Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren! Es liegt Ihnen eine Liste von Vorlagen der Bundesregierung vor, die keiner Beschlußfassung bedürfen und nach § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen werden sollen:Vorlage des Sprechers der Deutschen Delegation bei der Beratenden Versammlung des EuroparatesBetr.: Lage der jüdischen Gemeinschaft in der Sowjetunion — Entschließung 295 —Wahrung der Meinungs- und Redefreiheit in den europäischen Ländern— Entschließung 364 —— Drucksache V/2666 zuständig: Auswärtiger AusschußVorlage des Präsidenten des BundesrechnungshofesBetr.: Prüfung der Monopolverwaltung für Branntwein bei der Oberfinanzdirektion BerlinDrucksache V/2671 zuständig: FinanzausschußHiergegen erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. März 1968 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt:Gesetz zur Änderung des Durchführungsgesetzes LWG-Richtlinie Frisches Fleisch und des FleischbeschaugesetzesGesetz zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des KrankengymnastenDer Bundesrat hat in seiner Sitzung am 22. März 1968 den: Gesetz über technische Arbeitsmittel nicht zugestimmt. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2752 verteilt.Der Vermittlungsausschuß hat in seiner 8. Sitzung am 15. März 1968 das vom: Deutschen Bundestag in seiner 151. Sitzung am 26. Januar 1968 beschlossene Gesetz zur Änderung des Durchführungsgesetzes EWG-Richtlinie Frisches Fleisch und des Fleischbeschaugesetzes bestätigt. Das Schreiben des Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses wird als Drucksache V/2698 verteilt.Der Bundeminister des Auswärtigen hat am 13. März 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Deutsche Schule in Brüssel — Drucksache V/2614 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2700 verteilt.Der Bundesminister des Auswärtigen hat am 21. März 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Entführung von südkoreanischen Staatsbürgern aus der Bundesrepublik Deutschland — Drucksache V/2667 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/2748 verteilt.Der Präsident des Bundestages hat am 13. März 1968 gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Neununddreißigste Verordnung zur Ändederung des Deutschen Zolltarifs 1967 — Drucksache V/2668 — mit der Bitte urn frislgernäße Behandlung an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen überwiesen.Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen hat mit Schreiben von 4. bzw. 12. März 1968 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden Verordnungen ohne besondere Bemerkungen zur Kenntnis genommen habe und sich daher eine Berichterstattung an das Plenum erübrige:Verordnung Nr. 973/67/EWG des Rates über die in der Gemeinschaft vorzunehmende Durchführung einiger Bestinnungen des Beschlusses des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Durchführung von Artikel 6 des Protokolls Nr. 1 im Anhang zum Abkommen von AnkaraVerordnung des Rates Nr. 1026/67/EWG vom 19. Dezember 1967 zur Verlängerung der Geltungsdauer der Verordnung Nr. 3/63/EWG über die Handelsbeziehungen zu den Staatshandelsländern hei bestimmten landwirtschaftlichen ErzeugnissenDer Bundesminister für .Arbeit und Sozialordnung hat am 1.1, März 1968 eine ergänzende Antwort zu der Kleinen Anfrage der Fraktion der FDP betr. Finanzplanung des Bundes — gesetzliche Rentenversicherung und Altershilfe für LandwirteDrucksache V/2114 — gegeben. Sie wird als Drucksache V/2756 verteilt.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 25. März 1968 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. Rechts- und Amtshilfe zwischen Allgemeinen Ortskrankenkassen und Verfassungsschutzbehörden und Wahrung des Arztgeheimnisses — Drucksache V/2639 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2757 verteilt.Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:Verordnung des Rates über die Finanzierung von Ausgaben, die durch besondere Maßnahmen der Republik Italien bei der Einfuhr von Futtergetreide entstehen, durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die LandwirtschaftDrucksache V/2631 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend —mit der Bitte :im Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgülligen BeschlußfassUng im Rat, deren Zeitpunkt zur Zeit noch nicht abgeschen werden kannRichtlinie des Ratesa) zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit frischem Fleischb) zur Änderung der Richtlinie des Rates vom 26. Juni 1964 zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindern und SchweinenDrucksache V/2632 —aa den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Ausschuß für Gesundheitswesen --mitberatend — mit der Bitte urn Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, deren Zeitpunkt zur Zeit noch nicht abgesehen werden kannVerordnung des Ratesa) über besondere Interventionsmaßnahmen für Reisb) zur Änderung der Verordnung Nr. 174/67/EWG über he-sondere Interventionsmaßnahmen für Getreide— Drucksache V/2652 an den Auschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten -federrührend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend —mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April Mai erfolgen wirdVerordnung des Ratesa) zur Bestimmung von Erzeugnisgruppen und von besonderen Vorschriften für die Errechnung von Abschöpfungen auf dem Sektor Milch und Milcherzeugnisse
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8418 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Vizepräsident Dr. Jaegerb) Tiber die Grundregeln für die Gewährung von Erstattungen bei der Ausfuhr von Milch und Milcherzeugnissen und über die Kriterien für die Festsetzung des Erstattungsbetrags— Drucksache V/2653 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wirdRichtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer— Gemeinsame Modalitäten für die Anwendung der Mehrwertsteuer auf Umsätze von landwirtschaftlichen Erzeugnissen —— Drucksache V/2661 —an den Finanzausschuß — federführend -- und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an den Haushaltsausschuß — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, deren Zeitpunkt zur Zeit noch nicht abgesehen werden kannVerordnung des Rates über die gemeinsamen Regeln fürdie Normalisierung der Konten der Eisenbahnunternehmen— Drucksache V/2662 —an den Verkehrsausschuß — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Dezember erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Festsetzung des Schwellenpreises für Getreide für das Wirtschaftsjahr 1968/69— Drucksache V/2669 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend —mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich noch im März erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Festsetzung der abgeleiteten Interventionspreise, der Zuckerrübenmindestpreise und Schwellenpreise sowie über die Produktionsabgabe für das Zuckerwirtschaftsjahr 1968/69— Drucksache V/2670 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Haushaltsausschuß — mitberatend —mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wirdVerordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für bestimmte in Anhang II des Vertrages aufgeführte Erzeugnisse— Drucksache V/2689 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft uni Pursten — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich ins Mai erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Festsetzung der monatlichen Zuschläge der Preise für Getreide und Mehl, Grobgrieß und Feingrieß von Weizen oder Roggen für das Wirtschaftsjahr 1967/68— Drucksache V/2690 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für die Interventionen auf dem Markt für Butter und Rahm— Drucksache V/2691 —ais den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte uns Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wirdVerordnungen des Rates zur Festsetzung der Bedingungen für die Anwendung der Schutzmaßnahmen in folgenden Sektoren: Getreide, Reis, Schweinefleisch, Eier, Geflügelfleisch, Fette, Obst und Gemüse— Drucksache V/2744 —an den Ausschuß für Errnährung, Landwirtschaft und Forsten —federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wirdVerordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse— Drucksache V/2745 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wirdVerordnung des Rates Tiber die besonderen Maßnahmen für die Käufe von Butter aus privaten Beständen durch die Interventionsstellen— Drucksache V/2746 --an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten —federführend — und an den Haushaltsausschuß mitberatend mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung ins Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Festsetzung eines Ausgleichsbetrages für Weichweizen, Gerste und Mais, die sich am Ende des Wirtschaftsjahres 1967/68 auf Lager befinden und für die Ausfuhr bestimmt sindDrucksache V/2747 —an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung im Rat, die voraussichtlich im April erfolgen wirdAllgemeines Programm zur Beseitigung der technischen Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Warenverkehr, die sich aus der Unterschiedlichkeit der einzelstaatlichen Rechtsvorschrften ergeben— Drucksache V/2743 —an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung inn Rat, die voraussichtlich im Mai/Juni erfolgen wirdVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 422/67/EWG, Nr. 5/67/Euratom des Rates vom 25. Juli 1967 über die Regelung der Amtsbezüge für den Präsidenten und die Mitglieder der Kommission sowie für den Präsidenten, die Richter, die Generalanwälte und den Kanzler des Gerichtshofesan den Innenausschuß mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werdenVerordnung des Rates über Rahmenvorschriften für die Verträge und Branchenvereinbarungen für den Kauf von Zuckerrübenan den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschafl und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werdenVerordnung des Rates zur Änderung von Artikel 1 der Verordnung Nr. 372/67/EWGan den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn ins Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werdenVerordnung des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 423/67/EWG, 6/67/Euratom des Rates vom 25. Juli 1967 über die Regelung der Bezüge für die Mitglieder der EWG-Kommission und der EAG-Kommission sowie der flohen Behörde, die nicht zu Mitgliedern der Gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften ernannt worden sindan den Innenausschuß — federführend und an den Haushaltsausschuß — mitberatend — mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn ins Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werdenGemäß Ziffer 3 der Richtlinien für die Fragestunde beginnt jede Plenarsitzung mit einer Fragestunde. Der Ältestenrat schlägt Ihnen jedoch vor, am kommenden Dienstag von der Fragestunde abzusehen, um im Hinblick darauf, daß in der nächsten Woche ohnehin vier Plenarsitzungen stattfinden, die Haushaltsberatungen zu fördern. Ich muß demgemäß das Haus fragen, ob es in Abweichung von der Geschäftsordnung damit einverstanden ist, daß ani Dienstag keine Fragestunde stattfindet. Dafür ist gemäß § 27 der Geschäftsordnung eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder erforderlich. Wer für den Vorschlag des Ältestenrates stimmt, am Dienstag die Fragestunde ausfallen zu lassen, gebe ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das ist weniger als ein Drittel der anwesenden Mitglieder des Hauses. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Es ist demnach so beschlossen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird Punkt 25 der Tagesordnung abgesetzt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8419
Vizepräsident Dr. JaegerWir beginnen mit Punkt 1 der Tagesordnung:Fragestunde— Drucksachen V/2753, zu V/2753 —Zunächst werden die Dringlichen Mündlichen Anfragen aufgerufen. Es handelt sich um Fragen des Herrn Abgeordneten Logemann aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zunächst die Frage 1:Wird die Bundesregierung im Ministerrat der EWG analog zu dem Beschluß des Europäischen Parlaments vom 24. März 1968 in Luxemburg den Vorschlag der Kommission, den Richtpreis für Milch zu senken, ablehnen?Herr Staatssekretär, ich darf Sie bitten, die Frage zu beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, darf ich mit Ihrer Erlaubnis die Fragen 1 und 2 im Zusammenhang beantworten?
Bitte sehr! Ich rufe also noch die Frage 2 auf:
Welche preislichen Auswirkungen beinhalten Äußerungen des Bundesernährungsministers, „daß zu ,erwägen sei, die Preisgarantien bei Milch auf der Grundlage eines Richtpreises von 41,2 Pf/kg frei Molkerei nur auf eine gewisse Produktionsmenge oder auf einen entsprechend festgesetzten Geldplafond zu beschränken", für die in der Bundesrepublik Deutschland erzeugte Milch?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die erste Frage lautet: Ja. Entsprechend einem Vorschlag des Berufsstandes bemüht sich die Bundesregierung unter Wahrung des Besitzstandes und ohne Benachteiligung der Landwirte, die auf die Milcherzeugung angewiesen sind, eine Lösung zu finden, bei der der deutsche Bauer nicht für alle Überschüsse einstehen muß, wo immer sie in der Gemeinschaft entstehen sollten. Die preislichen Auswirkungen dieser Erwägung würden von der zur Zeit nicht absehbaren Entwicklung der Milcherzeugung und des Absatzes in unserem Lande, in der Gemeinschaft und auf dem Weltmarkt abhängen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Staatssekretär, steht nicht Ihre Antwort, die Sie zu meiner Frage 2 gegeben haben, im Gegensatz zu Ihrer Aussage zu der Frage 1, daß die Bundesregierung bereit sei, jeder Senkung des Richtpreises zu widersprechen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat der Senkung des Richtpreises schon widersprochen. Sie hat sich in Brüssel mit großem Nachdruck dafür ausgesprochen, es bei 39 Pf zu belassen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Logemann.
Herr Staatssekretär, sind die Erwägungen des Landwirtschaftsministers Höcherl, die Sie soeben anführten, den Garantiepreis an eine bestimmte Milchmenge bzw. an einen bestimmten Geldplafond zu binden, nicht in etwa schon ein Abweichen von der Forderung, den Richtpreis zu halten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung meint im Gegenteil, daß der Richtpreis von 39 Pf für unsere Bauern um so eher erreicht werden könnte, wenn wir nicht für alle Überschüsse einstehen müßten, die auch außerhalb unseres Landes entstehen.
Die dritte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist nicht für jeden, der sich mit den Problemen befaßt, ganz klar erkenntlich, daß die Bindung des Garantiepreises an eine bestimmte Milchmenge — zugrunde gelegt werden soll die Milchmenge von 1966 —bei einer steigenden Milchproduktion in der Bundesrepublik zwangsläufig zu einem gesenkten Erzeugerrichtpreis führen muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Würden Sie bitte in Betracht ziehen, Herr Abgeordneter, daß der Richtpreis kein Garantiepreis ist, sondern ein Preis, den zu erreichen wir alle Anstrengungen unternehmen werden, und daß wir dort, wo es möglich ist, versuchen wollen, daß diejenigen, die nicht in erster Linie die Überschüsse in der Gemeinschaft produzieren, möglichst nahe an diesen Richtpreis für ihre Produktion herankommen können.
Eine vierte und letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es deshalb nicht besonders unverständlich, daß dieser Vorschlag des Landwirtschaftsministers, den Richtpreis an eine bestimmte Produktionsmenge zu binden, wie ich eben schon gesagt habe, ausgerechnet aus einem Land kommt, in dem bisher keine Überproduktion an Milch da ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Landwirtschaftsminister hat in Brüssel weder von einem Mengen- noch von einem Finanzplafond gesprochen, sondern lediglich deutlich gemacht, daß es nach unserer Meinung dort einen Rest nationaler Finanzverantwortung geben müßte, wo Überschüsse in besonderem Maße ohne unser eigenes Zutun entstehen. Wenn wir denjenigen, die die Überschüsse in erster Linie produzieren, ein gewisses Maß an eigener nationaler Verantwortung überlassen, heißt das doch, daß dies eine Entlastung für den deutschen Bauern sein würde, gerade weil wir, wenn Sie recht haben,
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8420 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Staatssekretär Dr. NeefHerr Abgeordneter, wenig Überschüsse in unserem eigenen Land produzieren werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wächter.
Herr Staatssekretär, ergibt sich aus der Haltung von Minister Höcherl in der Ratssitzung vom 11. und 12. März nicht logischerweise, daß sie in keiner Weise mit dem Beschluß der CDU/ CSU-Fraktion in Berlin, wonach der Minister sich für die Sicherung des Richtpreises von 41,2 Pf einsetzen soll, und mit dem Enschließungsantrag der CDU/CSU vom 13. März, der bekanntlich ja dieselbe Forderung enthält, in Einklang zu bringen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich glaube, die Bemühungen, die ich Ihnen soeben erläuterte, sind im Gegenteil gerade darauf gerichtet, dem deutschen Milchproduzenten und insbesondere jenem, der auf die Erzeugung von Milch angewiesen ist, eine möglichst hohe Sicherheit zu geben, daß er die 39 Pf bekommt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wächter.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie daran erinnern, daß sich Herr Bundesminister Höcherl entgegen dem ersten Vorschlag der EWG-Kommission bei der von mir erwähnten letzten Ministerratssitzung vom 11. und 12. März für eine Senkung des Interventionspreises auf 6,80 DM ausgesprochen hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hat Bundesminister Höcherl nicht getan. Er hat nur zu erwägen gegeben, ob man nicht für die Zeit, in der die Butterüberschüsse in der Gemeinschaft das Ausmaß haben, das wir heute kennen, einen Butterinterventionspreis ins Auge fassen sollte, der geeignet sein könnte, die Butterüberschüsse erst einmal für diese Zeit abzubauen. Herr Präsident, wenn ich das mit Ihrer Erlaubnis hinzufügen darf: Er hat ausdrücklich differenziert zwischen der Zeit, in der wir diese Überschüsse abbauen müssen, und der Zeit, in der wir das hoffentlich eines Tages geschafft haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten gibt es überhaupt, die einzelnen Länder, die eine Überschußproduktion haben, in besonderem Maße an den finanziellen Lasten zu beteiligen, nachdem doch die Mechanik der Marktordnungen die Behörden zwingt, die Produktion im ganzen Gemeinsamen Markt zu den gleichen Garantiepreisen aufzunehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dies ist genau der Einwand, der uns von den Ländern entgegengehalten wird, die ihre großen Überschüsse unter eine gemeinsame finanzielle Verantwortung stellen möchten.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, ist es unter diesen Gegebenheiten, die ja doch nun einmal durch den Vertrag bedingt sind und die in der Marktautomatik ihren Ausdruck finden, nicht eine Illusion, zu glauben, daß das Milch- und Butterproblem auf die Dauer ohne Einflüsse auf den Preis für Lieferer gelöst werden kann? Weckt man da nicht Illusionen, wenn man immer daran festhält, daß das möglich sei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ob die Agrarpolitik in Brüssel eines Tages zu der Einsicht kommt, daß man nur mit Preisregulierungen ihrer Herr wird, wage ich nicht vorherzusagen. Wir stehen aber vor dem konkreten Problem, eine Milchmarktordnung in Brüssel beschließen zu müssen. Wir halten es für unsere Pflicht, bei den Verhandlungen in Brüssel dafür zu kämpfen, daß dem deutschen Bauern möglichst wenig Schaden entsteht, und zwar aus der gemeinsamen Verantwortung für eine Milchmarktordnung. Kämpfen darf man doch für so etwas.
Sie haben schon zwei Fragen gehabt, Herr Abgeordneter Dröscher.
Als nächster kommt Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren bisherigen Antworten entnehmen, daß die Bundesregierung keinesfalls dem bisherigen Kommissionsvorschlag, der eine Senkung vorsieht, zustimmen wird? Und darf ich gleich weiter fragen: Sieht die Bundesregierung überhaupt Aussichten, mit ihrem Vorschlag einer Länderkontingentierung bei der Kommission und beim Ministerrat Unterstützung zu finden?
Das sind bereits zwei Zusatzfragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erste Frage beantworte ich uneingeschränkt mit Ja, Herr Abgeordneter.Die zweite Frage würde ich so beantworten: Wir haben nicht eine Länderkontingentierung vorgeschlagen, sondern ein gewisses Maß nationaler Verantwortung für besondere nationale Überschüsse. Während Länderkontingente mit Sicherheit keine Aussicht hätten, angenommen zu werden, sind wir vorläufig der Meinung, daß unser Vorschlag einer
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8421
Staatssekretär Dr. Neefgewissen nationalen Verantwortung für bestimmte Überschüsse vernünftig ist und hoffentlich auch die anderen überzeugen kann.
Herr Abgeordneter Reichmann zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Meinung, daß zur Lösung des Milchfettproblems auch das Pflanzenfettproblem in die Überlegungen einbezogen werden muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat bisher der Einführung einer Margarinesteuer davon sprechen Sie, Herr Abgeordneter — widersprochen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riegel.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, welche Kosten für den Steuerzahler entstehen werden, wenn die Preisgarantien gegeben werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das, Herr Abgeordneter, würde von all den Imponderabilien abhängen, die ich in meiner zweiten Antwort geschildert habe, nämlich von der Entwicklung der Produktion und des Absatzes bei uns, in der Gemeinschaft und auf dem Weltmarkt.
Ich rufe die dritte Frage des Herrn Abgeordneten Logemann auf:
Wird sich die Bundesregierung hei den Verhandlungen im Ministerrat der EWG um eine Rindermarktordnung für einen Orientierungspreis von 280 DM je dz einsetzen und dabei auch Interventionismaßnahmen gemäß dem Vorschlag der Kommission, d. h. fakulfative Intervention von 98 % und obligatorische Intervention von 93% unterhalb des Orientierungspreises, fordern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Orientierungspreis für Rinder für das Wirtschaftsjahr 1968/69 ist vom Ministerrat in Luxemburg auf 272 DM pro 100 kg Lebendgewicht beschlossen worden. Ein neuer Orientierungspreis wird unter Berücksichtigung der dann vorliegenden Lage in der Gemeinschaft festgesetzt werden. Darüber wird jetzt nicht verhandelt. Dagegen wird zur Stunde verhandelt über den Vorschlag der Kommission, die Interventionsschwelle auf 98 v. H. und den Interventionspreis auf 93 v. H. des Orientierungspreises festzusetzen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich jetzt, während der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Brüssel verhandelt, hier nicht die taktischen Überlegungen ausbreiten kann, mit denen wir diese Verhandlungen führen wollen.
Keine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Logemann. — Herr Abgeordneter Wächter!
Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß Bundesminister Höcherl nach einer mir in der vorletzten Woche im Ernährungsausschuß von Ihrem Hause gegebenen Antwort sich in der Ratssitzung vom 11. März 1968 für eine obligatorische Intervention in der Rindermarktordnung auf der Basis von nur 85 % des Orientierungspreises ausgesprochen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister Höcherl hat einer obligatorischen Intervention bisher nicht zugestimmt. Er hat im Gegenteil klar festgestellt, daß bisher nur vorläufige Ansichten in den Verhandlungen geäußert worden sind und daß jede deutsche Äußerung unter dem Vorbehalt gilt, daß wir uns sowohl für Milch als auch für Rindfleisch am Ende auf einen angemessenen Gesamtkompromiß einigen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wächter.
Ist die gestrige dpa-Meldung von Brüssel zutreffend, Herr Staatssekretär, wonach Herr Höcherl sich im Gegensatz zu vorher gegen eine obligatorische Intervention wandte? Wenn ja, befindet er sich nicht zum zweitenmal in
I krassem Widerspruch zu dem Entschließungsantrag der CDU/CSU vom 13. März dieses Jahres?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bitte noch einmal um Ihr Verständnis, wenn ich sage: es würde der Sache — und hier auch der Sache unserer Bauern — abträglich sein, würde ich hier die Taktik ausbreiten, in der in wochenlangen Verhandlungen die Bundesregierung sich eine hoffentlich günstige „bargaining position" zu schaffen versuchte. Ich glaube, wir würden der Sache großen Schaden zufügen, würde ich hier jetzt vor Abschluß der Verhandlung erläutern müssen, welche Verhandlungspositionen die Bundesregierung sich zu den einzelnen Themen aufgebaut hat. Und es würde der Sache ganz bestimmt zum Nachteil gereichen, würde ich jetzt hier ausbreiten, unter welchen Umständen und wann die Bundesregierung von diesen Verhandlungspositionen abgehen will.
Ich will Ihre Frage aber insoweit beantworten, als ich Minister Höcherl vom gestrigen Tage wie folgt zitiere:
Es ist der deutschen Seite nicht zuzumuten, daß nur sie sich auf die Meinungen der anderen hin bewegt. Wir erwarten jetzt eine wesentliche Bewegung der anderen Standpunkte auf die deutschen Wünsche hin.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
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8422 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Vizepräsident Dr. JaegerWir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, zunächst zu der ersten Frage der Abgeordneten Frau Funcke:Trifft es zu, daß 7.11 dem „Gespräch mit Abgeordneten", das das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung seinen Besuchergruppen im Rahmen einer 2- bis 3tägigen aus allgemeinen Steuermitteln finanzierten politischen Informationsveranstaltung ankündigt und anbietet, nur Abgeordnete der Koalitionsparteien zur Teilnahme aufgefordert werden, nicht aber Vertreter der parlamentarischen Opposition?Herr Staatssekretär im Bundespresseamt, bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, die Antwort auf Ihre Frage ist: Nein, das trifft nicht zu. Das Presse- und Informationsamt ist im Gegenteil im Einklang mit meinen Instruktionen bestrebt, zu allen von ihm organisierten Veranstaltungen Abgeordnete aller Fraktionen des Deutschen Bundestages einzuladen.
Eine Zusatzfrage?
Dann kommen wir zu der Frage 2 der Abgeordneten Frau Funcke:
Bedeutet das Fehlen des „Spiegels der Frauenpublizistik" in der Aufstellung der Regierungsveröffentlichung Drucksache V/2593, daß das Presse- und Informationsamt nicht beabsichtigt, den von allen Fraktionen des Bundestages sowie von den Frauenverbänden und der Frauenpublizistik eindeutig befürworteten und geforderten „Spiegel der Frauenpublizistik" wieder herauszubringen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf die Frage 2 lautet: Nein, die erste Ausgabe des neuen „Spiegels der Frauenpublizistik" ist am 15. März erschienen. Die Angaben in der Drucksache V/2593 beziehen sich auf das Jahr 1967, und da, wie Sie wissen, gnädige Frau, der „Spiegel" in diesem Jahr nicht erschien, konnte er in der Aufstellung nicht enthalten sein. Aber die erste Nummer der neuen Ausgabe ist inzwischen sicher in Ihren Händen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Staatssekretär, kann man feststellen, wie der Verteiler des neuen „Frauenspiegels" ist, — da dieser nicht in meinen Händen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Auflage, gnädige Frau, beträgt 250 Exemplare. Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen einen genauen Verteiler zugehen lassen.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Funcke.
Darf man dann annehmen, daß auch die Opposition den „Frauenspiegel" bekommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ganz gewiß. Ich dachte, Sie hätten ihn schon, gnädige Frau.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Freyh.
In welchen Abständen wird der „Frauenspiegel" künftig erscheinen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Monatlich, wie damals auch.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Die erste Frage stellt der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen — er ist nicht im Saal; Sie wollen die Frage übernehmen —.
ist sich die Bundesregierung der Tatsache bewußt, daß sich die Vorwürfe gegen das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen mehren, wonach nicht rechtzeitig genug Maßnahmen nr-griffen wurden gegenüber Banken, die offensichtlich in Schwierigkeiten geraten sind?
Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist bekannt, daß derartige Vorwürfe erhoben worden sind. Die Häufung der Insolvenzen erklärt sich vor allem dadurch, daß von den insgesamt 11 Insolvenzen seit Errichtung des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen allein sechs in der Rezessionsperiode, also seit Anfang 1966, erfolgten.
Zu dieser Angelegenheit hat Herr Staatssekretär Dr. Schöllhorn bereits schriftlich auf die Mündliche Anfrage des Herrn Kollegen Meister Auskunft gegeben. Danach hat sich das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in den betreffenden Fällen sachgemäß und zweckgerecht verhalten.
Ich möchte die Antwort von Herrn Staatssekretär Dr. Schöllhorn durch zwei Hinweise ergänzen. Erstens: Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen ist in starkem Umfang auf die Mitarbeit anderer Stellen angewiesen, insbesondere der Landeszentralbanken, von denen in vielen Fällen die erste Warnung auszugehen hätte. Zweitens: Die gesamte Bilanzsumme der 11 erwähnten Kreditinstitute, die seit der Errichtung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen insolvent geworden sind, beläuft sich auf 217 Millionen DM; das Geschäftsvolumen aller Kreditinstitute hingegen auf mehr als 500 Milliarden DM. Sowenig der Vergleich dieser beiden Beträge die Beurteilung der Ursachen und Folgen des Einzelfalls abschwächen sollte, so sehr kann er doch dazu beitragen, ein gerechtes Urteil über die Arbeit der Berliner Behörde zu erleichtern.
Ich rufe die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Weigl auf:Trifft es zu, daß das von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen für die Zeit von 1968 bis 1973 geplante Ent-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8423
Vizepräsident Dr. Jaegerwicklungsprogramm Ruhr in erster Linie auf dem Ausbau des S-Bahn- und Fernstraßennetzes im Ruhrgebiet durch Bund und Land aufgebaut ist?Ist der Bundesregierung bekannt, daß die weit über dem Bundesdurchschnitt liegende Arbeitslosigkeit in Ostbayern primär eine Folge der totalen Übersetzung der Bauwirtschaft dieses Raumes mit Arbeitskräften ist ?Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur ersten Frage: Das von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen aufgestellte „Entwicklungsprogramm Ruhr" enthält Maßnahmen, für die eine zusätzliche Finanzhilfe des Bundes von insgesamt rund 2,3 Milliarden DM gewünscht oder — vielleicht sollte man besser sagen — in dem Programm vorgesehen ist.
Im einzelnen handelt es sich um folgende Vorhaben: 1. zwei vierspurig geplante Landstraßen, die später als Bundesstraßen aufgestuft werden sollen, nämlich der sogenannte Emscherschnellweg und die sogenannte Ruhrhöhenstraße, 2. Bau einer S-Bahn im Ruhrgebiet und 3. Aufbau eines regionalen Stadtbahnnetzes. Der finanzielle Beitrag des Bundes zu dem „Entwicklungsprogramm Ruhr" soll nach den Vorstellungen des Landes einerseits bei den genannten Projekten unmittelbar geleistet werden, darüber hinaus aber auch durch Freistellung des Landes von übernommenen Verpflichtungen für die Elektrifizierung von Bundesbahnstrecken und für den Ausbau von Wasserstraßen.
Zur zweiten Frage: Der Bundesregierung ist bekannt, daß in Ostbayern während der Wintermonate der Anteil der Bauarbeiter an den Arbeitslosenzahlen stark ansteigt. Ende Februar 1968 war dieser Anteil in mehreren Arbeitsamtsbezirken höher als 50 %, so vor allem in Landshut 63 %, in Pfarrkirchen 61 % und in Schwandorf ebenfalls 61 %.
Erheblich mehr als die Hälfte der arbeitslosen Bauarbeiter dieses Raumes sind in den Sommermonaten als Fernpendler außerhalb Ostbayerns beschäftigt. Sobald in den Wintermonaten die Außenarbeiten zum Erliegen kommen, werden sie in ihren Wohngemeinden in Ostbayern als Arbeitslose registriert.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Weigl.
Herr Staatssekretär, darf ich fragen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe bereits Zusagen des Bundes vorliegen, dieses „Entwicklungsprogramm Ruhr" zusätzlich zu fördern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt keine Zusage, Herr Abgeordneter. Wir sind gerade bei der Prüfung dieses Programms, das erst kürzlich der Öffentlichkeit übergeben wurde.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Weigl.
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, ob Ihnen bekannt ist, daß die Strukturschwierigkeiten in Ostbayern in erster Linie darauf zurückzuführen sind, daß die Erschließung dieses Raums durch Fernstraßen und Autobahnen weit zurückhängt. Und darf ich fragen, oh man bei den Überlegungen, die auf einen verstärkten Verkehrsausbau im Ruhrgebiet hinzielen, schon bedacht hat, daß auch in anderen Räumen der Verkehrsausbau nachhinkt und stärker gefördert werden sollte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die anderen Strukturgebiete dürfen nicht vernachlässigt, die Förderung des Zonenrandgebiets sollte sogar verstärkt werden. Das Ruhrgebiet ist ein temporäres Strukturgebiet. Wir wollen alles daransetzen, daß es diese Eigenschaft möglichst bald wieder verliert. Bei dem Ausbau der Förderung wird selbstverständlich auch an Ostbayern gedacht werden. Ich hoffe, bereits in der Sitzung des Gesamtdeutschen Ausschusses am Donnerstag hierzu die eine oder andere Bemerkung machen zu können.
Eine weitere Zusatzfrage!
Nun eine Zusatzfrage zur zweiten Frage. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei der momentanen Auftragslage der Baufirmen in Ostbayern damit gerechnet werden muß, daß Zusammenbrüche von Firmen erfolgen, wenn die öffentliche Hand nicht in einem stärkeren Maße als bisher eingreift und Aufträge an diese Baufirmen vergibt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das 250-Millionen-DM-ERP-Programm für die Gemeinden, das im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung angekündigt worden ist, sieht in sehr erheblichem Maße Bauprojekte für das Zonenrandgebiet vor. Dies erfolgt zusätzlich zu den Konjunkturprogrammen und zu den sowieso laufenden Förderungsprogrammen des Landes und des Bundes.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Weigl.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß gerade in diesen ostbayerischen Notstandsgebieten die Gemeinden die Möglichkeiten vielfach nicht in Anspruch nehmen können, die sich aus dem ERP-Sonderprogramm ergehen, weil die Konditionen, die verlangt werden, über das Maß dessen hinausgehen, was bei der heutigen Verschuldung dieser Gemeinden überhaupt noch tragbar ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind allen Informationen, die uns aus den einzelnen Gemeinden erreichten, nachgegangen und haben versucht, im Benehmen mit der zuständigen Landesregierung Abhilfe zu schaffen.
Metadaten/Kopzeile:
8424 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Meine Damen und Herren, bei den weiteren Zusatzfragen zu den beiden Fragen, die nicht in einem ganz unmittelbaren Zusammenhang stehen, werden wir doch am besten trennen. Zunächst also die Zusatzfragen zur Frage Ruhrgebiet. Herr Abgeordneter Köppler!
Herr Staatssekretär, darf man Ihrer Mitteilung, daß Sie jetzt den Ruhr-entwicklungsplan sozusagen gemeinsam mit uns studieren, entnehmen, daß vor Veröffentlichung keine Verhandlungen mit Ihrem Hause stattgefunden haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Verhandlungen im eigentlichen Sinne haben nicht stattgefunden. Der Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages hat lediglich vor einiger Zeit um die Bekanntgabe von Einzelprojekten gebeten, die in dem Gesamtstrukturplan Ruhr—Saar im Rahmen des Kohleanpassungsgesetzes Verwendung finden könnten. Daraufhin haben wir eine Information der beiden Landesregierungen erhalten, worin bereits viele Projekte enthalten waren, die in dem jetzt veröffentlichten Programm niedergelegt sind. Allerdings fehlten damals noch die Finanzierungsvorstellungen; diese wurden uns erst jetzt mitgeteilt.
Zu diesem Punkt keine Zusatzfragen mehr. Dann weitere Zusatzfragen zu dem zweiten Komplex. Herr Abgeordneter Kempfler!
Herr Staatssekretär, sind Sie sich dessen bewußt, daß neben dem Zonenrandgebiet und dem Ruhrgebiet auch das Bundesausbaugebiet — z. B. Pfarrkirchen mit 60 % saisonaler Arbeitslosigkeit der Bauarbeiter liegt ausschließlich im Bundesausbaugebiet — unter dieser Erscheinung leidet, und ist das Ministerium bereit, auch hier entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden das selbstverständlich prüfen, Herr Abgeordneter. Pfarrkirchen mit seiner ebenfalls sehr hohen Arbeitslosenzahl habe ich vorhin schon erwähnt. Sie sehen, die Probleme dieser Gebiete sind uns bekannt. Sie können uns auch nicht unbekannt sein, da wir laufend auf diese Gebiete hingewiesen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ertl.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung des Geschäftsführers der Industrie- und Handelskammer aus Niederbayern-Oberpfalz, der vor kurzem sagte, es sei damit zu rechnen, daß in den nächsten Jahren mindestens 10 000 Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft frei würden, daß aber weder Dauerarbeitsplätze noch Facharbeiterplätze zur Verfügung stünden, so daß die Leute zwangsläufig zu Hilfsarbeitern degradiert würden, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Außerung ist mir nicht bekannt, so daß ich sie noch nicht prüfen konnte. Ich danke Ihnen jedoch für diese Information.
Im übrigen glaube ich, Herr Kollege Ertl, daß im Zuge des Konjunkturaufschwungs überall Investitionen zur Schaffung industrieller Arbeitsplätze durchgeführt werden. Dabei werden sich die besonderen regionalen Förderungsmaßnahmen auch bei Industrieprojekten auswirken. Hoffen wir, daß das auch in der Oberpfalz der Fall sein wird!
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ertl.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß seit Jahren von Dauerarbeitsplätzen in diesem Bereich gesprochen wird, daß aber die Erfolge doch außerordentlich bescheiden sind, und wie erklärt es sich die Bundesregierung, daß so wenig Fortschritte erzielt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist ein schwieriges Problem. Wir hoffen, daß wir diese Frage in den nächsten Jahren endgültig lösen werden. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, daß mit industrieller Ansiedlung in kleinstem Umfang, d. h. auf einzelnen Dörfern, das Problem der Industrialisierung eines Raumes nicht zu bewältigen ist. Man muß sich vielmehr auf einige zentrale Orte beschränken und versuchen, dort eine gewisse Massierung herbeizuführen, die auch auf Dauer Bestand hat.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Staatssekretär, in welchem Umfang bestehen Schwierigkeiten für die Ansiedlung von Industrie durch gewisse Schwächen im Schulsystem dieses Gebietes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darüber kann ich leider nicht sofort Auskunft geben. Ich bin jedoch gern bereit, Ihnen eine schriftliche Auskunft zu erteilen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die hier angeführte totale Überbesetzung der Bauwirtschaft dieses Raumes vielleicht Gründe, die in früheren Maßnahmen staatlicher Stellen liegen, d. h. darin, daß man falsche Investitionsanreize gegeben hatte?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8425
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Hauptgrund ist, wie ich vorhin schon sagte, Herr Kollege Moersch, daß ein großer Teil dieser Bauarbeiter gar nicht in den Räumen, in denen sie wohnen, gearbeitet hat oder zur Zeit arbeitet. Die Folge davon ist weiter, daß sie als sogenannte Fernpendler natürlich als erste bei einer Konjunkturschwäche oder den üblichen winterlichen saisonalen Einschränkungen der Bautätigkeit entlassen werden. Auch dieses Problem ist letztlich nur zu bewältigen durch eine Industrialisierung des Raumes, d. h. durch Ansiedlung von Betrieben, die das ganze Jahr Beschäftigung bringen und nicht so konjunkturabhängig sind
z. B. von der Lage der Gemeindefinanzen wie die örtliche Bauwirtschaft in diesen Gegenden.
Frage 33 des Abgeordneten Fritsch :
Treffen Feststellungen des bayerischen Staatsministers für
Wirtschft und Verkehr vor dem Bayerischen Landtag zu, clan die Erfolgschangen der regionalen Strukturpolitik in Bayern dadurch beeinträchtigt werden, daß im Ruhrgebiet der mittelständischen Wirtschaft Finanzierungshilfen gewährt werden?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Besondere Finanzhilfen, Herr Kollege Fritsch, für die mittelständische Wirtschaft des Ruhrgebiets existieren meines Wissens nicht. Die Regelung in § 26 des Kohlegesundungsgesetzes, das sich ja noch in der Beratung befindet, ist bekannt. Danach werden Investitionsprämien von 10 % auch der mittelständischen Wirtschaft zugute kommen, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Aussage so bewerten, daß damit die Behauptungen des Herrn bayerischen Staatsministers für Wirtschaft nicht zutreffen, daß nämlich ein inniger Zusammenhang negativer Art für Bayern darin bestehe, daß gewisse Wirtschaftsförderungen für das Ruhrgebiet vorgenommen werden, die sich ungünstig auf das Land Bayern auswirken würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jedes neue Fördergebiet mit speziellen Hilfen entwertet natürlich teilweise die bisherige Förderung für „alte" — wenn ich Glas einmal in Anführungsstrichen sagen darf — Fördergebiete, sofern nicht dort die Förderung entsprechend verstärkt wird. Insofern wäre die Außerung des Herrn bayerischen Staatsministers — ich kenne sie nicht wörtlich — sicherlich richtig. Daß aber im Ruhrgebiet eine stärkere Förderung für einzelne Projekte möglich sein sollte als z. B. in Ostbayern, ist ausgeschlossen. Die Richtlinien und Bestimmungen lassen eine höhere Präferenzierung nicht zu. Die Förderung soll sich im Ruhrgebiet auf maximal 15 % der Investitionskosten belaufen. Im bayerischen Raum des Zonenrandgebiets hingegen
sind wir entschlossen, an einzelnen Stellen sogar bis auf 25 % zu gehen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es darüber hinaus wesentliche Unterschiede zwischen den derzeitigen Hilfsmaßnahmen für Ruhr und Saar und dein regionalen Förderungsprogramm des Bundes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dies ist zu bejahen. Das Finanzierung s- und Präferenzierungssystem ist deshalb anders, weil § 26 des Kohlegesundungsgesetzes nur für die beiden Steinkohlenreviere gilt, also die Grundförderung von 10 % der Investitionskosten in bestimmten Fällen nur für diese Gebiete gilt; demgegenüber ist das Investitionsförderungssystem für das Zonenrandgebiet ganz anders aufgebaut.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weigl.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß z. B. die Bundesländer Saarland und Nordrhein-Westfalen große Landesmittel zur Industrieansiedlung einsetzen und dabei die individuelle Förderung bei der Industrieansiedlung, die 15%, von denen Sie soeben gesprochen haben, doch erheblich überschritten werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das ist nicht bekannt. Jedenfalls ist der nordrhein-westfälischen Landesregierung bekannt, daß 15% im Regelfall die Obergrenze sind. 1m Saargebiet ist es anders, da sind es 25%. Aber eine Konkurrenz des Saargebiets, eines ebenfalls sehr schwierigen Raumes, zu dem Zonenrandgebiet ist bisher noch nicht vorgekommen.
Zu einer Zusatztrage Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Hilfen dort verstärkt eingesetzt werden müssen, wo die höchste Arbeitslosenziffer und wo der stärkste Abwanderungsverlust festgestellt ist, und daß infolgedessen das vorhandene Anreizgefälle z. B. zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen zugunsten der Randzone in Bayern geändert werden muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das geschieht bereits. Dennoch möchte ich auch noch auf folgendes hinweisen: Wir sind alle daran interessiert, daß das Ruhrgebiet möglichst schnell nicht mehr förderungsbedürftig ist. \\Venn wir die Förderung dort schwächer dosieren, als das bisher geplant ist, wird es
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8426 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtlänger Fördergebiet bleiben. Daran hat niemand Interesse, vor allen Dingen nicht die traditionellen Fördergebiete des Zonenrandes, der norddeutschen Küste und des Saargebietes.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Aigner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß z. B. bei dem Wettbewerb um Ansiedlung von Industrien die kommunale Finanzkraft in den Ballungsräumen sich so auswirkt, daß man hier Ansiedlungsgebiet praktisch kostenlos zur Verfügung stellt, während selbst die 25% Finanzhilfen des Bundes die schwachen Gemeinden nicht in die Lage versetzen, hier auch nur annähernd konkurrenzfähig zu werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, darüber wird viel gesprochen; bisher war es jedoch nicht möglich, bestimmte Beispiele nachzuweisen.
— Ich bin Ihnen sehr dankbar.
Wir kommen zur Frage 34 des Abgeordneten Zebisch:
7u welchem Ergebnis ist die Bundesregierung bei der Prüfung der Frage, in bestimmten Teilräumen des Zonenrandgebie tes den nach dem regionalen Förderungsprogramm möglichen Investitionszuschuß von 15 Prozent auf 25 Prozent zu erhöhen , gekommen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Absicht der Bundesregierung, in einigen eng begrenzten Teilräumen, in denen gleichzeitig sektorale Anpassungsprobleme und die Zonenrandlage in voller Schärfe spürbar sind, die Investitionszuschüsse im Rahmen des regionalen Förderungsprogramms von 15 °to auf 25% zu erhöhen, ist auf Antrag der Bundesregierung inzwischen in Brüssel diskutiert worden. Einwendungen wurden gegen die beabsichtigte Sonderförderung nicht erhoben. Zur Zeit werden daher solche Sonderprogramme mit den Ländern vorbereitet. Dabei muß sichergestellt werden, daß es sich nur um einige wenige Interventionspunkte handelt, um das übrige Zonenrandgebiet nicht zu stark zu diskriminieren.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, bis wann ungefähr können wir für diese von Ihnen angesprochenen Gebiete hoffen, daß das der Fall sein wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hängt von der Entwicklung der Verhandlungen mit der Bayerischen Staatsregierung ab. Das Prinzip der regionalen Wirtschaftsförderung ist ja, in jedem Falle die Initiative dem Land und in einzelnen Fällen auch der Gemeinde zu überlassen. Dem Bund bleibt es dann nur vorbehalten, zu entscheiden, ob man sich dieser Initiative anschließen soll oder nicht.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Zebisch.
Herr Staatssekretär, ist die Bayerische Staatsregierung im Sinne meiner Frage bis jetzt bereits tätig geworden, oder ist es nur auf die Initiative der Bundesregierung zurückzuführen, daß jetzt die Verhandlungen in Brüssel geführt wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Verhandlungen in Brüssel hat selbstverständlich die Bundesregierung geführt. Von der Bayerischen Staatsregierung erwarten wir bald Vorschläge über die Orte, bei denen eine Förderung von 25% in Frage kommt.
Wir kommen zur zweiten Frage des Abgeordneten Zebisch, der Frage 35:
Was gedenkt die Bundesregierung im Bereich der Oberpfalz bei ständig zurückgchenden Männerarbeitsplätzen und hoher Arbeitslosigkeit zu tun, um den gefährdeten kleinen landwirtschaftlichen Familienbetrieben die von Bundesfinanzminister Strauß und Bundeskanzler Kiesinger geforderte Nebenerwerbs. tätigkeit zu garantieren, besonders in den Gebieten, die weder zum Zonenrandgebiet noch zu sonstigen Bundesfördergebieten gefrören, wie z. B. Stadt und Landkreis Amberg, SulzbachRosenberg, Schwandorf und Burglengenfeld?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die vier in der Frage genannten Stadt- bzw. Landkreise Amberg, Sulzbach-Rosenberg, Schwandorf und Burglengenfeld sind nicht in die normalen regionalen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung einbezogen. Für die regionale Wirtschaftsförderung ist schließlich in erster Linie die Landesregierung zuständig. Die regionale Wirtschaftspolitik des Bundes beschränkt sich auf die Milderung wesentlicher regionaler Unausgeglichenheiten, die eine Folge der Teilung Deutschlands sind oder die über die Grenzen der Länder hinweg von Bedeutung sind. Den genannten vier Kreisen stehen demgemäß 17 Kreise der Oberpfalz gegenüber, die vom Bund gefördert werden, weil sie entweder zum Zonenrandgebiet gehören oder Bundesausbaugebiete sind. Zum Teil erhalten sie sogar gleichzeitig die Zonenrandförderung und die Förderung als Bundesausbaugebiet. Außerdem sind drei Gemeinden der Oberpfalz in das Bundesausbauprogramm aufgenommen.Im übrigen glaube ich nicht, daß man davon sprechen kann, daß die Zahl der Männerarbeitsplätze in diesem Gebiet ständig zurückgehen wird. Zu den recht beachtlichen Ansiedlungserfolgen der letzten Jahre zählen u. a, auch Betriebe mit solchen Arbeitsplätzen.Was die Sonderprobleme des engeren Raums Amberg betrifft, dessen bisherige Wirtschaftskraft über-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8427
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Arndtwiegend auf stark schrumpfenden Industriezweigen beruht hat, darf ich darauf hinweisen, daß, obwohl Amberg nicht Bundesfördergebiet ist, die Ansiedlung neuer Betriebe mit den Mitteln des regionalen Förderungsprogramms des Bundes ebenfalls unterstützt wird. Erste Ansiedlungserfolge sind bereits zu verzeichnen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß Amberg, obwohl es, wie Sie selbst gesagt haben, nach einem Beschluß des IMNOS-Ausschusses Problemgebiet ist, bisher nicht an den ERP-Mitteln des Investitionsprogramms beteiligt wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Amberg wird aber an den Mitteln des regionalen Förderungsprogramms des Bundes beteiligt. Der ERP-MittelBeschluß lief eindeutig auf Zonenrand- und Bundesausbaugebiete hinaus. Amberg gehört hierzu nicht. Es wird nur auf Grund seiner gegenwärtigen industriellen Strukturschwäche aus Sondermitteln des Regionalprogramms des Bundes bedacht, um den Raum möglichst schnell wieder lebensfähig zu bekommen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Aigner.
Dr. Aigner : Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß auf Grund meiner Anfrage gestern Ihr Haus erklärt hat, daß Amberg auch die Vergünstigungen aus dem ERP-Programm in Anspruch nehmen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann ist die Frage ja schon positiv entschieden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin die Investitionsprämie als Mittel des Bundes angeführt, solchen Strukturveränderungsgebieten zu helfen. Können Sie sich nicht vorstellen, daß auch die andere Regelung aus der Berlin-Hilfe, die Abschreibungsregelung für Geschäftsgebäude, auf Zonenrandgebiete und auf Strukturveränderungsgebiete übertragen werden könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schwörer, Einkommensteuerpräferenzen oder Körperschaftsteuerpräferenzen — um solche handelt es sich bei Abschreibungsvergünstigungen — sind im Falle Berlins auf Grund seiner isolierten Lage relativ leicht administrativ zu praktizieren. Wenn eine
derartige Förderung großen Umfanges im Zonenrandgebiet oder im Ruhrgebiet einsetzte, entstünde sofort das Problem der Betriebe jenseits der Grenze, die immer in einen fließenden Raum hineingezogen werden muß. Damit würden neue Ungerechtigkeiten entstehen.
Es spricht darum vieles dafür, die Investitionsförderung in strukturschwachen Gebieten diesseits der Elbe, wenn ich das einmal so sagen darf, sehr selektiv vorzunehmen, indem man sich jeden einzelnen Fall betrachtet und weniger mit Maßnahmen der Globalsteuerung, wie das in Berlin möglich ist, arbeitet.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schwörer.
Könnte man nicht z. B. den Durchschnitt des Bruttosozialprodukts als Maßstab für eine Förderungsmöglichkeit nach diesen Regelungen, also auch für Abschreibungsvergünstigungen, zugrunde legen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden das prüfen, Herr Kollege Schwörer, und Sie werden dann entsprechende Auskunft über unsere Auffassung erhalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei den zu treffenden Maßnahmen auch berücksichtigen, daß kürzlich der bayerische Staatsminister für Wirtschaft dem Bayerischen Landtag erklärt hat, daß die Bemühungen um die Ansiedlung von Betrieben in strukturschwachen Gebieten zunehmend rezessiv sind, daß es also fortlaufend schwieriger wird, Betriebe in diesen strukturschwachen Gebieten anzusiedeln, und daß es infolgedessen vermehrter Impulse und Hilfen bedarf?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde das prüfen, und wir werden Ihnen eine schriftliche Antwort zugehen lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weigl.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die vom Bund und von den Ländern gegebenen Hilfen für die strukturschwachen Gebiete, was die Industrieansiedlung anbelangt, im Grunde genommen von der Ausstattung her so gering sind, daß man auf die Dauer gesehen gezwungen sein wird — das wäre meine Frage —, auch Präferenzen analog zu Berlin — ich nehme nur einmal an für den Fremdenverkehr in diesen strukturschwachen Gebieten — zu geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
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8428 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. ArndtWeigl, das wird sehr schwierig sein. Das Zonenrandgebiet ist in etwa definiert durch einen 40 km breiten Streifen längs der Zonengrenze, korrigiert uni die jeweiligen Grenzen der Landkreise. Was machen Sie mit dem Mann und dem Betrieb auf Kilometer 41 jenseits dieser Grenze? Der erhält dann gar nichts mehr. Es ist deshalb sehr schwierig, mit globalen Maßnahmen in einem fließenden Raum zu arbeiten.Die Bundesregierung ist entschlossen, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten alles zu tun, um die Zonenrandförderung zu verstärken. Ich hoffe, daß die eine oder andere Möglichkeit bereits am Donnerstag im Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen erörtert werden kann.
Keine Zusatzfrage mehr? — Dann kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten Reichmann:
Welche nachteiligen Auswirkungen entstehen der Bundesrepublik Deutschland durch die internationale Gold- und Währungskrise?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Lage auf den internationalen Goldmärkten hat die Stabilität der D-Mark in keiner Weise berührt. Die Goldbestände der Deutschen Bundesbank sind mit rund 16 Milliarden DM die drittgrößten in der Welt; ferner haben auch die Devisenguthaben und Geldmarktanlagen der Bundesbank im Ausland zugenommen.
Nachteilige Auswirkungen könnten jedoch entstehen, wenn die Schwierigkeiten im internationalen Währungssystem dazu führten, daß zur Behebung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten neue Beschränkungen im Handels- und Zahlungsverkehr eingeführt würden. Die Bundesregierung ist bemüht, eine solche Entwicklung nach Kräften zu verhindern. Sie hat z. B. zu diesem Zweck ihren EWG-Partnern eine asymmetrische Beschleunigung der Zollsenkungen der „Kennedy-Runde" vorgeschlagen; der Ministerrat der EWG hat am letzten Montag, den 25. März, die Kommission beauftragt, entsprechende Maßnahmen mit der USA-Regierung zu beraten.
Entscheidend wird aber sein, daß es den großen Defizit-Ländern gelingt, zu einem besseren binnen- und damit auch außenwirtschaftlichen Gleichgewicht zu kommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Obgeordneter Reichmann.
Herr Staatssekretär, sind Pressemeldungen zutreffend, daß die Bundesbank in den drei kritischen Tagen durch Stützungsgoldverkäufe 200 Millionen DM verloren habe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann durchaus zutreffen, Herr Kollege Reichmann. Das kann man in den Bundesbank-Ausweisen jederzeit nachsehen. Es wird kein Geheimnis daraus gemacht. Es gibt
wöchentliche Berichterstattungen der Bundesbank über ihre Aktiven und ihre Passiven.
Eine Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Reichmann.
Herr Staatssekretär, welche Nachteile entstanden der Deutschen Bundesbank durch ihre seit längerer Zeit geübte gezielte Zurückhaltung in bezug auf die Umtauschmöglichkeit von Dollars in Gold?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst entstehen dadurch keine Nachteile, da der Dollar nicht abgewertet worden ist und eine Abwertung auch nicht zu erwarten ist. Deshalb bestehen da überhaupt keine Nachteile.
Wir kommen damit zur Frage 28 des Herrn Abgeordneten Reichmann:
Ist es zutreffend, daß die internationale Gold- und Währungskrise erheblich durch die schon vor längerer Zeit angekündigte Gold- und Währungspolitik Frankreichs verursacht wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, das trifft nicht zu. In den letzten eineinhalb Jahren haben z. B. die französischen Währungsbehörden kein Gold erworben. Frankreich hat sich zwar nicht am Goldpool beteiligt, hat also nicht durch eigene Goldabgaben den Goldpool in den Stand gesetzt, am Goldmarkt zu intervenieren; andererseits hat es aber auch nicht dazu beigetragen, die Spannungen am Goldmarkt durch eigene Goldaufkäufe zu vergrößern.
Die Gold- und Währungskrise hat ihre Hauptursache vielmehr in den anhaltenden Zahlungsbilanzdefiziten der beiden Hauptreservewährungsländer. Diese Defizite haben das Vertrauen zum Dollar und zum Pfund geschwächt, obwohl die USA im Außenhandel nach wie vor wettbewerbsfähig sind und die Wettbewerbsposition Großbritanniens durch die Abwertung des Pfundes Ende vergangenen Jahres sicherlich gestärkt wurde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reichmann.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß die großen Goldkäufe Frankreichs bzw. der Umtausch von Dollar in Gold in ganz großem Ausmaß, was sogar in der Weltöffentlichkeit zu gewisser Kritik Veranlassung gab, mit zu dieser Krise auf dem Goldmarkt beitrugen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es sind sicherlich erhebliche Käufe seitens französischer Privatleute erfolgt; es sind auch Käufe von Privatleuten aus anderen europäischen Ländern und sicherlich auch aus außereuropäischen Ländern erfolgt. Die französische Notenbank hat sich aber an Goldaufkäufen nicht beteiligt.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8429
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reichmann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht aus Presseveröffentlichungen bekannt, daß auch die französische Notenbank in den letzten zwei Jahren sehr große Goldkäufe durchgeführt hat und dadurch ihren Goldbestand ganz wesentlich erhöht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In den letzten eineinhalb Jahren ist das nicht mehr der Fall gewesen, Herr Kollege Reichmann.
Keine Zusatzfrage. — Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, zuerst zur Frage 53 der Abgeordneten Frau Freyh:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Handhabung der Arbeitsvermittlung in Schweden, nach der offene Stellen nicht mehr nach männlichen und weiblichen Bewerbern getrennt vermittelt werden, im Hinblick auf eine entsprechende Regelung tiir geeignete Berufe in der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach § 50 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung werden in der Bundesrepublik Frauen grundsätzlich durch Frauen in Arbeit vermittelt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß sich eine weibliche Arbeitsvermittlerin besser in die Besonderheiten der Frauenerwerbsarbeit einfühlen kann. Dieser Gedanke hat nach eingehenden Erörterungen mit den beteilig len Stellen dazu geführt, daß auch der Entwurf eines Arbeitsförderungsgesetzes insoweit keine Änderung vorsieht.
Gleichwohl wird derzeit schon von dem genannten Grundsatz abgewichen, sofern eine gemeinsame Vermittlungsstelle für Männer und Frauen rationeller oder bei gewissen Berufszweigen sachgerechter erscheint. Maßgeblich für die Organisation der Vermittlungsarbeit ist der Vermittlungserfolg. Zur Zeit wird geprüft, ob es der Verbesserung und Rationalisierung der Vermittlungsarbeit dient, wenn in Arbeitsämtern mittlerer Größe für die Angestelltenberufe die bisherige Gliederung nach weiblichen und männlichen Arbeitnehmern durch eine Fachgliederung ersetzt wird.
Die Bundesregierung wird die auf diesem Gebiet in Gang befindliche Entwicklung aufmerksam verfolgen und dabei auch die in Schweden gewonnenen Erfahrungen mit berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Freyh.
Herr Staatssekretär, meine Frage zielte eigentlich nur auf den zweiten Teil Ihrer Antwort, und ich möchte Sie deshalb fragen, ob die Prüfung in Fachgliederungen, die Sie soeben
erwähnt haben, auch dazu führen könnte, daß man beispielsweise bei der Arbeitsvermittlung nur vom Befähigungsnachweis und nicht mehr — wenn ich es einmal verkürzt ausdrücken darf von der Geschlechtsangabe ausgeht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Frau Abgeordnete, die Überlegungen gehen in diese Richtung. Zu welchem Ergebnis sie führen werden, vermag ich im Augenblick nicht zu sagen. In Einzelfällen wird ja schon so gearbeitet, wie Sie es vorschlagen. Die Bundesanstali und ihre Selbstverwaltung in Nümberg beraten, wie mir bekannt ist, diese Fragen laufend.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Freyh.
Herr Staatssekretär, da es sich zumindest nach meiner Kenntnis sicherlich nur um ganz vereinzelte Versuche handeln kann, möchte ich Sie fragen, in welchem Zeitraum nach Ihrer Meinung diese Überprüfung abgeschlossen und eine Entscheidung in dieser Frage gefällt werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gnädige Frau, die Prüfung kann sich möglicherweise über eine längere Zeit erstrecken. Die Frage muß aber bei der Beratung des dem Ausschuß für Arbeit vorliegenden Entwurfs eines Arbeitsförderungsgesetzes behandelt werden. Ich würde vorschlagen, daß dieser Punkt bei der Beratung des betreffenden Paragraphen in diesem Ausschuß besonders beraten wird.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Funcke.
Darf man davon ausgehen, daß, wenn eine solche fachliche und, wie Sie sagen, sachlich begründete Zusammenfassung erfolgt, bei den Arbeitsämtern Männer und Frauen die gleichen Chancen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich hoffe das, gnädige Frau.
Ich auch.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, können Sie außer der Hoffnung Ausdruck zu geben auch noch Einfluß darauf nehmen, daß es so wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird sich bemühen, Einfluß in dieser Richtung auszuüben.
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8430 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Wir kommen damit zur Frage 55 des Herrn Abgeordneten Riegel :
Sind im Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1967 — Einzelplan 11 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — Kapitel 11 10, Titel 300 bis 310 —Einsparungen zu verzeichnen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte die beiden Fragen gern im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Riegel auf:
Falls Frage 55 bejaht wird: in welcher Höhe können Minderausgaben in der Kriegsopferversorgung festgestellt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Rechnungsjahr 1967 sind bei einzelnen Titeln des Kap. 11 10 die veranschlagten Beträge nicht in voller Höhe ausgegeben worden.
Die Minderausgaben sind bei den folgenden Titeln entstanden: Tit. 302 — Unterstützungen Ansatz 4,1 Millionen DM, Einsparungen 342 077 DM; Tit. 304 — Kosten der Heil- und Krankenbehandlung auf Grund des deutsch-österreichischen Vertrages über Kriegsopferversorgung — Ansatz 500 000 DM, Einsparungen 302 049 DM; Tit. 310 — Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz auf Grund des Gesetzes über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung — Ansatz 5000 DM, Einsparungen 5000 DM. Einsparungen insgesamt: 649 126 DM.
Die Einsparungen sind zur Deckung der überplanmäßigen Ausgaben bei anderen Titeln des Kap. 11 10 verwendet worden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind auch Einsparungen bei den Grund- und Ausgleichsrenten erfolgt, oder kann man das heute noch nicht übersehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei ihnen sind keine Einsparungen eingetreten. Die Einsparungen habe ich erschöpfend aufgeführt.
Wir kommen damit zur Frage 57 des Herrn Abgeordneten Faller:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um die französischen Krankenkassen zu einem Ausgleich der Leistungen zu veranlassen, die die Allgemeine Ortskrankenkasse für den Landkreis Lörrach für die in Frankreich beschäftigten Grenzgänger erbracht hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, die drei Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Fragen 58 und 59 des Herrn Abgeordneten Faller auf:
Welches Ergebnis hatten die vom Bundesarbeitsministerium am 13. Oktober 1967 in Aussicht gestellten Verhandlungen mit dem französischen Sozialministerium?
Ist die Bundesregierung der Auflassung, daß der AOK Lörrach die gestundeten Forderungen von fast 260 000 DM aus dein EWG-Ausgleichsfonds vorweg bezahlt werden könnten, weil es sich um eine außergewöhnliche Belastung handelt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu den Fragen 1 und 2: Bereits im Jahre 1967 hatten wir dem französischen Arbeitsministerium Verhandlungen über aktuelle deutsch-französische Probleme im Bereich der sozialen Sicherheit vorgeschlagen. Dabei sollte insbesondere auch die Frage erörtert werden, wie die zur Zeit noch offenen Forderungen, welche den deutschen Krankenkassen gegen die französischen Kassen wegen Leistungsaushilfe zustehen, möglichst bald beglichen werden können. Zu diesen Forderungen gehören auch die der Allgemeinen Ortskrankenkasse in Lörrach. Zwischen uns und dem französischen Arbeitsministerium ist seinerzeit vereinbart worden, daß die Verhandlungen vom 18. bis 24. März dieses Jahres in Bonn stattfinden sollten.
