Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 23. Januar 1967 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt , Bading, Mertes und Genossen betr. Pflanzenschutzberatung — Drucksache V/1265 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/1333 verteilt.
Der Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 23. Januar 1967 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wächter, Peters , Dr. Effertz, Logemann, Sander, Ertl und Genossen betr. Kürzung der Förderungsmittel für Strukturverbesserung — Drucksache V/1277 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/1334 verteilt.
Zu der in der Fragestunde der 84. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18. Januar 1967 gestellten Frage des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert, Drucksache V/1290 Nr. V/21, ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Schütz vom 25. Januar 1967 eingegangen:
Wie die Bundesregierung bereits in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Herren Abgeordneten Dr. Marx , Leicht und Genossen vom 19. Dezember 1966 (Drucksache V/1246) ausgeführt hat, hat der bisherige Verlauf der Verhandlungen gezeigt, daß die Regierungen der Entsendestaaten und die Behörden ihrer Streitkräfte für die Lage der deutschen Arbeitnehmer und das Verlangen der Bundesregierung Verständnis zeigen, obwohl sie gegen einige deutsche Vorschläge noch starke Bedenken haben. Es sind auch von der anderen Seite Änderungsvorschläge zur Sprache gebracht worden. Wohl konnte zu einigen der erörterten Fragen eine Annäherung der Standpunkte verzeichnet werden, doch waren bisher einige der Entsendestaaten einzelnen der deutschen Forderungen gegenüber noch recht zurückhaltend. Es versteht sich unter diesen Umständen, daß beim jetzigen Stand der Verhandlungen noch keine der beteiligten Regierungen eine endgültige Stellung bezogen hat.
Ich habe vor Eintritt in die Tagesordnung keine weiteren Bemerkungen zu machen.
Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde
— Drucksache V/1316 —
Zunächst zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft.
Ich rufe die Frage X/1 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Worauf führt die Bundesregierung den im Gegensatz beispielsweise zu den USA und zu Italien, wo steigende Zahlen gemeldet werden,- sehr starken Rückgang der Produktion deutscher Filme im Jahre 1966 gegenüber 1965 zurück?
*) Siehe 84. Sitzung, Seite 3914 C
Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Dorn übernommen.
Zur Beantwortung, bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern beantworte ich die Frage wie folgt:
Die deutsche Filmproduktion ist in den letzten Jähren schwankend gewesen. Im Jahre 1966 ist die Produktion gegenüber 1965 von 72 auf 52 Filme gesunken. Von diesem Rückgang sind jedoch nicht die rein deutschen Filme betroffen, deren Produktion gestiegen ist, sondern die Gemeinschaftsproduktion mit ausländischen Partnern.
Unter den deutschen Filmen befinden sich einige, die von der Bundesregierung gefördert wurden und auch im Ausland wegen ihres künstlerischen Ranges das Ansehen des deutschen Films wieder verbessern halfen.
Die Gründe für den Rückgang sind sehr vielschichtig und können in einer kurzen Äußerung nicht zusammengefaßt werden. Von Bedeutung ist sicher der in der letzten Zeit festzustellende Besucherrückgang in den deutschen Filmtheatern und damit die Erhöhung des Risikos für den Produzenten. Außerdem stößt die Finanzierung von Filmen zunehmend auf Schwierigkeiten.
Eine Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß mit dem beabsichtigten Filmförderungsgesetz, das von allen drei Fraktionen des Bundestages vorbereitet und ausgearbeitet worden ist, eine spürbare Hilfe für den deutschen Film erreicht werden kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Mitarbeit der Bundesregierung an diesem Gesetz hat dies gewiß zur Voraussetzung.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Huys.
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für richtig, daß die Zahl der vom Fernsehen ausgestrahlten Filme, die ver-
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4080 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Dr. Huysgnügungs- und umsatzsteuerfrei ausgestrahlt werden, von Jahr zu Jahr steigt und im letzten Jahr fast die Zahl der in den bundesdeutschen Kinos aufgeführten in- und ausländischen Normalfilme erreicht hat? Wäre es nicht ratsam, dem Fernsehen nahezulegen, hierbei auf die Schwierigkeiten der privaten Filmwirtschaft mehr als bislang Rücksicht zu nehmen und vor allem auch die Einfuhr und Ausstrahlung insbesondere von sogenannten alten „Schinken" zu drosseln?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung wird zu dieser Frage im Zusammenhang mit der Untersuchung über die Wettbewerbsverhältnisse bei Presse, Funk, Fernsehen und Film gewiß Stellung nehmen.
Zweite Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Filmproduktion der ostzonalen Defa hundertprozentig subventioniert wird und daß die Defa ein Großteil ihrer Exporterlöse für politische Repräsentanz und kulturelle Veranstaltungen in Form von deutschen Filmwochen in Ost und West mit Erfolg verwendet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist der Bundesregierung bekannt.
Ich rufe die Frage X/2 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Wie hoch sind die Deviseneinnahmen aus der Ausfuhr deutscher Filme und die Ausgaben für den Import ausländischer Filme in den beiden in Frage XII genannten Jahren gewesen?
Die Frage wird wieder vom Herrn Abgeordneten Dorn übernommen.
Herr Staatssekretär, bitte sehr, zur Beantwortung!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Deviseneinnahmen und -ausgaben auf dem Filmgebiet sind in den letzten Jahren laufend gestiegen.
1965 haben die Einnahmen 31 Millionen DM betragen. Im Jahre 1966 dürften sie in ähnlicher Höhe gelegen haben.
Die Devisenausgaben auf dem Filmgebiet betrugen 1965 133 Millionen DM. 1966 werden sie eine ähnliche Größenordnung erreichen.
Daben sollte nicht übersehen werden, daß diese Zahlen nicht allein den Gegenwert für ein- und ausgeführte Filme darstellen, sondern daß in diesen in dem Bundesbankausweis genannten Zahlen Filmdienstleistungen aller Art, z. B. Gagen und Zahlungen für Musik- und Autorenrechte, enthalten sind.
Ich rufe die Frage X/3 des Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Wie stellt sich das Verhältnis der Deviseneinnahmen zu den Ausgaben bei Fernsehproduktionen dar?.
Auch diese Frage wird vom Abgeordneten Dorn übernommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf dem Gebiet der Fernsehproduktion kann von einem nennenswerten Auslandsgeschäft bisher nicht gesprochen werden. Über den geringfügigen Umsatz auf diesem Gebiet liegen Ziffern nicht vor.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist nach Ihrer Auffassung denn nicht die Anzahl der ausländischen Filme im deutschen Fernsehen im Vergleich zur deutschen Filmproduktion, die im deutschen Fernsehen gezeigt wird, erheblich höher?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann dieses Verhältnis an dieser Stelle nicht beziffern. Ich will mich darum kümmern und Ihnen eine Zahl zugänglich machen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Staatssekretär, hängt die von Ihnen mitgeteilte Tatsache, daß so wenig Deviseneinnahmen bei der Ausfuhr von Fernsehproduktionen anfallen, irgendwie mit der Tätigkeit der von der Bundesregierung und der Deutschen Welle gemeinsam gegründeten Gesellschaft für Transkription zusammen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß es nicht. Ich glaube es nicht.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Huys.
Hält die Bundesregierung den Zeitpunkt nicht längst für gekommen, den Reinerlös aus dem Verkauf und der Privatisierung des alten Ufa-Vermögens, das nach dem Ufi-Gesetz zur Gesundung der deutschen Filmindustrie Verwendung finden soll, seiner Zweckbestimmung zuzuführen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte im Rahmen meines Ressorts nicht zu Fragen der Privatisierung Stellung nehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Toussaint.
Wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung die Enquete hinsichtlich der Wettbewerbsverhältnisse zwischen Film, Presse und Fernsehen vorlegt?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4081
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann keinen Zeitpunkt dafür angeben, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren, wir gehen weiter. Ich rufe die Frage X/4 des Herrn Abgeordneten Diebäcker auf:
Ist der Bundesregierung die unbefriedigende Antwort der EWG-Kommission auf eine Anfrage zu den Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des EWG-Vertrages bei der Belieferung mit holländischem Erdgas bekannt, das den deutschen Ferngasgesellschaften frei Grenze zu einem Preis abgegeben wird, der in den Niederlanden schon industriellen Abnehmern zugestanden wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist diese Antwort der EWG-Kommission bekannt. Die Bundesregierung ist weiter darüber unterrichtet, daß die EWG-Kommission sich mit diesem Thema weiterhin befaßt. Die EWG-Kommission hat zusätzliche kritische Anfragen zu beantworten.
Keine Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage X/5 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, auf eine Aufhebung der Diskriminierung beim Erdgasbezug durch Verhandlungen mit der holländischen Regierung hinzuwirken, die ihrerseits auf die Preisgestaltung wesentlichen Einfluß genommen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung steht in der Frage der Einfuhr niederländischen Erdgases in engem Kontakt mit der niederländischen Regierung. Dabei erörtert sie auch die deutschen Vorstellungen und die deutschen Bedenken bezüglich der Preisstellung.
Zusatzfrage.
Zeichnen sich in den Verhandlungen schon irgendwelche Ergebnisse zu unseren Gunsten ab, oder kann darüber noch nichts gesagt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst hat sich die niederländische Regierung einverstanden erklärt, durch ihre Vertreter im Ausschuß der politischen Beamten zur Klärung dieser Dinge in Brüssel noch einmal ihre Argumente in aller Ausführlichkeit darzulegen.
Ich rufe die Frage X/6 des Abgeordneten Diebäcker auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen der beschleunigten Verwirklichung einer gemeinsamen Energiepolitik?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Verwirklichung einer gemeinsamen Energiepolitik ist sehr eng mit den Möglichkeiten einer Fusion der drei europäischen Gemeinschaftsorgane in Luxemburg und Brüssel verknüpft. Die Aussichten für die Fusion der Hohen Behörde der Montan-Union, der EWG-Kommission sowie der Euratom-Kommission scheinen sich in letzter Zeit erheblich verbessert zu haben.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen wir darin überein, daß eine gemeinsame Energiepolitik, die bald verwirklicht werden sollte, dringend erforderlich ist?
Dr. Neef, Staatssekretär im Bundesministerium. für Wirtschaft: Die Bundesregierung stimmt Ihnen vollständig zu. Eine Wirtschafts- und Sozialunion ohne gemeinsame Energiepolitik ist keine Wirtschaftsunion.
Jetzt kommt die Frage X/7 des Herrn Abgeordneten Picard:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung der deutschen Textilindustrie, besonders der Tuch- und Kleiderstoffindustrie seit 1952?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die deutsche Textilindustrie gehört zu den Bereichen unserer Volkswirtschaft, deren Entwicklung mit dem gesamtindustriellen Wachstum nicht vollständig Schritt gehalten hat. Bei einer Produktionssteigerung von 1952 bis 1965 um 116 % kann aber die Entwicklung der Textilindustrie trotzdem insgesamt als positiv angesehen werden, wenngleich Unterschiede in den einzelnen Sparten nicht zu übersehen sind. Die Produktionssteigerung der Tuch- und Kleiderstoffindustrie betrug dagegen in der gleichen Zeit nur 15%. Dieser Sektor ist im besonderen Maße dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt, vor allem seitens der sehr leistungsfähigen italienischen Konkurrenz, deren Einfuhren in die Bundesrepublik 40% der deutschen Produktion ausmachen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Picard.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Entwicklungszahlen zwischen 1952 und 1965 nicht bekannt, nach denen die Zahl der Betriebe der deutschen Tuch- und Kleiderstoffindustrie von 430 auf 260 zurückgegangen ist, die Zahl der Beschäftigten um über 30% gesunken ist und die Zahl der Produktionswerte lediglich um rund 36 % zugenommen hat, während sie in der übrigen Industrie um über 200% gestiegen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das spricht dafür, daß das Wachstum in der Tuch- und Kleiderstoffindustrie geringer war als in anderen Sparten. Aber die Verringerung der Anzahl der Betriebe könnte auch ein Indiz für erfolgreiche Rationalisierung sein.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß das von Ihnen bemängelte langsamere Wachstum der deutschen Textilindustrie zu einem Teil darauf zurückzuführen ist,
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4082 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Ottdaß die ausländischen Importe zu außergewöhnlich günstigen, ich möchte sagen, ungünstigen Preisen für unsere Textilindustrie hereinkommen und daß 75 % der Ausfuhr von Hongkong in die Bundesrepublik gehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einem Teil sind die Schwierigkeiten der Textilindustrie strukturelle Schwierigkeiten. Sie ist ein Schwerpunkt des strukturellen Wandlungsprozesses in unserem Land. Zum anderen bedrückt die Textilindustrie natürlich die Frage der Einfuhr besonders. Hier ist vielleicht zu unterscheiden zwischen den unvermeidlichen Vorsprüngen, die sich aus Standortvorteilen in anderen Ländern ergeben, und, wie Sie sagen, dem besonderen Problem der Niedrigpreiseinfuhr. Dieses letztere Problem hat die volle Aufmerksamkeit der Bundesregierung.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß mit Ursprungszeugnissen mitunter Mißbrauch getrieben wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat wiederholt an den zuständigen Stellen anderer Länder auf solche Befürchtungen hingewiesen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geißler.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie eben zugestanden haben, daß die Bundesregierung hinsichtlich der Importe aus Niedrigpreisländern der Textilindustrie eine besondere Aufmerksamkeit schenken will, sind Sie bereit, hier dem Haus gegenüber zu erklären, daß die Bundesregierung gewillt ist, in der Zukunft Maßnahmen gegen diese Importe zu ergreifen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Einfuhr aus Niedrigpreisländern ist, zum Teil durch Selbstbeschränkungsabkommen, in erheblichem Umfang auch heute reglementiert. Es kommt jetzt darauf an, uns mit unseren europäischen Partnern auf eine gemeinsame Politik zu verständigen. Hier ist die Bundesregierung flexibel.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Geißler.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie sicher wissen, daß — wie der Herr Kollege Ott soeben schon gesagt hat — ungefähr 75 bis 80 °/o der Hongkong-Importe in die Bundesrepublik Deutschland gehen, darf ich Sie fragen, welche Gründe — und die bitte ich Sie mir doch präzise jetzt mitzuteilen — die Bundesregierung bisher davon abgehalten haben, ähnliche Importbeschränkungen, wie sie in Frankreich, in den Vereinigten Staaten usw. vorhanden sind, auch zum Schutze der deutschen Textilindustrie in der Bundesrepublik Deutschland einzuführen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Am besten ist die Antwort zusammenzufassen in dem Satz: Wir hatten eine liberalere Außenhandelspolitik.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Staratzke.
Herr Staatssekretär, Sie nannten vorhin einen sehr hohen Anteil der Einfuhren aus Italien an Tuch- und Kleiderstoffen, nämlich 40 %. Stimmen Sie mit mir überein, daß dieser hohe Einfuhranteil deshalb entsteht, weil aus diesem Lande, vornehmlich aus dem Bezirk Prato, eine anomale Konkurrenz vorhanden ist, die mit normalem Wettbewerb deutscher Unternehmen nicht zu bewältigen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Seit langer Zeit besteht der Dialog zwischen der Bundesregierung und der italienischen Regierung einerseits oder der Kommission in Brüssel andererseits in der Frage, inwieweit die Textileinfuhr aus Prato das Problem eines besseren Standortes oder eine Frage anderer Begünstigungen ist.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß andere Länder, die diese anomalen Wettbewerbsverhältnisse erkannt haben, so z. B. Holland, sich durch die Berufung auf den Art. 226 des EWG-Vertrages vor diesen anomalen Einfuhren schützen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die holländische Regierung hat einen solchen Antrag gestellt.
Ich rufe die Frage X/8 des Abgeordneten Picard auf:
In welcher Weise wurde die in Frage X/7 erwähnte Entwicklung durch Importe aus anderen Ländern beeinflußt, die die dort heimische Textilindustrie besonders fördern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bedeutung der Einfuhren für die Entwicklung der deutschen Textilindustrie ergibt sich aus dem, was bisher gesagt worden ist. Es ist nicht zu bestreiten, daß einzelne Länder Förderungsmaßnahmen eingeführt haben, die sich auf ihre Textilausfuhren auswirken. Im wesentlichen werden es aber Standortvorteile sein, die zu dem Anwachsen der deutschen Textileinfuhren geführt haben.
Zusatzfrage? — Keine Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4083
Präsident D. Dr. GerstenmaierIch rufe die Frage X/9 des Abgeordneten Picard auf:Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit und eine Möglichkeit, die schweren Existenzsorgen eines erheblichen Teils der deutschen Textilindustrie zu mindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß eine allgemeine Belebung der Konjunktur sich auch auf die Textilindustrie günstig auswirken wird. Die Bundesregierung ist weiter entschlossen, den Strukturanpassungsprozeß der Textilindustrie zu fördern, die Einfuhr sensibler Textilerzeugnisse aus Niedrigpreisländern sorgfältig zu beobachten und den Handel mit Ostblockländern mit der gleichen Aufmerksamkeit zu verfolgen. In Richtung auf diese Unterstützung gehen auch die letzten Maßnahmen wie die Umsatzausgleichsteuererhöhung, bei denen sehr zahlreiche Textilpositionen berücksichtigt, d. h. begünstigt worden sind.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Picard.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß aus den vorhin von Ihnen selbst genannten und dann bestätigten Zahlen, die ich genannt habe, hervorgeht, daß trotz der seitherigen sehr guten konjunkturellen Entwicklung in der Bundesrepublik die deutsche Textilindustrie eine Abwärtsentwicklung mitgemacht hat? Wie kommen Sie dann zu der Auffassung, daß eine jetzt vielleicht sich langsam anbahnende konjunkturelle Aufwärtsentwicklung insbesondere die deutsche Textilindustrie fördern würde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weil ich meine, daß die Entwicklung der Textilindustrie sich mindestens aus drei Faktoren zusammensetzt: aus dem Wettbewerb von außen, den ich geschildert habe, aus den strukturellen Schwierigkeiten, die sie unbestritten hat, und auch daraus, daß sie an der allgemeinen Verschlechterung des wirtschaftlichen Klimas teilgenommen hat.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Picard.
Herr Staatssekretär, erlauben Sie mir noch einmal auf den Art. 226 des EWG-Vertrages zurückzukommen und Sie zu fragen, ob Sie bestätigen können, daß die holländische Regierung entschlossen ist, auf Grund dieses Art. 226 der heimischen Wollindustrie insbesondere Förderungsmaßnahmen angedeihen zu lassen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn ich mich richtig erinnere, hat die Bundesregierung 1964/65 einen ähnlichen Antrag in Erwägung gezogen, der damals in Brüssel jedoch keine Aussicht auf Erfolg hatte, weil inzwischen die allgemeine Konjunktur besser war. Die Tuchindustrie hat wieder — wenn ich mich richtig erinnere — angekündigt oder überlegt, ob sie erneut einen ähnlichen Antrag an die Bundesregierung stellen will.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß aus Staatshandelsländern mitunter Importe kommen, die sehr nahe an Dumping grenzen, und sind Sie bereit, mir zuzugeben, daß auch in den Jahren, in denen die gesamte Wirtschaft eine außerordentlich gute Konjunktur hatte, die Textilindustrie bereits mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte im Gegensatz zu Ihrer Erklärung, daß das erst in der letzten Zeit gewesen sei? Sind Sie darüber hinaus bereit, mir zuzugeben, daß beispielsweise für die Exporte von Frankreich nach Deutschland andere Grundvoraussetzungen gegeben sind als für die deutschen Exporte in die EWG- Länder?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Problem manipulierter Preise in Staatshandelsländern existiert ganz bestimmt. Die Frage, ob Wettbewerbsungleichheiten im grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bestehen, wird lange untersucht, wie Sie wissen, heftig diskutiert und wahrscheinlich erst überwunden werden mit einer Harmonisierung der Steuersysteme, in diesem Fall insbesondere wohl der Umsatzsteuer.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, was von seiten des Wirtschaftsministeriums in Aussicht genommen ist, um die in dieser Fragestunde beanstandeten Schwierigkeiten irgendwie zu beseitigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Textilindustrie erstens die Förderung eines Strukturanpassungsprogramms, das in einer Reihe von Maßnahmen besteht, von denen ich einige aufgezählt habe, zweitens die sorgfältige Aufmerksamkeit auf dem Gebiete der Außenhandelspolitik, die ich auch im einzelnen dargestellt habe, und drittens die Hoffnung, daß allgemein wirtschaftspolitische Maßnahmen auch der Textilindustrie zugute kommen werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Staratzke.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, wenn ein Antrag der betroffenen Industrie auf Anwendung des Art. 226 des EWG-Vertrages in Verfolg des Antrags der Holländer kommen sollte, diesen Antrag zu prüfen und bei der EWG-Kommission zu intervenieren?
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4084 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann diese Frage nicht beantworten, bevor ich die Begründung des Antrags im einzelnen kenne.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die deutsche Textilindustrie vor allen anomalen Einfuhren — z. B. mit Dumping, Subsidien usw. — in Zukunft abzuschirmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, daß man sich in erster Linie anstrengen sollte,. Wettbewerbsverzerrungen bei denen zu beseitigen, die gegen die Regeln verstoßen. Wenn das nicht gelingt, muß man sicher mit eigenen Maßnahmen gegenhalten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Diebäcker.
Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, ob mit Hongkong wegen eines Selbstbeschränkungsabkommens verhandelt worden ist und, wenn ja, welches Ergebnis diese Verhandlungen hatten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die ersten Schritte in Richtung auf eine gemeinsame Handelspolitik in Brüssel bestehen darin, unsere Niedrigpreiseinfuhrpolitik derjenigen der anderen Länder in der Gemeinschaft anzunähern und dafür hoffentlich einzuhandeln, daß die übrigen Partnerländer ihre Liberalisierungspolitik der unseren anpassen. Wenn das gelingt, so wird eine mittlere Linie auf dem Gebiete der Niedrigpreiseinfuhr- und der Liberalisierungspolitik entstehen. Die Bundesregierung ist hier flexibel. Das heißt, sie ist bereit, sich den weniger enthusiastischen Regelungen der anderen Länder zu nähern.
Zweite Zusatzfrage. ,
Ist denn nun schon verhandelt worden oder ist nicht verhandelt worden, Herr Staatssekretär? Das war die Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, es ist verhandelt worden zwischen der Bundesregierung und Hongkong. Aber das Ergebnis möchte ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen. Denn es ist Bestandteil jenes Annäherungsprozesses, den ich gerade schilderte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Erhard.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, die Konjunktur werde voraussichtlich belebt, was sich auch auf die Textilindustrie auswirken werde. Wie kommen Sie zu dieser Schlußfolgerung, zumal gerade jetzt Beschlüsse vor uns stehen, die Konsumausgaben erheblich zu beschneiden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte, daß ich hoffte, daß auch die Textilindustrie Vorteile von einer allgemeinen Wirtschaftsbelebung haben werde.
Zweite Zusatzfrage.
Und das hoffen Sie trotz der Reduzierung um viele Hunderte von Millionen DM im Konsumsektor?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, Herr Abgeordneter, das hoffe ich.
Herr Abgeordneter Schlager zu einer Zusatzfrage.
Eine Zusatzfrage zur Frage des Kollegen Picard: Herr Staatssekretär, wird die Wettbewerbssituation der deutschen Textilindustrie nicht auch durch steuerliche Nachteile gegenüber einigen ihrer ausländischen Konkurrenten gekennzeichnet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sprach von den Unterschieden, die in den Steuersystemen, z. B. auch in der Gemeinschaft, liegen, und im Zusammenhang mit einer Frage nach den Wettbewerbsverhältnissen gegenüber Frankreich meinte ich, daß dies dabei eine Rolle spiele und wahrscheinlich erst mit einer Harmonisierung der Steuersysteme aufgelöst werde.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, inwieweit konnte durch die letzte Umsatzausgleichsteuer-Neuregelung die Wettbewerbsverzerrung in diesem steuerlichen Bereich gemildert oder beseitigt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie wurde ganz sicher nicht vollständig beseitigt. Sie wurde in einigen Positionen gemildert, darunter auch in einigen Positionen der Textilindustrie.
Also, Herr Abgeordneter Schlager, was ich jetzt tue, ist ganz unkorrekt; aber wollen wir sagen: Zusatzfrage 2 b.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4085
Herr Staatssekretär, eine letzte Frage: Stimmt der Vorwurf, der von der Textilindustrie erhoben wird, daß es z. B. im Export mit Frankreich immer wieder zu sogenannten „administrativen Hemmnissen" kommt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir erheben den Vorwurf gelegentlich selbst; aber wir können ihn selten beweisen.
Jetzt geht es weiter mit den Fragen des Herrn Abgeordneten Mertes. Frage X/10:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkungen aus der Verteuerung der Kraftfahrzeughaltung, insbesondere durch die Erhöhung der Mineralölsteuer auf die Beschäftigungslage der deutschen Automobilwerke und ihrer Zulieferbetriebe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die derzeitige unbefriedigende Beschäftigungslage der deutschen Pkw-Hersteller und ihrer Zulieferer beruht fast ausschließlich auf einem Rückgang des Inlandsgeschäfts, der seit Herbst des vergangenen Jahres zu verzeichnen ist. Welche Umstände insgesamt für diesen Rückgang ausschlaggebend sind, läßt sich im einzelnen nicht sicher bestimmen. Die Bundesregierung meint, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer allein nicht die ausschlaggebende Bedeutung gehabt haben kann, weil z. B. der Tankstellenpreis für Markenbenzin infolge der durch die Mineralölgesellschaften vorgenommenen Preissenkungen trotz der Steuererhöhungen nicht höher liegt als ein Jahr zuvor. Aber natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Erhöhung der Mineralölsteuer in Verbindung mit der Senkung der Kilometerpauschale und der Anhebung der Haftpflichtversicherungsprämien zusammen mit der allgemeinen Unsicherheit über die künftige wirtschaftliche Entwicklung eine Zeitlang zu einem Sinken der Kaufstimmung geführt hat.
Eine Zusatzfrage.
Bestätigen Sie damit die Ansicht, Herr Staatssekretär, daß die Kumulierung von verschiedenen Maßnahmen — Erhöhung der Mineralölsteuer, Erhöhung der Haftpflichtversicherung, Erhöhung der Gebühren für die Fahrzeugüberwachung, Erhöhung der Gebühren für den Führerscheinerwerb und anderes mehr — dazu führen kann, daß sich doch mancher überlegt, ob er nun den Wagen wechseln oder sich überhaupt motorisieren soll, zumal Sie ja die Schwierigkeiten auf das Inlandsgeschäft reduzieren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich könnte bestimmt nicht beweisen, daß Ihre Vermutung nicht zutrifft.
Ist die Bundesregierung dann bereit, zu gegebener Zeit aus dieser Entwicklung Konsequenzen zu ziehen, Herr Staatssekretär?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie wird das ganz sicher in dem Augenblick tun, in dem die Gründe, die zu diesen finanziellen Belastungen geführt haben, weniger drückend sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort zu 1 schließen, daß die Senkung der Mineralölpreise und die Anhebung der Mineralölsteuer insofern auch in einem Zusammenhang stehen, als durch die Senkung der Mineralölpreise der Körperschaftsteuerertrag des Bundes erheblich zurückgegangen ist, daß also die Mineralölsteuererhöhung zum Teil dazu dient, die Mindereinnahmen bei der Körperschaftsteuer auszugleichen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ob das auf der Seite der Bundesfinanzen so ist, müßte der Bundesminister der Finanzen beurteilen. Die Mineralölindustrie betont immer wieder, daß sie jeden Zusammenhang zwischen Preisen und Steuern vermieden sehen möchte.
Die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Mertes ist die Frage X/11:
Hält die Bundesregierung den Zuschlag zur Haftpflichtversicherung für Autohalter in Großstädten auch unter dem Gesichtspunkt für gerechtfertigt, daß ein Großteil der Unfälle in diesen Städten durch Autofahrer verursacht wird, die den Großstadtverkehr nicht gewöhnt sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat sehr ausführlich in zwei Fragestunden zu diesem Thema Stellung genommen. Erlauben Sie, daß ich nur einige wenige entscheidende Zahlen hier wiederhole: Von 10 Millionen PKW's fahren mehr als ein Viertel in Orten ab 100 000 Einwohnern. Die Versicherungsnehmer mit Wohnsitz in Großstädten haben im Jahre 1965 doppelt so viel Schäden verursacht wie Versicherungsnehmer in kleineren Orten. Die durchschnittlichen Schadenaufwendungen der Versicherer für Großstädter waren mehr als 15 % höher als diejenigen für Kraftfahrer, die ihren Wohnsitz in mittelgroßen Städten haben, und über 50 % höher als die für Kraftfahrer, die auf dem Lande wohnen. Kraftfahrer, die nicht in der Großstadt wohnen, Herr Abgeordneter, jedoch in einer Großstadt einen Unfall verursachen, belasten dadurch nicht das Schadenskonto jener Tarifgruppe G. Für die Eingruppierung in die Tarifgruppe ist ausschließlich ausschlaggebend, wo der Schadensverursacher wohnt.
Zusatzfrage.
Ist es nicht vielleicht so, Herr Staatssekretär, daß diese größere Unfallhäufigkeit in den Großstädten mit darauf zurückzuführen ist, daß hier an Knotenpunkten durch den durchströmenden und den von außerhalb hereinkommenden Verkehr eine Massierung auftritt, und daß man die Komplexheit dieses Problems sehen muß?
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4086 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl, Herr Abgeordneter, es ist gewiß so. Und weil das so ist, hat man auch denen in der Großstadt nicht die volle Mehrlast von 17 % auferlegt, sondern von den 17 % weniger als ein Drittel, nämlich 5 %. Mehr als 10 % zahlen die anderen mit.
Dann rufe ich die Frage X/12 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Sind der Bundesregierung Pläne bekannt, nach denen binnen 15 Jahren das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk das größte Pumpspeicherwerk Europas am Mittelrhein bauen will?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat Kenntnis davon, daß sich eine Projektstudie des RheinischWestfälischen Elektrizitätswerks mit einem Pumpspeicherwerk auf der linken Rheinseite beschäftigt. Ob dieses Projekt jemals verwirklicht werden wird, ist zur Zeit nicht abzusehen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, bei einem so großen Projekt, das nach Ihren Ausführungen ja immer noch zur Diskussion steht, die gesamten Pläne mit der Landesregierung Rheinland-Pfalz sowie mit den kommunalen Vertretungen abzustimmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist bereit, sich dafür einzusetzen, daß das geschieht. Daß sie selbst diese Abstimmung vornehmen wird, glaube ich nicht.
Dann kommen wir zur nächsten Frage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Präsident, ich habe noch eine Zusatzfrage, aber das gehört ja alles zusammen.
Dann warten Sie doch bitte, bis die nächste Frage beantwortet ist. Wir kommen also zur Frage X/13:
Bei Bejahung der Frage X/12, wie beurteilt die Bundesregierung die Pläne für ein solches Riesenkraftwerk zur Energieversorgung des Rhein-Main- und Rhein-Ruhrgebietes im Hinblick auf die Anwohner, die Landschaft und die Rheinschiffahrt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Falls es je zu einer Verwirklichung dieses Projektes kommen sollte, werden vom Bundesminister für Verkehr die zuständige Landesregierung und die örtlich zuständigen Instanzen wegen der Auswirkungen auf die Anwohner eingeschaltet werden.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
Herr Staatssekretär, da dieses Riesenkraftwerk ja im schönsten Bereich des Rheines erstellt werden soll, darf ich Sie fragen, ob Sie von seiten der Bundesregierung darauf hinwirken werden, daß durch ein Preisausschreiben jedenfalls der beste Plan zustande kommt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich halte das im Augenblick schon von dem Veranstalter her für selbstverständlich, bin aber bereit, mich dafür einzusetzen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich weiter fragen, ob die Bundesregierung dem Bundestag einen offiziellen Bericht zuleiten wird, wenn diese Dinge konkrete Form annehmen, weil ja viele Tausende Menschen des gesamten Rhein-Ruhr- und Rhein-Main-Gebietes an diesem Projekt interessiert sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte zwei Versicherungen wiederholen. Erstens. Diese Sache ist noch nicht so konkret, daß schon irgendwie abzusehen wäre, wie sich dabei Vorteile oder Nachteile verhalten. Zweitens. Ich sage zu, daß die zuständigen Ministerien des Bundes, der beteiligten Länder und die kommunalen Einrichtungen beteiligt werden, wenn es konkret werden sollte.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zunächst die Fragen VII/ 1, VII/ 2 und VII/ 3 des Herrn Abgeordneten Schmidt :
Durch welche Leistungen trägt die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands zu den Unterhaltungskosten des von den vier Siegermächten eingerichteten Spandauer Gefängnisses bei?
Bei Verneinung der Frage VII/ 1, ist in der Entgegennahme oder Forderung ausschließlich westdeutscher Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Gefängnisbetriebes nicht eine Anerkennung des Anspruchs der Bundesregierung, für das ganze deutsche Volk zu handeln, durch die vier Mächte einschließlich der Regierung der Sowjetunion zu erblicken?
Sind der Bundesregierung noch andere als die in Frage VII/ 1 erwähnten Fälle bekannt, in denen die Regierung der Sowjetunion dieses Alleinvertretungsrecht der Bundesregierung akzeptiert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß die Behörden im anderen Teil Deutschlands zu den Unterhaltungskosten des von den vier Mächten eingerichteten Spandauer Kriegsverbrechergefängnisses beitragen. Die Einrichtung und der Betrieb dieses Gefängnisses sind ausschließlich Sache der vier Mächte.
Keine Zusatzfrage. Dann die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Frage des Herrn Abgeordneten Schmidt. — Der Bundesregierung ist kein Fall bekannt, in
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4087
Staatssekretär Schützdem die Regierung der Sowjetunion das Alleinvertretungsrecht der Bundesregierung akzeptiert hat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung in der Tatsache, daß nur von unserer Seite dazu beigetragen wird, nicht eine Anerkennung des Alleinvertretungsrechtes?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Nun kommt die nächste Frage, also die Frage VII/ 3 des Herrn Abgeordneten Schmidt .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Entschuldigen Sie, Herr Präsident, ich habe jetzt schon die Frage 3 beantwortet.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt?
Nein, aber die Frage 2 ist noch nicht beantwortet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Frage VII /2 war unter der Voraussetzung gestellt worden, daß die erste Frage mit Nein beantwortet würde. Ich habe auf die erste Frage nicht mit Nein geantwortet.
Also jetzt ist die Verwirrung ganz groß.
Da muß man sozusagen in den Fragesteller hineinschlüpfen, bis man die Konstruktion und den Sinnzusammenhang erfaßt.
Bitte sehr, eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich in diesem Zusammenhang fragen, ob die Bundesregierung eine Möglichkeit sieht, jetzt, 20 Jahre nach Kriegsende, die Begnadigung des letzten, offenbar kranken Häftlings im Spandauer Gefängnis aus humanitären Gründen und auch in Übereinstimmung mit sehr vielen ausländischen Stimmen der letzten Jahre zu erreichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung bemüht sich in dieser Angelegenheit. Ich bitte um Verständnis dafür, daß diese Frage keine öffentliche Erörterung verdient.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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4088 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4089
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spitzmüller. An Wen?
— An das Auswärtige Amt. Bitte sehr!
Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben von einer Mitteilung der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen vom Januar 1966. Darf ich fragen, ob es sich hier um eine wertende Stellungnahme oder um eine karteimäßige Mitteilung handelte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wurden von der Staatskanzlei, d. h. von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, am 11. Januar und 24. Februar 1966 Bedenken angemeldet.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dorn.
— An den Herrn Staatssekretär des Innenministeriums.
Herr Staatssekretär, nach der Auskunft, die Sie soeben gegeben haben, besteht doch die Gefahr, daß durch irgendwelche Feststellungen irgendeiner Behörde, zu deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit sich der Betroffene niemals äußern kann, von einer Bundesbehörde oder vom Bundespräsidenten eine Entscheidung getroffen wird, die den Verdächtigungen Tür und Tor öffnet. Sind Sie nicht der Meinung, daß ein solches Verfahren äußerst problematisch ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es handelt sich ja nicht um eine Entscheidung, die hier getroffen wird, sondern es handelt sich um eine Antwort auf eine bloße Anfrage, die der. ausländische Staat stellt, ehe er einen formellen Antrag stellt. Insofern glaube ich nicht, daß man in diesem Stadium schon von einem Eingriff in irgendwelche Rechtsbefugnisse des Betroffenen sprechen kann.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dorn.
Herr Staatssekretär, besteht denn die Möglichkeit, daß der ausländische Staat trotzdem den Orden verleiht, oder wenn er ihn nicht verleiht, daß vorher eine nochmalige Entscheidung getroffen wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der ausländische Staat braucht sich an die Beantwortung der Voranfrage nicht zu halten. Es liegt aber doch nahe, daß er das tut. Denn die Annahme der Auszeichnung bedürfte ja der Genehmigung, und die negative Beantwortung der Voranfrage besagt doch, daß das Staatsoberhaupt nicht bereit ist, diese Genehmigung zu erteilen. Infolgedessen hätte doch dieser Weg keinen Zweck; denn der ausländische Staat wüßte doch, daß er den von ihm angestrebten Erfolg auf dem Wege nicht erreicht.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geißler.
Herr Staatssekretär des Auswärtigen, habe ich Sie richtig verstanden, daß die Verweigerung des Ordens auch im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt erfolgt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, der Herr Bundespräsident hat nach Anhören des Bundesministers des Innern in eigener Entscheidung und im Einvernehmen mit den Ressorts, die zur Stellungnahme zur Sache aufgefordert waren, der französischen Regierung über das Auswärtige Amt nahegelegt, von einer Verleihung der Auszeichnung abzusehen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Genscher.
Herr Staatssekretär des Auswärtigen, im Ordensgesetz sind Regelungen für die Beantwortung von Anfragen ausländischer Staaten nicht vorgesehen, sondern es geht da nur um die Frage, ob ein Deutscher einen ausländischen Orden annehmen darf oder nicht. Ich frage Sie: Auf welcher Rechtsgrundlage ist der französischen Regierung eine solche Mitteilung gemacht worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen bedarf die Ordensverleihung an Deutsche durch ausländische Staaten der Genehmigung des Herrn Bundespräsidenten. Das ist die Rechtsgrundlage.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lohmar.
Ich möchte mich an den Herrn Staatssekretär des Innern wenden, wenn es erlaubt ist.
Sie dürfen sich wenden. Aber ich muß den beiden Staatssekretären jetzt doch sagen: Das Haus ist frei, Sie alles zu fragen, was es für richtig hält und was im Rahmen des Ziemlichen vom Präsidenten zugelassen wird; die Regierung ist frei, zu antworten oder nicht zu antworten. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Lohmar.
Herr Staatssekretär, darf ich auf Ihre Argumentation in Ihrer ersten Antwort zurückkommen und Sie fragen, ob Sie nicht das Problem der Rechtsgüterabwägung erkennen, das zwischen der Einhaltung internationaler Gepflogen-
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4090 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1963
Dr. Lohmarheiten, auf die Sie sich bezogen haben, einerseits und der Wahrung der wohlverstandenen Interessen eines solchen Staatsbürgers andererseits entstanden ist, und zwar offenbar in diesem Falle ohne Zutun der betroffenen Frau Professor Faßbinder, die ja nicht von sich aus die Öffentlichkeit über diesen Vorgang informiert hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin mir dieser Abwägung bewußt, Herr Abgeordneter, und habe deswegen auch in meiner Antwort gesagt, daß ich glaube, daß eine solche parlamentarische Diskussion in diesem Stadium nicht im Interesse der Betroffenen und überhaupt nicht im Interesse derjenigen liegt, die für solche Ordensauszeichnungen in Betracht kommen. Denn ich bin sicher, daß die ausländischen Staaten, wenn sie wissen, daß Voranfragen zu solchen Folgerungen führen können, damit sehr zurückhaltend sein werden, und das kann nicht in unserem Interesse liegen.
Zweite und letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lohmar.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung den Vorfall zum Anlaß nehmen, sich zu überlegen, ob sie dem Bundespräsidenten für die Zukunft raten wird, bei der Verleihung solcher Auszeichnungen wie der, um die es sich hier handelt, nämlich für wissenschaftliche Leistungen, die Hereinnahme möglicher politischer Überlegungen zu vermeiden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß es ablehnen, diese Frage zu beantworten, weil Sie mich nämlich auf diese Weise doch zur Deklaration der Gründe zwingen wollen, und ich habe erklärt, daß ich dazu nicht bereit bin.
Zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Genscher.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie hier soeben das Parlament in seiner Fragestellung kritisch qualifiziert haben, — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Es ist nicht üblich, daß die Regierung in dieser Weise kritisiert wird. Sie haben hier jede Möglichkeit, im Rahmen der zusammenhängenden Rede das zu tun, auch in einer Aktuellen Stunde, aber nicht in einer Frage. Die Frage muß wertfrei sein, das ist eine zwingende Vorschrift der Geschäftsordnung. — Bitte sehr, Herr Abgeordneter!
Ich formuliere die Frage neu. Sind Sie nicht der Meinung, Herr Staatssekretär, daß die Tatsache, daß der Betroffene kein Rechtsmittel gegen eine Verweigerung der Genehmigung zur Annahme eines solchen Ordens hat, seine persönlichen Rechte viel mehr beeinträchtigen kann als eine Erörterung im Parlament?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das glaube ich nicht. Ich glaube, daß der Betreffende genügend Gelegenheit hat, seine Position zur Geltung zu bringen, auch außerhalb einer parlamentarischen Debatte.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spitzmüller.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
An den Herrn Staatssekretär des Auswärtigen: Herr Staatssekretär, ich komme aus Ihren Antworten nicht ganz klar. Sie beziehen sich bei Ihrer Auskunft auf den § 5 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen. Dort heißt es:
Genehmigung der Annahme
Ein Deutscher darf Titel, Orden und Ehrenzeichen von einem ausländischen Staatsoberhaupt oder einer ausländischen Regierung nur mit Genehmigung des Bundespräsidenten annehmen.
