogenheiten kaufmännischer Betriebe, z. B. im Formularwesen, bei Formvorschriften für Anträge usw., durchzuführen?
Herr Kollege Kleinert die Zusatzfrage steht nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Text der ursprünglichen Frage. Ich kann sie daher nicht zulassen.
Wir kommen zur letzten Frage, der Frage 89 des Herrn Abgeordneten Erpenbeck:
Schließt sich die Bundesregierung der Auffassung an, daß die verstärkte Einrichtung von Telefonanschlüssen für alleinlebende ältere Menschen eine wünschenswerte und notwendige Hilfe bedeuten würde?
Bitte schön!
Frau Präsidentin, ich möchte nur anschließen, daß die Deutsche Bundespost ihren Kundendienst selbstverständlich laufend verbessern wird und daß ich für Anregungen dieser Art sehr dankbar bin.
Zur Frage des Herrn Kollegen Erpenbeck möchte ich sagen: Ja, die Bundesregierung ist dieser Auffassung.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß, wenn im Sinne der Antwort auf meine erste Frage entsprechende An schlösse für alte Menschen eingerichtet werden, auch genügend Anschlüsse zur Verfügung stehen?
Herr Kollege, die Frage der Gestellung von Anschlüssen ist eine technische und finanzpolitische Frage erster Ordnung. Sie wissen, daß wir eine sehr lange Warteliste haben und daß sich die Deutsche Bundespost bemüht, diese Warteliste abzubauen. Das steht in engem Zusammenhang mit der Verbesserung ihrer Kapitalstruktur, die ja zur Zeit, wie Sie wissen, in der politischen Diskussion ist. Ich bitte mir zu gestatten, darauf heute nicht im einzelnen einzugehen, weil hier praktisch ein schwebendes Verfahren berührt wird, nämlich die Diskussion über bestimmte Gebührenkorrekturen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Börner.
Meine Herren und Damen, wir sind am Ende der Fragestunde und damit auch am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe das Haus auf Freitag, den 18. Dezember 1970, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.