Die von uns mit dem französischen Arbeitsministerium vereinbarten Verhandlungen haben nicht stattgefunden. Von französischer Seite wurde der Termin kurz vorher mit der Begründung abgesagt, daß notwendige Rücksprachen mit den französischen Krankenkassen wider Erwarten noch nicht hätten abgeschlossen werden können. Das französische Arbeitsministerium hat uns jedoch einen neuen Termin für Ende Mai dieses .Jahres in Aussicht gestellt.
Zur Frage 3: Die Entscheidung der Frage, ob für die Allgemeine Ortskrankenkasse Lörrach die Außenstände eine „außergewöhnliche Belastung" darstellen und die Ortskrankenkasse deshalb den „Ausgleichsfonds" der EWG in Anspruch nehmen darf, ist eine rechtliche Entscheidung, für die der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nicht zuständig ist. Dies ergibt sich aus Anhang G Buchstabe F Nr. 1 der EWG-Verordnung Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Nach dieser Vorschrift entscheidet darüber, ob einzelne Träger der Krankenversicherung infolge außergewöhnlicher Belastungen Zahlungen aus dem EWG-Ausgleichsfonds erhalten, „auf Antrag die Verbindungsstelle für die Krankenversicherung im Einvernehmen mit anderen Spitzenverbänden der Träger der Krankenversicherung". Verbindungsstelle für die Krankenversicherung ist der Bundesverband der Ortskrankenkassen in Bad Godesberg. Somit ist dieser allein befugt, über die Frage zu entscheiden. Seine Entscheidung kann jedoch von den Sozialgerichten überprüft werden.
Herr Abgeordneter Faller, Sie haben sechs Zusatzfragen. Die erste, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicher selber bekannt, daß Sie mir jetzt zum dritten Mal antworten müssen, daß die französische Regierung oder das französische Sozialministerium Ter-
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Faller
mine zugesagt hat und diese Termine jedesmal wieder verschoben worden sind. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß es auf die Dauer für eine kleine Krankenkasse einfach nicht tragbar ist, wenn sie auf Jahre hinaus 260 000 DM vorschießen muß und dadurch in finanzielle Schwierigkeiten kommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bedauere diese Entwicklung mit Ihnen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Faller.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß, nachdem diese Organisation anscheinend einfach nicht klappt, nach anderen Wegen gesucht werden müßte, um hier zu einer Bereinigung zu kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir sind sicher genötigt, zu überlegen, wie wir einen anderen Weg finden können. Ich hoffe aber, daß die Verhandlungen Ende Mai in Bonn beginnen werden.
Eine dritte Zusatzfrage.
Sind Sie bereit, im Zusammenhang mit meiner dritten Frage Anträge der Ortskrankenkasse Lörrach zu unterstützen und darauf hinzuwirken, daß sie von Godesberg aus positiv beurteilt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu bin ich bereit.
Wir kommen zu der Frage 60 des Abgeordneten Schmidt :
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung im Hinblick auf eine Krankenversicherungsreform aus der Tatsache zu ziehen, daß die AOK Heilbronn nunmehr als erste Oriskrankenkasse in der Bundesrepublik auf behördliche Anordnung hin den allgemeinen Beitragssalz zum 1. April 1968 um 0,8% über die gesetzliche Höchstgrenze von 11% auf 11,8 % erhöhen muß, da sonst ein nicht. vertretbares Defizit entsteht?
Kattenstroth, Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit. und Sozialordnung: Die Allgemeine Ortskrankenkasse Heilbronn ist ein landesunmittelbarer Versicherungsträger, der der Aufsicht des zuständigen Versicherungsamtes untersteht. Nach meiner Kenntnis haben bei dieser Kasse bestimmte Umstände, vor allem die in ihrem Bereich besonders stark aufgetretene Grippewelle zu Beginn dieses Jahres dazu geführt, daß das zuständige Versicherungsamt eine vorläufige Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes auf 11,8 °/o verfügt hat. Diese Verfügung gilt nur befristet, bis die Vertreterversammlung der Kasse nach Klärung der Verhältnisse eine eigene Entscheidung trifft. Die Bundesregierung sieht zur Zeit keinen Anlaß, auf Grund dieses Einzelfalles allgemeine gesetzliche Maßnahmen vorzuschlagen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß es sich bei dieser Schwierigkeit wirklich nur um einen Einzelfall handelt, oder ist es nicht so, daß wir uns, wie Sie mir bei früheren Antworten bereits zugegeben haben, in sehr vielen Fällen an der Grenze von 11 % befinden und seitens der Bundesregierung Konsequenzen gezogen werden sollten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn ich richtig unterrichtet hin, ist die Grenze von 11 °/o bisher in einem Fall überschritten worden und jetzt in Heilbronn in einem zweiten Fall. In Heilbronn handelt es sich aber, wie ich sagte, nur um eine befristete Regelung. Ich hoffe, daß man bei der weiteren Prüfung zu einem anderen Ergebnis kommt. Sowohl das Arbeitsministerium in Stuttgart als auch der Bundesverband der Ortskrankenkassen haben Zweifel, ob der für Heilbronn für das Jahr 1968 aufgestellte Voranschlag, der ein Defizit in Höhe von 1,9 Millionen DM ausweist, einer strengen Nachprüfung standhalten würde.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir zu sagen, wieviel Prozent der Ortskrankenkassen die 11 %-Grenze am heutigen Tage erreicht haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde Ihnen diese Frage schriftlich beantworten.
Wir kommen zu der Frage 61 des Abgeordneten Schmidt :
welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zu einer Erstattung des 2%igen Abzugs aus einer Rente zur Krankenversicherung an solche Rentner, insbesondere Witwen, die bei nur einer Mitgliedschaft zwei Renten beziehen und von beiden den Krankenversicherungsbeitrag leisten müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung sieht keine Möglichkeit, daß den pflichtversicherten Rentnern, die mehrere Renten beziehen, ein Teil des von ihnen zu tragenden Beitrags zur Rentnerkrankenversicherung zurückerstattet wird. Art. 1 § 1 Nr. 14 Buchst. a des Finanzänderungsgesetzes 1967 bestimmt, daß die versicherungspflichtigen Rentner von den Beiträgen zur Rentnerkrankenversicherung 2 v. H. des Zahlbetrages der ihnen aus der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten gewährten Renten — Mehrzahl! — zu tragen haben. Damit ist durch den Gesetzgeber klargestellt, daß bei Bezug
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Staatssekretär Kattenstrothvon mehreren Renten der Rentnerbeitrag aus allen Renten zu zahlen ist.
Wir stehen am Ende der Fragestunde.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemäß § 46 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages beantrage ich die Herbeirufung des Herrn Bundeskanzlers. Dieser Antrag wird ausreichend unterstützt. Ich begründe ihn wie folgt.
Wir wünschen, daß der Bundeskanzler, wenn er hier erscheint, Gelegenheit bekommt, folgende Fragen zu beantworten.
Erstens. Hat die Bundesrepublik Deutschland und hat die Bundesregierung noch einen amtswilligen Innenminister, oder haben sie einen Innenminister auf Abruf?
Meine Herren von der Koalition, wir haben aus dem Kommuniqué der Bundesregierung entnehmen können, daß sich der Herr Bundesinnenminister seine endgültige Entscheidung vorbehalten will. Er hat gestern zu später Stunde durch seinen Pressereferenten erklären lassen, daß damit sein Rücktrittsgesuch nicht zurückgezogen sei.
Wir gehen also davon aus, daß hier in einem wichtigen Ressort ein unerträglicher Schwebezustand besteht. Wir erwarten, daß vor dem Hohen Hause Aufklärung gegeben wird, wer für die Innenpolitik in dieser Bundesregierung verantwortlich ist.
Zweitens. Meine Damen und Herren und meine Herren Vertreter der Bundesregierung, wir erwarten Auskunft darüber, wie die Position der Bundesregierung in der Grenzfrage ist. Der Herr Bundesminister des Äußeren hat in Nürnberg eine Erklärung zur Grenzfrage abgegeben. Er hat diese Erklärung in einem Interview mit einer Sonntagszeitung modifiziert. Eine neue Darstellung der Auffassung der Bundesregierung zur Grenzfrage ist gestern gegeben worden. Wir sind der Meinung, daß es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland und des gesamten deutschen Volkes liegt, wenn die Bundesregierung hier und heute präzise ihre Position in dieser entscheidenden Frage der deutschen Außenpolitik definiert.
Nachdem wir aus der Presse auch eine Reihe von unterschiedlichen Lektionen über den Begriff der Anerkennung gehört haben, würden wir auch dazu hier und heute gern eine klare Definition bekommen. Sie hätten im übrigen Gelegenheit, hier zugleich ein Wort zu den Besorgnissen über die neue Ostpolitik der Bundesregierung zu sagen, die der Herr Altbundeskanzler Erhard aus den USA nach seinen Gesprächen mit dem amerikanischen Präsidenten mitgebracht hat.
Meine verehrten Damen und Herren, falls Sie anderer Meinung sein sollten, frage ich Sie mit den Worten des Herrn Bundeskanzlers: Ist es nichts, wenn in diesem Hause Unwissenheit und Ungewißheit über die Frage, wer die Innenpolitik in der Bundesregierung zu verantworten hat, besteht? Vielleicht. Herr Benda, der hier vorn sitzt. Ich frage Sie weiter: ist es nichts, wenn in der Bundesregierung über die Position zur Grenzfrage Meinungsverschiedenheiten bestehen? Wenn Sie heute die Presse aufschlagen, wenn Sie gestern abend den Rundfunk gehört oder ferngesehen haben, wissen Sie, daß es in der deutschen Publizistik nur ein Thema in bezug auf die deutsche Politik gibt. Das sind die hier angeschnittenen Fragen. Die Menschen in unserem Lande diskutieren sie, und der Deutsche Bundestag kann heute seine Arbeit nicht aufnehmen, wenn er nicht auch von diesen entscheidenden politischen Fragen Kenntnis nimmt, die Auffassung der Regierung hört und dazu seine Meinung äußert. Meine Damen und Herren, wenn Sie uns in diesem Antrag nicht folgen, betreiben Sie die Selbstausschaltung dieses Hohen Hauses.
— Herr Kollege, wenn Sie damit einverstanden sind, daß diese Fragen nur im Kreßbronner Notparlament erörtert werden meine Fraktion ist damit nicht einverstanden!
Meine Damen und Herren, wir haben innerhalb und außerhalb des Parlaments goldene Worte über die Unruhe in der Jugend, über die Gründe für das Unbehagen, über die Gründe für das Entstehen radikaler politischer Gruppierungen gehört. Sie können heute hier einen Beitrag zur Stärkung des Ansehens dieses Parlaments und damit auch der parlamentarischen Demokratie leisten, wenn Sie diesem unserem Antrag zustimmen.
Der Antrag, den Herr Abgeordneter Genscher gestellt hat, bedarf nach § 46 der Geschäftsordnung der Unterstützung von 30 anwesenden Mitgliedern des Hauses. Wer gewahrt diese Unterstützung? — Das sind mehr als 30 anwesende Mitglieder des Haases. — Wird das Wort. gewünscht? — Das ist nicht der Fall. — Ich lasse abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei, den Herrn Bundeskanzler herbeizurufen, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen mit großer Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:Beratung der Sammelübersicht 29 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen- Drucksache V/2692 —
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Vizepräsident Dr. JaegerAuf Begründung und Aussprache wird verzichtet. — Das Haus stimmt dem Antrag des Ausschusses zu; Widerspruch erfolgt nicht.Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über eine Statistik des Personals, der Dienstbezüge, Vergütungen und Löhne im öffentlichen Dienst — Drucksachen V/1721, V/2136, V/2173, V/2224, V/2694 —Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
— Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin beauftragt, dem Hause zu sagen, daß der Herr Bundeskanzler bereit ist, zu den hier angeschnittenen Fragen heute zu sprechen. Über den Termin werden wir uns sicherlich interfraktionell verständigen können.
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Genscher!
– Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Ruhe bitten. Ich darf auch bitten, Platz zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Bundestagsfraktion der FDP erkenne ich dankbar an, daß der Bundeskanzler den Mut hat, gegen den einstimmigen Wunsch der Koalition hier zu diesen Fragen das Wort zu ergreifen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, diese Auslegung war gegenüber den Koalitionsfraktionen des Hauses ausgemacht unfair.
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Am kommenden Dienstag — das wissen Sie so gut wie wir alle — steht um 14.30 Uhr der Einzelplan des Bundeskanzlers, steht die gesamte Politik dieser Bundesregierung und der Großen Koalition zur Debatte. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß die Koalitionsfraktionen schon mit Rücksicht auf die
Ökonomie der Arbeit dieses Hauses Ihren Antrag zunächst abgelehnt haben. Wenn der Bundeskanzler trotzdem zugestimmt hat, ist die Interpretation, die Sie gegeben haben mit dem Versuch, im Grunde einen Keil zwischen die Koalitionsfraktionen und den Bundeskanzler zu treiben, indem Sie politischmoralisch werten, unfair.
Erneut zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Vorwurf der Unfairneß erhoben worden ist, möchte ich feststellen, daß die Fraktionsführungen von CDU/CSU und SPD von diesem unserem Antrag nicht überrascht worden sind, sondern in angemessener Frist vorher unterrichtet waren. Wenn die Nachrichtenübermittlung nicht klappt, ist das eine Organisationsfrage Ihrer Fraktionen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können nunmehr mit der Beratung des Punktes 3 der Tagesordnung beginnen. Das Wort hat der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß hat sich mehrfach mit dem Entwurf eines Gesetzes über eine Statistik des Personals, der Dienstbezüge, Vergütungen und Löhne im öffentlichen Dienst beschäftigt. Das Gesetz hat zwei entscheidende Ziele, nämlich Unterlagen über die Personalstruktur des öffentlichen Dienstes und über die Einkommenslage im öffentlichen Dienst zu bekommen. Bei der Beratung des Jahresgutachtens über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hat sich herausgestellt, daß vor allem die Unterlagen über die Einkommensentwicklung nicht den Aussagewert haben, den beispielsweise die Unterlagen über die Lohn- und Einkommensentwicklung in der Privatwirtschaft besitzen.Die Bestrebungen der Länder, dem Gesetzesbeschluß des Bundestages die Zustimmung zu versagen, wurden vom Vermittlungsausschuß nicht übernommen, weil nach mehrheitlicher Auffassung des Vermittlungsausschusses die Länder nicht in der Lage sind, die vom Gesetzgeber hier angestrebten Ziele mit den eigenen Erhebungen zu erreichen.Ich darf daher bitten, entsprechend den Beschlüssen des Vermittlungsausschusses, der es in der Sitzung vom 15. März 1968 mit knapper Mehrheit abgelehnt hat, dem Gesetz nicht zuzustimmen, dem Vermittlungsvorschlag zuzustimmen und den Termin des Inkrafttretens des Gesetzes auf den 1. April 1968 festzulegen, nachdem der Entwurf so lange
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Schmitt-Vockenhausendurch das Vermittlungsverfahren aufgehalten worden ist.Lassen Sie mich noch bemerken, daß bei der Ausfertigung des Gesetzes einige Druckfehler berichtigt werden müssen, die zum Teil in Zusammenhang mit der Verlegung des Termins des Inkrafttretens stehen. Erstens: In § 4 sind im Eingangssatz die Worte „September 1967" durch die Worte „September 1968" zu ersetzen. Zweitens: In § 5 sind die Worte „Jahr 1968" durch die Worte „Jahr 1969" zu ersetzen. Drittens: In § 9 sind die Worte „September 1968" durch die Worte „2. Oktober 1968" zu ersetzen.Der Bundestag hat bei der Beratung des Gesetzentwurfs erreicht, daß erhebliche Einsparungen durch eine Beschränkung des Umfanges der Erhebungen vorgenommen wurden. Es besteht zusätzlich die Möglichkeit, bei der Beratung weiterer Gesetzesvorhaben auch für 1969 auf jenen Teil der jährlichen Finanzstatistik zu verzichten, die sich mit dem öffentlichen Dienst beschäftigt. Wir werden versuchen, bei einer entsprechenden Vorlage eine diesbezügliche Novellierung des finanzstatistischen Gesetzes vorzunehmen.Ich darf Sie im Namen der Mehrheit des Vermittlungsausschusses bitten, dem Vermittlungsvorschlag und dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Werden hierzu Erklärungen abgegeben? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Eine Gegenstimme rechts. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Angenommen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen bekanntzugeben, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung der Herr Bundeskanzler unmittelbar nach der Mittagspause um 15.00 Uhr in diesem Hause erscheinen wird.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung — Geschäftsordnungsangelegenheiten —
über den Antrag der Abgeordneten Dichgans, Blank, Wagner, Ruf und Genossen
betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
über den Antrag der Abgeordneten Dr. Wörner, Dr. Häfele, Baron von Wrangel, Dichgans, Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein, Dr. Stark und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU
betr. Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages
— Drucksachen V/509, V/2343, V/2479 —
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Bauer, für seinen Schriftlichen Bericht. Ist eine Ergänzung veranlaßt? -- Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, die Schriftführerin zu meiner Rechten macht mich darauf aufmerksam, daß unter I Nr. 3 betreffend § 39 Abs. 1 insoweit ein sprachlicher Fehler enthalten ist, als das letzte Wort nicht „nahelegt", sondern „nahelegen" heißen muß. Ich nehme an, daß Sie diese Verbesserung zur Kenntnis nehmen und einmütig beschließen.
Es ist an mich der Wunsch herangetragen worden, daß zuerst, da es ja nur eine Lesung des Geschäftsordnungsantrages gibt, eine allgemeine Aussprache stattfindet.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegen dieses Hohen Hauses haben den dankenswerten Versuch unternommen, durch Vorschläge zur Änderung der Geschäftsordnung das Parlament lebendiger zu machen, wenn Sie also so wollen: durch Änderungsvorschläge zur Geschäftsordnung einen Beitrag zur Parlamentsreform zu leisten.Ich glaube allerdings, daß die Beschlüsse, die im Ausschuß für Geschäftsordnung gegen die Stimmen der Opposition gefaßt worden sind — ich nehme hier die Beschlüsse über die künftige Behandlung der Großen Anfragen aus —, nicht geeignet sind, die Probleme, die unserem Hohen Hause für seine Arbeit gestellt sind, zu lösen.Ich finde geradezu, daß hier ein Beispiel für formal-demokratische Lösungsversuche gegeben wird, die am Kern der Probleme vorbeigehen. Der zentrale Punkt dieser Vorschläge ist die Abkürzung der Redezeiten. Haben Sie den Eindruck, daß wir in dieser Legislaturperiode wirklich zum Schaden der Arbeitsfähigkeit dieses Hohen Hauses unter einer zu starken Ausschöpfung der Redezeit gelitten haben?
Glauben Sie wirklich, daß eine Abkürzung der Redezeit dazu führen kann, daß von diesem oder jenem Kollegen dramatischer gesprochen wird? Wenn, dann können Sie es schon heute.
— Sie sind doch nicht verpflichtet, Herr von Wrangel, Ihre Redezeit auszuschöpfen, sondern Sie können sich selbst beschränken.Mir, meine Damen und Herren, scheint es so zu sein, daß hier Kollegen einer bestimmten Fraktion den Versuch unternehmen, innerparteiliche Probleme zu lösen,
Probleme, die darin bestehen —
— Das mag sein. So groß ist eben das Problem beiIhnen, daß es so viele Abgeordnete sind. Sie wollendas Problem lösen, daß bestimmte Kollegen nicht zu
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GenscherWort kommen. Dieses Problem müssen Sie in Ihrer Fraktion lösen, meine verehrten Kollegen.
Das können Sie nicht durch eine Beschneidung der Redezeit machen. Das Parlament ist der Ort der Aussprache. Die freie Rede in diesem Hause ist geradezu ein Grundbestandteil einer wirksamen und funktionsfähigen parlamentarischen Demokratie. Dazu gehört, daß Sie in angemessenem Umfang — wir haben ja eine Beschränkung auf eine Stunde — die Argumente auch dieser und anderer Kollegen anhören.Wenn Sie hier einen Beitrag dazu leisten wollten, das Parlament lebendiger zu gestalten, hätten Sie lieber mit uns jene Bestimmung streichen sollen, durch die eine Abkürzung der Gesamtdebattenzeit möglich ist. Es ist eine sehr gefährliche Bestimmung für eine freie Parlamentsdebatte. Ich werde nachher bei der Einzellesung noch darauf zurückkommen.Meine verehrten Damen und Herren, die Probleme, die diesem Hause gestellt sind, sind völlig andere. Es geht um das Verhältnis von Parlament und Exekutive. Ausreichende Entscheidungshilfen stehen uns nicht zur Verfügung. Der Abgeordnete muß sich selbst in der Diskussion stellen, ohne daß er mit einer großen Zahl von Beratern hinter seiner Bank aufwarten kann, während die Regierungsbank in ihrer Gestaltung geradezu eine Einladung für 20, 30 und 40 Beamte ist, um besonders jenen Ministern behilflich zu sein, die in ihrem Ressort noch nicht so voll zu Hause sind und in einem Fall auch nicht zu Hause sein werden.
Um das Parlament interessant und lebendig zu machen, ist entscheidend, daß hier auch die politischen Fragen diskutiert werden. Da hätten Sie, meine verehrten Kollegen, eben bei der Abstimmung einen Beitrag leisten können. Wo sind denn die Antragsteller geblieben, die sich darüber beklagen, daß wir keine lebendige Debatte haben! Es sind doch sehr heiße Themen, zu denen wir nachher einiges aus dem Munde des Bundeskanzlers hören werden. Als wir die Herbeirufung beantragt hatten, hätten die Antragsteller einen Beitrag leisten können; denn wenn Sie die Arme hochheben, brauchen Sie Ihre Fraktionsführung vorher wohl nicht mehr zu fragen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie über die Probleme dieses Hohen Hauses sprechen, lassen Sie sich hier auch noch ein paar andere Dinge sagen. Die Antragsteller hätten einen Beitrag zur Stärkung der Bedeutung des Parlaments und zur lebendigen Aussprache leisten können, als wir im Juli des vergangenen Jahres den Antrag stellten, die Bundesregierung möge hier rechtzeitig in den Parlamentsferien ihre mittelfristige Finanzplanung vorlegen, damit das Parlament sofort zu einer bewegenden Frage der deutschen Politik Stellung nehmen kann. Da haben Sie — die Antragsteller — sich versagt. Da hätten Sie etwas tun können, um das Ansehen dieses Parlaments zu stärken.
Die Themen, die wir heute behandeln werden, hätten hierher gehört.Haben Sie nicht den Eindruck gehabt, daß durch die Art, wie die Bundesregierung das Finanzänderungsgesetz 1967 durchgepeitscht hat, die Parlamentsarbeit, geradezu denaturiert worden ist?
Auch die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen haben beklagt, daß die Fraktionen unter Zeitdruck standen, daß eine ausreichende Beratung in den Ausschüssen nicht möglich war. Herr Schellenberg mußte seinen Sozialpolitischen Ausschuß als „sozialpolitisches Notparlament" konstituieren, um vor der dritten Lesung Weisungen für das Verhalten der Verwaltung zu geben. Das sind Bedrohungen für die Arbeitsfähigkeit dieses Hauses und für eine sachgemäße und lebendige Beratung.Ich glaube, daß die Antragsteller, wenn sie einen Beitrag zu einem lebendigen, arbeitsfähigen Parlament leisten wollten, auch mit uns hätten aufstehen müssen, als der Verkehrsausschuß mit der Mehrheit von CDU und SPD — allerdings haben auch einige CDU-Kollegen mit uns gestimmt, das möchte ich anerkennen — beschlossen hat, daß bei einer Sachverständigenanhörung — man höre: Sachverständigenanhörung! — das Fragerecht der Fraktionen nach d'Hondt, allerdings mit einem Sockelbetrag für die Opposition, zugeteilt wird. Das ist eine Pervertierung der freien Erkenntnisverschaffung im Parlament.
Einer der Hauptbefürworter dieser sogenannten Parlamentsreform hat hier gesagt, die Mikrophone müßten für jeden im Plenarsaal zur Verfügung stehen; er habe ein gewisses Mitgefühl mit meinem Kollegen Spitzmüller, weil dieser hier so oft habe herauf und herunter springen müssen. Meine Damen und Herren, das war nicht eine Frage der Aufstellung der Mikrophone, sondern das war ein Ergebnis einer unzureichenden Blitzbehandlung wichtigster Gesetze in den Ausschüssen; es mußten Ausschußberatungen im Plenum durchgeführt werden.
Das führte dazu, daß viele Kollegen gar nicht übersehen haben, was sie beschlossen haben. Haben Sie nicht damals bei der Beratung des Finanzänderungsgesetzes bei dem ängstlichen Festhalten an einem Paket den Eindruck gehabt, daß hier aus der Addition der Ablehnung eine Summe der Zustimmung aus Koalitionsdisziplin wider besseres Wissen gemacht wurde?
Gehen Sie doch einmal in die Versammlungen hinaus! Ich habe es immer wieder erlebt, wenn ich mit Kollegen anderer Fraktionen diskutierte, daß sie sagten: Gegen diesen Punkt war ich und gegen jenen Punkt war ich. Dann stellte ich die Frage: Wo sind denn eigentlich die Mehrheiten für ein solches Gesetz wie das Finanzänderungsgesetz hergekommen, das entscheidend in die Belange vieler Menschen eingegriffen hat?
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GenscherNein, meine Damen und Herren, wenn Sie einen Beitrag zur Reform dieses Parlaments leisten wollen, dürfen sie nicht nur an die Geschäftsordnung herangehen, sondern müssen dafür sorgen, daß wir dieses Hohe Haus wieder zum Ort der politischen Aussprache über die entscheidenden politischen Probleme machen, daß die Bundesregierung ihre Auffassungen zu wichtigen politischen Fragen nicht irgendwo draußen auf Parteitagen und bei anderen Veranstaltungen vorträgt, sondern daß sie ihre entscheidenden Erklärungen hier vor dem Parlament abgibt, damit das Parlament zu diesen Fragen Stellung nehmen kann. Dann hätten Sie eigentlich mit uns aufbegehren müssen, als hier der Bundesinnenminister erklärt hat — wie hat er gesagt: wer mit offenen Augen hören kann, oder so ähnlich; eine besonders schwierige Sache, wie man das macht —, wer die Menschen draußen versteht — so wollte er wohl sagen —, der weiß, daß sie kein Verständnis für die Auseinandersetzungen der Parteien haben. — Das Gegenteil ist der Fall! Die Menschen, vor allen Dingen unsere Jugend, wollen, daß daß die politischen Probleme erörtert werden, damit sie sich aus dem Austausch der Argumente ihr Urteil und ihre Meinung bilden können. Darum geht es uns bei einer Reform des Parlaments.
Darum sage ich Ihnen: wenn Sie das Parlament reformieren wollen, beschneiden Sie nicht die Redezeit und stellen nicht ein paar Mikrophone um. Wenn Sie dieses Parlament reformieren wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, die diesen Antrag unterstützen, bitte ich Sie herzlich: sorgen Sie dafür, daß der Geist eines freien Parlaments durch die Wahrnehmung Ihrer parlamentarischen Rechte — das heißt: durch die Verlagerung der politischen Entscheidungen in dieses Haus — verwirklicht wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Blachstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Genscher, ich bin nicht ganz sicher, ob Sie der Sache einen guten Dienst erwiesen haben, die wir hier behandeln sollen, indem Sie sie so polemisch aufgezogen haben, wie Sie es gemacht haben. Dabei möchte ich hinzufügen, daß ich einige Ihrer Argumente durchaus für nicht nur erwägenswert, sondern für durchschlagend halte.Zunächst zum § 37! Geht es hier nur um Geschäftsordnung oder geht es hier um das Recht der Abgeordneten dieses Hauses und um die Rechte des Bundestages? Ich persönlich bin von den geplanten Vorschriften der freien Rede nicht gerade besonders betroffen; denn ich habe von der ersten Gelegenheit an, in diesem Hause zu sprechen, frei gesprochen,
und auch bei Abstimmungen, Herr Kollege, frei entschieden. Aber bei den Problemen, mit denen wires hier zu tun haben, ist, glaube ich, eine Festlegungauf die freie Rede, wie sie hier verlangt wird, eine Überforderung der Abgeordneten, insbesondere wenn man ihre Kontrollfunktion gegenüber der Regierung ernst nimmt. Denken Sie an Aussprachen wie etwa die Diskussion über die Lage der Nation, an die schwierigen Probleme der Sozialgesetzgebung, der Finanzen, der Mehrwertsteuer, der Außenpolitik, der Landwirtschaft, der jungen Generation. Ich könnte den Katalog verlängern; ich will das nicht tun. Wie sollen das die Abgeordneten eigentlich machen, die für sich, für ihre Fraktionen, für ihre Arbeitskreise, in denen zum Teil bestimmte Festlegungen erfolgt sind, hier sprechen sollen, wenn sie gehindert sind, mindestens bestimmte Teile ihrer Reden so gründlich vorzubereiten, wie das heute die Schwierigkeit der Materie erfordert und wie es mir notwendig erscheint?Wenn es dazu kommt, daß — wie es hier vorgesehen ist — nur mit Genehmigung des Präsidenten Reden verlesen werden dürfen, dann wird das, fürchte ich, die gleiche leere Formel, die wir hier seit Jahren anwenden, indem die meisten Redner, nachdem sie ein Manuskript vorlesen, sich dann plötzlich an den Präsidenten wenden und fragen, ob sie mit Erlaubnis des Präsidenten irgendetwas zitieren dürfen, obwohl sie die ganze Zeit abgelesen haben, was im Grunde der Geschäftsordnung widerspricht. Ich fürchte, daß wir, wenn wir diesen Vorschlägen des Ausschusses folgen, nur das gleiche wiederholen, nämlich den Präsidenten in die unangenehme Lage versetzen, etwas genehmigen zu müssen, was eigentlich nicht genehmigt werden sollte.Denn es ist ja eine Unterscheidung vorgesehen. Es ist die Unterscheidung zwischen Fraktionssprechern und den anderen Abgeordneten vorgesehen. Die Fraktionssprecher sollen die Möglichkeit haben -zum mindesten ist es so erläutert worden —, hier auch vorbereitete Manuskripte zu verlesen. Meine Damen und Herren, hier muß ich sagen: ich bin dagegen, daß sich dieses Haus in ein Zweiklassenparlament teilt,
eine Klasse privilegierter Redner und eine andere Klasse sozusagen der 15-Minuten-Abgeordneten, die nur mit besonderer Genehmigung von den besonderen Privilegien einer anderen Schicht von Abgeordneten Gebrauch machen dürfen.
Mir scheint das ein unmögliches Verfahren zu sein. Mir scheint es auch eine Zumutung für die amtierenden Präsidenten zu sein, sie in die Lage zu versetzen, solche Entscheidungen treffen zu müssen. Wir sind, wie mir scheint — erlauben Sie mir, das nach 18 Jahren Zugehörigkeit zu diesem Hause zu sagen —, schon heute sehr weitgehend ein Honoratiorenparlament. Da sind ganz oben der Präsident und die Vizepräsidenten, dann kommen die Fraktionsvorsitzenden und ihre Stellvertreter, dann kommen die Ausschußvorsitzenden und Arbeitskreisvorsitzenden. Die haben bessere Räume, die haben technische und wissenschaftliche Hilfskräfte. Dazu kommen Verbands- und Gewerkschaftsbosse
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Blachsteinmit eigenem Apparat, zum Teil mit gut ausgestatteten Apparaten. Und dann kommen neben diesen etwa, ich schätze, 50 privilegierten Abgeordneten 450 „Neger", die die ganze Arbeit, die auf ihnen lastet, ganz allein machen müssen,
vom Postholen bis zur politischen Fundierung ihres Urteils und der Vorbereitung ihrer Reden mit allem, was heute dazugehört.Ich bin der Meinung, es wäre eine schlechte Sache, wenn wir in diesem Haus eine Klassenstruktur einführten, indem sogar in der Geschäftsordnung diese Unterschiede, die in den Arbeitsmöglichkeiten schon heute gegeben sind, durch ein Verfahren, wie es hier der Ausschuß vorschlägt, festgelegt werden.Das Grundgesetz kennt nur eine Art von Abgeordneten, nämlich den vom Volk gewählten und ausschließlich seinem Gewissen verantwortlichen Abgeordneten, und dabei sollte es meiner Auffassung nach bleiben.Nun zur Redezeit! Herr Präsident, meine Damen und Herren, sicher wäre es manchmal nützlich, wenn manche Rede kürzer wäre. Aber den einen die bisher in der Geschäftsordnung vorgesehene Höchstredezeit von einer Stunde zuzubilligen und den anderen ein Viertel davon, scheint mir von der Sache her schon darum nicht möglich, weil im Verlaufe einer Debatte überhaupt nicht abzusehen ist, wie oft, wie lang und mit wieviel Rednern die Regierung in die Debatte eingreift, und durch das Eingreifen der Regierung in die Debatte können sich andere Notwendigkeiten für das Parlament ergeben, als sie vorauszuberechnen sind.Es heißt im § 39 so, wie er uns vorgelegt wird: Der Präsident kann die vorgesehene Redezeit verlängern; er soll sie in bestimmten Fällen unter bestimmten Voraussetzungen verlängern. Aber bei allem Respekt vor dem Präsidenten und den Vizepräsidenten: Woher weiß er eigentlich, was ein Abgeordneter im Laufe einer Debatte sagen wird? Wie soll er ihm denn vorher schon sagen, das sei so wichtig für diese Debatte, ohne daß er die Rede kennt? Wollen Sie den Präsidenten zu einem Zensor über die Abgeordneten machen? Mir schiene das notwendig, wenn man zu diesen Bestimmungen kommt. Wie und nach welchen Richtlinien soll der Präsident darüber sachlich, objektiv, wie es von ihm erwartet werden muß, entscheiden können? Und auf welche Redezeit soll sich ein Redner eigentlich vorbereiten? Er weiß ja nicht, ob der Präsident ihm die Genehmigung erteilen wird. Muß er damit rechnen, mit 15 Minuten auskommen zu müssen, oder kann er damit rechnen — und kann er daher das, was er vorzutragen hat, so weit unterbauen und ausbauen —, daß er 20 oder 30 Minuten zur Verfügung hat, um seine Argumente hier vortragen zu können?Ich glaube, daß die FDP in diesem Zusammenhang mit Recht auf die Notwendigkeit der freien Möglichkeiten der Opposition hingewiesen hat. Es ist ganz uninteressant, wer heute in diesem Hause Opposition ist, wer es gestern war, oder wer es morgen sein wird. Mir geht es darum, daß dieRechte der Opposition in diesem Hause, die ein gleichwertiger Bestandteil unseres parlamentarischen Systems sind, um keinen Zentimeter durch Geschäftsordnungsänderungen eingeschränkt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Vorschläge stammen zum Teil aus den Erfahrungen des Europarats. Das ist ein anderes Parlament, dort ist ein anderer Saal. Vor allem aber steht dieser Europarat keiner Regierung gegenüber, die er zu kontrollieren hat, und insbesondere hat dieser Europarat keine Gesetzgebungsbefugnis. Ich glaube, das ist ein wesentlicher Unterschied. Ich meine deshalb, daß die guten Erfahrungen, die ich aus zehnjähriger Mitarbeit im Europarat kenne, auf dieses Haus mit seinen Pflichten einfach nicht zu übertragen sind.
Mir scheint, in einer Debatte kommt es nicht entscheidend auf die Zahl der Redner an, sondern auf die Qualität dessen, was sie hier zu sagen haben. Es geht in diesem Bundestag nicht darum, ob er „interessant" ist, es geht nicht um Originalität, sondern es geht um die Solidität unserer Arbeit, es geht um die Sachkenntnis dieses Hauses, es geht um die Überzeugungskraft jedes einzelnen Abgeordneten und der Gruppen in diesem Hause miteinander und gegenüber der Regierung. Kommen gleichzeitig Geist und Witz zur Solidität und zur Überzeugungskraft hinzu, nun, um so besser! Es gab in diesem Hause große Parlamentarier wie Kurt Schumacher oder wie Michael Horlacher oder wie Konrad Adenauer oder auch wie Thomas Dehler, die all das in einer großartigen Weise miteinander verbunden haben, und wir haben auch heute Kollegen unter uns, die das können. Nun, um so besser für uns und um so besser für die parlamentarische Demokratie in diesem Lande, wenn Geist und Witz mit Sachkenntnis und Überzeugungskraft verbunden sind!Und der Dialog? Ja, meine Damen und Herren, die Rednerfolge liegt doch fest! Wenn Sie auf einen Redner um 3 oder 4 Uhr antworten wollen, dann kommen sie abends um 1/2 9 Uhr dran. Kein Mensch weiß mehr, was der Redner um 3 Uhr gesagt hat. Der Dialog ist verpufft, weil einfach kein Gespräch zustande kommen kann, weil die Präsidenten und die Schriftführer daran gebunden sind, daß nach der Reihenfolge der Wortmeldungen vorgegangen wird.Wenn wir im gegenseitigen Einverständnis gelegentlich davon abgewichen sind, dann haben jeweils gerade die, die jetzt gern zu Wort kommen wollen, am meisten Bedenken dagegen angemeldet, daß solche Dialoge z. B. zwischen den Fraktionsspitzen oder zwischen den Fachleuten der Fraktionen über bestimmte Fragen zugelassen wurden, weil damit ihre Chancen, zum Sprechen zu kommen, weiter in den Abend hinaus verlegt wurden.Das trifft für uns alle zu, für Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, genauso wie für uns in der Koalition heute: das Mißvergnügen mancher, sehr spät am Abend unter sehr geringer Beteiligung des Hauses und unter fast keiner Beachtung
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8438 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Blachsteinder Öffentlichkeit — weil die Redaktionszeiten vorüber sind — zu Wort zu kommen.Aber das kann man nicht durch Geschäftsordnungsänderungen aufheben. Ich sage ja zu mehr Selbstdisziplin in diesem Hause. Ich sage ja zu freien Reden. Ich wäre glücklich, wenn sich möglichst viele auch der führenden Sprecher dazu entschließen könnten, frei vor diesem Hause zu reden, soweit es möglich ist, soweit es schwierige Fragen gestatten, soweit damit die Opposition in ihren Rechten in keiner Weise begrenzt oder beschnitten wird, soweit die Kontrolle der Regierung in vollem Umfang aufrechterhalten wird und mit voller Qualität aufrechterhalten werden kann.Ich wünsche mir einen selbstbewußten Bundestag mit Abgeordneten mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten. Arbeit gibt es hier genug in diesem Hause für den, der arbeiten will. Ich möchte auch einige der Kollegen davor warnen, zu meinen, daß die Qualität eines Abgeordneten davon abhinge, wie oft und wie lange er im Plenum spricht.Ich würde deshalb, meine Damen und Herren und Herr Präsident, vorschlagen, die Nrn. 1 und 3 — d. h. die §§ 37 und 39 — an den Ausschuß zurückzuverweisen, falls sich das Haus nicht dazu bereit findet, die vorgeschlagenen §§ 37 und 39 abzulehnen. Die Nrn. 2, 4, 5, 6 und 7 scheinen mir sinnvolle Ergänzungen unserer Geschäftsordnung zu sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, dem Antrag des Ausschusses in vollem Umfang stattzugeben. Gestatten Sie mir ein paar ganz kurze Bemerkungen zu dem, was Herr Genscher und Herr Blachstein hier gesagt haben.
Ich glaube, wir sind uns alle darüber einig, daß es sich hier nicht um die große Reform dieses Parlaments handelt, sondern daß das nur ein Versuch eines kleinen Schrittes sein kann, von dem wir nicht einmal behaupten können, daß er mit Sicherheit schon wirklich eine Verbesserung bringen wird. Uns kommt es darauf an, daß dieser Versuch einmal gemacht wird und daß wir dann nach einiger Erfahrung vielleicht gewisse Schlußfolgerungen daraus ziehen können.
— Die Methode Dutschke, meinen Sie? Sind Sie völlig gegen Experimente, Herrn Dorn? — Ja, ich frage Sie.
— Sie finden, das, was Sie sagen, fällt nie unter diese Kategorie, nicht wahr, Herr Dorn? — Nun, mit Herrn Dutschke sind Sie durch Ihren Herrn Professor Dahrendorf etwas besser bekannt geworden.
Ich kenne die Methode von Herrn Dutschke nicht so genau.
Nun, daß die Problematik dieses Bundestages tiefer reicht, das wissen wir alle. Daß sich überhaupt die Frage stellt, wie es mit diesem Parlament weitergehen soll, das ist auch ganz klar. Lassen Sie mich dazu ganz ehrlich meine Meinung sagen. Ich bin nicht mehr der Auffassung, daß die Gewaltenteilung hie Regierung — hie Parlament langfristig gesehen im Plenarsaal noch aufrechterhalten werden kann.
Die tatsächliche Gewaltenteilung vollzieht sich vielmehr zwischen Regierung plus Regierungspartei hier und Opposition dort. Das ist die eigentliche Gewaltenteilung, also das englische System. Aber ich glaube, dafür wäre die Einführung des Mehrheitswahlrechts erforderlich, und davon sind Sie ja nicht begeistert.
— Selbstverständlich! Wollen Sie bezweifeln, daß die Engländer eine parlamentarische Demokratie haben?
Herr Abgeordneter Dr. Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friderichs?
Ja, bitte!
Ist Ihnen bekannt, daß die Regierungskrise von gestern nicht auf unsere Begeisterung für oder gegen das Mehrheitswahlrecht zurückzuführen ist, sondern auf die „Begeisterung" Ihres Koalitionspartners?
Sie wissen ganz genau, daß es in der Koalition Meinungsverschiedenheiten bezüglich des Mehrheitswahlrechts gibt. Das ist kein Geheimnis. Aber das hindert mich doch nicht daran, hier meine eigene Meinung vorzutragen und zu sagen, daß ich ein Anhänger des Mehrheitswahlrechts bin.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Moersch?
Bitte!
Wollen Sie sich mit Ihrer neuen Auslegung des Begriffs „Gewaltenteilung" selbst als Beamter in diesem Parlament bestätigt sehen?
Herr Moersch, Sie scheinen immer noch oder erneut in marxistischen Kate-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8439
Dr. Häfelegorien zu denken. Für Sie gibt es nur bestimmte Klassen. Wenn einer diesem Parlament angehört, so ist er in Ihren Augen entweder Beamter oder Angestellter oder Arbeiter oder Unternehmer. Gibt es denn nicht Abgeordnete, die auch für jemand oder etwas anderes denken als nur für die Klasse, aus der sie stammen, Herr Moersch?
Ich wollte damit nur sagen: Wir sind uns alle darüber im klaren, daß das nicht die große Reform dieses Parlaments sein kann. Aber es ist ein Versuch, durch den die Dinge, wie wir, die Antragsteller, glauben, etwas gebessert werden könnten. Denn wir haben doch die Erfahrung. Wir haben kürzlich wieder bei der großen Aussprache über den Bericht des Kanzlers zur Lage der Nation bestimmte Erfahrungen gemacht. Das waren doch weitgehend keine Dialoge. Als abends um 22 Uhr beinahe ein echter Dialog begonnen hatte, war die Debatte ja schon zu Ende, nämlich als Herr Minister Wehner — leider viel zu spät — in die Debatte einstieg. Das hätte im Laufe des Tages geschehen müssen. Dann wäre vielleicht eine echte Dialog-Debatte entstanden.
Daß das Problem der Diskussion in diesem Hause auch mit dem Bestehen der Großen Koalition zusammenhängt, wissen wir natürlich alle. Daß es nicht das Normale für ein Parlament ist, daß eine Große Koalition auf längere Frist besteht, wissen wir ebenfalls alle. Daß dies also dadurch nicht geändert werden kann, ist uns auch bekannt.
Herr Abgeordneter Häfele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blachstein?
Bitte, ja!
Herr Kollege, Sie können doch durch die Geschäftsordnung nicht erreichen, daß Minister zu den Tageszeiten sprechen, die uns passen.
Herr Blachstein, das habe ich nicht behauptet. Ich habe nur gesagt, wir hätten dann in jener Debatte vielleicht einen Dialog bekommen, den wir damals leider weitgehend nicht hatten. Es war doch eine Abfolge von vorbereiteten Erklärungen, eine halbe Stunde oder noch länger, von Erklärungen, die hintereinander, ohne daß sie unmittelbar miteinander zu tun hatten, abgespult worden sind. Gerade das wollen wir ändern.
. — Zuruf des
Abg. Dorn.)
Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Blachstein?
Ja, bitte!
Meinen Sie denn, daß das durch geschäftsordnungsmäßige Regelungen in irgendeiner Weise zu ändern ist?
Ja, Herr Blachstein, ich glaube, daß es besser ist, wenn jeder kürzer spricht. Ich glaube ferner, daß die 15-Minuten-Grenze im allgemeinen ein Fortschritt ist, und zwar in Verbindung vor allem mit folgendem, was Sie vielleicht vorhin übersehen haben, Herr Blachstein. Sie haben nämlich gesagt, daß die Reihenfolge der Redner festliege. Das stimmt nicht. Nach § 33 der Geschäftsordnung kann der Präsident die Reihenfolge ja durchaus ändern. Wenn diese Praxis sich vielleicht noch etwas besser einspielt, und zwar in Verbindung mit der Kürze der Beiträge von 15 Minuten, ist das, wie ich glaube, durchaus ein Weg, um hier eine Verbesserung in Richtung auf einen echten kurzen Dialog zu erzielen.
Meine Herren von der Opposition, es ist doch bestimmt nicht so, daß wir damit vorhätten, die Rechte der Opposition zu schmälern.
— Nein, daran denken wir mit diesem Antrag beileibe nicht.
— Im Gegenteil, Herr Moersch! Die Opposition könnte doch eigentlich froh sein, wenn es hier zu einem echten Dialog käme. Davon würde ja vor allem auch die Opposition profitieren. Allerdings hängt es natürlich vom Können der Opposition ab, ob es ein echter Dialog wird.
Herr Genscher hat gesagt, in irgendeinem Ausschuß — ich glaube, es war der Verkehrsausschuß
— habe Zeitnot geherrscht, und man habe einen Proporz in bezug auf die Zeit bestimmt. Ich habe mir eben von einem Mitglied des Verkehrsausschusses sagen lassen, daß damals nur einer der beiden Vertreter der FDP überhaupt anwesend war, so daß die ihm zur Verfügung stehende Zeit nicht einmal habe ausgenutzt werden können. Ich war nicht dabei. Das hat mir ein Kollege aus dem Ausschuß gesagt.
Bitte schön!
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß diese Ihnen zuteil gewordene Information nicht den Tatsachen entspricht?
Also, ich kann das nicht sagen, ich bitte doch vielleicht jemanden vom Verkehrsausschuß zu fragen.
Ich habe Sie nur gefragt, ob Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen.
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8440 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Ich habe es korrekt wiedergegeben; ich wußte es selbst nicht, es hat mir nur jemand gesagt. Vielleicht kann ein Kollege des Verkehrsausschusses die Sache klären. Sei es wie es wolle, Herr Friderichs, ob im Ausschuß das so oder so gemacht wird, hat doch mit dieser Frage nichts zu tun, mit der Frage, ob im Plenum des Deutschen Bundestages in der Regel die Reden nur 15 Minuten dauern sollen.
Nun, Herr Blachstein, ich muß ein paar Bemerkungen zu dem machen, was Sie gesagt haben. Auch mit Ihnen bin ich im Grundsätzlichen einig, daß das nicht die große Reform sein kann, sondern nur der Versuch eines kleinen Schrittes ist. Sie sagen: Ein Redner weiß ja dann gar nicht, auf welche Redezeit er sich vorbereiten soll. Bekommt er jetzt nur die 15 Minuten — wie im Normalfall —, oder wird die Redezeit ausnahmsweise doch ausgedehnt? Meine Damen und Herren, wenn die Mitglieder des Deutschen Bundestages nicht in der Lage sind, auch aus dem Stegreif zu einer konkreten Sache, zu der sie etwas zu sagen haben, entweder nur 10 Minuten oder eine halbe Stunde zu sprechen, sind sie hier am falschen Platz.
Wenn ich mich tagelang vorher an Hand der Uhr
und womöglich vor dem Spiegel auf 45 oder 55
Minuten vorbereite, bin ich hier am falschen Platz.
Meine Damen und Herren, es ist hier gesagt worden, daß der amtierende Präsident praktisch zuviel Rechte bekomme, er sei dann quasi der Zensor, wenn es von ihm abhänge, ob nur die 15 Minuten im Normalfall oder eine längere Redezeit zugestanden würden. Ich räume ein, daß das ein Problem ist. Ich glaube aber, daß das praktisch auf die glückliche Handhabung ankommt, vor allem in Verbindung mit den Fraktionen. Schauen Sie, als der verehrte Kollege Dehler noch diesem Hause angehörte — ich erinnere mich an die große Aussprache zur Regierungserklärung nach Bildung der Großen Koalition —: Hätte irgend jemand — obwohl ich in der Sache in dieser Frage nicht mit ihm einig bin — von uns daran gedacht, ihn damals nicht meinetwegen eineinhalb Stunden lang so eine glühende Rede vortragen zu lassen? Meinen Sie, wir wollen so etwas beschneiden? Wenn der Kollege Dehler kommt — und wir kennen ja allmählich die Redner, die gut sind, und die, die nicht so gut sind — und sagt, er habe jetzt wirklich mit Heißblut zu dieser Frage etwas zu sagen und brauche dazu eine Stunde, dann bekommt er die. Die bekommt auch der Herr Genscher, wenngleich er nicht ganz so das Format des Herrn Kollegen Dehler hat.
Meine Damen und Herren, eine kleine Bemerkung muß ich noch machen. In diesem Ausschußantrag steht unter Nr. 7, daß bezüglich der Aktuellen Stunde der Satz gestrichen werden soll — Anlage 6 der Geschäftsordnung —, nach dem hier eine Verlesung von Erklärungen oder von Reden unzulässig ist. Es
soll also die allgemeine Regelung auch bei Aktuellen Stunden gelten. Ich habe hier gewisse Bedenken, aber man kann es so laufen lassen, weil ja auch die allgemeine Regelung verändert worden ist. Ich möchte hier nur eines klarstellen: Es darf ja nicht so weit kommen, daß dann etwa in der Aktuellen Stunde künftig mehr Erklärungen vorgelesen werden als bisher. Das wäre ein völliges Mißverständnis dieser Regelung, daß aus der Streichung dieses Satzes sozusagen der Umkehrschluß gezogen würde: also wird es künftig bei der Aktuellen Stunde etwas lockerer gehandhabt; man kann jetzt präzis wiederum am Tage vorher oder drei Tage vorher seine fünf Minuten vorbereiten. Das darf nicht der Sinn dieser Änderung sein, wir wollen ja gerade die Lebendigkeit haben, natürlich erst recht in der Aktuellen Stunde.
Bitte schön, Herr Genscher!
Herr Kollege, da Sie die Redezeit nach dem Format des Redners verteilen wollen, wollte ich Sie fragen, ob Sie sich darüber im klaren sind, daß Sie sich dem Ende der Ihnen zustehenden Redezeit schon genähert haben.
Herr Genscher, ich bedanke mich für das Kompliment; offensichtlich wollen Sie mich auf eine ähnliche Stufe stellen, wie ich sie Ihnen vorhin zugebilligt habe.
Meine Damen und Herren, welche Fraktion wird denn so töricht sein, für einen schlechten Redner eine Redezeit von ein bis zwei Stunden zu beantragen? Das läuft doch in der Praxis alles viel vernünftiger, als Sie es hier an die Wand malen.
Insgesamt, meine Damen und Herren, möchte ich im Namen der Antragsteller bitten, den Ausschußantrag anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beitrag des Abg. Dr. Häfele zeigt, daß man sich im Parlamentarismus sehr wohl im Formalen erschöpfen kann, und ich glaube, Herr Dr. Häfele war erschöpft mit diesen 12 Minuten.
— Zwischenrufe kann ich aufnehmen; auf Urlaute kann man schwerlich antworten.
Herr Abgeordneter Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn , Abgeordneten Dr. Häfele? Bitte!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8441
Herr Moersch, sind Sie tatsächlich der Meinung, daß ich jetzt erschöpft bin?
Wir wollen gleich noch einmal weiterdiskutieren, Herr Dr. Häfele. Die Frage beantwortet sich sicher aus dem, was jetzt hier vorzutragen ist; da bin ich ganz sicher.Nein, Herr Dr. Häfele, es ist Ihr großes Verdienst das ist ungeschmälert zu sagen —, daß Sie dieses Parlament zu einer Besinnung über sich selbst und über die Form des Parlamentarismus gezwungen haben. Das hatten Sie zwar dabei nicht beabsichtigt, aber ich finde es sehr nützlich, daß wir darüber diskutieren; denn es zeigt mir, daß hier Kollegen sitzen, die z. B. Bücher und Zeitschriftenaufsätze schreiben und die eine hier herrschende Praxis ihrer Theorie anpassen möchten. Ich war bisher der Meinung, daß sich das Parlament aus den praktischen Bedürfnissen heraus entwickelt hat, die die Demokratie nun einmal hat. Ich war immer der Meinung, daß die Wissenschaftler dann hinterher versuchen, daraus eine Theorie weiterzuentwickeln. Daß man sich aber ins Parlament wählen läßt, um theoretische Probleme, die man sich vorher gestellt hatte und die sehr oft Scheinprobleme sind, nachher durch Änderungsanträge in der Praxis bestätigen zu lassen, —dieses neue Verfahren haben Sie hier mit eingeführt. Ich halte es für ziemlich unsinnig, sich damit so sehr und so lange zu beschäftigen, wie wir es tun.Dieses Parlament war mit der alten Geschäftsordnung teilweise sehr gut und teilweise weniger gut. Das liegt auch daran, daß die Auswahl derer, die ins Parlament kommen, nicht immer gleichmäßig gut gewesen ist, Herr Dr. Häfele. Das scheint mir das Hauptproblem zu sein, daß z. B. auch die Auswahl derer, die Sie zu Geschäftsführern wählen, vielleicht nicht Ihren Bedürfnissen als Parlamentarier entspricht. Das ist aber Ihr Problem und nicht unser Problem; das müssen Sie dann lösen, wenn Sie glauben, daß Sie hier nicht genügend zur Geltung kommen.Ich möchte Sie einfach davor warnen, die Verbesserung der parlamentarischen Demokratie unter formalen Gesichtspunkten zu betrachten. Daran hängt es nicht; es hängt an einigen ganz anderen Kriterien. Deswegen sind die Anträge, die Sie hier gestellt haben, überflüssig, wenn es auch dennoch gut ist, daß wir darüber reden. Es ist z. B. ein langes Mißverständnis — auch in diesem Hause —, daß wir es einfach hinnehmen und daß vor allem Sie von der CDU/CSU es hinnehmen — was weniger verwunderlich wäre —, daß etwa die Regierung wichtige Mitteilungen auf Pressekonferenzen macht, obwohl die Pressekonferenz dieser Art eine Einrichtung der amerikanischen Demokratie ist, wo der Präsident und die Regierung eben keine Gelegenheit haben, jederzeit im Parlament zu Wort zu kommen, und daß hier eine Übung nachvollzogen wird, die z. B. in England nicht zu Hause ist — mit Recht, weil dort das Unterhaus der Ort der Handlung ist.
Das hat zu einer Entwertung der aktuellen Fragestellungen in diesem Hohen Hause geführt. Das können Sie aber nicht mit der Geschäftsordnung verändern, sondern nur durch eine Selbsterziehung der Regierung oder durch eine Einflußnahme der Regierungsparteien auf die Regierungsmitglieder. Wir von der FDP haben ja heute einen entsprechenden Versuch gemacht, und ich hoffe, er wird erfolgreich sein. Darüber hätten Sie meiner Ansicht nach mehr nachdenken sollen. Aber es ist offensichtlich für Sie schwer, hier Einfluß zu nehmen. Deswegen versuchen Sie es auf einem völlig unzureichenden Umweg. Sie haben auch bei Ihren schriftlichen Äußerungen zu diesem Thema übersehen, daß das Grundgesetz der Regierung ein großes Vorrecht gegenüber den Parlamentariern einräumt. Sie kann nämlich jederzeit zu Wort kommen. Aber wenn sie dieses Recht hat, dann hat sie auch die Pflicht, jederzeit hier zu Fragen Stellung zu nehmen, die von allgemeinem Interesse sind, und diese Pflicht vernachlässigt sie immer mehr, gerade seit wir diese Koalition haben. Da müssen Sie also mit Ihrer Kritik ansetzen, nämlich mit Kritik im eigenen Hause und nicht mit Kritik an formalen Kriterien, die hier verändert werden sollen.
Ich möchte davor warnen, die Geschäftsordnung als eine Art Versuchsfeld für solche Fragen zu betrachten. Damit kommen sie nicht zum Kern der Sache. Das geht meiner Ansicht nach daneben. Ich bin schon der Meinung, die ich hier schon bei der ersten Beratung des Antrags geäußert habe: man sollte dem Präsidenten eine größere Freizügigkeit in der Handhabung etwa des Debattenablaufs geben. Aber dem steht tatsächlich entgegen, daß eben durch das Grundgesetz das Vorrecht der Regierung verankert ist, und das können Sie auch mit der besten Handhabung der Rednerliste durch den Präsidenten nicht ausschalten.Noch ein weiteres müssen wir hier, glaube ich, unter uns einmal ganz deutlich sagen. Dieses Parlament leidet unter mangelnder Kritik von außen, nämlich am Parlamentsstil selbst. Es leidet z. B. darunter, daß wir nicht genügend kritische Öffentlichkeit haben, nicht genügend kritische Publizistik, die etwa bei Parlamentsdebatten auch Qualifikationsmerkmale einzelner Redner herausstellt. Es gibt keine Parlamentskritik im eigentlichen Sinne. Es gibt wohl eine Parlamentsberichterstattung, aber es gibt nicht die fundierte Kritik, die es etwa dem Wähler erlauben würde, den Abgeordneten einmal nach dem zu beurteilen, was er hier im Parlament selbst wirklich leistet. Vielmehr ist der Wähler — gerade z. B. bei Ihnen — hauptsächlich darauf angewiesen, von Ihnen selbst zu hören, was Sie hier tun, und das ist dann oft sehr subjektiv, wie man aus den Aufsätzen weiß, die die Kollegen selber in ihren Wahlkreisen verbreiten. Es wäre in den USA ganz undenkbar, daß Abgeordnete in ihren Heimatzeitungen über sich selber berichten. Dort berichtet eben die regionale Zeitung über die Abstimmung des einzelnen Abgeordneten. Dort berichtet sie, ob er gut oder weniger gut gewesen ist.
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8442 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
MoerschDort wäre es unmöglich, daß das geschieht, was in diesem Hohen Hause bei der Behandlung der Mehrwertsteuer geschehen ist, daß nämlich Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion mit uns zusammen Änderungsanträge unterschreiben und dann bei der Abstimmung gar nicht im Saale sind, daß sie diese Änderungsanträge aber mit ihrem Namen der örtlichen Presse geben, um sich dort als große Gegner der Regierung feiern zu lassen. Das ist eine Frage, die Sie bei sich einmal beantworten müssen, eine Frage der Aufrichtigkeit und der Ehrlichkeit der Öffentlichkeit gegenüber. Wenn Sie das Ansehen des Parlaments erhöhen wollen, dürfen Sie allerdings mit solchen Praktiken die Wähler nicht zu täuschen versuchen. Das scheint mir sehr wichtig. Ich hoffe, daß wir künftig eine besonders kritische Presse haben werden, eine kritischere Presse als bisher, die dann auch solche Praktiken genügend aufdeckt.Ein Letztes, Herr Dr. Häfele! Wenn Sie einmal den Weg zur Regierungsbank nehmen wollen — ich weiß nicht, ob Sie das tun wollen —, muß ich Ihnen das eine sagen: Der Weg über Änderungsanträge zur Geschäftsordnung ist meiner Ansicht nach der am wenigsten geeignete, sich in diesem Hohen Hause sachlich Profil zu verschaffen. Dann müßten Sie sich eben in diesem Hohen Hause in wirklichen Sachfragen betätigen; auf diese Weise kämen Sie meiner Ansicht nach eher zu Wort als mit diesen Versuchen, die Sie jetzt hier unternehmen. Dann brauchten Sie die Abgeordneten auch nicht — wie Herr Kollege Blachstein richtig gesagt hat — indirekt in Abgeordnete erster und zweiter Klasse einzuteilen. Es soll ja vorgekommen sein, und es ist in diesem Hause vorgekommen — das wissen Sie in Ihren theoretischen Untersuchungen vielleicht nicht genügend zu würdigen —, daß es sehr wohl Abgeordnete gegeben hat, die jahrelang kaum hervorgetreten waren, die aber etwa bei Fragen von hohem moralischem Gehalt plötzlich zu Abgeordneten wurden, die wirklich das Ohr des ganzen Hauses hatten. Solchen Leuten mit irgendwelchen formalen Kriterien den Mut zu nehmen, sich hier einmal frei zu entfalten — was sie früher vielleicht nicht getan haben —, davor möchten wir nachdrücklich warnen.Je mehr Sie in die Geschäftsordnung hineinschreiben, desto schlechter wird diese Geschäftsordnung. Je weniger Sie hineinschreiben und je mehr Sie freien Spielraum lassen, je mehr Sie hier der freien Entfaltung Raum geben, je mehr Sie auch denjenigen Mut machen, die formal vielleicht nicht so ganz gewandt sind, je weniger Sie einschränken, desto besser für das ganze Parlament. Am allerbesten ist es — ich sage es Ihnen noch einmal —, wenn Sie, nämlich die jüngere Gruppe in der CDU' CSU, die sich offensichtlich von ihrer eigenen Führung benachteiligt fühlt, dafür sorgen, daß Sie einen Fraktionsvorstand bekommen, der Ihren Bedürfnissen entspricht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat dei Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir stehen hier vor drei Elementen der Entscheidung, einem Ausschußbericht, einem Antrag, den ganzen Ausschußbericht abzulehnen — von den Kollegen Genscher und Moersch temperamentvoll und tapfer verteidigt —, und einem Antrag von Herrn Blachstein, einige Punkte, und zwar die Kernpunkte des Ausschußberichtes an den Ausschuß zurückzuverweisen. Nun ist die Entscheidung über die Geschäftsordnung gewiß nicht ganz einfach. Aber die Sache ist entscheidungsreif. Was versprechen Sie sich von einer Zurückverweisung an den Ausschuß? Der Ausschuß hat zweimal viele Stunden lang über diese Punkte beraten. Er hat sogar zwei voneinander abweichende Schriftliche Berichte erarbeitet, was auch nicht allzu häufig vorkommt. Und für die zweite Beratung hatten wir uns erste Fachleute, den Herrn Präsidenten des Bundestages und zwei Vizepräsidenten, dazugebeten, also „Geburtshelfer" von hohem Rang. In beiden Abstimmungen hat der Ausschuß mit 6 : 1 Stimmen für die vorliegende Fassung gestimmt, jeweils gegen das Votum der FDP. Meine Damen und Herren, die Sache ist entscheidungsreif. Ich finde, wir sollten der Entscheidung nicht ausweichen. Die Frage, wie das Hohe Haus seine Geschäfte betreiben will, muß das Hohe Haus entscheiden, und selbstverständlich muß sich die Minderheit der Mehrheit fügen. Ich halte es nicht für gut, wenn man sich jetzt drücken will und eine Sache, über die so oft im Ausschuß debattiert worden ist, noch einmal vom Tisch wischt. Ich schlage also vor, darüber abzustimmen.Zur Sache nur wenige Bemerkungen. Herr Blachstein, ich möchte zunächst einige Worte zugunsten der „Neger" sagen. Sie haben soeben mit dramatischer Betonung gesagt, Sie wollten unter keinen Umständen Abgeordnete zweier Rangstufen. Das ist auch mein Anliegen. Diese Rangstufen haben wir doch bisher. Tm Augenblick ist es so, daß man rechtlich ohne weiteres auch noch um 22.30 Uhr das Wort ergreifen und volle 60 Minuten sprechen darf. Aber Glas tut niemand, nicht deshalb, weil man keinen Mut hat — Herr Genscher und Herr Moersch haben uns ja heute wieder vorgeführt, wie mutig sie sind —, sondern einfach deshalb, weil man weiß, daß man, wenn man am Ende einer sechsstündigen Debatte noch das Wort erzwingt, nicht nur den Unwillen des Hauses gegen sich hat, sondern auch seiner Sache schadet.