Ist die Entscheidung, die der Herr Bundespräsident getroffen hat, eine Entscheidung nach § 5 des Gesetzes über Titel, Orden und Ehrenzeichen, oder ist es eine Entscheidung, die außerhalb, bereits in einem Vorverfahren getroffen wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, der Herr Staatssekretär im Bundesministerium des Innern fühlt sich zur Beantwortung dieser Frage mehr zuständig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage im freundlichen Einvernehmen mit meinem Kollegen beantworten. Es ist doch so, daß durch diese Voranfrage der förmliche Bescheid, der nach § 5 erteilt werden müßte, nicht erteilt werden soll. Man will im Vorwege ein Verfahren haben, um diese unter Umständen harte Entscheidung, nämlich daß man einem ausländischen Staat auf einen formellen Antrag nein sagen muß, zu vermeiden. Das ist ein Weg, der in allen Verwaltungen üblich ist und bei dem man begrüßen sollte, daß es ihn gibt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Staatssekretär, können Sie mir die Frage beantworten, die mir draußen in dieser Hinsicht immer wieder gestellt wird, welchen Unterschied es speziell bei der Handhabung des Rechts zwischen unserem Staat und totalitären Staaten gibt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe keinen Zusammenhang mit dem
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4091
Staatssekretär Dr. ErnstVerfahren in totalitären Staaten. Ich halte das Verfahren, das hier gehandhabt wird, für überaus liberal und rechtsstaatlich. Ich weiß nicht, was das mit den Methoden totalitärer Staaten zu tun haben soll.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich mich darauf beziehe, daß in der Presse verschiedentlich Vergleiche mit Ossietzky und Pasternak gezogen worden sind, dann wird Ihnen vielleicht die Fragestellung klar, wie ich sie eben gemeint habe.
Herr Abgeordneter, ich lasse diese Frage nicht zu auf Grund einer Vorschrift der Geschäftsordnung, die besagt, daß auch Zusatzfragen nicht nur nicht unterteilte Fragen sein müssen, sondern auch keine Feststellungen oder Wertungen — auch nicht indirekt — enthalten dürfen. Diese Frage wird also nicht beantwortet.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Matthöfer.
Ich habe eine Frage an den Herrn Staatssekretär im Bundesministerium des Innern: Herr Staatssekretär, wenn man schon nicht erfahren kann, welche Gründe für die Ablehnung angeführt werden, können Sie uns dann wenigstens sagen, aus welchen Gründen der französische Orden verliehen werden sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das hat die französische Regierung bei der Voranfrage nicht mitgeteilt. Es ist auch nicht üblich, solche Gründe mitzuteilen.
Zweite Zusatzfrage!
Ist Ihnen in der Zwischenzeit denn wenigstens aus der Presse bekanntgeworden, aus welchen Gründen der Orden verliehen werden sollte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Selbstverständlich! Es stand ja in der Zeitung.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, halten Sie es mit den rechtsstaatlichen Prinzipien für vereinbar, daß in dem von Ihnen geschilderten Fall und der von Ihnen angenommenen Rechtslage ein Betroffener nach unserem Recht offensichtlich keine Möglichkeit hat, eine Nachprüfung einer Entscheidung auf gerichtlichem Wege herbeizuführen? Dr. Ernst, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern: Das ergibt sich daraus, daß ein offizieller Entscheid hier nicht getroffen wird, sondern, ehe ein Entscheid ergeht, gegen den sich der Betroffene wehren könnte, nämlich die Ablehnung der Genehmigung, die Behörden miteinander verhandeln, ob man diesen Antrag stellen sollte oder nicht.
Herr Abgeordneter, ich darf noch einmal sagen — ich selber bin sechs Jahre Richter gewesen und verstehe etwas davon —: Wenn man den Gedanken des Rechtsschutzes überspitzt, dann werden gewisse Handlungen der Verwaltung nicht mehr vorgenommen. Genau das ist hier der Fall. Dann ergehen solche Anfragen nicht. Dann werden auch in irgendwie zweifelhaften Fällen solche Voranfragen nicht ergehen, und die Ordensverleihung wird in solchen Fällen nicht in Erwägung gezogen. Ich wiederhole, daß das nicht im Interesse von uns allen liegen kann.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Moersch.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man aus Ihrer hier eben dargelegten Auffassung herauslesen kann, daß nach Meinung der Bundesregierung der Staatszweck über dem Bürgerrecht steht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe nicht von Staatszweck gesprochen, Herr Abgeordneter.
— Die dient dem Interesse des Bürgers — das habe ich wiederholt gesagt — und nicht des Staates.
Herr Abgeordneter Müller .
Herr Staatssekretär, wieviel Entscheidungsspielraum blieb dehn, nachdem das Ergebnis der Prüfung der Landesregierung in dieser Frage vorlag?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es bestand ein unbegrenzter Entscheidungsspielraum des Bundespräsidenten und ein Vorschlagsrecht des Ministers. Die Landesregierung hatte lediglich gewisse Gesichtspunkte angegeben, auf Grund deren man vielleicht so oder so entscheiden konnte.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Metzger.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß sich eine fremde Regierung viel eher veranlaßt sehen könnte, keine Anfragen mehr an die deutsche Regierung zu richten, wenn solche Ablehnungen wie diese, die ja doch erstaunlich ist, erfolgen, und wenn man nicht klar sagt, um was es sich handelt, warum man abgelehnt hat?
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4092 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, eine Regierung, die anfragt, stellt auch die Möglichkeit in Rechnung, daß die Anfrage negativ beantwortet wird. Sonst wäre die Anfrage doch eine bloße Farce.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß eine solche Regierung erwartet, daß sie von der deutschen Bundesregierung eine Ablehnung nur dann erhält, wenn wirklich schwerwiegende Gründe vorliegen, und daß dann, wenn — wie das ja hier offensichtlich der Fall ist — politische Gründe vorliegen, eine solche Ablehnung im allgemeinen nicht erfolgt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, schwerwiegende Gründe lagen vor, aber ich sage Ihnen noch einmal, ich bin nicht bereit, zu sagen, welche Gründe das waren.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in der Begründung zum Regierungsentwurf des Ordensgesetzes die Notwendigkeit für diese Genehmigung damit begründet ist: „Eine Kontrolle über die Ordensverleihungen fremder Staaten ist notwendig, um Auszeichnungen aus in der Bundesrepublik nicht anerkannten Gründen auszuschließen?" Wie verhält sich dazu Ihre Stellungnahme, wenn Sie sagen, daß einerseits gar nicht bekannt gewesen sei, aus welchen Gründen Frau Faßbinder der Orden verliehen wird, und Sie andererseits hier nicht mitteilen können, welche Gründe der Genehmigung entgegenstehen, wenn es doch nach der Begründung des Entwurfs nur darum geht, die Verleihungen aus nicht anerkannten Gründen auszuschließen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ablehnung, die der Herr Bundespräsident ausgesprochen hat, deckt sich unserer Meinung nach voll und ganz mit dem Sinn und Zweck des § 5 des Ordensgesetzes. Sonst hätte ja die Bundesregierung dem Herrn Bundespräsidenten nicht einen dahin gehenden Vorschlag machen können.
Meine Damen und Herren, ich lasse jetzt noch eine Zusatzfrage zu. Dann kommt die nächste Frage. Wir müssen fertig werden mit dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts.
Herr Abgeordneter Tallert zu einer Zusatzfrage.
Sind Sie bereit zu sagen, daß die Gründe der Ablehnung andere Gründe als politische waren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin nicht bereit, diese Frage zu beantworten.
Dann rufe ich die Frage VII/ 8 des Herrn Abgeordneten Schulz auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß es mit den Prinzipien geistiger Freiheit in einem Rechtsstaat vereinbar ist, abweichende bzw. von der großen Mehrheit als falsch empfundene politische Auffassungen zum Anlaß zu nehmen, rein literarischen und dabei über die deutschen Grenzen hinaus anerkannten Leistungen den gebührenden Respekt zu verweigern?
Sie wird übernommen vom Herrn Abgeordneten Sänger.
— Nein, die kann man nicht einklagen, Herr Kollege Tallert. Es gibt Dinge, die kann man einklagen; dann muß der Präsident. Aber es gibt andere, da braucht er nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung glaubt nicht, daß eine negative Stellungnahme zu einer beabsichtigten Ordensverleihung durch einen dritten Staat eine abträgliche Wirkung auf das Deutschlandbild hat. Die Voranfrage der verleihenden Regierung — das ist eben noch einmal dargestellt worden — schließt die Möglichkeit einer negativen Beantwortung durchaus ein. Es ist sogar der Sinn der Voranfrage, Mißverständnisse und Störungen im zwischenstaatlichen Verkehr zu vermeiden.
Zusatzfrage.
Herr Präsident, es ist das Mißliche dieser Fragen VII/8 und VII/9, daß sie in ihrem Sachgehalt sowohl Innen- wie Außenministerium betreffen. Darf ich meine Frage jetzt an den Vertreter des Bundesministers des Innern stellen?
Es ist sehr freundlich, daß der Präsident ausnahmsweise auch einmal gefragt wird. Dann darf er auch einmal etwas sagen.
Sie dürfen das, Herr Kollege Sänger.
Herr Staatssekretär, in Würdigung Ihrer Stellungnahme, daß Sie die vorhin von mir erfragte Behörde nicht nennen wollen, aber auch in Beachtung Ihrer Mitteilung, daß der Herr Bundespräsident eine fast unbegrenzte Möglichkeit, zu entscheiden, hatte, möchte ich fragen: Waren die von der ungenannten Behörde mitgeteilten Tatsachen erwiesen wahr, oder beruhten sie auf den üblichen Berichten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, sie waren erwiesen wahr.
Dann rufe ich die Frage VII/9 des Herrn Abgeordneten Rau auf:
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4093
Präsident D. Dr. GerstenmaierWie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung auf das Deutschland-Bild in Frankreich und auf ihre Bemühungen um weitere Annäherung der beiden Völker und Staaten, wenn das deutsche Staatsoberhaupt einer überzeugt pazifistischen Bonner Professorin untersagt, eine hohe Auszeichnung der französischen Republik anzunehmen, die ihr für die Verbreitung des Werkes des französischen Schriftstellers und Diplomaten Paul Claudel, dessen Lebenswerk wesentlich der Festigung katholischen Christentums gewidmet war, zugedacht war?Sie wird übernommen von Herrn Abgeordneten Westphal.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich habe eben versucht, die Frage zu beantworten.
Ja, das habe ich verstanden, und der Substanz nach ist die Frage auch beantwortet; aber Sie müssen sich die Mühe machen, noch einmal darauf zu antworten, weil jeder Fragesteller ein Recht auf Beantwortung hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich mache mir jede Mühe gern. Ich möchte noch einmal unterstreichen, was ich eben schon gesagt habe und womit ich glaube, diese Frage schon beantwortet zu haben. Die Bundesregierung glaubt in der Tat nicht, daß eine negative Stellungnahme zu einer beabsichtigten Ordensverleihung durch einen dritten Staat eine abträgliche Wirkung auf das Deutschland-Bild haben kann.
Zusatzfrage des Abgeordneten Westphal.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen das Echo in der französischen Presse zu diesem Vorgang bekannt, und wie sah es aus?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Echo ist mir bekannt.
Und wie sah es aus?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Echo war nicht positiv.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Moersch.
Herr Staatssekretär, darf ich also aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung bedauert, wenn bei dieser Affäre auch der Name des Dichters Claudel mit ins Gespräch, und zwar abwertend ins Gespräch gekommen sein sollte? -
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe vorhin gehört, daß ich auch die Beantwortung von Fragen ablehnen kann. Ich möchte, Herr Präsident, diese Frage nicht beantworten.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spitzmüller.
Ist die Bundesregierung jetzt, angesichts des neuen Frühlings der deutschfranzösischen Verständigung und da sie nunmehr weiß, daß es sich um eine Auszeichnung für kulturelle Verdienste um die Verständlichmachung eines französischen Dichterwerks gegenüber dem deutschen Volk handelt, bereit, zu überprüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, dem Herrn Bundespräsidenten nahezulegen, seine getroffene Vorentscheidung noch einmal zu überprüfen und einer endgültigen Entscheidung im Sinne des § 5 Abs. 1 dann die Zustimmung zu geben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, eine derartige Voranfrage liegt nicht vor.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Genscher.
Herr Staatssekretär, würden Sie in Übereinstimmung mit den Motiven zu diesem Gesetz sagen, daß die Gründe, die in Frankreich für die Verleihung dieses Ordens in Erwägung gezogen worden sind, von der Bundesregierung nicht anerkannt werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich muß auch auf diese Frage eine Antwort ablehnen, da sie wieder auf die Motive und die Gründe der Entscheidung des Herrn Bundespräsidenten im Frühjahr des vergangenen Jahres zurückgeht.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß das Haus einverstanden ist, daß wir die Uhr für zwei Minuten anhalten und noch die drei Fragen des Herrn Abgeordneten Spitzmüller aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern aufrufen, weil sie nämlich zur gleichen Sache gehören und wir morgen dann zu anderen Fragen kommen. — Ich höre keinen Widerspruch. Ich rufe also die Fragen VIII/1, VIII/2 und VIII/3 auf:
Ist die Bundesregierung bereit, an Hand der nach Artikel 58 des Grundgesetzes vorhandenen Unterlagen dem Bundestag mitzuteilen, in wie vielen Fällen die Genehmigung für die Annahme eines ausländischen Ordens aus einem NATO-Staat an Bundesbürger erteilt wurde?
Treffen Pressemeldungen zu, daß unter Mitwirkung des Bundesinnenministeriums der Bundespräsident die Zustimmung zur Verleihung des französischen Ordens Palmes Académiques, der unter Mitwirkung der französischen Regierung für besondere Verdienste um Universität oder Wissenschaft verliehen wird, an Frau Professor Faßbinder aus politischen Gründen versagte?
Hält die Bundesregierung eine aus politischen Gründen erfolgende Ablehnung eines Ordens mit den Bestimmungen des Grundgesetzes für vereinbar, nach denen niemand wegen seiner politischen Anschauung verfolgt oder benachteiligt werden darf, es sei denn, daß die politische Richtung ausdrücklich für verfassungsfeindlich erklärt und die sie repräsentierende Partei deswegen verboten worden ist?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur ersten Frage: Ja, die Bundesregierung ist dazu bereit. Es sind seit Bestehen der Bundesrepublik bis Ende vorigen Jahres für Angehörige der Bundesrepublik Deutschland zur Annahme von Orden aus NATO-Staaten 2136 Annahmegenehmi-
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4094 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Staatssekretär Dr. Ernstgungen erteilt worden. In einigen wenigen, aber statistisch nicht erfaßten Fällen wurde bei Beantwortung der international üblichen Voranfrage der ausländischen Regierung vorgeschlagen, von einer Ordensverleihung abzusehen.
Sind damit alle Fragen erledigt?
Keine Zusatzfragen.
Meine Damen und Herren, die Fragestunde ist beendet. Wir fahren morgen fort mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
Ich rufe auf — einer interfraktionellen Vereinbarung folgend — den Punkt 4 der Tagesordnung:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 20. Januar 1967
Ich frage aber, bevor ich hier die Aussprache eröffne, ob der Punkt 3 nachher behandelt werden soll oder am Freitragvormittag. Ich habe gehört, dieser Punkt solle am Freitagvormittag aufgerufen werden. Es handelt sich um den Gesetzentwurf der FDP zur Änderung des Bundesbeamtengesetzes.
— Das Haus ist einverstanden. Der Punkt 3 wird abgesetzt. Er kehrt nächste Woche wieder.
Wir kommen nun zu Punkt 4. Das Wort hat Herr Abgeordneter Emde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom vergangenen Freitag, die Erklärungen der Herren Finanzminister und Wirtschaftsminister vor Presse und Haushaltsausschuß und die verteilten Unterlagen machen deutlich, welche Wege die Regierung einschlagen will, um die Probleme des Haushaltsausgleichs im Jahre 1967 zu lösen. Wenn auch die angekündigten Initiativanträge der Fraktionen der Regierungskoalition, mit denen der verfassungsmäßige Ablauf über den Bundesrat verkürzt werden soll, noch nicht vorliegen, so ist doch jetzt die parlamentarische Debatte über den von der Regierung vorgeschlagenen Kurs ein Gebot der Stunde, denn die Zeit drängt. Die Bundesregierung soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Meinungen der Fraktionen dieses Hauses offiziell kennenlernen und wissen, wo die Fraktionen die Vorschläge unterstützen, wo Diskussionen, Zweifel und Probleme gesehen werden, um zu wissen, in welcher Breite sie sich auf die parlamentarische Unterstützung dieses Hauses verlassen kann.Die Vorschläge der Regierung stehen am Ende einer mehrmonatigen Auseinandersetzung, die vordergründig um die Probleme der Finanz- und Wirtschaftspolitik geführt wurde, die durch den Umfang der in der Zukunft zu fällenden Entscheidungen aber die Grundlagen der gesamten deutschen Innen- und Außenpolitik erfaßt hat. So muß die heutige Aussprache ausgehen von den haushalts- und wirtschaftspolitischen Absichten der Regierung. Eine Bewertung dieser Absichten und eine klare Meinungsäußerung der Fraktionen können aber nur unter Bewertung der finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen der empfohlenen Maßnahmen erfolgen.Seit dem November des vergangenen Jahres hatte sich die Haushaltslage des Bundes ständig verschlechtert. Die zunehmende Wirkung der langfristigen Restriktionspolitik der Bundesbank, sinkende Investitionsausgaben der öffentlichen Hand infolge zunehmender Haushaltsenge, die im Winter jahresübliche Abschwächung der Produktion, kombiniert mit der Erkenntnis der Öffentlichkeit, daß der wirtschaftliche Aufstieg Deutschlands, das sogenannte Wirtschaftswunder, nicht eine Naturnotwendigkeit ist, sondern vom Einfluß vieler Faktoren abhängt, hatten zu einer deutlichen Verlangsamung der Wirtschaftsentwicklung geführt. Die Stunde war gekommen, die Politik der Bremsung der Überkonjunktur abzuschalten, um den Weg in eine Rezession zu vermeiden.Diese Fragen haben schon bei der ersten Lesung des Haushalts 1967 am 10. November hier im Hause eine Rolle gespielt. Ich hatte damals die Aufgabe, für meine Partei auf diese Fragen hinzuweisen. Die entscheidenden Schwierigkeiten für die notwendige Kursänderung bestanden aber darin, einen echten Haushaltsausgleich zu schaffen. Denn nur unter der Voraussetzung einer ausgeglichenen Haushaltswirtschaft des Bundes war die Deutsche Bundesbank bereit, ihre Restriktionen zu lockern und damit die währungspolitischen Voraussetzungen für eine Phase neuen wirtschaftlichen Wachstums zu sichern.An dem Tag jedoch, an dem deutlich wurde, daß die Steuerzuwachsquote zurückging, wurde jede Stunde kostbar. Denn die Wechselwirkung von vermindertem Wachstum und Steuerrückgängen kann in der Anfangsphase relativ leicht, mit zunehmender Verschlechterung der Lage aber nur immer mühsamer abgefangen werden. Wehe aber, wenn in einem solchen Zustand wirtschaftlichen Umschwungs falsche Entscheidungen getroffen werden! Selbst geringfügige Fehlhandlungen können dann schwerwiegende Folgen haben.So ist es zu begrüßen, daß heute ein Strauß von Maßnahmen behandelt wird, der zwei Probleme für das laufende Haushaltsjahr zu lösen versucht: erstens das Problem des Haushaltsausgleichs und zweitens das Problem der Belebung der deutschen Binnenkonjunktur.Die Absichten der Regierung versprechen einen Ausgleich des Haushalts 1967. Dieser Ausgleich ist nicht ganz echt. Aber in der heutigen Situation gibt es nur ein rasches Handeln nach vorn. Entscheidend ist, daß die Regierung nach langem Kampf den Mut zu Entschlüssen gefunden hat. Wir, die Opposition, begrüßen ausdrücklich diese Tatsache.Mit besonderer Genugtuung erfüllt uns dabei, daß der Haushaltsausgleich ohne Steuererhöhungen
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967 4095
Dr. Emdevorgenommen wurde. Dafür möchten wir Sie, Herr Bundeskanzler, ausdrücklich beglückwünschen. Denn nach unseren Erfahrungen aus vergangenen Verhandlungen mit Ihrer Fraktion, der CDU/CSU, wissen wir, wie mühsam es gewesen sein muß, die Erkenntnis durchzusetzen, daß Steuererhöhungen in der Phase wirtschaftlichen Rückgangs ein ungeeignetes Mittel zur Erzielung von Mehreinnahmen sind.
Allerdings, Herr Bundeskanzler, wir stünden um vieles günstiger da, wenn diese nunmehr gewonnene Erkenntnis früher geistiges Rüstzeug Ihrer Partei gewesen wäre.
Sie selbst, Herr Bundeskanzler, hatten in Ihrer Regierungserklärung vom 13. Dezember unter Punkt 10 gesagt: „Eine Regierung kann nicht von vornherein auf Steuererhöhungen verzichten." Das kann sie nicht; das ist auch unsere Meinung.
Allerdings, Herr Bundeskanzler, vom Herbst vergangenen Jahres an mußte jedem Fachmann klar sein, wohin der Kurs der Konjunkturentwicklung ging, und aus dieser Erkenntnis heraus hatte die FDP immer wieder erklärt — und das ist wichtig, Herr Kollege Barzel —: Steuererhöhungen sind in der gegenwärtigen Situation kein geeignetes Mittel zum Haushaltsausgleich, und darum muß der Haushalt 1967 ohne Steuererhöhungen, ausgeglichen werden.
Wir hatten diese Erklärung in der Konjunktursituation des vorigen Jahres abgegeben, und ich glaube, das, was hier gesagt worden ist, wird von den Tatsachen bestätigt. Ich komme an einer anderen Stelle meiner Ausführungen darauf zurück.Auch Sie, Herr Bundeskanzler, hatten zwei Sätze später in Ihrer Regierungserklärung gesagt: „Das Wachstum der Wirtschaft darf jedoch durch steuerliche Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden." Eine richtige Erkenntnis; leider aber haben Sie mit der Parlamentsmehrheit wenige Tage später genau andersherum gehandelt, und leider ist prompt die psychologische Reaktion der Verbraucherschaft eingetreten, die vorherzusehen und von uns befürchtet war.Schon die Erhöhung der Sekt- und Branntweinsteuer im Dezember 1965 hat im vergangenen Jahr nicht die erwarteten Steuermehreinnahmen gebracht. Das aber, was im Dezember 1966 an kombinierten Maßnahmen in Richtung auf den deutschen Kraftfahrer veranstaltet wurde, mußte psychologische Auswirkungen auf den Autokäufer haben. Das Zusammenwirken der Tariferhöhung der Haftpflichtversicherung, der Senkung der Kilometer-Pauschale und der Erhöhung der Mineralölsteuer mußte in einer psychologisch so labilen Situation zu einer Zurückhaltung der Käufer führen und damit Absatzschwierigkeiten in einem bislang von krisenhaften Erscheinungen unberührten wichtigen Bereich unserer Wirtschaft bringen.
Ich habe das Schreiben des Gesamtbetriebsrates eines der großen Automobilwerke erhalten, in dein auf diese Gefahr hingewiesen wurde.
— Herr Kollege Leicht, die Mittel aus der Mineralölsteuererhöhung haben wir nicht dem Bundeshaushalt, sondern den Gemeinden zugeführt. Sie haben also in keiner Weise geholfen, die Haushaltslage des Bundes zu verbessern. Man sollte intellektuell ehrlich argumentieren und diskutieren, wenn wir hier zu Ergebnissen kommen wollen.
Ich habe mit Freude gehört, daß der Herr Bundesfinanzminister gestern im Haushaltsausschuß das Zusammenwirken der verschiedenen Maßnahmen in diesem Sektor in seinem mündlichen Vortrag ebenso bewertet hat, wie ich es jetzt in meiner Darstellung tue. Das zeigt, daß nunmehr eine relativ weitgehende Übereinstimmung zwischen den Beteiligten besteht. Aber man hätte das alles billiger haben können. Im November 1966 waren sich Sozialdemokraten und Freie Demokraten darüber einig, daß unter den gegebenen Verhältnissen der Haushaltsausgleich ohne Steuererhöhungen gesucht werden sollte. Diese Übereinstimmung bestand auch dann noch, als die letzten Zahlen über künftige Haushaltsdefizite den beiden Verhandlungspartnern bekanntgeworden waren.Nein, meine Damen und Herren, es gab tatsächlich nur den harten Weg, Ausgaben zu streichen, Subventionen und Steuervergünstigungen abzubauen. Die FDP begrüßt es, daß nunmehr ausschließlich diese drei Methoden der Finanzwirtschaft angewandt wurden, um den Ausgleich des Bundeshaushalts 1967 herbeizuführen.
Natürlich ist es immer schwieriger, Ausgaben zu verringern und Vorteile abzubauen, insbesondere wenn der Abbau von Vorteilen und das Streichen von Maßnahmen von denen vorgenommen werden muß, die selbst Urheber früherer Gesetzesinitiativen gewesen sind.Aber auch hier gilt das Wort: Je schneller und je entschlossener gehandelt wird, um so leichter sind die Probleme zu lösen und um so günstiger ist die Ausgangsstellung für die künftige Entwicklung. Wir Freien Demokraten hatten in der ersten Lesung des Bundeshaushalts 1967 eine detaillierte Aufstellung mit Streichungsvorschlägen vorgelegt. Es freut uns, daß im großen und ganzen unsere damaligen Vorstellungen Eingang gefunden haben in die verschiedenen Positionen des Finanzplanungsgesetzes und in die Vorschläge, die die Bundesregierung jetzt macht. Diese Übereinstimmung ist ein Zeichen dafür, daß unsere Vorschläge im vergangenen Jahr absolut realistisch waren; in Einzelpositionen stim-
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4096 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Dr. Emdemen sie mit den Entscheidungen der jetzigen Regierung fast hundertprozentig überein.Äußerst interessant finden wir die Tatsache, daß nunmehr das Ausbildungsbeihilfengesetz, also das sogenannte Pennälergehalt, zum 30. Juni 1967 restlos gestrichen wird. Das war unser Vorschlag schon bei den Koalitionsverhandlungen im November vergangenen Jahres. Teile der CDU haben uns daraufhin vorgeworfen, wir seien familienfeindlich und auf dem Wege der Sozialdemontage. Nun, inzwischen hat auch die CDU erkannt, daß mit diesem Gesetz nicht das erreicht wird, was man bei einer vernünftigen Ausbildungsförderung erreichen könnte, und mit dem Beschluß der Streichung wird nunmehr die Möglichkeit geschaffen, die verschiedenen im Bundeshaushalt verstreuten Maßnahmen der Ausbildungsförderung in einer gemeinsamen Aktion mit den Ländern zu einem sinnvollen Gesetz zusammenzufassen, bei dem sicherlich höhere Erfolge mit geringerem Finanzaufwand erreicht werden können. Die FDP wird an einem solchen Gesetz tatkräftig und positiv mitarbeiten. Eigenartig ist allerdings, daß die Regierung erst jetzt die notwendigen Erkenntnisse in dieser Frage gewonnen hat. Noch bei der Debatte über das Finanzplanungsgesetz sind hier vom Plenum die Mittel für das Pennälergehalt um 55 Millionen DM erhöht worden. Wahrlich, ein eigenartiger Zickzack-Kurs, der hier gesteuert wurde. Die FDP hat gerade wegen dieser Tatsache — der Erhöhung des Pennälergehalts — das Finanzplanungsgesetz im vorigen Jahr abgelehnt. Wir hätten bei einer sofortigen Streichung i) 85 Millionen DM mehr erspart, die der Herr Bundesfinanzminister heute an anderer Stelle des Haushalts hätte gebrauchen können.Ich möchte hier nicht im einzelnen die Regierungsliste durchgehen, da heute ja keine Etatdebatte stattfindet, sondern eine politische Aussprache veranstaltet wird. Lassen Sie mich daher nur kurz einige Bemerkungen zu den wesentlichen übrigen Teilen der Ausgleichsvorschläge machen.Der Abbau der Steuervergünstigungen, der sich in der Verkürzung der Zahlungsfristen für Verbrauchsteuern und Zölle abspielt, erbringt dem Bund eine beträchtliche Mehreinnahme: 790 Millionen in diesem Jahr und 300 im nächsten Jahr. Aber es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß dies nur ein einmaliger Erfolg sein wird; denn mit dem Vorziehen der Zahlungsfristen wird nunmehr der frühest mögliche Steuertermin erreicht. Diese Methode ist also nicht wiederholbar. Für die Wirtschaft wirkt sich diese Maßnahme kontraktiv aus; denn die Mittel stehen bei den einzelnen Betrieben bestimmt nicht frei verfügbar in den Kassen, sondern werden in fast allen Fällen durch Erhöhung der Bankkredite beschafft werden müssen. Es ist also diese Abkürzung der Zahlungsfristen, der wir zustimmen, keine Wunderwaffe, sondern eine Maßnahme mit Vor- und Nachteilen, die man deutlich sehen muß, wenn man keine Überraschungen erleben will.Auch die Erhöhung des außerordentlichen Haushalts bringt eine zusätzliche Belastung des Kapitalmarkts, von dem in diesem Jahr allerhand erwartet wird. Auch hier sollte man die Grenzen und Realitäten sehen und nicht annehmen, daß nunmehr das Nachdenken über den Haushaltsausgleich zu Ende sei.Es gibt aber bei den Streichungen einige Grundsatzfragen, die nicht durch schlichtes Schweigen umgangen werden können. Es ist besser, kritische Probleme sofort und in aller Sachlichkeit und Nüchternheit hier zu behandeln, als in polemischer Form darüber zu diskutieren. Eigenes Schweigen aber veranlaßt andere, nicht im Parlament vertretene Gruppen, sich der Polemik zu bedienen. Die psychologischen Schäden, die angerichtet werden, wiegen dann schwer. Es sagt sich leicht und klingt auch ganz vernünftig: Alle Bereiche sollen durch die Kürzungen betroffen werden. Wobei man davon auszugehen scheint, daß allein schon mit dem Vorschlag, bei allen zu kürzen, ein System der Gerechtigkeit geschaffen wäre. Dabei stimmt es auch gar nicht. Zum Beispiel bleiben die Mittel von Wissenschaft und Forschung ungekürzt, und das ist gut so; denn in jedem Wirtschafts- und Gesellschaftsgefüge wird es immer eine gewisse Ungleichmäßigkeit der Entwicklung geben, die man bei seinen Entscheidungen berücksichtigen muß.Nun ist in der Vergangenheit durch manches harte Auftreten von Interessenvertretern und allzu leichtes Nachgeben aller Parteien gegenüber Forderungen eine Stimmung geschaffen worden, bei der sich jeder, der sich heute gegen Streichungen wehrt, in einer ungünstigen Lage sieht. Vergreift er sich aber gar in der Wahl seiner Argumente und Worte, dann richtet sich der allgemeine Zorn gegen ihn. So einfach dürfen wir es uns hier nicht machen. Dieses Haus hat die Pflicht, alle Argumente abzuwägen und ohne Zorn und Vorurteil zu entscheiden. In dreierlei Bereichen muß besonders nach der Vernunft und den Auswirkungen beabsichtigter Streichungen gefragt werden: erstens bei der Landwirtschaft, zweitens bei der Besoldung des öffentlichen Dienstes und drittens bei der Berlin-Hilfe.Die deutsche Landwirtschaft befindet sich in kritischer Situation. Der Umstellungs- und Modernisierungsprozeß ist noch nicht gemeistert. Die Harmonisierungen der EWG, insbesondere die Getreidepreissenkung, wirken sich gegen den deutschen Landwirt aus. Die Zusagen, die Bundeskanzler Erhard im Dezember 1964 der deutschen Landwirtschaft gegeben hat, sind stückweise 1965 durch das Haushaltssicherungsgesetz, 1966 durch das Finanzplanungsgesetz abgebaut worden und werden nunmehr durch die vorgeschlagene Kürzung des Grünen Planes und sonstiger Maßnahmen erneut verringert. Dieses Vorhaben der Regierung muß genauestens in seinen vielfältigen Auswirkungen überprüft werden. Die FDP wird sich im Verlaufe der Aussprache heute und in der nächsten Woche noch eingehend zu diesem Problem äußern. Wir werden den Antrag stellen, einzelne beim Einzelplan. 10 gestrichene Vorhaben, die zur Verbesserung der Infrastruktur dienen, z. B. Investitionshilfen, Wegebau und Küstenschutz, in den Eventualhaushalt einzubauen. Bei den anderen Dingen
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Dr. Emdewird man die Beratungen im einzelnen abwarten müssen.Die Verschiebung der Besoldungserhöhung für Beamte muß ebenso sorgfältig diskutiert werden.
Auf dem öffentlichen Dienst wird von der Bevölkerung oft Ärger gegenüber dem Staat und manchen Fehlhandlungen des Staates abgeladen. Besoldungswünsche der Beamten sind von vornherein unpopulär, besonders unpopulär jedoch in einer Phase wirtschaftlicher Entwicklung, in der mancher Arbeiter und Angestellte seinen Arbeitsplatz verliert und voller Neid auf den abgesicherten Beamten blickt. Für uns aber sollte es weder Vorurteil noch Ungerechtigkeit geben. Wir werden das Verhältnis des deutschen Beamten zum Staat immer neu den sich wandelnden Verhältnissen anpassen müssen. Dazu gehört aber auch untrennbar eine gerechte Besoldung. Wenn im Zuge der so viel zitierten „konzertierten Aktion" der Lohnanstieg dem Wirtschaftswachstum angepaßt werden soll, dann heißt das doch, daß auch in diesem Jahr ein Lohnanstieg in der Wirtschaft erwartet wird. Ein Aufschieben der ursprünglich vorgesehenen Besoldungserhöhung für Beamte wird also auf der einen Seite den Bundeshaushalt 1967 entlasten, aber ohne Zweifel den von dem Sachverständigengremium festgestellten Besoldungsrückstand gegenüber der Wirtschaft erneut vergrößern. Wir müssen also damit rechnen, 1968 das nachzuholen, was heute zu unterlassen uns vorgeschlagen wird. Der Herr Bundesinnenminister hat nach Pressemitteilungen dem Deutschen Beamtenbund ja auch zugesagt, die strukturelle Neuordnung des Besoldungsrechts bis 1969 abzuschließen, und er hat mit dem Deutschen Beamtenbund übereingestimmt, daß noch andere Schritte notwendig seien, um den bestehenden Nachholbedarf in der Beamtenbesoldung aufzuholen. Hoffentlich werden diese Versprechungen gehalten. Wir gehen davon aus, daß der Herr Bundesinnenminister sich bei dem Herrn Bundesfinanzminister vorher die Zustimmung eingeholt hat, ehe er dem Deutschen Beamtenbund diese Zusagen machte. Wir hoffen, daß der Herr Bundesfinanzminister diese Ausgaben in seinen mittelfristigen Finanzplan einbaut. Denn eines ist unbestritten: die Besoldung der Bediensteten der öffentlichen Hand, also der Beamten, Angestellten und Arbeiter, ist eine Pflichtaufgabe des Staates, und die hierfür erforderlichen und vorgesehenen Mittel sind keine stillen Reserven, aus denen ein etwa anfallender Haushaltsfehlbedarf abgedeckt werden kann.Die Kürzung der Berlin-Hilfe auf den Ansatz des vergangenen Jahres und das Angebot, Bundesbürgschaften an Stelle der gestrichenen 120 Millionen DM zu geben, sind ein gewagtes Unterfangen. Ich bezweifle, daß es sinnvoll ist, heute durch eine derartige Operation schrumpfende Wirkungen auf Investitionen in Berlin auszuüben. Auch die taktische Situation hier im Hause verblüfft mich ein wenig; denn in der Vergangenheit haben immer die Sozialdemokraten mit uns Freien Demokraten tatkräftig zusammengewirkt, um die Haushaltsansätze für Berlin den Bedürfnissen entsprechend zu steigern. Und daß der übliche Ansatz, der hier ausgebracht war, absolut im Rahmen der Notwendigkeiten liegt, heute aber eher mehr als weniger getan werden sollte, das ist doch konjunkturpolitisch unbestritten. Sollte sich jetzt etwa Zuge der konzertierten Aktion der Großen Koalition ein Gesinnungswandel im Grundsatz ergeben haben? Wir hoffen: nein, und wir werden bei den Beratungen Deckungsvorschläge an anderer Stelle machen, um diese Position in der ursprünglich vorgesehenen Höhe zu dotieren. Notfalls müßte diese Position auch in den Eventualhaushalt übernommen werden; denn Grundtendenz dieses Haushalts muß es sein, alles zu tun, um sinnvolle Investitionen der Wirtschaft und des Staates zu fördern.Ohne deutliche und wirksame Maßnahmen des Bundes wird es nicht gelingen, die gebremste Konjunktur in die gewünschte Entwicklung zu bringen. Die eigene Kraft der Wirtschaft reicht nicht aus oder würde zu lange Zeit in Anspruch nehmen. Es muß sofort als belebendes Element ein Auftragsstoß die Wirtschaft beschleunigen, und dazu bietet der Eventualhaushalt die gegebenen Möglichkeiten.Die FDP bejaht verstärkte Investitionen in der von der Regierung vorgesehenen Weise. Wir erwarten, daß möglichst rasch die Entscheidungen über die zu fördernden Projekte gefällt und daß in der ersten Phase insbesondere solche Vorhaben ausgewählt werden, die eine Kettenreaktion von Auftragsvergabe, Beschäftigung und Steuereingang zur Folge haben. Herr Bundeswirtschaftsminister, wir würden es begrüßen, wenn auch das Ressort des Landwirtschaftsministers an der Arbeitsgruppe für den Eventualhaushalt beteiligt würde, so wie Sie es in einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk am 20. Januar mitgeteilt haben. Denn in einem dpa-Gespräch mit Herrn Ministerialdirektor Korff über diese Arbeitsgruppe einige Tage später ist die Landwirtschaft nicht erwähnt. Vielleicht ist es Ihnen möglich, im Verlauf der Aussprache bereits heute eine uns beruhigende Erklärung in dieser Frage abzugeben.Die Methode des Eventualhaushalts ist in ihren Grundzügen bereits in dem Teil des Stabilitätsgesetzes behandelt, der sich mit der Frage der Mobilisierung von Reserven zur Vermeidung einer wirtschaftlichen Rezession befaßt. Die SPD hatte am 10. November vergangenen Jahres aus diesen Überlegungen das Instrument des Eventualhaushalts entwickelt und in die Haushaltsdebatte eingeführt. Wir als FDP haben diesen Vorschlag damals als beachtenswert bezeichnet und in den Koalitionsverhandlungen zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten volle Übereinstimmung in dieser Frage erzielt. Ich möchte dies hier nur noch einmal in der Öffentlichkeit in aller Deutlichkeit feststellen, um klarzumachen, in welch weitgehender Weise wir beiden Verhandlungspartner uns schon im November über Form und Methode dieses Stücks wirtschaftspolitischer Maßnahmen einig waren.
— Nun, meine Herren Kollegen, es gibt ja immerVerhandlungsführer, und in dieser Passage der
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Dr. EmdeVerhandlungen war ich unser Verhandlungsführer, so daß also die Position der Freien Demokratischen Partei absolut eindeutig war.Die Methode der Finanzierung ist der heutigen Entwicklung am Geldmarkt angepaßt. Die Mitarbeit der Bundesbank ist von der Regierung durch den Ausgleich des Bundeshaushalts mit klassischen Mitteln erreicht worden. Insofern sollten wir alle der Bundesbank dankbar sein für ihr kühles Durchhalten ihres in der Vergangenheit gesteuerten Kurses und ihre jetzige Beteiligung an der notwendigen Politik der Belebung. Das Freisetzen von Mindestreserven, die über den Bankenapparat über Schuldverschreibungen des Bundes für den Bundeshaushalt mobilisiert werden, liegt im allseitigen Interesse und garantiert die Aufbringung der notwendigen Mittel, ohne gegen die Grundlagen einer sauberen Währungspolitik zu verstoßen.Besonders wirkungsvoll aber kann dieser Eventualhaushalt werden, wenn die beabsichtigten Erhöhungen der Abschreibungen rasche Auswirkungen hätten. Natürlich treten dadurch für Bund, Länder und Gemeinden Steuerausfälle ein, die roh geschätzt 1967 beim Bund 150, bei Ländern und Gemeinden 430 Millionen ausmachen und 1968 den Bund mit 110, Länder und Gemeinden mit 290 Millionen Mark belasten. Aber diese Maßnahmen und dieser Steuerausfall sind mit Voraussetzung für die Überwindung der heutigen Lethargie bei unseren Investitionen. Diese Maßnahmen nicht zu ergreifen hieße, unter Umständen noch größere Steuer- ausfälle in Kauf nehmen zu müssen. Für die FDP habe ich am 10. November 1966 zu diesem Problem erklärt: „In einer solchen Konjunktursituation ist der normale Weg, an Steuersenkungen zu denken, daran zu denken, Mittel am Kapitalmarkt zu besorgen, und dann von zwei Seiten her auf die Belebung der Wirtschaft einzuwirken." Wir freuen uns, daß unsere damalige Analyse richtig war, und bejahen den Eventualhaushalt sowie die Erhöhung der Abschreibungssätze im Grundsatz.Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren! Wir warnen aber vor der Illusion, daß mit diesen Vorschlägen die Probleme gelöst seien.