Wir haben hier in den großen Debatten praktisch nur Sprecher der Fraktionen. Weil sie für die Fraktion sprechen, müssen sie auch abgestimmt sprechen, nicht ihre eigene Meinung vortragen, sondern das komplizierte Ergebnis eines Kompromisses der verschiedenen Flügel der Fraktion. Die Sprecher müssen sich also sehr vorsichtig ausdrücken. Das, meine Damen und Herren, macht die Debatte hier oft so langweilig. Es werden dann eben keine individuellen Meinungen vorgetragen, sondern verklausulierte diplomatische Dokumente.Meine Damen und Herren, es ist unser Anliegen, den Negern, wie Sie sie genannt haben, etwas mehr Raum zu geben. Wir möchten dafür sorgen, daß
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8443
Dichgansneben den Rednern der Fraktionen, die selbstverständlich die Öffentlichkeit über die Haltung der Fraktion als Ganzes unterrichten müssen, auch noch einzelne Abgeordnete mit richtigen Erwägungen oder vielleicht auch falschen Erwägungen zu Wort kommen. Ich glaube also, wer die Gleichberechtigung der Abgeordneten will, wer die Diskriminierung der freien Abgeordneten gegenüber den Fraktionsrednern vermeiden will, muß für diesen Antrag stimmen.Das zweite ist die Frage der Lebendigkeit. — Herr Moersch, bitte!
Herr Kollege Dr. Dichgans, könnte die hier zutage tretende abweichende Meinung vielleicht einfach in sehr verschiedenartigen Erfahrungen innerhalb der Fraktionen begründet sein?
Nein, diese Erfahrungen machen viele Abgeordnete in allen Fraktionen, Herr Moersch. Es wäre vielleicht gut, wenn möglichst viele Abgeordnete den privaten Ärger, den sie im Gespräch abladen, auch öffentlich in der Debatte vortrügen.
Es ist hier mit Recht gesagt worden, daß man schwer abends um 9 Uhr auf eine Intervention antworten kann, die nachmittags um 3 Uhr stattgefunden hat. Ich habe hier Fälle erlebt, wo fünfmal hintereinander eine Rede von einer vollen Stunde gehalten worden ist. Das ist einfach unzumutbar. Sie treiben damit die Abgeordneten aus dem Saal.
Wenn die Abgeordneten wissen, daß sie in einer solchen Debatte gar nicht zu Wort kommen, wenn die Abgeordneten also, wie die Franzosen sagen, hier nur pour faire tapisserie, sozusagen als Saaldekoration sind,
so ist das eine unwürdige Lage. Sie, meine Damen und Herren, müssen sich dann damit abfinden, daß das Plenum so leer bleibt, wie es oft in letzter Zeit gewesen ist.
Wir machen hier einen Versuch. Selbstverständlich läßt sich nicht sagen, wie dieser Versuch ausläuft. Aber alle Erfahrungen sprechen dafür, daß der Abgeordnete, der sich von vornherein nur auf eine kurze Rede einstellt, auch von vornherein frei spricht, während die eine Stunde Redezeit, die in der Geschäftsordnung jetzt festgelegt ist, geradezu ein Anreiz zur Verlesung von Aufsätzen ist.
Ich kann Ihnen also nur Mut zusprechen. Die Sache ist ausdiskutiert, ist entscheidungsreif, und es sollte abgestimmt werden. Ich bitte Sie, dem Ausschußantrag, der im Ausschuß mit 6: 1 Stimmen angenommen worden ist, zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu zwei angeschnittenen Fragen etwas sagen. Der Kollege Dichgans hat gesagt, in diesem Hause bestehe kaum noch die Möglichkeit, individuelle Meinungen zu äußern. Man müsse mehr und mehr die Meinungen der Fraktionen vortragen, es seien verklausulierte und diplomatische Reden gehalten worden. Herr Kollege Dichgans, ich nehme für mich wie für viele Kollegen meiner Fraktion in Anspruch, daß wir diesem Vorwurf absolut nicht unterworfen sind, es sei denn, daß ich mich über den zur Zeit noch amtierenden Innenminister geäußert habe. Dann war ich natürlich in vielen Passagen vorsichtiger, als ich normalerweise in diesem Hause bin.
Herr Abgeordneter Petersen!
Herr Kollege Dorn, haben Sie nicht verstanden, daß Herr Dichgans davon sprach, daß die offiziellen Fraktionssprecher, in der Regel also die Fraktionsvorsitzenden, natürlich eine mit der Fraktion abgestimmte Erklärung abgeben? Völlig unabhängig davon sind doch die anderen, von denen hier die Rede ist.
Sehr verehrter Herr Kollege, von dem Recht, auch unabhängig von der Meinung der Fraktion eine eigene, manchmal sogar gegen die Mehrheit der Fraktion gerichtete Rede zu halten, habe ich bisher in diesem Hause unbehindert von meiner Fraktion mehrfach Gelegenheit gehabt, Gebrauch zu machen.
Herr Kollege Dorn, Sie sollten doch oft genug Gelegenheit gehabt haben, festzustellen, wie viele Kollegen unserer Fraktion davon ebenso ungehindert Gebrauch machen.
Frau Kollegin Kalinke, um so unverständlicher ist das, was zur Begründung des Antrags hier vorgetragen wird.
Es ist dann vom Versuch gesprochen worden. Ich meine, wir haben mit dem Versuch einer Regelung, vom Montag zum Sonnabend zu tagen, in diesem Hause inzwischen grausame Erfahrungen sammeln müssen.
Dieser Versuch ist eigentlich Anlaß genug, uns solche Versuchsexperimente in dieser Frage für die Zukunft zu ersparen.
Der eigentliche Grund, weshalb ich mich zum Wort gemeldet habe, war eine Äußerung des Kollegen
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8444 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
DornHäfele, der hier davon gesprochen hat, daß er uns ein völlig neues Gefühl eines Miteinander oder Gegeneinander in der parlamentarischen Demokratie aufzeigen wolle. Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrem Buch, Herr Kollege Häfele, dieses Gegenüber zwischen Regierung und Regierungsfraktionen auf der einen Seite und Opposition auf der anderen Seite im Parlament behandelt haben. Ich kann nur sagen, daß das zumindest mit unserer Vorstellung von parlamentarischer Kontrolle der Regierung, von Parlamentarismus in einer Demokratie absolut nichts zu tun hat. Von der verfassungspolitischen Vorstellung, die Sie in Ihrer Argumentation vorgetragen haben, trennen uns Welten.
— Herr Kollege Häfele, dieses Thema ist viel zu ernst, als daß man es hier mit einigen Nebensätzen abhandeln könnte. Wer kontrolliert denn die Regierung, wenn die Koalitionsfraktionen sich verpflichten, sich praktisch zur Schutztruppe der Regierung im Parlament degradieren zu lassen? Das ist doch die Konsequenz dessen, was Sie hier als Ihre Forderung und Vorstellung von dem Gegenüber in einer parlamentarischen Demokratie vorgetragen haben.— Bitte schön!
Herr Häfele!
Herr Dorn, hat Ihre Fraktion oder haben Mitglieder Ihrer Fraktion, als Sie noch Minister in der Regierung hatten — vielleicht kriegen Sie wieder welche —, hier im Plenum diese öffentlich scharf angegriffen und kritisiert, so wie Sie Vertreter einer anderen Partei kritisieren würden? Seien wir doch ehrlich!
Herr Kollege Häfele, zur Ehrlichkeit gehört nicht nur eine Demonstration, sondern zur Ehrlichkeit gehört auch die Kontrolle dessen, was gemacht worden ist.
— Sie müssen halt ein bissel Geduld mit mir haben. Auch in 15 Minuten kann man alles das, was man sagen will, nur hintereinander sagen. Wir haben z. B. im Jahr 1962 mit unseren Ministern im Kabinett darüber geredet, daß es notwendig war, aus der Regierung auszuscheiden, um den Rücktritt des Herrn Strauß auf diese Weise zu erzwingen.
— Haben Sie etwas Geduld! Es kommen noch mehr Beispiele, die Sie mit Sicherheit dann befriedigen werden.
Offenbar nicht.
Wir haben auch zu einer Zeit, als wir in der Regierung waren, z. B. den Untersuchungsausschuß zur Abhöraffäre in der vorigen Legislaturperiode
hier gefordert. Auch das war Bestandteil der Kontrollfunktion der Regierung, obwohl wir Koalitionsfraktion waren.
— Natürlich! Ach, Herr von Wrangel, ich sage doch: Sie müssen etwas Geduld haben, weil man alles nur nacheinander vortragen kann.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?
Bitte schön!
Bitte, Herr Abgeordneter Häfele!
Herr Dorn, ist Ihnen entgangen, daß ich ausdrücklich gefragt habe, ob das hier im Plenum des Deutschen Bundestages der Fall war, daß Sie eigene Minister öffentlich kritisiert und angegriffen haben?
Verehrter Herr Kollege Häfele, auch Ihnen kann ich nur antworten: Sie müssen etwas Geduld haben mit der Darstellung der Argumente, dann werden Sie das alles hören.
Ich selbst habe — um das vorab zu nehmen, weil Sie anscheinend in diesem Hause die Geduld nicht haben -- an dieser Stelle mich mit dem damaligen Finanzminister, der meiner Fraktion angehört hat, hart auseinandergesetzt — im Auftrage meiner Fraktion hart auseinandergesetzt — über die Frage, ob es richtig sei, bezüglich des 131er-Gesetzes die Auffassung der Regierung zu vertreten oder die Auffassung, die unsere Fraktion vertreten hat. An dieser Stelle ist zwischen Herrn Dahlgrün und mir diese Auseinandersetzung im Plenum erfolgt.
— Ja, Herr Schmitt-Vockenhausen, Sie waren immer anderer Meinung; das wollen wir auch an dieser Stelle nicht bestreiten.
Es kommt also darauf an, daß die Frage, die Sie aufgeworfen haben, nämlich das Gegenüber von Koalitionsfraktionen und Regierung auf der einen Seite und Nur-Opposition auf der anderen Seite, eigentlich das System der parlamentarischen Kontrolle völlig auf den Kopf stellt. Denn wenn Sie dazu kommen — in logischer Konsequenz dessen, was Sie ausgeführt haben —, dann werden Sie nie erleben können, daß Mißstände, die in jeder Regierung auftreten können — egal, von wem sie getragen wird —, hier im Parlament so angesprochen
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. Mätz 1968 8445
Dorn
werden, wie es mit Rücksicht auf die Kontrollfunktion des Parlaments erwartet werden muß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter von Merkatz!
Herr Kollege Dorn, sind Sie sich eigentlich bewußt, daß Sie in dieser Darstellung das Bild des Parlaments geben, wie es im 19. Jahrhundert bestanden hat?
Nein, Herr Kollege von Merkatz. Mit unserer Auffassung unterscheiden wir uns eben von der verfassungspolitischen Beurteilung der Diktaturen im Westen und im Osten, weil wir — —
— Aber dort ist doch eindeutig klar, daß das Parlament mit den Regierungsfraktionen immer als Abstimmungsmaschine für die Regierung — ganz gleich, ob im Osten oder Westen — gebraucht wird. Wir brauchen hier keine Akklamation für die Regierung, sondern dieses Parlament muß zu allen Zeiten die parlamentarische Kontrollfunktion insgesamt — ob Koalition oder Opposition — gegenüber der Regierung wahrnehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich in einer persönlichen Stellungnahme — in Widerspruch zu dem, was mein Kollege Blachstein hier vorgetragen hat — zu dem anstehenden Problem auch meine Meinung sage.Seit ich die Ehre habe, diesem Hohen Hause anzugehören, mußte ich mich nach und nach an zwei recht unterschiedliche Vorstellungen gewöhnen. Ich konnte mich recht schnell daran gewöhnen, weil es im Verständnis der Sache lag, daß die Abgeordneten in Fluren und Wandelgängen, in Pausen von Ausschußsitzungen oder im Restaurant in politischen Fragen die gleichen Meinungen vortrugen wie hier im Plenum. Ich mußte mich aber auch an die Feststellung gewöhnen, daß die Abgeordneten, wo immer über ihre eigenen Angelegenheiten diskutiert wurde, z. B. über Fragen der Geschäftsordnung, über Fragen der Raumbeschaffung, über Fragen des Sitzungsturnusses und über viele andere Dinge — über die Arbeit dieses Hauses, über Fragen, die z. B. Assistenten und Sekretärinnen betreffen —, draußen in Wandelgängen und wo immersie sich unterhielten, ganz anders sprachen als hier an diesem Pult.
Das ist etwas, woran man sich nur schwer gewöhnen kann, weil man sich, wenn man neu ist, sagt: Wie kommt es, daß, wenn alle dort so reden, sie als beschließende Abgeordnete das nicht verwirklichen, was sie in ihrer Mehrzahl eigentlich für richtig halten?
Ich habe fast nirgends entschuldigen Sie, viel-leicht bin ich immer nur den Falschen begegnet —andere Meinungen auch zu dieser Frage gehört.Ich muß mich erinnern, daß in sehr vielen Fällen während einer Plenarsitzung, wenn hier einer her-aufging — nicht aus der Gegenfraktion, sondern aus der eigenen Fraktion! —, einer sagte: Jetzt spricht der auch noch, hoffentlich nicht noch eine Stunde! Und es bekam immer der Beifall, der seine Rede zu Protokoll gab. Wir sind ja unglaubwürdig, wenn wir uns in dieser Weise ständig im Widerspruch befinden.
Wenn wir das abstellen wollen, müssen wir dem Ausschußvorschlag zustimmen. Daran kann nach meiner Meinung kein Weg vorbeiführen.
Das hängt auch mit dem zusammen, was die FDP als Argument bringt, Herr Genscher, nämlich mit der Situation im Lande draußen und der Staatsverdrossenheit. Die Verdrossenheit entsteht zum Teil durch lange Vorlesungen und durch gänzlich kontaktarme Plenarsitzungen, an denen der Zuhörer hier tatsächlich gar nicht mehr teilnehmen will bzw. draußen im Lande seinen Fernseher oder sein Radio abschaltet. Wir beklagen uns immer wieder über die Langeweile, über die fehlende echte Debatte, über den fehlenden wirklichen Dialog.Wenn es richtig ist, daß die Meinungen unter den Abgeordneten — jedenfalls bis vor ein paar Tagen — überwiegend für die Reform waren, so kommt es immer wieder dazu — und das gilt auch für viele andere Fragen, soweit sie nicht die Politik, sondern unsere Arbeit hier im Hause betreffen —, daß einmal die Präsidenten, in einem anderen Fall der hohe Ältestenrat, ein andermal die Fraktionsvorstände und in einem vierten Fall der Bundestagsvorstand im letzten Augenblick Argumente finden, um, so meine ich jedenfalls, den Fortschritt zu verhindern.
Ich muß — das darf ich hier sagen — in den Argumentationen selbst sowohl dem Kollegen Genscher als auch meinem Kollegen Blachstein zustimmen, nur nicht in der Konsequenz, die sie aus ihren Argumentationen gezogen haben.
Aus den gleichen Gründen, aus denen sie dafürplädieren, bei der seitherigen Regelung zu bleiben,
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8446 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Colletplädiere ich dafür, der Vorlage des Ausschusses zuzustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Horten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich sehr kurz fassen, weil Herr Kollege Collet sehr viel beredter, als ich es könnte, das zum Ausdruck gebracht hat, was ich zur Unterstützung dessen sagen wollte, was uns hier Herr Dichgans sehr ernst vorgetragen hat, nachdem die Sache durch den Beitrag von Herrn Dorn leider auf ein ganz falsches Gleis gebracht worden ist. Es handelt sich doch um ein sachliches Problem, das Mitglieder sämtlicher Fraktionen angeht.
Herr Blachstein, wenn Sie sich darüber beklagen, daß 15 Minuten eine zu kurze Zeit seien, möchte ich Sie auf das Konzil hinweisen, das sicherlich einige von uns — wenigstens in ein paar Sitzungen — miterleben konnten. Da wurde unter sehr viel schwierigeren Verhältnissen — erschwert durch die Sprachenschwierigkeiten — eisern an der Redefrist von zehn Minuten festgehalten, und zwar bei Problemen, die wirklich auch sehr tief gingen.
Bei der Frage der Beschränkung der Redezeit sollte man sich auch etwas klarmachen, was in der bisherigen Diskussion zu wenig zum Ausdruck gekommen ist. Es ist durchaus vernünftig, daß die Sprecher der Fraktionen das ganze Thema behandeln. Die Abgeordneten der „zweiten Klasse", zu denen auch ich mich zählen muß, haben aber oft das Bedürfnis, in der Diskussion einen Gesichtspunkt zur Geltung zu bringen. Ich kann Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung sagen, daß mir das z. B. zweimal nicht gelungen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Bitte, Herr Abgeordneter Lohmar!
Herr Kollege, meinen Sie nicht, daß zwischen dem Konzil und einem modernen Parlament doch noch gewisse Unterschiede bestehen?
Das wollte ich gar nicht zum Ausdruck bringen, sondern ich wollte nur sagen, daß man auch sehr schwierige Probleme in Kürze abhandeln kann. Mein Gesichtspunkt, Herr Lohmar, war, daß — abgesehen von den Fraktionssprechern — der einzelne Abgeordnete manchmal einen wichtigen Gesichtspunkt zur Geltung bringen will, ihm das aber durch lange Reden anderer Kollegen gar nicht möglich ist.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg.
Bitte!
Bitte, Herr Abgeordneter Schulze-Vorberg!
Herr Kollege Horten, wollten Sie zum Ausdruck bringen, daß die Arbeit des Konzils in Rom, die ja auch durch unsere Zeit — durch Fernsehen und Rundfunk — geprägt ist, moderner war als die Arbeitsweise des Deutschen Bundestages?
Es ist für mich sehr schmeichelhaft, Herr Schulze-Vorberg, was Sie alles in meine Worte hineininterpretieren. Ich wollte nur aus meiner eigenen Erfahrung zeigen, daß tatsächlich auch bei einer Redefrist von zehn Minuten sehr ernste Diskussionen möglich sind. Bei uns werden sogar 15 Minuten zugestanden. Der einzelne Redner in der Debatte hat ja oft gar nicht die Absicht und die Aufgabe, zu dem ganzen Problem Stellung zu nehmen, sondern er will nur zu einzelnen Punkten etwas sagen.
Mir ist es z. B. bei der Beratung des Finanzänderungsgesetzes Ende Dezember nicht möglich gewesen, obwohl ich mich rechtzeitig vorher gemeldet hatte, ganz kurz ein paar Gedanken vorzubringen. Ich mußte darauf, wie das vorhin schon gesagt wurde, infolge der Absprache zwischen den Fraktionen — aus Kulanz — verzichten. Es erschien mir an sich aber auch nicht würdig, diese Gedanken als schriftliche Erklärung weiterzugeben.
Das gleiche passierte mir dann — ebenfalls aus rein sachlichen Gründen, die alle Fraktionen betrafen — bei der Aussprache über den Bericht zur Lage der Nation. Auch hier habe ich es dann als unwürdig empfunden, meine Gesichtspunkte, die mir immerhin beachtenswert erschienen, in Form einer schriftlichen Erklärung so über die Hintertreppe ins Protokoll zu schmuggeln.
Ich möchte Sie also nochmals bitten, dem zuzustimmen, was Herr Dichgans hier so stark gefordert hat, und dem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordneter Dr. Friderichs.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich glaube, daß einige Punkte angesichts der Diskussion noch einmal einer Erwähnung bedürfen.Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Häfele, nämlich zu der Frage: wer kontrolliert die spärlich vertre-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8447
Dr. Friderichstone Regierung und wer nicht? Wenn Sie mit Ihrer These, daß sich die Koalitionsfraktionen nur noch als Schutztruppen dieser Regierung begreifen -woven ich überzeugt bin, daß das derzeit notwendig ist — , recht haben, bedeutet das aber noch langenicht, daß wir einen solchen im Sinne des Parlamentarismus unbefriedigenden Zustand im Wege der Anpassungstheorie auch noch in die Geschäftsordnung hineinschreiben sollten.
Bitte sehr!
Eine Zwischenfrage.
Herr Kollege, wenn Sie uns als „Schutztruppe" bezeichnen, müßte ich — nachdem ich dem Antrag nicht meine Zustimmung geben wollte — mich umstellen.
Ich habe die Frage leider akustisch nicht verstanden.
Herr Kollege, nachdem Sie uns als Schutztruppe der Regierung bezeichnen, würde ich ich wollte den Antrag ablehnen — meine Einstellung ändern.
Ich würde es sehr bedauern, wenn der Antrag eine Stimme weniger bekäme. Aber ich habe es nicht behauptet, sondern ich habe Herrn Häfele in diesem Sinne aufgegriffen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Häfele?
Bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Friderichs, ist Ihnen entgangen, daß ich in der Erwiderung auf die Ausführungen Ihres Kollegen Genscher ausdrücklich betont habe, daß ich mit ihm darin einig bin, daß es sich hier nicht um die große Reform dieses Parlaments handelt, daß darüber sehr viel mehr gesagt werden müßte, daß etwa der Gedanke, den ich nur kurz hier anmelden konnte, auch ventiliert werden müßte, sondern der Antrag, um den es hier konkret geht, etwas ganz anderes beinhaltet, nämlich die schlichte Frage, ob wir hier Dauerreden haben wollen oder nicht.
Von Ihrer Rede ist mir nichts entgangen; nur ist es Ihnen offensichtlich nicht gelungen, in den 15 Minuten, die Sie gesprochen haben, alles Wichtige zu sagen.
Herr Abgeordneter, wollen Sie Herrn Genscher auch eine Frage gestatten?
Bitte!
Herr Kollege, würden Sie Herrn Dr. Häfele bitte noch einmal daran erinnern — darf ich Sie fragen, ob Sie zu dieser Erinnerung bereit sind —, daß heute morgen die Koalition in ihrem Schutztruppeneifer so weit ging, den Kanzler sogar in einer Frage zu verteidigen, in der er gar nicht verteidigt werden wollte?
Ich bin gern bereit, das dem Herrn Kollegen Häfele zu sagen; wobei ich anerkennen möchte, Herr Kollege Genscher, daß der Kanzler seine eigene Schutztruppe geschickt überlistet hat.
Meine Damen und Herren, es kann doch nicht der Sinn der Geschäftsordnung sein, diese sich entwikkelnde Unart auch noch zu verankern. Wir können doch nur Anlaß haben, den Versuch zu machen, eben durch die Geschäftsordnung eine derartige Entwicklung bewußt zu verhindern.Lassen Sie mich zum zweiten Punkt etwas sagen, nämlich zu der Frage, ob Sie erreichen können, daß in einer 15-Minuten-Debatte die Reden qualitativ besser werden. Herr Kollege Häfele, wäre es nicht viel gescheiter, wir würden uns so verhalten, wie das die Studenten in den Vorlesungen tun? Wenn die Professoren etwas zu sagen haben, gehen die Studenten erstens hinein und hören zweitens zu. Wenn die Professoren nichts zu sagen haben, geben die Studenten dem Ausdruck, daß der Herr Professor nichts zu sagen hat. Warum räuspern wir uns eigentlich nicht, und zwar nicht nur, wenn jemand länger als 15 Minuten redet, sondern auch, wenn er weniger als 15 Minuten redet und nichts zu sagen hat? Wenn der Satz gilt, der ja hier über ein ganz prominentes Mitglied der Regierung gesagt worden ist: „Nix hat er gesagt, aber schön hat er's gesagt", dann sollten wir dem Ausdruck geben und uns entsprechend verhalten. Das ist doch die Aufgabe dieses Parlaments, nicht, uns hier in Formalien zu ergehen.
Lassen Sie mich aber Ihr eigenes Argument aufgreifen, um gegen Ihren Antrag zu sprechen. Sie haben — wie auch andere Kollegen — das Fehlen des Dialogs bemängelt. Sie haben gesagt: „Sehen Sie, da kommt es zu keinem Dialog; die Fraktionsvorsitzenden sagen ja nur sehr abgewogene, austarierte Meinungen". Ja nun, wenn das so ist, ist es um so unverständlicher, daß Sie ausgerechnet denen, die nicht zum Dialog beitragen, eine Stunde Redezeit geben und denen, die zum Dialog beitragen, nur 15 Minuten geben wollen, statt sie heranzulassen, wenn sie etwas zu sagen haben. Das ist doch das Problem, das hier abzuhandeln ist.Meine Damen und Herren, ich bedauere, daß wir hier über einen solchen Vorschlag diskutieren, anstatt über eine Reform dieses Parlaments zu sprechen — dazu wäre weiß Gott Anlaß! —, nämlich über die Frage der Möglichkeiten der Arbeitsvorbereitung des einzelnen Abgeordneten, der Möglichkeiten des Abrufens von Daten und von Wissen
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8448 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Dr. Friderichsdurch entsprechende Anlagen in diesem Hohen Hause, ja, lassen Sie mich es ganz klar sagen: der Möglichkeit, die Abgeordneten dieses Hohen Hauses so zu informieren, daß jeder einzelne entsprechend seiner Qualifikation in der Lage wäre, dieser Regierung, von wem auch immer sie getragen wird, und der hinter ihr sitzenden Beamtenschaft Widerpart zu bieten.
Das ist doch das Problem.
Herr Kollege Dichgans, da befriedigen Sie mich nicht mit kleinen Schritten. Es kommt nicht darauf an, ob Schritte klein oder groß sind, sondern es kommt darauf an, ob sie in die richtige Richtung gehen. Ihr Schritt ist klein und in die falsche Richtung. Deswegen sind wir dagegen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baron von Wrangel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Friderichs, ich wollte einiges Persönliche zu dem sagen, was Sie hier ausgeführt haben.
Zunächst habe ich den Eindruck, als sei aus einem sehr konkreten Antrag, den wir gestellt hatten, eine ganz lebendige Diskussion über die Parlamentsreform geworden. Das war nicht unsere Absicht; aber es ist sehr schön, daß in diesem Hause auch über diese Fragen einmal gesprochen wird. Vieles von dem, was von Ihrer Seite kam, und auch von dem, was Herr Kollege Blachstein gesagt hat, wird ja von uns voll und ganz unterstützt. Wir würden uns über eine Parlamentsreform an Haupt und Gliedern freuen. Wir würden es begrüßen, wenn die Regierung uns öfter informieren würde. Wir würden es selbstverständlich auch begrüßen, wenn in diesem Hohen Hause häufiger über aktuelle Fragen diskutiert würde, als dies in der Vergangenheit vielleicht manchmal der Fall gewesen ist. — Bitte sehr Herr Dorn!
Herr Abgeordneter Dorn zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Wrangel, wenn Sie soeben sagten, Sie würden sich freuen, wenn in diesem Hause häufiger aktuelle Aussprachen stattfänden, frage ich Sie: Hat die CDU/CSU-Fraktion bis heute schon ein einziges Mal von dem Instrument Gebrauch gemacht, eine Aktuelle Stunde zu beantragen?
Herr Kollege Dorn, ich bin kein wandelndes Lexikon. Wann immer Sie eine Aktuelle Stunde beantragt haben, hat sich die CDU/CSU-Fraktion jedenfalls sehr lebendig daran beteiligt.
Einen Eindruck, den Sie hier vermitteln wollten, möchte ich gleich zurechtstellen. Sie wissen genau, daß in der CDU/CSU sehr lebhaft diskutiert wird, freilich immer mit offenem Visier, und daß wir uns nicht zu fürchten haben vor irgendeinem Fraktionsestablishment oder sonst jemand. Nur, Herr Kollege Friderichs, wenn Sie hier von der Hochschule sprechen und das sozusagen als beispielhaft hinstellen: Gewiß, man sollte sich räuspern; aber das reizt doch geradezu dazu, Meditationen darüber anzustellen, bei wem man sich räuspern muß und wann der Saal leer wäre und wann nicht, — und mit Sicherheit dann, wenn hier endlose Reden aus dem Fenster heraus gehalten werden.
Im Grunde genommen ist mir bei dieser Debatte eines aufgefallen: wenn man konsequent durchdenkt, was Sie hier gegen unseren Antrag vorgetragen haben, müßte man eigentlich für die Abschaffung der Aktuellen Stunde sein; denn in der Aktuellen Stunde werden doch hochbrisante und sehr wichtige Themen diskutiert. Ich glaube aber, daß Sie ganz gewiß nicht für die Abschaffung der Aktuellen Stunde plädieren wollen.
Wir — das haben Herr Kollege Dr. Häfele und Herr Kollege Dichgans gesagt — sind ja nicht der Meinung, daß dieser Antrag der Weisheit letzter Schluß sei; wir sind aber der Meinung, daß wir mit diesem Antrag ein Stückchen Parlamentsreform vorantreiben, wenn alle bereit sind, sich nun auch lebendig an Diskussionen zu beteiligen. Wir haben bei vielen Debatten die traurige Erfahrung gemacht — das wurde hier auch gesagt —, daß diese langatmigen Reden den lebendigen Dialog behindern. Herr Kollege Blachstein, bei allem Respekt vor dem, was Sie gesagt haben: wir wissen doch beide genau, da wir eine gewisse Affinität zum Rundfunk haben, was man alles in 15 Minuten sagen kann. Und ich glaube, daß man, wenn hier nicht nur das Fraktionsestablishment, sondern auch aus allen Bereichen des Parlaments zu einem Sachverhalt jemand eine Rede verlesen darf, danach in 15 Minuten lebendig diskutieren könnte.
— Natürlich, Herr Moersch.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Kollegen Blachstein?
Herr Kollege von Wrangel, sind Sie der Meinung, daß die Parlamentsreform damit beginnen sollte, daß die Rechte des Abgeordneten beschnitten werden, daß er unmündiger wird, als er es bisher ist?
Herr Kollege Blachstein, ich würde sagen, die Beantwortung dieser Frage erübrigt sich fast. Selbstverständlich will ich nicht die Rechte der Abgeordneten beschneiden. Im Gegenteil, wir haben die Absicht, mit die-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8449
Baron von Wrangelsem Antrag eine Fülle von Abgeordneten mit ihren Argumenten an dieses Pult zu bringen, die durch die jetzige Praxis bisher nicht hierhergekommen sind. Das ist doch der Sinn.
Herr Moersch, bitte!
Gestatten Sie eine Frage? Herr Abgeordneter Moersch.
Darf ich Sie dann fragen, ob Sie bereit sind, sich dafür einzusetzen, daß künftig bei Haushaltsdebatten, wo Sie reichlich Gelegenheit zur sachlichen Betätigung haben, nicht eine, sondern mindestens zwei Sitzungswochen für die Debatte vorgesehen werden? Haben Sie sich dafür eingesetzt oder nicht?
Ich würde sagen, über dieses Thema läßt sich sicherlich diskutieren. Ich habe mich nicht dafür eingesetzt. Aber das ist sicherlich ein überlegenswerter Punkt, Herr Kollege Moersch. Wir sind immer bereit, über jeden Sachvorschlag zu sprechen.
Ich möchte hier nicht Meditationen über klassenlose Gesellschaften anstellen. Aber ich glaube, daß im Gegensatz zu dem, was hier ausgeführt wurde, gerade unser Antrag dazu beitragen würde, so etwas wie Klassen in diesem Hause abzubauen. Deswegen haben wir ihn gestellt.
Ein letztes, meine Damen und Herren, zur Kritik an diesem Parlament. Dankenswerterweise hat Herr Kollege Blachstein an die lebendigen Debatten der fünfziger Jahre erinnert. Sie haben sich in den sechziger Jahren leider nicht wiederholt. Aber ich bedaure es eigentlich am meisten, daß heute dieses Parlament nicht mehr genug kritisiert wird, sondern daß diesem Parlament eine gähnende Gleichgültigkeit entgegengebracht wird. Das ist viel gefährlicher, als es die Kritik sein kann.
Ich glaube, daß wir mit diesem Antrag diesem Parlament ein bißchen mehr Ausstrahlungskraft geben können, und bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr von Wrangel hat am Schluß seiner Ausführungen auf die gähnende Gleichgültigkeit hingewiesen, die diesem Parlament gelegentlich und in letzter Zeit immer mehr entgegengebracht wird. Ich erinnere mich, daß dieses Parlament nicht nur lebhafte, sondern höchst lebhafte Debatten erlebt hat in noch nicht zu fernen Zeiten bei derselben Geschäftsordnung, die wir heute nach Ihrem Antrag ändern sollen. Es liegt also offensichtlich gar nicht an der Geschäftsordnung, sondern es liegt einmal an der Handhabung,
wie dieses Parlament sich selbst darstellt, ob wir nämlich immer mehr versuchen, auch im Parlament den Eindruck zu erwecken, als hätten wir eine konfliktlose Gesellschaft, als hätten wir monolithische Fraktionen, in denen alles harmonisch und einheitlich zugeht.
Ich möchte auf eines hinweisen. Was heißt hier „Langredner"? Was heißt hier „Kurzredner"? Ich erinnere mich sehr gut —
— Ihnen selbstverständlich gern; denn Sie sind in diesem Hause sowohl Kurz- wie Langrednerin gewesen.
Gestatten Sie eine Frage? Bitte, Frau Kalinke.
Stimmen Sie mir zu, lieber Kollege Spitzmüller, daß Sie gerade mit Ihren Ausführungen soeben der beste Interpret für diesen Antrag waren? Stimmen Sie mir zu, daß es, wie es meine Freunde wollen und Sie doch sicherlich auch, keinen monolithischen Block einer Kompromiß-Fraktionsmeinung geben darf, die unter Umständen sehr schwer oder mit knappen Mehrheiten zustande gekommen ist? Sind Sie nicht dieser Auffassung?
Frau Kollegin, selbstverständlich bin ich der Auffassung, daß wir nicht in einer konfliktlosen Gesellschaft und daß wir nicht in monolithischen Fraktionen leben. Nur glaube ich, daß man nicht die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages bewegen muß, um das zum Ausdruck zu bringen.Lassen Sie mich einmal aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Herr von Wrangel, Herr Horten und Herr Dr. Häfele haben hier gesprochen. In der Situation, in der die drei Herren waren, war ich in den Jahren 1957 bis 1961 auch. Ich habe damals auch neu in diesem Hause angefangen und auch neu erlebt, wie Debatten, die vorgesehen waren, wegfielen, weil sich die parlamentarischen Geschäftsführer geeinigt hatten, über die Restpunkte nicht mehr zu debattieren, weil die vorangegangenen Punkte zu lange behandelt wurden, bis mir der Kragen platzte und ich nachts um 10 Uhr sagte: Ihr könnt beschließen, was ihr wollt, ich werde reden. Wir haben dann eben nachts um 10 Uhr noch eine Debatte gehabt.Wenn eben alle Kollegen ihren Freunden in den Fraktionen sagen: Zu dem und dem Tagesordnungspunkt ist Debatte vorgesehen, und wir wollen dazu sprechen; ihr könnt vorher so lange reden, wie ihr wollt, wir werden sprechen, wir werden dann eben keine Rücksicht üben und auf den Anruf, die Dinge doch nicht weiter auszudehnen, nicht eingehen, dann zwingen diese Kollegen, die zu den nachfolgenden Punkten sprechen wollen, diejenigen, die zu vorangehenden Punkten sprechen müssen, sich etwas kürzer zu fassen. Aber die Rechte des
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8450 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
SpitzmüllerAbgeordneten in der Geschäftsordnung deshalb zu beschneiden, weil der eine oder andere offensichtlich nicht den Mut gehabt hat, sich gegen Absprachen der parlamentarischen Geschäftsführer durchzusetzen, halte ich doch für einen verwegenen Gedankengang.Ich möchte noch eines hinzufügen. Alle Redner, auch die Antragsteller, haben zugegeben, daß hier manchmal große und umfassende Probleme anstehen, die man einfach nicht in zehn oder fünfzehn Minuten darstellen kann. Also müssen wir gelegentlich auch längere Reden zulassen. Ich habe den Eindruck, daß die Antragsteller dabei völlig übersehen, daß sie nur die Rechte des Abgeordneten beschneiden. Es ist mit keinem Wort davon die Rede, daß von der Regierungsbank auch nur ein Vertreter eine längere Redezeit bekommen kann. Für diese bleibt es bei einer Stunde Redezeit.Ich könnte mir auch vorstellen, daß in der Zukunft größere Konfliktsituationen zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat entstehen. Dann hätten diejenigen, die auf dieser Bank sitzen, das uneingeschränkte Recht zu langen Ausführungen. Nur wir hier unten wollen unsere eigenen Rechte beschneiden gegenüber der erhöhten Bank rechts und der erhöhten Bank links.
Dazu kann ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie diesen Antrag unterstützt haben, nur sagen: Lassen Sie diesen Versuch bleiben. Versuchen Sie erst einmal, sich selbst zu überwinden. Versuchen Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, erst einmal, in Ihrer eigenen Fraktion ein bißchen auf die Notwendigkeit solidarischer Handlungsweise hinzuweisen, damit sichergestellt ist, daß eben auch diejenigen Kollegen aus Ihrer Fraktion, die zu untergeordneten oder nachgeordneten Tagesordnungspunkten sprechen wollen, dies noch zu einer vernünftigen Zeit tun können, weil die Sprecher zu den vorangegangenen Punkten aus einer gewissen Selbstüberwindung heraus bereit sind, sich so kurz wie möglich zu fassen. Das ist keine Frage der Geschäftsordnung, sondern eine Frage der Selbstdisziplin, die eine Fraktion in sich selbst üben kann.Ich kann also nur folgendes sagen. Was Sie vorschlagen, bedeutet eine Minderung der Rechte dieses Hauses bei Gleichbleiben und damit Mehrung der Rechte der Regierungsbank und der Bundesratsbank. Dabei kann ich mit dem besten Willen nicht mitmachen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ablauf dieser Debatte zeigt, wie man an einem konkreten, relativ unbedeutenden und klaren Problem vorbeireden kann. In die Argumente, die hier von der Opposition vorgebracht wurden, wurden Finanzreform, Finanzverfassungsgesetz, Bundesinnenminister und alles Mögliche hineingebracht, lauter Dinge, die mit diesem Problem gar nichts zu tun haben.
Meine Damen und Herren, hier geht es um die Frage, oh wir die Redezeit auf 15 Minuten beschränken wollen, und zwar im Interesse aller Abgeordneten. Hier wurde argumentiert, man wolle die Rechte der Abgeordneten beschneiden. Ich frage: welcher Abgeordneten denn? Die 3 % der Abgeordneten, die hier ständig reden, werden in ihren Rechten beschnitten. Von den Rechten der 450, die selbst bei großen Debatten überhaupt nicht die Möglichkeit haben, hier zu reden, spricht man dagegen nicht. Ich habe selten eine solche formaljuristische Auslegung des Begriffs „Rechte der Abgeordneten" gehört wie hier.
Das ist — liberal-formal gedacht — 19. Jahrhundert.
Mich interessieren doch nicht abstrakte Rechte, sondern mich interessiert — das sage ich ganz offen —, ob ich im konkreten Fall hier sprechen kann, und nicht, ob hier ein abstraktes Recht —
— Entschuldigung, Herr Dorn, das ist bei Ihnen doch genauso. Ich sehe es ja. Sie erscheinen mir viel zu oft, Herr Dorn. Ich hätte gern auch einmal andere Kollegen aus Ihrer Fraktion außer Ihnen, Herrn Moersch und Herrn Genscher kennengelernt. Das wäre auch eine Abwechslung in diesem Parlament.
Meine Damen und Herren, Herr Friderichs hat gesagt: Große Reform, ja. Aber wenn wir den ersten Schritt, einen kleinen bescheidenen Schritt tun wollen, wird er mit Argumenten gleich zerredet, die mit dieser Angelegenheit unmittelbar auch nicht das Geringste zu tun haben.
Wenn hier darauf hingewiesen wird, wir seien keine monolithischen Fraktionen mehr: Gott sei Dank! Ich gebe Ihnen da recht. Aber damit haben Sie das beste Argument dafür geliefert, daß es hier möglich sein muß, auch außerhalb des Establishments bestehende Meinungen vorzutragen. Da werden Sie wieder sagen: Das ist eine Sache Ihrer Fraktion! Sicher haben Sie als Minifraktion diese Probleme nicht, das gebe ich Ihnen zu; das ist bei uns schwieriger.
Es geht doch aber einfach um folgendes. Wenn man die Dinge realistisch und nicht irgendwie formal betrachtet, haben wir bei der Belastung des Hauses selbst für wichtige Dinge einfach nur sechs, acht Stunden Zeit zur Debatte. Und es kommt darauf an, ob in diesen sechs, acht Stunden nur acht oder zehn Mitglieder des Hauses sprechen oder vielleicht 20 oder 25. Um nicht mehr und nicht weniger geht es.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Dr. Stark? — Bitte, Herr Spitzmüller!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8451
Herr Kollege Dr. Stark, sind Sie bereit, zuzugeben, daß auch die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, wenn keine monolithischen Fraktionen vorhanden sind, die Möglichkeit haben, mit 30 oder 40 Mann ein sie besonders berührendes Thema hier in einer Aktuellen Stunde zu behandeln und damit mit der jetzt geltenden Geschäftsordnung das deutlich zu machen, was Sie nun über Änderungen der Geschäftsordnung versuchen?
Herr Spitzmüller, das ist Ihre Art, jetzt wieder vom eigentlichen Problem abzulenken. Sie haben jetzt wieder ein ganz anderes Problem angesprochen. Es geht um den normalen Ablauf der Diskussion hier. Ich sage Ihnen ganz offen: wenn dieser Bundestag an Anziehungskraft verloren hat, dann einfach deshalb, weil man hier genau weiß, wer vorliest, und in etwa auch schon weiß, was er vorliest. Das gilt sogar für die Opposition. Wenn Herr Moersch hier heraufkommt, weiß ich schon in etwa, in welche Richtung die Diskussion geht. Deshalb möchte ich hier mehr Abwechslung; ich möchte hier mehr Farbe hineinbekommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Bitte, Herr Kollege Collet!
Herr Kollege Stark, darf ich Sie fragen, ob auch Sie wie der Herr Kollege Spitzmüller zu den ängstlichen Gemütern gehören, die fürchten, daß 500 Abgeordnete nicht ausreichend Zeit haben, gegenüber 19 Regierungsmitgliedern ihre Meinung zu sagen.
Zum letzten, was die Regierungsmitglieder anbetrifft, würde ich auch sehr gern eine Beschränkung einführen, das gebe ich Ihnen von der Opposition ganz gerne zu. Ich habe etwas dagegen, daß hier Regierungsmitglieder, wie das in der letzten Zeit der Fall war, gleich stundenlang reden.
Zu Ihrer Frage, Herr Collet. Ich kann gar nicht verstehen — ich sage es Ihnen offen —, wie so vitale und progressive Leute wie Herr Genscher und Herr Moersch und Herr Dorn plötzlich kleinmütig werden und glauben, wir wollten sie quasi manipulieren. Davon kann nicht die Rede sein; das ist nicht das Anliegen dieses Antrags. Ich wundere mich, daß Herr Moersch — und ich glaube, wir sind in diesen Dingen gleich fortschrittlich, Herr Moersch — hier versucht, mit formalen Argumenten eine Sache kaputtzumachen, die meines Erachtens gut ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Temperament des Abgeordneten Dr. Stark zielt in diesem Falle meiner Ansicht nach doch in die falsche Richtung. Deswegen noch einmal ganz klar — auch zu Herrn Kollegen Collet —: das Problem, um das es hier geht, das Sie einfach nicht begreifen wollen, ist, daß mit dieser Änderung der Geschäftsordnung nicht nur ein Zustand befestigt, sondern sogar noch ausgeweitet wird, den auch Sie soeben als unbefriedigend bezeichnet haben, daß uns nämlich die Vorrechte der Regierung und des Bundesrats gelegentlich an einem lebendigen Ablauf der Debatte hindern.
Wenn Ihr Antrag so wie er ist, mit der Einteilung in Fraktionsführung und Abgeordnete der allgemeinen Klasse — ich will das mal so sagen —, durchgeht, dann haben Sie am Ende ein Drei-KlassenParlamentsrecht in der Geschäftsordnung drin, nämlich eines für Regierung und Bundesrat, eines für die Fraktionsführungen und eines für die anderen Abgeordneten. Das ist in der Praxis bisher schon so. Wir beklagen das außerordentlich und haben uns bemüht, das auch zu durchbrechen.
Bitte schön, Herr Baron von Wrangel!
Bitte, Herr von Wrangel!
Herr Moersch, können Sie einmal sagen, wo in diesem Antrag etwas von Fraktionsführungen steht? — Davon steht nämlich nichts drin!
Herr Kollege von Wrangel, die Begründung zeigt ganz klar, daß es hier Sonderrechte gibt. Denken Sie doch einmal an die schriftlichen Reden!
— Natürlich. Daß Sie sie bisher gehabt haben, zeigt ja, daß Sie versuchten, diesen Antrag zu stellen. Ich meine nur, daß Ihr Antrag genau das Gegenteil von dem bewirkt, was Sie ursprünglich beabsichtigt haben. In diesem Hause ist einmal scherzhaft der Vorschlag gemacht worden, für Ihre Gruppe 46 einen besonderen Nichtrednertag einzuführen in einer Woche, wo man dafür Zeit hätte, damit die 46 auch hier zu Wort kommen. Ich weiß nicht, ob das jetzt noch aktuell ist.In Wahrheit haben Sie tatsächlich ein DreiklassenParlamentsrecht vorgeschlagen, ob Sie das nun wollen oder nicht und auch wenn Sie genau das Gegenteil von dem bewirken, was Sie beabsichtigen. Hier ist eben Ihre Vorstellung von Obrigkeit verwirklicht, an die gehen Sie gar nicht heran. Für Sie gibt es eine Fraktionsobrigkeit und eine Regierungsobrigkeit, wodurch Sie sich zu Untertanen degradieren. Und weil wir das als Parlament nicht tun dürfen, bin ich dagegen, daß hier Sonderbestimmungen
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Moerscheinschränkender Art eingeführt werden. Lassen Sie es, wie es bisher war! Bemühen Sie sich, sich in Ihrer Fraktion durchzusetzen! Wählen Sie doch von mir aus einen anderen Vorstand, wenn Sie mit dem alten nicht zufrieden sind, aber lassen Sie uns in Ruhe mit Änderungen der Geschäftsordnung!
Als Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses und als Berichterstatter hat das Wort der Abgeordnete Bauer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir obliegt die Aufgabe sowohl als Vorsitzender des Ausschusses wie auch als Berichterstatter diese Debatte, die etwas sehr in die Weite und Breite gegangen ist, wieder auf den rauhen und nüchternen Boden der Ausschußvorlage zurückzuführen. Hinsichtlich des großen Wortes „Parlamentsreform" möchte ich zunächst darauf hinweisen, daß derjenige, der sich die Mühe gemacht hat, den Bericht zu lesen, dargelegt finden konnte, daß man nur deshalb von einer weitergehenden Revision der Geschäftsordnung — die sich nach den vielen Jahren der Praxis direkt als notwendig anbietet — abgesehen hat, weil es aus der Sicht des letzten Jahres einer Legislaturperiode kaum opportun erscheint, eine so große Aufgabe in Angriff zu nehmen. Das allein war der Grund.
Ich möchte zunächst einmal zu den Punkten in der Vorlage sprechen, die nicht Gegenstand von Kritik sind, sondern die unbestritten angenommen worden sind.
Da ist zunächst unter den Einzelbestimmungen der § 8. Der Ausschuß war sich in der Bitte an das Präsidium einig, während eines Tagesordnungspunktes von normaler Dauer — natürlich nicht in der Haushaltsberatung — den amtierenden Präsidenten tunlichst nicht zu wechseln, und zwar deshalb, weil es sich immer als nützlich erweist, daß der Präsident einen Überblick über den ganzen Sachgang der Debatte hat. Also diese Bestimmung des § 8 Abs. 2, die nur im schriftlichen Bericht niedergelegt ist, kann als unbestritten gelten.
Unbestritten ist weiter die Regelung der Großen Anfragen. Ich muß hier sagen: die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Genscher gehen fehl. Es ist unrichtig, wenn er die Regelung der Großen Anfragen so darstellt, als ob das etwa eine Sache der Koalitionsfraktionen wäre. Um hier aus der Schule zu plaudern: der Vorschlag kommt aus keiner der Fraktionen, sondern entstammt dem Präsidialbüro; er bedeutet nichts anderes als eine Rationalisierung des Ablaufs der Beratung hier im Plenum. Wenn man es genau auslegt, könnte man sogar eine Beschränkung der Möglichkeit der Regierung herauslesen, die hier nicht in der mündlichen Darlegung zu Wort kommt, sondern nur schriftlich.
Der Hintergrund dabei ist, daß mehr Zeit gewonnen werden kann für die eigentliche Debatte.
Ich muß hier auch als Ausschußvorsitzender sagen, daß von der Oppostion, von Herrn Genscher, im Ausschuß keine Einwände gegen diese Bestimmung erhoben worden sind.
Infolgedessen ist das Vorgehen im Plenum völlig neu.
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Genscher? — Bitte, Herr Genscher!
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen — und Sie werden es anhand des Protokolls noch einmal tun können —, daß ich festgestellt habe, wir seien gegen diese Vorlage mit Ausnahme der Neuregelung für die Großen Anfragen, der wir ausdrücklich zustimmten.
Danke schön, Herr Genscher.
Aber aus Ihrer ersten Einlassung war zu entnehmen — —
— Ich darf dazu sagen: mir wird natürlich als Berichterstatter und Vorsitzender des Ausschusses meine Aufgabe hinsichtlich der Objektivität sehr erschwert, wenn ich auf Zwischenfragen eingehen muß.
Ich habe mich nur bemüht, eine Richtigstellung vorzunehmen.
Das Protokoll wird ausweisen, daß gegen die Vorschrift über die Großen Anfragen keine Einwendungen erhoben worden sind.
— Sie haben, wenn ich mich recht erinnere, Herr Genscher, als Vertreter Ihrer Fraktion die ganze Vorlage abgelehnt, haben aber gegen die Regelung der Großen Anfragen keine Einwendungen erhoben.
Jetzt muß ich doch eine Bemerkung machen. An sich sollte man Berichterstatter nicht durch Zwischenfragen unterbrechen. Da aber der Herr Berichterstatter hier auch polemisiert hat, mußte ich die Zwischenfrage zulassen. Ich würde Sie bitten, Herr Kollege Bauer, Ihren Bericht sachlich zu ergänzen, aber nach Möglichkeit nicht gegen irgendwelche Standpunkte zu polemisieren. Andernfalls können Sie hier nicht als Berichterstatter sprechen, sondern einfach als Abgeordneter. Dann können Sie eine Meinung vertreten.
Herr Präsident, ich bin mir nicht bewußt, polemisiert zu haben. Ich habe
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nur etwas richtiggestellt. Ich bitte, das Protokoll nachher daraufhin zu prüfen, ob ich eine Äußerung getan habe, die polemisch zu werten war. Ich habe etwas nach dem Gang der Verhandlungen im Ausschuß richtiggestellt; das wird das Protokoll erweisen.
Nun der zweite Punkt. Es ist behauptet und in mehreren Diskussionsbeiträgen wieder angesprochen worden, es handle sich um eine Einschränkung des Rechts und der Freiheit der Abgeordneten. Ich muß hier aus dem Gang der Debatten im Ausschuß feststellen, daß auch diese Einlassung unrichtig ist. Auch nach der neuen Fassung bleibt nämlich der Ältestenrat, in dem die Fraktionen entscheiden, Herr der Debatte hinsichtlich der Zeiteinteilung. Es ist ganz im Gegenteil daran gedacht, daß durch die Einführung der Kurzreden mehr Abgeordnete zu Wort kommen sollen als bisher. Das ist die klare Tendenz.Was nun das Rederecht der Regierung anlangt, so muß ich sagen: Wer das ändern will, muß die Verfassung ändern; denn nach der Verfassung hat jedes Regierungsmitglied das Recht, jederzeit in die Debatte einzugreifen. Aber auch das hat der Ausschuß eingehend erörtert. Er hat ausdrücklich festgelegt, daß von der Regel der 15-Minuten-Rede dann abgegangen werden soll, wenn der Gang der Debatte und die Sache es erfordern. Also auch hier ist je nach der Situation der Aussprache ein Ventil vorhanden, so daß man nicht von einer Einschränkung der Freiheit und des Rechts der Abgeordneten sprechen kann.Es bleibt schließlich der § 37. Die vorgeschlagene Änderung des § 37 geht darauf zurück, daß die Anwendung der geltenden Bestimmung des § 37, nach der Reden grundsätzlich frei gehalten werden und im Wortlaut vorbereitete Reden eine Ausnahme sein sollen, die nur mit Genehmigung des Präsidenten zulässig ist, nach der im Ausschuß allgemein vertretenen Auffassung in der Praxis nicht befriedigend verlaufen ist. Es ist auch im Ausschuß die Frage der Klassifizierung von Abgeordneten angesprochen worden. Ich greife das auf, weil auch hier das Wort von einer Klassifizierung von Abgeordneten gebraucht wurde. Die Gefahr einer Klassifizierung von Abgeordneten wird nämlich gerade dann heraufbeschworen, wenn man den amtierenden Präsidenten in die mißliche Lage bringt, bei einem der Abgeordneten die Schere anzusetzen und in mehr oder weniger sanfter Form zu mahnen — vielleicht bei den Abgeordneten, die mehr im hinteren Glied sitzen --, während andere Abgeordnete etwa mehr in Richtung der oberen Ränge möglicherweise in dieser Richtung sehr großzügig behandelt werden. Der Ausschuß hat geglaubt, hier eine gewisse neue Modalität einführen zu sollen, und zwar soll der Präsident gehalten sein, zu mahnen, wenn ohne seine vorherige Zustimmung eine Rede verlesen wird. Ich darf hinzufügen, daß ein sehr hervorgehobenes Mitglied des Präsidiums diese Formulierung selbst vorgeschlagen und daß diese Formulierung keine Opposition von seiten anderer anwesender Präsidiumsmitglieder gefunden hat. Infolgedessen kann man sagen, daß diese Vorschrift des § 37 als eine Möglichkeit, der freien Rede in diesem Hause mehr Geltung zu verschaffen, akzeptiert werden kann. Zumindest ist sie von der Mehrheit des Ausschusses klar akzeptiert worden.Es bleibt die Frage der Kurzrede. Dies ist sicherlich der schwierigste Punkt. Es ist richtig gesagt worden, man habe dabei Vorbilder in europäischen Gremien einbezogen, jedoch nicht etwa kopiert. Die Minderheit, die Opposition, hat sich von Anfang an auf den Standpunkt gestellt: Die Frage kann nicht vom Umbau des Plenarsaals gelöst entschieden werden, wir wollen sie zurückstellen. — Ich erinnere daran, daß in der entscheidenden Vorlage aus den Reihen einer Fraktion die Forderung nach der 10Minuten-Rede erhoben worden war. Der Ausschuß ist in seinen Beratungen auf die Redezeit von 15 Minuten hinaufgegangen. In einem Vorschlag ist außerdem gefordert worden, daß man die Redezeit vorher beim amtierenden Präsidenten anzeigen müsse. Auch von dieser Vorschrift, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist man abgegangen. Man hat sich auf ein Minimum beschränkt, aber der Ausschuß hat aus der Sache heraus der Meinung der Fraktionen, die in diesem Hause die Mehrheit bilden, zugestimmt. Es ist so gedacht, daß wohl die erste Runde — und vielleicht auch die zweite Runde — der Debatte, jedoch die Diskussion im ganzen nicht nur von den Fraktionen mit Rednern bestückt werden sollen, sondern die Absicht war, auch denjenigen Rednern einmal eine Möglichkeit zur Intervention zu geben, die in diesem Hause sonst außerordentliche Schwierigkeiten haben, in einer Debatte zu Wort zu kommen. Bei der Neuerung hat also im großen und ganzen eine Erweiterung, nicht aber eine Einschränkung der Rechte und der Möglichkeiten des Abgeordneten im Blickfeld gestanden.Nun konkret zu den Anträgen. Als Berichterstatter und Ausschußvorsitzender bin ich gehalten, diese Ausschußvorlage zu verteidigen, und ich tue das aus der Sache und der Sachkenntnis heraus aus voller Überzeugung.Es ist Rückverweisung der §§ 37 und 39 an den Ausschuß beantragt worden. Ich setze hinzu, die §§ 37, 38 und 39 bilden eine gewisse Einheit — § 38 legt nur fest, daß man wahlweise vom Saalmikrophon oder vom Rednerpult aus reden kann —; beide Vorschriften müssen auch zusammen behandelt werden. Mit der 15-Minuten-Rede steht natürlich die Rede — nicht die Frage vom Saalmikrophon aus in engstem Zusammenhang. Wenn Paragraphen an den Ausschuß zurückverwiesen werden, dann also sinnvollerweise die §§ 37, 38 und 39 zusammen.Eine weitere Bemerkung. Ein Punkt — allerdings von verhältnismäßig geringer Bedeutung — war auch unumstritten, daß nämlich sogar im Rahmen der Aktuellen Stunde, in der 5-Minuten-Reden gehalten werden, die Verlesung von Passagen erlaubt sein soll, um dem Redner tunlichst Kürze und Präzision zu ermöglichen.Nach dem Gang der Debatte sind also die Nrn. 4 und 5 unbestritten. Die Nrn. 1, 2 und 3, die die §§ 37,
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Bauer
38 und 39 betreffen, sollen, so ist es beantragt worden, an den Ausschuß zurückverwiesen werden. Ich betone noch einmal, daß im Ausschuß nach zwei Beratungen bei unterschiedlicher Besetzung — es waren nicht immer dieselben Mitglieder — mit Ausnahme der Stimme der FDP Einmütigkeit bestanden hat. Die Vorlage ist gründlich durchdiskutiert, und die Annahme würde nach Meinung des Ausschusses keine Reform bedeuten, aber ein wesentlicher Schritt dazu sein, die Debatte in diesem Hause zu verlebendigen, das Parlament nach außen attraktiver zu machen, damit nicht mehr Monologe von der dazu direkt einladenden Rednertribüne abgelesen werden, sondern der freien Rede der Vorrang gegeben wird und die Monologe über den Kopf hinweg und an den Köpfen vorbei durch den Dialog ersetzt werden. Das ist Zweck und Sinn der Vorlage.
Das Wort hat der Abgeordnete Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Bauer nach meinem Vorhalt noch einmal die Behauptung aufgestellt hat, ich hätte mich hier in bezug auf die Großen Anfragen in Gegensatz zu meinem Verhalten im Ausschuß gesetzt, darf ich mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Stenographischen Protokoll zitieren. Ich habe heute morgen in meiner Rede gesagt:
Ich glaube allerdings, daß die Beschlüsse, die im Ausschuß für Geschäftsordnung gegen die Stimmen der Opposition gefaßt worden sind — ich nehme hier die Beschlüsse über die künftige Behandlung der Großen Anfragen aus —, nicht geeignet sind, die Probleme, die unserem Hohen Hause für seine Arbeit gestellt sind, zu lösen.
Damit, meine Damen und Herren, ist die allgemeine Aussprache beendet.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Es handelt sich hier nicht um ein Gesetz, sondern um einen Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung. Wir müssen also über die einzelnen Ziffern dieses Antrags entscheiden. Vom Ergebnis dieser Entscheidung wird es schließlich abhängen, ob wir die Vorlage in einer Gesamtabstimmung verabschieden oder wie wir sie sonst behandeln.
— Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der SPD beantrage ich, die Beratungsgegenstände unter den Nrn. i und 3 der Vorlage nach § 82 der Geschäftsordnung an den Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zurückzuverweisen und über die anderen Ziffern abzustimmen.
Herr Kollege Frehsee, würden Sie nicht dem Gedanken des Herrn Berichterstatters folgen und den § 38 als in einem inneren Zusammenhang mit dem von Ihnen erwähnten Paragraphen stehend ansehen?
Nein.
Gut, ich wollte das nur klarstellen, damit wir bei der Abstimmung richtig verfahren.
Ich rufe also jetzt die Nr. 1 des Ausschußantrages auf, § 37. Ich nehme nicht an, daß dazu noch einmal speziell das Wort gewünscht wird. Wir können gleich zur Abstimmung kommen. Es liegt der Antrag des Abgeordneten Frehsee auf Rückverweisung an den Ausschuß vor. Wer stimmt diesem Antrag zu? —Danke. Gegenprobe! — Wir wollen die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag auf Rückverweisung zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe! — Wenn ich von den akustischen Erscheinungen ausgehe, bin ich mir im Zweifel, wo die Mehrheit liegt.