Jeder Einsichtige muß sich darüber im klaren sein, daß hier nur ein Schritt getan ist, dem viele weitere Schritte folgen müssen. Das haben wir schon im vergangenen Jahr erklärt. Auch unsere damals vorgetragenen, in sich abgewogenen Vorschläge sind von uns nur als der Anfang einer langen Reihe von Entscheidungen angesehen worden, einer langen Reihe von Entscheidungen mit erheblichen Veränderungen mancher Vorstellungen über die deutsche Innen- und Außenpolitik.Durch die hier vorgeschlagenen Maßnahmen der Regierung wird ohne Zweifel eine Belastung kommender Haushaltsjahre eintreten. Erstens: Das Vorziehen der Einnahmen durch die Abkürzung der Zahlungsfristen für Verbrauchsteuern und Zölle ist eine einmalige Maßnahme, die im nächsten Jahr nicht wiederholbar ist. Zweitens: Die Erhöhung derAbschreibungen führt zu Steuerausfällen in diesem und im nächsten Jahr. Drittens: Die verstärkte Inanspruchnahme des Kapitalmarktes im außerordentlichen Haushalt und die Inanspruchnahme des Geld-. marktes im Eventualhaushalt erhöht den Kapitaldienst, den der Bund künftig aufzubringen hat. Viertens: Die Tatsache, daß der Eventualhaushalt finanziert werden soll durch Schuldverschreibungen mit nur zweijähriger Laufzeit, führt entweder zur Notwendigkeit, die Beträge 1969 zurückzuzahlen, was zu einer schwerwiegenden Belastung des Haushaltsjahres 1969 führen würde, oder zu der Notwendigkeit, die kurzfristigen Papiere in Bundesanleihen umzuwandeln, was dann den Kapitalmarkt erheblich belasten würde.Ich sage das nicht, weil ich nun gegen diese Maßnahmen wäre. Ich möchte ausdrücklich erklären, daß die FDP diesen Vorhaben zustimmt. Wir wollen aber warnen vor der Vorstellung, nun seien die Dinge geregelt, Sterntaler seien vom Himmel gefallen, und man könne erneut anfangen, neue Ausgaben zu produzieren.Ganz im Gegenteil, es wird noch manch harter Entscheidung bedürfen, um das zu konsolidieren, was heute an Maßnahmen empfohlen wird.
— Ich würde es nicht auf eine Person, sondern auf eine ganze Regierung beziehen, Herr Kollege, und ich würde es auch darauf beziehen, daß bis zum Jahre 1965 in diesem Hause praktisch niemand rechtzeitig gewarnt hat
und rechtzeitig gesagt hat, wenn es darum ging, Geld auszugeben.
Ganz entscheidend aber möchten wir warnen vor folgender Vorstellung: Rasch steigende Steuereinnahmen würden einen Ausgleich 1968 ermöglichen, die Konsolidierung der empfohlenen Maßnahmen könnte über neue Verpflichtungen für spätere Jahre erfolgen. Eine solche Einstellung birgt die Gefahr in sich, daß man sehr leicht zu einer Politik des leichten Geldes kommt, und am Ende steht dann das Defizitspending mit allen negativen Auswirkungen auf die Stabilität der Währung. Der harte restriktive Kurs des letzten Jahres führt nur dann zu einer dauerhaften Gesundung, wenn am Ende dieser Übergangsphase eine Finanz- und Haushaltspolitik steht, die nur so viel jeweils ausgibt, wie der Staat tatsächlich einnimmt.Ganz besonders kritisch aber betrachten wir einen Vorschlag der Regierungsmaßnahmen, der ebenfalls die Lasten der Zukunft vermehrt: nämlich den Vorschlag, die Bindungsermächtigungen für die Entwicklungshilfe um 400 Millionen auf 1,2 Milliarden Mark zu erhöhen. Das, was wir heute an Bindungsermächtigungen genehmigen, muß in der Zukunft abgedeckt werden. Bindungsermächtigungen sind unwiderrufliche Belastungen eines kommenden Haushaltsjahres. Der Haushaltsausschuß bemüht sich darum seit Jahren, gerade im Sektor Entwicklungshilfe die
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Dr. EmdeBindungsermächtigungen nicht weiter ansteigen zu lassen, um den Berg alter Verpflichtungen rascher abtragen zu können. Der Herr Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist natürlich durch die relativ geringe Höhe der Bindungsermächtigungen in seinem Bewegungsspielraum äußerst beengt. Aber diese Entscheidung geschah im Haushaltsausschuß in Übereinstimmung mit der Mehrheit, um von dem alten Verpflichtungsberg einen Teil abzutragen.Wenn nun eine Erhöhung der Bindungsermächtigungen erwartet wird, um damit unter Umständen gewisse politische und diplomatische Vorgänge zu beschleunigen, so müssen wir von der FDP ganz entschieden widersprechen. Ich will die Dinge hier offen aussprechen: wir sind nicht der Meinung, daß die Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen solchen Staaten, die die Beziehungen zu uns abgebrochen haben, und der Bundesrepublik dadurch gefördert werden sollte, daß Zusagen über Mittel der Entwicklungshilfe mit diplomatischen Fühlungnahmen gekoppelt werden. Eine solche Methode würde uns ständigem politischem Druck aussetzen. Es sind in der Vergangenheit Länder treu in ihren Beziehungen zur Bundesrepublik gestanden. Wie würden es diese Länder bewerten, wenn andere, die mit uns gebrochen haben, die Wiederaufnahme der Beziehungen durch besondere Leistungen der Entwicklungshilfe vergütet bekämen? Dort, wo die üblichen Mittel der Politik und Diplomatie versagen, sollte nicht versucht werden, durch Geld — gleichgültig, in welcher Form es gegeben wird — politische Entscheidungen der anderen Seite zu beeinflussen. Das führt auf die Dauer zu nichts Gutem, setzt uns nur wenig sympathischen Verhandlungspraktiken anderer Partner aus und schwächt auf die Dauer die deutsche Position.
Wir haben gerade in der neuesten Zeit genügend Erfahrungen in derartigen Unternehmungen der deutschen Politik sammeln können.Das Gesagte macht deutlich, daß die Probleme des Jahres 1967, also eines Jahres des Übergangs in der Konjunkturbewegung, gelöst werden können, die entscheidenden Fragen der Zukunft aber noch ihrer Bewältigung harren. Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß wir auf die Dauer zu einem Ausgleich unserer Haushalte kommen, wenn die Lasten der Verteidigungsausgaben in dem Ausmaß der letzten Jahre weiter wachsen. Die stille Reserve im Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums wird mit wachsendem Gewicht der fixen Kosten von Jahr zu Jahr kleiner. In den letzten Jahren sind immer wieder Überschüsse des Verteidigungshaushalts zum allgemeinen Haushaltsausgleich verwandt worden. Aber diese Überschüsse sanken langsam ab, und heute ist der Verteidigungshaushalt des Jahres 1967 vorbelastet durch nicht ausgeführte Zahlungen des vergangenen Jahres. Natürlich gibt es im Verteidigungshaushalt sicherlich eine hohe Quote von Rationalisierungsmöglichkeiten. Ob und in welchem Umfang diese Rationalisierungsmöglichkeiten ausgenutzt werden können, liegt mit in der Hand des jeweiligen Verteidigungsministers. Wir wünschenHerrn Dr. Schröder viel Glück und Erfolg bei der notwendigen Durchkämmung und Rationalisierung seines Arbeitsbereichs. Aber irgendwann werden auch diese Rationalisierungsmöglichkeiten erschöpft sein und die dort zu gewinnenden Finanzmittel nicht mehr dazu ausreichen, die steigenden fixen Kosten auszugleichen, insbesondere wenn man davon ausgeht, daß wir in absehbarer Zeit aus dem Beschaffungstal herauskommen und neue größere Mittel für den Ersatz auslaufender Waffensysteme angefordert werden.Es ergibt sich daraus die Frage, ob das bestehende Wehrsystem und die bestehende Verteidigungskonzeption auch in der Zukunft die geeignete Grundlage sind, um die Bundeswehr zu dem notwendigen Instrument der deutschen Sicherheit zu machen. Man muß diese Frage des Wehrsystems und der Verteidigungskonzeption jetzt in den Jahren, ehe neue Waffensysteme beschafft werden, in aller Sachlichkeit diskutieren. Nachdem inzwischen die Sozialdemokraten Regierungspartner geworden sind und die Bereitschaft der Freien Demokratischen Partei zum Aufbau der Bundeswehr von der ersten Stunde an bestand, wird man hoffentlich hier in diesem Hause und auch draußen in der Öffentlichkeit die Fragen des Wehrsystems und der Verteidigungskonzeption diskutieren können, ohne daß Vorwürfe erhoben werden, man wolle die deutsche Sicherheit gefährden und unser Land einer Aggression aussetzen.Dabei muß sowohl bei dem Wehrsystem als auch bei der Verteidigungskonzeption die Wirtschafts- und Finanzkraft unseres Staates mit ein entscheidender Faktor sein. Nur wer das wirtschaftliche Fundament unseres Staatslebens richtig einschätzt und die Grenzen der Belastbarkeit der Bevölkerung richtig würdigt, ist in der Lage, den Rahmen zu setzen, in dem Verteidigungsausgaben geleistet werden können. Nichts ist gefährlicher als ein Überschreiten dieser Grenzen. Die Erfahrungen, die wir mit der Überschreitung dieser Grenzen in den letzten 18 Monaten gemacht haben durch die Zusage an die Vereinigten Staaten im Rahmen des Devisenausgleichsabkommens, sollten eine Mahnung für jeden heute in diesem Hause Tätigen sein und sollten mit in den Erfahrungsschatz der politischen Geschichte unseres Landes eingehen. Es ist unbestritten, daß das erwähnte Devisenausgleichsabkommen mit den Vereinigten Staaten einen verhängnisvollen Einfluß auf das Geschick der Regierung Erhard hatte. Ich glaube, annehmen zu können, daß heute mancher, der an den Entscheidungen in der Adventswoche 1965 beteiligt war, anders handeln würde, wenn ihm das Schicksal die Chance gäbe, die Zeit noch einmal um 13 Monate zurückzudrehen.Für jetzt und für die Zukunft kann es keine Verpflichtungen ähnlicher Art mehr geben. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus der Haushaltssituation, aus dem Zustand unseres Verteidigungshaushalts und aus der Tatsache ergibt, daß zur Zeit beim besten Willen keine neuen Beschaffungsprogramme für die Bundeswehr erfunden werden können. Je eher es uns gelingt, unseren Verbündeten diesen Tatbestand deutlich zu machen, um so eher wird auch das ge-
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Dr. Emdegenseitige Verhältnis in der NATO verbessert werden.In der Vergangenheit ist mehrfach — zumindest unterschwellig — eine Verbindung zwischen deutschen Zahlungen an die USA und Großbritannien und der Stationierung amerikanischer und englischer Truppen in Deutschland geschaffen worden. Die FDP hat sich immer gegen dieses Junktim gewandt, und wir von der FDP haben vom ersten Bekanntwerden des letzten Devisenausgleichsabkommens an eine Veränderung gefordert, ein neues Abkommen in alter Form auch bei Halbierung der Beträge abgelehnt, selbst unter der Erklärung, daß dann Teile der in Deutschland stationierten amerikanischen und englischen Verbände abgezogen werden müssen. Die FDP geht davon aus, daß die Bindungen innerhalb der NATO und die Stationierung verbündeter Einheiten in Deutschland aufgebaut ist auf gemeinsamen politischen und militärischen Interessen, die so bedeutsam sind, daß die Zahlung von Stationierungskosten und die Beschaffung von Rüstungsmaterial eine völlig nebensächliche Rolle spielen.
Wir begrüßen es, daß der Herr Bundesfinanzminister gestern im Haushaltsausschuß einen ähnlichen Standpunkt vorgetragen hat. Ich bin sicher, jeder hier in diesem Haus und in der deutschen Öffentlichkeit glaubt mir gerne, daß das, was der Herr Bundesfinanzminister im. Haushaltsausschuß sagte und ich hier im Plenum sage, nicht vorher aufeinander abgestimmt worden ist. Aber vielleicht, Herr Bundesfinanzminister, kommen in Zukunft Monate, in denen Sie auch unsere Unterstützung in dieser Frage gerne annehmen.Im übrigen gehen wir davon aus, daß die politische Entkrampfung gegenüber dem Osten über kurz oder lang einen zusätzlichen Grund bietet, Wehrsystem, Verteidigungskonzeption, Beschaffung neuer Waffenprogramme und Stationierung ausländischer Truppen in beiden Teilen Deutschlands neu zu überdenken. Entspannung auf dem diplomatischen Feld sollte zur Entspannung zwischen den Militärblöcken führen. Es könnte damit eine Wechselwirkung ausgelöst werden, die gerade wir Deutschen benötigen, um das nationale Ziel unserer Wiedervereinigung zu erreichen.
Herr Bundeskanzler, die Freie Demokratische Partei hatte in der Debatte zu Ihrer Regierungserklärung im Dezember gesagt, sie wolle eine sachliche und konstruktive Opposition betreiben, d. h. überall mitarbeiten, ja sagen, wenn wir den Maßnahmen zustimmen können, nein sagen nur dann, wenn wir Maßnahmen für falsch halten, Kritik üben, nicht um Gegensätze aufzureißen, sondern um Alternativen zu schaffen und Fehlhandlungen zu vermeiden. Nach diesen Vorstellungen einer Oppositionspartei haben wir die Vorschläge der Regierung zur Finanz-und Wirtschaftspolitik überprüft und heute hier grundsätzlich Stellung genommen. Wir haben ja gesagt, wo wir mit Ihnen einer Meinung sind. Wir haben Kritik angemeldet, wo wir Ihre Vorschläge für verbesserungsbedürftig halten oder wo wir sie für falsch halten. Wir haben gewarnt, wo wir Gefahren für die Zukunft sehen. Wir glauben, damit, Herr Bundeskanzler, einen fairen Beitrag zur Bewältigung der Probleme unserer Zeit geleistet zu haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers am vergangenen Freitag legte die Vorstellungen der Bundesregierungen klar. Sie legte auch klar, was Herr Kollege Emde zum Schluß seiner Ausführungen angesprochen hat, daß nämlich diese Maßnahme der Kürzungen zum Ausgleich des Haushalts 1967 und die Maßnahmen, die ja schon sehr lange vorher getroffen worden sind, noch nicht dazu ausreichen, die finanzielle Ordnung wieder so zu festigen, daß Wirtschaft und Währung wirklich stabil genannt werden können. Der Herr Bundeskanzler hat ganz klargestellt, was noch in diesem Jahr — wohl schon in den nächsten Monaten — sowohl auf uns, das Parlament, das dann beschließen muß, als auch auf unsere Mitbürger draußen in allen Bereichen der Bundesrepublik noch zukommen wird.Gleichzeitig machte der Herr Bundeskanzler deutlich — und in der Folge unterstützte ihn der Herr Bundesfinanzminister —, daß diese weiteren harten Maßnahmen einfach um der finanziellen Ordnung der Bundesrepublik willen notwendig sind. Damit ist die Regierung den Grundlinien — und das muß, glaube ich, auch einmal festgestellt werden —, die wir, die CDU/CSU-Fraktion, bereits bei der Vorlage des Haushalts 1966 entwickelt haben, gefolgt.
Schon damals, aber auch in den folgenden Debatten hier im Bundestag, haben die Sprecher meiner Fraktion immer und immer wieder die Auffassung dargetan, daß eine dauerhafte Stabilisierung von Währung und Wirtschaft nur durch einen dauerhaften Haushaltsausgleich erreicht werden könne. Trotz aller Gegenmaßnahmen hat sich die finanzwirtschaftliche Lage des Bundes in den letzten Monaten immer mehr zugespitzt. Dabei können meine Freunde und ich für sich in Anspruch nehmen, daß sie die auf die verschiedensten Ursachen zurückgehende Überforderung der Bundesfinanzen rechtzeitig erkannt haben. Die Leistungsmöglichkeiten unserer Wirtschaft wurden einfach überschritten, weil die Ansprüche der Bürger auf der einen Seite — für den privaten und für den Sozialkonsum — laufend übermäßig gesteigert wurden und weil andererseits wir hier in diesem Hause uns gegen die wegen der finanzwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geäußerten Bedenken taub gestellt haben.Natürlich hat es wenig Sinn, heute noch Schuldige zu suchen. Aber es muß doch klargestellt werden, daß keine Seite dieses Hauses eine Legitimation zur Anklage hat. Wir sitzen alle in einem wirklich brüchigen Glaskasten. Unsere Aufgabe wird
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Leichtes in der Zukunft sein, mit der Regierung die richtigen Maßstäbe zu setzen.Mit dem Haushaltssicherungsgesetz zu Beginn des Jahres 1966 ist in der Bundesrepublik erstmalig ein neuer Weg zur Sanierung der Bundesfinanzen beschritten worden. Eine Reihe von gerade erlassenen Gesetzen wurde ausgesetzt oder in ihrer finanziellen Wirkung abgeschwächt. Mit diesen Maßnahmen, denen unser jetziger Koalitionspartner noch ablehnend gegenüberstand, wurde ein nach damaliger Sicht echter Ausgleich des Bundeshaushalts 1966 erreicht. Es gelang sogar, durch einen Nachtrag Raum für Mehrausgaben von rund 1 Milliarde DM zu schaffen und auf dem Kreditwege eine Sonderzahlung an die Vereinigten Staaten über 1 Milliarde DM sicherzustellen. Wenn der Bundeshaushalt 1966 gleichwohl mit einem kassenmäßigen Defizit von rund 1 Milliarde DM abschließt, so ist das allein darauf zurückzuführen, daß die Steuereinnahmen mit Schwerpunkt im letzten Vierteljahr 1966 mit rund 1,7 Milliarden DM hinter den Schätzungen zurückblieben. Die hierin zum Ausdruck kommende Rückläufigkeit der Wirtschaftsentwicklung war in ihrem Ausmaß weder vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung noch von den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten erkannt worden. Sie schätzten, wie wir alle wissen, Ende Oktober 1966 den Steuerausfall noch wesentlich niedriger.Der mit dem Haushaltssicherungsgesetz beschrittene Weg wurde in der Folge von der Regierung Erhard weiter fortgeführt. Zur Ermöglichung des Haushaltsausgleichs 1967 wurde der Entwurf eines Finanzplanungsgesetzes und eines Steueränderungsgesetzes eingebracht. Wir sind den Weg konsequent weitergegangen, selbst dann, als wir, die CDU/CSU, die Verantwortung in einer Minderheitenregierung allein tragen mußten. Ein Ergänzungshaushalt wurde vorgelegt, der unabweisbare Ausgaben vorsah und die ursprünglichen Einnahmeschätzungen nach unten, und zwar in Milliardenhöhe, korrigierte. So wurde innerhalb von etwa einem Jahr durch diese Maßnahmen ein Volumen von rund 10 Milliarden DM an -Ausgaben gekürzt und Einnahmen verbessert, und unbestritten sind damit wesentliche Voraussetzungen für die weitere Gesundung der Bundesfinanzen geschaffen worden.Die Richtigkeit dieses von uns befolgten Weges hat sich nunmehr bestätigt. Finanzplanungsgesetz und Steueränderungsgesetz sind inzwischen mit den Stimmen unseres sozialdemokratischen Koalitionspartners, wenn auch mit einigen Modifikationen, verabschiedet worden. Damit haben auch die Sozialdemokraten durch ihre Mitarbeit an den Deckungsvorschlägen anerkannt, daß ein solider Ausgleich nur durch schmerzhafte Abstriche möglich ist. Leider — das bedauere ich besonders — haben die Freien Demokraten — und jetzt darf ich vielleicht auch auf das eine oder andere zu sprechen kommen, das Sie, Herr Kollege Dr. Emde, vorhin vortrugen — insoweit ihre Mitwirkung versagt, obwohl sich doch die Voraussetzungen für diese Entwicklung bereits in der Zeit der Regierung Erhard abzeichneten! Mindestens zwei ausgabenverursachende Gesetze, nämlich die Neuordnung der Kriegsopferversorgung und die Rentenanpassung, wurden damals mit der Mitwirkung der FDP-Fraktion, mit den ihr angehörenden Ministern, insbesondere dem damaligen Finanzminister, konzipiert. Ich muß es daher, auch wenn Sie dagegen immer wieder protestieren, meine Damen und Herren von den Freien Demokraten, als bedauerlich und befremdend feststellen, daß die FDP in der Opposition nicht bereit war, den auch von ihr früher eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Ich will Ihnen jetzt gar nicht sagen, daß Sie nicht bereit waren, dem Finanzplanungsgesetz zuzustimmen. Sie haben ja nicht zugestimmt. Aber als Begründung — Sie haben diese Begründung ja gefunden — geben Sie an, daß Sie sich wegen der Ausbildungszulage so verhalten hätten.
Sie haben aber auch dem Steueränderungsgesetz nicht zugestimmt, das immerhin schon für dieses Jahr 1967 und erst recht auch für 1968 hohe Milliardenbeträge bringt. Und wo blieben Ihre Vorschläge, wenn diese Maßnahmen von uns nicht ergriffen worden wären?
Für die gegenwärtige Situation ist bezeichnend, daß sich die Wirtschaftslage und als ihre Folge die Finanzlage innerhalb weniger Wochen wiederum entscheidend verändert haben. Anzuerkennen ist, daß Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie, Herr Bundesfinanzminister, sich sofort entschlossen gezeigt haben, die unvermeidlichen Folgerungen zu ziehen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, daß die Bundesregierung ihre Bemühungen nicht darauf beschränkt hat, die Ausgaben den sinkenden Einnahmen anzupassen und dabei die Gefahr einer deflatorischen Entwicklung in Kauf zu nehmen, sondern mit sofortigen Maßnahmen deutlich gemacht hat, daß sie beabsichtigt, den sich abschwächenden Kräften in der Wirtschaft entgegenzuwirken. Die im Kabinett durchgesetzten weiteren Kürzungen der Staatsausgaben und Einnahmeverbesserungen durch Beseitigung von Vergünstigungen in einer Größenordnung von 3,7 Milliarden DM sind sicherlich, Herr Bundeskanzler, ein großer Erfolg. Wir würdigen dabei den Mut, der bei den zum Teil tief in die Gewohnheiten unserer Bürger einschneidenden Maßnahmen erforderlich war. Unser Volk kann wieder Vertrauen haben, die Wirtschaft wieder atmen. Eine weitere wesentliche Voraussetzung ist erfüllt, um die Stabilität unserer Währung zu erhalten und das Wachstum der Wirtschaft anzuregen.Wir begrüßen die vom Herrn Bundeskanzler hier vorgetragenen Grundsätze und die durch den Bundesfinanzminister bekanntgegebenen Kürzungsvorschläge zum Ausgleich des Haushalts 1967. Selbstverständlich muß sich dieses Parlament und auch meine Fraktion vorbehalten, im einzelnen diese Vorschläge zu prüfen und, wenn wir es für notwendig und sachdienlich erachten, auch noch Änderungen vorzunehmen. Allerdings dürfen wir es uns nicht leisten — Herr Kollege Dr. Emde, das haben Sie nicht gesagt —, das Konzept der Bundesregierung zu verwässern oder gar zu durchkreuzen. Dieses
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LeichtHohe Haus steht in dieser Frage vor einer weiteren ernsten Bewährungsprobe.Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Bemerkung zum Verteidigungshaushalt, den Sie, Herr Kollege Dr. Emde, ja auch erwähnt haben, zwischenschalten. Gerade in den letzten Tagen ist in der Presse, in einigen Erklärungen von manchen Kollegen aus diesem Haus, z. B. gestern auch im Pressedienst unseres Koalitionspartners, dazu so manches geschrieben und gesprochen worden, daß man hier noch Hunderte von Millionen, ja, Milliardenbeträge kürzen könne. Ich warne. Ich warne vor der Illusion, der Verteidigungshaushalt könne 1967 wesentlich mehr, als was die Bundesregierung schon vorgesehen hat — und es sind ja einige Hunderte von Millionen —, gekürzt bzw. in den nächsten Jahren um 1 bis 1,5 Milliarden DM bei gleicher Kampfkraft der Bundeswehr verringert werden. Dagegen spricht eine ganze Masse von Gründen, u. a. auch Gründe, die von der NATO her zu berücksichtigen sind — ich will sie gar nicht im einzelnen aufzählen —, aber auch Gründe, die einfach darin liegen, daß die Bundeswehr praktisch heute schon zu weit über 60 °/o fixe Kosten hat, daß nur noch rund 40 % für Infrastruktur und für die Beschaffung von Waffen und Gerät zur Verfügung stehen und daß auch die Organisation nur langfristig, also erst nach entsprechender Vorlaufzeit, geändert werden kann: Einberufungen laufen, Beschaffungen in Milliardengröße sind unter Vertrag, Bauaufträge sind natürlich längst erteilt, die Wirtschaft hat ihre Dispositionen dementsprechend getroffen. Das alles kann nicht kurzfristig umgeworfen werden, meine Damen und Herren. Kurzfristige Eingriffe würden zur Unausgewogenheit von Organisation und Struktur der Streitkräfte führen, und ihre Folgen für Kampfkraft, Menschenführung und Fürsorge wären nicht zu verantworten. Die vom Kabinett beschlossenen Haushaltskürzungen haben den Verteidigungsminister bereits veranlaßt, Umfang und Stärke der Streitkräfte im Jahre 1967 auf dem Stand von 1966 festzuhalten und im Bereich des zivilen Personals keine Einstellungen mehr zuzulassen.Der Verteidigungshaushalt hat auch — das sollte man dabei überlegen — hohe binnenwirtschaftliche Bedeutung. Vielleicht wird uns das gerade in diesem Augenblick besonders klar. Von den etwa 4 Milliarden DM für Rüstungsbeschaffung, die auch im Haushalt 1966 zur Verfügung standen, verblieben fast 2,5 Milliarden DM in der heimischen Industrie.
Auch das Infrastrukturprogramm mit dem Volumen von rund 2 Milliarden DM gibt in der augenblicklichen Wirtschaftslage erwünschte konjunkturelle Impulse, zumal die Bauten der Bundeswehr überwiegend in regional unterbeschäftigten Gebieten liegen.Es wäre sicherlich noch sehr vieles im einzelnen zu all dem zu sagen, insbesondere auch über das Devisenausgleichsabkommen, Herr Kollege Dr. Emde, das auch Sie mit zu verantworten haben.Auch wir teilen — das darf ich nur nebenbei sagen — Ihre Meinung, die Sie vortrugen, daß man solche Abkommen in Zukunft einfach nicht mehr abschließen kann, weil wir dazu nicht mehr in der Lage sind. Ich teile auch manche Überlegungen, die Sie hier vorgetragen haben, soweit es die Außenpolitik betrifft, — nur manche. Aber wir müssen uns auch im klaren darüber sein, daß bei all unserer Aktivität auf dem Gebiet der Außenpolitik auch immer zu fragen ist — und Sie verstehen, was ich damit meine —: Was wird uns das am Ende kosten, und können wir es, kann es unsere Volkswirtschaft verkraften?Namens meiner Freunde begrüße ich die angekündigte Verbesserung der Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in dem vor uns liegenden dreiviertel Jahr sowie die Ankündigung eines Investitionshaushalts mit einem Volumen von 2,5 Milharden DM, dem ein Sofortprogramm über 750 Millionen DM in Gestalt von zusätzlichen Investitionen der Deutschen Bundesbahn, der Deutschen Bundespost und im Straßenbau vorangeht. Hier geschieht etwas grundlegend Neues. Die Bundesregierung versucht erstmals, durch gezielte Haushaltsausgaben kurzfristig die abklingende Konjunktur anzuregen, die Arbeitsplätze zu sichern und die Wirtschaft zu beleben. Diese Maßnahmen müssen in einem richtigen Zusammenhang gesehen werden, um den gelegentlichen Behauptungen entgegenzutreten, daß hiermit ein ungezügelte Kreditfinanzierung eingeleitet werde.Die Wirtschaftsentwicklung verlief nämlich im ersten Halbjahr 1966 durchaus normal mit einem leicht steigenden Trend und gab zunächst keinen Anlaß zu besonderen Besorgnissen. Nach der Sommerpause blieb dann der sonst übliche Herbstaufschwung aus, und es wurden nun Abschwächungen in einzelnen Wirtschaftszweigen, insbesondere in der Stahlindustrie, sichtbar. Diese Abschwächungen wurden jedoch gerade im letzten Teil des Jahres 1966 durch die günstige Entwicklung der Ausfuhr überdeckt, so daß kein Grund zu einer besonderen Beunruhigung bestand. Welches Ausmaß die Rückläufigkeit der Wirtschaftsentwicklung hatte, zeigte sich eigentlich erst in dem unerwartet starken Abfall der Steuereinnahmen in den Monaten November und Dezember und dann in den zunehmenden Arbeitslosenzahlen nach der Jahreswende.Noch liegt keine tiefschürfende Analyse über die Ursachen dieser Entwicklung vor. Sie muß als Tatsache einfach hingenommen werden und zwingt nach meiner Auffassung und der meiner Freunde dazu, ebenso kurzfristig wie energisch Gegenmaßnahmen zu treffen.Der vom Kabinett eingeschlagene Weg erscheint allerdings nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen vertretbar, dann nämlich, wenn die vorgeschlagenen Kürzungen und Einnahmeverbesserungen zu einem ausgeglichenen Kernhaushalt für 1967 führen. Deshalb fühlen wir uns verpflichtet — und wir werden das mit Nachdruck tun —, zu prüfen, ob die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Kürzungen auch tatsächlich zu Minderausgaben führen und nicht etwa gegen Ende des Rechnungsjahres zu überplan-
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Leichtmäßigen Ausgaben zwingen. Ich will nicht verhehlen, daß ich bei einigen der Kürzungsvorschläge nicht unerhebliche Zweifel in dieser Richtung hege.Unter die Streichungen sind auch manche Investitionsmaßnahmen gefallen, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft. Hier sollte der Bundesfinanzminister überlegen, ob dringend notwendige Investitionen auf dem landwirtschaftlichen Sektor nicht in den zusätzlichen Investitionshaushalt aufgenommen werden können. Ich denke dabei insbesondere an Infrastrukturmaßnahmen auf den Dörfern, im ländlichen Bereich und im landeskulturellen Bereich. Allerdings dürfen sich Regierung und Parlament nicht durch Druck von außen von ihrem Einsparungsprogramm insgesamt abbringen lassen. Wir müssen aber auch genau überlegen, wo Belebungstendenzen durch Investitionsaufträge des Bundes gefördert werden können und müssen. Außer der Investitionsgüterindustrie, dem Verkehrssektor einschließlich Bahn und Post gehören in diesen Bereich ganz sicher auch die deutsche Landwirtschaft und die Modernisierung des Dorfes.Für meine Fraktion besonders schmerzlich, Herr Kollege Dr. Emde, das bekenne ich hier, ist die völlige Streichung — die völlige Streichung — der Ausbildungszulage.
Beruhigend ist allerdings die vom Herrn Bundeskanzler getroffene Feststellung, daß damit keineswegs ein Signal für eine Veränderung unserer Familienpolitik gesetzt ist. Die angekündigte Reform des Familienlastenausgleichs im Rahmen einer mittelfristigen Finanzplanung läßt uns dabei hoffen.Wir legen besonderen Wert darauf, daß die auf dem Kreditweg zu finanzierenden zusätzlichen Investitionen gezielte Maßnahmen umfassen, die nicht nur allgemein die Wirtschaft beleben, sondern auch nachhaltig einen volkswirtschaftlichen Gegenwert repräsentieren.Meiner Auffassung nach kann es daher nicht in Frage kommen, daß nur globale Ermächtigungen für noch nicht konkretisierte Investitionen erteilt werden. Die zusätzlichen Ausgaben müssen für ganz bestimmte Vorhaben verwendet werden, mit deren Hilfe brachliegende Produktionskapazitäten ausgenutzt und werbende Anlagen geschaffen werden. Zu einer Kapazitätserweiterung sollte es dabei nicht kommen. Ich denke dabei in erster Linie an den Straßenbau und an Investitionen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Bundespost. Dabei gehen meine Freunde und ich davon aus, daß solchen Investitionen der Vorrang gegeben wird, die gleichzeitig zu einer Verbesserung der Ertragslage der beiden großen Sondervermögen des Bundes führen. Das würde dann auch die Möglichkeit eröffnen, die Zuschüsse an die Deutsche Bundesbahn in künftigen Jahren vielleicht zu senken und bei der Deutschen Bundespost steigende Überschüsse zu erzielen. Durch beide Maßnahmen könnte die Haushaltslage künftiger Jahre verbessert werden.Von den Investitionen in der Landwirtschaft habe ich schon gesprochen. Vernachlässigen sollten wir aber auch nicht die Sicherung der Kontinuität des Wohnungsbaues. Sowohl bei diesem als auch bei den Investitionen in der Landwirtschaft wird es entscheidend darauf ankommen, sie gezielt dort vorzunehmen, wo die Arbeitslosenziffer über dem Durchschnitt liegt. Damit würden zugleich die Wirkungen der Investitionskürzungen im ordentlichen Haushalt abgeschwächt oder sogar mehr als ausgeglichen werden.Formell müssen die zusätzlichen Investitionen durch eine Aufstockung des außerordentlichen Haushalts ausgewiesen werden. Noch heute von einem Eventualhaushalt zu sprechen, scheint uns irreführend zu sein, weil dieser Teil des Haushalts nur dann einen Sinn hat, wenn er umgehend verwirklicht wird. Diese Bezeichnung erweckt aber auch den falschen Eindruck, daß es sich um einen Haushalt unabhängig von dem normalen Bundeshaushalt handele. Ein solches Vorgehen würde den eindeutigen Bestimmungen des Grundgesetzes widersprechen, das in Artikel 110 die Vollständigkeit des Haushalts fordert.Ich möchte mich aber insbesondere deshalb für eine Überführung der Zusatzmaßnahmen in den Gesamthaushalt einsetzen, um von vornherein allen Befürchtungen, daß hier Maßnahmen am Parlament vorbei getroffen werden, entgegenzutreten. Den von der Regierung vorgesehenen Weg, Investitionen auf diese Weise vorzuziehen und zunächst auf dem Kreditwege ohne Rücksicht auf eine sofortige Konsolidierungsmöglichkeit zu finanzieren, kann meine Fraktion nur dann vertreten und einschlagen, wenn die angestrebte Wirtschaftsbelebung sofort oder doch jedenfalls noch im Laufe dieses Jahres eintritt. In dem zusätzlichen Investitionshaushalt — und darüber möchte ich keinen Zweifel aufkommen lassen — können daher nur solche Vorhaben Platz finden, die im Laufe dieses Jahres voll anlaufen und sich damit in wirtschaftliche Leistungen umsetzen. Langfristige Programme oder alte Ladenhüter, die seit Jahren in den Schubladen der Referenten geschlummert haben und jetzt ans Tageslicht geholt werden, gehören nicht in diesen Investitionshaushalt.
Auch ohne eine besondere Abstimmung bin ich sicherlich mit allen Kollegen des Haushaltsausschusses darin einig, daß der Investitionshaushalt kein Abladeplatz für unerfüllte Ressortwünsche, die womöglich schon wiederholt abgelehnt wurden, werden darf.
In derartigen Bemühungen würde ich eine Durchkreuzung der Absicht der Bundesregierung erblikken, eine schnelle Wiederbelebung der wirtschaftlichen Tätigkeit zu erreichen.Schließlich darf auch nicht übersehen werden, daß die mittelfristigen Kredite, mit denen der zusätzliche Investitionshaushalt finanziert werden soll, eine Vorbelastung der kommenden Rechnungsjahre bedeuten und dazu führen werden, daß der Schuldendienst in Zukunft stark ansteigen wird. Wir sind bereit, das in Kauf zu nehmen, weil die dadurch hoffentlich zu erreichende verstärkte Wirtschafts-
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Leichttätigkeit automatisch auch zu höheren Einnahmen führen wird. Meine Freunde und ich messen daher dem angekündigten Sofortprogramm über 750 Millionen DM, das der Verabschiedung des Bundeshaushalts vorausgehen soll, besondere Bedeutung zu. Wir sind auch bereit, ein Kreditfinanzierungsgesetz, das für den Bundesminister der Finanzen die Kreditbeschaffung von 2,5 Milliarden DM ermöglicht, unter der Voraussetzung zu unterstützen, daß die Weiterleitung dieser Mittel genügend konkretisiert ist. Es muß sichergestellt sein, daß die kreditnehmenden Stellen die Mittel nicht etwa zur Konsolidierung ihrer Finanzen, sondern ausschließlich zur Vergabe neuer Aufträge verwenden. Wenn dieses Ziel erreicht wird, werden wir es an unserer Hilfe nicht fehlen lassen.Alle Kreditoperationen müssen allerdings in dem von uns hoffentlich recht bald zu verabschiedenden außerordentlichen Haushalt 1967 verankert werden.Zusammenfassend darf ich wiederholen:Der Kernhaushalt 1967 muß erstens durch zusätzliche ordentliche Einnahmen sowie durch Kürzungen ausgeglichen werden. Meine Freunde und ich haben dabei die Absicht, auch die zusätzliche Kreditinanspruchnahme von 217 Millionen DM zur Deckung des Kernhaushaltes durch weitere Kürzungen zu beseitigen.Zweitens. Die Durchführung des Sofortprogramms von 750 Millionen DM, beschränkt auf Bundesbahn, Bundespost, Straßenbau und evtl. einige Maßnahmen aus dem landwirtschaftlichen Bereich, findet unsere Billigung, soweit damit die sofortige Vergabe zusätzlicher Aufträge verbunden ist.Drittens. Unsere Zustimmung zu einem Kreditfinanzierungsgesetz, das der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1967 voraufgeht, findet unsere Zustimmung unter der Voraussetzung, daß die kreditweise Weitergabe der am Geld- und Kapitalmarkt beschafften Mittel im Gesetz hinreichend konkretisiert und die Mittel zu volkswirtschaftlich erwünschten Investitionen verwandt werden. Um das Verfahren zu beschleunigen, ist meine Fraktion gegebenenfalls bereit, initiativ zu werden.Viertens. Alle zur Wirtschaftsbelebung ergriffenen Maßnahmen, soweit sie nicht endgültig von dritten Stellen finanziert werden, sind in einem besonderen Abschnitt des außerordentlichen Haushalts 1967 auszuweisen.Fünftens. In diese Aufstockung des außerordentlichen Haushalts sind nur solche Maßnahmen einzubeziehen, die noch im Rechnungsjahr 1967 voll anlaufen und sich nicht erst in künftigen Rechnungsjahren in Leistungen umsetzen.Wenn diese Grundsätze beachtet werden, meine Damen und Herren, bin ich der 'Überzeugung, daß die Vorschläge der Bundesregierung nicht nur zu einer weiteren Konsolidierung der Bundesfinanzen führen werden; sie werden auch den nötigen Auftrieb geben, um die gegenwärtige Abschwächung zu überwinden und das Wirtschaftswachstum zu beleben. Ein gesundes Wirtschaftswachstum ist nicht nur Angelegenheit der Wirtschaft und des einzelnen, sondern auch Voraussetzung dafür, daß der Staat neben seinen laufenden Verpflichtungen auch die Infrastruktur und die Zukunftsvorsorge finanzieren kann. Die augenblickliche Abschwächung liegt nicht etwa in einer Unzulänglichkeit unserer Wirtschaft und unserer wirtschaftlichen Organisation begründet. Im Grunde genommen ist die deutsche Wirtschaft — und das hat auch der Herr Wirtschaftsminister festgestellt — in ihrem Kern so gesund wie eh und je.
Die Abschwächung liegt, wie ich meine, überwiegend in einem Nachlassen des Glaubens an einen weiteren wirtschaftlichen Aufstieg begründet. Die Überwindung einer gewissen Mutlosigkeit und die Wiedererweckung des Glaubens an eine bessere Zukunft sind das eigentliche Ziel, das wir uns in voller Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner gesetzt haben. Wir hoffen zuversichtlich, daß niemand uns dabei seine Gefolgschaft versagen wird.Meine Damen und Herren, in einer sich rasch wandelnden Industriegesellschaft ist es unvermeidlich, daß die politischen Konzeptionen immer wieder neu durchdacht und den neuen Erkenntnissen angepaßt werden. Die Regierung von Bundeskanzler Kiesinger hat mit ihren Vorstellungen zum Bundeshaushalt 1967 begonnen, den Weg auch einer Kurskorrektur in der Finanzpolitik zu beschreiten. Auch solche Kurskorrekturen in der Finanzpolitik sind in jedem modernen Industriestaat von Zeit zu Zeit notwendig. Mit Wirtschaft und Gesellschaft müssen sich notwendig auch die finanzpolitischen Zielsetzungen wandeln. Dieser Weg wird weiter beschritten werden müssen, um das, was in zwanzig Jahren durch Fleiß aller unserer Bürger und durch nüchternes, kluges politisches Handeln erreicht worden ist, zu erhalten. Der Weg wird sicher, Herr Bundeskanzler, schwer sein. Die CDU/CSU-Fraktion wird mit Ihnen auf diesem Wege gehen und Sie dabei unterstützen.Lassen Sie mich meine ernsten Worte, meine Damen und Herren, mit einer scherzhaften Berner-kung schließen, einer scherzhaften Bemerkung, wie man sie ja in Zeiten des Faschings trotz allen Ernstes auch einmal im deutschen Parlament anbringen darf. Mir ist eine etwas saloppe, aber trotzdem sehr treffende Bemerkung eines sehr hochgestellten Mannes dieser Bundesrepublik bekanntgeworden, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. „Wenn wir" — so sagte er — „uns nicht zu harten Entscheidungen auch auf längere Sicht durchringen, dann werden wir es bald erleben, daß das dynamische Einkommen, der dynamische Lohn, das dynamische Gehalt nicht mehr in die Tüte, sondern in die Hose gehen."