Wir zählen aus. — Damit klar ist, wie wir abstimmen: diejenigen, die der Rückverweisung zustimmen wollen, müssen durch die Ja-Tür gehen. — Die Auszählung beginnt.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Abgestimmt haben 335 Mitglieder des Hauses. Davon haben 157 mit Ja, also für die Rückverweisung, 158 mit Nein gestimmt.
Enthalten hat sich niemand.
Vielleicht haben die Damen und Herren, die Beifall gespendet haben, übersehen, daß das Ergebnis die Rückverweisung ist. Ich müßte mich vor dem Hause entschuldigen, wenn ich mich versprochen haben sollte.
Ich gebe das Abstimmungsergebnis also nochmals bekannt: Von den 335 Abstimmenden haben 177 mit Ja, also für die Rückverweisung, und 158 mit Nein gestimmt.
Wir fahren in der Einzelberatung fort. Es ist noch über § 38 unter Nr. 2 zu entscheiden. — Herr Moersch hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich den Fraktionsgeschäftsführer der SPD, Herrn Frehsee, richtig verstanden habe, war er für Annahme dieses Antrags.
— Für Abstimmung hier. Gut, dann darf ich namens der Freien Demokraten die Ablehnung dieses Vorschlags beantragen. Ich begründe das mit einem Hinweis auf die Debatte bei der ersten Beratung.Wir halten es trotz aller praktischen Erwägungen, die hinter diesem Paragraphen stehen, aus prinzipiellen Gründen nicht für richtig, daß jemand in
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Moerschdiesem Hause nur mit dem Gesicht zur Regierungsbank und nicht zum Parlament gewandt redet. Ich bitte Sie, diesen Einwand zu berücksichtigen. Die Verwendung des Saalmikrophons bedeutet, daß Sie nicht mehr zu Ihren Kollegen sprechen, d. h. zu denen, die hier eine Mehrheit zu bilden haben.Deshalb glauben wir, daß die hier vorgeschlagene Fassung dem parlamentarischen System, der parlamentarischen Demokratie nicht gemäß ist, und bitten deshalb um Ablehnung dieses Vorschlags.
Herr Abgeordneter Mommer!
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich hier für die Freiheit der Abgeordneten einsetzen, und die Freiheit besteht ja darin, daß sie wählen können. Der Text hier besagt nämlich, daß der Abgeordnete mit sich selber abmachen kann, oh er vom Saalmikrophon oder von hier aus sprechen will. Ich würde ihm in der Regel raten, daß er von hier aus spricht, solange wir diesen großen Vorlesungssaal haben, den wir einen Plenarsaal nennen. Herr Moersch, hier geschieht niemand Unrecht, wenn derjenige, der spricht, selber entscheidet, ob er vom Saalmikrophon oder von hier aus sprechen will.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Argument des Kollegen Dr. Mommer ist leider nur zur Hälfte richtig. Es gibt nicht nur die Freiheit dessen, der spricht, sondern auch die Freiheit derer, die ihm zuhören müssen. Die Freiheit derer, die ihm zuhören müssen, ist beschränkt, wenn sie dem Redner nicht ins Gesicht sehen können.
— Sie können ja hier im Plenarsaal keine Drehstühle einrichten. Wir sind hier nicht beim Friseur, sondern im Plenarsaal. Bitte, beachten Sie, daß die Freiheit auf diesem Gebiet zwei Seiten hat, Herr Dr. Mommer. Ich bitte Sie, sich Ihre Argumentation noch einmal zu überlegen; ich halte sie für unzureichend.
Das Wort hat der Abgeordnete Mommer.
Ich höre mit den Ohren und nicht mit den Augen. Außerdem, Herr Moersch, wenn Sie vom Mikrophon aus Zwischenfragen stellen —was Sie häufig tun und mit gutem Recht tun , dann muß man das gleiche tun: dann muß man sich auch verrenken, um Sie zu sehen.
Ich glaube, wir können abstimmen. Zur Abstimmung steht Ziffer 2 —§ 38 — des Ausschußantrages. Wer stimmt dem Ausschußantrag zu? — Die Gegenprobe! — Das erste
war die große Mehrheit. Dieser Teil des Ausschußantrags ist angenommen.
Ziffer 3 — § 39 — ist bereits erledigt.
Ich rufe die Ziffer 4 auf. Sie bezieht sich auf § 105 — Große Anfragen — der Geschäftsordnung. Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wir stimmen ab. Wer stimmt der Ziffer 4 zu? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Ziffer 4 ist einstimmig angenommen.
Ziffer 5 — § 106! Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer dieser Ziffer 5 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch das ist einstimmig beschlossen.
Ziffer 6 — § 108 der Geschäftsordnung! Wird dazu
das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bauer .
Herr Präsident, ich muß vor der Schlußabstimmung aus der Sache heraus das Wort noch einmal nehmen. Von der Schriftführerin ist heute vormittag — mit der Anmerkung, es handele sich um ein sprachliches Versehen — die Fassung des § 39 beanstandet worden. Im letzten Satz müsse es — so hat sich Frau Geisendörfer hier eingelassen — heißen: „Er soll sie verlängern, wenn Gegenstand oder Verlauf der Aussprache dies nahelegen". Hier im Text steht: „nahelegt". Ich muß als Berichterstatter sagen, daß der Ausschuß diese Formulierung in voller Absicht gewählt hat. Der Sinn ist, daß die aufgeführten Begriffe nicht kumulativ, sondern fakultativ erfaßt sein sollen. Ich bitte, es bei der Fassung des § 39 zu belassen, wie er in der Vorlage steht. Diese Anmerkung ist zur Einfügung im Protokoll notwendig, damit der Hintergrund der vorgelegten Fassung ihre Richtigkeit erklärt.
Erstens, Herr Abgeordneter, ist dieser Teil des Ausschußantrags bereits an den Ausschuß zurückverwiesen worden. Zweitens stimme ich Ihnen zu: es handelt sich um zwei Singulare, die durch das Wort „oder" getrennt sind, so daß also auch das Verbum im Singular stehen muß. Aber diese grammatikalische Feinheit können Sie im Ausschuß noch einmal überdenken, wenn es notwendig ist. Ich schlage vor, daß wir in der Abstimmung fortfahren.Ziffer 6! Wer stimmt zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ziffer 6 ist einstimmig angenommen.Ziffer 7 des Ausschußantrages bezieht sich auf die Aktuelle Stunde. Gibt es dazu Wortmeldungen? — Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer der Ziffer 7 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch das ist einstimmig beschlossen. — Eine Enthaltung.Über die Ziffer II des Ausschußantrages, wonach die Anträge Drucksachen V/509 und V/2343 durch die Annahme des Antrags unter Ziffer I für erledigt erklärt werden sollen, kann man jetzt nicht abstimmen, weil ja ein Teil des Antrags unter Ziffer I zurückverwiesen worden ist. Die Frage muß also offenbleiben,
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Vizepräsident SchoettleDamit ist Punkt 4 der Tagesordnung erledigt. Ich glaube, eine Gesamtabstimmung hat in diesem Zusammenhang keinen Sinn.Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg, Sänger, Dr. Burgbacher, Dr. Arnold, von Eckardt, Raffert, Rock und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes— Drucksache V/1874 --a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache V/2656 —Berichterstatter: Abgeordneter Windelenb) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
— Drucksache V/2610 --Berichterstater: Abgeordneter Dr. Koch
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Ich rufe auf § 1, § 2, § 3, — § 4, — Einleitung und Überschritt. Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Paragraphen sind einstimmig angenommen.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird in der dritten Beratung das Wort gewünscht? — Abgeordneter Schulze-Vorberg hat das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Seit einem Jahr beschäftigt sich der Bundestag intensiv mit der Frage einer freien Presse in unserem freien Staat und in diesem Zusammenhang vor allem mit der Pressevielfalt, die wir erhalten und stärken wollen. Es ist notwendig, für die Presse etwas zu tun, weil wir für uns, für das ganze Volk etwas tun müssen. Wer heute morgen die Zeitung aufgeschlagen hat und wer die Kommentare auch im Rundfunk mit den Zeitungsübersichten gehört hat, der weiß, daß z. B. die Ereignisse des gestrigen Tages in einer Vielfalt kommentiert worden sind, wie wir sie uns nur wünschen können.
— Das ist immer so; über den Inhalt wird man sich immer streiten können. Ich persönlich freue mich als Journalist und als Parlamentarier über die Vielfalt der Meinungen, die nicht nur aus den großen Städten, etwa aus Berlin oder Hamburg oder München, kommen, sondern auch etwa aus Aachen und Bielefeld und Würzburg. Ich meine, das sollte so bleiben.
Darum sind wir, die Antragsteller, den beteiligten Ausschüssen dankbar, daß sie unsere Anträge so schnell und zügig beraten haben: dem Wissenschaftsausschuß, dem Finanzausschuß, dem Haushaltsausschuß. Besonders bedanken möchte ich mich persönlich bei Finanzminister Strauß, der trotz der schwierigen Haushaltslage die Antragsteller geradezu zu ihrem Antrag ermutigt hat.
Es ist der einzige Antrag zur Förderung der Presse, der im Augenblick dem Hohen Hause vorliegt. Wir sind uns hoffentlich alle darüber im klaren, daß, wenn die Pressevielfalt erhalten bleiben soll, wir mehr tun müssen. Die Presse muß selbst mehr tun in der Zusammenarbeit der Verleger und der .Journalisten, und wir müssen mehr dafür tun.
Dieses Gesetz wird Schwierigkeiten in der Durchführung ergeben, weil — das hat sich jetzt durch viele Zuschriften gezeigt — die Abgrenzung nicht ganz einfach ist. Wir hoffen und wünschen, daß das Finanzministerium seine Finanzämter anweist, großzügig zu verfahren und in Zweifelsfällen bei Zeitungen und Zeitschriften etwas zu tun, wenn das Anliegen, das der Bundestag mit diesem Gesetz vorgebracht hat, dadurch besser erfüllt ist.
Wir müssen in den Pressefragen weiter verhandeln, wir müssen ihnen Aufmerksamkeit schenken, wir müssen das ganze Gebiet der Informationspolitik gründlicher und im Zusammenhang erkennen lernen. Ich glaube, wir erfüllen gerade auch für unser Parlament eine wichtige Aufgabe, wenn wir die Kritik fördern. Darum soll die Pressefreiheit erhalten und gefördert werden.
Ich möchte allen danken, die diesem Antrag ihre Zustimmung gegeben und ihn im Verlaufe der Beratungen gefördert haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das hier zur dritten Lesung anstehende Gesetz über die Umsatzsteuerrückvergütung an bestimmte Verlage ist nur ein Problem aus einem großen Problemkreis. Es kann daher nicht davon die Rede sein, daß mit dem, was wir jetzt in dritter Lesung beschließen sollen, auch nur in etwa die großen Probleme der Pressekonzentration, die Probleme der Folgen dieser Pressekonzentration für die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik nun einer Lösung entgegengeführt wären. Wir wissen, daß wir nur einen kleinen Teilaspekt hier behandeln, allerdings einen Teilaspekt, dessen Bedeutung man nicht unterschätzen soll. Denn wir sind der Meinung, daß die kleineren und mittleren Tageszeitungen — und nur diese werden ja durch diesen Gesetzesantrag zunächst einmal erfaßt werden — eine besondere Leserintensität haben, daß eine Tageszeitung in einem kleinen oberbayerischen oder einem kleinen fränkischen Ort viel intensiver gelesen wird als etwa eine Boulevardzeitung, die man so zwischen Tür und Angel auf die Überschrif-
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Zoglmannten hin durchblättert und dann wegwirft. Infolgedessen sollte man gerade diesen Zeitungen auch eine besondere Bedeutung zuerkennen und sie entsprechend fördern.Ich bedaure sehr, daß die Bundesregierung bisher in ihrer Anzeigenvergabe diese Zeitungen nicht entsprechend berücksichtigt hat, obzwar in dem nunmehr vorliegenden ersten Bericht der Pressekonferenz der Bundesregierung gerade auf dieses Problem besonders hingewiesen wird, nämlich auf die Notwendigkeit der Anzeigenvergabe auch an diese kleinen und mittleren Tageszeitungen.Man sollte vielleicht auch den Werbeagenturen von dieser Stelle aus sagen, daß sie ihren Kunden einen schlechten Dienst erweisen, wenn sie ihnen aus Gründen der Bequemlichkeit oder aus Uneinsicht in die eigentliche Problematik vorschlagen, generell nur Tageszeitungen mit einer Auflage von über 100 000 mit Markenartikelanzeigen zu belegen, während kleinere Zeitungen von vornherein herausfallen, was sicherlich auch den Interessen dieser Markenartikelfirmen nicht dient.Wir haben über dieses Gesetz, wie der Kollege Schulze-Vorberg sagte, nicht sehr lange beraten. Aber ich muß sagen, das Kind war praktisch eigentlich schon im Brunnen; denn als wir das Gesetz verabschiedet haben, gab es keine Umsatzsteuer mehr.
— Ja, wir haben es wieder herausgeholt, bevor es ganz ertrunken war. Aber immerhin, wir haben erst eine Regelung finden müssen, die nicht mehr den Umsatzsteuernachlaß, sondern eine Rückvergütung vorsieht, weil die Umsatzsteuer seit dem 1. Januar dieses Jahres nicht mehr in der bisherigen Form besteht.Meine Damen und Herren, die Summe, die hier den Verlagen zugewendet wird, beträgt 8 Millionen DM. Da 400 Verlage davon betroffen sind, sind das im Schnitt 20 000 DM. Niemand wird hier also sagen können, daß wir gewissermaßen große Gewichte bewegt hätten. Im Gegenteil, wir sollten uns des bescheidenen Anteils, den wir hier geleistet haben, bewußt bleiben.Ein Letztes. Meine Fraktion hat im Ausschuß bereits darauf hingewiesen, daß die Abgrenzung der Zeitungen mit überwiegend politischem Anteil sehr, sehr schwierig sein wird. Die Zeitungen, die einen überwiegend politischen Anteil haben, sollen davon erfaßt werden. Wir waren der Meinung, daß man diesen Begriff nicht eng, sondern extensiv auslegen sollte. Wir sind der Meinung, daß eine ganze Reihe von Zeitungen — ich denke da beispielsweise auch an die Sportblätter eine durchaus konstruktive Aufgabe erfüllen und daß man sie ebenfalls mit erfassen sollte, um so mehr, als bei extensivster Auslegung insgesamt nur ein Mehrbetrag von 2 Millionen DM erforderlich wäre. Wir hoffen also, daß wir nicht hinterher Ärger dadurch haben, daß die Finanzämter diesen Begriff nicht großzügig genug auslegen, sondern ihn zu eng interpretieren.Trotz dieser hier vorgetragenen einschränkenden Überlegungen ist meine Fraktion bereit, diesem Gesetzesantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sanger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um einen Vorgang von nicht allzu großer Bedeutung. Es handelt sich, um es ganz deutlich zu sagen, um ein einmaliges Steuergeschenk. Es handelt sich noch nicht um das, was wir wahrscheinlich werden tun müssen, nämlich um eine Strukturänderung. Darüber werden wir noch zu beraten haben.
Dieses Geschenk ist nicht eine Gabe, die man der deutschen Presse darbietet, um um gutes Wetter zu bitten. Es ist vielmehr eine Notwendigkeit, den Verlagen, die in besonderer Notlage sind, eine Möglichkeit des Luftholens zu geben. Nicht mehr ist es. Ich dachte deshalb, daß wir die Möglichkeit hätten, ohne Aussprache über diesen Vorgang hinwegzukommen, der einfach eine Hilfe an besonders in Not befindliche Verlage sein soll, sozusagen eine Anzahlung auf das, was nach einer späteren Beratung noch kommen muß.
Bitte erlauben Sie mir, daß ich versuche, in einem Punkte noch eine Hilfe zu leisten. Ich habe aus den Beratungen sowohl im Finanzausschuß wie auch im Haushaltsausschuß erfahren, daß keine Einmütigkeit darüber besteht, wie man einen bestimmten Begriff mit einem Inhalt erfüllt. Ich darf mir erlauben, darauf hinzuweisen — das ist ein Hinweis an das Finanzministerium, das jetzt an die Ausführung geht; aber er sollte von der Legislative kommen und zur Exekutive gehen —, daß sowohl im Bericht der Günther-Kommission — auf Seite 15 steht es — als auch in der Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Bericht von beiden Seiten übereinstimmend die Interpretation des Begriffs ,,politische oder bildende Zeitschriften" dahin erfolgt ist, daß „kultur-, wirtschafts- und sozialpolitische sowie religiöse Blätter" gemeint sind. Das sind diejenigen, die insbesondere unter dieser Not zu leiden haben, und man sollte sie mit berücksichtigen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegenprobe! Enthaltungen? — Gegen eine Stimme und bei einer Enthaltung ist das Gesetz in dritter Beratung angenommen.Ich rufe nun den Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeswaffengesetzes— Drucksache V/528 —
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8458 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Vizepräsident SchoettleSchriftlicher Bericht des Innenausschusses
— Drucksache V/2623 —Berichterstatter: Abgeordneter Köppler
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Köppler. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? —Herr Abgeordneter Köppler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte auf meinen Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht verweisen und hier nur noch eine kleine Ergänzung vortragen. Bei dem Ihnen vorliegenden Umdruck 371 *) handelt es sich um Änderungsanträge zu drei Paragraphen des Entwurfs eines neuen Bundeswaffengesetzes, Änderungsanträge, die keinerlei politische Ambition haben, sondern lediglich einer textlichen Klarstellung dienen sollen. Sie sind insofern allerdings eine notwendige Verbesserung der textlichen Änderungen, die der Innenausschuß vorgenommen hat.
Ich darf Sie bitten, den Änderungsanträgen auf Umdruck 371 zuzustimmen.
Wir treten in die Einzelberatung ein. — Ich rufe zunächst § 1 auf, auf den sich Ziffer i des Umdrucks 371 *) bezieht.
Wird zu dem Umdruck noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann können wir über den Änderungsantrag abstimmen. Wer stimmt der Ziffer 1 des Änderungsantrags zu? — Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Der Antrag ist angenommen.
Wir stimmen dann über § 1 in der jetzt beschlossenen Fassung ab. Wer § 1 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke! — Die Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Einstimmig!
Ich rufe dann die §§ 2 bis 19 auf. Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen!
Zu § 20 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 371 Ziffer 2 vor. Darüber braucht wohl nicht mehr geredet zu werden, da der Antrag begründet ist. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Danke!
— Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen nun über § 20 in der neuen Fassung ab. Wer stimmt § 20 zu? — Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ebenfalls einstimmig angenommen!
Ich rufe nun die §§ 21 bis 31 einschließlich auf. Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen!
*) Siehe Anlage 2
Zu § 32 liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 371 Ziffer 3 vor. Das Wort dazu wird nicht gewünscht. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu?
— Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen!
Wir stimmen jetzt über § 32 in der neuen Fassung ab. Wer zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Paragraph ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nun die §§ 33 bis 50, Einleitung und Überschrift, auf. Wer stimmt den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zu? — Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? —Die aufgerufenen Paragraphen sowie Einleitung und Überschrift sind einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Beratung beendet. Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Wird in der allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Schlußabstimmung über das Gesetz im ganzen. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Danke! — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Nun müssen wir noch über den zweiten Teil des Ausschußantrages abstimmen, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wenn diesem Teil II des Ausschußantrages nicht widersprochen wird, stelle ich fest, daß er beschlossen ist.
Ich rufe nun Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Statistik der Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen
Drucksache V/2360 —
a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung
— Drucksache V/2581 -Berichterstatter: Abgeordneter Windelen
b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen
— Drucksache V/2580 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Luda
Wünschen die Herren Berichterstatter das Wort?
— Das ist nicht der Fall.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Das Wort hat Frau Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Bundesrat hat die Vorlage des Gesetzes über eine Statistik der Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen abgelehnt. Es gab keine Stimme im Finanzausschuß des Bundesrates,
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Frau Funckedie sich für diese Vorlage eingesetzt hat, und die Ablehnung erfolgte mit Prägnanz und mit aller wünschenswerten Deutlichkeit.Der Bundesrat sagt: „Die Arbeitsüberlastung, die hiermit verbunden ist, ist für die Finanzämter nicht zumutbar. Der Wert der Statistik ist äußerst zweifelhaft; die Kosten stehen in einem nicht vertretbaren Mißverhältnis zu dem Wert der Erhebung."Meine Herren und Damen, worum geht es denn eigentlich? Nach der Vorlage der Regierung und nunmehr auch nach dem Bericht des Ausschusses sollen zu jedem Einkommensteuertermin über 4 Millionen Einkommensteuerpflichtige einen zusätzlichen Erhebungsbogen ausfüllen, natürlich in doppelter Ausfertigung. Das sind also 8 Millionen und mehr Formulare. Die gehen alle ans Finanzamt. Davon sollen höchstens 15 % ausgewertet werden, das heißt, 85 % dieses Papiers und dieser Arbeitsleistung gehen in den Papierkorb.Die Formulare sollen nach den Angaben ausgewertet werden, die der Steuerpflichtige macht. Dies alles, damit ein wenig früher, als es mit der normalen Statistik möglich ist, Angaben über verschiedene Einkunftsarten vorliegen. Dazu soll der Steuerpflichtige noch zusätzlich die Vergleichsangaben aus dem Vorjahr machen. Das bedeutet hei den steuerberatenden Berufen, daß sie immer wieder rückfragen müssen, wie das im vorigen Jahr war, weil das Finanzamt ja bekanntlich immer nur zwei Formulare gibt und diese nur bei den Steuerpflichtigen und nicht beim Steuerberater liegen.Der Berichterstatter, Herr Dr. Luda, schreibt in seinem Bericht, das sei zumutbar. Das heißt, er scheint es für zumutbar zu halten, daß 85 % der Steuerpflichtigen für den Papierkorb des Finanzamts arbeiten. Wir Freien Demokraten sind der Meinung, daß das nicht zumutbar ist und nicht dem normalen Verhältnis entspricht, das der Staat gegenüber dem Staatsbürger haben sollte.Hier müssen wir allerdings noch eines klären. Ich bedaure, daß der Herr Berichterstatter nicht im Raum ist. Er schreibt, daß es falsch sei, daß höchstens 15 % der Erhebungsvordrucke für die Statistik benötigt würden, wie in der Öffentlichkeit vorgebrachte Vermutungen lauteten. Ich frage mich, worauf der Herr Berichterstatter diese Auffassung stützt; denn im Gesetz steht ganz eindeutig — und das Gesetz ist ja wohl zuständig —, daß ein durchschnittlicher Auswahlsatz von höchstens 15 % der Gesamtzahl verwertet werden soll. Es ist also im Gesetz eindeutig vorgeschrieben, daß nicht einmal 15 % verwendet werden.Meine Herren und Damen, der Sinn dieser zusätzlichen Arbeitsbeschaffung für den Steuerpflichtigen liegt nach den Angaben der Regierung darin, daß der Sachverständigenrat für das Jahresgutachten eine solche jährliche Statistik für erforderlich hält. Offensichtlich ist auch die CDU neuerdings der Meinung, daß das entgegen ihrer früheren Auffassung nötig sei. Denn es ist noch gar nicht so lange her — ich bitte das Datum zu registrieren: 6. Dezember 1966; das war vier Tage vor der Gründung der Großen Koalition —, daß die CDU einmütig einemGesetz über die Steuerstatistiken zugestimmt hat, in dem die Erstellung einer Statistik über Einkommensteuer, Lohnsteuer und Körperschaftsteuer alle drei Jahre festgelegt wurde. Es wäre interessant, zu erfahren, worauf die CDU ihre neuerliche Vorstellung gründet, daß die Einkommensteuerstatistik alle Jahre, die Lohnsteuerstatistik aber weiterhin nur alle drei Jahre erforderlich sein soll.Was ist es eigentlich mit diesen Statistiken? Wir bekommen von Tag zu Tag mehr Zahlen und mehr Gutachten. Die Regierung hat nicht nur eine Fülle von neuen Fremdwörtern in die Debatte eingeführt, sondern auch eine Fülle von neuen Statistiken und von Forderungen nach Statistiken.
Ich will nichts Grundsätzliches gegen Statistiken sagen. Aber was helfen denn alle Zahlen, und was helfen denn alle Gutachten, wenn sich die Regierung, wenn sich dieses Haus in seiner Mehrheit nicht danach richtet? Das Sachverständigengutachten enthält eindeutig die Empfehlung, die Steuern zu senken. Dieses Haus und diese Regierung aber erhöhen die Steuern. Was hilft denn die viele Arbeit, wenn doch nicht danach gehandelt wird? Man hat wirklich allmählich den Eindruck, daß vor lauter Zahlen die Richtung nicht mehr zu erkennen ist.Wir sollten ernst nehmen, was der Bundesrat, der ;a die Verhältnisse besser kennt als der Bund, weil wir keine Bundesfinanzverwaltung bei den direkten Steuern haben, für Einwendungen erhebt. Zunächst einmal sagt der Bundesrat: Diese vom Steuerpflichtigen ausgefüllten Bogen haben nur eine sehr begrenzte, eine sehr zweifelhafte Aussagekraft. In der Tat, wer sich einmal sagen läßt, wie viele von den eingereichten Einkommen- und Körperschaftsteuererklärungen, vor allem von den Einkommensteuererklärungen, unrichtige und unvollständige Angaben enthalten, kann ernstlich eine Statistik von einiger Glaubwürdigkeit nicht auf diese .Angaben der Steuerpflichtigen stützen. Nicht ohne Grund sind ja die Selbstveranlagungen bei den Steuerpflichtigen noch nicht so recht weitergekommen. Zum Teil können die Steuererklärungen auch gar keine vollständigen Angaben enthalten; denn nicht selten sind Gesellschafter von Personengesellschaften oder von Erbengemeinschaften gar nicht in der Lage, rechtzeitig die Ergebnisse der Gemeinschaft zu kennen. Sie schreiben dann ganz schlicht: Siehe Steuernummer sowieso beim Finanzamt sowieso. Wie wollen Sie das dann nachher im Computer verarbeiten? Der kann ja nicht gut im fremden Finanzamt nachsuchen, wo denn möglicherweise die fehlende Angabe ist. hie Angaben sind also unzuverlässig, und es wäre verhängnisvoll, unsere künftige Politik etwa auf solche unzuverlässigen Angaben auszurichten.Zweitens verweist der Bundesrat auf die Kosten. Sie sind laut Bericht und laut Angabe des Finanzministeriums mit 1,168 Millionen DM errechnet. Das ist auf den ersten Anschein gar nicht soviel, wenngleich es immerhin höchst interessant ist, daß der Bundesrat diese Kosten für höher hält als den Wert der Statistik.
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Frau FunckeAber damit sind die Kosten nicht völlig erfaßt. Nicht erfaßt ist die Arbeitsleistung des Steuerpflichtigen. Nun mögen Sie sagen: Das ist Freizeitbeschäftigung und Freizeitgestaltung; das mag der einzelne sonntags tun. Nicht erfaßt sind aber die Beträge, die die steuerberatenden Berufe für diese Arbeitsleistung fordern müssen und die der Steuerpflichtige, wie gesagt: für den Papierkorb des Finanzamts, zusätzlich aufwenden muß. Ich meine, dies sollten wir schon ernst nehmen. Wir sollten es um so mehr ernst nehmen, als der Bundesrat mit Recht auf die Überlastung der Finanzämter aufmerksam macht. Was wir hier in den letzten Jahren und Monaten an Steuergesetzen verabschiedet haben, müßte uns, zumindest den kundigen Thebanern, eine Vorstellung von der Arbeitsleistung und Arbeitsbelastung der Finanzämter geben. Wir haben die Mehrwertsteuer, mit der die Finanzämter wahrlich viel zu tun haben, wir haben die Neubewertung des Grundbesitzes, wir haben die Ergänzungsabgabe, wir haben erschreckende Zahlen über nicht erfolgende Betriebsprüfungen, und wir hören von Milliardenbeträgen, die angeblich deswegen den Bundes- und Landesfinanzen verlorengehen. Wenn wir dies alles mit in die Rechnung einbeziehen, können wir eigentlich nicht guten Gewissens einer zusätzlichen Arbeitsbeschaffung beim Finanzamt das Wort reden. Die Regierungsvorlage weist die direkten Kosten aus; es wäre aber hochinteressant, Herr Staatssekretär, auch einmal zu hören, wie viele zusätzliche Finanzbeamten die Länder wegen dieser Statistik einstellen bzw, wie viele Beamten sie von anderer wichtigerer Arbeit abziehen müssen.Sicherlich ist es gut, gegenwartsnähere Angaben über die Einkünfte zu haben. Aber wir alle miteinander reden doch der Automation in den Finanzämtern das Wort. Dann brauchen wir aber diese zusätzliche und törichte Arbeit nicht ; denn wenn wir ein vollautomatisiertes Finanzamt haben, springt das doch ohne Mühe einfach aus der elektronischen Verarbeitung heraus. Wollen wir uns doch, ehe wir hier einen Riesenberg von nutzlosem Papier anhäufen, auf die Automation konzentrieren und dort Geld investieren; dann können wir dort repräsentative Auswertungen vornehmen, wo bereits die technischen Einrichtungen vorhanden sind.Meine Herren und Damen! Wir sind seitens der Freien Demokraten im Grundsatz sicherlich nicht gegen Statistik. Wir kennen durchaus den Wert von Statistiken und Gutachten. Aber sie müssen sich in einem vernünftigen Rahmen bewegen. Was hier beschlossen wird, ist sachlich nicht begründet, ist wegen der Arbeitsbelastung nicht vertretbar und ist eine Zumutung für die Steuerpflichtigen. Ich bitte namens der Freien Demokratischen Partei, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Regling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Funcke, Sie haben
selber gesagt, daß wir gutes Zahlenmaterial brauchen. Ich erinnere mich eigentlich sehr genau, daß Sie, aber auch Ihre Fraktionskollegen, bei den Ausschußberatungen immer wieder sich darüber beschwerten —wir alle haben uns darüber beschwert—, daß das Zahlenmaterial, das wir bekommen, wohl für historische Zwecke oder sonst ähnliche Zwecke brauchbar ist, daß es aber für uns nicht zeitnah genug ist. Es ist nicht das, was wir eigentlich brauchen.
Sie sagen, die Finanzämter würden dadurch überlastet. Das stimmt nicht, wie ich mir von einem Fachkenner habe sagen lassen; denn die Finanzämter sind nur Sammelstellen für diese Erklärungen, und das halte ich für zumutbar. Wenn Sie sagten, es sei vielleicht für die Wirtschaft unzumutbar, würde ich zugeben, daß das selbstverständlich eine zusätzliche Belastung ist. Aber ich glaube, auch die Wirtschaft und insbesondere die Wirtschaftsverbände sind mit daran interessiert, daß uns hier im Parlament und daß der Regierung zeitnahes Zahlenmaterial zur Verfügung steht.
Dieses zeitnahe Material wollen wir dadurch bekommen, daß wir von dem Verfahren, in einem mehrjährigen Rhythmus erst auf Grund von Steuerbescheiden die Unterlagen zu erhalten, erstmalig abweichen und bereits auf Grund der Steuererklärungen die nötigen Zahlen haben wollen, — sicherlich mit den Unsicherheitsfaktoren, die darin zugegebenermaßen liegen. Aber die Fachleute, die damit zu tun haben und die das Material für uns verarbeiten sollen, glauben, dieses gewisse Risiko, diese Unsicherheitsfaktoren in Kauf nehmen zu sollen. Ich möchte auch sagen, daß diese Zahlen besser sind als Zahlen, die vier, fünf oder gar sechs Jahre zurückliegen. Vor allem der Sachverständigenrat braucht doch sehr zeitnahe Zahlen; er hat sie ja auch angefordert und hat diese Gesetzesvorlage mit bewirkt. Diese Vorlage ist dann unter Zustimmung der Regierung entstanden.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Regling?
Herr Kollege Regling, glauben Sie wirklich, daß es vertretbar ist, hier davon zu sprechen, die Statistiken, die wir bisher gehabt haben, hinkten fünf oder sechs Jahre nach?
Sie hängt teilweise ja noch viel weiter zurück, leider! Aber wenn wir vom Sachverständigenrat in seinem Gutachten jedesmal darauf hingewiesen werden — —
— Das ist eine zweite Sache. Sie wissen, daß der Sachverständigenrat uns keine Gesetzentwürfe vorlegt. Wir sollen vielmehr aus den Gutachten unsere Schlüsse ziehen. Aber jedes Jahr steht wiederholt in den Gutachten der Sachverständigen, daß der Sachverständigenrat seine Arbeit nur unfertig abliefern kann; er sagt, zu dieser Frage, die ihm vom
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ReglingGesetzgeber aufgegeben sei, könne er keine Stellung nehmen, weil ihm keine zeitnahen Zahlen zur Verfügung stünden. Es muß für uns doch eine Verpflichtung sein, einem Gremium, das wir angesetzt haben, um ein solches Gutachten zu erstatten, das dazu erforderliche Material zur Verfügung zu stellen.
— Sie behaupten: falsche Zahlen. Wenn ich wüßte, es wären falsche Zahlen, würde ich auch sagen: es ist überflüssig. Aber wenn der Sachverständigenrat uns diesen Weg vorgeschlagen hat — und den Sachverstand wollen wir doch diesen fünf Leuten nicht absprechen; das wollen Sie, glaube ich, auch nicht tun —, sollten wir ihm folgen. Die Regierung ist ebenfalls darauf angewiesen, uns im Jahreswirtschaftsbericht auf der Grundlage dieser Zahlen Unterlagen für das kommende Jahr zu geben.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege Regling, erstens: Glauben Sie wirklich, daß der Sachverständigenrat für die Steuerverwaltung und deren Probleme sachverständig ist? Zweitens: Hat der Sachverständigenrat etwa vorgeschlagen, daß 100 % der Leute Formulare ausfüllen sollen, von denen nur 12 bis 15 % ausgewertet werden können?
Der Sachverständigenrat ist nicht sachverständig in Finanzfragen, selbstverständlich! Er braucht aber diese Zahlen für seine Arbeit. Das andere interessiert den Sachverständigenrat nicht. Da haben Sie vollkommen recht. Das ist Sache der Regierung und des Parlaments. Mit der Regierung ist abgesprochen worden, diesen Weg zu beschreiten, damit die Sachverständigen zu den Unterlagen kommen, die sie bisher für die Erstellung der Jahresberichte nicht zur Verfügung hatten. Daß sie sie nicht zur Verfügung hatten, sollte für uns Grund genug sein, ihnen dieses Material zur Verfügung zu stellen.
Die Finanzämter sind überlastet. Ich weiß es selbst von den örtlichen Finanzämtern. Das ist uns allen sicherlich von den zuständigen Beamten immer wieder vorgetragen worden. Hier sind sie nur Sammelstelle und geben das Material weiter. Ich bin allerdings im Gegensatz zu Ihnen, Frau Funcke, der Meinung, daß die Auswahl vorher erfolgen kann. In der Begründung der Regierungsvorlage wird auf den vorhandenen Schlüssel für die Sichtung usw. verwiesen. Es steht nicht im Text, aber in der Begründung. Und das hat ja auch seinen Sinn. Ebenso wie der Berichterstatter habe ich daraus gelesen, daß nicht 100 % erfaßt werden sollen. Es sollen vielmehr nur 15 % aus den verschiedenen Gruppen erfaßt werden. So ist es ausdrücklich festgestellt.
Herr Kollege, sind Sie denn nicht der Meinung, daß wir, wenn Sie vorher die
Auswahl treffen wollen, das Gesetz ändern müssen, da die Ausfüllungspflicht für alle 100 % im Gesetz steht?
Ich gebe zu, das Gesetz hat hier nicht die letzte Deutlichkeit. Ich ziehe deshalb die Begründung hinzu. Ich hoffe darauf, daß mit Hilfe der Begründung diese technischen Schwierigkeiten, die wirklich Randerscheinungen sind, überwunden werden können.
Herr Kollege, hielten Sie es nicht für nützlich, daß bei einer Materie, die, wie sich hier aus dem Dialog ergibt, so unklar ist, der Berichterstatter hätte anwesend sein müssen? So können wir das Gesetz eigentlich gar nicht behandeln.
Es ist nicht meine Sache, ihn hier zu vertreten. Aber es ist nicht einmalig und nicht erstmalig, daß der Berichterstatter bei der Beratung einer solchen Vorlage, die im federführenden Ausschuß kaum strittig war, nicht anwesend ist. Es ist auch nicht unbedingt nötig, daß er sie hier noch zusätzlich vertritt. Aber das ist nicht meine Sache. Auch die Berichterstatter Ihrer Fraktion müßten dann jedesmal hier anwesend sein.
Nochmals: ich bin nicht der Meinung, daß die Belastung zu hoch ist. Als Grund für ihre Ablehnung haben die Ländervertreter die Kostenfrage angeführt. Soweit mir bekannt ist, ist es lediglich diese Kostenfrage gewesen. Sie wird aber aufgewogen, wenn wir das Ergebnis bald haben. Wir erwarten, daß wir im nächsten Jahresgutachten die Zahlen von 1967 zur Verfügung haben.
Ich bitte deshalb um Annahme.
Das Wort hat der Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wegen der offensichtlichen Unklarheiten in der Auslegung des Gesetzestextes hinsichtlich der Frage, ob alle Steuerpflichtigen oder nur 15 % von ihnen einen Fragebogen auszufüllen haben, beantragen wir Rückverweisung der Vorlagen auf den Drucksachen V/2360, V/2581 und V/2580 an den zuständigen Ausschuß.
Wir treten in die Einzelberatung ein. Es ist Rückverweisung an den Ausschuß beantragt. Über diesen Antrag muß zunächst entschieden werden. Ich stelle ihn zur Abstimmung. Wer stimmt dem Antrag auf Rückverweisung an den Fachausschuß zu? Ich bitte um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir kommen nun zur Einzelberatung. Ich rufe die §§ 1,— 2,— 3,— 4,— 5,— 6,-7,— Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. —
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Vizepräsident SchoettleDie Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit; die aufgerufenen Paragraphen, die Einleitung und die Überschrift sind angenommen. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung verabschiedet.Wir treten in diedritte Beratungein. Wird in der allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Die Aussprache ist geschlossen.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Wir müssen noch über die Ziffer 2 des Antrages des Ausschusses befinden. Diese finden Sie auf der Drucksache V/2580. Wer diesem Teil des Ausschußantrages zustimmen will, cien bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch dieser Teil des Ausschußantrages ist angenommen.Damit, meine Damen und Herren, treten wir in die Mittagspause ein. Sie soll um 15.00 Uhr zu Ende gehen. Um 15.00 Uhr wird der Bundestag wieder zusammentreten. Zu Beginn der Nachmittagssitzung wird der Herr Bundeskanzler eine Erklärung abgeben. Anschließend werden die Punkte 14 bis 17 beraten.Die Sitzung ist unterbrochen.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Außerhalb der Tagesordnung gebe ich das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe erfahren, daß die FDP-Fraktion heute früh den Wunsch ausgesprochen hat, den Bundeskanzler zu einigen Fragen hier im Hause zu hören. Wir hatten heute früh Kabinettssitzung. Aber ich bin gern bereit, die gestellten Fragen nun zu beantworten.Wenn ich recht verstanden habe, lautet die erste Frage: Hat die Bundesrepublik Deutschland und hat die Bundesregierung noch einen amtswilligen Innenminister, oder haben wir einen Innenminister auf Abruf?Nun, meine Damen und Herren, der Herr Innenminister hat mir, wie Sie wissen, sein Rücktrittsgesuch vorgelegt. Ich habe mit ihm dann eine ausführliche Aussprache gehabt. Der Herr Innenminister glaubte diesen Schritt tun zu sollen mit Rücksicht auf die Entwicklung der Wahlrechtsfrage, mit der er nicht einverstanden war. Ich habe seine Beurteilung der Situation nicht geteilt und habe ihn gebeten, in seinem Amte zu verbleiben. Er hat dieser meiner Bitte entsprochen.
Wenn, meine Damen und Herren, der Herr Innenminister hinzugefügt hat, daß er sich seine end-gültige Entscheidung im Blick auf eine weitere befriedigende Entwicklung der Behandlung der Wahlrechtsfrage vorbehalte, dann bedeutet das nicht, daß er sich amtlich sozusagen in einem Schwebezustand befindet. Er ist im Amt. Er hat nichts anderes getan, als daß er sich vorbehalten hat— was das gute Recht jedes Ministers ist —, zu sagen: Wenn die Entwicklung so läuft, daß ich ein weiteres Verbleiben im Amt wegen einer Frage, für die ich mich besonders stark engagiert habe, unter diesen Umständen nicht verantworten zu können glaube, dann werde ich unter Umständen eben einen neuen Entschluß fassen. Das ist die Lage.Die Aufregung in einem Teil der deutschen Publizistik, im Falle daß ein Minister erklärt, daß er unter gewissen Bedingungen lieber nicht im Amt bleiben wolle, ist mir nicht ganz verständlich. Es handelt sich hier um einen durchaus demokratischen Vorgang.
Mit der zweiten Frage, die gestellt worden ist, wird Auskunft darüber verlangt, wie die Position der Bundesregierung in der Grenzfrage ist, d. h. also, wenn ich es richtig verstehe, in der Frage der Oder-Neiße-Linie. Meine Damen und Herren, wir haben schon während des Nürnberger Parteitages eine Erklärung herausgegeben, die mit dem Herrn Außenminister abgestimmt war. Nach der Rede des Außenministers tat ich das, um möglichen Fehldeutungen der Rede des Herrn Außenministers vorzubeugen. Ich darf Ihnen die Erklärung in die Erinnerung rufen; sie lautet:Die Auffassung der Bundesregierung zur Frage der Oder-Neiße-Linie ergibt sich aus der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 13. Dezember 1966. Die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands können, wie dies auch der Außenminister in Nürnberg noch einmal unterstrichen hat, nur in einer frei vereinbarten Regelung mit einer gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden. Diese Regelung soll die Voraussetzung für ein von beiden Völkern gebilligtes dauerhaftes und friedliches Verhältnis guter Nachbarschaft schaffen.Das, meine Damen und Herren, ist die gemeinsame Überzeugung der beiden Fraktionen der Regierung.
Parteitage haben ihre eigenen Gesetze und ihren eigenen Verlauf; das weiß jeder von uns.
Dabei mögen dann auch auf solchen Parteitagen Formulierungen gebraucht werden oder gar Entscheidungen fallen, die nicht ganz nach dem Geschmack des Koalitionspartners sind. Wenn das nicht geschähe, meine Damen und Herren, dann gäbe es keine deutsche Demokratie.
Es gäbe, meine Damen und Herren, auch keine deutsche Demokratie, wenn dann der Kanzler hinterher nicht gesagt hätte, was seine Meinung ist,
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8463
Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesingerz. B. daß er das Wort „Anerkennung" bzw. „Respektierung" — hier das Wort „Anerkennung" — nicht besonders glücklich finde wegen der Gefahr der Mißdeutungen im Inland und Ausland.
Daß in der Sache weder von dem Herrn Außenminister — also in diesem Falle dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei — noch von dem Parteitag etwas anderes gesagt werden sollte als das, was bisher übereinstimmende Auffassung der beiden Koalitionspartner und ich erinnere an die außenpolitische Debatte in diesem Hause und unsere Aussprache im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages, in der sich der Vertreter der FDP ausdrücklich mit meinen Ausführungen einverstanden erklärte —, hat eine Aussprache gezeigt, die wir gestern gehabt haben.Aber lassen Sie mich, meine Damen und Herren, die Gelegenheit doch noch einmal benützen, um dazu einiges zu sagen, auch im Zusammenhang mit dem, um was sich der Parteitag der SPD in Nürnberg bemüht hat.Wir haben eine Regierungserklärung formuliert. Natürlich ist eine solche Erklärung ein programmatisch Verbindliches für die Koalitionspartner. Natürlich ist es ein anderes Ding, ob eine Partei auf einem Parteitag Intentionen ankündigt, die eine Abweichung von einem solchen gemeinsam Vereinbarten bedeuten würden. Das Entscheidende ist, daß wir zwar diese demokratische Willensbildung in den Parteien selbstverständlich nicht lenken können oder gar autoritär lenken können, aber in der praktischen Zusammenarbeit der Koalition das eingehalten wird, was vereinbart worden ist.
Nun ist es in diesem Falle in der Sache zweifellos so, daß auch der Beschluß des Nürnberger Parteitages sich an die Vereinbarungen gehalten hat. Aber natürlich wird man über diese Dinge immer neu sprechen, und dabei wird auch immer wieder der Versuch gemacht werden, neue Formulierungen zu finden. Ich selber habe, wie Sie wissen, und zwar aus gutem Grund, zur Frage der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen immer wieder einmal einen neuen Gedanken geäußert. Ich habe gesagt, daß unser gemeinsamer Hinweis darauf, daß die endgültigen Grenzen zwischen Deutschland und Polen erst in einem Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden können, nicht bedeuten muß, daß wir bis dahin gar keine Kontakte miteinander aufnehmen. Ich habe im Gegenteil gesagt: Was sollte uns denn hindern, vorher schon Gespräche miteinander zu führen, Gedanken auszutauschen über mögliche zukünftig zu vereinbarende Lösungen? Ich habe in der Debatte zum Bericht zur Lage der Nation gesagt, daß mir noch kein Vertriebener, jedenfalls keine der verantwortlichen führenden Persönlichkeiten der Vertriebenenorganisationen, gesagt habe, bei einer zukünftigen Lösung müsse man wieder diese 7 Millionen Polen, die heute dort leben 40 °/o dort sogar geboren —, wieder hinaustreiben wie das liebe Vieh, wie das unseren Vertriebenen geschehen ist. Das ist wiederum ein Zeichen guten Willens gegenüber Polen. Polen muß wissen, daß das, was wir in der Regierungserklärung gesagt haben, unser fester Wille ist. Wir machen keine Sprüche. Wenn ich damals gesagt habe: „Es muß eine Lösung gesucht werden, die von beiden Völkern akzeptiert werden kann", dann war das eine politische Aussage von bedeutendem Gewicht, und wir stehen dazu.
Ich weiß wohl, eine lange, trübselige Geschichte der Politik und der Diplomatie droht immer wieder solche Aussagen von vornherein zu entwerten, weil man nur zu viele Fälle aus der Geschichte kennt, wo solche Formeln gewählt worden sind, zu denen man hinterher nicht stand. Wir aber wissen zu genau, worum es geht. Aber eben darum, meine Damen und Herren, weil wir so genau wissen, worum es geht, widerstehen wir jenen Vorschlägen, die uns raten, isoliert und vorweggenommen heute — wir, diese Regierung in Bonn, dieser Bundestag in Bonn — eine endgültige Anerkennung der OderNeiße-Grenze auszusprechen. Niemand in der Koalition — und ich hoffe, auch niemand in der Opposition — denkt daran.
Und warum, meine Damen und Herren? Uns geht es darum, eine wirkliche Friedenslösung zu finden. Eine solche kann nicht nach dem Rezept ElsaßLothringen — „nie davon sprechen, immer daran denken" — geschehen. Eine solche kann nicht mit Mentalreservationen geschehen, daß man sagt: jetzt beschwichtigen wir einfach einmal, die lieben Leute gewinnen Zeit, gewinnen eine Atempause, und was später wird, das wird sich schon finden. Nein, was später wird, das wollen wir jetzt durch eine vernünftige, ehrliche Politik vorentscheiden.
Diese Politik muß glaubhaft sein. Daß das schwierigist nach allem, was geschehen ist, das wissen wir ja.Nun meine ich, eine wirklich friedenstiftende Politik im Zusammenhang mit den Gebieten jenseits der Oder und Neiße muß so sein — ich wiederhole es —, daß sie auch von den nachfolgenden Generationen als richtig und gerecht empfunden und akzeptiert werden wird.
Nur dann haben wir einen wirklich dauerhaften Frieden gestiftet. Atempausen von ein paar Jahren oder auch von zehn oder auch zwanzig Jahren in dieser Welt sind nichts. Das muß schon etwas sein, was dann für immer Geltung hat.Ich habe weiter in der Debatte zur Lage der Nation gesagt, daß alle diese Streitfragen, die zwischen uns und dem Osten stehen, nicht isoliert und nicht vorweggenommen gelöst werden können, weil sie nur dann eine Chance friedenstiftender Lösung haben, wenn sie eingefügt sind in den Rahmen des Entwurfs einer europäischen Friedensordnung, die zu schaffen hier in diesem Hause ja alle leidenschaftlich entschlossen sind.
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Bundeskanzler Dr. h. c. KiesingerMan kann mir einwenden: Das ist ein großes Wort; wo zeichnet sich denn eine solche europäische Friedensordnung ab, ist das nicht einfach eine blasse Utopie? Dazu kann ich nur sagen, meine Damen und Herren: Nahezu jede große Politik hat so begonnen, daß es viele Zweifler gab, die ihr utopische Züge vorwarfen. Was jetzt noch fern zu sein scheint, was jetzt noch fast unmöglich zu sein scheint, das kann in einer viel kürzeren Zeit Wahrheit werden, als manche von uns glauben. Denn die Geschichte — wir erleben es in diesen Tagen wieder — hat nun einmal eine reichere Phantasie als wir alle zusammen.
Ich möchte noch einmal die Gelegenheit wahrnehmen, dem polnischen Volk und der polnischen Regierung zu versichern, daß sie die Hand, die wir ihnen hier entgegenstrecken, nicht zurückweisen sollten.
Was schwer ist, kann nicht von einem Tag zum andern erreicht werden; aber wo guter Wille ist, da kommt man Schritt um Schritt vorwärts bis zum endgültigen Ziel.Ich weiß nicht, ob auch noch eine dritte Frage von Ihnen gestellt worden ist, die Frage der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Sie klang an. Ich kann dazu nur wenige Sätze sagen. Ich stehe in ständiger Konsultation mit der Regierung der Vereinigten Staaten und kann nur die Versicherung abgeben: Vorhin erst war der amerikanische Botschafter bei mir, und ich bekomme keine andere Versicherung als die, daß die Vereinigten Staaten mit unserer Politik, vor allem mit unserer Ostpolitik durchaus einverstanden sind, weil sie in ihr dieselbe Politik der Entspannung und des Friedens sehen, an der auch ihnen gelegen ist.
Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird. — Herr Abgeordneter Mischnick. — Sie brauchen die Unterstützung von 30 anwesenden Abgeordneten. 30 Stimmen? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in den vergangenen 15, 16 Monaten dankenswerterweise aus weit weniger gewichtigen Anlässen als heute von sich aus das Wort ergriffen oder um das Wort gebeten. Wir hätten erwartet, daß die Erklärung, die durch einen Antrag der Freien Demokraten zustande kam, von der Regierung selbst abgegeben worden wäre, ohne daß die Opposition sie durch einen Antrag in diesem Hause dazu gezwungen hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will gern zugeben, daß der Bundeskanzler bereit war, aber Sie sich davor gefürchtet haben, diese Debatte hier zu führen.
Denn sonst ist es doch nicht zu erklären, daß Sie heute früh nicht den Mut hatten, unserem Antrag zuzustimmen. Das ist doch der Tatbestand.
Ja, das ist genau die Sache.Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, durch die Bildung des Kreßbronner Kreises, den wir so allmählich als „Krisenbonner" Kreis bezeichnen müssen, eine Art Einschläferungsmittel für das Parlament zu schaffen, dann täuschen Sie sich. Wir werden Sie immer wieder dazu zwingen, Ihre Situation, in der Sie sitzen, hier zur Debatte zu stellen und sich mit der Opposition darüber auseinanderzusetzen.
— Lieber Kollege Schmidt, ist es nicht eine auch für Sie bedeutsame Sache, daß drei Tage lang der Herr Bundesinnenminister erklärt, er trete zurück, daß wir drei Tage lang stündlich hören, daß diese Regierung in einer wichtigen Frage abweicht? Ist es nicht ein Tatbestand, der Sie alle interessieren müßte, daß hier dazu Stellung genommen wird, statt daß Sie nein dazu sagen? Ist das nicht die Sache des gesamten Hauses nach der Debatte, die wir heute vormittag gehabt haben?
Wollen Sie damit zu erkennen geben, daß Sie so weit sind, daß Sie solche Fragen — daß eine Regierung in eine Krisensituation hineingerät, weil ein Parteitag stattgefunden hat — nicht mehr als eine Angelegenheit des Parlaments betrachten? Das ist doch die Frage, vor der wir stehen.
Wie schwach müssen Sie ihre Position einschätzen,
daß Sie einen Minister, der klipp und klar gesagt hat, er sei der Meinung, die Regierungserklärung werde nicht erfüllt und er müsse deshalb zurücktreten, um jeden Preis im Amt behalten wollen, daß Sie damit einen Rücktritt auf Zeit als ständigen Druck auf Ihre Regierung ertragen wollen? Sind Sie so schwach, daß Sie den Rücktritt nicht ertragen können? Das ist doch die Situation, vor der Sie stehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir allmählich dazu kommen, daß in dieser Regierung jeder Minister, der in seinem Fachbereich eine Frage als nicht lösbar ansieht, nur drei Tage Theaterdonner zu machen braucht, um dann zu erreichen, daß er dringend gebeten wird, im Amt zu bleiben, daß man dann neue Beschlüsse fassen will, neue Überlegungen anstellen will, — unter welchen Druck wollen Sie sich denn damit setzen lassen als
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MischnickKoalitionsfraktion? Wollen Sie das hinnehmen? Sind Sie sich nicht bewußt, daß dieser Weg — -—
Ja, wenn Sie es nicht ertragen können, meine Damen und Herren, unterstreicht das noch einmal, in welch schwieriger Position Sie sich befinden.
Wenn Sie es ertragen können, daß ein Minister zurücktritt, wie es Kollege Schmidt gesagt hat, warum stimmen Sie nicht zu?Und, meine Damen und Herren, war vielleicht das ganze, Herr Bundesinnenminister, doch nur Theaterdonner? War es nur dazu gedacht, die sehr angeschlagene Position des Herrn Bundesinnenministers mit einer 3-Tage-Show aufzupolieren, in der Hoffnung, damit die Sozialdemokraten von ihrer Meinung abzubringen? Wie muß man Sie, Herr Bundesinnenminister verstehen, daß Sie drei Tage lang sagen, Sie könnten es nicht ertragen, daß man von der Koalitionsvereinbarung abgeht, und sich am vierten Tag plötzlich mit allem abfinden? Bedeutet das eine Abkehr von Ihrer Meinung, oder sind Sie, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, in der Wahlrechtsfrage jetzt plötzlich umgefallen?
Wollen Sie Ihre Parteitagsbeschlüsse in Frage stellen?
Oder glauben Sie, Herr Innenminister, daß Sie jetzt in der Lage sind, den Parteitagsbeschluß der Sozialdemokraten durch Ihre Rücktrittsdrohung zu ändern? Bedeutet das nicht, daß Sie solche demokratischen Entscheidungen nicht ernst nehmen? Ist das nicht ein ähnlich autoritärer Zug, wie Sie ihn in der Notstandsgesetzgebung zum Ausdruck bringen?
Das ist doch der Punkt, vor dem wir stehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Freie Demokraten vom Rücktritt sprechen, handeln sie auch so.
Wir hätten Achtung davor gehabt, wenn der HerrBundesinnenminister seinen Schritt konsequent zuEnde geführt hätte. Aber ein solches Schauspiel zubieten, daß man in dieser Demokratie mit dem Rücktritt tagelang spielt, die eigene Meinung aber nicht so weit geht, die Angelegenheit zu Ende zu führen, das hat zur Folge, daß man draußen in der Bevölkerung zu der Überlegung kommt: Wie ernst meinen denn Minister Ankündigungen, wie ernst muß man eigentlich nehmen, was Minister dieser Regierung sagen? Das ist die Gefahr, vor der wir stehen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das nicht sehen oder nicht sehen wollen, tragen Sie bewußt oder unbewußt dazu bei, daß das Ansehen dieses Parlaments geschädigt wird.
Wenn der Verfassungsminister aus Überzeugung glaubt zurücktreten zu müssen, muß er sich einen solchen Entschluß vorher überlegen und darf nicht nach drei Tagen das Gegenteil tun.
Das ist doch ein Tatbestand, den Sie nicht aus der Welt räumen können.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu dem zweiten Punkt noch etwas sagen. Von uns ist hier die Frage der Auseinandersetzung über die Oder-Neiße-Linie angesprochen worden. Gestern ist erklärt worden, die Koalition wolle zusammenbleiben. Es ist festgestellt worden, daß die Beschlüsse des Parteitages der SPD in der Linie der Regierungserklärung lägen. Ob diese Ausdeutung der Bundesregierung übereinstimmt mit der Ausdeutung der Parteitagsdelegierten der SPD, ist Ihr Problem, nicht unser Problem.
Aber was wir als Parlament, was zumindest wir als Opposition, wenn Sie es schon nicht wissen wollen, erwarten müssen, ist, daß in diesem Hohen Hause klargestellt wird: Ist das, was der Herr Bundesaußenminister als Parteivorsitzender gesagt hat, Bestandteil der Regierungspolitik oder ist es nicht Bestandteil der Regierungspolitik? Der Herr Bundeskanzler hat zum Ausdruck gebracht — und so müssen wir es ausdeuten —, daß die Beschlüsse des Parteitages der SPD dazu hat sie ja ein Recht — nicht Bestandteil der Regierungspolitik seien, daß sich die SPD vielleicht einmal darum bemühen werde, daß ihre Beschlüsse Bestandteil der Regierungspolitik würden, wobei wir nur hoffen, daß Parteitagsbeschlüsse nicht nur deshalb gefaßt werden, um damit der staunenden Öffentlichkeit etwas zu verkünden, während man sich aber heimlich schon mit dem Gedanken abgefunden hat, diese Dinge in der Regierung nicht zu vertreten. Das wäre um der Sache willen bedauerlich.
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8466 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Mischnick— Ja, das war Nürnberg, und der Parteivorsitzende Ihrer Partei ist Bundesaußenminister. Da müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß nicht nur Ihr Parteitagsbeschluß als Parteitagsbeschluß, sondern auch die gemeinsame oder vielleicht auch nicht gemeinsame Regierungspolitik an diesen Parteitagsbeschlüssen gemessen werden.
Wir sind in der Sache — so bin ich überzeugt — hier gar nicht weit auseinander. Nur eines ist unmöglich
— Herr Kollege Hirsch —, daß nicht nur in der Öffentlichkeit, nicht nur in diesem Parlament, sondern auch nach außen der Eindruck entsteht, hier werde mit zwei Zungen geredet: hier spricht der Bundesaußenminister, wenn er hier steht, gemäß der Regierungserklärung, wenn er vor dem Parteitag steht, sagt er etwas anderes.
Das ist ein unmöglicher Zustand für die Bundesrepublik Deutschland. Darum geht es.
Meine Damen und Herren, wenn Sie das, was Sie an Beschlüssen gefaßt haben, durchsetzen wollen, warten wir hier im Bundestag auf Ihre entsprechenden Anträge. Wenn Sie die Regierungserklärung ändern wollen, dann sagen Sie es uns hier, damit wir uns darüber auseinandersetzen können. Wenn Sie der Meinung sind, Ihre Parteitagsbeschlüsse seien im Augenblick auf Eis zu legen, dann sagen Sie es hier, daß Sie es noch nicht ernst gemeint haben. Lassen Sie aber nicht diesen Schwebezustand zu, der ja auch zu der entsprechenden Kritik aus der CDU/CSU-Fraktion geführt hat. Wir sind gern bereit, uns mit dem, was Sie gesagt haben, sachlich auseinanderzusetzen.
— Kollege Matthöfer, ich darf Sie daran erinnern, daß Kollege Ertl hier in der Debatte zur Lage der Nation wörtlich vorgetragen hat, was wir zu dieser Frage in unserem Aktionsprogramm niedergelegt haben. Daran halten wir uns.
Von uns wissen Sie genau, was wir wollen.
— Wenn Sie das nicht verstanden haben, Herr Kollege Wuermeling, wäre ich dankbar, wenn Sie es einmal nachläsen. Das wäre vielleicht sehr dienlich, Sie würden dann nicht solche Zwischenbemerkungen machen.
— Das möchten Sie gerne haben. Nur haben Sie nicht den Mut, sich dazu zu bekennen, was Sie eigentlich in dieser Frage endgültig wollen;
denn auch die Regierungserklärung ist anders als die Meinung vieler Kollegen von Ihnen in der CDU/CSU. Das ist doch der Tatbestand.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat danach gefragt, ob die deutsch-amerikanischen Beziehungen hier noch einmal diskutiert werden sollen. Wir sind gern bereit, das im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte in der nächsten Woche im einzelnen zu tun.Lassen Sie mich in aller Ruhe zum Schluß noch einmal sagen: Herr Bundeskanzler, ist es nicht wirklich notwendig, Ihren Entschluß zu überdenken? Stellt nicht die Rücknahme eines Rücktritts auf Zeit— denn das ist er ja mit dieser 14-Tage-Frist — eine Belastung dar, jetzt nicht für die Regierungskoalition, sondern für die Regierung? Werden nicht das Amt eines Ministers und das Amt des Regierungschefs abgewertet, wenn der Regierungschef von einem Minister, um bestimmte Fragen zu lösen, unter Zeitdruck gesetzt wird? Wäre es nicht besser, Herr Bundeskanzler, wenn ein Minister nicht mehr den Weg mitgehen kann, den Sie selbst für richtig halten, seinem Entlassungsgesuch zu entsprechen und hier so schnell zu handeln, daß ganz klare Verhältnisse geschaffen werden, statt hier permanente Rücktrittskrisen zu haben?
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Damit kein Mißverständnis bestehenbleibt: meine Vereinbarungen mit dem Herrn Innenminister, d. h. meine Bitte, im Amt zu verbleiben, und seine Entsprechung dieser Bitte enthielten keinerlei Befristung. Ich hätte mich als Regierungschef auf eine solche Sache natürlich gar nicht eingelassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mischnick war so freundlich, damit zu beginnen, wir hätten uns wohl vor dieser Debatte gefürchtet. Lieber Herr Mischnick: da müssen schon andere kommen, die uns das Fürchten lehren, als Sie
mit solchen Einübungen in die Opposition.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8467
Dr. BarzelDer Herr Bundeskanzler hat heute morgen, fünf Minuten nachdem Herr Genscher hier den Antrag gestellt hat, von uns telefonisch angerufen, erklärt: Natürlich komme ich, aber bitte um 15 Uhr; denn morgens möchte ich meine Kabinettssitzung abhalten — und die war wichtig, z. B. Stockholms wegen, der Weltwährungsprobleme wegen.
Also das ist die Sachlage, meine Damen und Herren.
Ein anderes noch, Herr Mischnick. Ich möchte Sie jetzt an frühere Situationen erinnern, wo wir zusammen Schwierigkeiten beizulegen hatten. Sie haben jetzt hier von „Krise" gesprochen. Der Kanzler hat es einen demokratischen Prozeß genannt. Darum handelt es sich und nicht um eine Krise. Sie werden es nicht schaffen — und mit dieser Rede schon gar nicht, Herr Mischnick —, uns hier in eine Krise hineinzureden.
— Ja, Herr Ertl, das ist ein gutes Wort aus IhremMunde; erinnern Sie mich daran im nächsten Jahr!Mir wäre es lieber gewesen und, ich glaube, im Interesse unseres Landes wäre es förderlich gewesen, Herr Mischnick, wenn Sie der gemeinsamen Erklärung der Koalition zu der Position Deutschlands in den Fragen unserer künftigen Ostgrenzen hier Ihre Zustimmung gegeben hätten.
Das wäre für die deutsche Position förderlich gewesen.Was zum Herrn Innenminister zu sagen ist, hat der Herr Bundeskanzler gesagt. Wir kennen das Grundgesetz. Wir haben es immer in vollem Sinne respektiert. Anders als andere im Hause haben wir z. B. nie darüber abgestimmt, wer von einem Kanzler etwa in die Regierung berufen wird, sondern wir haben immer die Prärogativen des Kanzlers nicht nur dem Buchstaben, sondern auch dem Sinne des Grundgesetzes nach erfüllt.
Das muß auch in dieser Debatte so bleiben.
— Das finde ich ausgezeichnet, was Sie da sagen. Denken Sie einmal daran, daß ich vergeblich versucht habe, einen sachlichen Hinweis von Herrn Mischnick zu finden, auf den ich hätte antworten können!
Was zur Sache zu sagen ist, möchte ich für unsere Fraktion noch einmal deutlich tun; denn das ist natürlich auch in diesen personellen Fragen wichtig. Und das ist Sache einer Fraktion wie der unseren. Wir haben gestern nach einer Debatte, die, wie dasbei uns üblich ist, lebhaft und laut war — aber die Schlagzeilen, die wir heute lesen, waren unzutreffend —,
noch einmal einstimmig die Aussage der Regierungserklärung bekräftigt, die folgenden Wortlaut hat — ich möchte sie gern in diese Debatte einführen; ich zitiere —:Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Mißbrauch der Macht ist der feste Wille der Partner der Regierungskoalition, diese nur auf Zeit, also bis zum Ende dieser Legislaturperiode fortzuführen. Während dieser Zusammenarbeit soll nach Auffassung der Bundesregierung ein neues Wahlrecht grundgesetzlich verankert werden, das für künftige Wahlen zum Deutschen Bundestag nach 1969 klare Mehrheiten ermöglicht. Dadurch wird ein institutioneller Zwang zur Beendigung der Großen Koalition und eine institutionelle Abwehr der Notwendigkeit zur Bildung von Koalitionen überhaupt geschaffen.Wir haben dies gestern noch einmal bekräftigt, und sind nun in Gesprächen, bei deren gegenwärtigem Stand wir nur sagen können: wir haben noch keine ausreichende Gewißheit über das Schicksal dieser Gesetzgebung in dieser Periode. Das ist der Stand in diesem Augenblick. Unser Wille ist klar. Wieweit wir kommen, werden wir in Gesprächen miteinander, glaube ich, noch zu finden haben. Dies ist sicher der Sachstand. Ihn so zu schildern, tut keinem weh, und in dieser Lage ist es natürlich auch völlig klar, daß personelle Überlegungen mit diesen sachlichen Dingen doch zusammenhängen.Wir möchten aber gerne zu dem zweiten Punkt, der Frage der Oder-Neiße-Linie, von uns aus etwas sagen, damit hier Klarheit im Hause ist. Wir unterstützen sehr lebhaft das, was der Herr Bundeskanzler für die Regierung gesagt hat. Ich darf noch einmal daran erinnern — weil es vielleicht hilfreich für das ganze Haus ist —, dem einen zur Erinnerung und zur Auffrischung des Gedächtnisses, dem anderen und uns vielleicht zur Erleichterung in der Gegenwart:Ein Parteitagsbeschluß — das gilt für jede Partei — ist eine wichtige Sache; jeder Partei steht es frei, zu beschließen, was immer sie mag. Aber nicht jeder Parteitagsbeschluß kann natürlich, solange nicht einer die Mehrheit hat, völlig zur Basis einer Koalitionspolitik genommen werden. Da muß man sich schon zusammenfinden. Wie oft, Herr Kollege Mischnick, haben wir früher, wenn wir verhandelten, Unterscheidungen gehabt, daß diese oder jene Sache, die uns beschwerte, nicht der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, sondern der Parteivorsitzende der FDP gesagt haben solle?!
Meine Damen und Herren, wir bekräftigen noch einmal unsere Erklärung, daß wir an der Regierungserklärung festhalten. Der Kanzler hat eine Erklärung aus der vorigen Woche vorgelesen, der wir zugestimmt haben und der auch — wie wir hier noch
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8468 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Dr. Barzeleinmal zu hören hoffen — der Koalitionspartner zustimmt. Das ist eine sehr wichtige, kluge und ausgewogene Aussage. Wegen der Unruhe im Volk wollen wir aber noch einen Gedanken hinzufügen. Die Bundesregierung hat am 11. September 1967 — und das hat hier unlängst eine Rolle gespielt —nach dem Besuch des französischen Staatspräsidenten in Polen und in den polnisch verwalteten Gebieten eine wichtige Erklärung abgegeben. Ich will daraus nur zwei Sätze vorlesen. Der erste Satz hieß:Die Geschichte weist die jetzt unter polnischer Verwaltung stehenden Gebiete seit Jahrhunderten als deutsches Land aus, aus dem die deutschen Bewohner zu Unrecht vertrieben wurden.Es folgt dann eine weitere Passage, das Zitat aus der Regierungserklärung und schließlich der Hinweis auf den Rechtsstandpunkt der Bundesregierung, der auch in dem Vertrag, den wir „Deutschland-Vertrag" zu nennen uns angewöhnt haben, seine Billigung gefunden hat.Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt — eigentlich weniger mit dem Blick auf dieses Haus als mit dem Blick auf manche draußen im Lande, die Fragen an uns stellen, die wir aufnehmen müssen — folgendes sagen: Manche in unserem Lande meinen: Was soll uns dieser Rechtstitel? Manche meinen, das ganze deutsche Volk sollte getrost die Heimatvertriebenen die Zeche des Krieges zahlen lassen. Und wieder andere meinen, das Ganze sei lästig und überflüssig. So entsteht eine Unruhe im Volk, eine zusätzliche Unruhe. Ich glaube — und es wäre gut, wenn das ganze Haus das bekräftigen könnte —, daß wohl keiner in diesem Hause ist und auch, wie ich glaube, keiner in unserem Volk, der Unrecht durch neues Unrecht, Gewalt durch neue Gewalt beantworten möchte.
— Diesen Beifall richten wir nicht an uns, sondern diesen Beifall meinen wir zunächst an die Adresse der Vertriebenen, denn die haben dieses Wort gesagt für sich und ihre Politik in ihrer Erklärung, für die wir noch einmal danken wollen.In diesem Haus ist sicher auch keiner, meine Damen und Herren, der nicht bereit wäre, für eine europäische Friedensordnung in Neuland vorzustoßen, und sicher keiner, der nicht bereit wäre zum wirklichen Ausgleich mit Polen. Dieser friedliche Ausgleich — und nur deshalb habe ich das noch einmal gesagt — ist nach unserer Auffassung nur im Wege des Rechtes möglich, und da ist nichts zu verschenken. Es gilt, miteinander neues Recht gültig und dauerhaft zu setzen. Das wird aber nur werden, wenn wir am geltenden Recht festhalten und auch politisch die Erosion dieser Rechtstitel abwehren.
Das Kriterium des Rechts ist nicht sein Verkaufswert, sondern seine Ordnungsfunktion. Recht bedeutet und Recht ermöglicht Ordnung ohne Gewalt. Recht entsteht für Demokraten nur durch mehrheitliche Zustimmung der Beteiligten. Das gilt auchfür die Regelung der noch offenen Fragen der Grenzen des ganzen Deutschlands. Wir haben — und wir freuen uns, daß der Bundeskanzler das soeben noch einmal betont hat — über die Antwort an die Opposition hinaus in der Debatte über die Lage der Nation im gespaltenen Deutschland die Bundesregierung ausdrücklich zum Gespräch mit Polen ermuntert und diesen Akzent der Regierungserklärung sehr unterstrichen. Ich verweise auf die entsprechende Debatte. Sie liegt kurz zurück.Meine Damen und Herren, wir wissen — und ich hoffe, das können wir miteinander sagen —, daß sich in unserem Volk mancher Schlesier und mancher Pommer und mancher Ostpreuße und auch andere fragen, ja sich eigentlich im Gewissen peinigen, wem sie den Vorrang geben sollen: der Wahrung des Rechtes oder der Aussöhnung und dem Ausgleich für die Zukunft. Wir meinen — und das ist das Letzte, was wir hier heute sagen wollen —, das steht einander nicht im Wege. Der Weg zur Friedensordnung beginnt mit dem Verzicht auf Gewalt, und er findet sein Ziel in neuen, von den Beteiligten gebilligten und von allen als dauerhaft und gerecht empfundenen Normen des Rechts.
Nur so kann eine Ordnung entstehen, die den Namen Friedensordnung verdient. Es erschien uns wichtig, dies heute zusätzlich zu sagen. Wir danken der Opposition für die Gelegenheit, unsere Position erneut zu präzisieren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat den Kollegen in der Mitte und auf der Linken etwas leid getan, daß eine große Chance der Opposition heute nachmittag vertan worden ist.
Herr Mischnick, ich meine es so, wie ich es sage; denn in der Tat liegen hier Vorgänge vor, die einer ruhigen, sachlichen, aber kritischen Würdigung durchaus zugänglich gewesen wären.
Es hätte für das Verständnis unseres Volkes, das Verständnis seiner eigenen Demokratie etwas Positives bringen können, wenn Sie das, was kritisch einzuwenden ist, auch vorgetragen hätten. Schauen Sie, Herr Mischnick, ganz abgesehen davon haben Sie eine Chance für die eigene Partei vertan. Dabei haben Sie doch fünf Stunden mehr Zeit gehabt: Sie wollten eigentlich heute morgen um 10 Uhr darüber reden, wir um 15 Uhr. Das waren weitere fünf Stunden der Vorbereitung, die Ihnen gegeben waren.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8469
Schmidt
Sie haben die Zeit nicht gut genutzt. Sie haben sich auf eine reine Polemik beschränkt.
Dabei wäre es doch z. B. für das Verständnis unserer Demokratie, die ja, solange dieses Wahlrecht bleibt, auf Koalitionen angewiesen bleibt, egal, auf welche — ich sage noch einmal: bei diesem Wahlrecht ist die Demokratie auf Koalitionen angelegt; Sie wissen, daß ich dieses Wahlrecht nicht für sonderlich glücklich halte, das ist mein persönliches Urteil —, interessant zu untersuchen, wie verschiedenartig die Rolle grundsätzlicher Programme oder grundsätzlicher programmatischer Beschlüsse auf Parteitagen ist und wie anders natürlich die Rolle einer Koalitionsfraktion im Parlament sein muß, die ja auf die Zusammenarbeit mit einer anderen angewiesen ist. Sie sollten eigentlich Erfahrung auf dem Gebiet haben.
— Ich weiß nicht, ob das jetzt der Herr Moersch oder der Herr — —
Es gab nur drei Möglichkeiten, entweder Moersch oder Genscher oder Dorn.
Herr Dorn, ich nehme den Zwischenruf auf. Sie haben dazwischengerufen, Ihre Erfahrungen mit dem Koalitionspartner CDU/CSU seien nicht besser als die Erfahrungen, die wir Sozialdemokraten mit diesem Partner hätten. Sicherlich sind Sie legitimiert, über Ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen. Und wir sind sicherlich legitimiert, über unsere zu sprechen.
— Ich weiß nicht, ob Sie immer noch nicht gemerkt haben, daß hier im Grunde ein ernstes und hochinteressantes Thema vorliegt, das man mit solchem Geschwätz nicht lächerlich machen sollte.
Ich will sagen: Wir haben Erfahrungen gemacht, nicht nur mit diesem Koalitionspartner, sondern zum erstenmal überhaupt mit einer Koalition. Wir haben zum Teil Erfahrungen gemacht, die man jetzt nach anderthalb Jahren als etwas Selbstverständliches betrachtet, obwohl sie einen zuerst überrascht haben. Wir hatten nämlich bisher überhaupt keine Koalitionserfahrung. Wir haben auch menschliche Erfahrungen gemacht, positive wie weniger positive, wobei auch die positiven zum Teil überrascht haben. Wir haben auch andere Erfahrungen gemacht, dienicht ganz so positiv bewertet werden müssen. Ich will hier um Gottes willen nichts schöner malen, als es ist.Aber ich möchte einem Gedanken ausdrücklich beipflichten, den Herr Barzel hier ausgeführt hat. Ich habe ihn mir nicht mitgeschrieben. Ich sage ihn vielleicht in meiner eigenen Sprache. Wenn es überhaupt einen Sinn hat, daß die Demokratie auf verschiedenen Parteien beruht — Herr Kiesinger hat vorhin zu Recht gesagt, das sei doch der Sinn der Demokratie, daß die Parteien auch verschiedene grundsätzliche Haltungen einnehmen und von verschiedenen geistigen Grundlagen ausgehen, und ich würde hinzufügen: daß sie auch eine verschiedene gesellschaftliche Struktur haben, daß sie einen verschiedenen Habitus, daß sie eine andere Lebenserfahrung und Geschichte als Partei haben, daß sie einen anderen politischen Stil pflegen, daß sie ein anderes Verständnis von sich selbst haben —, wenn es so ist, daß Demokratie, daß parlamentarische Demokratie auf jeden Fall darauf beruht, daß es verschiedene Parteien geben muß, und wenn andererseits die Struktur unserer parlamentarischen Demokratie so beschaffen ist, daß man mindestens zwei zwingt, miteinander zu koalieren, damit überhaupt regiert werden kann, dann ist es schon des Nachdenkens wert, was sich aus diesem Spannungsverhältnis zwischen zwei Parteien, die zusammen regieren, obwohl sie auf verschiedenen geistigen Grundlagen stehen, ergibt; dann ist es schon ein interessantes Problem, zu untersuchen, was für Spannungen da auftreten können, was für Spannungen dabei auftreten sollen und was für Spannungen dabei möglicherweise tunlichst auch zu vermeiden sind, damit das Regieren funktioniert.
— Natürlich auch, welche tunlichst zu lösen sind.Parteien stellen sich in ihren Programmen und in ihren Parteitagsbeschlüssen in ihren grundsätzlichen Auffassungen zur Politik dar. Es ist genauso, wie hier gesagt wurde — ich komme jetzt auf den Gedanken von Herrn Barzel, ich habe meinen roten Faden wieder —: Natürlich kann das, was täglich im Parlament gearbeitet, geredet und beschlossen wird, was täglich in einer Koalitionsregierung beschlossen wird, nicht voll die grundsätzlichen Vorstellungen der CDU/CSU erfüllen, es kann nicht voll die grundsätzlichen Vorstellungen der sozialdemokratischen Fraktion erfüllen. Ich nehme an, das war zu Zeiten, wo Sie in Koalitionen waren, auch nicht anders. Was gemeinsam gemacht werden muß, muß immer auf dem Wege gemacht werden, daß man sich einigt.Es gibt in Deutschland Leute, die für diesen Einigungsprozeß als Relikt aus wilhelminischen Zeitaltern oder auch noch schlimmer: aus einem Zeitalter, das später kam, den Ausdruck „fauler Kompromiß" gebrauchen. Ich will hier einmal darüber reden. Ich will einmal mit aller Deutlichkeit sagen, daß, wer nicht den Willen zum Kompromiß in sich hat, an sich für die Demokratie nicht zu gebrauchen ist.
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8470 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Schmidt
Jemand, der bei jedem Kompromiß, der geschlossen wird, immer gleich das Adjektiv „faul" mitdenkt, kann überhaupt politisch nicht denken.
Damit soll nicht gesagt sein, daß es nicht natürlich auch faule Kompromisse gibt. Wir haben im Laufe der Jahre von 1949 bis heute zu allen Zeiten und in jedem Jahr sicherlich auch ein paar faule Kompromisse erlebt. Ich nehme an, es fühlt sich weder die rechte Fraktion noch diese hier noch die linke Fraktion ganz unschuldig, was faule Kompromisse angeht. Nur finde ich es unter aller gebotenen Ebene der Diskussion, Herr Mischnick, wenn Sie — allerdings das Wort vom „faulen Kompromiß" nicht benutzend — nunmehr ein Schlagwort, das früher einmal auf andere gemünzt gewesen ist, hier in die Debatte einführen und vom „Umfallen" reden.
Sehen Sie, ich habe das manchmal früher auch bedauert — —
— Ich will mich ganz gewiß nicht freizeichnen von der langsamen, über Jahre sich erstreckenden Entfaltung polemischer Vokabeln, die hier in diesem Hause gebraucht werden. Davon will ich mich nicht freizeichnen, ganz gewiß nicht. Ich fühle mich in einem Boot mit dem nach wie vor von mir sehr geliebten Freund aus Ihrer Fraktion — —
— Nein, ich meinte Herrn Haase nun wirklich nicht.
Das können Sie bei aller Koalitionsloyalität von mir nicht verlangen, meine Herren.
Nein, ich meinte einen Kollegen aus der Fraktion drüben, ich meinte Wolfgang Döring. Aber ich bin ja auch heute dafür, daß aus gegebenem Anlaß auch einmal ein scharfes, deutlich beleuchtendes Wort gesagt wird, — aber es muß doch auch noch Substanz dahinterstecken!
Polemik ohne Inhalt? Schauen Sie, es wird auf die Dauer dabei bleiben, daß diejenigen, die sich zu einer gemeinsamen Politik in diesem Hause verabredet haben, die aus dieser gemeinsamen Verabredung die Regierungsbank so besetzt haben, wie sie heute besetzt ist, immer wieder feststellen, daß keiner von beiden voll und ganz zufrieden sein kann mit dem, was diese Regierung tut, und daß keiner von beiden voll und ganz zufrieden sein kann mit dem, was sie läßt. Worauf wir nur achten— ich nehme an, as gilt für die Kollegen der anderen Koalitionsfraktion genauso wie für meine Freunde —, worauf wir nur achten, ist, daß diese Regierung nichts tut und daß diese Mehrheit nichtstut, was etwa den Grundsätzen, auf die man sich innerlich verpflichtet hat, widersprechen würde, und daß sie nichts tut im Gegensatz zu dem, was man zusammen verabredet hat.Nun kommen wir mal zu einem der Punkte, die wir verabredet haben. Herr Mischnick hat vom Wahlrecht gesprochen: ob denn die Sozialdemokraten hier die Beschlüsse ihres Parteitages nicht ernst nähmen oder ob die Regierung sie nicht ernst nähme oder ob die Sozialdemokraten umfallen wollten — Sie haben das Gelächter gehört an der Stelle. Ich darf einmal vorlesen, was meine Fraktion zu diesem Thema hier in diesem Hause erklärt hat. Sie werden sich erinnern: am 13. Dezember 1966 gab es die Regierungserklärung, die erste, grundsätzlichprogrammatische Regierungserklärung dieser neuen Bundesregierung. Zwei Tage darauf gaben die drei Bundestagsfraktionen ihre Antworten darauf, wenn Sie so wollen, könnte man sagen: Ratifikationserklärungen im Sinne der Ratifikation dessen, was die Regierung angekündigt hatte, — durch die CDU/CSU und durch die Sozialdemokraten — und die Oppositionserklärung durch Herrn Mischnick. ln dieser Antworterklärung der Sozialdemokraten findet sich allein eine halbe Seite im Protokoll, wo man sich mit dem Wahlrecht auseinandersetzt, mit den Fragen, die dazu zu stellen sind. Ich lese Ihnen nur zwei Sätze vor. Ich gebe meinen Kollegen in der CDU/ CSU, auch denen auf der Ministerbank — einem von ihnen jedenfalls — anheim, das auch als an sie gerichtet zu verstehen, was ich vorlese. Es steht im Protokoll:Meine Fraktion — das habe ich hier zu erklären — wird auf einer sehr gründlichen Prüfung dieser schwierigen Materie bestehen, ehe sie überhaupt zu einer Entscheidung bereit ist. Meine Partei wird diese Frage auch auf einem Bundesparteitag behandeln.Dann wird im einzelnen über das Für und Wider und die Erwägungen gesprochen. Abschließend heißt es in dieser Passage:Ich wiederhole also für meine Fraktion: Wir werden die Wahlrechtsvorschläge, die die Regierung angekündigt hat, prüfen; aber wir sind darauf nicht festgelegt.Genau im Sinne und im Rahmen dieser Ankündigungen, an die wir uns gebunden halten wie auch an alle anderen Erklärungen, die wir damals abgegeben haben, liegt die Tatsache, daß es die Sozialdemokratische Partei auf dem Parteitag in Nürnberg abgelehnt hat, in der Sache einen Grundsatzbeschluß zu fassen, da die von der Regierung angekündigten Wahlrechtsvorschläge noch gar nicht auf dem Tisch sind und infolgedessen bisher keine sorgfältige Debatte haben erfahren können.
— Ich verstehe die Zurufe von der FDP gar nicht mehr. Hier können Sie mir doch nur noch zustimmen, wenn ich Tatsachen darlege.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8471
Schmidt
Was die Sozialdemokratische Partei in Nürnberg in dieser Frage beschlossen hat, setzt' diese Partei weiterhin in den Stand und hält für sie offen, zu einem späteren Zeitpunkt eine Sachentscheidung zu treffen, bei der ich mich heute hüten würde, vorherzusagen, wie sie aussehen wird, nachdem einstweilen alle zur Beurteilung dieser Frage notwendigen Materialien noch nicht auf dem Tisch des Hauses sind.Was ich jetzt sage, sage ich nicht nur an die Adresse der FDP, sondern für jedermann, der sich von der Wahlrechtsfrage umgetrieben fühlt. Es muß sich ja jeder umgetrieben fühlen, der vorhersieht, wie wir im Laufe des nächsten Jahrzehnts die parlamentarische Landschaft hier vielleicht vervielfältigt sehen werden und unter welch ganz anderem automatischen Zwang zur Koalitionsbildung wir dann möglicherweise stehen werden. Diese Frage muß ja jeden umtreiben.
Wer sich hiermit, weil er auch im 70er-Jahrzehnt eine stabile Demokratie und eine Möglichkeit zu einer stabilen Regierung in diesem Lande haben möchte, beschäftigt, kommt dann allerdings zu solchen Fragen wie der, ob nicht z. B. ein relatives Mehrheitswahlrecht zu Konsequenzen führen müsse hinsichtlich der Vorschriften, die das Grundgesetz für die Abberufung eines Bundeskanzlers enthält — ich meine das konstruktive Mißtrauensvotum —; und er fragt sich natürlich, ob nicht ein relatives Mehrheitswahlrecht, das zu einem Zweiparteiensystem tendieren könnte, es notwendig macht, die gegenwärtig praktisch fast unmögliche Auflösung des Bundestages zu erleichtern. Er kommt auch zu der Frage, ob nicht bei einem Wahlrecht, das zu einem Zweiparteiensystem zu tendieren scheint, notwendigerweise ein anderes Korrelat für die Beteiligung der Bürger an der politischen Willensbildung gefunden werden muß. Ich selbst denke seit vielen Jahren daran, unter solchen Voraussetzungen sehr ernsthaft den Gedanken prüfen zu müssen, ob man nicht nach amerikanischen Vorbildern öffentliche Primärwahlen für die Kandidatenaufstellung einführen muß.Das sind z. B. drei Fragen, die im Zusammenhang mit dem Wahlrecht durchgedacht und öffentlich durchdebattiert werden müssen. Deswegen, lieber Herr Lücke, haben wir damals gesagt: Wir sind bereit, das alles zu prüfen, wenn es so weit ist, und wir behalten uns eine Sachentscheidung vor. Dabei bleibt es. Das darf ich hier im Namen von 217 Kollegen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in Übereinstimmung mit den Nürnberger Parteitagsbeschlüssen erklären.
Zu anderen Punkten, die hier in den letzten Tagen kontrovers geschienen haben, will ich im Übrigen nicht mehr viel sagen. Manches kam mir ziemlich nach einem Sturm im Wasserglas vor. Meine Fraktion hat sich heute mittag, noch nicht wissend, daß es diese Plenardebatte geben würde, ein bißchen mit der Vielfalt politischer Äußerungen bedeutender Politiker im Bonner Raum, die in den letzten48 Stunden gefallen sind, beschäftigt. Da schließe ich auch die Kritik ein, die ein früherer Bundeskanzler öffentlich an der Außenpolitik des gegenwärtigen übt. Wir haben dazu gemeint: wenn sich andere aufregen — wir jedenfalls bleiben völlig gelassen, denn wir sind ganz zuversichtlich, daß nicht nur wir, sondern ebenso auch unsere Partner von der CDU/CSU daran festhalten, die gemeinsam beschlossene Politik auch gemeinsam zu verwirklichen.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Herr Abgeordneter Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war nicht die Absicht, heute in die Sache im einzelnen einzusteigen. Aber die Erklärung des Kollegen Schmidt zum Schluß hat doch deutlich gemacht, daß unser Eindruck richtig ist: Die SPD bleibt bei ihrem Standpunkt. Der Herr Bundesinnenminister hat erklärt, daß der Standpunkt, den die SPD vorgetragen hat, ihn zum Rücktritt bewege. Obwohl die SPD bei ihrem Standpunkt bleibt, hat er seinen Rücktritt zurückgenommen. Das ist Sache des Herrn Innenministers. Wir ziehen daraus aber die Konsequenz, welche Inkonsequenz von dem Herrn Bundesinnenminister in dieser Frage an den Tag gelegt worden ist.
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzler ist geschlossen.Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einer Bundes-Apothekerordnung— Drucksache V/929 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen
— Drucksache V/2686 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stammberger
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet.Ich rufe die §§ 1, 2 und 3 auf; sie sind unverändert. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die §§ 1, 2 und 3 sind angenommen.
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8472 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Präsident D. Dr. Gerstenmaierlach), Richter und Genossen vor. Wird der Änderungsantrag begründet? — Ich frage, ob sich einer von den Herren Antragstellern überhaupt im Saale befindet.
Der Änderungsantrag wird nicht begründet. Wird zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 378 das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Änderungsantrag ist in der Sache wohl begründet. Ich glaube, der Bundestag wäre gut beraten, wenn er ihm allgemein zustimmen könnte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jungmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedauere, daß die Damen und Herren Antragsteller nicht im Saale sind, denn ich muß gegen diesen Antrag sprechen. Ich halte ihn inhaltlich und der Methode noch nicht für richtig. Ich halte es nicht für richtig, wenn Kollegen, die seit Jahr und Tag diese Ansicht vertreten, an keiner der Beratungen teilnehmen, sich die ausführlichen und sorgfältigen Anhörungen der Sachverständigen nicht zu Gemüte führen und dann hier trotzdem eine Abänderung verlangen. Nicht nur der Ausschuß für Gesundheitswesen, auch der Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik und der Ausschuß für Wirtschaft haben sich eingehend mit dieser Frage auseinandergesetzt und haben selbstverständlich alle Gesichtspunkte, die dem Änderungsantrag zugrunde liegen, eingehend erörtert und erwogen.
Einen Augenblick Herr Abgeordneter! Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt dringend, Platz zu nehmen. So groß ist die Erschütterung dieses Nachmittags wiederum auch nicht. Wir müssen weiterkommen. — Fahren Sie bitte fort.
Sie alle, meine Damen und Herren, haben eine schriftliche Begründung für den Antrag Dichgans in Händen, in der eine Reihe von Argumenten vorgetragen worden sind, denen ich hier widersprechen muß.Es ist zweifellos richtig, daß bisher schon — wie in einer ganzen Reihe von anderen Studiengebieten — der Andrang größer gewesen ist als die Zahl der Studienplätze. Sie wissen, daß das beispielsweise im Gebiet der Medizin in ganz exzessivem Umfang der Fall ist. Das ist aber kein Argument, wenn es darum geht, wie die Ausbildung beschaffen sein muß.Daß die Abschaffung der Praktikantenzeit vor Beginn des Studiums zu einem neuen Andrang führen würde, ist schlechthin unzutreffend. Wenn Sie im § 14 Abs. 3 nachsehen, werden Sie finden, daß dieses Gesetz sowieso nur mit einer sehr langen Übergangszeit in Kraft gesetzt werden kann, weil man nicht von heute auf morgen einen derart grundlegenden Wandel in der Ausbildungsordnung einführen kann. Es trifft zu, daß die Bundesregierung vorgeschlagen hat, an sechs Semestern festzuhalten. Es ist aberebenso zutreffend und allgemein bekannt, daß innerhalb der Bundesregierung hierüber sehr erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestanden haben und daß das zuständige Ministerium eine andere Ansicht vertreten hat. Das sind Dinge, die in der Öffentlichkeit seit Jahren in aller Offenheit und mit allem Freimut diskutiert worden sind.Es ist hier übersehen worden, daß der Bundesrat und, wie ich soeben schon ausgeführt habe, auch die mitberatenden Ausschüsse des Bundestages nach sehr sorgfältigen Überlegungen zu einem anderen Ergebnis gekommen sind, und es bleibt nun die Tatsache, daß der Wissenschaftsrat in der Tat geglaubt hat, an seiner Forderung eines sechssemestrigen Studiums für Apotheker festhalten zu sollen. Aber ich darf hier feststellen, daß bei der Anhörung der Sachverständigen auch des Wissenschaftsrates klargestellt worden ist, daß der Wissenschaftsrat bei seinen Überlegungen, die im übrigen viele Jahre zurückliegen, von anderen Vorstellungen — wie wir glauben, von falschen Vorstellungen über das Berufsbild des Apothekers ausgegangen ist. Erst nachträglich hat sich der Wissenschaftsrat dann damit einverstanden erklären müssen, daß ganz wesentliche neue Gebiete in die Studienordnung der Apotheker hineinkommen müssen. Es ging vor allem um das Fach Pharmakologie. Man kann Pharmakologie aber nicht ohne Biochemie und nicht ohne Physiologie lehren, weil man sie ohne diese Vorbedingungen nicht verstehen kann. Das sind ganz wesentliche Neuerungen, die wir hier für notwendig halten. Wir können das natürlich nicht alles im Gesetz zum Ausdruck bringen. Aber jeder Sachkundige weiß das ganz genau.Entscheidend ist, daß wir eine geradezu revolutionäre Umstellung in der Apothekerausbildung vorgenommen haben. Es fällt weg die zweijährige Lehre. Es fällt aber auch weg das Kandidatenjahr nach dem Studium. Wir haben vorgeschlagen und haben dabei breite Zustimmung in allen Kreisen gefunden, daß die praktische Ausbildung des künftigen Apothekers eng mit dem Pharmaziestudium verschmolzen wird, indem diese zwölfmonatige Ausbildung — bisher eine eineinhalbjährige Ausbildung vorgesehen, wir haben sie auf zwölf Monate verkürzt — in mehreren Abschnitten abgeleistet werden soll, und zwar so, daß sie in den eigentlichen Studienverlauf verflochten wird.Wir haben uns bei unseren Beratungen niemals allein von dem Zeitfaktor leiten lassen, sondern wir haben uns immer wieder gefragt, was richtig ist. Ich glaube, ein derartiges Gesetz ist nicht dazu geeignet, einseitige Meinungen, eigensinnige Vorstellungen, mögen sie im Prinzip noch so richtig sein, durchzusetzen, sondern hier geht es darum, das Richtige zu tun. Es ist beinahe überflüssig und in diesem Hause eigentlich ganz unnötig, festzustellen, daß auch wir den Vorstellungen des Wissenschaftsrates nicht nur zuneigen, sondern daß wir sie für richtig halten. Aber das kann doch nicht bedeuten, daß nun um ein Semester gefeilscht wird. Wir würden es sehr gern sehen, wenn sich der Wissenschaftsrat etwas energischer dagegen wenden würde, daß heute noch in der Chemie 18 Semester, in der Physik 14 bis 16 Semester studiert wird, ob-
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Dr. Jungmannwohl der Wissenschaftsrat längst und mit Recht gesagt hat, daß man mit 8 Semestern auskommen könnte. Ich glaube, daß man hier an einem falschen Ort nicht ein solches Exerzitium probieren darf, zum Nachteil der Sache und, wie ich glaube, auch gegen das bessere Wissen derjenigen, die sich in diesem Hause jahrelang mit dieser Frage beschäftigt haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Gesundheitsausschuß hat sich mit der Frage der Apothekerausbildung sehr viel Mühe gegeben, zahlreiche Fachleute angehört. Er ist zu einem fundierten Urteil gekommen. Das einzige, was ich dagegen einzuwenden habe, ist, daß sich dieses Urteil nur auf den Sektor Apotheker bezieht und vielleicht nicht genügend berücksichtigt, daß die Apothekerausbildung auch nur eine der vielen Ausbildungsformen ist. Wir haben, wenn ich richtig unterrichtet bin, etwa 5000 Pharmaziestudenten, das wären etwa 2 % der Studenten überhaupt, und man kann sich auf den Standpunkt stellen: warum halten wir uns hier im Plenum des Bundestages so lange mit einem so kleinen Sektor der Studenten auf? Ich muß zugeben, daß für die Apotheker allein die Frage, ob sie nun sechs oder sieben Semester studieren sollen, nicht überwichtig ist. Aber es geht um die Glaubwürdigkeit des Bundestages.
Wir haben uns hier sehr intensiv für eine Verkürzung der Ausbildung ausgesprochen. Wir haben bei den Debatten über die Hochschulreform immer wieder kritisiert, daß sie zu langsam vorangeht. Wir haben eine Straffung und Intensivierung des Studiums gefordert. Jetzt kommt der erste Fall, wo uns der Wissenschaftsrat eine Straffung und Intensivierung des Studiums vorschlägt, — und was tun wir? Wir sagen: Nun ja, gerade in diesem Falle geht es leider nicht, das ist ein unglückliches Beispiel, und es ist purer Eigensinn, wenn hier Abgeordnete der Meinung sind, man sollte den Vorstellungen des Wissenschaftsrates folgen.Meine Damen und Herren, daß unsere Universitäten überfüllt sind, ist kein Geheimnis. Wenn wir die Ausbildung von sechs auf sieben Semester verlängern, werden sie noch mehr überfüllt. Dazu wird gesagt, dann müsse einiges gebaut werden. Natürlich muß einiges gebaut werden. Aber es wird gleichzeitig gesagt, die sechs Semester sind deshalb jetzt nicht ausreichend, weil in den Universitäten nicht genügend Vorkehrungen für eine gestraffte Ausbildung vorhanden sind. Ich stelle mir nun die Frage, ob es dann nicht besser ist, die Aufwendungen, die notwendig werden, um das Studium von sechs Semestern auf sieben Semester zu verlängern, um mehr Studienplätze zu schaffen, dafür zu verwenden, gleich von vornherein die Ausbildung intensiver zu gestalten, damit es bei sechs Semestern bleiben kann.Die Verlängerung der Studienzeit von sechs auf sieben Semester bedeutet ja nicht nur eine Verlängerung um ein Semester, sondern eine viel größere Verlängerung. Sie wissen, daß heute schon die Pharmaziestudenten normalerweise beträchtliche Wartezeiten haben, bevor sie einen Laborplatz in der Universität bekommen können. Wenn es Ihnen so geht wie mir, haben Sie sicher eine Reihe von Zuschriften von Pharmaziestudenten und deren besorgten Vätern erhalten, ob man ihnen nicht helfen könne, doch frühzeitig in die Universität hineinzukommen. Wenn man nun in die gleichen Studienplätze statt sechs Semester sieben Semester hineinpreßt, so wird notwendigerweise die Wartezeit noch länger als bisher.Der Ausschuß hat zahlreiche Sachverständige gehört. Es wird als Argument verwendet, daß sich sogar die Studenten für eine Verlängerung der Studienzeit ausgesprochen hätten. Ich wundere mich eigentlich, warum Sie das so in Verwunderung setzt. Denn welche Studenten sind das? Das sind ja nicht Studenten, deren eigene Ausbildungszeit verlängert wird. Die Studenten, die gehört werden, sind von dieser Verlängerung wegen der Übergangsfristen nicht mehr betroffen. Das sind Studenten, die die Ausbildung der nachfolgenden Generation verlängern möchten. Das ist eine Entwicklung, die wir auf allen Gebieten erleben.Meine Damen und Herren, ich wundere mich, daß die Studenten so sehr auf eine Verlängerung der Ausbildung drängen; denn sie können ja heute schon länger studieren. Selbst die härteste Exmatrikulierungsregelung läßt eine Überschreitung der Mindeststudienzeit von zwei Semestern zu. Das heißt, jeder Student, der statt sechs Semester sieben oder acht studieren möchte, kann das heute bereits tun, und er soll es natürlich auch in Zukunft tun können. Es handelt sich doch nicht. um SollAusbildungszeiten, sondern um Mindestausbildungszeiten, d. h. um die Möglichkeit, jemanden zum Examen zu bringen, der sich dazu in der Lage fühlt und der das Examen besteht. Wenn er das Examen nicht besteht, ist er sowieso nicht Apotheker. Aber wenn er nach sechs Semestern das Examen bestehen kann, dann verstehe ich nicht recht, warum man ihn aus irgendwelchen Ordnungsprinzipien daran hindern will, sich zum Examen zu melden. Er soll das Risiko auf sich nehmen können.Es wird immer wieder auf die internationalen Verhältnisse Bezug genommen. Ich kenne das etwas aus dem Europäischen Parlament. International ist es so, daß man die Apotheker-Ausbildung nicht nach Kalenderjahren, sondern nach Ausbildungsstunden bemißt. Das scheint mir auch eine vernünftige Regelung zu sein. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, etwa Fahrunterricht nach Kalendermonaten zu messen. Man wird den Fahrunterricht immer nur nach den genommenen Stunden messen. Genauso sollte man das auch bei den Apothekern machen. Dabei stellt sich zur allgemeinen Überraschung heraus, daß die Zahl der Ausbildungsstunden, die wir heute in unseren Studienplänen haben, bereits größer ist als die des europäischen Durchschnitts.
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DichgansEs wäre einfach ein Rückschritt. — Herr Kollege Stammberger, ich habe mich sehr eingehend über diese Sache unterrichtet. Der Wissenschaftsrat hat mir an Hand von Tabellen mitgeteilt, daß schon heute die Zahl der Ausbildungsstunden, die planmäßig mit Stoff gefüllt sind — nicht der Ausbildungsstunden, die dem Studenten zur beliebigen Verwendung überlassen sind —, bei uns größer ist.Der Bericht erweckt den Eindruck, als wenn auch der Wissenschaftsrat nicht so recht wüßte, was er wollte. Ich glaube, dieser Eindruck wäre falsch. Der Wissenschaftsrat ist nach wie vor der Meinung, daß mit sechs Semestern Ausbildung auszukommen wäre, und der Wissenschaftsrat würde, wenn der Bundestag hier von seinen Vorschlägen abwiche, darin eine Bedrohung der Ausbildungsreform überhaupt sehen, auch in anderen Gebieten.Aber, meine Damen und Herren, wer es eigentlich am besten wissen müßte, sind die Fakultäten, der Fakultätentag. Dazu haben Sie Herrn Professor Böhmke vernommen.
— Ja, entschuldigen Sie, Böhme; vielen Dank, Herr Jungmann. — Ich habe den Text, den Professor Böhme Ihnen vorgelegt hat, hier vorliegen. Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, nur drei Sätze aus diesem Text vorzulesen. Die drei Sätze lauten:Die Frage ist nun, ob dadurch— nämlich den Fortschritt der Wissenschaft —auch die Notwendigkeit einer Verlängerung derStudiendauer gegeben ist. Ich glaube, nein.So sagt Herr Böhme. Deutlicher kann man es eigentlich nicht sagen.Zweiter Satz:Während meiner zwanzigjährigen Tätigkeit in Marburg sind 90 bis 95 % unserer Studenten mit dem sechssemestrigem Studium zum Abschluß gekommen.Dritter Satz:Dabei wurde der vermittelte Stoff nach Art und Umfang laufend dem Fortschritt der Wissenschaft angepaßt.Das ist die Fakultät, die die Ausbildung in der Hand hat.
— Er hat namens des Fakultätentages gesprochen. Alle Fakultäten mit Ausnahme einer, Herr Jungmann, haben bekanntlich gesagt, sie kämen mit sechs Semestern aus. Daß die Fakultäten die Gelegenheit benutzt haben, Wünsche für den Ausbau ihrer Institute anzubringen, Herr Stammberger, ist bei Professoren nichts Ungewöhnliches. Alle Verhandlungen dieser Art führen dazu, daß Bauforderungen gestellt werden.Noch klarer kann man es aber doch nicht sagen: „Ich glaube, nein." Professor Böhme, Sprecher des Fakultätentages, glaubt, man käme mit den sechs Semestern aus.Darüber hinaus, meine Damen und Herren, ist es charakteristisch, daß das Apothekerstudium zur Zeit dasjenige ist, das die geringsten Überschreitungen der effektiven Ausbildungszeit hat. Während bei den Philologen die Mindestausbildungszeit zum Teil nahezu bis zum Doppelten überschritten wird, gibt es bei den Apothekern wenig Überschreitungen. Für eine Ausbildung, die also bisher offensichtlich zeitlich ausreicht, dekretieren wir jetzt eine Verlängerung.Damit komme ich zum Schluß. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen die Frage vorlegen: Sind die deutschen Apotheker eigentlich wirklich so schlecht? Ich habe den Eindruck: nein. Ich habe den Eindruck, daß sie ihre Pflicht in der Apotheke vorzüglich tun, obwohl sich seit dem Jahre 1925 oder 1935, dem Jahr, in dem sie vielleicht ihr Staatsexamen gemacht haben, in der Pharmazie einiges ereignet hat.Nun, was haben diese Apotheker getan? Sie haben etwas dazugelernt. Das ist nichts Besonderes; das tun wir nämlich alle. Das ist mein entscheidender Einwand gegen den Vorschlag, hier das Studium zu verlängern. Dieser Vorschlag für eine Verlängerung des Studiums geht von der Vorstellung aus, daß man dem künftigen Apotheker während seines Universitätsstudiums alle Kenntnisse vermitteln müsse, die er später in seinem Leben jemals brauche. Das ist nun nicht nur eine unvernünftige, sondern auch ganz unrealistische Vorstellung. Denn übermorgen und in zwei Jahren gibt es wieder völlig neue Medikamente.Was wir tun müssen, ist etwas ganz anderes. Wir müssen dafür sorgen, daß die Apotheker nachgeschult werden. Wenn Sie glauben, die Ausbildung in der Apotheke reiche jetzt nicht aus, müssen Sie eben, wie das bei den Ärzten schon der Fall ist, meinetwegen alle fünf Jahre einen Fortbildungskurs durchführen. Damit wäre ich sehr einverstanden. Hier wird jedoch gesagt: Für die bereits amtierenden Apotheker reicht offenbar die Ausbildung plus die Möglichkeit, sich selbst fortzubilden, aus; aber für die neuen Apotheker, die offenbar weniger intelligent sind, reicht sie nicht aus; dafür müssen wir eine andere Ausbildung schaffen.
— Die Frage ist: Was muß in der Universität gelernt werden, Herr Stammberger, und was kann im Beruf gelernt werden?
Diese Frage ist überall zu stellen. Kann der Apotheker nicht das, was er an neuen Erkenntnissen immer wieder braucht, in seinem Beruf lernen, wie es ja auch jeder Hütteningenieur und jeder Arzt tun muß?Meine Damen und Herren, damit bin ich am Ende. Wir sollten uns die Angelegenheit ernstlich überlegen. Sie ist grundsätzlicher Natur. Wir stehen hier vor dem Votum der Fachleute des Wissenschaftsrates, des Fakultätentages, aller Fakultäten mit Ausnahme einer Fakultät. Wir haben uns immer
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Dichganswieder für eine Verkürzung der Ausbildung eingesetzt. Wir werden unglaubhaft, wenn wir im ersten Fall, in dem wir auf das, was wir sagen, konkret angesprochen werden, gleich eine ganz andere These vertreten.Meine Damen und Herren, man hat versucht, mich mit dem Argument zu trösten, man könnte das Gesetz ja sofort novellieren, wenn es verabschiedet sei; dann könnte man wieder von sieben auf sechs Semester zurückgehen. Ich freue mich über so viel guten Willen und Verständigungsbereitschaft. Ich muß aber sagen, das halte ich nicht für sehr vernünftig. Es ist ja ohnehin eine Übergangszeit vorgesehen. Mein Vorschlag: Sorgen Sie dafür, daß das Studienjahr, das jetzt bekanntlich meist nur sieben Monate umfaßt, etwas länger zu Ausbildungszwecken ausgenutzt wird. Dann lassen sich nämlich nach dem Urteil aller Fakultäten — —
— Herr Stammberger, helfen Sie mir! Wenn wir die Universitäten veranlassen, hier etwas zu tun, wenn wir ihnen die Mittel bereitstellen, 'ist das viel billiger, als wenn wir ihnen Studienplätze für ein siebtes Semester bauen müssen. Das ist bisher nicht geschehen.In diesem Sinne bitte ich Sie, dem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Berichterstatter Dr. Stammberger. Oder der Herr Abgeordnete?
— Also nicht als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dichgans, Ihre Ausführungen litten unter einem bedenklichen Mangel, man merkte ihnen nämlich an, daß Sie an keiner der Ausschußberatungen teilgenommen haben. Das ist auch der Grund, weshalb Sie zwei wichtige Dinge miteinander verwechseln. Ich habe Ihnen das bereits vorhin zugerufen: Sie verwechseln die Studiendauer mit der Ausbildungszeit. Die Ausbildungszeit der Apotheker wird nämlich um 25 %, um ein Viertel, von 6 auf 41/2 Jahre gekürzt. Das ist auch der Grund, warum wir das Studium verlängern mußten. Bisher hat der junge Student nach einem zweijährigen Praktikum in einer Apotheke zu studieren begonnen. Er brachte also bereits gewisse Erfahrungen mit. Jetzt wird er ganz neu hineingestellt. Sie nicken mir zu, also sind Sie doch überzeugt davon, daß das richtig ist, was wir uns überlegt haben.
Er wird also in diese Dinge ganz neu hineingestellt, für die er nicht wie bisher eine entsprechende Vorbildung mitbringt. Es ist auch falsch, Herr Kollege, wenn Sie jetzt aus dem Wortprotokoll einige Dinge zitieren. Selbstverständlich kann man das Studium umändern. Dann müßte aber das geschehen, was in Marburg bereits geschehen ist, daß man nämlich
mehr Monate, als das bisher in den Universitäten der Fall ist, studieren und arbeiten kann.
Sie haben ja erlebt, daß wir kürzlich eine Tagung der Kultusminister in Bad Boll hatten und daß der Kultusminister von Baden-Württemberg, Herr Professor Hahn, gesagt hat, daß sich die Bundesrepublik als einziges Land den Luxus leistet, die Universitäten fünf Monate im Jahr leerstehen zu lassen. Marburg ist in dieser Hinsicht fortschrittlich. Sie hätten noch mehr aus diesem Protokoll vorlesen sollen. Da hat man nämlich überall gesagt, wenn es überall so wäre wie in Marburg, hätten wir die Möglichkeit, die Studiendauer als solche zu verkürzen.
Wir haben uns aus diesem Grunde sogar lange im Ausschuß — Sie waren leider nie dabei — überlegt, ob wir nicht eine flexible Lösung finden können, ob wir nicht bei den Universitäten, die bereits so fortschrittlich sind wie Marburg, eine dreijährige Ausbildungszeit bereits als genügend ansehen können und dergleichen mehr. Warum das nicht möglich war, haben Sie ja im Schriftlichen Bericht des Ausschusses gelesen, Herr Kollege. Das ist ja auch kein Geheimnis.
— Bitte!
Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Dichgans.
Herr Stammberger, sollte man denn nicht wenigstens den Studenten in Marburg, die ja offenbar bereits heute in drei Jahren ausgebildet werden können, die Möglichkeit geben, nach drei Jahren Examen zu machen? Warum müssen wir aus einem puren Ordnungsstreben — —
Sie haben ja eben nicht zugehört, vor Eifer, Ihre Frage zu stellen. Genau das habe ich nämlich gesagt, daß wir versucht haben, eine solche Lösung zu finden. Das war insbesondere das Anliegen des Herrn Kollegen Meinecke. Wir können sie leider aus Gründen, die im Ausschußbericht zu lesen sind, nicht finden. Das ist doch alles nicht neu, wenn Sie sich mit diesen Dingen beschäftigt haben. So ist aber leider die Situation. Wenn Sie an den Ausschußsitzungen teilgenommen hätten, vor allen Dingen an der sehr ausführlichen Anhörung, wüßten Sie, mit welchen Tricks man heute schon versucht, mit der kürzestmöglichen Semesterzahl auszukommen. Eine Universität, ich glaube, es war Erlangen, ich kann es nicht mehr genau sagen, ist z. B. dazu übergegangen, während der Vorlesung — man höre! — die Laboratorien abzuschließen, damit die Studenten nicht da hineingehen können und ihr Praktikum machen, sondern mehr oder weniger gezwungen sind, in die Vorlesungen zu gehen, was einem Universitätsbetrieb nun wirklich widerspricht.Wenn Sie sagen, weil unsere Universitäten so überlaufen seien, müßten wir eben das Studium generell kürzen, erinnert mich das an den alten Witz von dem Kammerfeldwebel, der den Rekruten einen Stahlhelm und eine Uniform gibt und sagt:
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Dr. Stammberger„Paßt! Muß einfach passen!" Ob das hinterher — in diesem übertragenen Falle — mit dem Studium auskommt, darum kümmert sich kein Mensch. Herr Kollege Dichgans, Sie mußten mir ja bereits zugeben, daß Sie nur das Positive aus dem Protokoll zitiert haben, nämlich gerade Marburg, das insofern vorbildlich ist. Sie haben aber nicht zitiert, was sie uns alle gesagt haben, sowohl die Studenten wie auch die Professoren, mit Ausnahme von Professor Böhme, der natürlich seine gute Universität loben konnte, was wir ihm nicht übelnehmen. Im Gegenteil, meine Hochachtung vor dem Mann, aber die anderen haben es leider nicht geschafft, so daß das nicht möglich ist, was sonst möglich wäre, daß nämlich die Uniform und der Stahlhelm — entschuldigen Sie den Vergleich, aber ich komme wieder auf den Kammerfeldwebel zurück — eben so sind, daß auch das kürzere Studium hineinpaßt. Aus diesem Grund haben wir — auch das ergibt sich aus dem Schriftlichen Bericht, den ich erstellt habe, sehr deutlich — das Gesetz so gefaßt, daß wir, wenn die anderen Universitäten nachgezogen haben — und ich hoffe, daß das jetzt Frucht trägt, was dort unten in Bad Boll beraten worden ist —, die Sache mit einem einfachen Gesetz spielend ändern können. Damit ist es uns ernst, Herr Kollege. Um hier kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: damit ist es uns im ganzen Ausschuß ernst.Ich bin immer sehr dafür, daß der Gesetzgeber vorausschauend ist, daß er fortschrittlich ist, um diesen Ausdruck zu gebrauchen. Aber, Herr Kollege, im Augenblick würden wir einen Fortschritt produzieren wollen, der mit den Verhältnissen einfach nicht übereinstimmt. Davor haben uns vor allem die Studenten gewarnt, und das waren nicht diejenigen, die schon fertig sind, sondern das waren eben noch diejenigen, die aus ihren Erlebnissen in der Studienzeit uns davon berichten konnten. Leider haben wir Sie immer in den Ausschußsitzungen vermißt und mußten daher jetzt im Plenum vieles nachholen, was wir im Ausschuß bereits beraten haben. Wir haben uns doch heute früh überlegt, wie wir die Parlamentssitzungen straffen können. Herr Kollege, wenn Ihr Stil — entschuldigen Sie bitte, wenn ich das so deutlich sage — hier einreißt, können wir uns die Ausschußsitzungen überhaupt sparen. Da bekommen wir dann Tagungsgelder in Form von Portomarken, damit wir uns einander Briefe schreiben können. — Bitte!
Zwischenfrage!
Herr Stammberger, sind Sie wirklich der Meinung, daß alle Dinge im Ausschuß erledigt werden sollen? Sind Sie nicht vielmehr der Meinung, daß es gerade die Aufgabe des Plenums ist, die Gesichtspunkte, die nicht in den fachlichen Bereich des Ausschusses gehören, hier zu erörtern?
Richtig, Herr Kollege. Ich bin durchaus der Meinung, daß im Ausschuß nichts abgewürgt werden soll, was vor das Plenum
gehört. Ich bin aber sehr wohl der Meinung, daß jemand, der sich nach draußen hin in Wort und Schrift für etwas stark macht, auch die Pflicht und Schuldigkeit hat, im Ausschuß seinen Mann zu stehen, aber nicht erst hier im Plenum die Diskussion fortsetzen sollte,
die wir im Ausschuß bereits beendet haben.
Herr Abgeordneter Dr. Hammans, wollten Sie dazu etwas sagen? — Unmittelbar dazu?
Hier ist ein Angriff auf ein Mitglied des Hauses erfolgt. Ich gebe diesem Mitglied des Hauses, wenn es das Wort wünscht, oder einem anderen Mitglied des Hauses, wenn es dazu das Wort will, sofort das Wort.
— Hinterher. Dann geht es weiter in der Liste. Ich habe eine ganze Reihe von Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag. Zunächst der Herr Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Debatte, die hier geführt worden ist — da unterscheide ich mich vom Kollegen Stammberger —, ist recht nützlich. Sie zeigt zumindest eines, nämlich daß die Sorge des Kollegen Dichgans, wir würden uns bei der ersten Gelegenheit leichtfertig über die Empfehlungen des Wissenschaftsrates hinwegsetzen, nicht zutrifft.
Sehr verehrter Kollege Dichgans, es tut mir außerordentlich leid, daß ich Ihnen widersprechen muß; denn einmal schätze ich Sie sehr als Kollegen und zum zweiten unterstütze ich Ihre Sache, die generelle Sache. Es ist natürlich ein eminent wichtiges Problem, die Studiendauer zu verkürzen. Das sage ich nicht nur als Vater von fünf Kindern, der fünf Kinder durchs Studium gebracht hat oder noch bringen muß. Das ist ein höchst ökonomisches Problem, nicht nur für den Privatmann, sondern auch für den Staat; denn den Privatmann kostet das pro Jahr etwa 5-oder 6000 DM und den Staat ein Mehrfaches. Mit dem Geld, das die Verlängerung der Studien um zwei, drei Jahre — wie es jetzt leider in den naturwissenschaftlichen Disziplinen üblich ist — kostet, könnten wir Studienplätze bauen oder mehr Studenten studieren lassen. Sie sehen voll und ganz, ich unterstütze Ihr Anliegen.Lassen Sie mich einen weiteren Punkt hinzufügen. Ich glaube, die Unruhe, die augenblicklich unsere akademische Jugend ergriffen hat, kommt zum Teil auch aus der Überalterung. Diese akademische Jugend kann erst mit 28, 29 oder 30 Jahren zum erstenmal im Leben verantwortlich handeln. Dann erlebt sie zum erstenmal das Dilemma zwischen Gesinnungsethik und der praktischen Vernunft, mit
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Dr. Elbrächterder man ja das Leben meistern muß. Es ist natürlich sehr viel heilsamer, wenn der junge Mann das mit 22 oder 23 Jahren erlebt, so wie wir beide das in unseren Jahrgängen erlebt haben. Das ist sehr viel besser. Da verhärtet sich manches nicht. Sie sehen also, daß ich Ihrem generellen Anliegen durchaus zustimme. Es ist also keine leere Floskel, wenn ich sage: Sie haben im Prinzip recht, aber in diesem speziellen Fall übersehen Sie einiges.Ich möchte einige Argumente nachtragen, die gerade im mitberatenden Wirtschaftsausschuß eine Rolle gespielt haben. Erstens darf ich noch einmal unterstreichen, was Herr Kollege Junghans und auch Herr Stammberger gesagt haben. Jetzt — sie haben recht — haben wir im Studium sechs Semester, praktisch — Sie werden das zugeben — sind es im Durchschnitt ein bis zwei Semester mehr. Plus zwei Jahre Praktikantenzeit plus ein Jahr Kandidatenzeit sind das nach der jetzigen Regelung mindestens sieben, meistens aber acht Jahre. Wir hoffen, daß die Universitäten so vernünftig sind, diese sieben Semester nicht als Mindestzeit, sondern als Höchstzeit zu nehmen. Das war nämlich unsere Erwartung. Dadurch ist eine Verkürzung der Ausbildungszeit um anderthalb bis zwei Jahre gegeben. Das ist also genau das, was auch Ihr Anliegen ist; aber es ließ sich nun einmal bei der sachlichen Ausbildungsnotwendigkeit der Apotheker nicht vermeiden, daß damit die Studienzeit theoretisch um ein Semester verlängert wurde, was aber praktisch eben keine Verlängerung ist. Das möchte ich auf der einen Seite sagen.Zu Ihrem Hinweis, daß man in den anderen Staaten hinsichtlich der Ausbildungszeiten flexibler ist, darf ich nur sagen — und das hat gerade bei uns im Ausschuß eine Rolle gespielt , daß die Mehrzahl unserer Universitäten auf eine solche flexible Regelung überhaupt nicht eingerichtet ist, daß die Studenten also nichts davon hätten. Siehe das Problem der Trimester; ich will das hier nicht vertiefen.Nun führen Sie eine große Autorität an: den Wissenschaftsrat. Ich erkenne mit Ihnen an, daß hier wirklich Männer sind, die über Autorität verfügen. Auch in einer Demokratie soll man ja auf das Wort von Autoritäten hören. Aber die Vorschläge des Wissenschaftsrats waren für mich völlig obsolet. Ich möchte hier noch einmal sagen, warum. Diese Vorschläge wollten unterscheiden zwischen der Ausbildung des Apothekers für die Apotheken und der Ausbildung des Apothekers für die Hochschullaufbahn. Das hätte doch dem Apotheker eine enorme Chance genommen, nämlich die Möglichkeit, nicht nur in der Apotheke, sondern auch in der pharmazeutischen Industrie und der Hochschule zu wirken. Sie werden mir doch zugeben, daß die Industrie, und zwar nicht nur die pharmazeutische Industrie, leider, so kann ich nur sagen, viel zu großen Wert auf ein Vollakademikertum legt, obwohl die Tagesarbeit die wissenschaftliche Ausbildung gar nicht ausnutzt. Das ist nicht nur hier ein Problem, sondern ganz allgemein. Das galt es im Interesse der Studenten zu vermeiden. Das wird wahrscheinlich auch der Grund dafür gewesen sein, daß einsichtige Studenten den Vorstellungen des Wissenschaftrates in ihrem eigenenInteresse nicht gefolgt sind. Ich glaube, daß das richtig ist.Nun ein zweites Argument, das bei Ihnen etwas zu kurz kommt. Sehr verehrter Herr Kollege Dichgans, die Frage der EWG-Regelung können Sie so leicht nicht abtun, Wir haben uns sehr viel Mühe damit gegeben. Es ist nicht damit zu rechnen, daß die anderen EWG-Staaten von ihren jetzigen Ausbildungszeiten, die länger sind, die fünf, sechs Jahre betragen, heruntergehen werden. Wir haben mit dieser Regelung schon die kürzeste Ausbildungszeit.. Die Annahme dieser Regelung würde in der Praxis bedeuten, daß die Freizügigkeit oder, sagen wir besser, die Möglichkeiten der Berufsausübung in anderen EWG-Staaten für deutsche Apotheker nicht gegeben gewesen wären. Ich glaube, da sollte man nicht zu leichtfertig sein. Gerade für den Wirtschaftsausschuß als mitberatenden Ausschuß hat dieses Argument eine ganz große Rolle gespielt.Ich glaube also, daß die Beschlüsse, die der Gesundheitsausschuß gefaßt hat — er hat erfreulicherweise sogar ein halbes Semester weniger genommen, als im Wirtschaftsausschuß vorgeschlagen worden war —, der Sache und der Notwendigkeit der Apothekerausbildung gerecht werden. Herr Kollege Dichgans, ich glaube, Sie reiten Ihre Attacke am falschen Ort. Wir wollen gemeinsam dafür kämpfen, bei einer Reform des Studiums — leider ist dieses Haus ja dafür nicht zuständig — zu kürzeren Zeiten zu kommen. Lassen Sie mich eine sarkastische Bemerkung machen. Wenn das Wort „Gouverner c'est prévoir" richtig ist, wenn also die Voraussicht als Bestandteil des Regierens richtig gesehen wird, dann sind wir, so kann ich nur sagen, in deutschen Landen auf diesem Gebiet miserabel regiert worden.
Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Dr. Jungmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entschuldigen Sie, daß ich mich noch einmal melde. Ich bin sehr betroffen, daß Herr Dichgans gesagt hat, die Glaubwürdigkeit des Parlaments stünde auf dem Spiel. Das ist ein großes Wort, das diesem Gegenstand vielleicht nicht angemessen ist. Aber es ist auch ein Vorwurf gegen diejenigen, die sich lange Zeit gemüht haben, diese Dinge richtig zu regeln und nicht einfach irgendwelchen vorgefaßten Meinungen zu folgen. Es hat für mich noch eine ganz besonders unerfreuliche Seite, weil ich mich seit .fahren mit Herrn Dichgans auch persönlich in der Verfolgung der Grundsatzfragen einig weiß. Es gibt ja nicht nur dieses Feld. Es gibt ja eine ganze Menge von anderen Feldern, auf denen man spektakuläre Erfolge erreichen kann, Ich hoffe, daß wir noch in dieser Legislaturperiode die Bundesärzteordnung novellieren und dann zwei ganze Jahre in der Ausbildung einsparen können. Hier sparen wir aber auch schon anderthalb Jahre von bisher sechs Jahren ein. Herr Elbrächter hat durchaus recht: Die Pharmaziestudenten haben im allge-
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Dr. Jungmannmeinen sieben bis acht Jahre gebraucht, ehe sie schließlich Apotheker wurden.Was uns hier vorgeschwebt hat, ist die Befolgung der Vorschläge des Wissenschaftsrates auf der ganzen Linie. Er hat ja nicht nur punktuell gesagt, daß man mit einer Ausbildungszeit von sechs Semestern auskommen sollte. Er hat eine Anzahl von Prinzipien für die Modernisierung der akademischen Ausbildung aufgestellt, und diese Forderungen haben wir bis auf einen Punkt samt und sonders erfüllt. Nur in diesem einen Punkt konnten wir dem Wissenschaftsrat aber nicht folgen. Ich wiederhole es noch einmal: nicht deshalb, weil der Wissenschaftsrat zugegebenermaßen von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist. Dies war die erste Empfehlung, die der Wissenschaftsrat — lange vor seinen anderen Empfehlungen; ich glaube, vor drei Jahren — herausgegeben hat. Der maßgebende Mann hat gesagt: Wenn wir uns das später noch einmal hätten überlegen können, wären wir vielleicht zu einem anderen Ergebnis gekommen.Prestigefragen hier auf diesem Gebiet auspauken zu wollen, erscheint mir ganz und gar unangebracht. Das sollten wir nicht tun.Einige sachliche Feststellungen! Die Zahl der Studienplätze — das ist uns immer wieder versichert worden ist ausreichend. In Münster, hat man uns gesagt, könnte man die doppelte Anzahl ausbilden, wenn man ein paar Assistenten mehr hätte. Ich glaube, das ist an vielen Universitäten so. Die Meinungen der Professoren waren durchaus geteilt. Vielleicht unterliegen sie auch schon den Bedingungen, die Herr Le Bon schon als Psychologie der Massen dargestellt hat, wenn sie in ihren Fakultäten zu anderen Beschlüssen gekommen sind. Bei uns haben sie gesagt: Wir kommen rebus sic stantibus nicht mit sechs Semestern aus, wir brauchen mehr.Und was ist mit den Studenten? Es ist tatsächlich so, daß die Pharmaziestudenten außergewöhnlich gestandene Leute sind. Sie haben nämlich mindestens zwei Jahre Lehrzeit hinter sich. Soweit sie männlichen Geschlechtes sind, haben sie außerdem noch anderthalb Jahre Wehrdienst hinter sich. Dann haben sie sich sehr eisern um ihr Pharmaziestudium gekümmert. Diese durchaus einsichtigen und gescheiten Leute haben uns unisono erklärt, daß man in Marburg selbstverständlich mit sechs Semestern das Examen machen kann, weil man dort die Bedingungen ganz genau kennt. Aber dann kamen die großen Zweifel. Herr Professor Böhme, der hier mehrfach als großes Vorbild genannt worden ist, hat eine sehr bestimmte Vorstellung vom Pharmaziestudium, die von seinen Kollegen durchaus nicht überwiegend geteilt wird. Was hier soeben erzählt worden ist, ist durchaus richtig: daß die Studenten vor lauter Laborarbeit nicht mehr zum Hören wichtiger Vorlesungen kommen und dann eben einfach darauf verzichten. Sie arbeiten für das Examen, und ein intelligenter Mann oder ein intelligentes Mädchen kriegt das natürlich mit sechs Semestern auch fertig, wenn sie genau wissen, was verlangt wird.Herr Dichgans, es hat sich aber aus der Anhörung der Sachverständigen ergeben, daß wir, der Gesetzgeber, und nicht die Universitätsprofessoren das Ziel der Ausbildung zu verantworten haben. Es kommt darauf an, daß dieses Ziel, daß der Apotheker seiner Aufgabe im Gesamtbereich der Heilkunde gerecht werden muß, erreicht wird.Hinsichtlich des Wissenschaftsrates habe ich schon gesagt, daß man das Ganze nicht zu einer Prestigefrage machen sollte. Herr Kollege Dichgans, wir sind sicher alle vor unsere eigene Gewissenhaftigkeit gestellt und dürfen eine Entscheidung nicht leichtfertig fällen. Gott sei Dank ist auch nicht behauptet worden, daß wir das täten. Ich glaube, unsere Glaubwürdigkeit steht nicht auf dem Spiel.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Heuser.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich gebe Herrn Dichgans recht, daß die Frage, ob etwas im Moment so durchführbar sei, wie man es sich ideal vorstellt, nie ein Motiv für eine gesetzgeberische Maßnahme sein kann. Er hat das darauf bezogen, daß einige glaubten, die zusätzlichen Semester damit entschuldigen zu müssen, daß man bei dem derzeitigen Personalstand an den Universitäten mit einer kürzeren Ausbildungszeit nicht fertig würde. Insofern gebe ich Herrn Dichgans recht.Aber ich glaube nicht, daß das bei den Beratungen des Gesundheitsausschusses ein Motiv war. Nun werden Sie mir entgegenhalten: Nun, Sie sind nicht dabei gewesen; wie können Sie Motivforschung in Sachen Gesundheitsausschuß betreiben?Aber, meine Damen und Herren, ich vermisse hier eine Aussage, nämlich die, daß es in Wirklichkeit zunächst einmal nicht um eine Verlängerung, sondern um eine Verkürzung geht. Die Gesamtzeit, die jetzt herauskommt, beinhaltet auch einen Teil der praktischen Tätigkeit, die sonst neben der Semesterzeit oder davor lief. Davon hat niemand gesprochen.
— Aber offensichtlich nicht so, daß es den Gegnern dieses Unternehmens deutlich gewesen wäre. Herr Stammberger, da Sie sich schon einmischen: Ich komme von außen und habe diesen Bericht gelesen. Ich muß ehrlich sagen, wenn auch große Schreibereien manchmal etwas Schreckliches sind, ich fand ihn nicht ausführlich genug, nicht so ausführlich, daß jemand, der nicht die Gelegenheit hatte, ständig in einem solchen Ausschuß zu sein — das gibt es ja auch bei Kollegen, die in zwei oder drei Ausschüssen sind —, über den Inhalt der Beratung genügend unterrichtet worden wäre.Aber abgesehen davon erinnere ich mich noch sehr gut an die Beratung der Tierärzteordnung. Damals haben wir uns im Gesundheitsausschuß vorgenommen, von der Neuordnung der Apothekerordnung bis hin zur Neuordnung bei den Medizinern einen bestimmten Weg konsequent zu verfolgen. Der wird bei diesen Formulierungen durchaus deutlich. Ich freue mich sehr, daß ich das hier
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Frau Dr. Heuserfeststellen kann. Wir wollten dahin, daß innerhalb einer solchen Ausbildung nicht immer wieder Abschnitte entstehen, wo die jungen Leute aus der Universität hinauskommen, in dem Beruf praktisch tätig sind, aber einmal mit soviel und einmal mit soviel. Verantwortung ausgestattet. \\Venn sie ihr Examen haben, sollen sie in voller Verantwortung arbeiten können. Das ist einer der wichtigsten Inhalte dieses Vorschlags, so wie er vom Ausschuß kommt.Es tut mir leid, Herr Dichgans, Ihren Vorschlag muß ich ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie immer das Plenum über diesen Antrag abstimmen wird, das Ergebnis wird am Ende unbefriedigend sein, weil hier zwei Gruppen unter zwei völlig verschiedenen Gesichtspunkten diskutieren. Die Kollegen vom Gesundheitsausschuß argumentieren so: Da die Praxis an den meisten Universitäten und in der allgemeinen Ausbildung nun einmal so ist, muß das Gesetz dieser augenblicklichen Praxis noch Rechnung tragen.
— Natürlich! Und diejenigen, die den Sachverständigen ebenfalls zugehört haben — übrigens könnte man das auch nachlesen, wenn man nicht immer dabei war — —
Herr Kollege Moersch, ist Ihnen übrigens bewußt, daß der Gesundheitsausschuß, der Kulturpolitische Ausschuß und der Wirtschaftsausschuß zu einer einhelligen Meinung gekommen sind?
Das beweist in der Sache natürlich nichts. Das beweist nur, daß Sie sich alle der sogenannten Macht der Tatsachen beugen wollten.
— Herr Dr. Jungmann, nicht jeder, der nicht Ihrer Meinung ist, muß deswegen nicht informiert sein über das, was er will.
Die Frage ist doch die — da haben Sie, Herr Dichgans, im Prinzip recht; ich habe Ihren Antrag nicht unterschrieben, weil mir bei diesem Gewaltritt etwas unbehaglich war, der hier sehr schwer durchzusetzen ist —: In Wahrheit ist das, was wir hier debattieren, nichts anderes als ein Armutszeugnis der Bundesregierung und ihrer Ressorts.
— Natürlich ist es das. Es ist das Armutszeugnis darüber, daß wir hier von Hochschulreform, von Wissenschaftsrat, von Studienreform reden
— ja eben, Herr Dr. Elbrächter, dann schaffen Sie doch die Zuständigkeit! —, daß sich aber niemand dafür zuständig fühlt, außer wenn es zur Lage der Nation grolle Worte zu machen gilt. Dann steht da nämlich drin, daß man demnächst mit den Länderregierungen, mit den Ministerpräsidenten über diese Fragen sprechen werde. Und wenn es hier um die praktische Ausführung dieser Dinge geht, ist natürlich niemand dafür da und auch niemand zuständig. Wenn der Herr Bundeskanzler dem deutschen Volk verkündet, was er alles tun wird, ist er zuständig. Wenn es aber hier darum geht, die praktischen Konsequenzen zu ziehen, finde ich niemanden, der dafür zuständig ist. Und Sie unterstützen auch noch diese These.
Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? — Herr Abgeordneter Dr. Jungmann!
Herr Kollege Moersch, wollen Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, daß der Ausschuß nicht wegen der derzeitigen Schwierigkeiten zu seiner Meinung gekommen ist, sondern wegen des Stoffes — ich habe .das ausführlich und eingehend dargestellt —, der wesentlich größer geworden ist, als er früher war!?
Die Argumentation mit dem Stoff ist es so alt wie die Geschichte der Wissenschaft. Wenn Sie den Stoff lernen müßten, der seit dem Altertum angesammelt ist, müßten Sie wesentlich älter werden, bis Sie Ihr Studium abgeschlossen haben, als Sie jemals an Lebensjahren erreichen können. Das ist natürlich kein Argument, mit dem Sie jemals irgendeine Ausbildung erweitern können. Sonst müßten Sie ja heute 40 Jahre werden, bis Sie Examen machen, — im Vergleich zu der Zeit vor hundert Jahren, wo die Wissenschaft nicht einmal die Hälfte von dem Volumen hatte, das sie heute hat.
Das ist ein Argument, mit dem können Sie heute nicht mehr kommen. In Wahrheit ist es doch vielmehr so, daß wir Überlegungen angestellt haben, z. B. im Hochschulgesamtplan von Baden-Württemberg, die meiner Ansicht nach fundiert und wohlbegründet sind, wonach die Studienzeit an der Universität nicht das ausschlaggebende Merkmal für den Inhalt eines Berufes nachher sein kann. Man darf nicht die Frage stellen, wie es viele tun, ob man mindestens 8 Semester brauche, bis man kritisches Bewußtsein bekommen habe, und nicht nur 6 Semester, d. h. ob das kritische Bewußtsein genau den Sprung zwischen drei und vier Jahren beispielsweise mache. Das glaubt Ihnen ja kein ernsthafter Mensch, der etwa die angelsächsischen Verhältnisse kennt.
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MoerschDie Frage ist doch vielmehr, wie Sie die Universi-taten insgesamt in einen Stand versetzen, der bestimmte Ausbildungen an universitätsbezogenen Einrichtungen etwa vollbringt, ohne daß damit unbedingt die Arbeitsplätze an der Universität versperrt werden, weil diese dafür auf die Dauer zu teuer sind; das kann man einfach gar nicht aufbringen. Aber ich sage noch einmal: was immer Sie tun, es wird nicht befriedigend sein, weil es keine Vorstellung der Bundesregierung über die gesamte Neuordnung des Hochschulwesens gibt. Und wenn Sie darüber keine Vorstellungen haben, können Sie auch nicht einzelne Berufsausbildungen und Berufsbilder so verändern, daß sie allseits befriedigend wären. Was wir befürchten, nämlich diejenigen befürchten, die die Reform der Hochschulen und die Studienreform ernst nehmen, ist doch, daß man mit einem Beschluß, wie er hier von den Ausschüssen vorgelegt worden ist, ein Präjudiz schafft, eine Ausrede schafft, wenn Sie so wollen, für die Verhinderung anderer Reformen. Das ist nämlich das Problem, das dahinter steckt. Das heißt, daß diejenigen, die aus Prinzip gegen das sechssemestrige Studium sind — oder was man anderswo auch „Kurzstudium" nennt , ein weiteres Argument in die Hand bekommen, in dem man ein bisher ausreichendes sechssemestriges Studium auf sieben Semester erhöht, ohne zu sagen, daß das natürlich mit der Gesamtausbildungszeit doch eng verknüpft ist. Da liegt doch der Hund begraben.Das ist doch das, was wir mit Recht befürchten müssen: nämlich die Argumentation zu verlieren für eine sinnvolle Reform aller möglichen Studiengänge. Ich glaube eben, daß diejenigen, die für die längere Studienzeit auf diesem Gebiet so vehement plädieren, doch Prestige-Gesichtspunkte dabei im Auge haben, und zwar orientiert an anderen Berufen, hinter denen sie nicht zurückbleiben wollen, — obwohl wir wissen, daß die Lage gerade bei den anderen schleunigst geändert werden sollte. Einer muß nun einmal den Anfang machen.Dann müssen Sie einmal einen Gegenvorschlag über die Ausbildung außerhalb der Universität machen. Dann müssen Sie die eben anders ordnen. Solange Sie das nicht im Gesamten vor sich haben, werden Sie in dieser Sache keine befriedigende Klärung bekommen. Ich meine, die Frage der Fortbildung, auch die Frage der Spezialausbildung nach dem Verlassen der Universität ist hier gar nicht im Grunde zu lösen und ist hier auch nicht gelöst. Es geht hier nicht um vorgefaßte Meinungen, Herr Dr. Jungmann, es geht darum, daß der Bund eine gesamtstaatliche Verantwortung auch für diese Fragen hat. Auf einem der wenigen Gebiete, auf denen er wirklich etwas entscheiden kann, sollte er unter keinen Umständen eine falsche Entscheidung treffen, lieber gar keine Entscheidung. Denn es war bisher ja auch nicht so ganz dringend, daß jetzt ausgerechnet noch falsch entschieden werden müßte. Wir von der FDP haben einen Antrag vor- gelegt, um Herrn Dr. Elbrächter die Ausreden künftig nicht mehr zu ermöglichen; wir wünschen, daß man das Hochschulwesen zur konkurrierenden Gesetzgebung zählt. Wenn Sie auf dem Gebiet des Hochschulwesens eine konkurrierende Gesetz-gebung haben, können Sie das alles einordnen — z. B. die Apothekerordnung — in die gesamte Frage des Studiums und des Hochschulwesens.Natürlich ist es unbefriedigend, daß wir zwar ein Gesetz machen können, das alle möglichen Dinge regelt, aber über die Ausbildungsstätten, die zur Verwirklichung dieses Gesetzes notwendig sind, gar nichts zu sagen haben. Aber Sie können aus dieser schlechten Tugend nun doch nicht die Not verlängern. Das ist das Problem, um das es hier geht. Deshalb, so meine ich, ist eine Zurückverweisung dieser ganzen Frage im Augenblick vielleicht das beste.
— Bevor Sie etwas Falsches machen, ist es besser, Sie machen zunächst nichts und überlegen sich das noch einmal.Wenn der Herr Bundeskanzler jetzt angekündigt hat — das ist neu, meine Herren von der CDU/CSU, die Sie das nicht hören wollen —, er wolle sich jetzt um diese Frage kümmern, dann seien Sie ihm doch dankbar, dann machen Sie doch nicht von vornherein ein Präjudiz, das den Bundeskanzler hindert, seine sicherlich durchdachten Vorstellungen über die Hochschulreform wirklich zu praktizieren! Dann weisen Sie doch das zurück und fragen Sie den Herrn Bundeskanzler, wie er es eigentlich gemeint hat; denn schließlich ist er der Regierungschef. Sie sollten ihm nicht Steine in den Weg legen, wenn er zur guten Tat schreiten möchte.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben soeben zwei Beweise dafür bekommen, daß die Kritik, die Herr Stammberger angebracht hat, am Platze sein kann und auch nicht. Ich meine, Herr Stammberger, im Gegensatz zu den Ausführungen des Herrn Moersch war doch das, was Herr Dichgans ausgeführt hat, von einer tiefen Sachkenntnis gekennzeichnet. Sie sollten mit solchen Bemerkungen, die Sie vorhin gemacht haben, nicht so leichtfertig umgehen. Ich muß sagen, was Herr Dichgans hier ausgeführt hat, hat wesentlich dazu beigetragen, daß die Debatte über diesen so wichtigen Punkt zum Zuge gekommen ist.
— Herr Dr. Stammberger, ich muß gestehen, daß auch dann, wenn Mitglieder dieses Hauses im Ausschuß nicht haben mitarbeiten können, sie bei einer solchen Sachkunde, wie wir sie bei Herrn Dichgans festgestellt haben, trotzdem mit Ernst mitdebattieren können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mehrfach ist betont worden, daß bei der Beratung in allen Ausschüssen — ich kann es vom Wissenschaftsaus-
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Dr. HammansSchuß und vom Gesundheitsausschuß sagen — und auch in cien Anhörungsterminen die Probleme sehr, sehr sorgfältig überprüft worden sind.Wir müssen feststellen, daß an den Apotheker sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Ich möchte hier dem, was von der Seite der Opposition gesagt worden ist, zustimmen. Wenn der Apotheker fertig ist, muß er für alle Bereiche befähigt sein, als Krankenhausapotheker, als Armee-Apotheker. Er muß eine Apotheke leiten können. Er muß auch für die pharmazeutische Industrie ein wertvoller Mitarbeiter sein.In diesem Zusammenhang sollte man von dieser Stelle aus auch einmal bedenken, welche Leistungen die deutschen Apotheker während des Krieges und in der Nachkriegszeit für unsere Bevölkerung erbracht haben. Das konnten sie, weil sie gut ausgebildet waren. Wenn ein Apotheker im Augenblick nach außen hin vielleicht auch wie ein Verkäufer mit sehr hoher Verantwortung aussieht, so muß er doch so geschult sein, daß er auch dann, wenn wir einmal andere Zeiten haben, in der Lage ist, seine Pflicht zu erfüllen. Wir haben diesen Möglichkeiten bei den Überlegungen voll Rechnung getragen.Wir werden in Zukunft die Entwicklung sorgfältig beobachten und die Ausbildungszeit, so schnell es möglich ist, um ein Semester verkürzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Meinecke.
Mitte Oktober lief folgende Meldung durch die deutsche Presse: Das pharmazeutische Institut der Universität Münster hat zwar die Studienplätze um das Dreifache von 150 auf 450 erweitert. Damit war die Kapazität, die in den Vorschlägen des Wissenschaftsrats für die nächsten Jahre vorgesehen ist, erreicht. Es ist aber keine einzige Assistentenstelle mehr bewilligt worden. Das heißt, was wirklich Voraussetzung für eine Hochschul- und eine Studienreform wäre, nämlich eine andere Art der Unterrichtsgestaltung, des Kontakts zwischen den Studierenden und den Lehrenden, wird nicht realisiert. Wie macht man es in Münster? Man zieht die Doktoranden zum Unterricht heran. Dadurch verlängert sich aber die Promotionszeit um ein halbes Jahr oder um ein Jahr. Das also ist ein Notbehelf.
Nun wollen wir hier praktisch mit der Lösung von Herrn Dichgans, dem ich theoretisch voll zustimme, qua Gesetzesakt eine Art Studienreform als Hochschulreform über eine relative Verkürzung herbeiführen. Das wäre eine Studienreform auf dem Rükken der Studierenden. Genau aus diesem wesentlichen Grunde können wir uns nicht entschließen, im Augenblick den Vorstellungen des Wissenschaftsrates zu folgen.
Nun sagen Sie: Die meisten studieren sowieso sechs Semester. Die Zahlen stimmten, Herr Dichgans. Vor drei, vier Jahren haben noch die meisten Studierenden das Studium in sechs Semestern absolviert. Mittlerweile benötigt die Mehrzahl der Studierenden sieben und acht Semester. Sie wissen, die Studenten haben uns gesagt, daß sie eigentlich ein vierjähriges Studium fordern müßten und daß für sie das dreieinhalbjährige Studium ein schlechter, aber gerade noch erträglicher Kompromiß sei.
Nun schauen Sie bitte einmal auf die hier kritisierte Begründung des Kollegen Stammberger. Frau Kollegin Heuser, die Begründung war deshalb so kurz, weil im wesentlichen nur dieser eine Punkt strittig war. Ich wäre deshalb dankbar, wenn Sie Ihre Kritik ein wenig zurücknehmen würden. Der entscheidende Satz steht auf der linken Seite: Die Direktoren der pharmazeutischen Institute haben gesagt, nur unter bestimmten Voraussetzungen sei es zu verantworten — und das haben Sie, Herr Dichgans, doch gelesen —, nach einem dreijährigen Studium kraft Gesetzesakt die Prüfung zu verlangen. Solange diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind — und sie sind nicht erfüllt —, ist das nicht zu verantworten.
Meine Damen und Herren, die gesundheitspolitische Seite der Angelegenheit muß hier auch angesprochen werden, die europäische Seite der gegenseitigen Anerkennung muß durchdacht werden. Es geht nicht so, daß wir uns gegenseitig die Stunden vorhalten. In der Bundesrepublik haben wir zwar die meisten Stunden. Aber was nützen diese Unterrichtsstunden, wenn die Vorlesungen nicht besucht werden können? Es steht eindeutig fest: der Student, der an seinem Laborplatz arbeitet, besucht keine Hauptvorlesung; das haben wir einhellig aus allen Hochschulen gehört.
Wir sind in einer sehr schwierigen Situation. Keine Lösung ist befriedigend. Der Wissenschaftsrat sollte aber nicht aus dieser Angelegenheit eine Prestigesache machen und sagen: Wenn ihr hier nicht folgt — genau wie wir es in allen anderen Punkten wollen —, dann sehen wir unsere gesamte Hochschulreform bedroht. Das wäre falsch.
Ich bin nach wie vor dafür, daß das Ministerium alsbald prüft, ob sich der von mir gemachte Vorschlag nicht realisieren läßt. Es muß doch möglich sein, flexible Zeiten und flexible Studienordnungen an verschiedenen Universitäten einzuführen. Wir sind doch hierzu auch für das Medizinstudium im Rahmen der neuen Modellhochschulen gezwungen.
Ich muß allerdings bekennen, daß ich kapitulieren mußte! Das Ministerium und die Juristen haben uns verbindlich mitgeteilt, daß es keine verfassungsrechtlich unangefochtene Lösung in Zukunft gibt. Ich werde also gezwungen sein, aus einer Gewissensqual dem Haus zu empfehlen: stimmen Sie dem jetzt vorliegenden Vorschlag zu. Das Ministerium soll dann nach wenigen Jahren prüfen, ob sich die Situation an den deutschen Hochschulen so verbessert hat, daß wir ruhigen Gewissens dem dreijährigen Studium zustimmen können.
Keine Wortmeldungen mehr. Wir stimmen über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dichgans, Becher , Richter
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8482 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Vizepräsident Scheelund Genossen auf Umdruck 378 ab. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist gegen den Änderungsantrag? — Das letzte ist die überwiegende Mehrheit; damit ist der Abänderungsantrag abgelehnt.Dann kommen wir zur Abstimmung über den § 4 in der Ausschußfassung. Wer für den § 4 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einigen Gegenstimmen und einigen Stimmenthaltungen angenommen.Wir stimmen jetzt über die §§ 5, — 6, — 7, — 8, 9, — 10, — 11 und 12 ab. — Wer für diese Paragraphen ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.Zu § 13 liegt ein Änderungsantrag vor *). Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Jungmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier wird die Ergänzung durch einen Halbsatz beantragt. Es handelt sich eigentlich nur um eine redaktionelle Angelegenheit, um die Wiederherstellung der altehrwürdigen Reichsapothekerordnung, die deshalb erforderlich erscheint, weil wir vor einigen Wochen einen neuen Beruf, den der Pharmazeutisch-Technischen Assistenten, geschaffen haben, der in den Augen des Publikums natürlich eine Art Apotheker ist und es ja auch ruhig sein soll. Aber hier besteht die Möglichkeit, daß durch die Erweckung des Anscheins gegen das Gesetz verstoßen wird. Deswegen bitte ich Sie, mit dieser Ergänzung einverstanden zu sein.
Sie haben die Begründung des Änderungsantrages gehört. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Wir stimmen über diesen Änderungsantrag Umdruck 376 *) der Abgeordneten Dr. Jungmann, Frau Blohm und Genossen ab. Wer für den Antrag ist, den bitte ich um das Handzeichen. Wer ist gegen diesen Antrag? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt über den § 13 in der so geänderten Fassung ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Wir stimmen jetzt ab über die §§ 14, — 15, —15 a, — 16, — 17 und 18 sowie über Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift sind einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Beratung erledigt. Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? Herr Dr. Jungmann, bitte!
*) Siehe Anlage 4
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ein solches Gesetz bedarf auch einer gewissen Laudatio. Denn wir alle haben uns nicht nur heute hier gestritten, sondern wir haben uns mit diesem Gesetz sehr viel Mühe gemacht. Es hat die Öffentlichkeit stark bewegt. Frau Kollegin Heuser hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß dieses Gesetz die zweite Etappe eines Reformwerkes ist — was man ihm äußerlich gar nicht ansieht —, nämlich eine Etappe auf dem Wege zu einer Reform der Ausbildung der Heilberufe. Wir hoffen, daß bald die Bundesärzteordnung nachfolgen kann. Ich glaube, daß die Meinungen dabei nicht so kontrovers sein werden, nicht einmal in der Form kontrovers, wie wir das heute erlebt haben, obwohl wir im Grunde einer Meinung waren und nur, möchte ich sagen, um den Modus gestritten haben.Hinter den schlichten Worten der §§ 4 und 5 verbirgt sich in der Tat, ich sagte es vorhin schon, eine Umwälzung in dem Beruf des Apothekers, wie sie seit Jahrzehnten nicht zu verzeichnen war. Der Apotheker hat bisher eine Lehre durchmachen und hinterher ein Kandidatenjahr machen müssen. Jetzt wird seine Ausbildung im Sinne der anderen akademischen Ausbildungsformen im wesentlichen der Universität übertragen. Der Apotheker kommt nach bestandenem Abitur, sobald er kann — die Apothekerin braucht ja keinen Wehrdienst abzuleisten in das Studium. Wir haben es auch ganz bewußt, entgegen dem Regierungsentwurf, unterlassen, anderthalb Kandidatenjahre hintendran zu hängen; wir haben die praktische Ausbildung in die wissenschaftliche Ausbildung hineinverwoben. Wir sind dabei von der Vorstellung ausgegangen — ich möchte das hier für den künftigen Verordnungsgeber mit Eindeutigkeit sagen —, daß die praktische Ausbildung von 12 Monaten nicht zusammenhängend abgeleistet wird, sondern daß sie sinnvoll verteilt in der Gesamtausbildungszeit von viereinhalb Jahren untergebracht wird. Sie muß, wie gesagt, sinnvoll in den Entwicklungsgang des künftigen Apothekers eingegliedert werden. Damit sind wir in der Tat zu einer ganz wesentlichen Verkürzung der Gesamtausbildung gekommen, und das ist doch ein wesentliches Anliegen auch des Wissenschaftsrates gewesen. Ich glaube, Herr Kollege Dichgans, Sie werden mir da zustimmen. Es geht ja nicht nur um das, was an der Universität an Semestern abgeleistet wird, obwohl das wichtig genug ist, sondern es geht doch darum, ein in sich geschlossenes organisches Ganzes zustande zu bringen, und ich glaube, daß wir das tatsächlich erreicht haben.Ich glaube, es ist notwendig, an dieser Stelle auch einige Fehlbeurteilungen zu korrigieren, die sich in die öffentliche Diskussion um dieses Thema eingeschlichen haben. Es ist gesagt worden, durch die Entwicklung zur industriellen Arzneimittelfabrikation habe sich der Apotheker zu einer Art Spezialkaufmann entwickelt, dessen akademische oder wissenschaftliche Ausbildung mehr oder weniger überflüssig wäre. Diese Ansicht ist schlicht und einfach falsch. Der verantwortliche Umgang mit Arzneimitteln verlangt heute mehr denn je und in Zukunft
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8483
Dr. Jungmannnoch mehr als heute schon wesentlich größere und viel speziellere wissenschaftliche Kenntnisse als bisher. Mehr als je zuvor wird der Apotheker auch in Zukunft ein unentbehrliches Glied in dem Zusammenwirken der Heilberufe sein. So, wie die moderne Medizin ohne eine moderne Pharmazie nicht auskommen kann, so wird auch der Arzt ohne den Nachbarn, ohne den Mitstreiter im Bereich des Heilwesens, ohne den Apotheker, kaum auskommen können -- ich würde sogar sagen: überhaupt nicht auskommen können. Das wird im Krankenhaus ganz deutlich, und das wird in Zukunft auch in der Praxis mehr und mehr der Fall sein.Unter diesen Voraussetzungen war es uns unerträglich, daß der künftige Apotheker nur ein Minimum an chemischen Grundkenntnissen mitbekommen sollte. Wir waren der Ansicht — und diese Ansicht hat sich glücklicherweise durchgesetzt —, daß er als Verwalter eines immer größer, immer umfassender werdenden Arzneimittelschatzes, als ein intimer Sachkenner des gesamten Arzneimittelwesens tatsächlich mehr wissen muß, als er früher bei einer Prüfung hätte wissen müssen. Es ist selbstverständlich richtig, daß sich die heute amtierenden Apotheker diese Erfahrungen und Kenntnisse im Laufe ihres Lebens angeeignet haben; aber die Meinung war übereinstimmend, daß der künftige Apotheker das so früh wie möglich lernen soll, damit er sich nicht erst später mühsam mit diesen Dingen vertraut machen muß.Ich will hier nicht noch wiederholen, daßwir mit dem Wissenschaftsrat im Prinzipiellen einig sind. Ich möchte nur noch einmal betonen, daß auch die Tatsache, daß wir an das Ende der Ausbildung, die sowohl wissenschaftlich wie praktisch ist, mit dem Examen auch die Approbation gesetzt haben, einen ganz wesentlichen Fortschritt bedeutet. Damit ist auch einem grundsätzlichen Anliegen des Wissenschaftsrates Genüge getan.Zusammenfassend glaube ich sagen zu können, daß wir zufrieden sein dürfen, wenn wir mit dieser Apothekerordnung — der man es, wie gesagt, äußerlich gar nicht ansieht — einen Meilenstein in der Entwicklung der deutschen Pharmazie gesetzt haben. Es ist, glaube ich, auch nötig zu sagen, daß wir dieses Gesetz nicht der Apotheker wegen machen. Es geht um ein ganz wesentliches Wissensgebiet der modernen Medizin. Das ist die Pharmazie. Der Apotheker ist nur ein Diener am Werk.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Meinecke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Laudatio auf den Apothekerberuf ist für die Öffentlichkeit draußen nicht schlecht; aber wir sollten so etwas hier eigentlich vermeiden, um nicht in den Verdacht zu kommen, zwischen berechtigten Standes- und Berufsinteressen, den Interessen und Erkenntnissen der Wissenschaft und den berechtigten Wünschen der Studenten vielleicht ein klein wenig nach der einen oder
der anderen Richtung hin zu tendieren und dabei die sachliche Übersicht über die Gesamtsituation dieses „Kräfteparallelogramms" zu vergessen.
Darum bedaure ich ein wenig diese „Laudatio", die auch nicht vorgesehen war. Nach wie vor bleibt verpflichtend für alle von uns und auch für das Ministerium und die Hochschulen, dem Studium der Pharmazie das neue und moderne Berufsbild des Apothekers zugrunde zu legen, und dieses moderne und neue Berufsbild des Apothekers, soll es in den kommenden Jahrzehnten seine Verpflichtung erfüllen, ist bis jetzt nicht ausreichend scharf skizziert worden. Diese Aufgabe bleibt also.
An den Wissenschaftsrat möchte ich noch einmal appellieren, nun nicht in allzu großer Empfindlichkeit zu glauben, daß der Deutsche Bundestag, daß die Politiker seine Erkenntnisse nicht ernst genug genommen hätten, und er soll sich nicht so fühlen, als hätten wir ihn desavouiert. Nach wie vor werden wir seine Vorschläge ernst nehmen und überall da, wo wir es verantworten können, diese Vorschläge auch realisieren.
Dieses Beispiel ist das erste Beispiel. Aber es ist nicht das klassische Beispiel.
Das Wort hat nun Frau Kollegin Dr. Heuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute am frühen Nachmittag soviel von Parlamentsreform die Rede gewesen. Sie werden deshalb Verständnis dafür haben, auch die Apotheker, wenn ich hier sage: Ich habe das, was ich grundsätzlich zu sagen hatte, in der zweiten Lesung deutlich zu machen versucht. Ich habe jetzt nur noch zu sagen, daß meine Fraktion dieser neuen gesetzlichen Ordnung zustimmt.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Damit ist die Aussprache beendet.Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlußabstimmung über das Gesetz in der Form, in der wir die einzelnen Paragraphen in der zweiten Lesung angenommen haben. Wer für das Gesetz als Ganzes stimmt, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer ist gegen das Gesetz? — Wer enthält sich der Stimme? Bei zwei Stimmenthaltungen ist das Gesetz angenommen.
Damit kommen wir zum Punkt 15 der Tagesordnung:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten
— Drucksache V/1269 —
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8484 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Vizepräsident ScheelSchriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksachen V/2600, zu V/2600 — Berichterstatter: Abgeordneter Hirsch
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
— Drucksache V/1319 Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksachen V/2601, zu V/2601 — Berichterstatter: Abgeordneter Hirsch
Zunächst Punkt 15 a. Als Berichterstatter wünscht der Herr Abgeordnete Hirsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich möchte zunächst bitten, den „Ehrendoktor", den Sie mir eben verliehen haben, zurückzunehmen.
Ich habe soeben aus meinen Unterlagen gesehen, daß das zuviel der Ehre war.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß zunächst in meiner Eigenschaft als Berichterstatter bitten, einige redaktionelle Änderungen in dem Schriftlichen Bericht vorzunehmen, die sich bei erneuter Durchsicht der sehr schwierigen Papiere — gerade bei diesem Gesetz — ergeben haben, und zwar handelt es sich bei dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten um folgende redaktionelle Änderungen.
1. In § 77 Abs. 1 muß es im Klammerzitat heißen: „ ".
2. In § 93 Abs. 1 muß es heißen: „gelten § 464 Abs. 1, 2, die §§ 464 a ...".
Herr Präsident, darf ich die redaktionellen Änderungen beim Einführungsgesetz vielleicht auch gleich mit vortragen, weil es sinnvoll ist, die beiden Gesetze überhaupt zusammen zu behandeln?
Ich glaube, das empfiehlt sich. Wir werden sie natürlich in der zweiten Lesung nacheinander behandeln müssen, weil wir über die einzelnen Paragraphen im einzelnen abstimmen. Aber die redaktionellen Änderungen sollten jetzt schon vorgetragen werden.
In dem Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz ergeben sich folgende redaktionelle Änderungen.1. In Art. 2 Nr. 9 muß es in § 431 Abs. 1 Satz 2, letzter Halbsatz, richtig lauten: „daß die Beteiligung nicht ausführbar ist".2. In Art. 3 Nr. 7 muß es in § 28 Nrn. 4, 5 und 6 statt „Fahrlehrererlaubnis" richtig heißen: „Fahrerlaubnis".3. In Art. 34 b Nr. 2 müssen in § 226 Abs. 2 Nr. 2 hinter dem Wort „Geldstrafen" die Worte „und Ordnungsstrafen" eingefügt werden.4. In Art. 46 a Buchstabe c muß es in § 62 Abs. 3 Satz 1 statt „im ehrengerichtlichen Verfahren" richtig heißen: „im berufsgerichtlichen Verfahren".5. In Art. 52 a Buchstabe c muß es in § 83 Abs. 3 Satz 1 statt „im ehrengerichtlichen Verfahren" richtig heißen: „im berufsgerichtlichen Verfahren".Das wären die redaktionellen Änderungen, denen ich stattzugeben bitte.Darüber hinaus möchte ich zur Einführung in diese recht komplizierten und für unser tägliches Leben wahrscheinlich doch sehr einschneidenden beiden Gesetze in Ergänzung dessen, was in dem Schriftlichen Bericht steht, kurz folgendes ausführen.Die beiden Gesetzentwürfe, die wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden wollen, gehören zu den bisher umfangreichsten in dieser Legislaturperiode. Dementsprechend haben sich die Gesetzesberatungen auch über ein Jahr hingezogen; denn der Rechtsausschuß mußte sich in vierzehn Sitzungen damit beschäftigen, darüber hinaus der Innenausschuß in mehreren, nämlich in fünf Sitzungen, der Verkehrsausschuß in zwei; schließlich hat sich auch der Sonderausschuß „Strafrecht" an den Beratungen lebhaft beteiligt. Wir haben im Rechtsausschuß einen eigenen Unterausschuß für das Einführungsgesetz gehabt.Mit den beiden Gesetzen sollen mehrere wichtige rechtspolitische Ziele verwirklicht werden. Erstens: Das in zahlreiche Nebengesetze zersplitterte Ordnungswidrigkeitenrecht wird vereinheitlicht. Zugleich wird damit die Rechtsanwendung vereinfacht. Von daher erklärt sich auch der große Umfang des Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz, durch das über hundert Einzelgesetze geändert werden.Zweitens: Das Verfahren zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wird neu gestaltet und vereinfacht, um vor allem die Gerichte in Zukunft von überflüssiger Routinearbeit zu entlasten.Drittens: Leichte Gesetzesverstöße werden in doppelter Hinsicht entkriminalisiert. Es hat sich als ungerechtfertigt und überflüssig erwiesen, wegen kleiner und harmloser Gesetzesverstöße immer sofort die Gerichte zu bemühen, obwohl es sich bei diesen Verstößen in Wirklichkeit gar nicht um kriminelles Unrecht handelt. Wenn wir diese Gesetze heute verabschieden, werden in Zukunft derartige Gesetzesverstöße nicht mehr in erster Linie durch die Gerichte, sondern durch die Verwaltungsbehörden geahndet, wobei selbstverständlich die Möglichkeit jederzeitiger gerichtlicher Nachprüfung erhalten bleibt. Dazu kommt, daß in viel größerem Umfang — das gilt insbesondere für das Verkehrsrecht — von der Möglichkeit der gebührenpflichtigen Ver-
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Hirschwarnung Gebrauch gemacht werden kann, so daß dadurch eine weitere Vereinfachung gegenüber dem heutigen Rechtszustand eintreten wird.Bezüglich aller Einzelheiten der beiden Gesetze möchte ich auf den umfangreichen Schriftlichen Bericht verweisen, der Ihnen vorliegt. Ich möchte hier nur einige wenige Punkte herausgreifen, die mir besonders bemerkenswert erscheinen. Zunächst einmal wird Ihnen auffallen, daß auf der rechte Seite der Drucksache sehr, sehr viele Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage erscheinen. Das ist ein Beweis dafür — wenn ich das sagen darf —, daß dieses Parlament nicht nur der Notar der Bundesregierung ist, sondern daß es seine Aufgabe, Gesetzentwürfe zu beraten, ernst nimmt und trotz Großer Koalition nicht davor zurückschreckt, auch an der Regierungsvorlage etwas zu ändern.
Zum zweiten hat sich der Rechtsausschuß — das mag die Nichtjuristen in diesem Hause wundern — sehr darum bemüht, über die juristischen Schatten zu springen, indem er von der Methode der Gesetzesarbeit, die leider eingerissen ist und bei der man mit schrecklich vielen Verweisungen auf andere Gesetze arbeitet, abgerückt ist. Wir haben gleich zu Beginn der Arbeiten im Rechtsausschuß einen Grundsatzbeschluß gefaßt, angeregt dankenswerterweise durch den Kollegen Lenz, daß wir so weit wie irgend möglich von Verweisungen absehen und den Klartext in das neue Gesetz hineinschreiben wollten, was wir auch getan haben. Auf diese Weise ist das Gesetz auch für den „normalen" Menschen einigermaßen verständlich geworden, und man braucht, um es zu lesen, nicht immer wieder in anderen Gesetzesbüchern nachzuschlagen. Wir sollten auch in Zukunft bei den Beratungen der Gesetze den Klartext hineinschreiben und von der Verweisungsmethode endlich absehen.Zum dritten ist es wichtig, daß wir durch die Klartexte klargestellt haben, daß es sich bei dem Ordnungswidrigkeitengesetz eben nicht um Strafrecht alter Art handelt. Es geht dabei um einen neuen Weg, den wir zur Ahndung von Gesetzesverstößen schon vor einiger Zeit begangen haben, den wir aber bisher nicht zu Ende gegangen sind. Durch dieses Gesetz soll erreicht werden, daß alles, was an Gesetzesverstößen denkbar ist, aus dem kriminellen Unrecht herausgeholt und im Wege eines vereinfachten, also des Ordnungswidrigkeitenbußgeldverfahrens erledigt werden kann. Ich glaube, diese beiden Gesetze stellen, wenn man es richtig nimmt, den Anfang einer echten Strafrechtsreform dar. Wir sind sehr dankbar, daß der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform in der Zusammenarbeit mit dem Rechtsausschuß dazu beigetragen hat, auch bereits in dieses Gesetz moderne Gedanken der Strafrechtsreform hineinzutragen.Der weitere sehr wichtige Punkt in diesem Gesetz ist — und das wird das sein, was sich auf das tägliche Leben unserer Mitbürger am meisten auswirken dürfte —, daß dadurch der Staatsbürger, der ja in den allermeisten Fällen ein Verkehrsteilnehmer ist, insbesondere aber auch als Autofahrer, nichtmehr wie bisher in die Gefahr gerät, eigentlich im Zweifel irgendwann „kriminell" zu werden. Wir waren ja in der Gefahr, ein Volk von Vorbestraften zu werden, weil wegen jeder Kleinigkeit von den Gerichten eine Strafe ausgesprochen werden mußte. Wir holen alle die Bagatellfälle des Straßenverkehrsrechts, ob das nun die Übertretung des Parkverbot ist oder ein etwas zu schnelles Fahren und alle diese Dinge, durch die keine echte Gefährdung eintritt, aus dem Strafrecht heraus und versuchen einen neuen Weg zu gehen, indem diese Dinge in einem vereinfachten Verfahren geregelt werden sollen, nämlich durch die Verwaltungsbehörden.Nun gibt es einen erstaunlichen Widerstand gegen diese Regelung insbesondere von seiten der Polizei. Wir haben ja heute wieder gelesen, daß die Gewerkschaft der Polizei gegen diese Überführung der Übertretungen des Straßenverkehrsrechts in das Ordnungswidrigkeitenrecht protestiert hat. Meine Damen und Herren, ich habe diesen Widerstand der Polizei nie begriffen. Ich glaube, er geht von einer völlig falschen Voraussetzung aus, nämlich von der Furcht, der Polizeibeamte, der der Freund und Helfer des Bürgers sein soll, könne nun plötzlich zum Büttel gemacht werden, der den Bürger bestraft. Der Irrtum dabei liegt darin, daß gar nicht daran gedacht ist, durch den Polizei b e a m t en bestrafen zu lassen. Der Polizeibeamte soll in einem erheblich vereinfachten Verfahren wie bisher seine Anzeige erstatten. Die Buße wird nicht vom ihm ausgesprochen, sondern von der Polizeiverwaltungsbehörde, wobei es wichtig ist festzustellen — und ich weise insofern auf den Entschließungsantrag hin, den Ihnen der Rechtsausschuß vorschlägt —, daß erstrebt werden soll, ein möglichst zentralisiertes Verfahren einzuführen, also nicht ein Verfahren im kleinen Bereich, sondern möglichst auf Landesebene.Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß das Land Bayern, fortschrittlich wie es nun einmal ist,
bereits heute vorgesehen hat, daß das Ordnungswidrigkeitenrecht auf dem Gebiet des Verkehrs zentralisiert in München, und zwar sogar mit einer Computeranlage erledigt werden soll. Dieses Beispiel möge Schule machen, und wir würden es sehr wünschen, daß die anderen Länder dem Land Bayern nacheifern!Wenn man das aber so macht, ist der Widerstand der Polizeibeamten unberechtigt. Man muß daran denken, daß in dem heutigen Rechtszustand Unsinn geschieht, daß wegen einer lächerlichen Verkehrsübertretung der Polizeibeamte eine Anzeige macht; die geht an die Staatsanwaltschaft; die muß sich damit befassen. Dann erläßt sie einen Strafbefehl oder erhebt Anklage. Dann muß sich der Richter damit befassen, und zwar in der ersten Instanz; theoretisch ist es aber möglich — und in vielen Fällen passiert es auch —, daß in drei Instanzen über eine solche kleine Verkehrsübertretung gerichtet wird bis zum Oberlandesgericht hinauf. Dieser Zustand ist un- tragbar, denn er führt dazu, daß sich viele unserer Richter mit unwichtigen Dingen abgeben müssen,
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Hirschwährend sie sich besser und richtiger — und das gilt auch für die Staatsanwaltschaft und die Polizei — um die wirklich schweren kriminellen Fälle kümmern sollen, um die schweren Verbrechen, um den Schutz unserer Jugend und unserer Kinder vor Sexualverbrechern und all den Dingen. All das ist. gehemmt durch die Beschäftigung der Richter mit Bagatelldingen.In dem neuen Verfahren kommt hinzu, daß nicht nur die Gerichte erheblich entlastet werden, sondern daß insbesondere die Ahndung der Verkehrsübertretungen viel schneller, rationeller und einfacher erfolgen kann. Endlich kommt hinzu — so sieht es das neue Gesetz vor —, daß in einem erheblich größeren Umfang, nämlich bis zu einem Bußrahmen von 20 DM, von gebührenpflichtigen Verwarnungen Gebrauch gemacht werden soll. Dazu sollen Verwaltungsvorschriften erlassen werden, die sicherstellen, daß alle Bagatellfälle nicht einmal zu einem Bußgeldbescheid führen, sondern sogar im Wege einer gebührenpflichtigen Verwarnung erledigt werden können. Ich möchte an diejenigen von Ihnen, die als Autofahrer Verkehrsteilnehmer sind, appellieren: Wer von uns ist nicht froh, so eine Sache mit einer gebührenpflichtigen Verwarnung abmachen zu können, auch wenn man vielleicht einmal im Einzelfall zu Unrecht angehalten worden ist? Wir sind als Verkehrsteilnehmer allesamt Sünder, und wenn wir einmal zu Unrecht von der Polizei behelligt werden, sollten wir daran denken, daß wir in mindestens 20 Fällen eben nicht erwischt worden sind.
Wir hoffen, daß durch diese Regelung das Ausmaß der gerichtlichen Belastung mit solchen Bagatellfällen ganz erheblich eingeschränkt wird, und zwar obgleich — ich möchte es noch einmal sagen — jeder, der meint, er werde zu Unrecht durch einen Bußgeldbescheid der Polizeibehörde behelligt, doch nach wie vor das Gericht anrufen kann.Bedenken werden in Einzelpunkten erhoben. Man kann über sie reden, und es wird in der zweiten Lesung einige Änderungsanträge geben. Aber es ist, glaube ich, nicht entscheidend, ob man im Bußgeldverfahren ein Fahrverbot bis zu einem Monat oder bis zu drei Monaten vorsieht, sondern entscheidend ist, daß man das jetzt überhaupt auf diesem vereinfachten Wege macht. Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß es ein großer Irrtum wäre, wenn diejenigen, die einen der Änderungsanträge für die zweite Lesung unterschrieben haben, meinten, man nehme der Polizei, wenn sie heim Ausspruch des Fahrverbots nicht bis zu drei Monaten, sondern nur bis vier Wochen gehen könne, damit eine Befugnis und schränke ihre Rechte ein. Ich behaupte: genau das Gegenteil ist der Fall. Nach dem heutigen Recht macht man in solchen Fällen von sehr viel schwereren Maßnahmen Gebrauch, weil man keine anderen hat. Da wird also nicht nur ein Fahrverbot ausgesprochen, sondern es wird durch das Gericht die Fahrerlaubnis entzogen, und zwar nach einem sehr langwierigen Verfahren, bei dem der Betreffende sehr viel Zeitverliert, bis es zu einem rechtskräftigen Urteil kommt, und diese Zeit wird ihm dann unter Umständen nicht einmal angerechnet. Wenn die Fahrerlaubnis entzogen wird, muß man den Führerschein neu erwerben, und das macht wiederum Ärger und kostet Geld. Ein zeitlich beschränktes Fahrverbot ist demgegenüber auf jeden Fall ein Vorteil. Es gibt nun einmal Fälle, bei denen jeder vernünftige Mensch weiß, daß das Fahrverbot auf eine bestimmte Zeit durchaus gerechtfertigt ist, und wo es dann, nachdem sich die Praxis eingespielt hat, kaum sinnvoll sein wird, das Gericht anzurufen. Damit vereinfacht man die Dinge und schafft Klarheit. Ich habe also nicht sehr viel Verständnis für diejenigen, die meinen, die Möglichkeiten des Fahrverbots einschränken zu müssen, in Wirklichkeit aber genau das Gegenteil erreichen, indem dann tatsächlich wieder die Staatsanwaltschaft und die Gerichte mit Verfahren arbeiten, die unter Umständen im Endergebnis zu viel schwierigeren Maßnahmen führen. Das nur als Ankündigung der Dinge, die in der zweiten Lesung auf uns zukommen werden.Für wichtig halte ich noch, daß wir hinsichtlich unserer grundsätzlichen bisherigen Konzeption des Strafrechts, im weitesten Sinne, möchte ich einmal sagen — obgleich der Ausdruck hier nicht stimmt; es handelt sich hier um Bußgeldverfahren --, einen großen Schritt vorwärtsgegangen sind, indem wir in die Texte der beiden Gesetze die Möglichkeit einer Ahndung von Rechtsverstößen seitens juristischer Personen aufgenommen haben. Das ist seit langem eine umkämpfte Angelegenheit. Im Strafrecht haben die Theoretiker den Standpunkt vertreten, man könne eine juristische Person nicht bestrafen, weil sie nicht schuldhaft handeln könne. Herr Professor Wahl ist da auf Grund seines Rechtsdenkens gänzlich anderer Meinung; aber die Strafrechtler meinen, eine juristische Person sei nicht schuldfähig. Daher sind alle Versuche, eine Möglichkeit der Ahndung von „White-Collar-Vergehen" seitens der juristischen Personen im Strafrecht zu schaffen, bisher gescheitert. Aber im Ordnungswidrigkeitengesetz, wo es ja nicht um diese Schuldtheorien geht, haben wir es erreicht, daß jetzt entsprechende Bestimmungen in das Gesetz hineinkommen, durch die sichergestellt wird, daß bei Rechtsvergehen, die durch eine juristische Person zustande kommen, dann nicht nur der kleine Vollzieher eines solchen Delikts herangezogen werden kann mit einer kleinen Geldbuße, die seinen Einkommensverhältnissen entspricht, sondern auch die in vielen Fällen sehr vermögende juristische Person als solche. Ich halte das für gut und für wichtig und für einen sehr entscheidenden Schritt in der Reform unseres Strafrechts.Ein weiterer Punkt, auf den ich hinweisen möchte, ist, daß der Rechtsausschuß in Erweiterung dessen, was die Regierung vorgeschlagen hatte, mit sehr großer Mehrheit beschlossen hat, über das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz auch unsere Kostenvorschriften in der Strafprozeßordnung dahin gehend zu ändern, daß der sogenannte Freispruch zweiter Klasse endgültig beseitigt wird. Wir waren im Rechtsausschuß in der Mehrheit der
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HirschMeinung, daß der Staat, wenn er jemanden anklagt und dieses Verfahren dann zum Freispruch führt, auch die notwendigen Auslagen des betreffenden Angeklagten zu übernehmen hat, genauso wie ein Privatmann, der eine unrichtige gerichtliche Maßnahme gegen einen anderen Privatmann einleitet. Dieser „Freispruch zweiter Klasse" ist etwas, was wir und jetzt spreche ich insbesondere auch für meine Person — als einem Rechtsstaat wirklich zuwiderlaufend angesehen haben, und wir sind froh, daß es bei Gelegenheit der Verabschiedung des Ordnungswidrigkeitengesetzes möglich ist, diesen alten Zopf, der auf einem Obrigkeitsdenken alter Art beruht, abzuschneiden.Nun gibt es in diesem Zusammenhang — das muß ich auch erwähnen — eine eingehende Erörterung in der Öffentlichkeit und es gab sie auch in den Ausschüssen —, ob es richtig sei, wie von der Regierungsvorlage vorgesehen, alle Geldbußen nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz, die 20 DM übersteigen, grundsätzlich, soweit es um Verkehrsübertretungen geht, in das Verkehrszentralregister in Flensburg einzutragen. Es gab viele, die meinten, diese Grenze von 20 DM sei zu niedrig. Wenn man sich aber den ganzen Komplex, der sehr kompliziert ist, im Zusammenhang mit den vorzusehenden Bekanntmachungen, Durchführungsverordnungen usw. anschaut, wird man feststellen müssen, daß diese Grenze von 20 DM doch richtig ist. Denn ein Großteil der kleinen Bagatellfälle — ich habe es vorhin schon erwähnt — geht ja überhaupt in die gebührenpflichtige Verwarnung über, für einen anderen Teil der kleinen Bagatellfälle sind nach einer festen Skala, die erarbeitet worden ist, Geldbußen unter 20 DM vorgesehen. Was dann übrigbleibt, sind wirklich Taten, die eine sehr unsoziale Gesinnung des betreffenden Kraftfahrers beweisen, oder Taten, die tatsächlich zu einer Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer geführt haben und wo der Betreffende nur Glück gehabt hat, daß nichts passiert ist. Es ist natürlich sinnvoll. meine Damen und Herren — wir müssen auch an die 16 000 Verkehrstoten im Jahr in diesem Lande denken —, die hartnäckigen Verkehrssünder, die nur Glück haben, die aber hartnäckig das Gesetz übertreten, so zu registrieren, daß man unter Umständen dann, wenn die vielen Punkte, die da zusammenkommen, und die vielen Eintragungen das erträgliche Maß übersteigen, wirklich einschneidende Maßnahmen wie Beschränkung der Fahrerlaubnis usw. gegen die Betreffenden durchführt.Wichtig wird nur sein, daß von diesem Verkehrsregister in Zukunft ein vernünftiger, besserer und richtigerer Gebrauch gemacht wird, als das bisher zum Teil geschehen ist. Manche Länder haben die Eintragungen in dem Verkehrsregister über ein Punktsystem bei den Verwaltungsbehörden ausgewertet. Das hat zu höchst ungerechten Ergebnissen geführt. Andere haben sich überhaupt kaum um das Verkehrsregister gekümmert, und wieder andere haben andere Methoden angewandt. Es wäre also richtig, in einem vernünftigen individuellen, wenn auch vereinfachten Verfahren sicherzustellen, daß die Eintragungen in das Verkehrsregister dann auchzu entsprechenden Konsequenzen führen und daß also jemand, der, sagen wir, fünfzehnmal erwischt worden ist, weil er erheblich zu schnell gefahren ist, dann unter Umständen auch seine Fahrerlaubnis auf entsprechende Zeit los wird; denn er hat durch sein Verhalten bewiesen, daß er nicht bereit ist, sich in unseren Verkehr so einzuordnen, wie sich das für einen anständigen Staatsbürger gehört.Wenn man das mit den 20 DM so sieht, wird man merken, daß das gegenüber unserem heutigen Rechtszustand ein wesentlicher Fortschritt ist. Nach dem geltenden Recht ist es so, daß es weitgehend im Ermessen des Richters liegt, ob eine Eintragung ins Verkehrsregister zu erfolgen hat oder nicht. Das hat dazu geführt, daß in einzelnen Bezirken sehr viel eingetragen worden ist, in anderen Bezirken fast gar nichts und in dritten noch weniger. Das ist eine Ungerechtigkeit; denn die Staatsbürger werden unterschiedlich behandelt, je nachdem, wo sie einen Verkehrsverstoß begangen haben oder wo sie leben. Wenn das in dieses Schema überführt wird, ist das eine vernünftige Regelung, die, so meine ich, und so meint auch der Rechtsausschuß, der diese Bestimmung nach einer langwierigen Diskussion gerade über diesen Punkt so angenommen hat, wie es in der Regierungsvorlage steht, einen echten Fortschritt darstellt. Das ist das Wesentliche. Alle Einzelheiten — und es gibt deren sehr viele, auch außerhalb des Verkehrsrechts — wollen Sie bitte aus den Drucksachen entnehmen.Ich möchte Sie nur darauf hinweisen — und das sehr nachdrücklich —, daß wir mit der Verabschiedung dieser beiden Gesetzentwürfe einmal unseren Gerichten helfen, indem wir sie von überflüssiger Routinearbeit entlasten, daß wir zum anderen gerade auch unserer Polizei helfen, denn sie wird in die Lage versetzt, wirksamer und vor allen Dingen schnell gegen Verkehrssünder vorzugehen, und daß wir letztlich auch uns selbst nützen, damit wir nach leichten Verkehrsübertretungen, die sicher ein jeder von uns schon einmal begangen hat — ich möchte es noch einmal sagen —, nicht mehr als Vorbestrafte in der Welt herumzulaufen brauchen. Wir sollten dafür sorgen, daß das deutsche Volk nicht über die Schwierigkeiten unseres Verkehrs zu einem Volk von Vorbestraften wird. Diese beiden Gesetzentwürfe sind ein Weg zu diesem Ziel.
Herr Kollege Busse hat sich zu Wort gemeldet. Ich nehme an, Herr Kollege Busse, Sie möchten zu dem Änderungsantrag 372 *) sprechen. Ist das richtig?
Dann müßte ich das Haus bitten, dem die Zustimmung zu geben, weil das in der zweiten Lesung nicht die Regel ist. Ich nehme aber an, daß das Haus damit einverstanden ist, daß Herr Kollege Busse das Wort bekommt.
*) Siehe Anlage 5
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8488 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Vizepräsident ScheelDas Haus kann dagegenstimmen, daß Herr Kollege Busse das Wort bekommt. Ich lasse darüber abstimmen. Wer einverstanden ist, daß Herr Kollege Busse jetzt zur allgemeinen Aussprache in der zweiten Lesung das Wort bekommt, den bitte ich um das Zeichen. — Wer ist dagegen? — Bei 7 Gegenstimmen ist das beschlossen.Das Wort hat der Herr Kollege Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Gestatten Sie mir vorweg eine kleine persönliche Bemerkung für Sie, Herr Dr. Stark. Ich wollte Ihnen die Freude bereiten, auch einmal einen anderen FDP-Redner heute hier am Rednerpult zu sehen als die, die Sie heute morgen apostrophiert haben.