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! im Hinblick auf einige Bemerkungen der beiden Herren Vor-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerredner möchte auch ich mit einem kurzen Rückblick auf unsere jüngste politische, finanzpolitische Vergangenheit beginnen.Am 29. August 1966 brachten die Zeitungen Schlagzeilen. So ein angesehenes Blatt, das nicht der SPD nahesteht: „Bundeshaushalt 1967: 73,9 Milliarden. Statt der angekündigten drastischen Kürzungen hat das Kabinett nur 100 Millionen gestrichen". Das waren die Schlagzeilen. Angekündigt hatte die Bundesregierung Erhard-Mende, man wolle die Obergrenze des Haushalts um rund 1,5 Milliarden DM unterschreiten! Mein Kommentar: „Kreißend dreht sich der Berg, und hervor kommt winzig ein Mäuslein".Dieselbe Zeitung brachte am 21. Januar 1967 folgende Schlagzeile: „Ausgleich des Etats ohne Steuererhöhung. Kiesinger verkündet vor dem Bundestag den Kabinettsbeschluß : Ausgabenkürzungen, Abschaffung von Steuervergünstigungen zur Schließung der Deckungslücke von 3,6 Milliarden".Meine Damen und Herren, diese Beschlüsse sind am 50. Tage der Existenz der Bundesregierung Kiesinger-Brandt gefaßt worden; die Weihnachtstage mitgerechnet.Der Bundeskanzler sprach in seiner Erklärung vor diesem Hohen Hause am 20. Januar von einer — ich zitiere wörtlich — „Herkulesarbeit, die geleistet werden mußte". Herkules, dieser bedeutende Held der griechischen Sage, hat im Dienste seines Königs — in unserem Falle ist das Volk der Souverän — dessen riesige Ställe an einem Tag gereinigt, aber nach der griechischen Sage in seinem Leben dazu noch weitere elf schwierige Taten vollbracht.Wir Sozialdemokraten registrieren die erste große Tat dieser Bundesregierung auf dem Gebiete der Innenpolitik mit großer Befriedigung und fügen hinzu, daß erfreulicherweise das Kabinett nicht beim wohlüberlegten Ausgleich der Deckungslücke von 3,7 Milliarden DM stehengeblieben ist, sondern im Zusammenhang hiermit zwei dynamische Maßnahmen zur Sicherung von Stabilität und Wachstum beschlossen hat: erstens die sofortige Vorlage eines Eventualhaushalts mit erheblichen Investitionen und zweitens die Förderung der notwendigerweise wieder herbeizuführenden Investitionsbereitschaft der Unternehmen durch Sonderabschreibungen für die Dauer von neun Monaten bei beweglichen Wirtschaftsgütern in Höhe von 10 v. H., bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern in Höhe von 5 v. H. des Anlagevermögens.Die knapp zehn Stunden nach den Kabinettsbeschlüssen vor dem Bundestag abgegebene Regierungserklärung konnte verständlicherweise nicht alle Einzelheiten und die letzten Zahlenangaben enthalten. Darauf kam es aber nach meiner Meinung auch nicht an. Entscheidend ist der neue Stil der Bundesregierung, schnellstmöglich das Parlament von dem Wesentlichen zu unterrichten.
Das dankbar anzuerkennen, halte ich auch für eine Stilfrage, und ich füge die Bitte an die Bundesregierung hinzu, so fortzufahren.In einer bekannten Düsseldorfer Zeitung hieß es: „Das Parlament blieb stumm!". Diese Behauptung wird dem Tatbestand, der vorliegt, nicht gerecht. Bei der großen Bedeutung der Beschlüsse der Bundesregierung Kiesinger-Brandt, die von niemandem geleugnet wird, wäre kein Fraktionssprecher am selben Tage in der Lage gewesen, verbindliche Erklärungen für seine politischen Freunde abzugeben. Was die Experten der Ministerien in sorgfältigen Untersuchungen als Grundlage für die Entscheidungen des Kabinetts — denen eingehende Besprechungen des Bundesfinanzministers mit den Kabinettsmitgliedern vorausgegangen waren — erarbeitet hatten, können Fraktionssprecher nicht aus dem Handgelenk beurteilen. Das muß einmal gesagt werden.
Wir Sozialdemokraten jedenfalls benötigen die sachlich-fachliche Prüfung in unseren Arbeitskreisen und die politische Stellungnahme des Fraktionsvorstandes und der Gesamtfraktion. Je verantwortungsbewußter beides vorbereitet wird, um so besser ist ein solches Verhalten für das Funktionieren des parlamentarischen Systems!Der Herr Bundeskanzler hat wegen gewisser Unterstellungen in seiner Erklärung hervorgehoben, daß die Arbeit des Bundeskabinetts „im Geiste gesamtverantwortlicher Zusammenarbeit" geleistet worden sei, und hat wörtlich hinzugefügt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Wenn unsere Beratungen gestern bis Mitternacht dauerten, so nicht deshalb, weil wir uns — wie ich in einer Zeitung gelesen habe — zerstritten hätten — ganz im Gegenteil! —, sondern deshalb, weil wir um eine gute Gesamtlösung gemeinsamen gerungen haben und weil wir den Wunsch hatten, alle Gesichtspunkte auf das sorgfältigste auszudiskutieren.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist mit Herrn Kiesinger der Meinung — und ich sage das, nachdem auch wir alle Gesichtspunkte auf das sorgfältigste ausdiskutiert haben —, daß diese Arbeitsmethode erfolgreich gewesen ist.Bemerkenswert erscheint mir auch die Offenheit, mit der der Herr Bundeskanzler darauf hingewiesen hat, daß es unvermeidbar war, daß die Haushaltsberatungen im Kabinett diesmal noch gewisse provisorische Züge aufwiesen, da, wie er sagte, „die Probleme zu groß sind und die Regierung noch zu jung, als daß alles schon in ein völlig geschlossenes Programm hätte eingebettet werden können." Man kann wirklich nicht in wenigen Wochen beseitigen, was Jahre hindurch an Schwierigkeiten über ein normales und vertretbares Maß hinaus angehäuft worden ist, wobei ich diesmal gar keine Schuldfrage aufwerfen will.Diese Bundesregierung Kiesinger-Brandt ist keine Wunderwaffe, sie kann auch keine Wunder vollbringen. Sie muß wirklich in zäher, zielbewußter Arbeit innenpolitisch unter anderem die Sanierung der Bundesfinanzen, die Sicherung der Stabilität und wieder ein gesundes Wachstum der Wirtschaft
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerherbeiführen. Und da können Regierung und Koalitionsfraktionen schon einiges vorweisen:Dieses Hohe Haus hat vor den Weihnachtsferien eine Verbesserung der Haushaltslage des Bundes für das Jahr 1967 durch Verabschiedung des Finanzplanungsgesetzes und der Steueränderungsgesetze 1966 in Höhe von 4,7 Milliarden DM beschlossen. Mit den jetzt zu erwartenden Vorlagen, über die noch im einzelnen geredet werden muß, wird ein Betrag von 3,7 Milliarden DM erfaßt. Das sind zusammen 8,4 Milliarden DM Entlastungen des Bundeshaushalts in wenigen Wochen, nachdem jahrelang Ausgabenbeschlüsse gefaßt worden sind, die uns in diese die Dämme brechende Milliardenflut hineingeführt haben.8,4 Milliarden DM — ich wiederhole es — in wenigen Wochen an Abbau von Ausgaben und Vergünstigungen und an Belastungen, wie z. B. durch die Tabaksteuer, das ist die notwendige Rückkehr zu einer parlamentarischen Verantwortung, die für jeden von uns in solchen Situationen eines demokratischen Staates eine zwar nicht vermeidbare, aber recht drückende Bürde darstellt.Meine Damen und Herren, das Hervorstechendste an den Kabinettsvorschlägen ist die starke Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der geplanten finanzpolitischen Maßnahmen. Diese Feststellung betrifft nicht nur den vorgesehenen Eventualhaushalt — auf den ich in meinen weiteren Ausführungen noch zu sprechen komme —, sondern auch die Vorschläge zur Sanierung der Bundesfinanzen. Die jetzt vorgenommene Aufteilung des Haushalts in einen Eventualhaushalt und einen Kernhaushalt hatte die sozialdemokratische Bundestagsfraktion im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung bereits in der Debatte dieses Hohen Hauses am 10. November vorigen Jahres gefordert, als sie als Opposition ihre von den beiden anderen Fraktionen, wie ich dankbar anerkenne, positiv aufgenommene Alternative entwickelte.Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Kernhaushalt 1967 in der vorliegenden Fassung ein Gesamtvolumen von 74,03 Milliarden DM aufweist und damit unter dem Betrag des ursprünglichen Entwurfs der vorigen Regierung einschließlich des Ergänzungshaushalts 1967 mit einem Volumen von 75,279 Milliarden DM geblieben ist.Bedeutsamer als die Reduzierung der bisherigen Ansätze ist die Tatsache, daß dieser Entwurf auch die Positionen ausweist, die zwangsläufig auf den Bundeshaushalt zukommen mußten und die dennoch von der Regierung Erhard—Mende nicht etatisiert worden waren, z. B. der neue Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftssteuer.Die Neuverteilung der Einkommen- und Körperschaftssteuer auf Bund und Länder war eine wesentliche Position im Katalog der von der SPD im Herbst noch in ihrer Oppositionsstellung dargestellten Alternative zum ersten Etatentwurf 1967 der Regierung Erhard—Mende, und sie war für uns von großer Bedeutung in den Verhandlungen um die Regierungsneubildung.Dem in der großen Koalition erzielten Kompromiß über den Bundesanteil messen wir Sozialdemokraten besonderes politisches Gewicht bei. Das angestrebte Beteiligungsverhältnis — Bund 37 v. H., Länder 63 v. H. — scheint uns in Verbindung mit den übrigen Maßnahmen die finanziellen Notwendigkeiten bei allen Gebietskörperschaften angemessen zu berücksichtigen. Den Ländern werden zu Lasten des Bundes 980 Millionen DM Einnahmen zufließen. Aus dem Steuerverbund zwischen Ländern und Gemeinden erfolgt dadurch eine Verbesserung der Gemeindefinanzen um etwa 265 Millionen DM, und zwar bei einem angenommenen Verbundsatz von 25 v. H.Unter Berücksichtigung des bereits erfolgten Beschlusses, die Erhöhung aus der Mineralölsteuer in einer Größenordnung von 660 Millionen DM voll den Gemeinden zugunsten des Ausbaus ihrer Verkehrswege zukommen zu lassen, erhalten die Gemeinden 1967 fast 1 Milliarde DM zusätzliche Deckungsmittel. Mit diesem Ergebnis bewegen wir uns schon einen beträchtlichen Schritt voran auf dem Wege, der in dem Gutachten der Sachverständigenkommission zur Finanzreform vorgezeichnet worden ist und der von der Bundesregierung und dem Parlament in dieser Legislaturperiode gemeinsam zu Ende gegangen werden muß.Da die sozialdemokratische Bundestagsfraktion es als eine der wesentlichen Aufgaben dieser Koalitionsregierung betrachtet, das große Werk der Finanzreform gesetzgeberisch noch in dieser Wahlperiode zu realisieren, begrüßen wir den Kompromiß über den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer, der zu einer wesentlichen Klimaverbesserung zwischen Bund und Ländern beitragen wird.Unter diesen Aspekten halten wir es für notwendig, daß im Verlaufe der parlamentarischen Etatberatungen auch eine Einigung über die Höhe der Ergänzungszuweisungen an die finanzschwächsten Länder unter Berücksichtigung der auf beiden Seiten vorhandenen Schwierigkeiten erfolgt. Wir meinen, daß die heute im Haushaltsausschuß und im Finanzausschuß gefaßten Beschlüsse die Billigung dieses Hohen Hauses finden sollen.
— Ich glaube, es ist notwendig, das zu betonen. Wenn ich beispielsweise an die 660 Millionen DM denke, die wir für den kommunalen Nahverkehr zur Verfügung stellen, so kann gar nicht deutlich genug hervorgehoben werden, daß diese 660 Millionen DM bei den Ländern nicht dazu benutzt werden dürfen, etwa Etatlücken im Verkehrsetat der Länder zu füllen.
Es war der eindeutige Wille dieses Hohen Hauses, diese 660 Millionen DM unabhängig von den vorgelegten Verkehrsetats der Länder zur Verfügung zu stellen, um die besondere Notlage der Gemein-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerden beheben zu helfen. Wir haben das jedenfalls in aller Eindeutigkeit all unseren politischen Freunden gesagt, die in den Länderregierungen Einfluß haben, und wir legen Wert darauf, das auch vor diesem Hohen Hause in aller Klarheit zu wiederholen.
— Herr Pohle, wenn wir uns einig sind, werden wir damit doch auch noch fertig. Ich habe da anscheinend nicht so viele Hemmungen wie Sie. Wenn Sie denselben Einfluß auf Ihre Freunde ausüben wie wir auf unsere Freunde, gibt es hier auch wieder eine vernünftige Synthese.Meine Damen und Herren! Es ist für die Entwicklung von entscheidender Bedeutung, daß die Bundesregierung die Deckungslücke von 3,7 Milliarden DM schließen will, ohne dabei Steuererhöhungen vorzuschlagen. Nicht nur eine Erhöhung der Ertragsbesteuerung, sondern auch eine erhöhte Umsatzsteuer würde in der jetzigen Konjunkturlage eine nicht zu verantwortende Belastung der Wirtschaft bedeuten, wobei sogar für mich noch zweifelhaft ist, ob die Nachfragesituation eine generelle Überwälzung der Steuer überhaupt zuläßt.
Es ist natürlich nicht zu verkennen, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Kürzungen auf der Ausgabenseite und die Verbesserungen auf der Einnahmenseite des Etats für die davon betroffenen Bereiche eine spürbare Belastung nach sich ziehen können. Aber bei der Haushaltslage, die diese Bundesregierung vorgefunden hat, sind schmerzhafte Korrekturen unvermeidbar, und je schneller wir sie vornehmen, um so besser für den Bundeshaushalt, aber auch für unsere gemeinsame politische Arbeit.
Die sozialdemokratische Fraktion ist befriedigt darüber, daß bestimmte Kürzungserwägungen, wie sie in der Öffentlichkeit bereits diskutiert wurden und wie sie auch der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung mit einer Offenheit angesprochen hat, die in diesem Hohen Hause ungewöhnlich ist, nicht realisiert worden sind. Der Entwurf der Bundesregierung zeigt, daß es einer Regierung auf breiter Basis möglich ist, Streichungen im Haushalt vorzunehmen, ohne daß diese Maßnahmen zu einer Einschränkung der sozialen Sicherung führen. Es würde die große Koalition berechtigterweise in Mißkredit gebracht haben, wenn man die Kürzungen z. B. ausgerechnet bei den Versorgungsleistungen für Kriegsopfer vorgenommen hätte.Mit absoluter Sicherheit hätte meine Fraktion derartige Vorschläge verworfen. Selbst bei einer äußerst schwierigen Haushaltslage müssen die von den Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen für die Allgemeinheit gebrachten Opfer angemessen, auch in Form von Grundrenten, gewürdigt werden.
Gerade an dieser Stelle, meine Damen und Herren, darf ich hinzufügen, daß sich an dem von mir in der Debatte vom 10. November vorigen Jahres vorgetragenen Standpunkt der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion nichts geändert hat und daß wir nach wie vor der Meinung sind, daß durch eine Verlangsamung des Zuwachstempos im Verteidigungshaushalt weitere Kürzungen in diesem Etat zu verantworten sind. Das gilt auf der Basis der Vorschläge, wie ich sie am 10. November hier in diesem Hohen Hause vorgetragen habe. Wir sind dabei — ohne die Devisenausgleichszahlungen — von Mirzungsmöglichkeiten ausgegangen, die etwa bei 600 Millionen DM liegen, und haben darauf verwiesen, daß alles andere nur überlegt werden kann bei einer völlig neuen Konzeption, die erst einmal dasein müßte. Soweit ich die Zahlen kontrollieren kann, haben wir bisher Kürzungen in Höhe von 440 Millionen DM. Ich verweise auf die von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion heute mittag herausgegebene Erklärung und bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, diese Erklärung zur Sache dem Protokoll der heutigen Sitzung als Anlage beifügen zu dürfen *), weil sich die Erklärung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion noch einmal mit diesem Thema und mit einer Klarstellung zu dem Artikel beschäftigt, der in unserem Pressedienst erschienen und mit drei Sternen versehen worden ist, weil er von besonderer Bedeutung war.An unserem Standpunkt hat sich nichts geändert. Das geht aus der von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion herausgegebenen Erklärung hervor. Ich möchte das im Hinblick auf die besorgten Ausführungen des Kollegen Leicht ausdrücklich feststellen. Bei der Aussprache über die Regierungserklärung hat meine Fraktion besonderes Gewicht auf eine Politik zur Sicherung der Arbeitsplätze gelegt. Mit Befriedigung stellen wir fest, daß die haushalts- und wirtschaftspolitischen Vorschläge der Bundesregierung auch einer zeitgerechten Arbeitsmarktpolitik dienen. Meine Fraktion hat in ihrem Entwurf eines Arbeitsmarkt-Anpassungsgesetzes hierzu wichtige Anregungen gegeben. Gerade im Hinblick auf die gegenwärtige Arbeitsmarktlage, bei der ich persönlich — abgesehen von den politischen Folgen — auch die sinnlose Unwirtschaftlichkeit der Arbeitslosigkeit hervorheben möchte, sollte alles getan werden, damit dieser Gesetzentwurf bald verabschiedet werden kann. Im Interesse der 600 000 Menschen, die gegenwärtig — und hoffentlich nur vorübergehend — arbeitslos sind, müssen die größtenteils völlig unzureichenden Sätze des Arbeitslosengeldes und ähnliche Leistungen unverzüglich angehoben werden.Zur Beschleunigung des Verfahrens haben wir unserem Koalitionspartner vorgeschlagen, im Siebenten Änderungsgesetz zum Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung die Sätze des Arbeitslosengeldes auf durchschnittlich 65% des Nettoarbeitsentgelts zu erhöhen. Das belastet den Bundeshaushalt nicht. Die Mehrausgaben können aus flüssigen Mitteln der Bundes-*) Siehe Anlage 2
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4108 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Mölleranstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung finanziert werden, und diese Mittel sind ja schließlich zu einem solchen Zweck angesammelt worden.Der wichtige Vorschlag der Bundesregierung, die gegenwärtige Form der Ausbildungszulage fortfallen zu lassen, macht es unabweisbar, nun endlich zu einer gezielten Ausbildungsförderung zu kommen. Eine solche Neuregelung sollte zum gleichen Zeitpunkt, an dem die bisherige Ausbildungszulage nicht mehr gezahlt wird, in Kraft treten. Das verpflichtet die Bundesregierung zu intensiven Anstrengungen, um den Beschluß .des Bundestags vom 24. November 1966 über die Vereinheitlichung und Verbesserung der Ausbildungsförderung zu verwirklichen.Mit Befriedigung haben wir davon Kenntnis genommen, daß sich die Bundesregierung erfolgreich bemüht hat, eine Beitragserhöhung in der Rentenversicherung infolge von Kürzungen der Bundeszuschüsse für das Jahr 1967 zu vermeiden. Es bleibt allerdings festzuhalten, daß dennoch nach den Vorschlägen der Bundesregierung über das Finanzplanungsgesetz hinaus Eingriffe in die Finanzen der Rentenversicherung in einer Größenordnung von 350 Millionen DM, nämlich Kürzung der Bundeszuschüsse 300 Millionen DM, Wegfall der Erstattung an die Rentenversicherung für Tuberkulosehilfe 50 Millionen DM, vorgenommen werden sollen. Dieses Vorhaben ist unerfreulich, denn die Finanzlage der Rentenversicherung ist nicht nur durch den Altersaufbau, sondern auch durch Beitragsausfall infolge der wirtschaftlichen Entwicklung außerordentlich angespannt. Wenn in den letzten Jahren jeweils im Zusammenhang mit der Haushaltslage des Bundes eine rege öffentliche Diskussion über die Bundeszuschüsse zu den Rentenversicherungen geführt wurde, so ist dieser Zustand darauf zurückzuführen, daß bei der Rentenreform im Jahre 1957 der Bundeszuschuß nicht nach objektiven, jederzeit übertragbaren Merkmalen festgesetzt worden ist. Seitdem hat man zwar den Bundeszuschuß dynamisiert, eine objektivierbare Begründung hat er aber dadurch ganz sicher nicht erfahren. Dieser Tatbestand bietet, was ich persönlich verstehen kann, für jeden Bundesfinanzminister eine Quelle der Versuchung, in einer schwierigen Haushaltssituation Teile des Bundeszuschusses zur Deckung des Haushalts in Anspruch zu nehmen. Im Interesse der Rentenversicherung, aber auch des Bundeshaushalts scheint es mir eine wichtige politische Aufgabe zu sein, auf lange Sicht dem Bundeszuschuß eine nach objektiven Merkmalen ausgerichtete, fundierte Grundlage zu geben.