Zur Materie selbst. Als Begründung, warum ich gebeten habe, bereits zu Beginn der zweiten Lesung hier einige grundsätzliche Ausführungen machen zu dürfen, darf ich folgendes sagen: Es gibt eine Reihe von Gesichtspunkten, die bei der Beratung und Verabschiedung dieser Gesetze zu beachten sind und die bis hin zu den einzelnen Anträgen führen. Es scheint mir richtiger zu sein, hier nicht bei jedem einzelnen Antrag die grundsätzliche Einstellung zu gewissen Fragen zu erörtern, sondern sie gewissermaßen als vor der Klammer stehend vorwegzunehmen, um dann nachher nur noch das Konkrete zu sagen, was zu den einzelnen Anträgen zu sagen ist. Hierzu nun folgendes:Die Beratungen dieses Gesetzes und im Rahmen dieser Beratungen wieder gerade die Beratungen des Unterausschusses für das Einführungsgesetz zum OWiG waren wohl die eindrucksvollsten, die ich in diesem Hause miterlebt habe, weil sie mir in besonderer Weise sinnfällig vor Augen führten, in welchem Umfang wir von Bestimmungen umgeben sind und in Bestimmungen einbezogen sind, die bisher strafrechtlichen Charakter hatten, die aber in der Tat nichts anderes als Verwaltungsunrecht und, wie wir heute sagen, Ordnungswidrigkeiten betreffen. Nachdem ich gesehen habe, was man alles an Sünden gegen die Strafgesetze — insbesondere die Nebenstrafgesetze — begehen kann, kann ich nur sagen: Ich danke meinem Schöpfer, daß er mich in großem Umfang bisher vor diesen vielen Möglichkeiten bewahrt hat. Das wird menschlich verständlich machen, warum wir es immer begrüßt haben und heute nach Abschluß der Beratungen doppelt begrüßen, daß hier versucht wird, endlich einmal zu Regelungen zu kommen, die die Möglichkeit geben, diesen Ordnungswidrigkeiten, diesen Verwaltungsunrechtstatbeständen das Gewicht zu geben, das ihnen naturgemäß zukommt. Dabei ist in den einzelnen Bestimmungen viel Neues zutage gebracht worden, aber auch viel Altes übernommen worden.Ich bedauere, dem Herrn Kollegen Hirsch in dem Punkte nicht so ohne weiteres zustimmen zu können, wo er sagt: Wir haben in diesem Gesetz schon Regelungen für Dinge gefunden, die eine gewisse Vorwegnahme der künftigen Strafrechtsreform sein können. Denn die entscheidenden Bestimmungen gerade des allgemeinen Teils des Strafrechts haben wir so übernommen, wie sie im jetzigen Strafrecht gelten. Das hat einmal die Konsequenz, daß wir, wenn der Strafrechtssonderausschuß demnächst seine Beratungen über diese Bestimmungen abgeschlossen hat, an eine Überprüfung des Ordnungswidrigkeitengesetzes unter dem Gesichtspunkt herangehen müssen, wie nunmehr die neuformulierten Bestimmungen des allgemeinen Strafrechts hierhin zu transformieren sind, eine Aufgabe, die unabweislich auf uns zukommt. Der bescheidene Versuch, den ich im Rechtsausschuß gemacht habe, die Probleme wenigstens einmal anzu- schneiden, wurde von der Mehrheit des Ausschusses mit der Begründung abgelehnt, daß das zurückgestellt werden sollte, bis die Beratungen des Sonderausschusses abgeschlossen seien. Ein verständlicher Standpunkt, möchte ich hier betonen, aber ein Standpunkt, der eine Reform des Strafrechts oder Ansätze dazu in diesem Gesetz bereits nicht zuläßt.Wir haben bei dieser Regelung eine Ausnahme gemacht. Das sind die Bestimmungen über die Einziehung. Ich gehe nicht davon aus, daß mehr als die unmittelbar mit der Sache Befaßten sich diese Bestimmungen einmal angesehen haben. Ich bin aber der Überzeugung, daß, wenn insbesondere ein Laie versucht, sich klarzumachen, wie danach das Einziehungsrecht aussehen soll, er nur erschüttert gestehen kann, daß er trotz intensiven Studiums davon nichts verstanden habe. Ja, ich fürchte, daß auch der Verwaltungsbeamte, selbst der Richter, selbst der Anwalt vor einer Fülle von unlösbaren Schwierigkeiten stehen werden, wenn die Bestimmungen, die jetzt im Gesetz stehen und hier verabschiedet werden sollen, nachher praktiziert werden müssen. Obgleich die zweite Lesung des Sonderausschusses über diese Bestimmungen noch nicht einmal abgeschlossen ist, hat der Rechtsausschuß das alles hingenommen unter dem Motto, daß wir nicht weiser sein wollten als der Strafrechtssonderausschuß, ein Prinzip, das ich durchaus anerkenne, das aber in diesem Falle, glaube ich, nicht richtig angewandt ist. Ich lasse mit mir darüber reden, ob man heute bereits diese Bestimmungen im Einführungsgesetz für das Strafrecht einführen soll. Aber es scheint mir nicht glücklich zu sein, diese komplizierten Bestimmungen in ein Gesetz zu bringen, das wesentlich dazu dienen soll, das ganze Verfahren zu vereinfachen und zu einer schnellen, zügigen Regelung zu kommen. Da passen solche Dinge nicht hin. Aber die Mehrheit hat anders entschieden. Ich kann, da es einer sehr umfangreichen Änderung der gesamten Vorlage bedürfte, hier heute nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß wir bei der nächsten notwendigen Überprüfung, die ich an- deutete, auch diese Bestimmungen wieder einmal unter die Lupe nehmen.Einige Worte in diesem Zusammenhang zur Polizei. In unserer Rechtsgeschichte ist es an sich nichts Ungewöhnliches, daß die Polizei gewisse Strafbefugnisse hat. Als Jurist habe ich den polizeilichen Strafbescheid noch kennengelernt, und wenn ich mich recht erinnere, hat. die Polizei früher einmal, als das dann auf Grund unserer grundgesetzlichen
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Bestimmungen — Bestrafung nur durch den Richter — nicht mehr möglich war, danach gerufen, diese Möglichkeit, die eine gute, glatte Möglichkeit war, wiederzuerhalten. Heute wehrt sie sich dagegen, ich glaube, aus einer falschen Einstellung. Denn einen wesentlichen Grundsatz, der in diesem Gesetz steht, Herr Kollege Hirsch, darf ich noch einmal besonders hervorheben. Es ist das Prinzip, daß nur nach dem Grundsatz der Opportunität bestraft werden soll. Damit ist der Polizei das Mittel in die Hand gegeben, das sie ihrer naturgemäßen Stellung nach zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötig hat. Sie hat dann die Möglichkeit, die Verwarnung, die gebührenpflichtige Verwarnung, den Bußgeldbescheid, alles nur anzuwenden, wenn es die Situation erfordert. Es ist ein Mittel, das sie bekommt, um die Ordnung zu sichern und aufrechtzuerhalten, und dafür ist sie nun einmal da. Wenn man es so sieht, ist völlig klar, daß das, was wir hier bestimmen, etwas anderes ist als die Strafgewalt des strengen Richters, der grundsätzlich jedenfalls nicht die Opportunität gelten lassen kann, sondern zu strafen gezwungen ist, wenn strafbare Handlungen vorliegen. Nehmen Sie dazu das, was wir in § 27 Abs. 2 des Einführungsgesetzes, also in der geänderten Straßenverkehrsordnung, festgelegt haben. Da ist nämlich auch wieder der Grundgedanke zum Ausdruck gekommen, daß jeweils nur das geschehen soll, was die Lage, der Täter und all das unbedingt erfordern. Hier ist also auch wieder die Angemessenheit des Mittels und Zwecks klar zum Ausdruck gebracht worden. Wenn man das alles mit berücksichtigt, dann kann man wohl sagen: die Bedenken, die die Polizei gegen diese Dinge geäußert hat, sind nicht nur unbegründet, nein: richtig verstanden, erhält sie hier ein vorzügliches Mittel, um ihrer Aufgabe in noch größerem Umfange, als es bisher möglich war, gerecht zu werden.Das schließt natürlich nicht aus, daß wir die Auswirkunden dieses Gesetzes und seiner Anwendung in der Praxis in der Zukunft sehr genau beachten müssen. Ich denke dabei an Veröffentlichungen, die in der letzten Zeit erschienen sind, die einen an sich guten Grundgedanken so ein bißchen, wie soll ich sagen, pervertiert haben. Herr Kollege Hirsch hat mit Recht darauf hingewiesen: wir werden zu gewissen Normierungen kommen müssen, wenn wie die Flut der Dinge, die hier geregelt werden muß, regeln wollen. Das haben wir in verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes zum Ausdruck gebracht. Aber auch hier hat es der Polizeibeamte oder der Entscheidende immer in der Hand, sich nach der Lage des Einzelfalles zu richten. Das haben wir durch die eben genannte Bestimmung völlig klargestellt. Darum, meine ich, sollte auch hier nicht zu schwarz gemalt werden.Wir werden die Dinge weiter beachten. Wir werden sie auch beachten hinsichtlich der Möglichkeiten in bezug auf die Fahrerlaubnis. Sie haben diese Frage bereits angeschnitten. Die Frage ist bei uns in der Fraktion auch umstritten gewesen. Wer streitet über diese, sehr wichtige Frage nicht?, möchte ich fragen. Ich persönlich bekenne mich zu der Entscheidung, die hier in dein Entwurf getroffen war-. den ist, weil ich sie für die günstigere halte, auch für den Betroffenen. Ich will den Polizeibeamtenaus den Gründen, die ich angeführt habe, gerade nicht in die Situation bringen, daß er nur die Frageentscheiden muß: Entziehe ich jetzt völlig? Wenn man ihm auch die Möglichkeit gibt, ein Fahrverbot auszusprechen, und nun nicht begrenzt auf einen einzigen Fall, nämlich für einen Monat, wie es der vorliegende Antrag tun will, wird man der Situation mehr gerecht, als wenn man es anders macht.Ich möchte aber noch auf eines eingehen, um das von vornherein klarzustellen. Auch das Ordnungswidrigkeitsgesetz geht davon aus, daß Geldbußen und alles, was sonst noch vorgesehen ist, nur verhängt werden dürfen, wenn eine Schuld des Täters festgestellt ist. Trotz der Lieblingstheorie, Herr Kollege Hirsch, die Sie hier haben, daß auch die juristische Person in diesem Sinne schuldfähig sei, sage ich: sie ist es nicht. Daran kann alle Theorie, daran können alle schönen theoretischen Erörterungen nichts ändern. Etwas, was nicht als Person real existiert, sondern nur als Vorstellung, als Begriff, als eine juristische Konstruktion, kann nicht schuldfähig im Sinne des Gesetzes sein. Daran ändern wir nichts. Daher in diesem Punkte unser Änderungsantrag.Ein bedeutender Eingriff wird auch bei der Frage der Kostenregelungen vorgenommen. Hierzu werden wir aber nachher noch Ausführungen machen können, so daß ich mir ersparen kann, im Rahmen dieser allgemeinen Ausführungen dazu Stellung zu nehmen.Abschließend möchte ich folgendes sagen. Wir haben zwei Änderungsanträge — formell sind es vier — gestellt, mehr nicht. Daraus kann jeder ersehen, daß wir diesem Gesetz ansonsten unsere Zustimmung geben, ja, daß wir seine baldige Verabschiedung wünschen und begrüßen.
Wird in der allgemeinen Beratung zur zweiten Lesung, die eröffnet worden ist, noch das Wort gewünscht? — Wenn das nicht der Fall ist, kommen wir zur Abstimmung über die einzelnen Paragraphen.
Ich darf unterstellen, daß Sie damit einverstanden sind, daß wir zunächst über die §§ 1, — 2, — 3, — 4, — 5, — 6, — 7, — 8, 9, — 10, — 10a und 10 b abstimmen, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Wer für diese Paragraphen in der vorliegenden Form ist — ich unterstelle immer: mit den redaktionellen Änderungen, die uns von dem Herrn Berichterstatter mitgeteilt worden sind , bitte ich um das Handzeichen. Wer ist gegen diese Paragraphen? Wer enthält sich der Stimme? Die Bestimmungen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zu § 11. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 372 *) vor. Wird das Wort zum Änderungsantrag gewünscht? — Das ist der Fall. Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Es*) Siehe Anlage 5
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Busse
tut mir leid, daß ich Sie schon wieder belästigen muß. Aber hier handelt es sich um eine der Bestimmungen, die wir nun trotz aller Liebe zu diesem Gesetz nicht glauben akzeptieren zu können. Es handelt sich praktisch um die Höhe der Geldbuße, die generell in Ordnungswidrigkeitsverfahren festgesetzt werden kann. Dazu sagt § 11 Abs. 3 völlig richtig, daß die „Grundlage für die Zumessung der Geldbuße" „die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft," sind. „Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters kommen in Betracht". Nur „bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten" sollen sie unberücksichtigt bleiben. So weit, so gut! Das sind Strafzumessungsgründe, die allgemein anerkannt werden und auch hier zu berücksichtigen sind.Nun kommt aber etwas Weiteres, was all diese schönen Sätze in einem ganz erheblichen Umfang erweitert, ja, in einem Umfang, den wir nicht nur aus praktischen, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen für mindestens sehr dubios halten. Die Geldbuße soll nämlich „ein Entgelt, das der Täter für die Ordnungswidrigkeit empfangen, und einen Gewinn, den er aus ihr gezogen hat, übersteigen". Nun noch vollends: „Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es überschritten werden."Schon der Rechtsausschuß hat an dieser Vorlage der Bundesregierung wesentliche Einschränkungen vorgenommen und den Abs. 4 dahin formuliert, daß die Geldbuße „den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen" soll und daß, wenn das gesetzliche Höchstmaß der Strafe hierzu nicht ausreiche, dieses überschritten werden könne.Meine sehr verehrten Damen und Herren, zunächst einmal zur verfassungsrechtlichen Lage: Art. 103 des Grundgesetzes bestimmt eindeutig, daß die Strafbarkeit bestimmt sein muß, wenn die Tat begangen wird. Dabei besteht in der verfassungsrechtlichen Literatur — die strafrechtliche Literatur ist da recht weich, möchte ich einmal sagen — bis hin zum Bundesverfassungsgericht die einheitliche Auffassung, daß zu der Bestimmtheit der Strafe auch die Bestimmtheit des Strafmaßes gehört. Das schließt nicht aus, daß ein Strafrahmen gesetzt wird, wie er üblich ist und wie er immer wieder praktiziert worden ist. Aber es schließt aus, daß die Strafe nach oben hin völlig unbeschränkt und unbestimmt ist. Eine Strafe, die nach oben nicht bestimmt ist, kann ich nicht als bestimmt bezeichnen. Sie ist nicht einmal bestimmbar. Sie ist vollends nicht bestimmbar, wenn man mit so unbestimmten Begriffen operiert wie, daß der „wirtschaftliche Vorteil", den jemand aus der Handlung gezogen hat, erfaßt werden soll. Wer einige forensische Erfahrungen hat, wird mir zustimmen, daß es mit zu den schwierigsten Dingen gehört, sowohl den unlauter gezogenen Gewinn, also — wie ich es einmal nennen möchte — die ungerechtfertigte Bereicherung, wie den entgangenen Gewinn oder ähnliche Dinge zu ermitteln.Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier zwingen wir im Ordnungswidrigkeitsverfahren, das — ich kann es hier nur wiederholen — schnell undzügig durchgeführt werden soll, wie es eines unserer Anliegen ist, gerade den zur Entscheidung Berufenen zu Entscheidungen, die ihn ganz einfach überfordern. Das kann im doppelten Sinn hart sein. Das kann, wenn der Richter sich streng an den Grundsatz „in dubio pro reo" hält, für den Angeklagten oder den Betroffenen günstig sein, denn dann wird der Richter oder der Verwaltungsbeamte, der zuständig ist, sagen: Das kann ich jetzt alles nicht feststellen; ich muß also von diesem Moment absehen. Aber es gibt auch die andere Möglichkeit, daß nämlich die, die zu entscheiden haben, dann sagen: Schätze ich das einmal über den Daumen und nehme an, er hat — und nun kommt ein möglichst hoher Betrag — soundso viel dabei verdient, und danach setze ich die Strafe entsprechend fest.Meine Damen und Herren, das ist nicht das, was wir uns gerade im Ordnungswidrigkeitenrecht vorstellen. Wir haben Vorschläge gemacht — entsprechend dem Alternativantrag der Professoren —, die einen Verfall des zu Unrecht gezogenen Gewinns, des aus einer strafbaren Handlung erlangten Gewinns vorsehen und die auch ein ordnungsgemäß durchgeführtes Verfahren zur objektiven Überprüfung dessen, was da anfällt, enthalten. Das ist das Mittel, wie man diesen Dingen näherkommt. Wir halten es aber nicht für vertretbar, diese Dinge unter dem Gesichtspunkt der Strafe mit heranzuziehen.Deshalb beantragen wir, diese Bestimmung zu streichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir in der Seele weh, aber ich muß dem Kollegen Busse widersprechen. Ich bitte Sie, den Änderungsantrag abzulehnen.Herr Busse hat sicherlich recht, daß auch die Höhe der Strafe in dem Strafgesetz bestimmt sein muß. Aber wenn in dem Text, den der Rechtsausschuß erarbeitet hat, steht, daß die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen soll und daß, wenn das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht ausreicht, es überschritten werden kann, so ist das nach meiner Meinung — das war auch die Meinung der überwiegenden Mehrheit des Rechtsausschusses — genügend bestimmt.Hier geht es ja nicht etwa urn das Verkehrsunrecht, sondern um die großen Wirtschaftsübertretungen, bei denen jemand versucht, durch die Maschen der Wirtschaftsgesetze zu schlüpfen, und dabei einen Riesenvorteil erzielt. Es wäre dann ein Schildbürgerstreich, wenn man die Strafe nicht in einer Höhe festsetzen könnte, die dem entspricht, was der Betreffende durch die Gesetzesverletzung an Gewinn erzielt hat. Da geht es nicht nur um 3000 DM, sondern es geht zum Teil um 100 000 oder gar um Millionen D-Mark. Es wäre ein Witz, wenn ein solcher Täter eine Buße von ein paar tausend
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HirschD-Mark aus der Westentasche bezahlen könnte und wenn diese Buße nicht dein angepaßt wäre, was tatsächlich aus dem Unternehmen an Gewinn erzielt worden ist.Natürlich, Herr Kollege Busse, gibt es Schwierigkeiten hei der Feststellung des Gewinns; ich gebe Ihnen hier recht.. Aber da gilt dann der Grundsatz „in dubio pro reo". Wenn der Richter den Umfang nicht präzise feststellen kann, muß er eben von der Höhe ausgehen, die präzise feststellbar ist.Ich würde meinen, daß gerade diese Bestimmung wichtig ist, wenn das Ordnungsbußensystem überhaupt einen Sinn haben soll.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 372 *) Ziffer 1. Wer diesem Änderungsantrag, nach dem der § 11 Abs. 4 gestrichen werden soll, zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt gegen diesen Antrag? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Änderungsantrag 372 Ziffer i ist. abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den § 11 in der Ausschußfassung. Ich rufe weiter zur Abstimmung auf die §§ 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 18 a, 18 b, 18 c, 18 d, 18 e. Wer diesen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Diese Paragraphen sind angenommen.
Meine Damen und Herren, zu § 19 liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 372 5) vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Herr Kollege Busse!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Hier kann ich mich nach dem, was ich in den allgemeinen Ausführungen gesagt habe, verhältnismäßig kurz fassen. Es handelt sich in § 19 darum, ob eine juristische Person für Handlungen, die ein Vertreter für diese Person begangen hat, mit einer Geldbuße belegt werden kann. Der vorliegende Entwurf bejaht diese Frage. Ich kann nur noch einmal wiederholen: diese Regelung ist absolut systemwidrig. Wenn wir davon ausgehen, daß Voraussetzung auch für eine Ordnungswidrigkeit ein schuldhaftes Verhalten ist, so kann — bei dieser Schuld im Strafrecht gibt es keine Vertretung, sondern es kann nur der, der schuldhaft handelt, dafür verantwortlich gemacht werden eine juristische Person nicht schuldhaft handeln, weil das das Bestehen einer natürlichen Person voraussetzt. Ich glaube, das ist so zwingend, daß man dazu nicht Näheres zu sagen braucht.
Die weiteren Anträge, die wir dann gestellt haben, hängen mit dieser Regelung auf das engste zusammen. Hier ist die materielle Vorschrift angesprochen; das andere sind nachher die formellen Vorschriften. Die Anträge dazu würden sich erübri*) Siehe Anlage 5
gen., wenn dieser Antrag abgelehnt würde, und nur dann in Betracht kommen, wenn unser Antrag angenommen wird.
Ich bitte um Annahme unseres Antrages.
Das Wort hat Herr Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser persönliche Zweikampf zwischen Herrn Busse und mir ist ja nur ein juristischer. Ich muß aber leider wiederum seinem Antrag widersprechen. Ich habe über die Problematik der Frage der Bestrafung juristischer Personen oder der Ahndung von Gesetzesübertretungen juristischer Personen in meinem Bericht bereits gesprochen. Ich halte es geradezu für einen Eckpfeiler des neuen Ordnungswidrigkeitengesetzes, daß man endlich auch diejenigen, für die jemand handelt und die den Vorteil von der Handlung haben, also die juristischen Personen, in den Griff bekommt. Es ist ja zum Teil grotesk: Es handelt im Auftrag einer juristischen Person ein einfacher Prokurist mit einem kleinen Gehalt. Dann kann die Buße, die gegen ihn verhängt wird, nur seinem kleinen Gehalt entsprechen, obgleich das Gewicht der Sache ungeheuer groß ist und sie einem Großunternehmen zugute gekommen ist. Alle Doktrin hin und her, Herr Kollege Busse - es ist einfach sinnvoll und zweckmäßig, dann auch diese juristische Person zur Verantwortung ziehen zu können. Sie haben, glaube ich, nicht recht — man soll ja nie „zweifellos" sagen, hat mir schon mein erster Amtsrichter, bei dem ich in Ausbildung war, gesagt, denn dann stimmt es meistens nicht —, wenn Sie meinen, damit sei das Schuldprinzip durchbrochen. Die Schuld liegt bei demjenigen, der für die juristische Person gehandelt hat, und die Folgen der Schuld werden von demjenigen getragen, dem die Handlung zugute gekommen ist. Das halte ich nicht für systemwidrig, sondern für richtig.
Ich bitte also, den Änderungsantrag abzulehnen.
Das Wort hat Herr Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Busse, ich glaube, wir könnten uns sogar verständigen, und Sie müßten konsequenterweise eigentlich Ihren Antrag zurücknehmen. Denn es ist in unserem Gesetzentwurf überhaupt keine strafbareHandlung der juristischen Person darin, sondern es heißt ausdrücklich: wenn eine dieser Personen eine strafbare Handlung oder eine Ordnungswidrigkeit begangen hat und die Gesellschaft, also die juristische Person, einen Vorteil daraus gehabt hat, kann als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit zusätzlich eine Geldbuße festgesetzt werden. Die juristische Person wird also nicht bestraft, sondern ihr wird für den Vorteil, den sie aus der Straftat oder Ordnungswidrigkeit eines ihrer Or-
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Erhard
gane gezogen hat, nunmehr ein Ausgleich zugemutet. Ich halte das für sehr wesentlich, weil es eben nicht die Strafe, sondern nur die Nebenfolge ist.
Das Wort hat der Kollege Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es bedarf wirklich einiger Dialektik: Wenn ich eine Geldbuße gegen eine juristische Person festsetze, dann bestrafe ich sie nicht; setze ich eine Geldbuße gegen eine natürliche Person fest, dann bestrafe ich sie. Diesen Unterschied vermag ich beim besten Willen nicht einzusehen.
Aber etwas anderes, Herr Kollege Hirsch: Dafür, daß nicht ungerechtfertigte Vorteile, die von dem Vertretenen jetzt ganz allgemein: von dem Vertretenen — aus einer strafbaren Handlung, aus einer Ordnungswidrigkeit gezogen werden, ihm verbleiben, haben wir ja Vorschläge gemacht. Ich habe das vorhin erwähnt; aber es scheint nicht angekommen zu sein. Wir wollen eine Möglichkeit schaffen, daß da, wo ungerechtfertigte Gewinne gezogen sind, diese Gewinne in einem ordnungsmäßigen objektiven Verfahren für verfallen erklärt werden, d. h. der Staatskasse zufließen. Die wollen wir ihm gar nicht belassen, so großzügig sind wir nicht; aber wir wollen es im System richtig bringen und nicht die Strafe ansprechen, wo in Wirklichkeit „Einziehung von Gewinnen" gesagt werden muß. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge; das eine ist schuldbezogen, das andere ist vermögensbezogen und nur vermögensbezogen. Darum unser Antrag!
Ich wollte das noch einmal klarstellen, damit hier nicht der Verdacht aufkommen kann, wir wollten, wenn es sich um eine juristische Person oder überhaupt um einen Vertretenen handelt, dem der unrechtmäßig gezogene Gewinn zugeflossen ist, ihm diesen ungerechtfertigten Gewinn belassen. Das wollen wir nicht. Nur ist die Strafe nicht das richtige Mittel, um eine solche Gewinnabschöpfung vorzunehmen.
Ich lasse jetzt über den § 19 abstimmen. Auf Umdruck 372 ist die Streichung dieses Paragraphen beantragt. Wer dem Umdruckantrag zustimmen will, muß also jetzt gegen den § 19 stimmen.
Ich darf zur Abstimmung kommen. Wer für den § 19 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Das erste war die Mehrheit; damit ist der § 19 angenommen.
Ich lasse jetzt abstimmen über die §§ 20 bis einschließlich 76. Zu diesen Paragraphen liegen keine Änderungsanträge vor. Wer für diese Paragraphen ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den § 77. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 372 vor.
— Ich höre, daß mit der Ablehnung des Antrages zu § 19 auch der Antrag zu § 77 erledigt ist. Ich lasse dann über den § 77 abstimmen. Wer für den § 77 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist der § 77 angenommen.
Es erfolgt jetzt die Abstimmung über die §§ 78 bis einschließlich 92. Wer für diese Paragraphen ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Paragraphen sind einstimmig angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den § 93. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 381 t) vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort hat Herr Kollege Dr. Güde.
Der Änderungsantrag zu § 93 läßt sich sinnvollerweise, wie unter uns Kollegen klar ist, nur im Zusammenhang mit dem § 467 der Strafprozeßordnung — das ist Nr. 14 a des Einführungsgesetzes — diskutieren; denn was hier in § 93 steht, ist nur ein Reflex der von uns beantragten Änderung des § 467 der Strafprozeßordnung. Ich würde vorschlagen, Herr Präsident, daß wir entweder den § 93 hier ausklammern — —
— Ja, ich weiß das, aber es fragt sich: muß der Herr
Präsident das entscheiden und nicht Sie? Entschuldigen Sie, aber es ist so. Aber ich kann natürlich auch durch das Mikrophon dem Herrn Präsidenten sagen: Auseinanderreißen kann man es nicht. Entweder müssen Sie es dann mit aufrufen und den anderen Änderungsantrag aus dem Einführungsgesetz vorwegnehmen, oder Sie müssen den hier bis zu dem anderen zurückstellen, was zweckmäßig wäre.
Sie haben beantragt, Herr Dr. Güde, daß wir über den Paragraphen 93 jetzt nicht abstimmen?
Ja, das ist mein Vorschlag, und daß wir ihn beim Aufruf des Änderungsantrags Umdruck 379 **) wieder aufrufen, Herr Präsident. Dort ist nämlich die Materie angeschnitten, und von dorther führt zu § 93 nur eine Reflexberichtigung.
Herr Kollege, bezieht sich das nur auf die Begründung des Antrags?
Nein, auf die Sache. Nur wenn der Antrag zu § 467 angenommen wird,*) Siehe Anlage 6 **) Siehe Anlage 7
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Dr. h. c. Güdeergibt sich die Notwendigkeit, hier den § 93 zu rektifizieren.
Das würde bedeuten, daß wir jetzt über den § 93 nicht abstimmen?
Ja.
Dann müssen wir die dritte Lesung dieses Gesetzes aussetzen, bis wir das andere Gesetz in der zweiten und in der dritten Lesung beendet haben. Ich bin bereit, das zu tun, wenn das sinnvoll erscheint. Ich glaube, das zerschlägt nichts in unseren Beratungen. Ich würde dann die zweite Lesung unter Ausklammerung von § 93 jetzt zu Ende führen und die dritte Lesung so lange aussetzen. Einverstanden, Herr Kollege Dr. Güde?
Das bedeutet, meine verehrten Kollegen, daß wir jetzt über die §§ 93 a bis einschließlich 99, Einleitung und Überschrift abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit sind diese Paragraphen sowie die Einleitung und die Überschrift in der zweiten Lesung angenommen.
Wir haben die Abstimmung über § 93 ausgesetzt. Wir werden sie nachher nachholen. Im Anschluß daran werden wir die Schlußabstimmung durchführen können.
Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 15 b), dem Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten.
Ich lasse zunächst über den Antrag Nr. 2 des Ausschusses abstimmen, über den Entschließungsantrag. Wer dem Entschließungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist gegen den Entschließungsantrag? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die einzelnen Artikel.
Ich lasse zunächst über den geschlossenen Art. 1 abstimmen, zu dem keine Änderungsanträge vorliegen. Wer dem Art. 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist gegen den Art. 1? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einigen Stimmenthaltungen ist der Art. 1 angenommen.
Über Art. 2 möchte ich nummernweise abstimmen lassen, weil sich hier eine Anzahl von Änderungsanträgen ergeben haben.
Ich lasse zunächst über die Nrn. 1 bis 5 des Art. 2 abstimmen; zur Nr. 6 liegt ein Einfügungsantrag vor. Wer für die Nrn. 1 bis 5 des Art. 2 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Diese Nummern sind einstimmig angenommen.
Wir kommen jetzt zu Nr. 6. Zu Nr. 6 liegt kein Änderungsantrag vor. Auch über diese Nummer
können wir noch abstimmen. Es liegt erst ein Antrag vor, nach der Nr. 6 eine neue Nr. 6 a einzufügen. Wir können jetzt über die Nr. 6 abstimmen. Wer für die Nr. 6 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? Die Nr. 6 ist damit angenommen.
Wir kommen jetzt zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 375 s), eine Nr. 6 a einzufügen. — Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? — Das ist der Fall. Das Wort hat der Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren. Bei dem Antrag handelt es sich um folgendes. Normalerweise kann das Armenrecht im Zivilprozeß wie auch für die Nebenklage im Strafprozeß Ausländern nur dann bewilligt werden, wenn Gegenseitigkeit mit dem Land, dem der Betreffende angehört, verbürgt ist. Dieses Verfahren hat sich bewährt und ist in Normalzeiten auch richtig.
Es hat sich aber im Rahmen der Nazi-Mordprozesse herausgestellt, daß aus dieser Bestimmung Schwierigkeiten entstehen, und zwar dergestalt, daß es Länder gibt, mit denen die Verbürgung der Gegenseitigkeit in solchen Fragen noch nicht hergestellt ist, wie z. B. mit Israel, mit dem erst vor kurzem diplomatische Beziehungen aufgenommen worden sind. In solchen Fällen haben wir Schwierigkeiten damit, den durch die Mordtaten betroffenen überlebenden Angehörigen für die Nebenklage, an der sie verständlicherweise interessiert sind, das Armenrecht zu bewilligen für einen Vertreter, der ihre Rechte in dem Strafverfahren wahrnimmt.
Diese Schwierigkeiten sind zum Teil gegen das Gesetz oder, sagen wir, neben dem Gesetz von einzelnen Gerichten und einzelnen Justizverwaltungen überbrückt worden. Es gibt aber weiterhin effektive Schwierigkeiten. Bei dem begreiflichen Mangel an Verständnis, das die Betroffenen dem natürlicherweise entgegenbringen — und das hat das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland gefährdet —, sagt man nämlich: Die wollen nicht, die wollen mit solchen Ausreden verhindern, daß ich, die überlebende Witwe des Ermordeten, in dem Strafverfahren zu meinem Recht komme.
Um nun dieser Schwierigkeit zu begegnen, ist in diesem Antrag gesagt, daß für das Strafverfahren — genauer gesagt: für die Nebenklage im Strafverfahren — vorgesehen werden soll, daß auf die Voraussetzung der Gegenseitigkeitsverbürgung verzichtet werden kann, mit anderen Worten, daß auch in solchen Fällen für die Nebenklage das Armenrecht bewilligt werden kann.
Wir bitten Sie, diesem Antrag zuzustimmen. Er betrifft Relikte der schlechten Vergangenheit dieses Landes. Wenn wir die Möglichkeit haben, diese Schwierigkeiten bei der Nebenklage zu überwinden, trägt das sehr zum Ansehen der Bundesrepublik im Ausland bei.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Dr. Stark, bitte schön!*) Siehe Anlage 8
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können, glaube ich, nicht wegen einer vorübergehenden Sonderlage eine so schwerwiegende Änderung einführen. Wir müssen vielmehr in dieser wichtigen Frage auf der Gegenseitigkeit bestehen. Bei allem Verständnis für Ihr Anliegen, Herr Kollege Hirsch, ginge das meines Erachtens zu weit. Es könnten Prozesse mit Klägern aus aller Herren Länder auf uns zukommen. In diesem Fall müßte die Gegenseitigkeit gewährleistet sein. Was für eine augenblickliche Sonderlage gedacht ist, können wir insbesondere nicht für die Dauer einführen.
Ich beantrage deshalb, dem Änderungsantrag nicht zuzustimmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Hirsch, Busse , Frau Kleinert, Dr. Bayerl, Kaffka, Matthöfer, Dr. Reischl auf Umdruck 375 *). Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist gegen den Änderungsantrag? — Meine Damen und Herren, das Präsidium kann sich über das Ergebnis der Abstimmung nicht einigen. Ich bin gezwungen, Sie zunächst einmal zu bitten, sich zu erheben. Wer also dem Antrag zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer lehnt den Antrag ab? — Das Ergebnis der Abstimmung ist zweifelhaft. Wir stimmen im Hammelsprung ab.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt. Es sind insgesamt 259 Stimmen abgegeben worden, davon 139 Ja-Stimmen, 120 Nein-Stimmen. Keine Enthaltungen. Der Antrag ist angenommen. Das bedeutet, daß im Sinne des Antrags auf Umdruck 375 eine Nr. 6 a eingefügt wird .
Meine Damen und Herren, wir stimmen jetzt über die Nrn. 7 bis einschließlich 10 ab. Darf ich die Damen und Herren bitten, die diesen Nummern zustimmen, das Handzeichen zu geben. — Wer ist gegen diese Nummern? Wer enthält sich der Stimme? —Die Nrn. 7 bis l0 sind angenommen.
Zu Nr. 11 liegt ein Änderungsantrag vor, von dem ich annehme, daß er durch Abstimmung erledigt ist. Ist das richtig?
Dann können wir über die Nrn. 11 und 12 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen jetzt zu Nr. 12 a. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 379 **) Ziffer 1 a vor, der die Streichung der Nr. 12 a vorsieht.
Ich lasse über Nr. 12 a abstimmen. Wer dem Änderungsantrag zustimmen will, der muß jetzt mit Nein stimmen. Wir stimmen also über Nr. 12 a ab. Wer für Nr. 12 a ist, den bitte ich um das hand-
*) Siehe Anlage 8 ") Siehe Anlage 7
zeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? -Damit ist Nr. 12 a angenommen.
— Einen Augenblick, hier kommen Zweifel auf. —Herr Dr. Stark!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Änderungsantrag abzulehnen. Was hier aufgezählt ist,
Einen Augenblick! Das ist ja schon geschehen. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, in dem Änderungsantrag wird beantragt, die Nr. 12 a zu streichen. Wenn ich also über Nr. 12 a abstimmen lasse und dieser Nr. 12 a zugestimmt wird, dann ist der Änderungsantrag automatisch abgelehnt. Das ist in der Zwischenzeit geschehen.
Bei Nr. 12 b liegt der gleiche Fall vor. Wer also für den Änderungsantrag stimmt, muß mit Nein stimmen. Wer für die Beibehaltung der Nr. 12 b ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Überraschenderweise stimmt niemand für den Antrag; doch, eine Stimme für den Antrag.
Damit ist Nr. 12 b angenommen.
Bei Nr. 12 c gilt genau das gleiche. Wer also dem Änderungsantrag zustimmen will, muß bei der Abstimmung mit Nein stimmen. Wer für Nr. 12 c stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer ist dagegen? — Jetzt aber ergibt sich die überraschende Tatsache, daß niemand für den Antrag stimmt. Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist Nr. 12 c angenommen.
Wir kommen zu Nr. 13. Hier wird auf Umdruck 379 die Wiederherstellung der Regierungsvorlage beantragt. Wird das Wort zu dem Änderungsantrag gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse über die Nr. 13 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer also dem Änderungsantrag zustimmen will, muß mit Nein stimmen. Wer für die Annahme der Nr. 13 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen! — Nr. 13 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Wir kommen zu Nr. 14. Hier wird ebenfalls Wiederherstellung der Regierungsvorlage beantragt. — Das Wort zur Begründung des Änderunsgantrags auf Umdruck 379 hat Herr Kollege Dr. Güde.
Herr Präsident! Auch hier gibt es Reflexwirkungen von § 467 StPO auf die vorliegenden Änderungsanträge. Wie wir das nachher in Ordnung bringen sollen, weiß ich nicht. Ich habe das beim Lesen jetzt übersehen, weil ich mich auf die Bestimmung des § 467 StPO konzentriert habe. Die Herren Kollegen des Rechtsausschusses sind sich darüber klar, daß dort die sedes materiae ist, um die man sich streiten muß.Streiten tue ich recht ungern, meine Damen und Herren, denn ich respektiere die Leistung des „großen Bruders" Rechtsausschuß in dieser Sache und
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Dr. h. c. Gildekann sie nur loben. Das Ordnungswidrigkeitengesetz ist vom Rechtsausschuß erstaunlich schnell und in einer gründlichen Arbeit behandelt worden. Aber in diesem einen Punkt muß ich widersprechen, und zwar nicht aus Beckmesserei, sondern — ich will es Ihnen sagen — zuallererst aus einen Stilgrund. Ich bin kürzlich zusammen mit Herrn Kollegen Reischl bei der Eröffnung der Richterakademie in Bad Driburg gewesen. Da haben wir beide für dieses Parlament wenig Lob und viel Schelte einstecken müssen, und zwar wegen der Gesetzgebungstechnik dieses Hauses, wegen der etwas planlosen, unsystematischen — entschuldigen Sie das Wort, das wir dort hören mußten —, kleckernden Art, Gesetze zu machen. Ich habe dort versprochen — und ich babe mir auch vorgenommen, dieser Pflicht zu folgen —, in Fällen, in denen die Richter recht haben, diesem Haus zu sagen: Ich glaube, das ist ein Stilfehler. Es hieß in den Vorwürfen: Ihr macht die Gesetze planlos. In der Tat muß man zugeben, daß das Gesetzgeben und das Gesetzemachen einen bestimmten und bewußten Plan vor sich haben muß. Es kann nicht so sein, — entschuldigen Sie, Herr Kollege Hirsch —, daß man, wie Sie es vorhin taten, sagt: Wir sind glücklich, daß wir diese Frage bei dieser Gelegenheit bereinigen konnten. Das ist mir zu okkasionalistisch. Gesetze und Rechtsmaterien sind keine Okkasionen, keine Gelegenheitsgeschäfte, sondern sie gehören in bestimmte Sachzusammenhänge.Die Frage, die in § 467 StPO des Ausschußentwurfs geregelt worden ist, ist die Frage des Auslagenersatzes des freigesprochenen Angeklagten. Bisher hieß es: Dem freigesprochenen Angeklagten werden die Auslagen ersetzt, wenn sich seine Unschuld ergeben hat oder wenn sich der Sachverhalt so darstellt, clad ein begründeter Verdacht nicht vorliegt. Jetzt heißt es: Dem freigesprochenen Angeklagten sind die notwendigen Auslagen einschließlich der Verteidigungskosten auf jeden Fall zu ersetzen; kleine Ausnahmefälle vorbehalten. Meine Damen und Herren, dieselbe Frage ist im Dritten Strafrechtsänderungsgesetz von 1953 geregelt gewesen. Sie wurde von diesem Hause dann 1964 wieder aufgenommen und geprüft, und das Haus hat sich dahin entschieden, es bei der Regelung von 1953 zu belassen. Jetzt benutzt man beim Ordnungswidrigkeitengesetz auf einmal die Gelegenheit und ändert, was man vorher systematisch festgehalten hat. Das scheint mir in der Tat ein anfechtbarer Gesetzgebungsstil zu sein. Anfechtbar scheint mir schon zu sein, daß das Ordnungswidrigkeitengesetz als Gelegenheit benutzt wird, einen systematischen Eingriff in die Strafprozeßordnung vorzunehmen. War das so dringend? Ich meine nicht. Die Regelung, die 1953 getroffen und 1964 beibehalten worden ist, war nicht ideal, aber ich zitiere Professor Dahs: Es war, sagt er, ein „ausreichender Behelf", mit dem man judizieren kann.Ein Zweites, meine Damen und Herren. Die Art, wie geändert worden ist, ist kunstwidrig und unsystematisch. Die Frage des Auslagenersatzes, die Frage der U-Haftkosten-Entschädigung und die Frage der Strafhaftkosten-Entschädigung nach Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren hangen miteinanderzusammen. Das hat man 1953 bewußt gesehen und bewußt koordiniert geregelt. Nun hat man hier bloß die eine Bestimmung des § 467 StPO geändert, aber nicht die beiden anderen, die systematisch dazugehören. So kann man es nicht machen. Wenn das so stehenbleibt, muß die Auslagenentschädigung bewilligt werden, die U-Haftkosten-Entschädigung kann aber im selben Verfahren verweigert werden. Dasselbe gilt für die Strafhaftentschädigung. Man braucht gar kein Wort darüber zu verlieren, daß das systematisch nicht geht und in jedem Verfahren, in dem das praktisch wird, zu Peinlichkeiten führt.Ich sage noch einmal: Die Regelung, die 1953 getroffen worden ist, ist nicht ideal. Vor allem die Anwaltschaft hat immer Einwände erhoben wegen des zweitrangigen Freispruchs mangels Beweises, der in der Kostenregelung zum Ausdruck kommt. Ich will mich gar nicht um die Sachlösung streiten. Ich meine nur, meine Damen und Herren, so kann man es systematisch, methodisch und stilmäßig nicht machen. Wir sind gerne bereit, uns später darüber zu unterhalten, wie asman eine formell und sachlich zutreffende Lösung finden soll. Man kann sie aber nur zusammen an allen drei Stellen linden. Man kann nicht eine Stelle herausbrechen und einzeln regeln. Im übrigen hot nicht das Bundesjustizministerium diese Regelung vorgeschlagen, sondern der Ausschuß hat sie hinzugefügt.Ob es richtig ist — in der Literatur wird diese Frage aufgeworfen —, überhaupt an den Verdacht anzuknüpfen wodurch sich diese ärgerliche Folge des Freispruchs zweiter Klasse ergibt, daran kann man zweifeln. Peters etwa sieht in seinem Lehrbuch des Strafrechts die Möglichkeit vor, an ein anderes, an die Veranlassung des Prozesses, anzuknüpfen. Und wenn Sie in den 20. Band der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen schauen, werden Sie sehen, daß dort das Stichwort „Aufopferungsanspruch" für alle diese drei Ansprüche fällt. Das ist ein sehr interessanter Gesichtspunkt, der einmal systematisch geprüft werden müßte.Auch von daher sage ich: Bitte, lassen Sie das, was unsystematisch zu regeln versucht worden ist, aus dem Gesetz fallen! Ich habe fast die Hoffnung, daß der Herr Bundesjustizminister mich darin unterstützt, diese Änderung hier fallenzulassen und sie in die Entschädigungsgesetze aufzunehmen. Es steht ein Gesetzentwurf bevor, in dem die U-Haftentschädigong und die Strafhaftentschädigung geregelt werden. Dort ist der gegebene systematische Ort, wo die Frage in ihrem gesamten Komplex geprüft werden muß.Daher bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Kollege Dr. Stark.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zwar auch Jurist, ich will die Sache aber weniger dogmatisch abhandeln. Es geht um die Beseitigung des Freispruchs zweiter Klasse. Nach dem § 467 StPO haben
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Dr. Stark
wir im Augenblick zwei Freisprüche: einen mangels Beweises — das ist die zweite Klasse — und einen wegen erwiesener Unschuld. Wir sehen nicht ein — die Mehrheit des Rechtsausschusses, es bestand nahezu Einigkeit —, daß es rechtspolitisch noch in einen modernen Rechtsstaat paßt, daß der Staat sagen kann: Ich klage mal an, ich probiere es mal; wenn es aber schief geht, spreche ich nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern mangels Beweises frei. Damit bleibt der Angeklagte, der freigesprochen wird, auf seinen notwendigen Auslagen — das sind vor allem die Kosten seines Verteidigers — sitzen. Ich glaube, dieser Freispruch erster und zweiter Klasse paßt nicht mehr in das 20. Jahrhundert.
Wenn der Staat anklagt, weil jemand dringend der Tat verdächtig ist und sich nachher herausstellt, daß er nicht verurteilt werden kann, dann kann ich ihn doch nicht auf Verdacht hin auf seinen notwendigen Auslagen sitzenlassen. Dann gilt eben die Unschuldsvermutung.Zum zweiten ist es so: Sobald sich in einem Verfahren herausstellt, daß der Angeklagte mangels Beweises freigesprochen werden muß, braucht der Richter nicht mehr weiter zu forschen, ob er auch wegen erwiesener Unschuld freisprechen kann. Es wird behauptet, das würde der Prozeßökonomie widersprechen. Es genügte ja, daß der Angeklagte freigesprochen wird.Wenn jemand mangels Beweises freigesprochen wird, kann er allein deswegen nicht einmal Berufung einlegen. Die Rechtsprechung sagt, da liege keine Beschwer vor, obwohl er seine notwendigen Auslagen selber tragen muß.Meine Damen und Herren, das Problem ist gar nicht so tief rechtsdogmatisch. Wenn wir es so behandeln wollten, Herr Güde, bekämen wir in zehn Jahren noch keine Änderung. Wir sehen doch an der Strafrechtsreform, wie schwierig diese Dinge sind und wieviel Zeit wir für sie brauchen.
Wir kamen auch nicht ganz unvermittelt auf diese Sache, sondern hatten im Rahmen des Ordnungswidrigkeitengesetzes die Kostenfrage zu lösen. Da haben wir uns gesagt: das hängt miteinander zusammen, deshalb müssen und können wir es auch hier gleich rechtssystematisch und richtig lösen. Nur so kamen wir zu dieser Frage. Wir haben auch noch ganz andere Fragen im Zusammenhang mit dem Einführungsgesetz mit geregelt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Güde?
Bitte schön!
Halten Sie es für dogmatisch, wenn ich darauf hinweise, daß der Rechtsausschuß eine Änderung in § 467 vorschlägt, aber nicht an den beiden korrespondierenden Stel-
len? Wenn Sie das mit in Ihren Änderungsvorschlag einbezogen hätten, wäre meine Stellung sehr viel schlechter. Also: ist das dogmatisch? Ist das nicht ein höchst praktischer Gesichtspunkt?
Herr Güde, ich sage Ihnen ganz offen: mir geht es hier nicht um dogmatisch oder nicht dogmatisch. Mir geht es darum, daß hier sinnvoll etwas geregelt werden kann, was man jetzt regeln kann. Das will ich nicht auf die nächsten Jahrzehnte verschieben. Denn ich bin der festen Überzeugung, daß die jetzige Regelung nicht mehr einem modernen Rechtsstaat entspricht, wo der Richter dann sagen kann: Na ja, es reicht für Freispruch mangels Beweises, dann brauche ich gar nicht mehr weiter zu forschen, also kann ich ihn freisprechen. Und an dem Mann bleiben dann seine notwendigen Auslagen, die Kosten seines Verteidigers, hängen. Wenn der Staat sagen muß: Ich muß dich freisprechen, wenn der Staat seinen Strafanspruch also nicht durchsetzen kann, dann gilt eben die Unschuldsvermutung, dann ist der Mann nicht verurteilt, und er darf auch nicht auf seinen notwendigen Auslagen sitzenbleiben. Deshalb sollte man diesen Änderungsantrag, der das ganze Kostenproblem betrifft, ablehnen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Für die Freie Demokratische Partei kann ich hier erklären, daß wir in vollem Umfange den Ausführungen des Herrn Kollegen Stark zustimmen. Ich darf den Herrn Kollegen Güde noch an folgendes erinnern. Natürlich ist, wenn wir jetzt diesen Antrag annehmen, das Entschädigungsgesetz noch nicht befriedigend geregelt. Aber wenn wir jetzt nicht einmal eine ganz zwingende Notwendigkeit schaffen, endlich auch die leidige Frage der Entschädigung für die schuldlos erlittene Untersuchungshaft zu regeln, dann haben wir auch in der nächsten Legislaturperiode noch nicht das entsprechende Entschädigungsgesetz.
Ich darf Sie weiterhin an folgendes erinnern. Über dieses Problem, über die Unhaltbarkeit des Freispruchs erster und zweiter Klasse, haben wir uns doch schon bei der Kleinen Strafprozeßnovelle in der letzten Legislaturperiode eingehend unterhalten. Wir waren doch damals nahezu schon dran, auch diese Frage zu regeln. Dann wurde es kurzfristig zurückgestellt. Hier im Bundestag bedeutet „kurzfristig" leider, daß wieder eine ganze Legislaturperiode darüber hingeht.Was geschieht, wenn wir jetzt diese Sache hier nicht anpacken — ich habe sehr begrüßt, daß der Rechtsausschuß dies getan hat — und wenigstens diese, für den Betroffenen so sehr beschwerende Angelegenheit regeln? Für den Betroffenen bedeutet es nicht nur den Kummer, in ein Strafverfahren ver-
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Frau Dr. Diemer-Nicolauswickelt zu sein, sondern auch den, noch die materiellen Nachteile selbst bei einem Freispruch gegebenenfalls tragen zu müssen. Herr Kollege Stark hat ganz richtig darauf hingewiesen: es ist keine Beschwerde möglich, und es ist nicht möglich, gegebenenfalls die Ermittlungen so weit fortzuführen, daß wegen erwiesener Unschuld freigesprochen wird.
— Ach, Herr Kollege, da habe ich aber mehr Zutrauen zu unseren Gerichten.
Ich bin der Meinung, daß gerade die Richter auch in letzter Zeit in verschiedenen Verfahren eindeutig gezeigt haben, daß sie genau wissen, was der Grundsatz „in dubio pro reo" bedeutet. Man sollte nicht mit solchen Unterstellungen argumentieren. Da halte ich die Gerichte für verantwortungsvoller.Herr Kollege Güde, ich habe mich erkundigt, wie es denn mit dem Entschädigungsgesetz sei, und habe erfahren, daß vom Justizministerium beabsichtigt ist, ein Entschädigungsgesetz vorzulegen, das jetzt an die Länder gegangen ist. Nun wissen wir doch: es ist ein Gesetz, das den Ländern gegebenenfalls mehr Kosten verursacht, wenn es sich um die Entschädigung für schuldlos erlittene Untersuchungshaft handelt. Dann weiß man aber ganz genau: Bis diese Entscheidungen von den Ländern kommen, his das Gesetz dann wieder dem Kabinett vorgelegt ist, bis es dann an den Bundestag kommt, ist nicht mehr die Zeit, in dieser Legislaturperiode auch das Entschädigungsgesetz zu verabschieden.Wenn wir aber jetzt dem Rechtsausschuß entsprechend der Ausschußvorlage folgen, dann ist es eine zwingende Notwendigkeit auch für die Länder, so schnell wie möglich ihre Stellungnahmen an das Justizministerium weiterzuleiten. Vielleicht gelingt es dann, noch in dieser Legislaturperiode auch die entsprechenden Entschädigungsbestimmungen zu reformieren, was wirklich dringend notwendig ist.
Das Wort hat der Kollege Erhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte es für notwendig, im Hinblick auf die vornehme Art, in der Herr Kollege Dr. Güde hier vorgetragen hat, doch an einiges zu erinnern.
Es ist schön und richtig, Herr Kollege Dr. Güde; daß Sie die Kunst der Gesetzgebung beschworen haben. Insofern stimme ich Ihnen hundertprozentig zu. Nur gehört es meines Erachtens zur Kunst, auch zwischen dem zu unterscheiden, was verschieden ist. Ich bin davon überzeugt, Sie wissen, daß die Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft oder die Entschädigung für zu Unrecht erlittene Gefängnisstrafe, Zuchthausstrafe oder was es sonst gewesen ist, sicherlich etwas anderes ist als die Kosten des Verfahrens.
Wir haben in der Strafprozeßordnung — das wissen Sie doch ganz genau, Herr Kollege Dr. Güde — im Gegensatz zum Zivilprozeß eine Unterscheidung zwischen den Kosten des Verfahrens, den notwendigen Auslagen und den sonstigen Kosten. Daß die sonstigen Kosten in jedem Fall bei einem Freispruch der Staatskasse auferlegt werden, ist unstreitig. Daß aber die notwendigen Auslagen der Staatskasse in dem einen Fall auferlegt werden und in dem anderen Fall nicht, das ist das Problem. Das gilt nicht nur für den Freispruch. Die Regelung, die der Rechtsausschuß vorgeschlagen hat, gilt ja auch für das Rechtsmittelverfahren.
Halten Sie es wirklich für richtig, daß der mangels Beweises in erster Instanz Freigesprochene, der auf Berufung oder Revision der Staatsanwaltschaft freigesprochen bleibt, wenn die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtmittel also keinen Erfolg hat, die Unschuld des Angeklagten aber nicht nachgewiesen ist, auch nicht im Berufungsverfahren, nunmehr auch noch die Kosten seiner Verteidigung für das zweite Verfahren tragen muß? Ich halte diese Vorschrift für in unserem Rechtsstaat unerträglich.
Herr Kollege Güde, ich bin der Frage nachgegangen, wie es in unserer Strafprozeßordnung denn überhaupt zu solch merkwürdigen Vorstellungen und Vorschriften gekommen ist. Ich stieß — für mich überraschend — auf die Tatsache, daß der Bundesrat im vorigen Jahrhundert aus der Überlegung, den Fiskus zu stark belastet zu sehen, diese Bestimmung in das Rechtsmittelverfahren eingebaut hat, wonach also die Staatsanwaltschaft, wenn sie ein Rechtsmittel erfolglos eingelegt hat, die notwendigen Auslagen nicht zu tragen braucht. Das wurde aus reinen Kostenüberlegungen gemacht.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr!
Erstens weiß ich natürlich von dieser Geschichte der Bundesratsvorlage im letzten Jahrhundert. Aber Sie haben meine Meinung vorhin nicht mitbekommen. Im Grunde bin ich für eine Reform der Materie, nur nicht so auseinandergerissen, sondern für eine systematische Änderung an allen drei Punkten, an denen bis jetzt derselbe Text steht, so daß jeder Jurist sagen kann: Wenn ich hier ändere, muß ich auch dort ändern. Ich will reformieren, aber nicht unsystematisch, wie es jetzt vorgeschlagen ist.
Herr Kollege Güde, dann darf ich versuchen, Ihnen darauf folgendes zu erwidern. Wenn ich mich nicht sehr täusche, sind Sie an der kleinen Strafprozeßnovelle recht aktiv beteiligt gewesen. Irre ich mich, wenn in der kleinen Strafprozeßnovelle bestimmt ist — also bei der Änderung der Strafprozeßordnung hinsichtlich der Kosten —, daß bei einem Freispruch mangels Beweises die Kostenentscheidung nicht
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Erhard
mehr in einem Urteil getroffen wird, sondern in einem Beschluß? Dieser Beschluß ist mit der Beschwerde oder der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Das ist doch richtig. Merkwürdigerweise haben Sie, als Sie diese Änderung hei den Kosten für das Rechtsmittelverfahren in die Strafprozeßordnung hineinbauten, aber nicht hineingenommen, daß für die Entschädigung bei der unschuldig erlittenen Untersuchungshaft überhaupt ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung zulässig ist. Sie haben, als Sie diese Vorschrift hier im Bundestag beschlossen, die korrespondierende Bestimmung in das Haftentschädigungsgesetz nicht übernommen. Dort steht nach wie vor drin, daß die Entscheidung des Gerichts nicht anfechtbar ist. Auch das ist ein Unding.Weiter darf ich auf folgendes hinweisen. Ich beziehe mich hier auf die Vorschriften über die unschuldig erlittene Untersuchungshaft und die unschuldig erlittene Strafhaft und sehe dabei einmal von der Frage der Rechtsmittel ab. Diese Bestimmungen, die Sie wie ich auch als änderungsbedürftig bezeichnen, enthalten Regelungen, die Adolf Hitler im Jahre 1933 in die beiden Gesetze hineingebracht hat. Damals wurde festgelegt, daß die Entschädigung ausgeschlossen sei, wenn der Betroffene trotz Freispruchs — es hieß damals: aus Gründen des Gemeinwohls hätte hinter Gitter kommen müssen. Diese Vorschrift ist meines Erachtens typisch nationalsozialistisches Recht. Aber da ist die Rechtsprechung anderer Meinung.Es wurde 1933 noch eine andere Vorschrift eingefügt. Die materielle Entschädigung, die in Form einer regelrechten• Schadensersatzregelung vorgenommen worden war, wurde auf einen Schaden von 75 000 Mark und eine Rente von monatlich 375 Mark begrenzt. Wer heute in seinem Eigentum durch den Staat in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird, hat auf Grund unserer grundgesetzlichen Regelung einen Entschädigungsanspruch oder auch einen Aufopferungsanspruch, auf jeden Fall ein volles Entschädigungsrecht. Wer in seiner Freiheit durch den Staat zu Unrecht in Anspruch genommen und festgesetzt war, hat diesen Anspruch nach diesem Gesetz nicht. Ich bin der Meinung, diese untragbare Rechtslage sollten wir nicht mit den Kosten verquicken.Ein letzter Gedanke, Herr Kollege Dr. Güde, zur Systematik. Halten Sie folgendes für systematisch: Derjenige, der in seiner Ehre verletzt wird, derjenige, der an seinem Körper verletzt wird, derjenige, der in seinem Eigentum oder in seinen wirtschaftlichen Rechten — ich denke hier an den unlauteren Wettbewerb oder auch an das Urheberrecht — verletzt wird, wird auf den Weg der Privatklage verwiesen. Wenn er dann vor dem Strafrichter nicht zum Erfolg kommt und der Angeklagte mangels Beweises freigesprochen werden muß, muß er auch die außergerichtlichen Kosten des Freigesprochenen tragen. Was wir dem Burger vor dem gleichen Gericht zumuten, sollten wir auch dem Staat zumuten, der zu Unrecht anklagt. Das verlangt die Gleichheit vor dem Gesetz, mindestens dann, wenn der Bürger und der Staat nebeneinanderstellen. Es geht also nicht nur um die Frage desFreispruchs, sondern auch um die des Rechtsmittels. Die korrespondierenden Bestimmungen zwingen geradezu dazu, dieses Unrecht zu beseitigen.
Das Wort zu Nr. 14 wird nicht mehr gewünscht. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über diesen Punkt. Die Abstimmung ist etwas kompliziert, weil ich zweimal abstimmen lassen muß.
Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag abstimmen, die Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen. Wer diesem Antrag, die Ausschußfassung wieder in die Regierungsfassung umzuändern, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Nr. 14 in der Ausschußfassung ab. Wer dieser Nr. 14 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Bei mehreren Enthaltungen ist die Nr. 14 angenommen.
Wir kommen zur Nr. 14 a. Hierzu liegt ,ein Streichungsantrag vor. Es kommt jetzt wieder ein anderes Abstimmungsverfahren. Wir stimmen sofort über die Nr. 14 a in der Ausschußfassung ab. Wer also dem Streichungsantrag zustimmen will, muß jetzt mit Nein stimmen. Wer für die Ziffer 14 a in der Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe, bitte! — Enthaltungen? — Bei wenigen Gegenstimmen angenommen.
Nr. 15! Dazu liegen zwei Änderungsanträge vor, ein Streichungsantrag — Umdruck 379 *) und ein Änderungsantrag — Umdruck 369**) — , der sich auf die Absätze 1 und 2 der Nr. 15 bezieht. Wird zu dem Antrag Umdruck 369 das Wort gewünscht? — Herr Kollege Hirsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei diesem Antrag handelt es sich eigentlich nur um eine redaktionelle Änderung. Nach Durchsicht des im Rechtsausschuß beschlossenen Textes haben die drei Antragsteller — der Berichterstatter, der Mitberichterstatter und Herr Busse als der Vertreter der FDP — festgestellt, daß wir eine leichte Lücke übersehen hatten. Der Änderungsantrag verbessert also nur den Text, den der Rechtsausschuß angenommen hat. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Änderungsantrag.
Sie haben die Begründung gehört, meine Damen und Herren. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 369 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung angenommen.Wir stimmen nunmehr ab über die Nr. 15 in der so geänderten Fassung. Es liegt der Streichungsantrag auf Umdruck 379 vor. Wer dem Streichungsantrag zustimmen will, muß also jetzt mit Nein stimmen. Wer der Nr. 15 in der geänderten Fassung*) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 9
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Vizepräsident Scheelzustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.- Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Nr. 15 istangenommen.
— Nr. 15 mit der vorher beschlossenen Änderung. Das hatte ich vorher schon gesagt: „Wer der Nr. 15 mit der Änderung, die wir soeben beschlossen haben . . ." usw.Nr. 16! Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 3791 vor, und zwar ein Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage. Wer diesem Änderungsantrag Umdruck 379 Ziffer 1 b zustimmt, also die Wiederherstellung der Regierungsvorlage erreichen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.Wir stimmen nunmehr über Nr. 16 in der Ausschußfassung ab. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Die Ausschußfassung ist angenommen.Nr. 17! Dazu liegt kein Antrag vor. Wer stimmt der Nr. 17 zu? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen?— Nr. 17 ist einstimmig angenommen.Nr. 17 a! Hierzu liegt ein Streichungsantrag auf Umdruck 379 vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht?
Nein, umgekehrt: das ist praktisch alles mit der Ablehnung zu § 467 entschieden. Wenn ich das kann, nehme ich das zurück, weil es schon vorentschieden ist.
Ich höre, daß die Antragsteller den Antrag zu Nr. 17 a zurückziehen.
Also zunächst: Umdruck 379 ist erledigt. Dann können wir jetzt über die Nrn. 17 a, 17 b, 18, 19 abstimmen. Wer für die Nrn. 17 a bis einschließlich 19 in der Ausschußfassung stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Diese Nummern sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Art. 3. Dazu liegt auf Umdruck 377 **) ein Änderungsantrag zu Nr. 6 vor. Soll er begründet werden? — Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil der Antragsteller gern möchte, daß sein Antrag auch angenommen wird, darf er vorweg ein Wort zu der Form dieses Antrages sagen. Er mag manchem etwas einseitig vorkommen, weil er nur Unterschriften aus einer Fraktion trägt. Ich darf Ihnen aber sagen, daß ich Gespräche auch mit Damen und Herren der anderen Fraktionen gehabt habe, daß dort auch Sympathie für diesen *) Siehe Anlage 7**) Siehe Anlage 10Antrag besteht und daß die Unterschriften nur an technischen Schwierigkeiten gescheitert sind.
— Nein, es waren dazu noch Beschlüsse aus Arbeitskreisen erforderlich, die nicht herbeizuziehen waren. Aber weil wir gerade von der Technik sprechen, möchte ich Ihnen sagen: Ich habe bei dieser Gelegenheit gelernt, daß das Einbringen eines so einfachen Antrages für einen Abgeordneten, der hier ständig gegen die Arbeitsbedingungen dieses Hauses zu kämpfen hat, doch gewisse Schwierigkeiten hat. Ich würde glatt sagen, an einem Tage, an dem man einen solchen Antrag einbringen möchte, könnte man auf das Tagegeld verzichten und Kilometergeld nehmen, dann käme man wahrscheinlich besser weg.
Nun zu dem Antrag selbst! Der Berichterstatter, Herr Kollege Hirsch, sprach davon, daß die Polizei oder die Polizisten schlechthin vor diesem neuen Rechtsgebiet Angst hätten. Nun, ich möchte sagen, so furchtsam sind die Polizisten eigentlich nicht; aber sie sind doch gegen gewisse Aspekte, die zunächst einmal aus dieser neuen Materie auf sie zukamen, allergisch gewesen, oder ich möchte sagen: sie haben auch recht allergisch reagiert, und das nicht immer zu Unrecht.Ich möchte zuerst das ausräumen, was dabei unstreitig sein könnte, soweit es uns hier angeht. Sie haben zunächst einmal wirklich befürchtet, daß ein einfaches Überwälzen der Arbeitslast, unter der die Amtsgerichte zur Zeit stöhnen, auf die Polizei dazu führen könnte, daß man dort unter der Flut des Papiers ertrinkt, aus der sich jetzt schon die Justiz nicht mehr retten kann. Wenn es also wahr sein sollte, daß Amtsrichter unter diesem Berg von Strafverfügungen sich selbst solche Strafverfügungen ausgestellt haben, dann trifft die gleiche Befürchtung natürlich auch für den Polizisten zu, der meint, daß das jetzt einfach auf ihn übergewälzt werden sollte.Nun erinnere ich mich allerdings sehr gern daran, daß Bundesjustizminister Dr. Heinemann, als die Sache ins Rollen kam, sehr spontan in das Polizeipräsidium in Bonn gefahren ist, um sich anzuschauen, wie das dort abgewickelt werden kann, und er hat wirklich sehr gutes Anschauungsmaterial dafür bekommen, wie das in einem solchen Präsidium reibungslos übernommen werden kann. Nur, die Polizei in Deutschland ist leider so unterschiedlich strukturiert, daß das, was in einem Polizeipräsidium geht, schon drei Schritte weiter in einem Landkreis einfach zum Scheitern verurteilt sein muß, weil da einfach nicht der gleiche Polizeiapparat vorhanden ist.Wir freuen uns sehr darüber — wenn ich „wir" sage, so meine ich diejenigen, die in der Innenpolitik in dieser Sache tätig waren —, daß der Rechtsausschuß mit uns gemeinsam eine Empfehlung übernommen hat, die auch schon als Entschließung angenommen worden ist, in der die Länder aufgefordert werden, bei der Organisation der
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Hübnerneuen Verfahren zentrale Stellen einzurichten. Wenn das geschähe — was aber etwas außerhalb der Gewalt des Bundesgesetzgebers liegt —, dann wäre diese Befürchtung des Überwälzens und des Überflutens von der Polizei genommen.Allerdings muß dazu gesagt werden, daß wir hier hören mußten, daß es zur Zeit nur ein Land gibt, das sehr fortschrittlich reagiert hat, und das war Bayern. Wir wissen noch nicht, ob das ein Beispiel für die übrigen Länder sein wird.
— Herr Abgeordneter Schlager, ich freue mich, daß ich Ihnen das gern bestätigen kann.Ich darf dazu auch noch sagen: Diese zentralen Stellen können und dürfen nicht nur Stellen sein, in denen eine neue Art von Strafverfahren reibungslos abgewickelt werden kann, sondern wenn wir diese zentralen Stellen auch z. B. mit elektronischer Datenverarbeitung ausstatten, dann werden wir damit ein ganz neues Instrument gewinnen können, das wir in der Bundesrepublik überhaupt noch nicht kennen; wir bekämen dadurch die Möglichkeit in die Hand, durch Analysen auch auf dem Gebiet der Unfallvorbeugung erfolgreicher zu arbeiten. Durch blitzschnelle Analysen kann man hier sowohl Neigungstäter auslesen als auch Mängel an Verkehrsanlagen erkennen usw. Mit einem Wort, folgen die Länder der Empfehlung, wäre das alles ausgeräumt.Eine zweite Angst bleibt aber bestehen.
— Zu dem komme ich jetzt. Wenn Sie noch etwas Geduld mit mir haben, Herr Dr. Stark, dann werden Sie zum Schluß überrascht feststellen, daß das alles zur Sache gehörte.
Herr Kollege, ich hätte auch darum gebeten, daß Sie jetzt einmal etwas zu dem Antrag sagen. Das wäre sehr liebenswürdig.
Sofort. Ich hoffe, Herr Präsident, Sie werden die Überraschung des Herrn Dr. Stark teilen, daß das zur Sache gehört.
Ich lasse mich von nichts überraschen.
Vielleicht wird eine Überzeugung daraus, Herr Präsident.
Die zweite Furcht — damit bin ich aber für jeden erkennbar im Zentrum der Sache — ist, daß der Polizist meint, er würde zum Büttel, wenn er jetzt mit neuen Möglichkeiten überschüttet wird, Strafen dort auszusprechen, wo der Richter es nicht mehr tut. Sie zu nehmen, erfordert, daß die Verwaltungsvorschrift des Verkehrsministers eine Regel aufstellt und nicht eine feste Taxe vorsieht, wie es in den Tageszeitungen schon zu lesen war.
Das andere betrifft das Fahrverbot. Da, wie gesagt, muß die Sache anknüpfen; woanders ging es
nicht. Die Begründung der Regierung spricht da von einer Denkzettelmaßnahme. Eine Denkzettelmaßnahme in der Hand einer Verwaltungsbehörde sollte nicht zu einem Instrument werden, das Konsequenzen hat, die die Verantwortung einer Verwaltungsbehörde überschreiten müssen. Wenn wir, wie der Antrag, den ich hier vertrete, es erheischt, das Fahrverbot durch Verwaltungsbehörden auf eine Dauer von vier Wochen beschränken, dann kann man noch von einer Denkzettelmaßnahme sprechen. Was darüber hinausgeht, muß für den Berufskraftfahrer auf jeden Fall, aber auch für denjenigen, der bei seinem Beruf auf ein Auto angewiesen ist, an die Grenze der Existenzgefährdung oder darüber hinaus gehen.
Genau das soll vermieden werden. Kein Mensch spricht hier dagegen, daß Führerscheine auch für längere Zeit entzogen oder ganz eingezogen werden können. Es gilt nur, die Grenze der Verantwortung dafür zu ziehen. Hier ist die Konfliktslinie zwischen den Juristen, die eine Ideallösung suchen, und den Praktikern, die sehen, wie es draußen aussehen wird.
Nun ist eingewendet worden, daß ohnehin schon Verwaltungsbehörden und auch Gerichte den Führerschein ganz entziehen können, insoweit also gar keine Neuerung eintritt. Dazu ist allerdings zu bemerken, dáß das Entziehen wirklich ein ganz anderes Rechtsinstrument ist. Das Entziehen durch eine Verwaltungsbehörde bedeutet nur, daß der Grund für die Erteilung einer Fahrgenehmigung entfallen ist, infolge mangelnder Eignung oder sonst etwas. Das ist also eine weitere Verwaltungsmaßnahme und kann nicht als eine Denkzettel- oder Strafmaßnahme gesehen oder damit verglichen werden.
Mit einem Wort: indem ich auch darauf verweise, daß das Strafgesetzbuch mit § 42 m es dem Richter noch wie vor in die Hand gibt, die Fahrerlaubnis zu entziehen, möchte ich dafür plädieren, daß wir in die Verantwortlichkeit von Behörden allenfalls stellen, ein Fahrverbot bis zu einem Monat auszusprechen. Die Kollegen aus dem Rechtsausschuß möchte ich, nachdem der Herr Abgeordnete Hirsch schon gesagt hat, man habe sich bereits im Schattenspringen geübt, bitten, noch diesen letzten Schattensprung zu tun. Dann haben wir ein schönes, rundes Gesetz gemacht.
Das Wort hat der Abgeordnete Picard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser ausgezeichneten rhetorischen Leistung, für die ich meinem Kollegen Hübner ein Kompliment machen möchte, darf ich ganz kurz einmal auf den Wortlaut im § 25 eingehen. Der § 25 Abs. 1 lautet:Wird gegen den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24, die er unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, eine Geldbuße festgesetzt, so kann ihm die Verwaltungsbehörde oder das Gericht in der Buß-
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Picardgeldentscheidung für die Dauer von einem Monat bis zu drei Monaten verbieten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen.Der Kollege Hübner hat sich gegen die Bestimmung „drei Monate" gewandt; er möchte also auch nach § 25 den Gerichten nicht die Möglichkeit geben, über einen Monat hinauszugehen. Ist das richtig?
Zum zweiten ist dazu folgendes zu sagen. Geben wir in § 25 die Möglichkeit, zwischen einem und drei Monaten zu variieren, nicht, so besteht die große Gefahr, daß der Fahrer eines Kraftfahrzeugs bei Entzug des Führerscheins auf, sagen wir einmal, herkömmliche Weise eine wesentlich längere Zeit braucht, bis er wieder in den Genuß desselben kommt.Ich möchte also im Umkehrschluß zu dem, was Sie, Herr Kollege Hübner, ausgeführt haben, sagen: Es liegt gerade im Interesse des Kraftfahrers, bei der Regelung des § 25 zu bleiben, weil — im Durchschnitt gesehen — derjenige Kraftfahrer, der einen Entzug des Führerscheins für eine Zeit zwischen einem und drei Monaten hat hinnehmen müssen, bei der Beibehaltung der Regelung nach § 25 in aller Regel schneller wieder in den Genuß desselben kommt als auf andere Weise.
Meine Damen und Herren, hierbei spielt auch noch eine andere Frage eine Rolle, ob nämlich die Polizei damit eine zu große Gewalt für Eingriffe in die Freiheit des Bürgers bekommt. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Jedem steht auch in Zukunft der Rechtsweg offen.Ich möchte also dafür plädieren, und zwar im Interesse derer, die, wie ich, Kraftfahrer sind, es bei der Regelung des § 25 zu belassen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich möchte in bezug auf das Fahrverbot nur auf folgendes aufmerksam machen. Vorhin wurde schon von Herrn Kollegen Busse darauf hingewiesen, daß sich nach Verabschiedung der Strafrechtsreform die Notwendigkeit ergeben werde, auch dieses Ordnungswidrigkeitengesetz zu überprüfen. Das könnte auch bezüglich der Bestimmung über das Fahrverbot durchaus der Fall sein. Wir Freien Demokraten haben, wie Ihnen bekannt ist, den Alternativentwurf der Professoren eingebracht. In diesem Alternativentwurf ist das Fahrverbot als eine selbständige Strafe ausgestaltet.
Wir werden uns bei der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform noch einmal eingehend mit dieser Frage befassen müssen. Je nachdem, welche Entscheidung im Sonderausschuß getroffen wird, werden sich auch entsprechende Konsequenzen für diese Bestimmung
im Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz ergeben. Ich wollte jetzt schon darauf aufmerksam machen.
Es kann sich nachher die Frage ergeben, ob es überhaupt richtig ist, ein Fahrverbot in dieses Gesetz aufzunehmen. Ich möchte diese Frage im Augenblick nicht entscheiden. Über die Frage, ob das Fahrverbot für einen oder für drei Monate ausgesprochen werden soll, kann man verschiedener Auffassung sein. Ich werde für den Änderungsantrag stimmen, weil ich befürchte, daß bei drei Monaten erheblich häufiger die Herbeiführung gerichtlicher Entscheidungen gegen einen entsprechenden Bescheid verlangt wird, was dem Prinzip einer schnellen und reibungslosen Abwicklung widerspräche.
Die praktische Handhabung des Gesetzes wird zeigen, ob meine Befürchtungen zutreffen oder nicht.
Meine Damen und Herren, zu diesem Antrag liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 377 ') zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer dem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, es ist sehr schwierig. Wenn es geht, möchte ich dem Hause die Auszählung ersparen. Also versuchen wir es noch einmal durch Aufstehen. Wer zustimmen will, möge sich erheben. — Die Gegen- I probe, bitte! — Es ist nicht möglich, eine gerechte Entscheidung zu fällen. Wir müssen auszählen.
Ich gebe das Resultat der Abstimmung bekannt. Es haben abgestimmt 265 Abgeordnete: 110 Ja-Stimmen, 155 Nein-Stimmen. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt § 23 auf Seite 27 der Vorlage bis einschließlich Art. 130 auf. Wer diesen aufgerufenen Artikeln, zu denen kein Änderungsantrag vorliegt, zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Einstimmig angenommen.
Ich rufe dann den Art. 130 a auf, zu dem der Änderungsantrag der Abgeordneten Hirsch und Genossen auf Umdruck 368 **) vorliegt. Wird der Antrag begründet? — Der Herr Abgeordnete Hirsch hat das Wort.
Dieser Antrag ist völlig unproblematisch, wie Sie schon aus den drei Unterschriften ersehen können. Hier geht es nur darum, daß ein weiteres Gesetz in die Regelung des Einführungsgesetzes einbezogen werden muß. Das ist selbstverständlich.
Keine Wortmeldungen zu diesem Antrag? — Dann kommen wir zur Abstimmung.*) Siehe Anlage 10 **) Siehe Anlage 11
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Vizepräsident Dr. MommerWer dem Änderungsantrag Umdruck 368 zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir stimmen nun über die weiteren Artikel des Gesetzes ab, zu denen kein Änderungsantrag vorliegt, und zwar bis Art. 157, sowie über die Einleitung und die Überschrift. Wer den aufgerufenen Artikeln sowie der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Wir kommen zurück zu dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten — Drucksache V/2600 —, und zwar zu § 93, den wir vorhin ausgespart hatten. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Kuchtner, Dr. h. c. Güde und Köppler auf Umdruck 381 *) vor. Wer wünscht zu diesem Antrag das Wort? — Das Wort wird nicht gewünscht.Wer dem Antrag zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Wer ihn ablehnen will, gebe das Zeichen. — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Damit ist die zweite Beratung der beiden Gesetzentwürfe beendet.Wir kommen zurdritten Beratungdes Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten — Drucksache V/2600 —. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort in der dritten Beratung gewünscht? — Bitte, Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erschrecken Sie nicht! Ich werde das Haus nicht mehr lange hinhalten, sondern nur für die Fraktion der CDU/CSU sagen, daß wir den Gesetzentwurf in der soeben beschlossenen Fassung begrüßen. Wir sehen in ihm nicht nur eine technische Änderung des Verfahrens, sondern die Chance, daß hier durch schnelleres und angebrachteres Ahnden von Verkehrsverstößen eine gewisse Verbesserung der Verkehrssicherheit und der Ordnung auf unseren Straßen herbeigeführt werden kann.
Es wird behauptet, es gehe hier um eine rein technische Änderung, und es werde sich überhaupt nichts ändern. Dieser Behauptung muß entschieden widersprochen werden. Es wird auch die Polizei nicht allzusehr zusätzlich belastet. Die vorgebrachten Einwände sind in der Sache nicht zutreffend. Es kommt jetzt alles darauf an, dieses Gesetz modern und mit modernen Mitteln zu handhaben. Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß Zentralbehörden der Länder eingerichtet und die Bußgeldbescheide auch mit dem Computer erlassen werden können. Davon, daß dies gelingt, wird es abhängen, Herr Bundesjustizminister, ob dieses Gesetz wirklich das hält, was wir uns von ihm versprechen.
*) Siehe Anlage 6
Zum Schluß möchte ich sagen: Es hängt nicht allein vom Gesetzgeber ab, ob der gewünschte Erfolg eintritt, sondern es hängt davon ab, ob wir durch intensivere Verkehrserziehung mehr Menschen, mehr Kraftfahrer dazu bringen, aus Einsicht und Verantwortung die Verstöße, die wir hier ahnden wollen, gar nicht erst zu begehen. Wenn uns das gelingt, ist das mehr wert, als wenn wir zum Schluß eine große Erfolgszahl von Vorbestraften oder mit Bußgeldbescheiden Belegten haben. Das sollte unser Anliegen sein.
Ich bitte die Bundesregierung, das Inkrafttreten dieses Gesetzes vielleicht zum Anlaß zu nehmen, die Verkehrserziehung zu verstärken und einen Appell an alle Kraftfahrer zu richten, diese Gelegenheit wahrzunehmen, um zu einer größeren Verantwortung und Verkehrsdisziplin auf unseren Straßen zu kommen.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die dritte Beratung.Wer dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten in dritter Beratung zustimmen will, der möge sich erheben. — Danke. Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Eine Enthaltung, im übrigen einstimmig angenommen.Wir kommen zurdritten Beratungdes Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Wer dem Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten zustimmen will, möge sich erheben. — Danke. Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; das Gesetz ist einstimmig angenommen.Dann rufe ich Punkt 16 der Tagesordnung auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines . . . Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
— Drucksache V/1086 —b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Besoldungsrechts
— Drucksache V/2635 —Die Begründung wird von der Bundesregierung zu Protokoll gegeben. *)
Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Wer mit dem Überweisungsvorschlag ,den Sie vor sich*) Siehe Anlage 16
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8503
Vizepräsident Dr. Mommerhaben, einverstanden ist, den bitte ich um das Zeichen. — Danke. Das ist einstimmig so beschlossen.Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages
— Drucksachen V/2526, V/2575 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache V/2760 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Götzb) Schriftlicher Bericht des Vorstandes des Deutschen Bundestages— Drucksachen V/2754, zu V/2754 Berichterstatter: Abgeordneter BergerAbgeordneter Frehsee
Ich frage die Herren Berichterstatter, ob sie das Wort wünschen. — Der Berichterstatter, Herr Berger, hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich als Berichterstatter noch einige wenige Punkte zu dem Schriftlichen Bericht hinzufüge. Insbesondere liegt mir daran, noch einmal in aller Kürze die wichtigsten Gründe zu erläutern, die für die Einführung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung für Abgeordnete maßgebend gewesen sind. Der Gesetzgeber erfüllt mit der Einführung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung einen Verfassungsauftrag, der sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ergibt. Nach Art. 48 Abs. 3 haben die Abgeordneten nämlich Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Notwendiger Bestandteil dieser Unabhängigkeit ist eine ausreichende Alterssicherung und Versorgung der Witwen und Waisen.Der Vorstand des Deutschen Bundestages hat sich aus aktuellen Anlässen in den letzten Jahren immer wieder mit der Frage der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Abgeordneten befaßt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist das Ergebnis jahrelanger eingehender und sorgfältiger Bemühungen und Prüfungen.Die Notwendigkeit und Rechtfertigung der Alters-und Hinterbliebenenversorgung ergibt sich ferner aus der Tatsache, daß die meisten Mitglieder des Bundestages neben der parlamentarischen Tätigkeit, die ihre ganze Arbeitskraft voll in Anspruch nimmt, ihren erlernten Beruf nicht weiter ausüben können. Sie sind daher nicht in der Lage, selbst für die Sicherung im Alter, bei Gesundheitsbeschädigung oder Tod in einem so ausreichenden Umfange Sorge zu tragen, daß sie und ihre Familien vor materieller Not und einem sozialen Abstieg bewahrt bleiben. Insbesondere hat die Erfahrung der vergangenen Wahlperioden gezeigt, daß auch die bisherige Todesfallversicherung nicht ausreicht, um die Versorgung der Hinterbliebenen sicherzustellen undHärtefälle zu vermeiden. In einem sozialen Rechtsstaat muß auch den Abgeordneten ein Anspruch auf eine angemessene Alters- und Hinterbliebenenversorgung zugebilligt werden.Nicht zuletzt ist aber die Einführung der Alters-und Hinterbliebenenversorgung aus parlamentspolitischen Gründen notwendig. Insbesondere soll durch die Alters- und Hinterbliebenenversorgung künftig auch denjenigen Staatsbürgern die Möglichkeit erleichtert werden, als Abgeordnete im Bundestag tätig zu sein, die bisher wegen des mit der Übernahme eines Bundestagsmandats für sich und ihre Familie verbundenen Risikos eines ungesicherten Lebensabends und wegen der mangelnden Versorgung bei Gesundheitsbeschädigung oder Tod davor zurückschrecken. Das gilt insbesondere für die freiberuflich Tätigen, für die Ärzte z. B., Journalisten, Steuerberater, Architekten, Handwerker, die in der Wirtschaft Tätigen und diejenigen, die bisher im Bundestag kaum vertreten sind. Im Interesse der politischen Ausgewogenheit des Parlaments soll vermieden werden, daß überwiegend finanziell unabhängige Politiker und solche, die eine Alters-und Hinterbliebenenversorgung bereits haben, für den Bundestag kandidieren und damit die Gefahr einer einseitigen Zusammensetzung des Parlaments entsteht.Erst nach langen und eingehenden Beratungen hat sich der Bundestagsvorstand zu der Erhöhung der Aufwandsentschädigung entschlossen. Er war einstimmig der Auffassung, daß es bei der bisherigen Höhe der Aufwandsentschädigung dem einzelnen Abgeordneten nicht zuzumuten ist, seine Eigenleistung zu der Alters- und Hinterbliebenenversorgung aus dieser Aufwandsentschädigung zu erbringen.Bei dieser Gelegenheit möchte ich einmal feststellen, daß die Aufwandsentschädigung des Abgeordneten zur Zeit 1590 DM beträgt. Das ist entgegen einer weitverbreiteten Meinung in der Öffentlichkeit auch in etwa der Betrag, der dem Abgeordneten nach Abzug aller Unkosten, z. B. der Kosten für die doppelte Haushaltsführung, Miete, Verpflegung usw., Fraktions-, Parteibeiträge usw., zur Bestreitung des Lebensunterhalts für sich und seine Familie verbleibt. Bei der Feststellung dieses Betrages müssen die Bürokostenpauschale und die Reisekostenpauschale außer Betracht bleiben, da diese für die anfallenden personellen und sachlichen Bürokosten sowie für die Kosten der Unterhaltung und Benutzung eines Kraftwagens voll verwendet werden und Ersparnisse zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus diesen Beträge nicht zu erzielen sind.Die Frage, ob die Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach dem Versicherungsprinzip mit einer entsprechenden Eigenleistung des Abgeordneten oder in Form einer staatspensionsähnlichen Versorgung ohne Selbstbeteiligung durchgeführt werden sollte, hat den Vorstand des Bundestages eingehend beschäftigt. Letztlich hat er der versicherungsrechtlichen Lösung den Vorzug gegeben, weil diese dem Status sui generis des Abgeordneten am besten entspricht und sich strukturkonform in bereits bestehende Alters- und Hinterbliebenenversorgungssysteme unserer Rechts- und Sozialordnung einfügt.
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8504 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
BergerDer Bundestagsvorstand hat auch eingehend die Frage geprüft, ob zur Durchführung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung Verträge mit einer privaten Versicherungsgesellschaft abgeschlossen werden sollen oder ob die Bundestagsverwaltung eine eigene Versicherung einrichten soll. Mit der Formulierung des Satzes 1 im § 4, die lautet:Für eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung aller Mitglieder des Bundestages wird eine Versicherung abgeschlossen,sollte keine Vorentscheidung in dieser Frage getroffen werden. Der Bundestagsvorstand geht davon aus, daß vor dem etwaigen Abschluß eines Vertrages mit einer oder mehreren Versicherungsgesellschaften eine öffentliche Ausschreibung und eingehende Prüfung der Angebote erfolgen wird und erst dann die Entscheidung fällt, ob Verträge mit einer privaten Versicherungsgesellschaft abgeschlossen werden sollen oder ob eine eigene Versicherung eingerichtet wird.Lange Zeit hat der Vorstand des Deutschen Bundestages auch die Frage geprüft, ob und inwieweit Einkommen oder Versorgungsbezüge in und außerhalb des öffentlichen Dienstes auf die Alters- und Hinterbliebenenversorgung anzurechnen sind. Nach eingehender Prüfung hat der Vorstand einstimmig beschlossen, von einer vollen oder teilweisen Anrechnung sonstiger privater oder öffentlich-rechtlicher Einkommen oder Versorgungsbezüge abzusehen. Sonst würde leicht zweierlei Recht geschaffen, was zu Unzuträglichkeiten führen könnte, da wir davon ausgehen, daß alle Abgeordneten die gleichen Pflichten und die gleichen Rechte haben. Der Bundestagsvorstand ist auch zu der Erkenntnis gekommen, daß eine exakte Feststellung und etwaige Anrechnung aller sonstigen Einkommen oder Bezüge kaum oder nur mit größten Schwierigkeiten möglich ist und daß die Gefahr ungerechter Belastungen der einzelnen Abgeordneten nicht ausgeschlossen werden kann.Auch die Frage der Besteuerung der Aufwandsentschädigung ist schon seit Jahren in einer Unterkommission des Bundestagsvorstands erörtert worden. Der Gesamtvorstand hat sich an Hand gutachtlicher Stellungnahmen davon überzeugt, daß die Frage der Besteuerung grundlegende Probleme aufwirft, die noch einer eingehenden Prüfung bedürfen. Außerdem wäre mit einer Besteuerung wohl die Notwendigkeit verbunden, die Aufwandsentschädigung über den jetzigen Rahmen hinaus zu erhöhen. Das aber erschien im gegenwärtigen Zeitpunkt und ohne abschließende Prüfung aller damit zusammenhängenden rechtlichen und finanziellen Fragen nicht möglich.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß der Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung schriftlich vorliegt. — Wir danken dem Berichterstatter für den mündlichen Bericht.
Ich rufe nun die einzelnen Paragraphen des Gesetzentwurfs auf. Zu §§ 1, 2 und 3 liegen keine Änderungsanträge vor. Wer den drei aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich rufe dann § 4 auf. Zu § 4 liegen zwei Änderungsanträge vor, und zwar auf Umdruck 374 *) und auf Umdruck 382 **).
Zu dem Antrag Umdruck 374 hat das Wort der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Berichterstatter hat sich in seinem vorzüglichen Bericht, den er im Namen des Bundestagsvorstandes hier soeben gegeben hat, ausführlich mit dem § 4 des Diätengesetzes 1968 befaßt und den Standpunkt vertreten, daß der Satz 1 des § 4 keinerlei präjudizielle Bedeutung habe. Diesem Standpunkt kann die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei nicht beitreten.Es heißt ausdrücklich in diesem ersten Satz, daß eine Versicherung für die Alters- und Hinterbliebenenversorgung abgeschlossen werden soll, d. h. daß mit einem öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Versicherungsträger ein Gruppenversicherungsvertrag oder aber Einzelversicherungsverträge für die Mitglieder des Bundestages abgeschlossen werden. Das, meine Damen und Herren, ist mit erheblichen Kosten verbunden.Die Fraktion der SPD stützt sich auf ein Gutachten, das der Bundestagsvorstand zu dieser Frage herbeigezogen hat. In diesem Gutachten heißt es — Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, aus diesem Gutachten eine Stelle zu zitieren —:Von der Einschaltung von Versicherungsträgern öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Art sollte abgesehen werden. Der Bund hat den Grundsatz der Selbstversicherung, der auch in diesem Falle richtig ist, weil der Gesamtaufwand und das Risiko des Bundeshaushalts für längere Zeit — wenn auch nicht genau — vorauszuberechnen ist und weil Aufwand und Risiko nicht in einem Verhältnis zum Gesamtetat des Bundes stehen, das aus unvorhergesehenen Gründen gefährlich werden kann. Die Einschaltung eines Versicherungsträgers würde die Aufwendungen aus dem Bundesetat erhöhen; dies sollte vermieden werden, zumal alle Kosten für die Altersversorgung vom Bundesetat getragen werden müssen.Sie müssen auch dann, wie der Herr Berichterstatter ausgeführt hat, vom Bundesetat getragen werden, wenn wir das versicherungsrechtliche Prinzip dieser Alters- und Hinterbliebenenversorgung für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, was wir nun alle wollen und nicht mehr in Zweifel ziehen, zugrunde legen.*) Siehe Anlage 12 **) Siehe Anlage 13
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8505
FrehseeMir ist bekannt, meine Damen und Herren, daß die Unterzeichner des Antrags auf Umdruck 382 -ich darf, Herr Präsident, darauf hinweisen, obschon er noch nicht begründet ist — Zweifel hegen, ob nach dem Antrag der SPD auf Umdruck 374 fair die Alters- und Hinterbliebenenversorgung das versicherungsrechtliche Prinzip gesichert ist.Meine Damen und Herren, für alle Sozialpolitiker in diesem Hause, für alle, die mit der Sozialpolitik irgendwann einmal ein wenig zu tun gehabt haben, ist das ganz klar. Wenn hier steht: „Für eine Alters-und Hinterbliebenenversorgung leisten alle Mitglieder des Bundestages einen Beitrag von fünfundzwanzig vom Hundert der Aufwandsentschädigung nach § 1", dann ist das das versicherungsrechtliche Prinzip. Denn nur zu einer Versicherung leistet man einen Beitrag. Zu einer Pension leistet man keinen Beitrag; die kriegt man von dem Brotherrn. Ich will die Theorie der Beamtenpensionen und ihre Begründung hier nicht aufwärmen. Aber die Beamten zahlen nicht wie Angestellte und Arbeiter von jedem Gehalt, von jedem Lohn einen Beitrag für ihre Altersversorgung.Es ist also ganz eindeutig, meine Damen und Herren, daß der Antrag der SPD auf Umdruck 374 das versicherungsrechtliche Prinzip beinhaltet. Das Motiv für diesen Antrag ist das gleiche, das für den Gutachter — es ist ein sehr hoher Herr gewesen —maßgebend gewesen ist: Wir wollen überflüssige Geldausgaben einsparen. Wenn wir eine Privatversicherung mit der Durchführung dieser Alters- und Hinterbliebenenversorgung beauftragen, kostet das eine siebenstellige Summe. Ich will nicht weiter gehen. Ich will keine genaue Zahl nennen. Aber es kostet eine siebenstellige Summe. Wie wir meinen, können wir uns diese Ausgabe ersparen.Das ist das Motiv für den Antrag der SPD, und ich bitte Sie sehr, dem Antrag auf Umdruck 374 zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns zunächst die Begründung des anderen Änderungsantrags zum selben Paragraphen anhören. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen mit idem Ziel des Antrags der SPD überein. Wir wollen genauso die Wahlmöglichkeit offenlassen, die Leistungen aus der Alters- und Hinterbliebenenversorgung entweder durch Abschluß eines privaten Versicherungsverhältnisses oder durch eine Selbstversicherung in diesem Hause garantieren. Aber wir glauben, daß es doch zumindest notwendig ist, in diesem Gesetz die Prinzipien, nach denen eine solche Regelung getroffen werden soll, festzulegen. Wir haben deshalb in unseren Antrag Umdruck 382 ausdrücklich die Formulierung aufgenommen, daß die Versorgung „auf Versicherungsgrundlage geschaffen" werden soll.
Meine Damen und Herren, auf dieser Grundlage basiert eine ganze Reihe von anderen Paragraphen des vorliegenden Gesetzentwurfs. Um auch diese Bestimmungen nicht zu gefährden, wollen wir ausdrücklich verankert haben, daß die Versorgung auf Versicherungsgrundlage geschaffen wird. Wenn wir in der Sache, Herr Kollege Frehsee, so einig sind, wie Sie es darstellen, würde ich auch keinen Grund sehen, warum wir der ausdrücklichen Formulierung „auf Versicherungsgrundlage" widersprechen sollten.
Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag Umdruck 382*) zuzustimmen und den Antrag der Fraktion der SPD abzulehnen.
In der Aussprache Ober die beiden Anträge hat der Herr Abgeordnete Mertes das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausschußvorlage enthält als Grundprinzip die versicherungsrechtliche Regelung. Nach meiner Beurteilung wird dieses Grundprinzip — und da glaube ich dem, was der Kollege Frehsee hier vorgetragen hat — weder durch den Änderungsantrag auf Umdruck 374 noch durch den Änderungsantrag auf Umdruck 382 durchbrochen. Es kann durchaus zweckmäßig sein, sich nicht von vornherein auf die Einschaltung von Versicherungsunternehmungen festzulegen.
Wir Freien Demokraten sind aber der Meinung, daß es notwendig ist, im ersten Satz des § 4 diese Grundlage, dieses Grundprinzip, noch einmal hervorzuheben. Das geschieht in dem Antrag des Kollegen Wagner und Genossen durch den Begriff „Versicherungsgrundlage". Wir Freien Demokraten werden also dem Änderungsantrag auf Umdruck 382 zustimmen.
Das Wort zu diesen Änderungsanträgen wird nicht mehr gewünscht. Dann müssen wir zunächst entscheiden, welcher der beiden Anträge der weitergehende ist. Ich entscheide, daß der Antrag Umdruck 374 der weitergehende ist. Wir stimmen zuerst über diesen Antrag ab.Wer dem Antrag Umdruck 374, eingebracht von der SPD-Fraktion, zustimmen will, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! — Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Wir entscheiden dann über den Antrag Umdruck 382, vorgelegt von den Kollegen Wagner, Pohle und Genossen. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe das Handzeichen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen ist der Antrag im übrigen einstimmig angenommen.Wer dem § 4 in der geänderten Fassung zustimmen will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! —*) Siehe Anlage 13
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8506 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Vizepräsident Dr. MommerEnthaltungen? — Bei einer Gegenstimme angenommen.Ich rufe die §§ 5 bis 18 auf, zu denen kein Änderungsantrag vorliegt. Wer diesen Paragraphen zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ohne Enthaltung angenommen.Ich rufe § 19 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Serres und Genossen auf Umdruck 370*) vor. Ich frage, ob der Antrag begründet wird. — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wagner.
Meine Damen und Herren! Wir waren uns einig, daß mit der vorgesehenen Bestimmung eine Gleichstellung der Mitglieder des Europarates und der Beratenden Versammlung der Westeuropäischen Union erfolgen sollte. Deren Aufgaben und Leistungen scheinen uns in etwa gleichwertig zu sein. Wir mußten uns davon überzeugen, daß die Gleichbehandlung nicht garantiert ist, wenn wir nur das Wort „Tagegeld" aufnehmen. Wir müssen den weiterreichenden Begriff „Reisekostenvergütung" nehmen. Um dieses Ziel zu erreichen, bitte ich Sie, dem Antrag Serres zuzustimmen.
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Umdruck 370 zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Wer dem § 19 in der neuen Fassung zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen ohne Enthaltungen angenommen.
Ich rufe die §§ 20 bis 28, die Einleitung und die Überschrift auf. Wer diesen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, gebe das Zeichen. — Gegenprobe! — Gegen einige Stimmen angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und rufe zur
dritten Beratung
des Diätengesetzes 1968 auf. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wer wünscht das Wort? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wagner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Diätengesetzes in diesem Hohen Hause beraten wird, hat es in der Öffentlichkeit viel Kritik gegeben. Wir haben uns im Vorstand des Bundestages mit diesen kritischen Bemerkungen auseinandergesetzt, haben sie gewürdigt und haben aus ihnen auch manche wertvolle Anregung genommen. Es ist aber nicht nur Aufgabe dieses Hauses, Kritik zu würdigen; dieses Haus ist auch verpflichtet, im Interesse seiner Mitglieder das Notwendige zu tun.
Unsere Gesellschaftsordnung will, daß niemand im Alter ungeschützt steht. Vorsorge für das Alter
*) Siehe Anlage 14
und Vorsorge für die Familie sind gültige Grundsätze dieser Ordnung. Das Parlament ist in der schwierigen Lage, diese Frage für sich selbst lösen und entscheiden zu müssen. Solange wir hier in der Bundesrepublik nicht eine ähnliche Einrichtung haben wie die Briten mit der Royal Commission — für eine solche Lösung wäre ich —, muß dieses Parlament in eigener Sache entscheiden.
Die Vorbereitungszeit für das Gesetz zur Änderung des Diätengesetzes hat sich über mehrere Jahre erstreckt. In mehrmonatiger Beratungszeit haben wir uns in der eindeutigen Absicht, kein Sonderrecht zu schaffen, um Regelungen bemüht, denen die Prinzipien und Rechtsnormen zugrunde liegen, die wir auch in allen anderen Bereichen der Gesetzgebung anwenden. Am deutlichsten findet dieses Bemühen in der Tatsache seinen Ausdruck, daß die vorgesehene Alters- und Hinterbliebenenversorgung auf Versicherungsgrundlage geschaffen und nur durch einen beachtlichen Beitrag der Mitglieder dieses Hauses überhaupt ermöglicht wird. Dieses Gesetz tut das Notwendige, um dem Abgeordneten einen Teil der Sorgen für das Alter abzunehmen. Nach unserer Auffassung dient diese Regelung auch der Garantie seiner Unabhängigkeit, die Art. 48 des Grundgesetzes fordert.
Dieses Gesetz leistet auch einen Beitrag zur Sicherung der Hinterbliebenen. Zahlreiche Todesfälle insbesondere in der jüngsten Zeit haben ganz kraß deutlichgemacht, welche Härten ohne diese Vorsorge entstehen können.
Dieses Gesetz schafft auch Voraussetzungen, die die immer wieder notwendige Erneuerung des Parlaments erleichtern und es auch in Zukunft möglich machen, hochqualifizierte Kräfte für die Mitarbeit in diesem Hause zu gewinnen. Gerade sie zögern oft, ihren Beruf, der ihnen eine ausreichende Sicherung für das Alter garantiert, zugunsten eines Mandats in diesem Hause aufzugeben.
Die ausgeschiedenen Kollegen und die Hinterbliebenen ehemaliger Kollegen in die Leistungen aus diesem Gesetz mit einzubeziehen, entsprach dem natürlichen Gedanken der Loyalität.
Wir sind insbesondere dankbar, daß mit diesem Gesetz auch die Bedingungen, unter denen die Mitglieder dieses Hauses zu arbeiten haben, verbessert werden.
Freilich bleiben noch Fragen offen, die einer umfassenden Prüfung hinsichtlich der rechtlichen Auswirkungen und hinsichtlich der finanziellen Konsequenzen bedürfen, wie beispielsweise das Problem der Besteuerung der Diäten überhaupt, mit dem der gesamte Fragenkreis um den Status des Abgeordneten angesprochen ist. Dieses Thema, meine Damen und Herren, bleibt auf der Tagesordnung und wird weiter untersucht.
Die Fraktion der CDU/CSU stimmt dem vorliegenden Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8507
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag entscheidet heute einmal in eigener Sache. Entscheidungen in eigener Sache sind manchmal sehr schwer. Die Entscheidung, die der Bundestag heute zu fällen hat, ist zudem unpopulär. Aber sie kann ihm nicht abgenommen werden. Der Bundestag ist das Gesetzgebungsorgan; niemand kann ihm die Entscheidung über diese unpopuläre Einführung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung der Abgeordneten abnehmen.
Mancher im Lande draußen ist der Meinung, die Abgeordneten einigten sich über nichts so schnell wie über die Regelung ihrer eigenen materiellen Angelegenheiten. Aber die Diskussion über diese Alters- und Hinterbliebenenversorgung dauert schon acht Jahre. In diesem Falle trifft also die Vermutung besonders wenig zu, daß sich der Bundestag in eigenen Angelegenheiten immer sehr schnell einig werde.
Immer wieder hat der Bundestag die Einführung dieser Alters- und Hinterbliebenenversorgung hinausgeschoben. Nun ist es angesichts der sozialen Verhältnisse vieler ehemaliger Kollegen und der Hinterbliebenen verstorbener Kollegen und auch angesichts der negativen parlamentspolitischen Folgen des Verzichts auf die Einführung einer Alters-und Hinterbliebenenversorgung nicht mehr zu verantworten, die Entscheidung darüber weiter hinauszuschieben.
Vielfach ist gefordert worden, der Bundestag möge nur eine Altersversorgung für solche Abgeordnete schaffen, die keine andere Alterssicherung haben. Das hieße, meine Damen und Herren, einen Unterschied zwischen Reichen und Armen in diesem Hause machen. Eine solche Vorstellung ist unerträglich. Der Zugang zum Parlament muß von sozialen Unterschieden freigehalten werden.
Es wäre aber auch nicht zu vertreten, ehemalige Abgeordnete von dieser Regelung auszuschließen, sie nicht in diese Alters- und Hinterbliebenenversorgung einzubeziehen
oder die Sonderregelung aufrechtzuerhalten, aus der viele unserer ehemaligen Kollegen jetzt Fürsorgeleistungen, Unterhaltskostenzuschüsse erhalten.
Das System dieser Alters- und Hinterbliebenenversorgung ist nicht sehr überzeugend. Das ist auf die ein wenig überstrapazierte Suche nach einer Lösung zurückzuführen, die den Abgeordneten so weit wie irgend möglich entfernt vom Beamtenstatus hält. Das ist das Motiv für diese Form der versicherungsrechtlichen Lösung, die wir hier eingeführt haben, mit einer Erhöhung der Grundaufwandsentschädigung der Abgeordneten. Das System, das wir jetzt einführen, ist am ehesten mit der Höherversicherung in der sozialen Rentenversicherung zu vergleichen. Das gilt übrigens auch für die Höhe der nach diesem Gesetz zu gewährenden Leistungen. Sie sind im Vergleich zu Altersbezügen,
die in der Wirtschaft gezahlt werden, und erst recht im Vergleich zu den Pensionen höherer Beamter nicht mehr als angemessen.
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei wird diesem Gesetz, das das Ergebnis langjähriger und sehr sorgfältiger Überlegungen ist und das einem unabweisbaren Bedürfnis entspricht, zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mertes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen meiner Fraktion habe ich die folgende Erklärung abzugeben.Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei stimmt dem Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages in der Fassung der zweiten Lesung zu. Der Entschluß wurde uns wesentlich erleichtert durch das Grundprinzip einer versicherungsrechtlichen Regelung, das nach wie vor in der Vorlage verankert ist. Die Vertreter der FDP-Fraktion haben von Anfang an in allen Besprechungen und bei allen Beratungen eine solche Lösung gefordert. Sie entspricht unserer geltenden Rechts- und Sozialordnung.Die Gründe, die in Ausführung des Art. 84 Abs. 3 des Grundgesetzes eine Änderung des bisherigen Diätengesetzes zwingend notwendig machen, sind von den Berichterstattern vorgetragen worden. Ich will das nicht wiederholen.Auch das Diätengesetz 1968 weist noch Mängel auf. Außerdem ist in den vergangenen Wochen deutlich geworden, in welch schwierige, ja, oft peinliche Lage jedes Mitglied des Deutschen Bundestages kommt, wenn es gezwungen ist, in eigener Sache zu entscheiden.Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei wird daher in Kürze einen Gesetzentwurf einbringen, nach dem ein Senat für Parlamentsfragen gebildet werden soll. Diesem Gremium sollen unabhängige Persönlichkeiten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens angehören, die weder Mitglied des Deutschen Bundestages sind noch waren. Der Senat für Parlamentsfragen wäre vom Herrn Bundespräsidenten zu berufen. Er hätte zu Beginn jeder Legislaturperiode ein Gutachten zur Aufwandsentschädigung der Bundestagsabgeordneten und zu allen damit in Zusammenhang stehenden Fragen sowie zur Unterstützung der Parlamentsarbeit durch Hilfskräfte zu erstatten. Dieses Gutachten soll veröffentlicht und dem Deutschen Bundestag zugeleitet werden. Nach Vorlage einer solchen unabhängigen Stellungnahme wird es dem Bundestag leichter fallen, Entscheidungen in den genannten Fragen zu treffen.Eine der ersten Aufgaben des Senats für Parlamentsfragen müßte es sein, zu prüfen, ob die Steuerfreiheit der Diäten noch in die heutige Zeit paßt und welche Konsequenzen gezogen werden müssen, wenn diese Frage verneint werden sollte. Dasselbe
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8508 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968
Mertesgilt für die übrigen Punkte, die in dem Entschließungsantrag auf Umdruck 380 aufgeführt sind.Nach Einbringung unseres Gesetzentwurfs wird es bei den beiden anderen Fraktionen dieses Hauses liegen, ob wir zu einer auch nach außen sichtbaren Objektivierung der Entscheidungen des Deutschen Bundestages in eigener Sache kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete van Delden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens eines Großteils der Unterzeichner des Antrags Drucksache V/2575 sowie des Entschließungsantrags Umdruck 380 *) möchte ich erklären, daß, soweit die Genannten dem Gesetz nicht zustimmen bzw. sich der Stimme enthalten, dies keineswegs bedeutet, daß sie grundsätzlich gegen eine Altersversorgung sind. Sie sind lediglich der Auffassung, daß es besser gewesen wäre, wenn die in Umdruck 380 niedergelegten Gesichtspunkte vorher ausdiskutiert worden wären.
Das Wort hat der Abgeordnete Brese.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe Ihre Unruhe gar nicht. Wir sind doch hier frei gewählte Abgeordnete, und man kann doch wohl seine Meinung sagen.
Ich habe in der ersten Lesung des vorliegenden Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Diätengesetzes von 1964 schon meine Ablehnung hier begründet. Dazu möchte ich zu Anfang meiner heutigen Ausführungen sagen, daß ich mich ganz entschieden gegen die Unterstellung verwahre, daß ich mich durch mein Auftreten zum Schaden meiner Kollegen aufwerten wolle und dabei das Ruhegehalt dann in Anspruch nehme. Von einer Seite wurde sogar behauptet, ich hätte eine Abhandlung im „Heimkehrer" veranlaßt, in der das Ansehen der Abgeordneten herabgesetzt worden sei. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, daß ich den Artikelschreiber des „Heimkehrer" nicht einmal kenne. Ich habe nicht solche engen Beziehungen zu den Journalisten.Wenn ich aber an die Zusagen denke, die den Spätheimkehrern von namhaften Abgeordneten gemacht worden sind, überrascht mich der Artikel allerdings durchaus nicht.
— Nein, ich kenne ihn nicht. Der Artikel überrascht mich nicht, wenn ich an die Zusagen namhafter Abgeordneter denke, die den Heimkehrern gemacht worden sind.
*) Siehe Anlage 15Doch zurück zu meinen Kritikern: Ich kann ihnennur den Rat geben, einmal meinen Wirkungskreis in meiner Heimat zu untersuchen. Sie werden feststeilen, daß ich in meinen Ehrenämtern und auch auf meinem Hof stets dieselben Gedanken vertrete wie hier und auch danach handle. Ich habe hier im Bundestag immer offen meine Meinung gesagt, ob es sich dabei um meinen Widerstand gegen Stellenvermehrungen handelte oder um die Einführung der Parlamentarischen Staatssekretäre. Ich habe mit meiner Meinung nie hinter dem Berge gehalten. Meine Bemühungen sind leider ohne Erfolg geblieben, weil mir die Mehrheit in diesem Hohen Hause nicht gefolgt ist. •So hat sich denn auch der Personalaufwand des Bundes im zivilen Bereich — diese Zahl sollte uns allen zu denken geben von 573 Millionen im Jahre 1952 auf das Neunfache, nämlich auf 5130 Millionen im Jahre 1968, erhöht. Dabei beträgt der Aufwand für die öffentlich Bediensteten in Bund, Ländern und Gemeinden jetzt bereits 35 Milliarden DM. Sie wissen, daß das für mich ein besonders wunder Punkt ist. Es ist daher kein Wunder, daß sich die Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden im Jahre 1967 um 14,8 Milliarden DM vergrößert haben.Die Schwierigkeiten wachsen. Wir, meine Herren, die wir im Haushaltsausschuß sitzen, wissen das. Im Haushalt 1968 klafft wieder eine Lücke von 2 Milliarden DM. Das sind alles Tatsachen; die kann man nicht übersehen. Darüber hinaus weiß kein Mensch, wie sich die währungspolitischen Ereignisse der letzten Zeit in der Welt auf die deutsche Wirtschaft auswirken. Genausowenig weiß man, wie sich die Importsteuer der USA auf den deutschen Export auswirkt. Wir werden in Zukunft zu vielen Wünschen nein sagen müssen. Deshalb dürfen wir unsere eigenen Ansprüche nicht übertreiben.Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Bundesbankpräsident Blessing, der es ja wissen muß, hat in letzter Zeit häufig warnende Worte an die Adresse des Staates, also an uns, gerichtet und auch einmal gesagt: „Schuld an der heutigen Malaise ist die Maßlosigkeit der Ansprüche." Das ist ganz meine Meinung. Einen solchen Weg gehen wir aber mit diesem Gesetz. Es stellt den Abgeordneten in der Altersverversorgung besser, als es in der Angestellten- und auch in der Privatversicherung möglich ist. Dabei wird an der steuerfreien Aufwandsentschädigung festgehalten. Es ist auch noch nicht endgültig geklärt, ob die Ausgaben für die Alterssicherung bei der Einkommensteuer als Sonderausgaben abzugsfähig sind und wie die Doppelversorgung geregelt werden soll. Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß § 17 des Gesetzes unnötig ausgeweitet ist. Die freie Benutzung von Flugzeugen vom nächsten Flugplatz des Abgeordneten nach Bonn hätte völlig genügt. Dann hätte der bisherige Ansatz im Haushalt 02 von 500 000 DM nicht auf 2 500 000 DM erhöht zu werden brauchen.Wenn ich bei all den Mängeln dieses Gesetzes dann an die Situation in meinem Wahlkreis denke, wo mir die Not der Bauern, die Sorge des Mittelstandes und die Existenzangst der Angestellten und
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 161. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 27. März 1968 8509
BreseArbeiter begegnen, bin ich nicht in der Lage, dem Gesetz zuzustimmen. Ich bitte daher, mit mir die Vorlage abzulehnen.
Noch eine Wortmeldung. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht auf einzelne Details oder Vergleiche eingehen. Lassen Sie mich in Ergänzung der Erklärung des Herrn Kollegen van Delden folgendes sagen. Wir sind der Auffassung, daß den Mandatsträgern aus ihrer Tätigkeit weder außergewöhnliche Vorteile noch unangemessene Nachteile entstehen sollen. Damit sprechen wir uns — ich meine damit diejenigen, die gegen die Zustimmung Bedenken haben — gegen eine generelle, den Einzelfall nicht berücksichtigende Regelung aus. Es dürfte der Stellung des Parlaments widersprechen — und darüber wäre zu reden , wenn seine Mitglieder in die Versuchung kommen, sich in eigener Sache Vorteile zu gewähren, die sie unter Umständen gegenüber den von ihnen Vertretenen rechtlich privilegieren. Die Festsetzung von Diäten — und das ist der Punkt, weshalb ich mich gemeldet habe —, Aufwandspauschalen und Aufwandsentschädigungen der Abgeordneten, soll und sollte grundsätzlich von der endgültigen Abstimmung von einer dafür zu bestimmenden unabhängigen und fachlich dazu geeigneten Kommission erfolgen. Es könnte keinen guten Eindruck machen, wenn sich Abgeordnete eine — so ist doch wohl zu sagen — beträchtliche Erhöhung ihres Gehalts selbst bewilligen oder glauben, in einer Zwangslage zu sein, dies tun zu müssen, anstatt eine solche Erhöhung einem objektiven, möglichst neutralen Gremium zu überlassen, wofür es Vorbilder gibt.
Wir sind daher nicht in der Lage, dem Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages, dem Diätengesetz 1968 in dieser Form und unter diesen Bedingungen zuzustimmen.
Keine Wortmeldung mehr. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist gegen 19 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Punkt 2 des Antrags des Vorstands des Deutschen Bundestages, die eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Das Haus ist damit einverstanden.
Schließlich der Entschließungsantrag auf Umdruck 380*). Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat soeben ein*) Siehe Anlage 15Gesetz zur Alterssicherung der Abgeordneten beschlossen. Er hat damit eine Entscheidung getroffen, die in der Öffentlichkeit sehr stark diskutiert wird und die viel berechtigte und unberechtigte Kritik ausgelöst hat. Ich habe persönlich dieser Regelung nicht deshalb zugestimmt, weil ich grundsätzlich gegen eine Altersversorgung wäre. Ich bin für die Lösung dieses Problems; ich habe hier nur widersprochen, weil in dieser Regelung einige Bestimmungen enthalten sind, die meiner Vorstellung nicht entsprechen. Um zu einer anderen Lösung zu kommen, hatten eine Reihe von Kollegen aus CDU/CSU und FDP einen Alternativ-Gruppenantrag eingereicht. Die Antragsteller registrieren dankbar, daß wesentliche Elemente aus diesem Alternativ-Antrag übernommen worden sind, z. B. die Versicherungsregelung.
Der zweite wesentliche Gesichtspunkt des Gruppenantrags war der Versuch einer sozialen Differenzierung. Ausgangspunkt für diese Versorgungsregelung, die jetzt beschlossen wurde, war ja vor allem die Überlegung, die auch im Schriftlichen Bericht wiederkehrt, die Erfahrungen der vergangenen Wahlperioden hätten gezeigt, daß eine große Zahl von Mitgliedern des Bundestages nicht in der Lage sei, in ausreichendem Maße für eine materielle Sicherung gegen Alter und Tod vorzusorgen. Man ist davon ausgegangen, daß die Zahl derer, die hiervon betroffen seien, etwa ein Drittel der Abgeordneten ausmache. Der zweite Gesichtspunkt war, daß man auch solchen Berufsgruppen den Zugang zum Parlament ermöglichen wollte, die diesen Schritt wegen einer unzureichenden Sicherheit für ihr Alter und für ihre Familie nicht wagen konnten.Es erwies sich aber sehr bald, daß es technisch und auch rechtlich nicht leicht ist, eine brauchbare Lösung zu einer sozialen Differenzierung zu finden. Hier muß ausdrücklich festgestellt werden, daß sich der federführende Bundestagsvorstand sehr eingehend mit dieser Frage beschäftigt hat.Auch den Antragstellern des Gruppenantrags blieb zum Schluß kein anderer Ausweg mehr, als vorzuschlagen, diese Differenzierung auf dem Wege über eine Besteuerung der Grunddiäten zu versuchen. Unser Steuerprinzip beruht ja auf dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit. Damit wäre also erreicht worden, daß die Leistungsfähigen etwas stärker herangezogen worden wären als die weniger Leistungsfähigen; die Leistungsschwachen wären verschont geblieben, Die Antragsteller waren der Auffassung, daß damit gleichzeitig auch ein gewisses Ärgernis, das das Privileg der Steuerfreiheit in der Öffentlichkeit immer bedeutet, beseitigt worden wäre.Die Frage ist im Vorstand gründlich diskutiert worden. Sie ist auch durch Herbeiziehung von Gutachten beurteilt worden. Man kam schließlich zu dem Ergebnis, daß gegenwärtig diese Frage nicht endgültig geregelt werden könne, und zwar deswegen nicht, weil damit auch die Frage des Status des Abgeordneten verbunden gewesen wäre. Der
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WindelenSchriftliche Bericht weist auf diesen Tatbestand ausdrücklich hin. Es heißt dort:Die im Zusammenhang mit der Erhöhung der Aufwandsentschädigung erörterte Frage der Besteuerung der Grunddiäten soll zu einem späteren Zeitpunkt geregelt werden. Zur Lösung dieser Frage, die eine Reihe grundsätzlicher Probleme aufwirft, bedarf es — auch nach Auffassung der Sachverständigen — noch eingehender und sorgfältiger Untersuchungen, die einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen werden.Genau das ist nun Gegenstand des Entschließungsentwurfs, den wir Ihnen vorlegen. Ich meine, daß diese Fragen doch geprüft werden müssen, und verweise noch einmal auf die Rede unseres Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier am 7. Februar 1964. Damals führte er zu dieser Frage folgendes aus — ich gebe das Zitat ein wenig verkürzt, aber sonst wortgetreu wieder —:Lassen Sie mich noch ein Wort zum zweiten Einwand sagen, daß die Bezüge der Abgeordneten unverständlicherweise steuerfrei seien.Etwas später fährt er fort:Sobald die Bezüge der Abgeordneten versteuert werden müssen, gewinnt mindestens die Aufwandsentschädigung ... den Charakter eines festen Gehalts. Das sollte nach meiner Überzeugung mindestens so lange vermieden werden, wie dieses Haus nicht bereit ist, dann auch mit allen Konsequenzen die Ebene zu betreten, auf der das Gehalt in unserer Zeit etabliert ist. Das heißt mit anderen Worten: Mit dem Gehalt allein ist es dann nicht getan, dann müssen auch die anderen Zulagen her wie Wohnungsgeld, Kindergeld, Trennungsentschädigung und dergleichen, und dann muß vor allem für Pensionen oder ähnlich geartete Altersversorgungen eingetreten werden.Jetzt haben wir eine Altersversorgung beschlossen, und jetzt stellt sich also meines Erachtens auch aus diesem Grunde und in diesem Zusammenhang erneut die Frage nach der Besteuerung. Daß diese Frage nun geprüft werden soll, ist das Anliegen des Entschließungsantrages. Die Antworten, die sich bei dieser Prüfung ergeben werden, müßten dann bei einer künftigen Novellierung berücksichtigt werden. Ich bitte Sie deswegen, den Entschließungsantrag anzunehmen bzw. ihn dem Bundestagsvorstand — federführend und dem Finanzausschuß und dem Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde sind nicht in der Lage, diesem Entschließungsantrag zuzustimmen. An und für sich besteht für diesen Antrag auch gar kein Bedürfnis. Beide Berichterstatter haben
schriftlich und ein Berichterstatter hat noch sehr ausführlich mündlich dargelegt, daß der Bundestagsvorstand sich ohnehin mit der in der Ziffer 1 angesprochenen Frage der möglichen Steuerpflicht für Grunddiäten befaßt. Insofern besteht kein Bedürfnis für diesen Antrag.
Das Problem ist sehr schwierig. Wenn die Steuerpflicht für die Grundaufwandsentschädigung eingeführt würde, könnte das natürlich nur unter der Voraussetzung der Wahrung des Besitzstandes geschehen. Das wirft jedoch umfangreiche Probleme auf. Der Bundestagsvorstand ist mit der Prüfung dieser Probleme befaßt.
Was die Ziffer 2 betrifft, meine Damen und Herren Antragsteller, so hat eine überzeugende Mehrheit heute die obligatorische Regelung beschlossen. Sie hat heute hier beschlossen, keine Befreiungsmöglichkeit zuzulassen. Die Grundlage dieser Alters- und Hinterbliebenenversorgung, die nun eingeführt ist, ist, daß sich alle Mitglieder des Hauses an ihr beteiligen und daß sie nicht auf diejenigen beschränkt wird, die sie nötig haben.
Was die Ziffer 3 betrifft, meine Damen und Herren Antragsteller, so widerspricht die Anrechenbarkeit anderer Leistungen dem Versicherungsprinzip, das wir nun eingeführt haben.
In einer Versicherung werden Beiträge gezahlt, und es entstehen Rechtsansprüche auf die Leistung, und zwar ohne Anrechnung irgendwelcher anderen Bezüge. Die Anrechnung widerspricht dem Versicherungsprinzip. Sie war zur Debatte gestellt bei der der Versorgung der Bundesminister ähnlichen Regelung — nicht der Staatspension oder der versorgungsrechtlichen Lösung —, wie sie in dem Antrag der Fraktionen gewollt war, nicht aber in diesem System, das wir jetzt beschlossen haben.
Meine Damen und Herren, wir würden dem Entschließungsantrag nicht zustimmen können. Aus Gründen der parlamentarischen Courtoisie will ich beantragen, den Entschließungsantrag gemäß § 82 der Geschäftsordnung an den zuständigen Ausschuß — das ist der Bundestagsvorstand — zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube auch, daß es richtig ist, den Antrag dem Vorstand zu überweisen. Aber ich möchte hier eines feststellen. Herr Kollege Frehsee, leider trifft das, was Sie zuletzt gesagt haben, daß nämlich die Anrechnung mit dem Versicherungsprinzip nicht vereinbar sei, nicht zu; denn wir haben hier im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung beschlossen, daß jemand, der Arbeitslosengeld aus der Arbeitslosenversicherung bezieht, dies zu 100% an der Altersversicherung, der Arbeiter- oder Angestelltenversicherung, abgezogen bekommt. Das also sollte hier nicht im Raume stehenbleiben. Da gibt es bereits Vorbilder.
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Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Es ist der Antrag auf Überweisung an den Vorstand des Bundestages gestellt.
— Herr Windelen, Sie wünschen jetzt Abstimmung?
— Der Antrag auf Überweisung geht vor. Also stimmen wir zunächst über den Antrag von Herrn Frehsee auf Überweisung an den Vorstand des Bundestages ab. Wer dem zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Mit großer Mehrheit so beschlossen.Wir kommen dann zurück zu den Punkten 8 bis 13 der Tagesordnung.Zunächst rufe ich Punkt 8 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. November 1965 zur Änderung des Artikels 4 des Abkommens vom 22. November 1928 über Internationale Ausstellungen in der Fassung des Änderungsprotokolls vom 10. Mai 1948— Drucksache V/2354 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen
— Drucksache V/2648 —Berichterstatter: Abgeordneter Regling
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe zurdritten Beratungdieses Gesetzentwurfes auf. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes— Drucksache V/1517 a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung— Drucksache V/2647 —Berichterstatter: Abgeordneter Windelenb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen
— Drucksache V/2646 —Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Serres
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Art. 1 bis 3, — Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe zurdritten Beratungauf. Keine Wortmeldungen. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 6. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über Soziale Sicherheit— Drucksache V/2262 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik
— Drucksache V/2697 --Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Eilers
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe die Art. 1 bis 5, — Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.Ich rufe zurdritten Beratungauf. Keine Wortmeldung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. März 1967 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 25. April 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit und zur Ergänzung der Zusatzvereinbarung vom 28. März 1962 zu dem Abkommen über Soziale Sicherheit— Drucksache V/2252 —Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik
— Drucksache V/2736 —Berichterstatter: Abgeordneter Teriete
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
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Vizepräsident Dr. Mommer Wir treten ein in diedritte Beratung.— Keine Wortmeldungen.Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. Danke. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des BiersteuergesetzesDrucksache V/2413 —Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
Drucksachen V/2735, zu V/2735 —Berichterstatter: Abgeordneter Löbbert
Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf Art. 1 bis 4, — Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, gebe das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! — Eine Gegenstimme. — Keine Enthaltungen. In zweiter Beratung angenommen.Ich rufe auf zurdritten Beratung.In der Aussprache hat das Wort Herr Abgeordneter Unertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident Gerstenmaier hat mich gebeten, es so kurz wie möglich zu machen. Das kommt mir leicht an. Ich stimme gegen dieses Änderungsgesetz zum Biersteuergesetz, und zwar deswegen, weil mit dieser Gesetzesänderung das in Bayern seit 500 Jahren geltende Reinheitsgebot verletzt wird. Da nützt mir gar nichts, daß, wie bekannt ist, die bayerische Staatsregierung im Bundesrat unter Umstanden für dieses Gesetz stimmt. Ich orientiere mich hier als bayerischer Biertrinker am Herkömmlichen.
Es nützt mir gar nichts, wenn auch der Deutsche Brauerbund dafür ist, wenn der Verband der Mittelstands- und Kleinbrauereien ebenfalls dafür ist. Der bayerische Brauerverband war dagegen. Allein diese Uneinigkeit legt es nahe, daß sich der Abgeordnete selber eine Meinung bildet. Ich lehne deswegen diese Vorlage ab.
Keine Wortmeldungen mehr.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf im ganzen zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! —
Jetzt müssen aber die Kollegen, die nicht dagegen stimmen wollen, sich hinsetzen. Die jetzt stehenden Abgeordneten sind dagegen. Dann müssen wir noch einmal von vorne anfangen. Bitte hinsetzen! — Wer dem Gesetz zustimmen will, möge sich erheben. — Gegenprobe! —
— Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Wir: müssen auszählen. Ich bitte, den Saal zu verlassen. Wer dem Gesetz zustimmen will, gehe durch die Ja-Tür. Die Auszählung beginnt. —
Ich frage, ob jetzt noch jemand von unseren Kolleginnen und Kollegen im Hause ist, der nicht in den Saal zurückgekehrt ist.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Abstimmung ist beendet.
Ich gebe das Resultat der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben 144 Abgeordnete, mit Nein 89 gestimmt. Enthalten haben sich 15 Abgeordnete. Das sind zusammen 248. Es reicht zur Beschlußfähigkeit nicht ganz aus.
Meine Damen und Herren, ich schließe diese Sitzung und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf ein paar Minuten später, auf 21.12 Uhr ein.