Diese Aufgabe ließe sich im Zusammenhang mit dem Dritten Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetz lösen, dessen Entwurf gegenwärtig im Ausschuß für Sozialpolitik beraten wird.Was die vorgeschlagene Kürzung im Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte angeht, so hoffen wir, daß die Verabschiedung des Währungsausgleichsgesetzes für Reichsmarksparguthaben von Deutschen aus der sowjetisch besetzten Zone nicht gefährdet wird.Anders ist die Sachlage hinsichtlich der vorgesehenen Kürzung bei der Einrichtungshilfe nach dem Flüchtlingshilfegesetz. Eine Beseitigung der von der alten Koalition gegen unseren Willen in das Gesetz aufgenommenen Einkommensgrenze wird im Haushaltsjahr 1967 nicht mehr möglich sein. Wir werden uns gemeinsam mit unserem Koalitionspartner bemühen müssen, die Flüchtlingsgesetzgebung in absehbarer Zeit in einer Weise zum Abschluß zu bringen, die im Rahmen des noch finanziell Möglichen auf dem Grundsatz der rechtlichen Gleichstellung beruht.Nun, meine Damen und Herren, komme ich kurz zu einem Gebiet, das im Hinblick auf gewisse Reaktionen in der Öffentlichkeit ein klärendes Wort erfordert. Niemand wird sich ernsthaft der Auffassung widersetzen können, daß auch der Landwirtschaftsetat zur Stabilisierung des Gesamthaushalts beitragen muß. Durch Beschluß einer Mehrheit des Bundestages wurde die Einführung des Gemeinlastverfahrens für einen Teil der Bundeszuschüsse an die landwirtschaftliche Unfallversicherung in Höhe von 100 Millionen DM abgelehnt, so daß der gesamte Kürzungsbetrag des Kabinetts für den Einzelplan 10 auf 389 Millionen DM angewachsen ist.Ich bin überzeugt, daß, die Landwirtschaft bei ruhiger Überlegung für Haushaltskürzungen Verständnis aufbringen wird, wenn nicht einkommenswirksame und investitionsfördernde Maßnahmen im Vordergrund stehen. Die von der Bundesregierung vorgelegten Kürzungsvorschläge werden hierauf sorgfältig zu prüfen sein. Es muß unser aller Ziel bleiben, daß der Anpassungsprozeß unserer Landwirtschaft im Hinblick auf den bevorstehenden gemeinsamen Agrarmarkt nicht gefährdet wird. Meine Fraktion wird gegebenenfalls entsprechende Änderungsvorschläge — und selbstverständlich dann nur im Rahmen des Einzelplans 10 — unterbreiten.Im übrigen bitten wir die Bundesregierung, anläßlich der Einbringung des Grünen Berichts und des Grünen Plans nicht darauf zu verzichten, ihre Vorstellungen zur Agrarpolitik zu präzisieren, zumal sie -- wie heute für alle erkennbar ist — auch hierbei ein drückendes Erbe übernommen hat.Lassen Sie mich ein Wort zur Berlinhilfe sagen, auch deswegen, weil Herr Kollege Emde eine Anmerkung hierzu gemacht -hat. Die Erhaltung der Lebensfähigkeit Berlins in seiner besonderen Lage war und ist eine der Hauptaufgaben der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben uns deshalb in der Vergangenheit stets für eine Bundeshilfe eingesetzt, die der Bedeutung der deutschen Hauptstadt entspricht. Wir werden das auch künftig, d. h. unablässig tun.Die diesjährige Berlinhife ist so bemessen, daß die vom Land Berlin beschlossene Zuwachsrate des Haushalts von 3,7 % nicht geschmälert werden muß. Der Bundeszuschuß wird zwar auf die
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerVorjahreshöhe beschränkt bleiben, er soll jedoch durch eine Bundesgarantie für die Aufnahme eines Darlehens über 120 Millionen DM ergänzt werden, so daß dem Berliner Haushalt das vorgesehene Volumen erhalten bleibt.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich die Zusicherung des Herrn Bundeskanzlers vom 24. Januar 1967 in Berlin, daß die Stadt nachhaltig in die von der Bundesregierung getroffenen Entscheidungen zur Belebung der Konjunktur einbezogen und das Berlinhilfegesetz unverändert aufrechterhalten wird.
Diese vom Herrn Bundeskanzler abgegebene Erklärung ist ganz zweifellos geeignet, das Vertrauen der Berliner Bevölkerung und der Berliner Investoren in die Stetigkeit unserer Berlin-Politik zu festigen.Meine Damen und Herren, wenn ,der Kernhaushalt 1967 durch die Bemühungen der Bundesregierung jetzt ausgeglichen worden ist, so zeigt sich hierin noch kein ausreichendes Mittel einer in dieser Konjunkturphase notwendigen Finanzpolitik. Sicherlich ist die pychologische Auswirkung gemeinsamer und ernsthafter Anstrengungen zur Sanierung der Bundesfinanzen von nicht zu unterschätzendem Gewicht. Ein fiskalisch ausgeglichener Haushalt reicht aber bei der jetzigen Konjunkturentwicklung nicht mehr aus, um als wirksames Mittel zur Herbeiführung eines gesunden Wachstums der Wirtschaft und zur Sicherung der Stabilität zu dienen. Diese Tatsache darf man Gott sei Dank heute in diesem Hohen Hause erwähnen, nachdem antizyklisches Denken nicht mehr zu unseren geistigen Sperrzonen gehört.Würde die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin mit einem abwärts gerichteten Trend verlaufen, dann müßten die in diesem Haushalt zugrunde gelegten Schätzungen über das Wachstum des Sozialprodukts und damit auch die Steuerschätzungen ständig negativ korrigiert werden. Da der Ausgleich des Bundeshaushalts 1967 auf einem erwarteten Zuwachs des Bruttosozialprodukts — selbstverständlich nominal — von rund 5 % beruht, würde ein weiteres Absinken des Sozialprodukts eine neue Lücke im Haushalt aufreißen. Gerade eine solche mögliche Entwicklung des Haushalts macht deutlich, wie stark die Finanzpolitik von der wirtschaftlichen Lage abhängig ist und daß die für das Gemeinwohl notwendigen Steuereinnahmen von einer schrumpfenden Wirtschaft ganz sicherlich nicht erbracht werden können. Wer erkannt hat, daß ein erheblicher Teil der jetzt noch zu schließenden Deckungslücke auf einem konjunkturverursachten Steuerausfall beruht, der muß bereit sein, alles zu tun, um die Produktionskraft der Wirtschaft unserer Bundesrepublik ausreichend zu stärken; denn nur auf diesem Wege kommen wir wieder zu befriedigenden Steuereinnahmen. Eine mittelfristige Wirtschaftspolitik und Finanzplanung will Wachstum in Stabilität sichern helfen.Die schon erwähnte Lage auf dem Arbeitsmarkt hat deutlich werden lassen, daß sich die deutscheWirtschaft nicht mehr im Zustand der Vollbeschäftigung befindet. Die Auftragslage der deutschen Wirtschaft und die nachlassende Investitionsneigung der Unternehmen lassen erkennen, daß ein Normalisierungsprozeß der Wirtschaft aus eigener Kraft gegenwärtig ohne Hilfe des Bundes nicht erwartet werden kann. In dieser Situation kommt daher dem von der Bundesregierung vorgeschlagenen Eventualhaushalt eine zentrale gesamtpolitische Bedeutung zu. Hierbei wird in der Bundesrepublik zum erstenmal ein in der Wissenschaft anerkanntes und seit langem empfohlenes Mittel der antizyklischen Finanzpolitik realisiert.Die Vornahme von Investitionen über den Bund in einer Größenordnung bis zu 2,5 Milliarden DM wird ganz zweifellos die Investitionstätigkeit anregen und, wie ich hoffe, wieder in Gang bringen. Diese Investitionen sollen in den Bereichen getätigt werden, in denen die vorhandenen Kapazitäten durch die stark reduzierten öffentlichen Aufträge nicht mehr ausgelastet sind. Dabei ist an Investitionen der Bundesbahn, der Bundespost, an Investitionen auf dem Verkehrssektor und für Wissenschaft und Forschung gedacht. In diesen Bereichen werden die zusätzlichen Investitionsaufträge eine Verbesserung der Kostenstruktur durch die erhöhte Auslastung nach sich ziehen und zweifellos keine preistreibende Wirkung ausüben. Derartig gezielte Investitionserhöhungen stehen also mit dem Grundsatz der Preisstabilität völlig in Einklang.Wenn der jetzt vorweg zu verabschiedende Eventualhaushalt auch in erster Linie als konjunkturpolitisches Instrument — mit Recht — gedacht ist, so kann meines Erachtens die Ausgabenrichtung schon als Anfang einer mittelfristigen finanzpolitischen Konzeption angesehen werden. Wird man in einem späteren Zeitpunkt die Aufteilung des Haushalts 1967 unter Einbeziehung des Eventualhaushalts auf Konsum- und Investitionsausgaben untersuchen, dann muß sich eine deutliche Verschiebung zugunsten der investiven Ausgaben zeigen. Dieser Prozeß schließt aus — und hier stimme ich uneingeschränkt Herrn Kollegen Leicht zu —, daß der Eventualhaushalt von den Ministerien heimlich als Finanzierungsstelle für Kürzungsgeschädigte angesehen wird.Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß bei dieser Konjunktursituation für den Eventualhaushalt nicht Mittel des Kapitalmarktes in Anspruch genommen werden, die unsere private Wirtschaft für ihre notwendigen Investitionen benötigt. Die Finanzierung soll sich über den Geldmarkt vollziehen. Dazu erforderlich ist eine fortschreitende Liquidität im Kreditsektor.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es daher, daß Bundesbankpräsident Blessing seine Mitwirkung an einer solchen Finanzierung des Eventualhaushalts in Aussicht gestellt hat. Die bereits eingetretene und die noch zu erwartende saisonale Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt macht es nach unserer Ansicht notwendig und dringend, das Investitionsprogramm in voller Höhe von 2,5 Milliarden DM zu realisieren. Die Finanzierung durch die Mithilfe der Bundesbank — ich sage das im Hin-
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möllerblick auf manche Artikel und Kommentare in den Zeitungen — wäre nicht notwendig gewesen, wenn wir uns in den vergangenen Jahren antizyklisch verhalten hätten, wenn die Steuermehreinnahmen in den Jahren der Hochkonjunktur stillgelegt worden wären, wie es das noch zu verabschiedende Stabilisierungsgesetz vorsieht. Im übrigen praktizieren wir jetzt ein Stück Stabilisierungsgesetz. So und umgehend zu handeln, bleibt vordringlich. Daher nehmen wir auch die eingetretene Verzögerung in der Ausschußberatung in Kauf, hoffen aber, daß die auf neuer Grundlage in Kürze wieder aufgenommenen Beratungen dann zügig abgeschlossen werden.Ich darf, meine Damen und Herren, im Hinblick auf eine Anmerkung, die Herr Kollege Emde in seiner sehr sachlichen Rede gemacht hat, auf einen Artikel von Dieter Stolze verweisen, der am 27. Januar in der Wochenzeitung Die Zeit erscheint. „Frisch gekürzt ist halb gewonnen", so heißt dieser . Artikel, und es wird Sie sicherlich, Herr Kollege Emde, folgender Satz interessieren:Antizyklische Finanzpolitik bedeutet, auf die einfachste Formel gebracht: Dahlgrün— steht hier, ich zitiere aus dem Artikel —hätte im Boom sparen müssen, um Rücklagen zu schaffen, Strauß muß heute in der Flaute mehr Geld ausgeben, als er einnimmt.Das ist die 'Situation, und an das Zustandekommen dieser Situation sich zu erinnern, ist immer ein löbliches Unterfangen.
Herr Mischnick möchte eine Frage stellen!
Bitte!
Herr Kollege Möller, ist Ihnen bekannt, daß der Bundesfinanzminister in der Pressekonferenz gesagt hat, hätten wir nicht den Juliusturm 1957 ausgegeben und hätten wir ihn aufgehoben, könnten wir ihn heute ausgeben?! Der Kuchenausschuß war falsch.
Ich habe diese Bemerkung des Bundesfinanzministers nirgendwo gelesen, aber wenn Sie das sagen, dann ist sie selbstverständlich von ihm gemacht worden. Ich frage: Wie war die Situation vor 10 Jahren? Warum in die Ferne schweifen, Herr Kollege Mischnick? Das „Schlechte" ist so nah!
Wir haben uns doch mit dem auseinanderzusetzen, was in den letzten Jahren war, und es ist doch ein Irrtum, Herr Kollege Emde, wenn Sie hier erklärt haben, Ihnen sei nichts davon bekannt, daß im Jahre 1965 irgend jemand auf die bedenkliche Finanzsituation hingewiesen hätte.
Ich erinnere an die Februarsitzung 1965, als ich in
aller Deutlichkeit darauf hinwies. Sie werden das
auch noch merken, wie schwer es für eine Fraktion
in einer Oppositionsstellung ist, finanzpolitisch verantwortlicher zu handeln, als das nach Meinung dieser Fraktion von der Koalition aus geschieht. Das werden Sie auch noch merken! Wir haben das damals getan, und ich habe an Sie alle hier die Aufforderung gerichtet, unserem Beispiel zu folgen und alle Anträge für den Schluß der Legislaturperiode vom Tisch zu wischen, die noch irgendwelche finanzwirtschaftlichen Auswirkungen hätten, weil wir das im Hinblick auf die Finanzsituation und im Hinblick auf das, was nach den Wahlen auf uns zukäme, einfach nicht verantworten könnten.
Herr Emde, kommen Sie mir doch nicht mit diesem komischen Haushaltssicherungsgesetz. Lesen Sie doch bitte im zweiten Sachverständigengutachten nach — im dritten wird es in einigen Passagen wiederholt —, was man von diesem Haushaltssicherungsgesetz sagt. Man hat doch einfach nur die Dinge vor sich hergeschoben, und es ist keine Entscheidung in dem Umfang erfolgt, der eben erforderlich war, um eine Sanierung unserer Bundesfinanzen einzuleiten. Und das sage ich Ihnen: wenn diese Bundesregierung in wenigen Wochen die Haushaltslage des Bundes um 8,4 Milliarden DM verbessern konnte, dann ist das nicht nur eine Tat schlechthin, sondern dann zeigt das auch, daß wir den politischen Willen haben, diese Dinge der Vergangenheit wirklich zu überwinden und in Ordnung zu bringen.
Herr Abgeordneter Emde möchte eine Frage stellen.
Herr Kollege Dr. Möller, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß ich vorhin gesagt habe: „Bis zum Jahre 1965 haben sich alle an den Ausgaben beteiligt", und sind Sie bereit zuzugestehen, daß ich das Haushaltssicherungsgesetz im Jahre 1966 als einen ersten, aber nur ersten Schritt zur Sanierung 'bezeichnet habe und damit 'in der Beurteilung dieses Gesetzes mit Ihnen völlig übereinstimme?
Ich bin gern bereit, beides zuzugestehen, bitte Sie aber um die Freundlichkeit, mir auch zuzugestehen, daß ich auf Grund der Bemerkung Ihres verehrten rechten Nachbarn auf das Jahr 1957 eingegangen bin und auf diese 10 Jahre abgestellt habe. Das Haushaltssicherungsgesetz hat auch insoweit, Herr Emde, eine Rolle gespielt, und ich meine, Sie sollten daran gar nicht rühren — o rühret, rühret nicht daran —, weil Sie uns damals vorgeworfen haben, daß wir nicht den Mut gehabt hätten, diesem Haushaltssicherungsgesetz zuzustimmen. Wir haben aus Gründen, die wir vorgetragen haben, unsere sachlichen Vorbehalte gehabt. Aber sehen Sie: das, was Sie uns damals nach Ihrer Meinung zu Recht vorgeworfen haben, hätten Sie bei den Beschlüssen beachten müssen, die wir hier in diesem Hause vor Weihnachten gefaßt haben. Sie thätten alles, was wir da zur Haushaltsverbesserung getan haben, eigentlich aus vollem Herzen mitmachen müssen, da S i e mit die
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Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerVerantwortung für die Herbeiführung dieses Zustandes getragen haben.
Ich hoffe, daß sich das noch nicht gibt, und ich hoffe weiter, daß wir dann bei der Beratung der neuen Vorlagen in diesem Hohen Hause weitgehende Übereinstimmung erzielen werden.Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch etwas zu den Sonderabschreibungen sagen. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Sonderabschreibungen für Investitionen im Unternehmensbereich sind t - ich muß das wegen einiger Diskussionen in der Öffentlichkeit hier ausdrücklich sagen — ein anerkanntes Mittel antizyklischer Finanzpolitik. Wenn auch durch diese Maßnahme die private Investitonstätigkeit erleichtert wird, so hängt doch die Neigung der Unternehmen zu investieren weitgehend von ihren Erwartungen bezüglich der zukünftigen Wirtschaftslage ab. Als wesentlicher Faktor bei den Zukunftserwartungen gilt das Vertrauen in die wirtschafts- und finanzpolitische Führung und in die politische Stabilität dieser Bundesregierung. Ihre Vorschläge zum Haushalt 1967 und zur Realisierung einer kontrollierten Expansion lassen erkennen, daß die Regierung zu der dringend notwendigen Aktivität bereit ist und mit ihrem Programm auch ihren Führungswillen bekundet. Ich bin davon überzeugt, daß alle Teile der Wirtschaft nach der langen Lethargie in der amtlichen Wirtschafts- und Finanzpolitik diese intensiven Bemühungen durch ein entsprechendes Verhalten honorieren.Zum Schluß noch einige kritische Anmerkungenzum Etat 1967. Diese Bemerkungen sollen in keiner Weise das Verdienst der Bundesregierung Kiesinger-Brandt an der bis jetzt geleisteten Arbeit zum Etatausgleich und zur Belebung des Wirtschaftswachstums schmälern, wobei ich besonders die Leistung der beiden beteiligten Fachminister, Professor Schiller und Strauß, ausdrücklich erwähnt haben möchte. Wir alle sind uns aber doch im klaren, daß die Haushaltsberatungen 1967 zunächst eine Durchgangsstation auf dem Weg zur Stabilität und zum Wachstum sind. Den Zielbahnhof haben wir noch nicht erreicht. Bundeskanzler Kiesinger hat diese Tatsache in seiner Erklärung vor dem Parlament am 20. Januar mit anerkennenswerter Offenheit erwähnt.Eines der Relikte aus dem übernommenen schweren Erbe Erhard-Mende ist z. B. das Etatdefizit aus 1966 — das ,Sie ja nun wirklich nicht dieser Regierung anlasten können —, das voraussichtlich rund 1050 Millionen DM betragen wird. Wenn es im Jahre 1967 nicht abgedeckt werden kann, bedeutet es für den nächsten Bundesetat, also den Etat 1968, eine erhebliche Belastung, worauf auch ich ausdrücklich hingewiesen haben möchte.Der Bundeskanzler hat angekündigt, daß der Haushaltsplan für 1968 — ich zitiere wörtlich — „bereits in eine mittelfristige Finanzplanung systematisch eingeschlossen sein wird". Wir gestehen zu, daß angesichts der großen Probleme des 67er Etats die mittelfristige Finanzplanung von der neuen Bundesregierung erst jetzt in Angriff genommen werden kann. Aber wir wären dankbar, wenn demParlament schon während der diesjährigen Etatberatungen eine aktuelle Übersicht gegeben werden könnte, aus der hervorgeht, wie die im Zusammenhang mit dem 67er Etat zu treffenden Maßnahmen sich für den Folgeetat 1968 auswirken und wie sie dessen Ausgleich nach dem Stande der heutigen Erkenntnis beeinflussen. Eine solche Darstellung wird dem Parlament eine nützliche Orientierungshilfe für die zugunsten des laufenden Etats zu treffenden und zum Teil äußerst schmerzlichen Entscheidungen sein.Ein erheblicher Unsicherheitsfaktor für den Etatvollzug 1967 ist — worauf schon hingewiesen wurde — die Weiterentwicklung der Steuereinnahmen. In der jetzt zu schließenden Deckungslücke von 3,7 Milliarden DM ist eine Position von 800 Millionen DM Einnahmeausfall an Steuern auf Grund rückläufiger Wirtschaftsentwicklung enthalten. Die gesamten Steuereinnahmen des Bundes werden vom Kabinett nunmehr auf rund 69 Milliarden DM geschätzt. Sollte sich ein geringerer Sozialprodukt-Zuwachs ergeben, als den Schätzungen zugrunde liegt, so würde dies zwangsläufig eine Minderung der Steuereinnahmen bedeuten, deren Größenordnung zur Zeit mit letzter Genauigkeit nicht festgestellt werden kann.Bundeskanzler Kiesinger wies in seiner Regierungserklärung darauf hin, daß die Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem Präsidenten der Bundesbank die Absicht hat, eventuelle Einnahmeverschlechterungen, die auf diesem Wege zustande kommen, durch Kreditaufnahme zur Finanzierung der im Bundeshaushalt vorgesehenen Investitionsvorhaben auszugleichen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt in dieser Auffassung mit der Bundesregierung überein.Die Bundesregierng der Großen Koalition hat mit ihren Beschlüssen in der vorigen Woche die besonders schwierige, sich eigentlich gegenseitig aufhebende Doppelaufgabe des Etatausgleichs durch Kürzungen und der Wirtschaftsbelebung entschlossen angepackt.Für uns Sozialdemokraten war die Beseitigung der katastrophalen Finanzlage und .der bedrohlichen Wirtschaftsentwicklung eines der entscheidenden Motive für unseren Eintritt in die Große Koalition,
für eine Mitwirkung in der Regierungsverantwortung, der sich eine dem demokratischen Staat verpflichtete Partei nie entziehen darf, wenn es die Not der Stunde, oft entgegen dem kurzsichtigen Eigeninteresse, erfordert.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion erklärt sich bereit, an allen jetzt notwendigen konjunkturpolitischen Maßnahmen aktiv mitzuarbeiten und sich für eine schnelle Verabschiedung der Vorlagen einzusetzen. Dazu gehört vor allem die Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens, das die Realisierung des investiven wirtschaftsbelebenden Eventualhaushalts ermöglicht. Wir hegen keinen Zweifel, daß alle diese Maßnahmen geeignet sind, das Gespenst einer Massenarbeitslosigkeit zu vertreiben und dem deutschen Volke das Vertrauen in eine stetige gesunde Wirtschaftsentwicklung wiederzugeben.
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4112 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 88. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. Januar 1967
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. MöllerProfessor Giersch hat einmal erklärt, statt kurzfristig lavierender Politiker brauchten wir souverän navigierende Staatsmänner. Die Bundesregierung befindet sich in einer solchen Metamorphose, zu der wir Vollzug und das Glück des Tüchtigen wünschen.
Herr Kollege Dr. Möller, Sie wollten einen Artikel zu Protokoll geben. —
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Der Herr Abgeordnete Dr Effertz gibt eine Erklärung zu Protokoll.
Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung ein auf morgen, Freitag, den 27. Januar 1967, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.